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1. Kapitel

Einleitung

Zustand Preußens beim Tode Friedrich Wilhelms. Charakter der Fürsten Europas, ihrer Minister, ihrer Generale. Übersicht ihrer Kräfte, ihrer Hilfsquellen und ihres Einflusses auf die europäische Politik. Zustand der Wissenschaften und Künste. Veranlassung zum Kriege gegen das Haus Österreich.

Die Einkünfte Preußens betrugen beim Tode König Friedrich Wilhelms nur 7 400 000 Taler. Die Bevölkerung in allen Provinzen belief sich höchstens auf drei Millionen Seelen. Der verstorbene König hinterließ im Schatze 8 700 000 Taler, keine Schulden, die Finanzen in guter Verwaltung, aber wenig Industrie; die Handelsbilanz verlor jährlich 1 200 000 Taler an das Ausland. Das Heer zählte 76 000 Mann18-1, darunter fast 26 000 Ausländer: ein Beweis, daß seine Stärke die Kräfte des Landes überstieg und daß drei Millionen Einwohner nicht einmal zum Ersatz von 50 000 Mann hinreichten, zumal in Kriegszeiten. Der verstorbene König hatte sich in kein Bündnis eingelassen, um seinem Nachfolger freie Hand zu lassen, welche Bündnisse er nach Zeit und Umständen als die für den Staat vorteilhaftesten eingehen wollte. Europa hatte Frieden, abgesehen von England und Spanien, die sich über ein paar englische Ohren, welche die Spanier abgeschnitten hatten18-2, in der Neuen Welt bekriegten und ungeheure Summen für Handelsobjekte vergeudeten, die in keinem Verhältnis zu dem großen Kraftaufwande standen.

Kaiser Karl VI. hatte durch Vermittlung des französischen Gesandten in Konstantinopel, Villeneuve, den Frieden von Belgrad mit den Türken geschlossen (1739). Durch diesen Frieden trat er dem osmanischen Reiche das Königreich Serbien, einen Teil der Walachei und die wichtige Stadt Belgrad ab. Die letzten Regierungsjahre Karls VI. waren überhaupt sehr unglücklich gewesen. Die Königreiche Neapel und Sizilien sowie ein Teil der Lombardei waren ihm von den Franzosen, den Spaniern<19> und dem König von Sardinien entrissen worden. Außerdem hatte er durch den Frieden von 173819-1 das Herzogtum Lothringen, in dem das Haus seines Schwiegersohnes seit altersgrauen Zeiten geherrscht hatte, an Frankreich abgetreten19-2. Durch diesen Vertrag gab der Kaiser Länder hin und erhielt außer leeren Bürgschaften von Frankreich allein Toskana, das man aber nur als unsicheren Besitz ansehen kann. Frankreich garantierte dem Kaiser jenes Hausgesetz über seine Erbfolge, das in Europa als Pragmatische Sanktion so bekannt geworden ist19-3. Dieses Gesetz sollte seiner Tochter die Unteilbarkeit seiner Erbschaft sichern.

Man erstaunt mit Recht, am Ende der Regierung Karls VI. den Glanz so verblichen zu sehen, der sie zu Anfang umschimmert hatte. Die Ursache für das Mißgeschick dieses Herrschers liegt in dem Verluste des Prinzen Eugen. Nach dem Tode dieses großen Mannes war keiner da, der ihn ersetzen konnte. Der Staat hatte seine Kraft verloren und sank in Schwäche und Verfall. Karl VI. hatte von Natur alle Eigenschaften eines guten Bürgers, aber nicht eine einzige zu einem großen Manne. Er besaß Edelmut, aber keine Urteilskraft, einen beschränkten, nicht durchdringenden Verstand, Fleiß, aber kein Genie, so daß er bei reichlichem Arbeiten wenig leistete. Er beherrschte das deutsche Recht, sprach mehrere Sprachen und war ein vorzüglicher Lateiner, ein guter Vater und Ehemann, aber bigott und abergläubisch wie alle Fürsten aus dem Hause Österreich. Man hatte ihn zum Gehorchen erzogen, nicht zum Befehlen. Seine Minister unterhielten ihn mit Entscheidungen von Reichshofratsprozessen, mit pünktlicher Beobachtung der Etikette des Hauses Burgund; und während er sich mit diesen Nichtigkeiten abgab oder seine Zeit auf der Jagd vertat, schalteten sie als wahre Herrscher despotisch im ganzen Staate.

Österreichs guter Stern hatte den Prinzen Eugen von Savoyen in die Dienste des Hauses Habsburg geführt19-4. Der Prinz war in Frankreich Abbé gewesen; Ludwig XIV. schlug ihm eine Pfründe aus; Eugen bat um eine Kompanie Dragoner, erhielt sie aber ebensowenig. Man verkannte sein Genie, und die jungen Herren am Hofe hatten ihm den Spottnamen „Dame Claude“ gegeben. Als Eugen alle Türen des Glückes verschlossen sah, verließ er seine Mutter, Madame von Soissons, und Frankreich, um seine Dienste dem Kaiser Leopold anzubieten. Der machte ihn zum Obersten und gab ihm ein Regiment. Sein Können trat schnell zutage. Seine ausgezeichneten Dienste und die Überlegenheit seines Geistes erhoben ihn bald auf die höchsten militärischen Stufen: er wurde Generalissimus, Präsident des Hofkriegsrates und schließlich Premierminister Kaiser Karls VI. So war der Prinz Chef des kaiserlichen Heeres; er regierte nicht nur die österreichischen Erblande, sondern auch das Reich. Eigentlich war er Kaiser. Solange Prinz Eugen in der Vollkraft seines Geistes stand, war das Glück mit den Waffen und den Unterhandlungen<20> Österreichs. Aber als Alter und Krankheiten ihn schwächten, ward dieser Kopf, der so lange für das Wohl des Kaiserhauses gearbeitet hatte, unfähig, die Arbeit fortzusetzen und die gleichen Dienste zu leisten. Eine demütigende Betrachtung für unsre Eitelkeit! Ein Condé, ein Eugen, ein Marlborough sehen ihren Geist eher hinsterben als ihren Leib, und die größten Genies enden in Verblödung! Arme Sterbliche, nun rühmt euch noch, wenn ihr mögt!

Als Eugens Kräfte sanken, setzten die Intrigen aller österreichischen Minister ein. Graf Sinzendorff20-1 erlangte den meisten Einfluß auf seinen Herrn. Er arbeitete wenig und liebte gutes Essen; er war der Apicius des kaiserlichen Hofes, und der Kaiser pflegte zu sagen, die guten Gerichte seines Ministers zögen ihm selbst böse Händel zu. Sinzendorff war stolz und hochfahrend; er hielt sich für einen Agrippa und zugleich für einen Mäcenas. Die Reichsfürsten waren empört über die Härte seiner Regierung. Sie stand in direktem Widerspruch zur Regierungsart Prinz Eugens, der die Reichsstände durch Sanftmut viel sicherer zu seinen Zielen leitete. Als Graf Sinzendorff zum Kongreß nach Cambrai20-2 geschickt wurde, glaubte er dort den Charakter des Kardinals Fleury zu durchschauen. Doch der Franzose, durchtriebener als der Deutsche, überlistete ihn, und Sinzendorff kehrte mit der Wahnhoffnung nach Wien zurück, er würde den Hof von Versailles nun ebenso regieren wie den des Kaisers.

Kurz darauf sagte Prinz Eugen zum Kaiser, der immerfort auf Mittel sann, wie er seine Pragmatische Sanktion sicherstellen könnte, das einzige Mittel dazu sei ein<21> Heer von 180 000 Mann. Wenn der Kaiser darauf einginge, wolle er die Geldmittel zur Bezahlung dieser Truppenvermehrung angeben. Der Kaiser, dessen Geist von Eugens Genie überwältigt war, wagte ihm nichts abzuschlagen; die Vermehrung um 40 000 Mann wurde beschlossen, und bald war das Heer vollzählig. Aber die Grafen Sinzendorff und Starhemberg21-1, Feinde des Prinzen Eugen, stellten dem Kaiser vor, daß seine Lande, schon durch unerschwingliche Steuern gedrückt, den Unterhalt eines so großen Heeres nicht aufbringen könnten, und wenn man Österreich, Böhmen und die andern Provinzen nicht ganz und gar zugrunde richten wollte, so müßte diese Vermehrung wieder rückgängig gemacht werden. Karl VI., der von den Finanzen so wenig wußte wie von seinem Lande, ließ sich durch seine Minister bereden und verabschiedete die ausgehobenen 40 000 Mann, gerade vor dem Tode König Augusts II. von Polen (1733).

Zwei Bewerber traten für den erledigten polnischen Thron auf. Der eine war Kurfürst August von Sachsen, der Sohn des letzten Königs von Polen, unterstützt vom römischen Kaiser, der russischen Zarin21-2 und von sächsischem Geld und Truppen. Der andre, Stanislaus Leszczynski21-3, hatte die Stimmung Polens für sich und wurde von seinem Schwiegersohn Ludwig XV. begünstigt; aber die ganze französische Unterstützung bestand aus vier Bataillonen. Er kam nach Polen, ward in Danzig belagert, konnte sich dort nicht halten und verzichtete zum zweitenmal auf die traurige Ehre, König einer Republik zu heißen, in der die Anarchie herrschte.

Graf Sinzendorff rechnete so sicher auf die friedliche Gesinnung des Kardinals Fleury, daß er seinen Hof leichtfertig in die polnischen Wirren verstrickte. Das Vergnügen, die Krone Polens zu vergeben, kostete dem Kaiser drei Königreiche und einige schöne Provinzen. Die Franzosen hatten schon den Rhein überschritten und belagerten Kehl, als man in Wien noch auf ihre Untätigkeit wettete. Der nun entstehende Krieg war ein Werk der Eitelkeit und der nachfolgende Friede ein Werk der Schwäche. Der Name des Prinzen Eugen hatte noch Klang und unterstützte die österreichischen Waffen am Rhein in den Feldzügen von 1734/35. Bald darauf starb er, zu spät für seinen Ruhm.

Zwei Ämter, die im Prinzen Eugen vereinigt waren, der Oberbefehl über das Heer und der Vorsitz im Hofkriegsrate, wurden getrennt. Graf Harrach trat an die Spitze des Hofkriegsrats; Königsegg, Wallis, Seckendorff, Neipperg, Schmettau, Khevenhüller und der Prinz von Hildburghausen bewarben sich um die gefährliche Ehre, die kaiserlichen Heere zu befehligen. Welch eine Aufgabe, gegen den Ruf des Prinzen Eugen anzustreben und einen Platz einzunehmen, den er so glänzend ausgefüllt hatte! Übrigens waren diese Generale so uneins untereinander wie die Nachfolger Alexanders des Großen. Zum Ersatz für die mangelnde Tüchtigkeit nahmen sie ihre Zuflucht<22> zur Intrige: Seckendorff und der Prinz von Hildburghausen stützten sich auf den Einfluß der Kaiserin22-1 und eines Ministers namens Bartenstein, eines geborenen Elsässers aus niedrigem Stande, der aber arbeitsam war und mit zwei Genossen, Knorr und Weber, ein Triumvirat bildete, das damals die kaiserlichen Angelegenheiten besorgte. Khevenhüller besaß Anhang im Hofkriegsrate, und Wallis, der seine Ehre darein setzte, jedermann zu hassen und von jedermann gehaßt zu werden, hatte nirgends Freunde.

Die Russen führten damals Krieg mit den Türken22-2, und das russische Glück machte den Österreichern Mut. Bartenstein wähnte, man könnte die Türken aus Europa verjagen, und Seckendorff strebte nach dem Oberbefehl. Unter dem Vorwand, der Kaiser müßte seinen Bundesgenossen, den Russen, gegen den Erbfeind der Christenheit beistehen, stürzten die beiden das Haus Österreich ins tiefste Unglück. Jedermann wollte den Kaiser beraten: seine Minister, die Kaiserin, der Herzog von Lothringen, jeder setzte ihm auf seine Weise zu. Aus dem kaiserlichen Hofkriegsrate gingen täglich neue Operationspläne hervor; durch die höfischen Kabalen und durch die Eifersucht der Generale scheiterten alle Unternehmungen. Die Befehle, die sie vom Hofe erhielten, widersprachen einer dem andern oder forderten unausführbare Dinge. Diese Verwirrung daheim brachte den österreichischen Waffen mehr Unglück als die Macht der Ungläubigen. Man stellte in Wien das Venerabile aus, indes man in Ungarn Schlachten verlor, und abergläubisch hoffte man auf Wunder, um die Fehler der Ungeschicklichkeit wettzumachen. Seckendorff kam am Ende seines ersten Feldzuges auf Festung, weil, wie man sagte, seine Ketzerei den Zorn des Himmels herbeigezogen hätte. Königsegg befehligte das zweite Jahr und ward darauf Oberhofmeister der Kaiserin. Daher sagte Wallis, der im dritten Jahre das Kommando führte, sein erster Vorgänger sei eingesperrt, der zweite sei Eunuch im Serail geworden, und ihm selbst würde man wohl den Kopf abschlagen. Er irrte nicht, denn nach dem Verlust der Schlacht von Grocka wurde er in Brünn auf die Festung gesetzt. Neipperg, den der Kaiser und der Herzog von Lothringen um Beschleunigung des Friedens angefleht hatten, wurde, nachdem er den Frieden von Belgrad mit den Türken geschlossen hatte, zum Lohne dafür auf die Festung Raab geschickt. So wagte der Wiener Hof es nicht, bis zur Quelle seines Unglücks vorzudringen, zu dem alles Hohe und Höchste beigetragen hatte, sondern er tröstete sich damit, die Werkzeuge seines Mißgeschicks zu strafen.

Nach diesem Friedensschlusse (1739) befand sich das österreichische Heer in gänzlich zerrüttetem Zustande. Bei Widdin, Mehadia, Pancsowa, am Timok und bei Grocka hatte es große Verluste erlitten; die ungesunde Luft und das Sumpfwasser hatten ansteckende Krankheiten verbreitet, und die Nähe der Türken hatte ihm die Pest gebracht. Das Heer war sowohl aufgerieben wie entmutigt. Nach dem Frieden<23> blieb der größte Teil der Truppen in Ungarn; es waren aber nicht mehr als 43 000 Streiter, und niemand dachte daran, die Armee wieder vollzählig zu machen. Im übrigen hatte der Kaiser nur 16 000 Mann in Italien, höchstens 12 000 in Flandern und fünf bis sechs Regimenter zerstreut in den Erbländern, sodaß also das kaiserliche Heer statt seiner Sollstärke von 175 000 Mann tatsächlich nur 82 000 Mann zählte.

Im Jahre 1733 waren die Einkünfte des Kaisers auf achtundzwanzig Millionen veranschlagt; seitdem hatte er recht viel davon verloren, und die Kosten von zwei aufeinanderfolgenden Kriegen hatten ihn derart in Schulden gestürzt, daß er sie mit den übriggebliebenen zwanzig Millionen Einkünften kaum zu bezahlen vermochte. Überhaupt waren die Finanzen in größter Verwirrung. Unter den Ministern herrschte offener Zwist. Eifersucht trennte die Generale. Der Kaiser selbst war durch so viele Mißerfolge entmutigt und der eitlen Größe überdrüssig geworden. Jedoch trotz seiner geheimen Fehler und Schwächen stand Österreich noch 1740 in der ersten Reihe der europäischen Mächte; man war sich klar, daß bei seinen Hilfsquellen ein guter Kopf alles verändern könnte. Inzwischen ersetzte Österreich die mangelnde Kraft durch Stolz, und sein einstiger Ruhm deckte noch die gegenwärtige Demütigung.

