<106>faßt hier die kritische Lage Europas, nach jener Verbindung zwischen Frankreich und Österreich, mit einer Schärfe ins Auge, die bei einem vierundzwanzigjährigen Jüngling das höchste Erstaunen hervorruft; er zieht dann die Folgerungen, die der alten Politik beider Mächte gemäß — der unaufhörlichen Vergrößerungssucht Frankreichs und dem Streben Österreichs nach absoluter Herrschaft über Deutschland — aus jener Verbindung zu erwarten seien, wenn sich in den anderen Mächten keine neue Kraft entwickele. Die Schrift ist in der Vorahnung der neuen Kraft, die zu entwickeln eben Friedrich selbst bestimmt war, geschrieben. Er schließt damit, den Fürsten auf eindringliche Weise ins Ohr zu rufen, daß all ihre Schwäche nur auf ihrem falschen Glauben von sich selbst beruhe, daß nicht die Völker für sie, sondern umgekehrt, sie für die Völker da seien. Das war die Lehre der neuen Zeit, die durch Friedrich in das Leben eingeführt werden sollte und der er bis an seinen Tod treu geblieben ist. Friedrich hatte übrigens die Absicht, diese Abhandlung in England drucken zu lassen; doch unterließ er es aus guten Gründen, und so ward sie erst in seinen hinterlassenen Werken bekannt.

Die zweite Abhandlung, eine Arbeit von größerem Umfange, schrieb Friedrich im Jahre 1739. Dies ist die unter dem Namen des « Antimacchiavell » bekannte Widerlegung des Buches vom Fürsten, welches der berühmte florentinische Geschichtschreiber Niccolo Macchiavelli im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts verfaßt hatte. Das Buch vom Fürsten, ein Meisterwerk, wenn man die Verhältnisse, für die es ausschließlich bestimmt war und in die es wirksam eingreifen sollte, ins Auge faßt, enthält die Anweisungen, wie eine Alleinherrschaft im Staate (im florentinischen Staate jener Zeit) zu erreichen und zu behaupten sei. Friedrich faßte dasselbe allgemein, als eine Lehre des Despotismus auf; er betrachtete Macchiavelli, der den Fürsten eine solche Lehre hinstellte, geradezu als ihren frevelhaften Ratgeber, ja als einen Verleumder ihrer erhabenen Pflicht. Mit begeistertem Unwillen wies er es nach, indem er den Bemerkungen des Florentiners Schritt für Schritt folgte, wie nicht despotische und verbrecherische Handlungen, sondern nur Tugend, nur Gerechtigkeit und Güte, die Richtschnur der Fürsten sein dürfe, wie nur sie ihnen ein dauerndes Glück auf dem Throne versprechen könne. Seine ganze Darstellung knüpft sich an denselben Grundsatz, mit welchem er die vorerwähnte Abhandlung geschlossen hatte, daß der Fürst nämlich nicht als der uneingeschränkte Herr der Völker, die er beherrsche, daß er vielmehr nur als ihr erster Diener zu betrachten sei. Eine unbefangene, historischwissenschaftliche Würdigung des Werkes, welches er bekämpfte, tritt also dem Leser nicht entgegen, im Einzelnen so wenig als im Ganzen; aber als das ausführliche Glaubensbekenntnis, welches der Erbe einer mächtigen Krone