<101>vielseitigsten geistigen Tätigkeit gewidmet. Denn wie ihm früher seine wissenschaftlichen Interessen mannigfach verkümmert waren, so suchte er jetzt eine jede freie Minute zur Gewinnung des Versäumten anzuwenden, indem er nicht wissen konnte, wie bald der Tag, der eine andere Wirksamkeit von ihm erforderte, die Ruhe von Rheinsberg beenden möchte. Dabei besaß Friedrich ein seltenes Talent, nicht bloß durch das Studium der geschriebenen Wissenschaft seinen Geist zu bereichern, sondern auch einen jeden bedeutenderen Menschen, der ihm entgegentrat, nach dessen Eigentümlichkeit zu fassen und, teils brieflich, teils mündlich, die Kenntnisse und die Erfahrungen desselben für das eigne Wissen zu gewinnen. So diente vornehmlich ein Briefwechsel mit Grumbkow dazu, ihn in das Einzelne der politischen Verhältnisse seiner Zeit und der Verwaltungsangelegenheiten des preußischen Staates einzuführen; so ließ er sich von dem alten Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau und von anderen Kriegsführern in den Grundsätzen der Kriegskunst unterrichten: so verkehrte er, zu ähnlichen Zwecken, mit Ärzten und Naturforschern, mit Theologen, Philosophen u. dgl. m. Seine Lektüre war mannigfacher Art; einen sehr wichtigen Teil derselben bildeten die Schriftsteller, besonders die Geschichtsschreiber, des klassischen Altertums, die Friedrich in französischen Übersetzungen las.

Mit dem größten Eifer jedoch und mit ausdauernder Beharrlichkeit war Friedrich während dieser ganzen Zeit denjenigen Forschungen ergeben, welche die wichtigsten Interessen des Menschen umfassen: das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen, des Vergänglichen zum Ewigen, des Menschen zu Gott, strebte er mit allen Kräften sich zur Anschauung zu bringen. Jene religiöse Zerknirschung, die ihn, den ganz Gebeugten, im Gefängnisse zu Küstrin niedergedrückt hatte, war freilich vorübergegangen, sobald er aufs neue Kraft und Selbstbewußtsein gewonnen hatte; wohl aber war der Eindruck mächtig genug gewesen, um ihn fortan mit Ernst auf eine würdigere Lösung des großen Rätsels hinzuweisen. Die vorgeschriebenen Satzungen einer geheimnisvollen Glaubenslehre genügten ihm nicht; nicht für das Gefühl oder für das Gemüt, für seinen hellen, scharfen Verstand forderte er Überzeugung. So begann er mit der Lektüre der ausgezeichnetsten französischen Kirchenredner; so suchte er durch brieflichen und mündlichen Verkehr mit den vorzüglichsten französischen Predigern Berlins, denen er die bestimmtesten Fragen zur Beantwortung vorlegte, Aufschluß und Lösung seiner Zweifel zu erhalten.

Unter den eben erwähnten Predigern war es besonders der hochbetagte Beausobre, der ihn mächtig anzog. Eine Predigt, die er von diesem im März 1736 hörte, riß ihn zu förmlicher Begeisterung hin, und er suchte seine persönliche Bekanntschaft. Beausobre war wohl geeignet, durch die edle Würde seines Äußern