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53. An Voltaire1
(24. Februar 1760)

Was schmückt Euch doch für eine Lorbeerlast!
Im Tempel der Geschichte, auf der Bühne
Und im Lyzeum2 ein gewohnter Gast,
Habt Ihr die Töchter all der Mnemosyne
Mit gleicher Treu und Zärtlichkeit umfaßt;
Wofür die auch den Hort, den sie verwalten,
Die hehren Neun, Euch ständig offen halten.
Dort schöpft Ihr frei, um Euren Ruhm zu mehren,
Zwiefacher Meisterschaft vereinte Ehren:
Meister des Reimes und der Prosakunst!
Euch ward die Gabe des Geschmacks, des Maßes,
So trägt als Auserwählten Euch die Gunst
Des Gottes, der da waltet des Parnasses;
So schenkt er Euch die glücklichste der Gaben:
Die Kunst, zu lehren und doch zu gefallen,
Sie, die in Euren Götterwerken allen
Der Erde Völker wohl empfunden haben.

Und doch! Ein Lorbeer, und der schönste, mein' ich, —
Und darin bin ich mit Europa einig —
Ein Lorbeer fehlt noch auf der Stirn Voltaires:
Soviel Ihr schon vollbracht des Meisterlichen,
Mög' Euch das eine Kunststück noch gelingen,
Mit was weiß ich für Machenschaften, Schlichen
Den Frieden wieder in die Welt zu bringen —
Das Meisterwerk der Meisterwerke wär's!


1 Aus einem Schreiben an Voltaire vom 24. Februar 1760.

2 Ursprünglich die Lehrstätte des Aristoteles in Athen, hier im weiteren Sinn als Bereich philosophischen Strebens gemeint.