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DRITTES KAPITEL Die Knabenzeit.

Mit dem Anfange des siebenten Jahres endete die weibliche Erziehung des Kronprinzen. An die Stelle der Gouvernanten traten nunmehr der Generalleutnant Graf von Finkenstein als Oberhofmeister und der Oberst von Kalkstein, als Untergouverneur. Die Söhne dieser beiden verdienten Männer sowie die markgräflichen Prinzen des Hauses wurden die Spielgefährten des Thronerben; das kindliche Verhältnis zu dem jungen Grafen von Finkenstein ging nachmals in eine wirkliche Freundschaft über, und Friedrich blieb diesem, der später sein Kabinettsminister wurde, fortdauernd mit hohem Vertrauen zugeneigt.

Der König gab den beiden Hofmeistern eine ausführliche Instruktion, welcher gemäß sie die Erziehung des Kronprinzen leiten sollten. Als Hauptpunkt wird darin eine reine christliche Frömmigkeit, als zu welcher der Zögling vornehmlich hinzuführen sei, vorangestellt: — « und muß Er (so heißt es u. a. in der Instruktion) von der Allmacht Gottes wohl und der Gestalt informiert werden, daß Ihm alle Zeit <21>eine heilige Furcht und Venerazion vor Gott beiwohne, denn dieses ist das einzige Mittel, die von menschlichen Gesetzen und Strafen befreiete souveräne Macht in den Schranken der Gebühr zu halten. » Sodann sollte dem Prinzen Ehrfurcht, Hochachtung und Gehorsam gegen seine Eltern eingeprägt werden. Doch setzte der König die schönen Worte hinzu: « Gleichwie aber die allzu große Furcht nichts anders als knechtische Liebe und sklavische Effekten hervorbringen kann, so soll sowohl der Oberhofmeister als der Sousgouverneur dahin arbeiten und ihr möglichstes anwenden, Meinem Sohne wohl begreiflich zu machen, daß er keine solche Furcht, sondern nur eine wahre Liebe und vollkommen Vertrauen vor Mich haben und in Mich setzen müsse, da er denn finden und erfahren solle, daß Ihm mit gleicher Liebe und Vertrauen begegnet würde. » Überall wird in der Instruktion auf strengste Sittlichkeit gedrungen; dem Stolz und Hochmut, wenn diese sich zeigten, ebenso den Einflüsterungen der Schmeichelei, sollte aufs eifrigste entgegengearbeitet werden. Dagegen sollte der Prinz von früh an zur Leutseligkeit und Demut, zur Mäßigkeit, Sparsamkeit, Ordnung und bestimmtem, geregeltem Fleiße angehalten werden. Was wissenschaftliche Bildung anbetrifft, so faßt die Instruktion nur die praktisch brauchbaren Kenntnisse ins Auge. Latein sollte der Kronprinz gar nicht lernen, dagegen im Französischen und Deutschen sich eine gute Schreibart zu eigen machen. In der Geschichte sollte besonders auf die Ereignisse des eigenen Hauses und Staates, überhaupt auf diejenigen, welche zum Verständnis der damaligen Zeitverhältnisse nötig waren, Rücksicht genommen werden u. s. w. Auf tüchtige Ausbildung und Abhärtung des Körpers sollte ebenfalls, ohne den Kronprinzen jedoch übermäßig anzustrengen, vorzüglich geachtet werden. « Absonderlich (so wird endlich den Hofmeistern vorgeschrieben) haben sie Beide sich äußerst angelegen sein zu lassen, Meinem Sohne die wahre Liebe zum Soldatenstand einzuprägen und Ihm zu imprimieren, daß, gleichwie nichts in der Welt, was einem Prinzen Ruhm und Ehre zu geben vermag, als der Degen, Er vor der Welt ein verachteter Mensch sein würde, wenn er solchen nicht gleichfalls liebte und die einzige Gloria in demselben suchte. »

