<242> so kam das zur völligen Zerstörung der Körpermaschine führen. Sorgt also die Staatskunst und Klugheit der europäischen Herrscher nicht mehr für die Aufrechterhaltung eines richtigen Gleichgewichts unter den Großmächten, so wird das dem ganzen politischen Körper Europas fühlbar. Auf der einen Seite steht die Gewalt, auf der anderen die Schwäche, hier das Bestreben, alles an sich zu reißen, dort die Ohnmacht, es zu verhindern. Der Mächtigere gibt Gesetze, der Schwächere muß sie unterschreiben, kurz, alles trägt zur Vermehrung der Unordnung und Verwirrung bei. Der Stärkere ist wie ein wütender Gießbach. Er schwillt über, reißt alles fort und ruft die verderblichsten Umwälzungen hervor.

Das sind in kurzen Worten die Betrachtungen, zu denen mich der gegenwärtige Zustand Europas veranlaßt. Sollte eine Macht finden, daß ich mich allzu freimütig geäußert habe, so möge sie wissen, daß die Frucht stets ihren Erdgeschmack bewahrt, und daß ich als Bürger eines freien Landes1 mit der edlen Kühnheit und unverstellten Aufrichtigkeit sprechen darf, die den meisten Menschen unbekannt ist, und die in den Ohren derer vielleicht verbrecherisch klingen mag, die in der Knechtschaft geboren und in der Sklaverei aufgewachsen sind.

Nachdem ich das Benehmen der Staatsmänner Europas durchgegangen, das politische System der verschiedenen Höfe nach Maßgabe meiner Einsicht entwickelt und die gefährlichen Folgen des Ehrgeizes gewisser Fürsten gezeigt habe, wage ich die Sonde noch tiefer in die Wunde des politischen Körpers zu führen und das Übel bis in seine Wurzeln zu verfolgen, um seine geheimsten Ursachen zu entdecken. Gelingt es meinen Betrachtungen, das Ohr einiger Herrscher zu finden, so bieten sich ihnen hier Wahrheiten, die sie aus dem Mund ihrer Höflinge und Schmeichler nie vernommen hätten. Ja, vielleicht werden sie erstaunt sein, daß diese Wahrheiten sich neben sie auf den Thron setzen.

Mögen sie denn erfahren, daß ihre falschen Prinzipien die vergiftete Quelle des europäischen Elends sind2. In folgendem liegt der Irrtum der meisten Fürsten. Sie glauben, Gott habe aus besonderer Rücksicht für sie und eigens ihrer Größe, ihrem Glück und Hochmut zuliebe das Gewimmel der Völker geschaffen, deren Wohlfahrt ihnen anvertraut ist, und ihre Untertanen seien nichts weiter als Werkzeuge und Diener ihrer zügellosen Leidenschaften. Sobald das Prinzip, von dem man ausgeht, verkehrt ist, müssen die Folgen unweigerlich immer verhängnisvoller werden. Daher jener unbändige Drang nach, falschem Ruhme, jenes glühende Verlangen, alles zu erobern, die harten Auflagen, mit denen das Volk bedrückt wird, die Trägheit der Herrscher, ihr Dünkel, ihre Ungerechtigkeit, ihre Unmenschlichkeit, ihre Tyrannei und alle Laster, die die Menschennatur erniedrigen. Legten


1 Die Flugschrift sollte in England erscheinen.

2 Vgl. für den Schluß der Flugschrift den „Antimachiavell“ (Bd. VII), der bereits im folgenden Jahre entstand.