Ganz anders stand es mit Frankreich. Seit 1672 war das Königreich nicht in so glänzender Lage gewesen. Einen Teil seines Glückes verdankte es der weisen Leitung des Kardinals Fleury. Ludwig XIV. hatte diesen früheren Bischof von Fréjus zum Erzieher seines Urenkels bestellt. Die Priester sind ebenso ehrgeizig wie andere Menschen und oft verschmitzter. Nach dem Tode des Herzogs von Orleans (1723)23-1 ließ Fleury den Herzog von Bourbon, dessen Nachfolger in der Regentschaft, des Landes verweisen und trat an dessen Stelle. In seiner Staatsverwaltung bewies er mehr Vorsicht als Tatkraft. Vom Bett seiner Mätressen aus verfolgte er die Jansenisten. Alle Bischöfe mußten orthodox sein, und doch weigerte er sich bei einer schweren Krankheit, die Sakramente seiner Kirche zu nehmen. Richelieu und Mazarin hatten alles, was Pomp und Prunk an Ansehen geben können, erschöpft; des Kontrastes halber suchte Fleury seine Größe in der Einfachheit. Seinen Neffen hinterließ er nur eine sehr geringe Erbschaft, aber er machte sie reich durch die unermeßlichen Wohltaten, die der König über sie ausschüttete. Dieser Premierminister zog die Unterhandlungen dem Kriege vor, weil er stark im Intrigenspiel war und keine Heere zu befehligen verstand. Er trug Friedensliebe zur Schau, denn er wollte lieber der Schiedsrichter der Könige sein als ihr Bezwinger. Er war kühn in seinen Plänen, zaghaft in ihrer Ausführung. Seine sparsame Finanzwirtschaft und seine Ordnungsliebe waren überaus nützlich für Frankreich, da dessen Finanzen durch den Erbfolgekrieg und durch eine schlechte Verwaltung erschöpft waren. Das Militär setzte er zu sehr zurück und hielt die Finanzleute zu hoch. Frankreichs Seemacht ward unter<24> seinem Regiment fast vernichtet, und die Landtruppen waren so vernachlässigt, daß sie im ersten Feldzuge von 1733 ihre Zelte nicht aufschlagen konnten. Bei einigen Talenten für die innere Verwaltung galt dieser Minister in Europa für schwach und arglistig, Fehler, die er von der Kirche hatte, in der er erzogen war. Indessen hatte er durch seine gute Wirtschaft dem Königreich die Mittel zur Tilgung eines Teiles der ungeheuren, unter der Regierung Ludwigs XIV. angesammelten Schulden verschafft. Er half der Unordnung ab, die unter der Regentschaft eingerissen war, und unter kluger Finanzwirtschaft erhob Frankreich sich wieder aus der Zerrüttung, die Laws System24-1 verschuldet hatte.

Zwanzig Friedensjahre brauchte diese Monarchie, um sich von ihren zahlreichen Schicksalsschlägen zu erholen. Der Minister Chauvelin, der unter dem Kardinal arbeitete, riß das Reich aus seiner Untätigkeit und setzte jenen Krieg des Jahres 1733 durch, dessen Vorwand die Wahl des Königs Stanislaus war, durch den Frankreich aber Lothringen gewann. Die Höflinge in Versailles sagten, Chauvelin hätte dem Kardinal den Krieg wegstibitzt, aber der Kardinal hätte es mit dem Frieden ebenso gemacht. Chauvelin, dem der Kamm schwoll und der triumphierte, daß sein Probestück ihm so gut gelungen war, schmeichelte sich, der Erste im Staate werden zu können. Dazu mußte er den, der es war, verdrängen; er sparte keine Verleumdung, um den Prälaten bei Ludwig XV. anzuschwärzen. Allein der König, der den Kardinal noch immer für seinen Erzieher hielt und in seiner Abhängigkeit blieb, erzählte ihm alles wieder, und Chauvelin wurde das Opfer seines Ehrgeizes. An seine Stelle setzte der Kardinal Amelot, einen Mann ohne Genie. Aber der Premierminister konnte ihm unbedenklich vertrauen, weil ihm das Talent fehlte, gefährlich zu werden.

Infolge des langen Friedens, den Frankreich genossen hatte, war im Heere die Reihe der großen Feldherren unterbrochen. Villars, der den ersten Feldzug in Italien geführt hatte24-2, war gestorben. Broglie, Noailles, Coigny waren Mittelmäßigkeiten; Maillebois war nicht besser. Dem Herzog von Noailles warf man vor, daß es ihm an kriegerischem Impuls und an rechtem Selbstvertrauen fehlte. Eines Tages fand er einen Degen an seiner Tür hängen mit der Inschrift: „Du sollst nicht töten.“ Die Talente des Marschalls von Sachsen24-3 hatten sich noch nicht entwickelt. Von allen Generalen war der Marschall Belle-Isle am populärsten; man hielt ihn für die Stütze der Mannszucht. Er war ein Mann von umfassendem Geist, ein glänzender Kopf, von verwegenem Mut, ein leidenschaftlicher Soldat, aber ein Phantast durch und durch. Die Pläne, die er schmiedete, gestaltete sein Bruder aus. Man sagte: der Marschall ist die Einbildungskraft und sein Bruder der Verstand24-4.

Seit dem Wiener Frieden war Frankreich der Schiedsrichter Europas. Seine Heere hatten in Italien wie in Deutschland triumphiert. Sein Gesandter Villeneuve<25> hatte den Frieden von Belgrad geschlossen. Die Höfe von Wien, Madrid und Stockholm standen in gewisser Abhängigkeit von Frankreich. Seine Armee war 180 Bataillone zu 600 Mann und 224 Schwadronen zu 100 Mann, zusammen 130 400 Streiter stark, ungerechnet 36 000 Mann Milizen. Seine Flotte war beträchtlich; es konnte 80 Schiffe der verschiedenen Rangklassen einschließlich der Fregatten in Dienst stellen, und zur Bemannung waren an 60 000 verpflichtete Matrosen vorhanden. Die Einkünfte des Königreiches betrugen im Jahre 1740 sechzig Millionen Taler, von denen man aber zehn Millionen zur Zinszahlung der noch aus dem Erbfolgekriege stammenden Kronschulden abrechnen mußte. Kardinal Fleury nannte die Generalpächter, die die Steuern beitrieben, die vierzig Säulen des Staates, weil er den Reichtum der Pächter für die sicherste finanzielle Stütze Frankreichs ansah. Die für die Gesellschaft nützlichste Menschenklasse, die man das Volk nennt und die das Land bebaut, war arm und verschuldet, besonders in den sogenannten eroberten Provinzen. Im Gegensatz dazu glich der Luxus und die Üppigkeit in Paris vielleicht der Pracht des alten Rom zur Zeit des Lukullus. Auf mehr als zehn Millionen schätzte man in der Riesenstadt den Wert des Privatbesitzes an Silbergerät. Aber die Sitten waren entartet; die Franzosen, namentlich die Pariser, waren Sybariten geworden, in Wollust und Weichlichkeit entnervt.

Die Ersparnisse, die der Kardinal während seiner Staatsverwaltung gemacht hatte, gingen teils durch den Krieg von 1733, teils durch die furchtbare Hungersnot von 1740 verloren, welche die blühendsten Provinzen des Königreiches zugrunde richtete. Aus dem Unglück, das Law über Frankreich gebracht hatte, war doch etwas Gutes entstanden: nämlich die Südseegesellschaft, die im Hafen von L'Orient ihren Sitz hatte. Aber die Übermacht der englischen Flotten vernichtete in jedem Kriege aufs neue diesen Handel, den Frankreichs Kriegsmarine nicht hinlänglich zu schützen vermochte, und so konnte sich die Handelsgesellschaft auf die Dauer nicht erhalten.

Das war der Zustand Frankreichs im Jahre 1740: nach außen geachtet, im Innern voller Mißstände, unter der Regierung eines schwachen Fürsten, der sich und sein Reich der Leitung des Kardinals Fleury überließ.

In Spanien herrschte noch Philipp V., den Ludwig XIV. unter eignen schweren Verlusten auf den Thron gesetzt hatte. Er litt zu seinem Unglück unter Anfällen einer schwarzen Melancholie, die an Wahnsinn grenzte. Im Jahre 1724 hatte er zugunsten seines Sohnes Ludwig abgedankt, aber nach dessen Tode die Regierung wiederangetreten25-1. Jener Thronverzicht war gegen den Willen der Königin Elisabeth Farnese, geborenen Prinzessin von Parma, geschehen. Sie hätte die ganze Welt beherrschen mögen und konnte nur auf dem Throne leben. Man bezichtigte sie, den Tod des Infanten Ludwig, eines Sohnes Philipps V. aus dessen erster Ehe, beschleu<26>nigt zu haben. Die Zeitgenossen können sie dieses Mordes weder beschuldigen noch davon freisprechen; denn es lassen sich so geheimnisvoll verborgene Einzelheiten aus der Entfernung nicht ergründen und auch nicht erörtern.

Um zu verhindern, daß der König abermals der Regierung überdrüssig würde, fesselte sie ihn durch fortwährende Kriegsunternehmungen an den Thron. Bald ging es gegen die Barbaresken, bald gegen England oder Österreich. Der Stolz eines Spartaners, die Hartnäckigkeit eines Engländers, italienische Schlauheit und französische Lebhaftigkeit vereinigten sich im Charakter dieser eigenartigen Frau. Sie schritt kühn zur Verwirklichung ihrer Pläne; nichts überraschte sie; nichts konnte sie stutzig machen.

Der seinerzeit so berühmte Kardinal Alberoni, der lange unter ihr arbeitete, war ihr geistig sehr ähnlich. Die Verschwörung des Fürsten Cellamare stürzte ihn. Die Königin mußte ihn des Landes verweisen, um die Rachsucht des Herzogs von Orleans, des Regenten von Frankreich, zu befriedigen26-1. Ein geborener Holländer namens Ripperda nahm seinen wichtigen Platz ein; er besaß Verstand, aber seine Unterschleife waren schuld daran, daß er sich nicht lange halten konnte26-2. Diese Ministerwechsel wurden im Lande jedoch kaum bemerkt, denn die Minister waren nur Werkzeuge in der Hand der Königin, und immer war es ihr Wille, der die Geschäfte leitete.

Im Jahre 1735 hatte Spanien den italienischen Krieg glorreich beendigt. Don Carlos, den die Engländer als den Erben des Giovanni Gaston, des letzten Herzogs aus dem Hause Medici, nach Toskana geführt hatten, war König von Neapel geworden, und Toskana erhielt Franz von Lothringen zur Entschädigung für sein Stammland, das der französischen Monarchie einverleibt ward26-3. Auf diese Weise wurden dieselben Engländer, die so erbittert gegen die Erhebung Philipps V. auf den spanischen Thron gekämpft hatten, die Förderer der spanischen Macht in Italien. So sehr ändert sich die Politik, und so wandelbar sind die Gedanken der Menschen!

Die Spanier sind in Europa nicht so reich, wie sie sein könnten, weil sie arbeitsscheu sind. Die Schätze der Neuen Welt sind für die fremden Nationen da, die unter spanischem Namen ihren Handel an sich gerissen haben. Franzosen, Holländer und Engländer haben den eigentlichen Genuß von Peru und Mexiko. Spanien ist zum Stapelplatz geworden, von dem die Reichtümer ausfließen; die Geschicktesten ziehen das meiste an sich. Spanien hat nicht Einwohner genug zur Bebauung des Landes; die Verwaltung ist vernachlässigt, und der Aberglaube drückt dieses von Natur reichbegabte Volk auf die Stufe halbbarbarischer Nationen herab. Der König hat<27> 24 Millionen Taler Einkünfte, aber die Regierung ist verschuldet. Spanien unterhält 55 OOO bis 60 000 Mann regulärer Truppen; seine Flotte kann bis zu 50 Linienschiffen betragen.

Die Bande des Blutes bewirken ein festes Bündnis zwischen den beiden bourbonischen Häusern; trotzdem war die Königin27-1 durch den Frieden von 1738 beleidigt, den Kardinal Fleury ohne ihr Wissen schloß. Zur Rache schuf sie Frankreich so viel Verdrießlichkeiten, als sie irgend konnte.

Spanien lag damals im Kriege mit England, das den Schmuggel begünstigte. Zwei Ohren, die einem englischen Matrosen abgeschnitten waren, hatten das Kriegsfeuer entzündet, und die Rüstungen kosteten beiden Völkern unermeßliche Summen. Ihr Handel litt darunter, und wie gewöhnlich büßten Kaufleute und Privatpersonen für die Dummheiten der Großen. Dem Kardinal Fleury war dieser Krieg nicht ungelegen. Er rechnete auf die Rolle des Vermittlers oder Schiedsrichters und hoffte für den Handel Frankreichs etwas dabei herauszuschlagen.

Portugal spielte damals in Europa überhaupt keine Rolle. Don Juan27-2 war nur durch seine wunderliche Leidenschaft für die kirchlichen Zeremonien bekannt. Durch ein päpstliches Breve war ihm ein Patriarch zugestanden worden, durch ein anderes Breve das Recht, die Messe zu lesen, bis auf die Konsekration. Sein Vergnügen bestand in priesterlichen Verrichtungen, seine Bauten waren Klöster, seine Soldaten Mönche und seine Geliebten Nonnen.

Unter allen Nationen Europas war die englische die reichste. Ihr Handel umspannte die ganze Welt; ihr Geldvermögen war ungeheuer, ihre Hilfsquellen fast unerschöpflich. Aber trotz aller dieser Vorteile nahm England unter den Mächten doch nicht den Rang ein, der ihm zu gebühren schien.

Georg II., Kurfürst von Hannover, war damals König von England. Er besaß Tugenden und Talente, aber unmäßig heftige Leidenschaften. Er war fest in seinen Entschlüssen, sparsam bis zum Geiz, fleißig, immer ungeduldig, heftig und tapfer. Aber er regierte England nach den Interessen des Kurfürstentums und besaß zu wenig Selbstbeherrschung, um eine Nation zu leiten, deren Abgott die Freiheit ist.

Sein Minister war Sir Robert Walpole. Der fesselte den König an sich, indem er ihm an der Zivilliste Ersparnisse machte, mit denen Georg dann seinen hannoverschen Schatz vermehrte. Er bearbeitete die öffentliche Meinung durch geschicke Verteilung von Ämtern und Pensionen, um sich im Parlament die Majorität zu sichern. Über England hinaus griff sein Geist nicht; in den allgemeinen europäischen Angelegenheiten verließ er sich auf den Scharfsinn seines Bruders Horaz. Als ihn einst Damen zu einer Spielpartie einluden, antwortete er ihnen: „Das Spiel und Europa überlasse ich meinem Bruder.“ Von der großen Politik verstand er nichts. Das führte seine Feinde zu der Verleumdung, er wäre bestechlich.

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Obwohl Walpole ein trefflicher Kenner der inneren Verhältnisse des Reiches war, so mißlang ihm doch ein wichtiges Projekt: die Einführung der Akzise in England. Wäre ihm das geglückt, so hätten die Einnahmen aus dieser Steuer hingereicht, dem König despotische Macht zu verschaffen. Die Nation merkte das und widersetzte sich. Einige Parlamentsmitglieder sagten zu Walpole, er bezahle sie zwar für die gewöhnlichen Torheiten, aber diese ginge über alle Bestechung. Beim Verlassen des Parlaments wurde Walpole angefallen. Man ergriff ihn am Mantel, den er rechtzeitig fahren ließ. Er rettete sich durch den Beistand eines Gardekapitäns, der sich zu seinem Glück in dem Auflaufe befand. Diese Erfahrung lehrte den König, die englische Freiheit zu achten; das Akziseprojekt fiel, und seine Klugheit befestigte den Thron von neuem.

Diese inneren Wirren hinderten England, sich an dem Kriege von 1733 zu beteiligen. Bald darauf entbrannte der Krieg mit Spanien gegen den Willen des Hofes. Kaufleute aus der City brachten Ohren von englischen Schmugglern, welche die Spanier abgeschnitten hatten, vor das Unterhaus. Cäsars blutiges Gewand, das Antonius vor dem römischen Volke ausbreitete, dürfte keinen stärkeren Eindruck in Rom gemacht haben als diese Ohren in London. Die Gemüter erhitzten sich. Man beschloß stürmisch den Krieg. Der Minister mußte nachgeben. Der einzige Vorteil, den der Hof von diesem Kriege hatte, war die Entfernung des Admirals Haddock, dessen Beredsamkeit im Unterhause stärker wirkte als die Bestechungen Walpoles. Der Minister pflegte zu sagen, er kenne den Wert jedes Engländers; denn es gebe keinen, den er nicht erkauft oder bestochen habe. Aber er sah doch, daß seine Guineen nicht immer über die Macht und die Überzeugungskraft der Vernunftgründe siegten.

