8375. AN DEN GENERALFELDMARSCHALL VON LEHWALDT IN KÖNIGSBERG.

Dresden, 28. November 1756.

Ich habe Euer Schreiben vom 19. dieses nebst dessen Postscriptum vom 20. richtig erhalten.

Wenn Ihr folgendes dechiffriren lasset, so habt Ihr Euch dazu keines andern zu bedienen, als von dessen Treue und ohnverbrüchlicher Verschwiegenheit Ihr vollenkommen versichert seind und Mir davor repondiren könnet, dessen Ihr dann auch denselben zuforderst nochmalen wohl zu erinnern habet :

Damit Ihr wegen derer jetzigen Umstände in Livland von der jetzigen Situation des petersburgischen Hofes82-2 au fait seid und darnach die Sachen um so besser beurtheilen könnet, so mache Ich Euch nachstehendes davon, worauf Ihr gewiss rechnen könnet, jedoch unter dem Siegel des allergrössesten Geheimnisses und bloss zu Eurer alleinigen Direction, hierdurch bekannt, wie seit einiger Zeit her sich das Système des russischen Hofes gegen vorhin in vielen Stücken geändert hat. Der Grosskanzler Graf Bestushew ist dem wiener Hofe, seit der Zeit derselbe mit Frankreich Liaisons genommen, bei weitem nicht mehr so als vorhin ergeben, vielmehr vielleicht mit solchem in gewisser Maasse brouilliret. Sein Credit ist hergegen auch nicht mehr so sehr gross wie vorhin, und unternimmt [er] sich wenigstens nicht den jetzigen Favoriten Schuwalow zu widersprechen, der anfänget, sich von denen Affairen mit zu mehren, der auch bisher die französische Intrigue zu Petersburg souteniret hat. Der Vicekanzler conserviret seine alte gute Neigung vor das Haus Preussen.

Die Kaiserin ist sehr krank und schlecht. Ihr Tod würde die Face der Affairen allda ganz verändern. Der Thronfolger ist Engelland affectioniret und vor Preussen gut gesinnet. Bei den schlechten Gesundheitsumständen der Kaiserin suchet [der] Favorit und seine Familie die aufgehende Sonne sehr zu cajoliren, um künftig Protection zu haben Das Euch communicirte Buch unter dem Titel des Mémoire raisonné,82-3 so auch dort bekannt geworden, hat allda viel Impression gemachet, so dass man öffentlich saget, wie man über Mein Sujet jetzo ganz anders denke als vor einigen Monaten. Noch mehr Impression aber hat ein dort entstandener Bruit von einer Verstärkung Meiner Armée<83> in Preussen gemachet, da man öffentlich eine Furcht deshalb merken lassen.

Die Armée ist in schlechtem Zustande, es fehlet ihr an Officiers und an Cavallerie. Der Feldmarschall Apraxin, so letzthin nach Riga gegangen, hat nie einen Feind gesehen, verlanget auch nicht, solchen jemalen zu sehen.

Aus allen diesen Umständen werdet Ihr nunmehro selbst urtheilen, dass Ihr Eurer Orten vor dieses Jahr nichts zu besorgen habet. Was das künftige Jahr anlanget, da kann Ich Euch noch keine positive Versicherung davon geben, so viel aber will Ich Euch zum voraus sagen, dass die Apparences sehr avantageux seind und dass, woferne solche continuiren, und die Zeitungen aus Russland recht sehr gut werden, Ich sodann wohl genöthiget sein dörfte, die nach Pommern eingerückte Regimenter hieher zu ziehen,83-1 weil Ich hier nicht nur alle österreichische Macht auf den Hals bekomme, sondern auch sogar die 24,000 Franzosen noch dazustossen.83-2

Im übrigen, da nach des Generalmajor Rüsch Avis es nicht practicabel ist, dass Ihr auf Grodno marschiren und denen Russen eins anhängen könnet, so werdet Ihr daraus urtheilen, dass auch wiederum die Russen von daher nicht zu Euch kommen können.

Dem Major von Römer sollet Ihr vor seine Anzeige83-3 und dabei gehabte gute Intention sehr von Meinetwegen danken, ihn auch darin erhalten. Bei denen vorgemeldeten jetzo in Petersburg sehr geänderten Umständen, und da Bestushew anders zu denken anfanget, von welchem allen Ihr Euch aber ja nicht das allergeringste gegen den von Römer, sowie gegen niemanden, äussern noch merken lassen müsset, würde es nicht à propos sein, auf ein Changement im dortigen Ministerio zu arbeiten, und wenn sonst Meine Nachrichten sich erfüllen, so werdet Ihr gar nichts zu besorgen haben. Dieses Mein Schreiben müsset Ihr unter Eurem eigenen und recht sichern Beschluss nehmen und wohl verwahren, dass es zu niemandes Gesichte weiter kommet.

Friderich.

Nach dem Concept.



82-2 Vergl. Nr. 8373.

82-3 Vergl. Bd. XIII, 617.

83-1 Vergl. S. 44. 74.

83-2 Vergl. S. 71.

83-3 Der Major von Römer hatte dem Feldmarschall Lehwaldt Mittheilungen über Verhältnisse am russischen Hofe gemacht.