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Da ich zur Nachwelt rede, so lasse ich mich durch keinerlei Rücksicht behindern. Ich schone die Fürsten meiner Zeit nicht und verhehle nichts von dem, was mich selbst betrifft.

Ich hoffe, die Nachwelt, für die ich schreibe, wird bei mir den Philosophen vom Fürsten und den Ehrenmann vom Politiker zu scheiden wissen. Ich muß gestehen: wer in das Getriebe der großen europäischen Politik hineingerissen wird, für den ist es sehr schwer, seinen Charakter lauter und ehrlich zu bewahren. Immerfort schwebt er in Gefahr, von seinen Verbündeten verraten, von seinen Freunden im Stich gelassen, von Neid und Eifersucht erdrückt zu werden, und so steht er schließlich vor der schrecklichen Wahl, entweder seine Völker zu opfern oder sein Wort zu brechen.

Als Grundgesetz der Regierung des kleinsten wie des größten Staates kann man den Drang zur Vergrößerung betrachten. Diese Leidenschaft ist bei jeder weltlichen Macht ebenso tief eingewurzelt wie beim Vatikan der Gedanke der Weltherrschaft.

Die Fürsten zügeln ihre Leidenschaften nicht eher, als bis sie ihre Kräfte erschöpft sehen: das sind die feststehenden Gesetze der europäischen Politik, denen jeder Staatsmann sich beugen muß. Wäre ein Fürst weniger auf seinen Vorteil bedacht als seine Nachbarn, so würden sie immer stärker, er zwar tugendhafter, aber schwächer werden. Was entscheidet also über den Erfolg in dem allgemeinen Wettstreit des Ehrgeizes, in dem so viele sich mit gleichen Waffen zu vernichten und sich mit den gleichen Listen zu hintergehen suchen? Einzig und allein der weitschauende Scharfblick und die Kunst, seine Pläne mit kluger Voraussicht auf mehr als einem Wege zur Reife zu bringen.

Diese Kunst erscheint, wie ich gestehe, vielfach als das Gegenteil der Privatmoral. Sie ist aber die Moral der Fürsten, die sich auf Grund eines stillschweigenden Übereinkommens und zahlloser geschichtlicher Beispiele leider gegenseitig das Vorrecht verliehen haben, ihren Ehrgeiz um jeden Preis zu befriedigen, immer nur das zu tun, was ihr Vorteil erheischt. Zu diesem Zweck brauchen sie entweder Feuer oder Schwert oder Ränke, Listen und Verhandlungen. Sie spotten selbst der gewissenhaften Beobachtung der Verträge, die, um die Wahrheit zu sagen, nichts als falsche und treulose Schwüre sind.

Die Geschichte jedes Staates, jedes Königreiches, jedes republikanischen Gemeinwesens weist politische Vereinbarungen und Bündnisse auf, die ebenso rasch gebrochen wie geschlossen, Friedensverträge, die alsbald wieder verletzt und von neuem geschlossen wurden. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die Politik der Kleinstaaten ängstlicher ist als die der Großmächte, und daß Europa in unserem zivilisierten Jahrhundert sich schämen und entrüsten würde, wenn man noch heute zu Gift und Dolch griffe wie im 11. und 12. Jahrhundert. Man muß hoffen, daß eine noch aufgeklärtere Zeit der Ehrlichkeit den ihr gebührenden Platz einräumen wird.

Nicht verteidigen will ich hier die Staatskunst, die durch den steten Brauch der Völker bis auf die Gegenwart sanktioniert worden ist. Ich setze einfach die Gründe auseinander, die jeden Fürsten nach meiner Meinung zwingen, der Praxis zu folgen,