England unterhielt damals achtzig Kriegsschiffe der ersten vier Rangklassen, fünfzig kleinere Schiffe und gegen 30 000 Mann Landtruppen. Seine Einkünfte beliefen sich in Friedenszeiten auf 24 Millionen Taler; außerdem besaß es unerschöpfliche Hilfsquellen in den Privatvermögen der reichen Untertanen, die leicht zur Besteuerung herangezogen werden konnten. England zahlte damals Subsidien an Dänemark zur Unterhaltung von 6 000 Mann, an Hessen für die gleiche Anzahl. Das verschaffte ihm zusammen mit seinen 22 000 Hannoveranern in Deutschland ein Heer von 34 000 Mann. Die Admirale Wager und Ogle galten als seine besten Seeoffiziere. Im Landheere waren der Herzog von Argyle und Lord Stair die einzigen, die begründete Ansprüche auf die ersten Stellen erheben konnten, wiewohl beide nie Heere geführt hatten.

Lyttelton28-1 galt für den hinreißendsten Redner, Lord Hervey28-2 für den gelehrtesten Mann, Lord Chesterfield für den geistreichsten Kopf und Lord Carteret für den leidenschaftlichsten Politiker.

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Zwar hatten Künste und Wissenschaften in diesem Reiche tiefe Wurzeln geschlagen, aber der sanfte Umgang mit den Musen hatte die Rauheit der Volkssitten nicht gebrochen. Der harte Charakter der Engländer verlangte blutige Trauerspiele. Sie hatten die Gladiatorenkämpfe, den Schandfleck der Menschheit, fortgesetzt. Sie hatten den großen Newton hervorgebracht, aber keinen Maler, keinen Bildhauer, keinen guten Tonkünstler. Pope blühte noch und verschönerte die Dichtkunst durch männliche Gedanken, die ihm ein Shaftesbury und ein Bolingbroke lieferten. Der unvergleichliche Swift überragte seine Landsleute durch seinen Geschmack und zeichnete sich durch seine Kritiken über die Sitten und Bräuche aus. Die Stadt London übertraf Paris an Volkszahl um 200 000 Seelen. Die Einwohner der drei Königreiche beliefen sich auf acht Millionen. Schottland, das noch voll von Jakobiten war, seufzte unter dem Joche Englands, und die Katholiken in Irland klagten über den Druck, unter dem die Staatskirche sie hielt.

Im Gefolge Englands fährt Holland, wie eine Schaluppe im Kielwasser eines Kriegsschiffes folgt, an das sie befestigt ist. Nach der Abschaffung der Statthalterschaft (1702) hatte die Republik aristokratische Formen angenommen. Der Ratspensionär nebst dem Greffier berichtet in der Versammlung der Generalstaaten über die politischen Geschäfte; er erteilt den fremden Gesandten Audienz und hält darüber im Staatsrate Vortrag. Die Beratungen in diesen Versammlungen haben einen langsamen Gang; Geheimnisse werden schlecht gewahrt, weil man die Angelegenheiten einer zu großen Zahl von Deputierten mitteilen muß. Als Republikaner verabscheuen die Holländer die Statthalterschaft, weil sie fürchten, daß sie zum Despotismus führe; und als Kaufleute kennen sie keine andre Staatskunst als ihren Vorteil. Die Grundsätze ihrer Staatskunst machen die Holländer geschickter zur Verteidigung als zum Angriff auf ihre Nachbarn.

Mit Staunen und Bewunderung betrachtet man diese Republik, wie sie sich auf sumpfigem und unfruchtbarem Boden erhebt, halb vom Weltmeer umgeben, das die Dämme wegzuspülen und das Land zu überschwemmen droht. Eine Bevölkerung von zwei Millionen genießt hier die Reichtümer und den Überfluß, die sie ihrem Handel und den Wundern des menschlichen Fleißes verdankt. Zwar beklagte sich die Stadt Amsterdam, daß die ostindische Kompagnie der Dänen und die französische Handelsgesellschaft in L'Orient ihrem Handel Abbruch täte. Aber das waren nur Klagen des Neides. Die Republik befand sich damals in einer andern, wirklicheren Notlage. Eine Art von Würmern, die in den asiatischen Häfen vorkommt, hatte sich in die holländischen Schiffe eingenistet, und von da in die Faschinen, welche die Dämme halten. Sie zernagten beides, Schiffe und Dammbauten, und Holland fürchtete, seine Bollwerke möchten beim ersten Sturme zusammenbrechen. Der Staatsrat fand gegen diese Landplage kein anderes Mittel, als Fasttage im ganzen Land auszuschreiben. Ein Spötter sagte, der Fasttag hätte den Würmern angesetzt werden müssen. Trotz alledem war der Staat sehr reich. Er hatte wohl noch Schulden vom<30> Spanischen Erbfolgekriege her, aber die erhöhten den Kredit der Nation, anstatt ihn zu schwächen.

Der Holland regierende Pensionär van der Heim galt für einen Durchschnittsmenschen. Er war phlegmatisch, bedächtig, ja furchtsam, aber anhänglich an England aus Gewohnheit, aus religiösen Gründen und aus Angst vor Frankreich.

Die Republik konnte zwölf Millionen Taler an Einkünften haben, ohne auf die Hilfsquellen ihres Kredits zurückzugreifen. Sie konnte vierzig Kriegsschiffe in Dienst stellen und unterhielt 30 000 Mann regulärer Truppen, die nach den Bestimmungen des Utrechter Friedens (1713) vornehmlich zur Sicherung der Grenzplätze dienten. Aber die Armee war nicht mehr wie einstmals die Schule der Helden. Seit der Schlacht von Malplaquet (1709), wo die Holländer die Blüte ihrer Mannschaft und den Stamm ihrer Offiziere verloren, und seit der Abschaffung der Statthalterschaft kamen ihre Truppen aus Mangel an Mannszucht und Ansehen herunter. Tüchtige Heerführer waren nicht mehr; ein achtundzwanzigjähriger Friede hatte die alten Offiziere hingerafft, und man hatte versäumt, neue heranzubilden. Der junge Prinz Wilhelm von Nassau-Oranien30-1 schmeichelte sich, die Statthalterschaft zu erlangen, weil er aus der Familie der Statthalter war. Indessen hatte er nur einen geringen Anhang in der Provinz Geldern, und die eifrigen Republikaner waren alle gegen ihn. Sein beißender, satirischer Witz hatte ihm Feinde gemacht, und Gelegenheit, seine Talente zu zeigen, hatte sich nicht geboten. In dieser Lage wurde die niederländische Republik zwar von ihren Nachbarn verschont, aber wenig geachtet wegen ihres geringen Einflusses auf die europäische Politik. Sie war friedlich aus Grundsatz und kriegerisch durch Zufall.

Wenden wir den Blick von Holland nach dem Norden, so finden wir Dänemark und Schweden, zwei Königreiche, fast gleich an Macht, aber nicht mehr so angesehen wie einst.

Unter Friedrich IV. hatte Dänemark dem Hause Holstein das Herzogtum Schleswig entrissen (1720); unter Christian VI.30-2 wollte man das Himmelreich erobern. Die Königin Sophie Magdalene, eine Bayreuther Prinzessin, benutzte die Frömmelei als heiligen Zaum, um ihren Gemahl von Untreue abzuhalten, und der König, ein lutherischer Eiferer, hatte durch sein Beispiel den ganzen Hof fanatisch gemacht. Ist die Einbildungskraft eines Fürsten vom himmlischen Jerusalem entzückt, so verachtet er den Kot dieser Welt. Jeden an die Besorgung der Staatsgeschäfte gewandten Augenblick hält er für verloren. Die politischen Grundsätze sind ihm Gewissensfragen, die Vorschriften des Evangeliums werden sein Kriegsreglement, und die Intrigen der Geistlichen beeinflussen die politischen Erwägungen. Seit dem frommen Äneas, seit den Kreuzzügen des heiligen Ludwig finden wir in der Geschichte kein Beispiel eines religiösen Helden. Denn Mohammed war nicht fromm,<31> sondern nur ein Betrüger, der sich der Religion bediente, um sein Reich und seine Herrschaft zu begründen.

Der König von Dänemark hält 36 000 Mann regulärer Truppen. Er kauft seine Rekruten in Deutschland und verkauft sein Heer an die meistbietende Macht. Er kann 30 000 Mann Landmiliz aufstellen, worunter die Norweger für die besten Soldaten gelten. Die dänische Flotte besteht aus 27 Linienschiffen und 33 von geringeren Rangklassen. Die Marine ist der bestgeordnete Teil der Staatsverwaltung; alle Kenner loben sie. Die Einkünfte übersteigen nicht 5 600 000 Taler. Dänemark stand damals im Solde der Engländer, die ihm 150 000 Taler Subsidien für 6 000 Mann zahlten.

Geniale Männer sind in Dänemark seltener als anderswo. Der Prinz von Kulmbach-Bayreuth31-1 befehligte die Landtruppen; aber weder er noch die anderen dänischen Generale verdienen Erwähnung in unserer Geschichte. Für Schulin, den Minister des Königs, trifft das gleiche zu. Sein ganzes Verdienst bestand darin, sich und seinen Herrn an den Meistbietenden zu verkaufen. Aus alledem wird es klar, daß Dänemark unter die Mächte zweiten Ranges zu rechnen ist, gewissermaßen als Zubehör, das durch seinen Beitritt zu einer Partei ein Gran auf der Wagschale der Kräfte sein kann.

Schweden hat mit Dänemark nichts gemein als die Begierde nach Subsidien. Die schwedische Verfassung ist ein Gemisch von Aristokratie, Demokratie und monarchischer Regierungsform, doch haben die beiden ersteren das Übergewicht. Der Reichstag versammelt sich alle drei Jahre. Man erwählt einen Reichstagsmarschall, der den größten Einfluß auf die Beratungen hat. Sind die Stimmen geteilt, so entscheidet der König, der zwei Stimmen hat. Von drei Kandidaten, welche man ihm vorschlägt, wählt er zur Besetzung der erledigten Stellen einen aus. Der Reichstag ernennt einen geheimen Ausschuß von hundert Mitgliedern aus dem Adel, der Geistlichkeit, der Bürgerschaft und dem Bauernstande; dieser kontrolliert das Verhalten des Königs und des Senates in der Zeit zwischen einem Reichstage und dem nächsten und gibt dem Senat Anweisungen zur Führung der inneren und äußeren Geschäfte.

Die Königin Ulrike, die Schwester Karls XII., hatte ihrem Gemahl, Friedrich von Hessen31-2, die Regierung übertragen. Der neue König achtete gewissenhaft die Volksrechte; er faßte seine Stellung ungefähr so auf, wie ein alter, invalider Oberstleutnant eine kleine Kommandantenstelle als anständigen Ruheposten betrachtet. Ehe er die Königin Ulrike heiratete, verlor er die Schlacht von Castiglione in der Lombardei31-3, um seinem Vater31-4, der beim Heere war, das Schauspiel eines Treffens zu geben.

Graf Oxenstjerna war Kanzleipräsident31-5 gewesen. Er wurde vom Grafen Gyllenborg verdrängt. Der hatte die Offiziere für sich gewonnen und damit eine ansehnliche<32> Partei in Schweden auf seiner Seite. Er wünschte einen Krieg, weil er hoffte, sein Volk durch irgendeine Eroberung wieder zu heben. Noch mehr wünschte Frankreich, die Schweden zu benutzen, um durch sie den russischen Hochmut zu demütigen und den Schimpf zu rächen, den der in Danzig gefangen genommene Botschafter Monti in Petersburg erfahren hatte32-1. Zu dem Zwecke zahlte Frankreich jährlich 300 000 Taler Subsidien an Schweden, das aber dadurch zu keinerlei Feindseligkeit verpflichtet war.

Schweden war nicht mehr, was es einst gewesen. Die neun letzten Regierungsjahre Karls XII. hatten Unglück über Unglück gebracht. Livland, ein großer Teil von Pommern und die Herzogtümer Bremen und Verden waren verloren gegangen, und damit auch alles an Einkünften, Getreide und Soldaten, was Schweden aus diesen Provinzen gezogen hatte. Livland war seine Kornkammer gewesen. Zwar hat Schweden nur gegen zwei Millionen Seelen, aber sein unfruchtbarer, zum Teil mit nackten Felsen bedeckter Boden lieferte nicht einmal Nahrung genug für diese geringe Volksmenge. Durch die Abtretung Livlands kam es vollends in Not. Trotz all des Unglücks, das die Schweden erfahren hatten, hielten sie das Andenken Karls XII. hoch. Aber widerspruchsvoll, wie der menschliche Geist einmal ist, beschimpften sie ihn nach seinem Tode durch die Hinrichtung des Grafen Görtz32-2. Als ob der Minister die Schuld an den Fehlern seines Herrn trüge!

Die Einkünfte Schwedens beliefen sich auf vier Millionen Taler. Das stehende Heer war nur 7 000 Mann stark; 33 000 Mann Landmiliz wurden aus einem andern Fond bezahlt. Zur Zeit Karls XI. hatte man einer Anzahl von Bauern, die zugleich Soldaten waren, Land zur Bewirtschaftung gegeben. Sie mußten sich an den Sonntagen versammeln, um sich zur Verteidigung des Vaterlandes in den Waffen zu üben. Wurden sie aber zum Kriege im Ausland verwandt, so mußten sie aus dem öffentlichen Staatsschatze besoldet werden. In den schwedischen Häfen lagen 24 Linienschiffe und 36 Fregatten. Ein langer Friede hatte die Soldaten zu Bauern gemacht. Die besten Generale waren gestorben. Die Buddenbrock und Lewenhaupt waren mit einem Rehnsköld nicht zu vergleichen. Aber noch war dieses Volk von kriegerischem Geiste beseelt, und es fehlte ihm nur ein wenig Mannszucht und gute Führer: es ist das Land des Pharasmanes, das nur Eisen und Soldaten hervorbringt32-3.

Von allen Völkern Europas ist das schwedische das ärmste. Gold und Silber, die Subsidien ausgenommen, sind dort so wenig bekannt wie in Sparta. Große gestempelte Kupferplatten dienen als Münze, und zur Vermeidung des beschwerlichen Fortbringens dieser plumpen Massen hatte man Papiergeld eingeführt. Die Ausfuhr beschränkt sich auf Kupfer, Eisen und Holz; in der Handelsbilanz verliert Schweden jährlich 500 000 Taler, weil seine Bedürfnisse die Ausfuhr übersteigen. Das rauhe Klima versagt dem Lande alle Industrie; seine grobe Wolle liefert nur <33>Tuch zur Bekleidung des niederen Volkes. Die schönsten Gebäude in Stockholm und die ansehnlichsten Adelspaläste auf dem Lande stammen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

Das Königreich wurde tatsächlich beherrscht durch ein Triumvirat: die Grafen Thure Bielke, Ekeblad und Rosen. Unter republikanischen Regierungsformen bewahrte Schweden noch den Stolz seiner monarchischen Zeiten: ein Schwede hielt sich für mehr als der Bürger jedes andern Volkes. Der Geist Gustav Adolfs und Karls XII. hatte so tiefe Spuren im Gemüt der Nation hinterlassen, daß weder Zeit noch Unglück sie hatte auslöschen können. Schweden erfuhr das Geschick jedes monarchischen Staates, der sich in eine Republik verwandelt: es wurde schwächer. Der Ehrgeiz verwandelte sich in Ränkesucht, die Selbstverleugnung in Begehrlichkeit. Das öffentliche Wohl ward dem persönlichen Vorteil geopfert. Die Bestechungen gingen so weit, daß bald die französische, bald die russische Partei in den Reichstagen die Oberhand gewann. Aber niemand unterstützte die nationale Sache. Bei all diesen Fehlern hatten die Schweden doch den alten Eroberungsgeist bewahrt, der das gerade Gegenteil des republikanischen Geistes ist, welcher friedliebend sein muß, wenn anders er die bestehende Regierungsform erhalten will. Dieser Staat konnte, so wie wir ihn geschildert haben, nur einen schwachen Einfluß auf die allgemeinen Angelegenheiten Europas ausüben, und so hatte er denn auch viel von seinem früheren Ansehen eingebüßt.

