<245>

77. Epistel an den Grafen Hoditz
Trostschreiben an einen Siebzigjährigen1
(1774)

Ich sah Euch, lieber Graf, in Trauer;
Das Alter zu ertragen, wird Euch sauer.
Ihr wäret gern, wie Ihr Euch einst gezeigt.
Kraft und Gesundheit fesseln wir vergebens;
Vergehn, verwehn — das ist das Los des Lebens!
Die Eigenliebe klagt, der Weise schweigt.
Packt fünf Jahrzehnte und noch zwanzig Winter
Dem Mars auf — welch ein Iammermann!
Nehmt Herkules als siebzigjährig an:
Er schlottert, und sein Nachfahr sieht dahinter,
Der frech die Keule schwingt. So untergräbt
Die Zeit das Stärkste! Freut Euch, daß Ihr lebt!
Wie wenige bringen's bis zu Euren Jahren!
Ihr habt sie gut verwandt, was wollt Ihr mehr?
Seid dankbar für das Glück, das Ihr erfahren.

Und will nicht ganz so, wie bisher,
Die Welt Euch neue Freuden offenbaren,
Und fühlt Ihr Euch nicht ganz so auf der Höh',
Wo sonst manch holder Sieg Euch ward verliehen,
Denkt, daß Voltaire und Richelieu
Jetzt auch nicht mehr zum Paphostempel ziehen ...

Wenn unser Weißhaar wir beschauen,
Die Runzeln und das Gliederzittern —
Kann das noch Eindruck machen auf die Frauen


1 Den Anstoß zu der „Epistel“ gab ein Besuch, den Hoditz (vgl. S. 231 ff.) während der schlesischen Revuereise im August 1774 dem König in Neiße abstattete. „Ich sah dort Hoditz,“ schreibt Friedrich am 19. September an Voltaire; „er war früher so heiter, jetzt ist er traurig und melancholisch; er kann der Natur nicht die lästigen Gebrechen verzeihen, die das Alter mit sich bringt.“