<235>meer und die Alpen. Im Norden und Westen ist es vom Weltmeer umspült. Nur nach Osten hat Frankreich keine anderen Grenzen als seine Mäßigung und Gerechtigkeit. Durch die Lostrennung von Elsaß und Lothringen vom Deutschen Reiche sind die Grenzen der französischen Macht bis zum Rhein vorgeschoben. Es wäre zu wünschen, daß der Rhein auch weiterhin Frankreichs Grenze bliebe. Um das zu erreichen, bliebe ein kleines Herzogtum Luxemburg einzustecken, ein kleines Kurfürstentum Trier durch irgend einen Vertrag zu erwerben, ein Bistum Lüttich mitzunehmen, weil es so bequem liegt. Die Barriereplätze1, Flandern und sonst ein paar Kleinigkeiten müßten notwendig mit zu Frankreich geschlagen werden. Das Land brauchte als Premierminister nur einen sanften, maßvollen Mann, der seinen Charakter, wenn ich so sagen darf, in den Dienst der Politik seines Hofes stellte, das Odium aller Listen, Ränke und krummen Wege auf die übrigen Minister abwälzte und, indem er sich hinter seinem würdigen Charakter verschanzte, seine Pläne zum glücklichen Ausgang brächte.

Frankreich überstürzt sich in nichts. Es hat stets seinen Plan vor Augen, erwartet aber alles von den Zeitumständen. Die Eroberungen müssen sich sozusagen von selbst anbieten. Alles Absichtliche in seinen Plänen wird verhüllt und äußerlich der Anschein erweckt, als ob alle guten Dinge ihm von selbst in den Schoß fielen. Lassen wir uns jedoch durch den Schein nicht täuschen! Glück und Zufall sind Worte ohne wirklichen Inhalt. Frankreichs wahres Glück ist der Scharfblick seiner Minister, ihre Voraussicht und die guten Maßregeln, die sie ergreifen. Man sehe nur, wie sehr es sich der Kardinal angelegen sein läßt, zwischen dem Kaiser und den Türken zu vermitteln2? Zum Dank für diesen Dienst kann der Kaiser nicht weniger tun, als seine Rechte auf Luxemburg an Ludwig XV. abzutreten. Luxemburg wird allem Anschein nach eine der ersten Erwerbungen sein, die auf Lothringen folgen. Denn da Frankreich auf die Maßregeln, die der Kaiser für nötig hielt, jede Rücksicht genommen hat, scheint die Gerechtigkeit von seiten des Kaisers gleiche Rücksicht gegenüber Frankreichs Maßnahmen zu fordern. So ist man sich gegenseitig immer wieder aufs neue zu Dank verpflichtet, und die Politik beider Herrscher weiß das für ihr Streben nach Größe und Macht auszubeuten.

Was die übrigen Länder betrifft, deren Eroberung für Frankreich in Betracht kommen könnte, so erfordert die Klugheit, nichts zu übereilen. Erst muß es sich in seinen alten Eroberungen befestigen, und seine Nachbaren dürfen nicht kopfscheu werden. Ein zu weit schallender Erfolg könnte die Seemächte aufwecken, die jetzt im Arme der Sicherheit und am Busen der Trägheit schlummern.

Frankreichs System ist erweiterungsfähig und läßt mich noch größere und weiterschauende Pläne ahnen als die eben genannten. Das Schicksal scheint als Augenblick für ihre Ausführung das Ableben Seiner Kaiserlichen Majestät bestimmt zu haben.


1 Vgl. S. 131.

2 Durch französische Vermittlung kam auch 1739 der Friede von Belgrad zustande (vgl. S. 161).