Schweden hat zum Nachbarn eine der furchtbarsten Mächte. Vom Nordpol und vom Eismeer bis zu den Ufern des Schwarzen Meeres und von Samogitien bis an die Grenzen von China erstreckt sich das ungeheure Gebiet des russischen Reiches, ein Land, achthundert deutsche Meilen lang, gegen drei bis vierhundert breit. Dieser einstmals barbarische Staat war vor dem Zaren Iwan Wassiljewitsch33-1 in Europa unbekannt. Peter der Große wollte sein Volk kultivieren und bearbeitete es wie Eisen mit Scheidewasser. Er war der Gesetzgeber und der Stifter dieses ungeheuren Reiches. Er schuf Menschen, Soldaten und Minister, erbaute die Stadt Petersburg, gründete eine ansehnliche Seemacht und erreichte, daß ganz Europa sein Volk und seine ungewöhnlichen Talente achtete.

Im Jahre 1740 beherrschte Anna Iwanowna, Peters I. Nichte, dieses weite Reich. Sie war die Nachfolgerin Peters II., des Enkels des ersten Kaisers. Ihre Regierung wurde ausgezeichnet durch eine Menge denkwürdiger Begebnisse sowie durch einige große Männer, die sie geschickt zu benutzen wußte. Ihre Waffen gaben Polen einen König. Sie sandte (1735) dem Kaiser Karl VI. zehntausend Russen an den Rhein zu Hilfe, in ein Land, wo diese Nation wenig bekannt war. Sie führte mit den Türken einen Krieg, der eine einzige Kette von Erfolgen und Triumphen war; und während Kaiser Karl VI. im türkischen Lager um Frieden bitten mußte, diktierte sie dem os<34>manischen Reiche Gesetze. Sie beschirmte die Wissenschaften in ihrer Hauptstadt und sandte selbst nach Kamtschatka Gelehrte, um einen kürzeren Handelsweg zwischen Rußland und China aufzufinden. Sie besaß Eigenschaften, die sie ihres Ranges würdig machten, eine hohe Seele, Festigkeit des Geistes. Sie war freigebig in ihren Belohnungen, streng in ihren Strafen, gütig aus Temperament und wollüstig ohne Ausschweifung.

Ihren Günstling und Minister Biron34-1 hatte sie zum Herzog von Kurland gemacht. Freilich zweifelten die Edelleute seiner Heimat seinen alten Adel überhaupt an. Er war der einzige, der ausgesprochenen Einfluß auf die Kaiserin besaß. Von Natur eitel, grob und grausam, war er fest in den Staatsgeschäften und von kühnem Unternehmungsgeiste beseelt. Bis ans Ende der Welt wollte er in seinem Ehrgeiz den Namen seiner Gebieterin tragen. Übrigens war er ebenso habsüchtig im Zusammenscharren wie verschwenderisch im Ausgeben. Er besaß wohl einige nützliche Eigenschaften, aber keine guten und angenehmen.

Unter der Regierung Peters des Großen hatte sich in der Schule der Erfahrung ein Mann herangebildet, der imstande war, die Last der Staatsgeschäfte unter seinen Nachfolgern zu tragen: Graf Ostermann34-2. Als geschickter Steuermann lenkte er das Staatsschiff mit stets sicherer Hand durch die Stürme der Revolutionen. Er stammte aus der Grafschaft Mark in Westfalen und war von niedriger Herkunft. Aber die Natur teilt die Talente ohne Rücksicht auf den Stammbaum aus. Dieser Minister kannte Rußland wie Verheyen34-3 den menschlichen Körper. Er war vorsichtig und kühn, je nach den Umständen, und entsagte den Intrigen am Hofe, um sich die Leitung des Staates zu erhalten. Außer ihm waren Graf Löwenwolde und der alte Graf Golowkin Minister, die Rußland nützlich sein konnten.

An der Spitze des russischen Heeres stand Graf Münnich, der aus sächsischen Diensten in die Peters des Großen getreten war. Er war der Prinz Eugen der Russen. Er besaß die Tugenden und Laster der großen Feldherren, war geschickt, unternehmend, glücklich, aber stolz, hochmütig und ehrgeizig, bisweilen zu despotisch und opferte das Leben seiner Soldaten für seinen Ruhm auf. Lacy, Keith, Löwendal und andere geschickte Heerführer bildeten sich in seiner Schule. Der Staat unterhielt damals 10 000 Mann Garde, hundert Bataillone, die 60 000 Mann ausmachten, 20 000 Dragoner und 2 000 Kürassiere, zusammen 92 000 Mann regulärer Truppen, dazu 30 000 Mann Landmiliz und so viele Kosaken, Tataren und Kalmücken, als man aufbieten wollte, sodaß Rußland ohne Anstrengung 170 000 Mann ins Feld stellen konnte. Die russische Flotte schätzte man damals auf 12 Linienschiffe, 26 Schiffe von geringeren Rangklassen und 40 Galeeren.

Die Einkünfte des Reiches beliefen sich auf vierzehn bis fünfzehn Millionen Taler. Die Summe scheint mäßig im Verhältnis zu der ungeheuren Ausdehnung des Lan<35>des. Aber dort ist alles wohlfeil. Die den Fürsten nötigste Ware, die Soldaten, kosten an Unterhalt nicht die Hälfte von dem, was die andern Mächte Europas zahlen: der russische Soldat bekommt jährlich nur acht Rubel und Lebensmittel, die billig gekauft werden. Diese Lebensmittel verursachen den ungeheuren Troß, der dem Heere nachfolgt: in dem Feldzuge, den der Marschall Münnich 1737 gegen die Türken führte, zählte man bei seinem Heere ebensoviel Wagen als Streiter.

Peter der Große hatte einen Plan entworfen, den vor ihm noch nie ein Fürst gefaßt hatte. Während die Eroberer sonst nur darauf bedacht sind, ihre Grenzen zu erweitern, wollte er die seinen einschränken. Der Grund war, daß seine Staaten im Verhältnis zu ihrer ungeheuren Ausdehnung zu dünn bevölkert waren. Er wollte die zwölf Millionen Einwohner, die in Rußland verstreut wohnten, zwischen Petersburg, Moskau, Kasan und der Ukraine ansiedeln, um diesen Teil gut zu bevölkern und anzubauen. Zu verteidigen wäre er leicht gewesen durch die Wüsteneien, die ihn dann umgaben und ihn von den Persern, Türken und Tataren trennten. Dieser Plan blieb durch den Tod des großen Mannes unausgeführt, wie so viele andre.

Zur Begründung des Handels hatte der Zar nur die ersten Schritte tun können. Unter der Kaiserin Anna hielt die russische Handelsflotte keinen Vergleich mit den südlichen Mächten aus. Trotzdem deutet alles darauf hin, daß die Bevölkerung, die Kräfte, der Reichtum und der Handel dieses Landes sich gewaltig entwickeln werden.

Der Geist der Nation ist ein Gemisch von Mißtrauen und Unredlichkeit. Die Russen sind faul, aber eigennützig, geschickt im Nachahmen, aber ohne Erfindungsgeist. Die Großen sind rebellisch, die Garde ist für die Herrscher eine stete Gefahr, das Volk dumm, trunksüchtig, abergläubisch und unglücklich. Die geschilderten Zustände sind ohne Zweifel schuld daran, daß die Petersburger Akademie der Wissenschaften bisher noch keine Erfolge in Rußland erzielt hat.35-1

Seit dem Untergang Karls XII., der Thronbesteigung Augusts von Sachsen in Polen und seit den Siegen des Marschalls Münnich über die Türken waren die Russen tatsächlich die Schiedsrichter des Nordens geworden. Sie waren so furchtbar, daß niemand etwas gewann, wenn er sie angriff; denn man mußte eine Art von Wüstenei durchziehen, um sie zu erreichen; wurde man aber von ihnen angegriffen, so war alles zu verlieren, selbst wenn man sich auf einen Verteidigungskrieg beschränkte. Diesen Vorteil verdanken sie der Menge von Tataren, Kosaken und Kalmücken, die sie in ihren Heeren haben. Diese herumstreifenden Horden von Plünderern und Mordbrennern können durch ihre Einfälle die blühendsten Provinzen verheeren, ohne daß die eigentliche Armee sie betritt. Alle Nachbarn schonten Rußland, um solchen Verwüstungen zu entgehen; und wenn die Russen mit anderen Völkern Bündnisse schlossen, so sahen sie das als einen ihren Klienten bewilligten Schutz an.

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Rußlands Einfluß auf Polen war unmittelbarer als auf seine andern Nachbarn. Diese Republik ward nach Augusts II. Tode (1733) gezwungen, August III. auf den Thron zu wählen, den sein Vater besessen hatte. Die Nation war für Stanislaus Leszczynski, aber die russischen Waffen stimmten das Volk um. Polen ist beständig in Anarchie. Die großen Familien sind sämtlich durch Interessengegensätze zersplittert; sie ziehen ihren Privatvorteil dem öffentlichen Wohle vor und sind nur einig in der harten Bedrückung ihrer Leibeigenen, die sie mehr als Lasttiere denn als Menschen behandeln. Die Polen sind eitel, hochfahrend im Glück, kriechend im Unglück, der größten Niedertracht fähig, um Geld zusammenzuscharren, das sie aber, sobald sie es haben, auf die Straße werfen; leichtfertig, urteilslos, stets bereit, ohne Grund eine Partei zu ergreifen und sie wieder zu verlassen und sich durch ihr planloses Betragen in die schlimmsten Händel zu verstricken. Sie haben Gesetze, aber niemand befolgt sie, da keiner sie dazu zwingt. Der Hof sieht seine Partei anwachsen, sobald viele Ämter frei werden; denn der König hat die Befugnis, sie zu vergeben und sich bei jeder Gunsterteilung neue Undankbare zu machen. Der Reichstag versammelt sich alle drei Jahre, bald in Grodno, bald in Warschau. Die Staatskunst des Hofes besteht darin, die Wahl zum Reichstagsmarschall auf eine ihm ergebene Person zu lenken. Trotz aller Bemühungen hat unter der Regierung Augusts III. allein der Pazifikationsreichstag etwas zustande gebracht. Das kann nicht wundernehmen, da ein einziger Landbote durch seinen Widerspruch gegen die gefaßten Beschlüsse den ganzen Reichstag sprengen kann: es ist das Veto der altrömischen Volkstribunen.

Die vornehmsten Geschlechter waren damals die Czartoryski, Potocki, Tarlo und Lubomirski. Der Geist ist in Polen das Erbteil der Frauen: sie spinnen die Intrigen und schalten über alles, indes ihre Männer sich betrinken.

Das Land hat viele Naturprodukte, aber nicht Einwohner genug, um sie zu verbrauchen, da der Boden im Verhältnis zur Einwohnerzahl zuviel hervorbringt. An Städten besitzt Polen nur Warschau, Krakau, Danzig und Lemberg; die übrigen würde man in jedem andern Lande nur schlechte Dörfer nennen. Da es dem Staate gänzlich an Manufakturen fehlt, so beträgt der Überschuß an Getreide, das nicht verzehrt wird, allein 200 000 Wispel. Dazu kommt Holz, Pottasche, Häute, Vieh und Pferde, womit die Nachbarn versorgt werden. So viele Ausfuhrartikel geben Polen eine vorteilhafte Handelsbilanz. Breslau, Leipzig, Danzig, Frankfurt und Königsberg verkaufen ihre Waren den Polen, gewinnen an den von dort bezogenen Naturprodukten und lassen sich die Erzeugnisse ihrer Industrie von diesem unkultivierten Volke teuer bezahlen.

Polen hält in Wirklichkeit 24 000 Mann schlechter Truppen und kann in dringenden Fällen seinen Heerbann aufbieten, der unter dem Namen Pospolite Ruszenie bekannt ist. Aber August II. rief ihn vergebens gegen Karl XII. zusammen. So sieht man denn, daß es für Rußland unter einer vollkommneren Staatsverwaltung leicht war, die Schwäche des Nachbarvolkes auszunutzen und einen überlegenen Ein<37>fluß auf ein so zurückgebliebenes Land zu gewinnen. Die Einkünfte des Königs von Polen übersteigen nicht eine Million Taler. Den größten Teil davon gaben die sächsischen Könige für Bestechungen aus, in der Hoffnung, ihrem Hause die Regierung zu erhalten und das Reich mit der Zeit in eine Monarchie zu verwandeln.

August III. war sanftmütig aus Trägheit, verschwenderisch aus Eitelkeit, unfähig zu jedem Gedanken, der Kombinationen erfordert, ohne Religion, aber seinem Beichtvater gehorsam, ohne Liebe, doch ein gefügiger Ehemann. Ferner neigte er dazu, sich durch seinen Günstling, den Grafen Brühl, leiten zu lassen. Das größte Hindernis, das seiner Erhebung auf den polnischen Thron im Wege stand, war seine Trägheit. Die Königin, seine Gemahlin37-1, war eine Tochter Kaiser Josephs und eine Schwester der Kurfürstin von Bayern37-2. Tisiphone und Alekto konnten im Vergleich zu ihr für Schönheiten gelten. Die Hervorragendste Eigenschaft ihres Geistes war starrer Eigensinn. Hochmut und Aberglaube kennzeichneten ihren Charakter. Sie hätte Sachsen gern katholisch gemacht. Aber das war nicht an einem Tage zu bewerkstelligen.

Graf Brühl und Hennicke waren die Minister Sachsens. Der erste war Page gewesen, der zweite Lakai. Brühl, dem vorigen König treu ergeben, war es auch in erster Linie, der August III. den Weg zum Throne bahnte. Zum Danke dafür wandte dieser ihm die gleiche Gunst zu wie seinem damaligen Liebling Sulkowski37-3. Konkurrenz erzeugt Neid, und der entstand bald zwischen den beiden Nebenbuhlern. Sulkowski hatte einen Plan entworfen, demzufolge August nach dem Ableben Kaiser Karls VI. sich Böhmens bemächtigen sollte, auf das er Erbansprüche erhob: seine Gemahlin sollte als Tochter des Kaisers Joseph I., des ältesten der beiden habsburgischen Brüder, ein näheres Anrecht darauf haben als die Tochter des jüngeren Bruders37-4. Der König fand an diesem Plane Gefallen. Um seinen Rivalen zu stürzen, beging Brühl die Niedertracht, das Projekt dem Wiener Hofe zu verraten, der nun in Gemeinschaft mit ihm daran arbeitete, den Urheber eines für Österreich so gefährlichen Unternehmens in die Verbannung zu schicken. Durch diesen Schritt wurde Brühl an das Interesse des neuen österreichischen Hauses gekettet. Dieser Minister kannte nur die Listen und Ränke, von denen die Staatskunst kleiner Fürsten lebt. Er war doppelzüngig, falsch und zu den niederträchtigsten Handlungen bereit, wenn es seine Stellung galt. Er war in seinem Zeitalter der Mann, der die meisten Kleider, Uhren, Spitzen, Stiefel, Schuhe und Pantoffeln besaß. Cäsar hätte ihn zu den wohlfrisierten und parfümierten Köpfen gezählt, vor denen er sich nicht fürchtete. Es gehörte ein Fürst wie August III. dazu, wenn ein Mensch vom Schlage Brühls die Rolle des Premierministers spielen konnte.