<22>Den eigentlich wissenschaftlichen Unterricht des Kronprinzen leitete ein Franzose, Dühan, der als Kind nach Berlin geflüchtet war und den der König im Jahre 1715, als Führer eines jungen Grafen, in den Laufgräben vor Stralsund kennengelernt hatte. Dühan ist ohne Zweifel von großem Einfluß auf die Bildung des Kronprinzen, auf dessen Übung im eigenen Lesen und Denken, gewesen. Ihm verdankte Friedrich die Kenntnis der Geschichte und der französischen Literatur. Die deutsche Literatur war zu jener Zeit auf der tiefsten Stufe des Verfalles, während die französische gerade ihren höchsten Gipfelpunkt erreicht hatte. An den Musterbildern der letzteren wurde der Geist Friedrichs genährt, wie ihm schon durch seine Gouvernante die französische Sprache geläufiger gemacht war als die eigene Muttersprache. Auch für Dühan hat Friedrich bis an dessen Tod eine treue Zuneigung bewahrt.

Der Unterricht in der lateinischen Sprache war, wie schon bemerkt, durch die Instruktion des Königs verboten worden. Doch hat Friedrich selbst in späterer Zeit öfters erzählt, er habe in seiner ersten Jugend — ob aber mit Bewilligung des Vaters, wissen wir nicht zu sagen, — einen lateinischen Sprachmeister gehabt. Einst sei der König dazugekommen, als der Lehrer ihn aus dem berühmten Reichsgesetz <23>der goldnen Bulle einiges habe übersetzen lassen. Da er einige schlechte lateinische Ausdrücke gehört, so habe er den Sprachmeister gefragt: « Was machst du Schurke da mit meinem Sohn? » — « Ihro Majestät, ich expliziere dem Prinzen auream bullam. » — Der König aber habe den Stock aufgehoben und gesagt: « Ich will dich Schurke auream bullam » — habe ihn weggejagt, und das Latein habe aufgehört.

Der König, wie wenig er sonst die höhere Kunstbildung zu schätzen wußte, hatte doch Wohlgefallen an der Musik, das heißt an jener strengen, tüchtigen Musik, als deren Meister besonders der große Händel dasteht; Händel selbst soll der Lieblingskomponist des Königs gewesen sein. So wurde denn auch der musikalische Unterricht des Sohnes nicht verabsäumt; durch einen Domorganisten erhielt er Anleitung im <24>Klavierspiel und in den theoretischen Teilen der Musik. Doch scheint dieser Unterricht ziemlich pedantischer Art gewesen zu sein. Als in dem Kronprinzen eine selbständige musikalische Neigung erwachte, übte er sich mit Leidenschaft im Flötenspiel.

Ungleich pedantischer noch scheint der erste Religionsunterricht betrieben worden zu sein, so daß die höchsten Lehren und die tiefsinnigsten Geheimnisse des Glaubens dem Prinzen in einer Schale vorgetragen wurden, welche vielleicht wenig geeignet war, das Gemüt zu erwärmen. Auch mag es als ein sehr bedeutender Mißgriff von selten des Vaters gerügt werden, daß auf seinen Befehl der Sohn, wenn dieser sich einer Strafe schuldig gemacht hatte, ein Stück des Katechismus oder der Psalmen auswendig lernen mußte. Das, was auf drohenden Befehl dem Gedächtnisse eingeprägt ward, konnte schwerlich im Herzen Wurzel fassen.

Um so größere Sorgfalt aber wurde darauf verwandt, dem Kronprinzen schon von früh an eine lebhafte Neigung zum Soldatenstande einzuflößen und ihn sowohl <25>mit allen Regeln des kleinen Dienstes als mit den kriegerischen Wissenschaften vertraut zu machen. Sobald es passend war, mußte er die Kinderkleider ausziehen und eine militärische Uniform anlegen, auch sich zu der Frisur, die damals bei der preußischen Armee eingeführt war, bequemen. Dies letztere war freilich ein trauriges Ereignis für den Knaben, denn er hatte bis dahin sein schönes blondes Haar in frei flatternden Locken getragen und seine Freude daran gehabt. Aber dem Willen des Vaters war nicht füglich zu widersprechen. Dieser ließ eines Tages einen Hofchirurgus kommen, dem Prinzen die Seitenhaare abzuschneiden. Ohne Weigerung mußte sich der Prinz auf einen Stuhl setzen, aber der bevorstehende Verlust trieb ihm die Tränen ins Auge. Der Chirurg indes hatte Mitleid mit dem Armen; er begann sein Geschäft mit so großer Umständlichkeit, daß der König, der die Vollziehung seines Befehls beaufsichtigte, bald zerstreut wurde und andere Dinge vornahm. Den günstigen Moment benutzte der Chirurg, kämmte den größten Teil der Seitenhaare nach dem Hinterkopf und schnitt nicht mehr ab, als die äußerste Notwendigkeit erforderte. Friedrich hat später dem Chirurgen die Schonung seiner kindischen Tränen mit dankbarer Anerkennung belohnt.

