8093. AN DEN ETATSMINISTER GRAF PODEWILS IN BERLIN.

Sedlitz, 22. September 1756.

Ew. Excellenz gnädiges Schreiben vom 18. dieses habe wohl zu erhalten die Ehre gehabt, und nehme ich mir die Freiheit, Deroselben<437> hierbei wiederum sowohl die allergnädigsten Antwortschreiben an den Herrn Mitchell,437-1 als auch die [Antwort] an M. Michell437-2 zu adressiren, mit gehorsamster Bitte, erstere nach ihrer Adresse fordersamst abgeben zu lassen, wegen letzterer aber der Geheimen Kanzelei aufzugeben, dass selbige mit der zuerst abgehenden Post unter einer sicheren Enveloppe mit abgehen müsse, indem deren Einhalt wohl etwas pressiren dörfte.

Ich zweifele nicht, dass gedachter Herr Mitchell an Ew. Excellenz einige Ouverture gegeben haben sollte, von dem, was Mylord Stormont demselben occasione einiger aus der dresdenschen Kanzelei enlevirten Papiere gemeldet hat.437-3 Ich muss hierbei en passant erinnern, dass die Enlevirung dieser Papiere nicht sowohl aus dem dresdenschen Archive, sondern vielmehr nur aus der Cabinetskanzelei geschehen sei, von welcher mir der Umstand gesaget worden, dass in solcher zwar eine besondere Registratur von denen vorkommenden currenten Sachen, die aber mit Ende oder nach Ablauf eines jeden Jahres zu dem grossen Archive gebracht und abgeliefert werden. Wie mir also gesaget werden wollen, so seind die nunmehro nach Berlin geschickte Papiere eigentlich nur aus der Kanzeleiregistratur genommen, das eigentliche Archiv aber nicht berühret worden. Ob nun alles dieses seine völlige Richtigkeit gehabt, solches bin ich nicht im Stande zu sagen, da die ganze Sache durch mündliche Ordres tractiret worden, und ich nichts davon gewusst, noch erfahren habe, als was mir von dem Herrn von Maltzahn und anderen ex post davon gesaget worden, wie ich dann auch keine einige Pièce davon gesehen als die, so auf Sr. Königl. Majestät Befehl ich Ew. Excellenz zusenden müssen. Inzwischen und da nach M. Mitchell Schreiben Mylord Stormont gemeldet hat, wie die Königin von Polen die sämmtliche auswärtige Minister zu sich rufen lassen und von denenselben verlanget, ihre deshalb gethane Protestation an deren respective Höfe gelangen zu lassen, so erachten Se. Königl. Majestät vor gut zu sein, dass auch Dero Minister einige Information nach Anleitung dessen, so Dieselbe an M. Mitchell deshalb geantwortet437-4 und welches der Kürze halber hierbei lege, davon gegeben werde.437-5

Dem Herrn Mitchell haben Se. Königl. Majestät sonsten vermittelst eines eigenhändigen Postscripti die Erlaubniss gegeben, zu Deroselben in das Lager zu kommen.437-6 Daferne solches eine pure Reise von Curiosité ist und derselbe noch niemalen einige Campagne gethan hat, so vermuthe ich, wenn gegen Ew. Excellenz mich desfalls in Vertrauen expliciren darf, er werde solcher, zumalen bei der jetzigen Saison und sehr üblem Wetter, auch wenn das hiesige Lager weiter nach denen böhmischen Gebirgen vorrücken sollte, bald müde und überdrüssig<438> werden, anderer Umstände und sogenannter fructus belli zu geschweigen, davon ich denselben wohl dispensiret zu sein gewünschet hätte. Die Rivalité des Marquis de Valory dörfte inzwischen wohl wegfallen, daferne die Sachen in Frankreich continuiren, einen so übelen Pli, als der Herr von Knyphausen in anliegender immediaten Relation abermalen meldet, zu nehmen.438-1