Die sächsischen Generale waren nicht die ersten Kriegshelden Europas. Der Herzog von Weißenfels besaß Mut, aber nicht Geist genug. Rutowski, König Augusts II.<38> natürlicher Sohn, hatte sich bei dem Treffen am Timok ausgezeichnet, war aber zu sehr Genußmensch und zu träge, um den Oberbefehl zu führen. Sachsen hatte wohl einige Männer von Verstand, aber Brühls Eifersucht hielt sie von den Geschäften fern. Der Hof wurde von seinen Spionen sehr gut, jedoch von seinen Ministem sehr schlecht bedient. Er war so abhängig von Rußland, daß er ohne dessen Erlaubnis nicht wagte, sich in irgendeine Verbindung einzulassen. Rußland, der Wiener Hof, England und Sachsen waren damals verbündet.

Sachsen ist eines der reichsten deutschen Länder, dank der Fruchtbarkeit seines Bodens, dem Gewerbfleiß seiner Untertanen und der Blüte seiner Fabriken. Der Kurfürst bezog sechs Millionen Einkünfte, wovon man aber anderthalb Millionen Taler zur Tilgung der in beiden polnischen Kronwahlen gemachten Schulden abrechnete. Er hielt 24 000 Mann regulärer Truppen, und das Land konnte ihm noch eine Miliz von 8 000 Mann stellen.

Nächst dem Kurfürsten von Sachsen ist der von Bayern einer der mächtigsten Fürsten Deutschlands. Damals regierte Karl38-1. Sein Vater Maximilian nahm im Spanischen Erbfolgekriege für Frankreich Partei und verlor durch die Schlacht bei Höchstädt Land und Kinder. Karl selbst ward zu Wien in der Gefangenschaft erzogen. Als er seinem Vater auf dem Throne folgte, hatte er lauter Unglück gutzumachen. Er war sanft, wohltätig, vielleicht zu nachgiebig. Graf Törring war sein Premierminister und zugleich sein Heerführer und vielleicht für beide Ämter gleich untauglich.

Bayern bringt fünf Millionen ein, wovon ungefähr eine Million, wie in Sachsen, zur Tilgung alter Schulden abgeht. Frankreich zahlte dem Kurfürsten damals 300 000 Taler Subsidien. Bayern ist Deutschlands fruchtbarstes und unwissendstes Land: das irdische Paradies, von Tieren bewohnt. Das Kriegsheer des Kurfürsten war zerrüttet. Von den 6 000 Mann, die er nach Ungarn zur Unterstützung des Kaisers gesandt hatte38-2, war nicht die Hälfte zurückgekehrt. Alles, was Bayern ins Feld stellen konnte, waren nicht mehr als 12 000 Mann.

Der Kurfürst von Köln38-3, der Bruder des Kurfürsten von Bayern, hatte sich so viel Mitren aufs Haupt gesetzt, als er irgend hatte bekommen können. Er war Kurfürst von Köln, Bischof von Münster, von Paderborn, von Osnabrück und außerdem Hochmeister des deutschen Ordens. Er hielt acht- bis zwölftausend Mann, mit denen er Handel trieb wie ein Ochsenhirt mit seinem Vieh. Damals hatte er sich an das Haus Österreich verkauft.

Der Kurfürst von Mainz38-4, der Älteste im kurfürstlichen Kollegium, besitzt nicht die gleichen Hilfsquellen wie der von Köln; der von Trier38-5 ist unter allen am übelsten dran. Der Graf von Eltz, damals Kurfürst von Mainz, galt für einen guten Bürger und einen ehrlichen Mann, der sein Vaterland liebte. Da er leiden<39>schaftslos und vorurteilsfrei war, so lieferte er sich nicht blindlings den Launen des Wiener Hofes aus. Der Kurfürst von Trier konnte nichts als kriechen.

Der Kurfürst von der Pfalz39-1 spielte keine große Rolle. In dem Kriege von 1733 hatte er sich neutral gehalten, und sein Land litt unter den Ausschreitungen, welche die beiden feindlichen Heere dort verübten. Er hält acht- bis zehntausend Mann, hat zwei Festungen, Mannheim und Düsseldorf, aber keine Soldaten zu ihrer Verteidigung.

Die übrigen Herzöge, Fürsten und Stände des Reiches wurden vom kaiserlichen Hofe mit ehernem Zepter beherrscht. Die Schwachen waren Sklaven, die Mächtigen frei. Der Herzog von Mecklenburg39-2 stand damals unter Sequester: die kaiserlichen Kommissare schürten die Zwietracht zwischen dem Herzog und seinen Ständen und fraßen beide arm. Die kleinen Fürsten trugen das Joch, weil sie es nicht abzuschütteln vermochten. Ihre Minister bekamen von den Kaisern Gehälter und Titel und unterwarfen ihre Herren dem österreichischen Despotismus.

Das Deutsche Reich ist mächtig, wenn man die Menge seiner Könige, Kurfürsten und Fürsten sieht. Es ist schwach, wenn man die widerstreitenden Interessen welche die Fürsten trennen, betrachtet. Der Reichstag zu Regensburg ist nur ein Schattenbild und eine schwache Erinnerung an das, was er einstens war. Jetzt ist er eine Versammlung von Rechtsgelehrten, denen es mehr auf die Formen als auf die Sache ankommt. Ein Minister, den ein Reichsfürst zu dieser Versammlung schickt, gleicht einem Hofhunde, der den Mond anbellt. Soll ein Krieg beschlossen werden, so weiß der kaiserliche Hof seine Privatstreitigkeiten geschickt mit den Reichsinteressen zu verflechten, um die deutsche Macht zum Werkzeug seiner ehrgeizigen Absichten zu benutzen. Die verschiedenen, in Deutschland geduldeten Religionen erregen nicht mehr wie einst heftige Erschütterungen. Zwar sind die Parteien geblieben, aber der Eifer ist erkaltet. Viele Staatsmänner wundern sich, daß eine so sonderbare Staatsverfassung wie das Deutsche Reich so lange bestehen konnte, und schreiben dies nicht sehr einsichtsvoll dem nationalen Phlegma zu. Das ist nicht der Fall. Die Kaiser wurden gewählt, und seit dem Erlöschen der Karolinger sieht man immer Fürsten aus verschiedenen Häusern zur Kaiserwürde emporsteigen. Sie hatten Streit mit ihren Nachbarn, sie hatten den berühmten Zwist mit den Päpsten über die Investitur der Bischöfe mit Ring und Stab; sie mußten sich zu Rom krönen lassen. Alles dies waren Fesseln, die sie hinderten, das Reich unumschränkt zu beherrschen. Andrerseits waren die Kurfürsten, etliche Fürsten und Bischöfe, wenn sie sich zusammentaten, zwar stark genug, dem Ehrgeiz der Kaiser zu widerstehen, aber nicht so stark, um die Reichsverfassung zu ändern. Seitdem die Kaiserkrone im Hause Österreich erblich blieb39-3, wurde die Gefahr des Despotismus offenbarer. Karl V. konnte sich nach der Schlacht bei Mühlberg zum absoluten Herrn machen, aber er verpaßte den Augenblick. Als dann seine Nachfolger, die Ferdinande, den Versuch unternahmen, vereitelten Frank<40>reich und Schweden, die sich dem eifersüchtig widersetzten, ihr Vorhaben. Was die Mehrzahl der Reichsfürsten betrifft, so hindert sie das wechselseitige Gleichgewicht und gegenseitiger Neid, sich zu vergrößern.

Geht man von Süddeutschland nach Westen, so stößt man auf die sonderbare Republik, die gewissermaßen mit dem Deutschen Reiche vereinigt und gewissermaßen frei ist. Seit Cäsars Zeiten hat die Schweiz ihre Freiheit bewahrt, den kurzen Zeitraum ausgenommen, da das Haus Habsburg sie unterjocht hatte. Lange trug sie dieses Joch nicht. Vergebens machten die Österreichischen Kaiser zahlreiche Versuche, das kriegerische Volk zu bezwingen: die Freiheitsliebe und die steilen Berge schirmen es vor dem Ehrgeiz der Nachbarn. Während des Spanischen Erbfolgekrieges erregte der französische Gesandte, Graf Luc, unter religiösem Vorwande einen Bürgerkrieg in der Schweiz, um diese Republik an einer Einmischung in die europäischen Wirren zu verhindern. Alle zwei Jahre halten die dreizehn Kantone eine allgemeine Bundesversammlung ab, bei der abwechselnd ein Schultheiß aus Bem oder Zürich den Vorsitz führt. Der Kanton Bern spielt in diesem Freistaate die gleiche Rolle wie die Stadt Amsterdam in der niederländischen Republik: er besitzt ein entscheidendes Übergewicht. Zwei Drittel der Schweiz bekennen sich zum reformierten Glauben; der Rest ist katholisch. Die Reformierten gleichen an Strenge den englischen Puritanern, die Katholiken sind fanatisch wie Spanier. Die Regierung hält klüglich darauf, daß die Einwohner nicht bedrückt werden und so glücklich sind, als die Verhältnisse es erlauben. Auch weicht sie nie von den Grundsätzen maßvoller Politik ab, die der Schweiz stets die Unabhängigkeit erhalten haben. Diese Republik kann mühelos 100 000 Mann zu ihrer Verteidigung aufstellen und hat Reichtümer genug gesammelt, um diese Truppen drei Jahre lang zu löhnen. Alle diese klugen und achtbaren Einrichtungen scheinen herabgewürdigt durch den barbarischen Brauch, die Untertanen jedem, der sie bezahlen will, zu verkaufen. So kommt es, daß Schweizer aus ein und demselben Kanton im Solde Frankreichs und in holländischen Diensten gegeneinander Krieg führen. Aber was ist auf Erden vollkommen?

Gehen wir von da nach Italien hinunter, so finden wir das alte römische Reich in so viele Teile zerstückelt, als der Ehrgeiz der Fürsten es nur irgend vermocht hat. Die Lombardei ist zwischen Venedig, Österreich, Savoyen und Genua geteilt. Von diesen Besitzungen scheinen die des Königs von Sardinien die beträchtlichsten. Karl Emanuel40-1 hatte damals den Krieg gegen das Haus Österreich beendet, durch den er einen Teil der Lombardei an sich gerissen hatte. Seine Staaten brachten ihm gegen fünf Millionen Einkünfte, mit denen er in Friedenszeiten 30 000 Mann unterhielt, die er im Kriegsfalle aber auf 40 000 bringen konnte. Karl Emanuel galt in Italien unter den Kennern für einen in der Staatskunst erfahrenen und über seine Angelegenheiten wohlunterrichteten Fürsten. Sein Minister, der Marchese Ormea<41> galt für einen guten Schüler Machiavells. Die Politik Sardiniens bestand darin, zwischen dem Hause Österreich und den beiden Zweigen des bourbonischen Hauses die Wage zu halten, um sich so die Mittel zur Vergrößerung und Vermehrung seiner Besitzungen zu verschaffen. Viktor Amadeus41-1 hatte oft gesagt: „Mein Sohn, die Lombardei ist wie eine Artischocke; man muß sie Blatt für Blatt verspeisen.“ Damals grollte der König von Sardinien den Bourbonen, weil Kardinal Fleury den Frieden von 173741-2 ohne sein Wissen geschlossen hatte, und neigte deshalb mehr auf die Seite des Hauses Österreich.

Der Rest der Lombardei war, wie gesagt, verzettelt. Der Kaiser besaß die Herzogtümer Mailand, Mantua, Pavia und Piacenza; seinen Schwiegersohn, den Herzog von Lothringen, hatte man in Toskana eingesetzt. Die Republik Genua, im Westen von Savoyen, war noch berühmt durch ihre Bank, einen Rest des alten Handels und ihre schönen Marmorpaläste. Korsika hatte sich gegen sie empört. Der erste Aufstand wurde von den kaiserlichen Truppen im Jahre 1732 niedergeschlagen, der zweite von den Franzosen unter dem Befehl des Grafen Maillebois. Diese fremde Hilfe konnte das Feuer wohl auf eine Weile dämpfen, es aber nicht gänzlich ersticken.

Venedig, im Osten gelegen, ist bedeutender als Genua. Die stolze Stadt erhebt sich auf zweiundsiebzig Inseln, die 200 000 Einwohner fassen. Regiert wird Venedig durch einen Rat, an dessen Spitze ein Doge steht, der die lächerliche Zeremonie begehen muß, sich alljährlich mit der Adria zu vermählen. Im 17. Jahrhundert verlor die Republik die Insel Kandia, und im 18. Jahrhundert, als Bundesgenossin Österreichs, da der große Eugen Belgrad und Temesvar eroberte, verlor sie Morea. Venedig hat wohl Schiffe, aber sie genügen nicht zur Bildung einer Flotte. An Landtruppen hält es 15 000 Mann. Ihr Führer ist derselbe Schulenburg, der im Nordischen Kriege, in der Schlacht bei Fraustadt, der Geschicklichkeit Karls XII. entging und der den schönen Rückzug in Schlesien über die Bartsch bewerkstelligte41-3.

Vor Erfindung des Kompasses lieferten Venedig und Genua an Deutschland alle die Waren, welche der Luxus aus den fernsten Gegenden Asiens herbeischaffen läßt. Zu unserer Zeit haben die Engländer und Holländer diesen Handel an sich gerissen und genießen seine Vorteile.

Der Krieg von 1733 hatte den Infanten Don Carlos aus Toskana auf den Thron von Neapel gebracht41-4. Dieses Königreich hatte Ferdinand der Katholische durch Gonsalvo di Cordova, genannt der Große Kapitän, Ludwig XII. entreißen lassen41-5. Nach dem Tode König Karls II. von Spanien (1700) kam es während des Spanischen Erbfolgekrieges an Österreich, aber während des Krieges von 1733 brachte das<42> glückliche Treffen bei Bitonto42-1 Neapel abermals unter die Herrschaft des Don Carlos. Das Hauptvergnügen dieses Fürsten war das Kühemelken, und die Anekdotenjäger behaupten, es sei bei seiner Heirat mit der Tochter König Augusts III. von Polen42-2 (1738) im Ehekontrakt ausgemacht worden, der König solle keine weiße Kuh mehr melken. Da Don Carlos noch zu jung war, um selbst zu regieren, so wurde er vom Grafen von Saint-Estevan geleitet, der in seinem Reiche bloß die Befehle der Königin von Spanien42-3 vollstreckte. Das Königreich Neapel mit Einschluß Siziliens brachte seinem Herrscher etwa vier Millionen ein; der Staat unterhielt nur 12 000 Soldaten.

Wir beschäftigen uns hier weder mit dem Herzog von Modena42-4 noch mit den Republiken Lucca und Ragusa: das sind Miniaturen, die in eine große Gemäldegalerie nicht passen.

Der Heilige Stuhl war durch den Tod von Klemens XII.42-5 aus dem Hause Corsini erledigt. Das Konklave währte ein Jahr lang. Der Heilige Geist blieb unschlüssig bis auf den Tag, da die Parteien der verschiedenen Staaten zu einer Einigung kamen. Kardinal Lambertini, über dieses Hinzögern ungeduldig, sagte zu den andern Kardinälen: „Entschließt euch doch endlich zur Papstwahl! Wollt ihr einen Frommen, nehmt Aldrovandi. Wollt ihr einen Gelehrten, nehmt Coscia. Oder wenn ihr einen Spaßmacher wollt, nehmt mich.“ Der Heilige Geist wählte den Mann des Frohsinns: Lambertini wurde zum Papst erwählt und nannte sich Benedikt XIV.

