<169>

II
Allmähliche Gebietserweiterung Brandenburgs
Zunahme und Fortschritte der Finanzen

Ursprünglich bestand die Kurmark nur aus der Alt-, Mittel- und Uckermark und der Priegnitz. Außer Betracht bleiben die fränkischen Besitztümer, die bald dazu gehörten, bald abgetrennt wurden zugunsten einer Seitenlinie, die sie noch heute besitzt169-1.

Nach dem Tode des Grafen Wichmann von Lindow, seines Lehnsmannes, zog Joachim I. die Grafschaft Ruppin ein169-2. Sein Sohn, Joachim II., trat zum Protestantismus über und säkularisierte die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus169-3. Er ermaß wohl nicht ganz, wie vorteilhaft die Reformation für seine Nachfolger sein würde. Und doch trug sie viel zu der späteren Vergrößerung des Hauses Brandenburg bei. Johann Georg erbte die Neumark von seinem Oheim, Markgraf Johann, der kinderlos starb169-4. Johann Sigismund oder vielmehr Georg Wilhelm erbte Preußen, das Herzogtum Kleve und die Grafschaften Mark und Ravensberg von seiner Mutter, der Tochter Maria Eleonores von Kleve, die ihrerseits durch den Tod des letzten Herzogs von Kleve, der ohne männliche Erben starb, in den Besitz jener Länder gelangt war169-5. Preußen erbte er durch den Tod Albrecht Friedrichs von Brandenburg, genannt der Einfältige, des letzten Herzogs169-6.

Bisher sehen wir nur Erwerbungen durch Erbschaften oder günstige Eheschließungen. Der Große Kurfürst dehnte seine Macht durch Waffengewalt und Unterhandlungen aus. Im Westfälischen Frieden erwarb er Hinterpommern und wurde für Vorpommern durch die Säkularisation der Bistümer Magdeburg, Halberstadt und Minden entschädigt169-7. Er erntete die Früchte der Reformation. Durch Waffenglück machte er sich zum souveränen Herrscher von Preußen, das bisher unter polnischer Lehnshoheit gestanden hatte169-8. Die Republik Polen erkaufte seine Freundschaft durch Abtretung der Ämter Lauenburg und Bütow169-9. Später verpfändeten die Polen ihm auch das Gebiet von Elbing169-10 und die Herrschaft Draheim für eine ihnen vorgeschossene Summe. Ferner gewann er das Fürstentum Halberstadt und dessen Afterlehen, die Grafschaft Regenstein. Er legte eine Besatzung nach Greetsyhl und faßte dadurch Fuß in Ostftresland, auf das er Anwartschaft hatte169-11.

Ohne Zweifel verdankt das Haus Brandenburg dem Großen Kurfürsten die Macht, zu der es gelangt ist. Aus diesen Beispielen ersiehst Du, daß es die Menschen sind, die<170> die Staaten machen, und daß alle Schöpfer neuer Monarchien große Geister waren, die die Natur nur von Zeit zu Zeit und gleichsam mit Anstrengung hervorbringt.

Friedrich I. kaufte von König August von Polen die Grafschaft Hohenstein und die Ämter Quedlinburg und Petersberg170-1. Auf gleiche Weise erwarb er die Herrschaften Serrey und Tauroggen in Polen. Nach dem Tode König Wilhelms erbte er die Grafschaft Lingen und das Fürstentum Mörs, Herstal und einige andere Besitzungen in Holland170-2. Er kaufte die Grafschaft Tecklenburg; Neuchâtel schloß sich aus freien Stücken an Preußen an170-3. Schließlich brachte Friedrich I. die Königswürde an sein Haus. Das war ein Same des Ehrgeizes, der in der Folge aufgehen sollte.

Friedrich Wilhelm I. erwarb das Herzogtum Geldern im Frieden von Utrecht170-4, Vorpommern mit Stettin nebst den Inseln Usedom und Wollin im Frieden zu Stockholm, der 1720 unterzeichnet ward170-5.

