<112> Winterquartiere. Der König blieb in Breslau, um selbst über alles zu wachen und die nötigen Maßregeln zur Ergänzung und Wiederherstellung des Heeres zu treffen, damit der nächste Feldzug frühzeitig eröffnet werden konnte.

Der Vollständigkeit halber müssen wir noch berichten, was in Preußen zwischen Lehwaldt und Apraxin vorfiel und was die Schweden in Pommern taten. Im Juni näherte sich Feldmarschall Apraxin mit 100 000 Mann der preußischen Grenze. Das Gros seiner Armee marschierte auf Grodno, die Hauptstadt von Polnisch-Litauen, indes Fermor, von der russischen Flotte unterstützt, mit 20 000 Mann Memel belagerte. Die Stadt kapitulierte am 5. Juli. Lehwaldt hatte sich zur Verteidigung des Pregelufers entschlossen und zu diesem Zweck ein Lager bei Insterburg bezogen, von wo er Apraxin beobachtete. Nach der Einnahme von Memel drang die feindliche Armee in Preußen ein und rückte gegen Insterburg. Von der andern Seite ging Fermor gegen den Pregel vor. Dies wäre wohl für Lehwaldt der richtige Augenblick zum entscheidenden Schlage gegen einen der beiden Generale gewesen. Vielleicht aber fand er dazu keine günstige Gelegenheit. Das Fermorsche Korps, das bis Tilsit gekommen war, erregte seine Besorgnis. Er fürchtete, umgangen zu werden, und zog sich auf Wehlau zurück. Er hatte bei seiner Armee zwei Husarenregimenter von höchstens 2 400 Mann. Trotzdem leisteten sie nicht nur 12 000 Tataren und Kosaken, die bei der russischen Armee waren, Widerstand, sondern errangen während des Feldzuges auch noch beträchtliche Erfolge über jene Barbaren. Da Apraxin nach Lehwaldts Rückzug völlig freie Hand hatte, so vereinigte er sich bei Insterburg mit Fermor. Dann rückten beide an der Alle entlang vor und lagerten bei Groß-Jägersdorf, anderthalb Meilen von der preußischen Armee.

Der König hatte Lehwaldt freie Hand gelassen, nach eignem Ermessen zu handeln, erstens wegen der großen Entfernung zwischen beiden Armeen und zweitens, weil die das Heer des Königs umschwärmenden Streifscharen solche wichtigen Briefschaften leicht hätten abfangen können. Lehwaldt befürchtete, ein russisches Korps könnte auf Königsberg vorrücken, dessen Festungswerke zur Verteidigung allzu weitläufig waren, und die Hauptstadt mit den dortigen Magazinen wegnehmen, während er selbst durch Apraxin in Schach gehalten wurde. So glaubte er denn, den Feind von diesem Unternehmen nur abhalten zu können, indem er ihm eine Schlacht lieferte. Er beschloß, ihn in seinem Lager bei Groß-Jägersdorf anzugreifen. Am 29. August brach er auf und rückte in ein Gehölz, wo er den Russen gerade in der Flanke stand. Hätte er jetzt sofort angegriffen, so hätte er wahrscheinlich den Sieg davongetragen. Er verfügte zwar nur über 24 000 Mann, konnte aber doch auf Erfolg rechnen, da die Russen auf einen Angriff nicht gefaßt und über Lehwaldts Erscheinen bestürzt waren. In ihrem Lager herrschte große Verwirrung. Ihre Stellung war schlecht, und nichts hinderte Lehwaldt, stracks auf sie loszumarschieren. Es ist unerfindlich, aus welchen Gründen er das, was er sofort ausführen konnte, auf den folgenden Tag verschob.