Als er den päpstlichen Thron bestieg, waren Rom und die Päpste nicht mehr die Herrscher der Welt wie ehedem. Die Kaiser dienten den Oberpriestern nicht mehr als Fußschemel und kamen nicht mehr nach Rom, um sich wie Friedrich Barbarossa zu demütigen. Karl V. hatte sie seine Macht fühlen lassen, und Kaiser Joseph I. behandelte sie nicht sanfter, als er im Erbfolgekriege Comacchio einnahm. Im Jahre 1740 war der Papst nur noch der erste Bischof der Christenheit. Er hatte das Departement des Glaubens, das man ihm ließ, aber er hatte nicht mehr wie früher Einfluß auf die Staatsgeschäfte. Die Wiedergeburt der Wissenschaften und die Reformation hatten dem Aberglauben einen tödlichen Streich versetzt. Man kanonisierte hin und wieder zwar noch Heilige, um nicht aus der Übung zu kommen; hätte aber ein Papst im 18. Jahrhundert Kreuzzüge predigen wollen, so hätte er nicht zwanzig Gassenjungen zusammengebracht. Er war auf das demütigende Geschäft beschränkt, die Amtshandlungen seines Priestertums zu verrichten und in aller Eile seine Nepoten zu bereichern. Alles, was der Papst im Türkenkriege von 1737 für den Kaiser tun konnte, war, daß er ihn durch seine Breven ermächtigte, von den geistlichen Gütern den Zehnten zu erheben und in allen Städten seiner Lande Missionskreuze aufzurichten, zu denen das Volk herbeiströmte, um fromme Verwünschungen gegen die<43> Türken auszustoßen. Das osmanische Reich spürte davon nichts. War es von den Russen geschlagen worden, so blieb es gegen die Österreicher überall Sieger.

Der berühmte Abenteurer Bonneval befand sich damals in Konstantinopel. Aus dem Dienste Frankreichs war er in kaiserliche Dienste getreten, die er aus Leichtsinn verließ, um Türke zu werden43-1. Er war nicht talentlos. Dem Großvezier schlug er vor, die Artillerie auf europäischem Fuß einzurichten, Mannszucht unter die Janitscharen und Ordnung in die zahllose Masse der Truppen zu bringen, die nur in aufgelöster Ordnung fochten. Das Vorhaben konnte den Nachbarn gefährlich werden; es ward aber verworfen, weil es gegen den Koran verstieß, in dem Mohammed vor allem empfiehlt, die alten Gebräuche nicht anzutasten. Die türkische Nation ist von Natur begabt, aber durch Unwissenheit verdummt. Sie ist tapfer, aber ungeschult, versteht nichts von Verwaltung, und von Staatskunst noch weniger. Das Dogma des Fatalismus, woran die Türken hängen, heißt sie, die Ursache alles Unglücks auf Gott schieben, und so bleiben sie stets bei den alten Fehlern. Die Stadt Konstantinopel hat zwei Millionen Einwohner. Die Macht der Türkei beruht auf ihrer großen Ausdehnung; trotzdem würde sie ohne die Eifersucht der europäischen Fürsten nicht mehr bestehen. Damals regierte der Padischah Mahmud I. Durch eine Revolution war er aus den Kerkern des Serails auf den Thron gesetzt worden (1730). Die Natur hatte ihn ebenso impotent gemacht wie seine Eunuchen. Es war für die Schönen des Serails eine gar traurige Regierung.

Der furchtbarste Nachbar der Türken war der Schah Nadir, bekannt unter dem Namen Thamas-Chouli-Kan. Er unterjochte Persien, bezwang den Großmogul, machte der Pforte viel zu schaffen und diente als Gegengewicht gegen ihre Anschläge auf die christlichen Mächte.

Soviel von den Kräften und den Interessen der europäischen Höfe im Jahre 1740. Dieser Abriß war nötig zum Verständnis der folgenden Denkwürdigkeiten. Es bleibt uns nur noch übrig, der Fortschritte des menschlichen Geistes zu gedenken: sowohl in der Philosophie, in den Wissenschaften, in den schönen Künsten, als in der Kriegführung und in den herrschenden Sitten und Gebräuchen. Die Fortschritte in der Philosophie, der Volkswirtschaft, der Kriegskunst, im Geschmack und den Sitten sind unstreitig ein fesselnderes Thema als Betrachtungen über Trottel im Purpurgewande, über Gaukler in der Bischofsmütze und jene Unterkönige, die man Minister nennt: von denen nur sehr wenige einen Platz im Andenken der Nachwelt verdienen. Wer aufmerksam in der Geschichte liest, der wird finden, daß dieselben Szenen oft wiederkehren; man braucht nur die Namen der handelnden Personen zu ändern. Hingegen die Entdeckung neuer Wahrheiten zu verfolgen, den Ursachen der Veränderungen in den Sitten nachzuspüren und die Anlässe zur Vertreibung der finsteren<44> Barbarei zu erforschen, die sich der Aufklärung der Geister widersetzte: das sind sicherlich Gegenstände, der Beschäftigung aller denkenden Geister würdig.

Beginnen wir mit der Physik. Sie ist kaum hundert Jahre alt. Descartes gab seine Grundsätze der Physik im Jahre 1644 heraus. Ihm folgte Newton, der die Gesetze der Bewegung und der Schwerkraft entdeckte (1684) und uns die Mechanik des Weltalls mit erstaunlicher Genauigkeit darlegte. Lange nach ihm haben Forscher an Ort und Stelle, in Lappland wie unter dem Äquator, die Wahrheiten bestätigt gefunden44-1, die der große Mann in seinem Studierzimmer vorgeahnt hatte. Seit jener Zeit wissen wir bestimmt, daß die Erde gegen die Pole abgeplattet ist. Newton tat noch mehr. Mit Hilfe seiner Prismen zerlegte er die Lichtstrahlen und fand darin die ursprünglichen Farben (1666 und 1704). Torricelli wog die Luft und fand das Gleichgewicht zwischen der Luftsäule und einer Quecksilbersäule. Ihm verdankt man auch die Erfindung des Barometers (1643). Otto von Guericke erfand zu Magdeburg die Luftpumpe (1650). Bei der Reibung des Bernsteins entdeckte er eine neue Eigenschaft der Natur, die Elektrizität (1672). Dufay stellte Experimente über diese Entdeckung an (1733), die zeigten, daß die Natur unerschöpfliche Geheimnisse birgt. Höchstwahrscheinlich wird man erst nach vielfachen Versuchen über die Elektrizität zu Kenntnissen gelangen, die für die Gesellschaft nützlich sind. Eller goß zwei durchsichtige weiße Flüssigkeiten zusammen und brachte ein dunkelblau gefärbtes Wasser hervor. Er machte Experimente über die Verwandlung der Metalle und über die festen und salpeterhaltigen Bestandteile des Wassers (1746). Lieberkühn hat durch Einspritzungen die feinsten Verästelungen der Adern sichtbar gemacht (1745), deren zartes Gewebe dem Kreislaufe des Blutes dient; er ist der Geograph der organischen Körper. Boerhave entdeckte (1708) nach Ruysch den flüchtigen Saft, der in den Nerven zirkuliert und der nach dem Tode des Menschen verdunstet; das hatte man nie zuvor geahnt. Unstreitig dient dieser Nervensaft dem menschlichen Willen zum Boten, um dessen Befehle mit Gedankenschnelle in den Gliedern zur Ausführung zu bringen. Leeuwenhoek fand (1677) im menschlichen Samen Tierchen, die vielleicht als Fortpflanzungskeime dienen. Leeuwenhoek (1675 und 1703) und Trembley (1742 und 1744) fanden durch ihre Versuche an Polypen, daß diese merkwürdigen Tiere sich in so viel Stücken, als man sie zerlegt, vermehren. Zu zahllosen Forschungen hat die Menschen ihre Wißbegierde getrieben; sie haben erstaunliche Anstrengungen gemacht, um die Urelemente der Natur zu entdecken: umsonst! Sie stehen zwischen zwei Unendlichkeiten, und es scheint festzustehen, daß der Schöpfer der Dinge sich allein ihr Geheimnis vorbehalten hat.

Die vervollkommnete Physik trug die Fackel der Wahrheit in die Finsternisse der Metaphysik. In England erschien ein Weiser, der, von jedem Vorurteil befreit, keinen andern Führer als die Erfahrung anerkannte. Locke löste die Binde des Irr<45>tums ganz, die sein Vorläufer, der skeptische Bayle, schon teilweise gelockert hatte. Nun erschienen in Frankreich die Fontenelle und Voltaire, in Deutschland der berühmte Thomasius, in England ein Hobbes, Collins, Shaftesbury und Bolingbroke. Diese großen Männer und ihre Schüler versetzten der Religion einen tödlichen Schlag. Die Menschen fingen an, zu untersuchen, was sie bisher stumpf angebetet hatten. Die Vernunft stürzte den Aberglauben. Man empfand Ekel über die Märchen, die man geglaubt, und Abscheu gegen die Gotteslästerungen, denen man in frommem Wahne angehangen hatte. Der Deismus, die schlichte Verehrung des höchsten Wesens, gewann zahlreiche Anhänger. Mit dieser Vernunftreligion kehrte die Toleranz ein, und man feindete den Andersdenkenden nicht mehr an. Wenn der Epikuräismus im Heidentum der Abgötterei Abbruch tat, so nicht minder der Deismus in unsern Tagen den jüdischen Hirngespinsten, die unsere Vorfahren gläubig angenommen hatten.

Die Gedankenfreiheit, die England genießt, hatte viel zu den Fortschritten in der Philosophie beigetragen, ganz anders als in Frankreich, wo die Werke die Spuren des Zwanges trugen, den die theologische Zensur ihnen auferlegte. Ein Engländer denkt ganz laut; ein Franzose darf seine Gedanken kaum erraten lassen. Doch entschädigten sich die Franzosen für die fehlende Freiheit, indem sie die Gegenstände des Geschmacks und alles, was zur schönen Literatur gehört, meisterlich behandelten. Durch Feinheit, Anmut und Leichtigkeit kamen sie allem gleich, was die Zeit uns von den Schriften des Altertums an Kostbarem erhalten hat. Wer unparteiisch ist, wird Voltaires „Henriade“ den Gedichten Homers vorziehen. Heinrich IV. ist kein Märchenheld; Gabrielle d'Estrées steht der Prinzessin Nausikaa nicht nach. Die „Ilias“ schildert uns die Sitten von Kanadiern; Voltaire macht seine Personen zu wahren Helden, und seine Dichtung wäre vollkommen, hätte er noch mehr Interesse für Heinrich IV. zu erregen verstanden, indem er ihn in größeren Gefahren zeigte. Boileau kann sich mit Juvenal und Horaz messen; Racine übertrifft alle seine antiken Nebenbuhler. Chaulieu ist bei aller Nachlässigkeit dem Anakreon in einzelnen Stücken sicherlich weit überlegen. Rousseau war in einigen Oden glänzend; und wenn wir gerecht sein wollen, so stehen die Franzosen in der Technik über den Griechen und Römern. Bossuets Beredsamkeit gleicht der des Demosthenes. Fléchier kann für Frankreichs Cicero gelten, ohne die Patru, Cochin und so viele andre berühmte Gerichtsredner zu rechnen. Werke wie Fontenelles „Gespräche über die Mehrheit der Welten“ (1686) und Montesquieus „Persische Briefe“ (1721) waren dem Altertum unbekannt; sie werden auf die späteste Nachwelt kommen. Haben die Franzosen auch dem Thukydides keinen Schriftsteller an die Seite zu stellen, so haben sie doch Bossuets „Abriß der Weltgeschichte“, haben die Werke des kenntnisreichen Präsidenten de Thou, die „Römischen Staatsumwälzungen“ des Abbé de Vertot, ein klassisches Buch, „Größe und Verfall des römischen Reiches“ von Montesquieu (1734), kurz, so viele historische und literarische, volkswirtschaftliche und unterhaltende Werke, daß ihre Aufzählung zu weit führen würde.

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Man wird sich vielleicht wundern, daß die Wissenschaften, die in Frankreich, in England und Italien blühen, in Deutschland nicht den gleichen Glanz entfalten. Die Gründe dafür sind folgende.

Nach Italien gelangten die Wissenschaften aus Griechenland zum zweiten Male, nachdem sie schon am Ende der Republik und in der ersten Kaiserzeit alle gebührende Achtung genossen hatten. Der Boden war also vorbereitet, um sie zu empfangen, und der Schutz der Medici, besonders Leos X., trug viel zu ihren Fortschritten bei.

In England fanden die Wissenschaften leicht Verbreitung, weil die Regierungsform die Mitglieder des Parlaments berechtigt, Reden zu halten. Der Parteigeist selbst trieb zum Studium an. In den Parlamentsreden galt es, alle Regeln der Rhetorik, insbesondere der Dialektik, anzuwenden, um so das Übergewicht über die Gegenpartei zu erlangen. Daher haben die Engländer fast alle klassischen Autoren im Gedächtnis. Sie sind im Griechischen wie im Lateinischen bewandert und besitzen ebenso geschichtliche Kenntnisse. Infolge ihrer finsteren, schweigsamen, hartnäckigen Geistesart haben sie es in der höheren Geometrie weit gebracht.

In Frankreich waren unter Franz I. einige Gelehrte an den Hof gezogen worden. Sie haben gleichsam den Samen des Wissens ausgestreut; aber die folgenden Religionskriege erstickten die aufkeimende Saat, wie ein später Frost die jungen Pflanzen zurückhält. Die Krisis währte bis ans Ende der Regierungszeit Ludwigs XIII., wo der Kardinal Richelieu, später Mazarin und vor allem Ludwig XIV. den Künsten und Wissenschaften glänzenden Schutz gewährten. Die Franzosen waren eifersüchtig auf die Italiener und Spanier, die ihnen auf dieser Bahn zuvorgekommen waren, aber die Natur brachte bei ihnen einige der glänzendsten Geister hervor, die bald ihre Nebenbuhler übertrafen. Die französischen Schriftsteller zeichnen sich besonders durch ihre Technik und durch verfeinerten Geschmack aus.

In Deutschland wurden die Fortschritte in Kunst und Wissenschaft gehemmt durch die Kriege, die von Karl V. bis zum Spanischen Erbfolgekrieg aufeinanderfolgten. Das Volk war elend, die Fürsten arm. Man mußte zuerst daran denken, das Land wiederanzubauen, um sich den unentbehrlichsten Lebensunterhalt zu sichern. Man mußte Manufakturen einführen, um die vorhandenen Rohstoffe zu verwerten. Diese Aufgabe nahm die Nation fast ganz in Anspruch und hinderte sie, sich aus der Barbarei, die ihr noch anhaftete, vollständig zu erheben. Dazu kommt, daß die Künste in Deutschland keinen Mittelpunkt hatten, wie es Rom und Florenz in Italien, Paris in Frankreich und London in England waren. An den Universitäten saßen zwar gelehrte, aber pedantische und schulmeisterliche Professoren; kein Mensch konnte mit diesen ungehobelten Leuten verkehren. Nur zwei Männer ragten durch ihr Genie hervor und machten der Nation Ehre: der große Leibniz und der gelehrte Thomasius. Wolff lasse ich unerwähnt. Er käute Leibnizens System wieder und wiederholte weitschweifig, was jener mit Feuer geschrieben hatte. Die meisten deutschen Gelehrten waren Handwerker, die französischen waren Künstler. Das war der Grund, warum<47> die französischen Werke so allgemein Verbreitung fanden, warum ihre Sprache die lateinische verdrängte und warum jetzt jeder, der französisch versteht, durch ganz Europa ohne Dolmetscher reisen kann. Der allgemeine Gebrauch der fremden Sprache tat der Muttersprache noch mehr Abbruch. Sie blieb nur im Munde des gemeinen Volkes und konnte den feinen Ton nicht erlangen, den jede Sprache nur in der guten Gesellschaft gewinnt. Der Hauptfehler im Deutschen ist der Wortschwall. Man muß ihn eindämmen und würde durch Milderung einiger Wörter von zu hartem Klang das Deutsche auch wohllautender machen. Der Adel studierte nur das öffentliche Recht, besaß aber keinen Sinn für die schöne Literatur und brachte von den Universitäten nur die Pedanterie seiner Lehrer heim. Kandidaten oder Theologen, die Schusters- oder Schneiderssöhne waren, spielten den Mentor dieser Telemache: daraus schließe man, welche Bildung sie zu geben vermochten! Die Deutschen hatten wohl Schauspiele, aber die waren plump oder gar unanständig. Unflätige Hanswürste spielten geistlose Stücke, bei denen jeder Schamhafte errötete. Unsere Armut zwang uns, bei dem Überfluß der Franzosen Hilfe zu suchen, und an den meisten Höfen sah man französische Schauspielertruppen die Meisterwerke Molières und Racines aufführen.