Du übersiehst nun mit einem Blick alle Erwerbungen des Hauses Brandenburg, siehst, wie es mit Riesenschritten seiner Größe entgegenging. Es ist eine ununterbrochene Kette von Glücksfällen. Alle Herrscher scheinen von Geschlecht zu Geschlecht stets das gleiche Ziel vor Augen gehabt zu haben, obwohl sie zu seiner Erreichung verschiedene Wege einschlugen. Staatsklughelt allein leitet Johann Sigismund. Er gründet seine Hoffnung auf eine reiche Heirat, deren Früchte sein Sohn Georg Wilhelm erntet. Friedrich Wilhelm, groß in seinen Ideen und kühn in seinen Unternehmungen, findet Hilfsmittel in einem Lande, das sein Vorgänger für verloren hielt. Er schafft sich einen gesicherten Ruf — die Hauptsache für alle Herrscher —, macht Eroberungen, gibt sie großmütig wieder heraus und verdankt alle seine ErWerbungen offenbar nur seiner Tüchtigkeit und der Achtung ganz Europas. Sein großer Machtzuwachs begann Neid zu erregen. Das Schicksal mußte ihm einen friedliebenden Nachfolger bescheren, damit die Nachbarn sich beruhigten und sich allmählich daran gewöhnten, Preußen unter die Großmächte zu rechnen. Friedrich I. machte zwar einige Erwerbungen, sie waren aber zu unbedeutend, um die Blicke Europas auf sich zu lenken. Selbst seine Schwächen schlugen zum Vorteil seines Hauses aus. Seine Eitelkeit brachte ihm die Königswürde ein, die anfangs ganz chimärisch erschien, in der Folge jedoch die ihr fehlende feste Grundlage erhielt. Friedrich Wilhelm I. eroberte Stettin, ließ es aber bei dieser Erwerbung nicht bewenden, sondern widmete sich den inneren Reformen und vergrößerte seine Macht durch emsigen Fleiß fast ebensosehr, wie irgend einer seiner Vorfahren durch andere Mittel.

Um die Fortschritte in den Finanzen Friedrich Wilhelms recht zu beurteilen, muß ich für einen Augenblick weiter zurückgreifen, um dann schrittweise bis zu seiner weisen Verwaltung zu kommen. Die vergleichende Methode verbreitet das meiste Licht über die Tatsachen, erweitert unsere Kenntnisse und führt zur Gewißheit. Bei diesem<171> kurzen Vergleich wirst Du mit Überraschung sehen, wie sich die Verhältnisse erst allmählich, doch schließlich rasch ändern.

In alter Zeit hatten die Kurfürsten nur einige Domänen, die ihnen auch nur sehr mäßige Einkünfte brachten. Hin und wieder bewilligten ihnen die Stände außerordentliche Gelder nach ihren jeweiligen Bedürfnissen. Dadurch entstanden große Schwankungen in den Jahreseinkünften und ungeheure Verschiedenheiten in den einzelnen Erträgnissen.

Die in der Hofstaatsrentei171-1 erhaltenen Dokumente sind lückenhaft. Bisweilen sind nur Gesamtziffern von zehn und mehr Jahren vorhanden. Zur Bestimmung des durchschnittlichen Jahreseinkommens mußte ich daher die Zahlen durch zehn teilen.

Aus dieser Berechnung ergibt sich, daß in den Jahren 1608 bis 1618 die Einkünfte des Kurfürsten Johann Sigismund sich auf jährlich 248 775 Taler beliefen. Die Mark Feinsilber betrug damals 9 Taler, während sie jetzt einen Wert von 12 Talern hat. Auf unseren Münzfuß umgerechnet, ergäben sich also 331 701 Taler. Wie schon gesagt, erhöhten die Stände diese Summe bisweilen. Ich benutze die gleiche Methode für die folgenden Herrscher. Nehme ich den Durchschnitt der Einkünfte Georg Wilhelms in den Jahren 1619 bis 1640, d. h. 21 Jahre lang, so ergeben sich pro Jahr 119 825 Taler oder nach heutigem Werte 159 767 Taler. Der Rückgang hat seine Ursache in den Verheerungen durch die Kaiserlichen, die Schweden und die ersten besten Kriegsvölker, die während des Dreißigjährigen Krieges die Kurmark überschwemmten. Das Elend des Krieges machte sich noch in den ersten Regierungsjahren des Großen Kurfürsten geltend. Infolgedessen besteht zwischen den Einnahmen dieser Zeit und den späteren ein großer Unterschied. Von 1640 bis 1652, also in einem Zeitraum von 12 Jahren, betrugen die Einkünfte nach unserem Werte nur 191 922 Taler, zehn Jahre später aber schon 341 970. Im Jahre 1673 waren es 402 323 Taler, 1676 bereits 630 462, im Jahre 1678: 1 706 724, im Jahre 1683: 2 183 622 und im Todesjahr Friedrich Wilhelms, 1688: 2 256 876 Taler.

Dieser allmähliche Zuwachs ist teils den Refomen im Finanzwesen zu danken, die der Kurfürst einführte, teils aber auch der Neuerwerbung wohlhabender und ertragreicher Provinzen. Friedrich Wilhelm entschuldete die Domänen und führte die Post ein, deren Einnahmen bei der weiten Strecke von Wesel bis Memel und von Halberstadt bis Hamburg sehr erheblich waren.

Die 1670 in den Städten eingeführte Akzise171-2 wurde zum Unterhalt der Truppen bestimmt. Das führte zur Begründung der Generalfeldkriegskasse, die erst 1676 entstand. Die Kontributionen171-3 wurden 1678 neu geregelt, das Stempelpapiergeld 1683, die Marinekasse 1686 eingeführt. In sie floß ein Viertel vom Gehalt jeder unbesetzten Stelle. Sie wurde zur Bestreitung der kleinen Flotte benutzt, die der Kurfürst unterhielt.