Des Königs Majestät continuiren inzwischen nach als vor, die sächsischen Truppen in ihren festen Posten zu bloquiren und täglich mehr und mehr einzuschliessen, so dass endlich solche bei dem starken Abgang von Lebensmitteln sich gezwungen sehen dörften, entweder zu capituliren, oder aber einen coup de désespoir zu wagen, an welchem letzteren aber denenselben ihre eigene Position in gewisser Maassen hinderlich fallen dörfte, da die Zugänge zu der sehr steilen und mehrentheils stark escarpirten Höhe des Berges, worauf sie campiren, so beschaffen seind, dass in denen breitesten nicht mehr als 6 Mann en front weder herauf, noch herunter kommen können,438-2 und das Terrain dabei bei regnichtem Wetter, wie jetzo, sehr glissant ist. Wie es aber auf beiden Fällen mit der Person des Königs von Polen Majestät und Dero beiden jüngeren Prinzen werden dörfte, ingleichen der von dem Premierminister, solches kann ich vor meine Wenigkeit noch nicht absehen, und muss ich frei gestehen, dass mir der Kopf umdrehet, wenn ich an alle solche Umstände gedenke. Inzwischen muss der Mangel und Abgang aller Nahrungsmittel in gedachtem Lager gross seind, da nicht mir dem Verlaut nach die Cavallerie ihre Pferde ohnerachtet auf die Weide bei jetziger späten und nassen Saison getrieben hat, sondern auch ehegestern der letztere Vorrath an Mehl verbacken sein und die ganze Provision davon nur noch auf 2, höchstens 3 Tage bestehen soll. Was mich aber vor mein geringes Particulier am meisten touchiret hat, ist, dass des Königs von Polen Majestät ehegestern durch einen Dero Generals an den Generallieutenant von Winterfeldt schreiben lassen, dass, da Dero Tafel einigen Abgang habe, Dieselbe ersuchen Hessen, Ihr einen Küchwagen mit Provision und einem Fasse Bier, so des Königs von Polen Majestät sich zum Trunk bedieneten, zuzusenden, welches dann der Königin hinterbracht und erlaubet worden,438-3 Ew. Excellenz ersuche aber ganz unterthänig, diese betrübte Anecdote zu menagiren, inzwischen leichte zu erachten ist, was alles solches, welches von dem Grafen von Broglie nach Frankreich tagtäglich gemeldet wird, vor ein Geschrei daselbst verursachen müsste, da inzwischen des Königs Majestät, nachdem die Sachen einmal so weit gediehen, die sächsischen Truppen ohnmöglich hinter sich lassen können.

Hochdieselbe haben indess den Generalfeldmarschall von Keith mit einer Verstärkung von Truppen an das Corps vom Prinz Ferdinand von Braunschweig geschicket,438-4 um sich bei Aussig und der Orten<439> in Böhmen weiter auszubreiten, da der General Browne sich mit seiner Armée hinter Budin gezogen, und beide Corps sich noch zur Zeit ganz ruhig und geschlossen gegen einander gehalten haben. Ew. Excellenz wollen diese meine Digression gnädig zu condonniren geruhen.

Ich soll sonsten noch Deroselben auf allergnädigsten Befehl melden, wie Dieselbe nebst des Herrn Grafen von Finckenstein Excellenz dem von Hellen, so zu sagen posttäglich, diejenigen Argumenta wiederholen und mehrere hinzufügen möchten, warum die Republik Holland ohne ihren eigenen Verderb weder zugeben könnte, dass die principalesten protestantischen Prinzen in Teutschland, obschon unter anderem Namen als dem von der Religion, von den wienerschen und französischen Höfen affaibliret würden, noch ein Corps österreichischer oder französischer Truppen die clevischen Lande envahirete, und dass insonderheit der von Hellen denen Staaten von dem holländischen Geldern, Oberyssel und Utrecht darüber grosse Jalousie geben müsse.439-1 Ferner, dass der Benoit zu Warschau alles anwenden müsse, um alle Sr. Königl. Majestät präjudicirliche Entschliessungen der einen oder der anderen Partie zu hintertreiben.439-2

Ich habe bei dieser Gelegenheit dasjenige gelten zu machen gesuchet, was Ew. Excellenz mir von den schlechten Umständen des Benoît sowohl, als des von Hellen zu schreiben beliebet haben, da dann des Königs Majestät dem Benoît durch die ihm accordirte Reisekosten und den deshalb zu Warschau gemachten Credit geholfen zu haben vermeinet,439-3 dem von Hellen aber auf beiliegendes Schreiben zu antworten befohlen, dass, da der jetzige Zustand der Legationskasse keine Zulagen zu geben zuliesse, Sie ihm demnächst eine besondere Gratification von einigen tausend Thalern auf einmal geben wollten, wenn zumalen er in seiner jetzigen Commission zu reussiren bestens bedacht sein würde.

Ew. Excellenz wollen mein wiederum in der Eile etwas lang gerathenes Schreiben gnädig condonniren, da forthin mich mehrerer Kürze befleissigen werde.

Eichel.

Die sonst vor verloren gehaltene Dépêche des von Hellen haben des Königs Majestät mir gestern zugesandt, daher solche hierbei lege.

Nach der Ausfertigung.

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437-1 Vergl. Nr. 8088.

437-2 Vergl. Nr. 8092.

437-3 Vergl. S. 430.

437-4 Vergl. Nr. 8088.

437-5 Demgemäss Circularerlass an die preussischen Vertreter in Regensburg und an den ausserdeutschen Höfen, Berlin 25. September.

437-6 Vergl. S. 431. 432.

438-1 Immediatbericht Knyphausen's, Paris 12. September. Vergl. Nr. 8091.

438-2 Vergl. S. 416.

438-3 Vergl. S. 422.

438-4 Vergl. S. 428.

439-1 Vergl. S. 432.

439-2 Vergl. S. 406. 423. 445.

439-3 Vergl. Nr. 8080.