Am erstaunlichsten aber muß für einen Philosophen die Erniedrigung sein, in die das königliche Volk, die weltbeherrschenden Römer herabgesunken sind. Statt daß Konsuln, wie zu Zeiten der Republik, gefangene Könige im Triumph aufführten, erniedrigen sich in unseren Tagen die Nachkommen eines Cato und Ämilius47-1 bis zur Entmannung für die Ehre, auf den Schaubühnen von Fürsten zu singen, auf welche die Zeit der Scipionen mit der gleichen Verachtung herabsah wie wir auf die Irokesen. O tempora! O mores!

In Deutschland waren Opern, Tragödien und Komödien noch vor sechzig Jahren unbekannt. Im Jahre 1740 hatte Deutschland durch das Aufblühen von Handel und Industrie einen Anteil an den Schätzen erlangt, die Westindien alljährlich über Europa ausschüttet. Die neuen Quellen des Wohlstandes hatten die Vergnügungen, die Bequemlichkeiten und wohl auch die Sittenlosigkeit mit sich gebracht, die eine Folge wachsenden Reichtums zu sein pflegen. Alles hatte sich vermehrt: Einwohner, Hausgerät, Bediente, Wagen und Pferde und Tafelluxus. Was man an schöner Baukunst im Norden sieht, stammt ungefähr aus der gleichen Zeit: das Schloß und das Zeughaus in Berlin, die Reichskanzlei und die Kirche des heiligen Karl Borromäus in Wien, das Schloß zu Nymphenburg in Bayern, die Augustusbrücke und der Zwinger in Dresden, das kurfürstliche Schloß in Mannheim, das Schloß des Herzogs von Württemberg in Ludwigsburg. Sind diese Gebäude auch den Bauten von Athen und Rom nicht vergleichbar, so übertreffen sie doch die gotische Baukunst unserer Vorfahren.

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In den früheren Zeiten schienen die deutschen Höfe Tempel zu sein, in denen Bacchanalien gefeiert wurden. Jetzt sind solche Orgien, als der guten Gesellschaft unwürdig, nach Polen verbannt oder Pöbelbelustigungen geworden. Nur noch an einigen geistlichen Höfen muß der Wein die Priester über eine liebenswürdigere Leidenschaft hinwegtrösten, die ihr Stand ihnen verbietet. Früher gab es keinen deutschen Hof, der nicht voller Hofnarren war. Die Plumpheit ihrer Späße ersetzte den mangelnden Witz der Gäste, und man hörte Torheiten an, weil man selbst nichts Gescheites zu sagen wußte. Diese Unsitte, eine ewige Schande für den gesunden Menschenverstand, ist verschwunden und erhält sich nur noch am Hofe Augusts III., des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen. Das Hofzeremoniell, für den Unverstand unserer Vorfahren noch die Wissenschaft der Fürsten, scheint dem gleichen Schicksal verfallen wie die Hofnarren. Die Etikette erleidet täglich Abbruch, und einige Höfe haben sie ganz abgeschafft. Indes machte Kaiser Karls VI. Hof eine Ausnahme von der Regel; er war ein zu eifriger Anhänger der burgundischen Hofetikette, um sie aufzugeben. Selbst in seiner letzten Krankheit, kurz vor seinem Ende, traf er noch Anordnungen für die Messen und die Sterbegebete wie für die ganze Leichenfeier, ja, er bestimmte sogar die Personen, die sein Herz in einer goldenen Kapsel, ich weiß nicht in welches Kloster tragen sollten. Die Höflinge bewunderten seine Hoheit und Würde; die Verständigen tadelten seinen Stolz, der ihn noch zu überleben schien.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß infolge der Vermehrung des Geldes in Deutschland, das sich gegen früher sicherlich verdreifacht hatte, nicht nur der Luxus sich verdoppelt, sondern auch die Zahl der Truppen, welche sich die Fürsten hielten, entsprechend zugenommen hatte. Kaiser Ferdinand I. hatte kaum 30 000 Mann gehalten: Karl VI. besoldete im Kriege von 1733, ohne seine Völker zu bedrücken, 170 000 Mann. Ludwig XIII. hatte 60 000 Soldaten gehabt: Ludwig XIV. hielt 220 000 Mann, ja im Erbfolgekriege bis zu 360 000 Mann. Seit jener Zeit hatten alle, bis zu den kleinsten deutschen Fürsten, ihr Heer vergrößert. Es geschah aus Nachahmungsgeist. Im Kriege von 1683 hob Ludwig XIV. so viele Truppen aus, als er nur konnte, um ein entscheidendes Übergewicht über seine Gegner zu haben, und nahm nach dem Frieden keine Verringerung vor. Das zwang den Kaiser und die deutschen Fürsten, so viele Soldaten bei der Fahne zu halten, als sie zu bezahlen vermochten, und so ist es denn bis zum heutigen Tage geblieben. Die Kriege wurden dadurch viel kostspieliger. Die Anschaffungen für die Magazine verschlangen ungeheure Summen, da die zahlreiche Reiterei unterhalten und vor Eröffnung des Feldzuges und während der Jahreszeit, wo man nicht fouragieren konnte, in Kantonnementsquartieren versammelt werden mußte.

Die Infanterie des stehenden Heeres wurde durch stete Arbeit an ihrer Vervollkommnung fast von Grund aus umgestaltet. Vor dem Erbfolgekrieg waren die Bataillone zur Hälfte mit Piken, zur Hälfte mit Musketen bewaffnet. Sie standen<49> sechs Reihen tief im Gefecht. Die Piken wurden gegen die Reiterei gebraucht. Die Musketen gaben nur schwaches Feuer; oft versagten auch ihre Lunten. Deshalb führte man andere Waffen ein. Man vertauschte die Piken und Musketen mit Gewehren, die Bajonette trugen, und vereinigte so die furchtbare Wirkung von Feuer und Schwert. Da man die Hauptstärke der Bataillone in das Feuer setzte, so verminderte man nach und nach ihre Tiefe und dehnte sie in die Breite aus. Fürst Leopold von Anhalt, den man einen Kriegsmechanikus nennen kann, führte den eisernen Ladestock ein und stellte die Bataillone in drei Gliedern auf. Der verstorbene König brachte in seine Truppen mit unendlicher Mühe Mannszucht und eine wunderbare Ordnung und in die Bewegungen und Handgriffe eine bis dahin in Europa unbekannte Genauigkeit. Ein preußisches Bataillon wurde zur wandelnden Batterie, deren Feuergeschwindigkeit die Gefechtswirkung verdreifachte, sodaß ein preußisches Bataillon es mit drei feindlichen aufnehmen konnte. Die andern Staaten ahmten die Preußen seither nach, freilich nur unvollkommen.

Karl XII. hatte in seinem Heere zwei Geschütze bei jedem Bataillon eingeführt. In Berlin goß man Kanonen zu 3, 6, 12 und 24 Pfund, leicht genug, um sie mit Menschenarmen zu regieren und sie in der Schlacht mit den Bataillonen, zu denen sie gehörten, vorrücken zu lassen. So viele neue Erfindungen machten ein Kriegsheer zu einer lebendigen Festung, an die jede Annäherung mörderisch und fürchterlich war.

Während des Krieges von 1672 wurden von den Franzosen die transportablen, kupfernen Pontons erfunden. Da es auf diese Art sehr bequem wurde, Brücken zu schlagen, hörten die Flüsse auf, wirkliche Hindernisse zu sein. Auch die Kunst, feste Plätze anzugreifen und zu verteidigen, verdankt man den Franzosen. Besonders Vauban vervollkommnete die Befestigungskunst. Er machte die Werke bestreichbar und schützte sie derart durch ein Glacis, daß, wenn jetzt die Breschebatterien nicht auf dem Kamm des bedeckten Weges angelegt werden, die Kugeln den Mauerkranz, den sie einschießen sollen, nicht erreichen. Seit Vauban hat man gemauerte, doppelte bedeckte Wege eingeführt, und vielleicht hat man sogar zuviel Befestigungsabschnitte angelegt. Vor allem aber hat die Minierkunst die größten Fortschritte gemacht. Man treibt das Minensystem des bedeckten Weges bis auf dreißig Klafter vom Glacis vor. Plätze mit guten Minenanlagen haben Haupt- und Zweigstollen, bis zu drei Stockwerken übereinander. Der Mineur kann ein und denselben Verteidigungspunkt bis zu siebenmal sprengen. Für den Angriff hat man die Druckkugeln erfunden, die, wenn sie gut angelegt sind, alle Minen des Platzes bis auf eine Entfernung von 25 Schritt vom Herde sprengen. In den Minen liegt jetzt die wahre Stärke der Festungen, und durch ihren rechten Gebrauch können die Kommandanten die Dauer der Belagerung am meisten verlängern. Heutzutage lassen sich Festungen nur durch zahlreiches Geschütz erobern. Man rechnet eine Batterie von drei Geschützen, um eine Kanone der Festungswerke zu demontieren; zu dieser Menge Batterien kommen noch die Rikoschettbatterien, welche den Hauptwall bestreichen; und hat man nicht<50> mindestens sechzig Mörser zur Zerstörung der Festungswerke, so wagt man einen festen Platz nicht zu belagern. Die halben Sappen, die ganzen Sappen, die flüchtigen Sappen, die Waffenplätze50-1 und die Laufgrabenreiter, alles das sind neue Erfindungen, die beim Angriff dazu dienen, Menschen zu sparen und die Übergabe der Festungen zu beschleunigen.

Unser Jahrhundert hat die Leichtbewaffneten wieder aufleben sehen: die Panduren bei den Österreichern, die Legionen bei den Franzosen, die Freibataillone bei uns50-2, ferner die Husaren50-3, die aus Ungarn stammen, aber bei allen anderen Heeren nachgeahmt sind, und die jene zur Römerzeit so berühmte numidische und parthische Reiterei ersetzen. Die Heere der Alten kannten keine Uniformen; es sind noch nicht hundert Jahre her, daß sie allgemein eingeführt worden sind.

Auch das Seewesen hat große Fortschritte gemacht, sowohl im Schiffsbau wie in der Steuerkunst. Allein dieser Gegenstand ist so umfangreich, daß ich ihn verlasse, um nicht allzu weit abzuschweifen.

Aus allem, was wir von den Fortschritten der Künste und Wissenschaften in Europa berichtet haben, ergibt sich, daß die nordischen Länder seit dem Dreißigjährigen Kriege es sehr viel weiter gebracht haben. Damals genoß Frankreich den Vorrang in allem, was zu den schönen Wissenschaften und zu den Dingen des guten Geschmacks gehört, die Engländer in der Mathematik und Metaphysik, die Deutschen in der Chemie, der Experimentalphysik und Gelehrsamkeit, die Italiener begannen zu sinken, aber Polen, Rußland, Schweden und Dänemark waren im Vergleich zu den kultiviertesten Völkern noch um hundert Jahre zurück.

Was vielleicht unsre Aufmerksamkeit am meisten verdient, ist die veränderte Machtstellung der Staaten seit 1640. Wir sehen einige aufsteigen; andre beharren sozusagen unbeweglich in der gleichen Lage; wieder andre geraten in Verfall, und es droht ihnen der Untergang.

Schweden stand unter Gustav Adolf im höchsten Glanze. Es diktierte in Gemeinschaft mit Frankreich den Westfälischen Frieden. Unter Karl XII. besiegte es die Dänen, die Russen und verfügte eine Zeitlang über den polnischen Thron. Es scheint, daß diese Macht damals alle ihre Kräfte zusammenraffte, um wie ein Komet mit großem Glanz zu erscheinen und sich dann in den unendlichen Raum zu verlieren. Seine Feinde zerstückelten es und entrissen ihm Esthland, Livland, die Fürstentümer Bremen und Verden und einen großen Teil Pommerns.

Schwedens Fall war die Epoche der Erhebung Rußlands. Diese Macht schien aus dem Nichts emporzutauchen, um auf einmal gewaltig dazustehen und bald nachher in die Reihe der gefürchtetesten Mächte zu treten. Man könnte auf Peter I. das<51> Wort anwenden, das Homer51-1 von Okeanos sagt: „Mit drei Schritten war er am Ende der Welt.“ In der Tat: Schweden demütigen, Polen hintereinander mehrere Könige geben, die Hohe Pforte erniedrigen und Truppen ausschicken, um die Franzosen an ihren eignen Grenzen zu schlagen — das heißt wirklich, bis ans Ende der Welt gehen! Ebenso sah man das Haus Brandenburg die Bank der Kurfürsten verlassen, um seinen Platz unter den Königen einzunehmen. Im Dreißigjährigen Kriege hatte es gar keine Rolle gespielt; aber der Westfälische Friede brachte ihm Provinzen, die durch gute Verwaltung reich wurden. Der Friede und eine weise Regierung schufen hier eine aufstrebende Macht, die in Europa zuvor fast unbekannt war, weil sie im stillen arbeitete und ihre Fortschritte nicht plötzlich, sondern das Werk der Zeit waren. Man war schier verblüfft, als Brandenburg seine Kräfte zu entwickeln begann.

Frankreichs Gebietserweiterungen, die es sowohl seinen Waffen wie seiner Staatskunst verdankte, kamen rascher und waren ansehnlicher. Die Besitzungen Ludwigs XV. waren um ein Drittel größer als die Ludwigs XIII. Die Freigrafschaft Burgund, Elsaß-Lothringen, sowie ein Teil von Flandern waren dem Königreiche einverleibt und gaben ihm eine sehr viel größere Macht als in der Vergangenheit. Dazu kam vor allem, daß Spanien von einem Zweige des Hauses Bourbon beherrscht wurde, wodurch Frankreich für geraume Zeit von den Diversionen befreit war, die es von den spanischen Königen aus der österreichischen Linie stets zu besorgen gehabt hatte. Es kann jetzt also seine gesamten Kräfte ungehindert gegen jeden seiner Nachbarn wenden.

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England hat sich seinerseits auch nicht vergessen. Gibraltar und Port-Mahon sind für ein Handelsvolk wichtige Erwerbungen52-1. Durch alle Arten von Handel haben sich die Engländer erstaunlich bereichert, und vielleicht ist auch das ihrer Herrschaft unterworfene Kurfürstentum Hannover nicht ohne Nutzen für sie, weil es ihnen Einfluß auf die deutschen Angelegenheiten verschafft, an denen sie früher gar keinen Anteil hatten. Man glaubt allgemein, daß die englische Nation jetzt einen Teil ihrer alten Freiheit dadurch eingebüßt habe, daß sie für Bestechungen zugänglich geworden ist. Wenigstens ist England ruhiger geworden.

Auch das Haus Savoyen hat sich nicht vergessen. Es hat Sardinien und die Königswürde erlangt52-2, hat ein Stück vom Herzogtum Mailand abgerissen, und die Politiker sehen in ihm einen Krebs, der an der Lombardei nagt.

Spanien hatte den Infamen Don Carlos in das Königreich Neapel eingesetzt52-3. Er war ein rechter Despot und behauptete sich bei seiner eigenen Schwäche nur durch den Schutz der Monarchie, mit der er blutsverwandt war und der er den Thron verdankte.