Zur Übung des Kronprinzen im kleinen Waffendienste war schon im Jahre 1717 eine kronprinzliche Kadetten-Kompagnie, die später auf ein Bataillon vermehrt ward, eingerichtet worden. Hier war der siebzehnjährige Kadetten-Unteroffizier von Rentzell der Waffenmeister des Kronprinzen; andere Eigenschaften des jungen Unteroffiziers, namentlich dessen Neigung zur Musik und zum Flötenspiel, führten bald auch ein näheres Verhältnis zwischen Beiden herbei. In seinem zwölften Jahre hatte der Kronprinz schon so bedeutende Gewandtheit in den soldatischen Künsten erlangt, daß er sein kleines Heer zur großen Zufriedenheit seines Großvaters mütterlicher Seite, des Königs von England, exerzieren konnte, als dieser in Berlin zum Besuche war und, zwar durch Krankheit ans Zimmer gefesselt, vom Fenster aus die militärischen Festlichkeiten in Augenschein nahm. Auch anderweitig sorgte der König, um dem Prinzen das Kriegswesen interessant zu machen. So ließ er z. B. einen großen Saal des Schlosses zu Berlin zu einem kleinen Zeughause einrichten, und Kanonen und allerlei kleine Gewehre in demselben aufstellen. Hier lernte der Kronprinz spielend den Gebrauch der verschiedenen, zur Kriegführung nötigen Instrumente kennen. Im vierzehnten Jahre wurde Friedrich zum Hauptmann ernannt, im fünfzehnten zum Major, im siebzehnten zum Oberstleutnant; in diesen Stellen hatte er, gleich jedem andern, die regelmäßigen Dienste zu leisten.

Bei den großen Paraden und den Generalrevuen, die in der Nähe von Berlin gehalten wurden, mußte stets die ganze königliche Familie gegenwärtig sein. So war <26>der Kronprinz auch von dieser Seite schon frühzeitig, noch ehe er selbsttätig an den Exerzitien teilnehmen konnte, auf die Bedeutung, die der König in das ganze Militärwesen legte, hingewiesen worden. Später nahm ihn der König auch zu den Provinzialrevuen mit, in denen er die ferneren Truppenabteilungen besichtigte. Auf diesen Reisen wurde zugleich die Verwaltung der einzelnen Teile des Staates an Ort und Stelle untersucht. Der Vater hatte die Absicht, den Prinzen so, auf einfachstem Wege, an die Erfüllung seiner künftigen königlichen Pflichten zu gewöhnen.

Überhaupt war der König bemüht, den Kronprinzen soviel als möglich sich selbst und seiner Gesinnung ähnlich zu machen und ihm auch an seinen Vergnügungen Geschmack einzuflößen. Der König war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Jagd, und er widmete ihr den größten Teil seiner Muße; der Kronprinz mußte ihn auch hier begleiten. Des Abends versammelte der König gewöhnlich einen Kreis derjenigen Männer um sich, denen er sein näheres Vertrauen geschenkt hatte. In dieser Gesellschaft (die unter dem Namen des Tabaks-Kollegiums bekannt ist) wurde nach <27>holländischer Sitte Tabak geraucht und Bier getrunken; mit vollkommener Freiheit von der Etikette des Hofes erging sich das Gespräch über alle möglichen Gegenstände; dabei waren gelehrte Herren zur Erklärung der Zeitungen bestellt, die aber zugleich aufs vollkommenste das Amt der Hofnarren zu vertreten hatten. Hierher kamen gewöhnlich die königlichen Prinzen, dem Vater gute Nacht zu sagen; auch mußten sie hier zuweilen, von einem der anwesenden Offiziere kommandiert, den König und seine Freunde durch militärische Exerzitien unterhalten. Später mußte der Kronprinz als wirkliches Mitglied an dieser Gesellschaft teilnehmen.