<172>

Früher galt die Mark Feinsilbers in Brandenburg wie im ganzen Reiche stets 9 Taler. Im Jahre 1651 zwangen die schlechten Zeiten den Großen Kurfürsten zu allerlei Notbehelfen, um die dringendsten Ausgaben zu bestreiten. Durch ein Edikt jenes Jahres setzte er einen Zwangskurs für alle im Umlauf befindlichen Münzen fest und ließ für beträchtliche Summen Groschen und Pfennige prägen, deren tatsächlicher Wert ungefähr einem Drittel des Nennwertes entsprach. Da der Kurswert rein imaginär war, wurde er sofort entwertet und sank bis auf die Hälfte herab. Die alten gediegenen Taler stiegen auf 28, ja 30 Groschen172-1, daher unsere Bezeichnung Banktaler.

Im Jahre 1667 besprachen sich die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen172-2 in Zinna und kamen überein, den Münzwert auf neuer Grundlage festzusetzen. Danach sollte die Mark Feinsilbers mit dem sogenannten Remedlum172-3 in allen Geldsorten vom Taler bis zum Pfennig insgemein 10 Taler 16 Groschen gelten. Es wurden Gulden und halbe Gulden geprägt, und die Mark Feinsilbers behielt den Wert von 10 Talern.

Im Jahre 1690 beratschlagte Friedrich I. mit dem Kurfürsten von Sachsen und dem Herzog von Hannover172-4 über Mittel zur Aufrechterhaltung der Übereinkunft von Zinna. Als sie aber die Unmöglichkeit einsahen, setzten sie den Kurswert der Gulden und Achtgroschenstücke auf 12 Taler für die Mark Feinsilbers fest. Dieser Münzfuß, der Leipziger genannt, ist noch heutigen Tages in Geltung.

Im Jahre 1700 betrugen die Einkünfte Friedrichs I. 3 600 004 Taler. Im Jahre 1713, seinem Todesjahr, waren sie bis auf 4 109 565 Taler gestiegen.

Friedrich Wilhelm I. vermehrte sie beträchtlich, indem er Litauen wieder aufhalf, die Sümpfe bei Nauen und in Pommern austrocknete, alle möglichen Manufakturen in den Städten errichtete und Kolonisten ansiedelte, denen er beträchtliche Unterstützungen gewährte. Die Wiederherstellung Litauens kostete ihm 4 500 000 Taler. Er vermehrte seine Domänen durch Ankauf von Landgütern im Betrage von 5 Millionen Talern und verausgabte 6 Millionen Taler zum Wiederaufbau der Städte, zur Vergrößerung Berlins und zur Gründung von Potsdam. Seine Mühe war nicht umsonst. Forscht man in den alten Urkunden nach, so ergibt sich zwar, daß vor dem Dreißigjährigen Kriege 2 847 Bauern mehr als jetzt existierten. Dafür aber zählt man heute 94 Dörfer mehr, ganz abgesehen davon, daß viele elende Nester von damals heute zu blühenden Städten geworden sind. Rechnet man die ganze Ackerbau treibende Bevölkerung zusammen, so hat Preußen jetzt 15 792 Seelen mehr als zur Zeit des Kurfürsten Johann Sigismund.

Als Friedrich Wilhelm starb, betrugen die Staatseinkünfte 7 Millionen Taler.


169-1 Für die Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth vgl. S. 17. 22. 30.

169-10 Vgl. S. 64. 102.

169-11 Vgl. S. 85.

169-2 Vgl. S. 24.

169-3 Vgl. S. 27.

169-4 Vgl. S. 30.

169-5 Vgl. S. 32 ff.

169-6 Vgl. S. 28. 34 ff.

169-7 Vgl. S. 57.

169-8 Vgl. S. 66.

169-9 Vgl. S. 64.

170-1 Vgl. S. 102.

170-2 Vgl. S. 106.

170-3 Vgl. S. 110.

170-4 Vgl. S. 120.

170-5 Vgl. S. 140 f.

171-1 Die Hofstaatsrentei wurde erst 1673 begründet; für die ältere Zeit kommen die Hofrentei und die Kammer (Chatulle) in Betracht.

171-2 Die Akzise (vgl. S. 136) wurde bereits 1667 eingeführt.

171-3 Vgl. S. 136.

172-1 Statt 24 Groschen, die der Taler ursprünglich zahlte.

172-2 Johann Georg II. (1656—1680).

172-3 Die kleine, vom gesetzlichen Vollgewicht und Gehalt gestattete Abweichung der Münzen.

172-4 Johann Georg III. (1680 — 1691); Ernst August (1679 — 1698).