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27. Den Manen Cäsarions1
(August 1745)

Was hör' ich? Gott, welch schreckensvolles Wort:
Cäsarion ist nicht mehr! Casarion ist fort!
Du hast den treusten, besten Freund verloren!
Als wenn mich Dolche tausendfach durchbohren,
So zuckt mein Herz
In wildem Schmerz.
Du bist nicht mehr! so wird mir's ewig klingen;
Dir nach zum Nichts wird meine Liebe dringen.
Wie ich Dich im Leben geachtet, geehrt,
So bleibst Du mir inniger Liebe wert.

Wie fest hast Du dem Tod ins Aug' geschaut,
Vor dem doch jedes Menschen Herze graut!
Von Mannesmut gestützt, geführt,
Blieb Deine reine Seele unberührt
Von jenem Hirngespinst von einer Hölle
Und einer dunkeln Zukunft unsrer Seele.
Du hast in Deinen frohen Lebensstunden
Den Halt beim Meister Epikur gefunden;
Wie stolz hast Du im Tod Dich aufgerafft:
Da überbotst Du Zenos Geisteskraft!

Weh mir, dies Herz, das so erhaben schlug,
Was ward aus ihm? Wer sagt mir's? Wer?
Der Geist, der adlige Gedanken trug,
Lebt er wohl noch? O sagt, ist er nicht mehr?


1 Dietrich von Keyserling (vgl. Bd. VII, S. 275; IX, S. 168), der Genosse der Rheinsberger Tage, der den Beinamen „Cäsarion“ führte, war am 13. August 1745 in Berlin gestorben.