Das Haus Österreich erfreute sich solcher Fortschritte nicht. Zwar hatte der Spanische Erbfolgekrieg Kaiser Karl VI. zu einem der mächtigsten Fürsten in Europa gemacht; aber der Neid seiner Nachbarn entriß ihm bald wieder einen Teil seiner Erwerbungen, sodaß er auf das Niveau seiner Vorfahren zurücksank. Seitdem das Geschlecht Karls V. in Spanien erloschen war (1700), hatte das Haus Österreich erst Spanien verloren, das in die Hände der Bourbonen kam, sowie einen Teil von Flandern, darauf das Königreich Neapel und einen Teil der Lombardei. Es blieben Karl dem Sechsten aus Karls II.52-4 Erbschaft also nur ein paar Städte in Flandern und ein Teil des Herzogtums Mailand. Auch entrissen ihm die Türken Serbien und einen Teil der Walachei, welche ihnen im Frieden von Belgrad (1739) abgetreten wurden. Der einzige Gewinn des Hauses Österreich war die Entstehung eines Vorurteils, das im Reiche, in England und Holland, ja selbst in Dänemark ziemlich verbreitet ist: daß nämlich die Freiheit Europas an das Schicksal dieses Hauses geknüpft sei.

Portugal, Holland, Dänemark und Polen waren geblieben, was sie waren; sie hatten nichts gewonnen und nichts verloren.

Unter all diesen Mächten besaßen Frankreich und England ein entschiedenes Übergewicht, Frankreich durch seine Landmacht und seine großen Hilfsquellen, England durch seine Flotten und die im Handel erworbenen Reichtümer. Beide Mächte waren Nebenbuhler und eifersüchtig auf ihre Vergrößerung; sie wollten die Wage in Europa halten und betrachteten sich als die Häupter zweier Parteien, an welche die Könige und Fürsten sich anschließen mußten. Zu dem alten Hasse gegen England gesellte Frankreich noch eine gleiche Feindschaft gegen das Haus Österreich:<53> eine Folge der fortwährenden Kriege, die zwischen beiden Mächten seit dem Tode Karls des Kühnen von Burgund (1477) geführt worden waren. Frankreich hätte Flandern und Brabant gern in seine Gewalt bekommen und seine Grenzen bis an die Ufer des Rheins ausgedehnt. Ein solcher Plan ließ sich aber nicht von heute auf morgen ausführen; die Zeit mußte ihn reifen, und die Umstände mußten ihn begünstigen. Die Franzosen wollen ihre Feinde besiegen, um ihnen Länder abzunehmen, die Engländer die fremden Fürsten durch Kauf zu ihren Sklaven machen. Alle beide aber suchen die Öffentlichkeit mit falschen Vorspiegelungen zu täuschen, um die Augen der Welt von ihrem eigenen Ehrgeiz abzulenken.

Spanien und Österreich waren sich an Kräften ungefähr gleich. Spanien konnte nur mit Portugal Krieg anfangen oder in Italien mit dem Kaiser. Der Kaiser aber konnte Krieg nach allen Seiten führen. Er hatte mehr Untertanen als Spanien, und durch diplomatische Schachzüge konnte er seine Macht um die des Deutschen Reiches vermehren. Spanien besaß mehr Hilfsquellen in seinen Reichtümern, Österreich gar keine, und soviel Steuern es seinen Völkern auch auferlegen mochte, so bedurfte es doch fremder Subsidien, um seine Truppen ein paar Jahre im Felde zu halten. Damals war es durch den Türkenkrieg erschöpft und mit den Schulden aus diesem Kriege überlastet.

Holland war zwar reich, mischte sich aber in keinen ausländischen Krieg ein, wenn nicht die Not es zwang, seine Grenze gegen Frankreich zu verteidigen. Hollands ganzes Bestreben ging dahin, jede Möglichkeit zur Wahl eines neuen Statthalters fernzuhalten53-1.

Preußen, nicht so stark wie Spanien und Österreich, konnte dennoch hinter diesen in der Reihe der Mächte figurieren, wenn es sich ihnen auch nicht gleichzustellen vermochte. Die Staatseinkünfte überstiegen, wie gesagt, nicht sieben Millionen Taler. Seine Provinzen, durch das Elend des Dreißigjährigen Krieges verarmt und zurückgeblieben, waren nicht imstande, dem Herrscher Hilfsquellen zu bieten; die einzigen, die er hatte, waren seine Ersparnisse. Der verstorbene König hatte einen Schatz angelegt, der zwar nicht sehr bedeutend war, im Notfalle jedoch hinreichte, um eine gute Gelegenheit auszunutzen. Aber Klugheit in der Führung der Geschäfte war nötig. Die Kriege durften nicht in die Länge gezogen werden, vielmehr mußte man seine Pläne rasch ausführen.

Das Mißlichste war die unregelmäßige Gestalt des Staates. Schmale und gleichsam verstreute Provinzen erstreckten sich von Kurland bis nach Brabant. Durch diese Zerrissenheit hatte das Land zwar viele Nachbarn, aber keine innere Festigkeit und war weit mehr Feinden ausgesetzt, als wenn es abgerundet gewesen wäre. Preußen konnte damals nur dann etwas unternehmen, wenn es sich auf Frankreich oder England stützte. Mit den Franzosen im Bunde konnte man sein Glück machen, denn<54> ihnen lag ihr Ruhm und die Erniedrigung des Hauses Österreich sehr am Herzen. Von England konnte man nur Subsidien beziehen, die es zahlte, um sich fremder Kräfte zum eignen Vorteil zu bedienen54-1.

Rußland hatte damals in der europäischen Politik noch zu wenig Gewicht, um durch seinen Beitritt das Übergewicht einer Partei zu entscheiden. Sein Einfluß erstreckte sich vorerst nur auf seine Nachbarn, Schweden und Polen.

Was die Türken betrifft, so galt es damals als politische Regel, daß, wenn die Franzosen sie gegen Österreich oder Rußland aufwiegelten, diese beiden Mächte sich an Thamas-Chouli-Kan wandten, der sie durch eine Diversion gegen die Pforte von aller Gefahr auf dieser Seite befreite.

Was hier angeführt wurde, war der gewöhnliche Gang der Politik. Freilich gab es hin und wieder Ausnahmen von der Regel. Doch wir halten uns hier nur an den durchschnittlichen Verlauf und an das, was eine gesunde Politik der Mächte erheischte.

Europas ganzes Interesse war damals auf die Erbfolge im Hause Österreich gerichtet, die nach dem Tode Kaiser Karls VI., des letzten Habsburgers im Mannesstamm, zur Entscheidung kommen mußte. Um der Zerstückelung der Monarchie vorzubeugen, hatte Karl VI., wie gesagt, ein Hausgesetz unter dem Namen der „Pragmatischen Sanktion“ erlassen, das seine Erbschaft für seine Tochter Maria Theresia sicherstellen sollte: Frankreich, England, Holland, Sardinien, Sachsen und das Deutsche Reich hatten diese Pragmatische Sanktion garantiert. Auch der verstorbene König Friedrich Wilhelm hatte sie verbürgt, unter der Bedingung, daß der Wiener Hof ihm die Erbfolge in Jülich und Berg gewährleistete. Der Kaiser sagte ihm das zu, hielt aber sein Versprechen nicht54-2, sodaß also der König von der Garantie der Pragmatischen Sanktion entbunden war, die sein Vater bedingungsweise übernommen hatte.

Auf die Erbfolge in den Herzogtümern Jülich und Berg54-3, die im Jahre 1740 nahe zu sein schien, war damals das Hauptaugenmerk der Politik des Hauses Brandenburg gerichtet. Friedrich Wilhelm hatte sich im Gefühl seines nahen Endes in kein Bündnis eingelassen, um seinem Nachfolger freie Hand zu lassen, welche Verbindungen er je nach Umständen und Gelegenheit eingehen wollte. Nach dem Tode des Königs knüpfte der Berliner Hof Unterhandlungen in Wien, Paris und London an, um zu ergründen, welche von diesen Mächten seinen Interessen am geneigtesten wäre. Er fand sie alle gleich kühl. Denn nur dann verständigt man sich und kommen Allianzen zum Abschluß, wenn gegenseitige Bedürfnisse das einigende Band bilden. Es lag aber Europa wenig daran, ob der König oder irgendein andrer Fürst das Her<55>zogtum Berg erhielt. Frankreich willigte zwar ein, daß der König einen Streifen des Herzogtums Berg bekäme; allein das war zu wenig, um das Verlangen eines jungen, ehrgeizigen Königs zu befriedigen, der alles oder nichts wollte. Zu betonen ist namentlich, daß Kaiser Karl VI. sich nicht mit einer einmaligen Garantie für das Herzogtum Berg begnügt, sondern dessen Besitz auch dem König von Polen und Kurfürsten von Sachsen zugesagt, ja ein ganz ähnliches Versprechen durch den Gesandten Fürsten Liechtenstein zu Paris auch dem Pfalzgrafen von Sulzbach, dem Erben des Kurfürsten von der Pfalz, gegeben hatte. Sollte man sich zum Opfer der Falschheit des Wiener Hofes machen? Sollte man sich mit dem Streifen des Herzogtums Berg begnügen, dessen Besetzung Frankreich gestattete? Oder sollte man zu den Waffen greifen, um sein Recht selbst zu verfechten?

In dieser Krisis beschloß der König, sich mit Aufbietung aller seiner Hilfsmittel eine furchtgebietende Haltung zu geben, und das führte er ungesäumt aus. Mit weiser Sparsamkeit errichtete er fünfzehn neue Bataillone, und in dieser Stellung wartete er die Ereignisse ab, die das Schicksal ihm darbieten würde, um sich selbst das Recht zu verschaffen, das andre ihm verweigerten.


18-1 Genauer 81 034 Mann.

18-2 Die Spanier wurden 1738 beschuldigt, einem englischen Matrosen wegen Schmuggels die Ohren abgeschnitten zu haben; der Krieg brach 1739 aus.

19-1 Der Friede zu Wien beendete definitiv den Polnischen Erbfolgekrieg (1733—1735).

19-2 Vgl. S. 5.

19-3 Vgl. S. 5.

19-4 Prinz Eugen, 1663 geboren, trat 19 jährig in österreichischen Dienst und starb 1736.

20-1 Graf Philipp Ludwig Sinzendorff, Oberster Hofkanzler.

20-2 1724 zur Regelung der Besitzververhältnisse in Italien.

21-1 Graf Gundacker Thomas Starhemberg, Konferenzminister.

21-2 Kaiserin Anna Iwanowna (1730—1740).

21-3 Zum ersten Male König von Polen 1704—1709, zum zweiten Male 1733—1738.

22-1 Elisabeth, Gemahlin Karls VI.

22-2 1736—1739, beendet durch den Frieden zu Belgrad.

23-1 Nach dem Tode Ludwigs XIV. (1715) führte an Stelle seines minorennen Urenkels und Nachfolgers der Herzog Philipp von Orleans die Regentschaft. Ludwig XV. (geb. 1710) übernahm 1726 nominell die Regierung, die in Wirklichkeit Kardinal Fleury leitete.

24-1 Der Schotte John Law hatte 1716 eine Notenbank errichtet, deren Bankrott 1720 zu einer allgemeinen Katastrophe führte.

24-2 Während des Polnischen Erbfolgekrieges; er starb 1734.

24-3 Graf Moritz von Sachsen, Marschall von Frankreich (1696—1750).

24-4 Vgl. S. 6. 7.

25-1 Am 15. Januar 1724 hatte Philipp V. abgedankt, sein Sohn Ludwig starb am 31. August desselben Jahres an den Kinderblattern. und Philipp übernahm am 6. September die Regierung wieder

26-1 Alberoni plante, mit Hilfe des spanischen Botschafters in Paris, Fürst Cellamare, nach Gefangennahme des Regenten, Herzog Philipp von Orleans, König Philipp V. zum Vormund Ludwigs XV. zu proklamieren. Am 5. Dezember 1719 erfolgte sein Sturz.

26-2 Er wurde 1726 entlassen.

26-3 Der Infant Don Carlos, Sohn König Philipps V. aus seiner Ehe mit Elisabeth Farnese, war 1718 zum Nachfolger des letzten Herzogs von Toskana bestimmt. Er wurde 1734 König beider Sizilien, mußte indessen 1735 Toskana an Herzog Franz Stephan von Lothringen abtreten (vgl. S. 5) und bestieg 1759 als Karl III. den spanischen Thron.

27-1 Elisabeth Farnese.

27-2 König Johann V. (1689—1750).

28-1 Baron Georg Lyttelton, englischer Staatsmann († 1773).

28-2 Lord John Hervey of Ikworth, englischer Staatsmann und Schriftsteller († 1743).

30-1 Wilhelm IV., seit 1747 Erbstatthalter.

30-2 1730—1746.

31-1 Prinz Friedrich Ernst, der jüngere Bruder der Königin Sophie Magdalene.

31-2 1720—1751.

31-3 9. September 1706.

31-4 Landgraf Karl († 1730).

31-5 Minister des Auswärtigen.

32-1 Marquis Monti, französischer Gesandter in Polen, war 1734 bei der Einnahme Danzigs von
     den Russen gefangen genommen worden.

32-2 13. März 1719.

32-3 Pharasmanes, König von Iberien,
     in Crébillons des Jüngeren Trauerspiel „Rhadamiste et Zénobie“.

33-1 Iwan III. (1462—1505).

34-1 Vgl. S. 5.

34-2 Vgl. S. 7.

34-3 Philipp Verheyen, belgischer Anatom († 1710).

35-1 So hatte der König auch bei der Neubegründung der Berliner Akademie (1744) die Hebung der geistigen Kultur Preußens im Auge.

37-1 Maria Josepha.

37-2 Maria Amalia, Gemahlin des Kurfürsten Karl Albert.

37-3 Graf Alexander Joseph Sulkowski, kursächsischer Kabinettsminister und General; 1738 gestürzt.

37-4 Maria Theresia, die Tochter Kaiser Karls VI.

38-1 Karl Albert (1726—1745), Sohn von Maximilian Emanuel (1679—1726).

38-2 Während des Türkenkrieges von 1736—1739.

38-3 Klemens August.

38-4 Philipp Karl, Graf von Eltz.

38-5 Franz Georg, Graf von Schönborn.

39-1 Karl Philipp.

39-2 Karl Leopold.

39-3 1438—1740.

40-1 Karl Emanuel III. (1701—1773).

41-1 Viktor Amadeus II. (1666—1732).

41-2 Gemeint ist der Wiener Friede von 1738.

41-3 Im November 1704 führte Graf Mathias Johann von der Schulenburg die sächsischen Truppen aus Polen durch Schlesien glücklich nach Sachsen zurück, verlor 1706 die Schlacht bei Fraustadt, er trat 1715 in venezianische Dienste und erwarb sich 1716 besonderen Ruhm durch die Verteidigung von Korfu gegen die Türken.

41-4 Vgl. S. 26.

41-5 In den Jahren 1501—1503.

42-1 Am 25. Mai 1734.

42-2 Maria Amalia.

42-3 Elisabeth Farnese, die Mutter des Infanten Don Carlos.

42-4 Franz III.

42-5 Gestorben 6. Februar 1740.

43-1 1730. Er trat zum Islam über und hieß seitdem Achmed Pascha.

44-1 Anmerkung des Königs: Maupertuis (1736), La Condamine (1735).

47-1 Marcus Porcius Cato Priscus, der Sieger über Spanien (195), und Lucius Ämilius Paullus Macedonicus, der Sieger von Pydna (168).

50-1 Erweiterungen im Laufgraben.

50-2 Das erste Freibataillon wurde im Herbst 1756 errichtet.

50-3 Friedrich Wilhelm l. befahl 1721 zuerst die Aufstellung einer Husarenschwadron.

51-1 Ilias, 13. Gesang, Vers 20.

52-1 Im Frieden von Utrecht 1713 trat Spanien Gibraltar und Minorka an England ab.

52-2 Im Frieden von Utrecht 1713 den Königstitel und 1720 Sardinien.

52-3 Vgl. S. 26.

52-4 Karl II.,
     König von Spanien († 1700).

53-1 Vgl. S. 29. 30.

54-1 In der Fassung von 1746 sagt der König noch deutlicher: „Die Fürsten, welche die Leidenschaft der Vergrößerung beseelt, werden sich, wenn die Gelegenheit kommt, auf Frankreichs Seite stellen; die aber, die den Reichtum dem Ruhme vorziehen, werden sich England anschließen.“

54-2 Vgl. S. 4.

54-3 Vgl. S. 3.