<162> darauf gerechnet, daß Preußen Hannover angreifen werde und daß er dann mit Rußlands Hilfe Schlesien zurückerobern könne. Der Streich war ihm also mißlungen. Graf Kaunitz, der Leiter der österreichischen Politik, hatte seit der Zeit seiner Pariser Gesandtschaft den Plan eines Bündnisses zwischen Österreich und Frankreich gefaßt. Von langer Hand und mit Hilfe aller erdenklicher Schmeicheleien hatte er auf die Marquise von Pompadour eingewirkt, um sie dem Gedanken jenes Bündnisses geneigt zu machen. Nun arbeitete er an der Beschleunigung seines Vorhabens. Da ihm aber der Abschluß des französischen Bündnisses noch nicht genügte und seine Pläne weitergingen, wollte er sich zunächst Rußlands versichern. Brachte er diesen Dreibund zustande, so glaubte er seiner Gebieterin ein entscheidendes Übergewicht in allen europäischen Fragen zu sichern. Er gewann Schuwalow und versprach Woronzow1 seine Unterstützung und die Erhebung auf den höchsten Posten. Sobald der Erfolg in Rußland den Erwartungen des Grafen Kaunitz entsprach, ging er an den Abschluß des Versailler Vertrages2, und Keith erhielt jene so wenig befriedigende und so lange erwartete Antwort3.

Dank diesem glücklichen Anfang schwoll dem Wiener Hofe der Mut. Er wollte seine vorteilhafte Lage ausnutzen und hielt die neuen Bündnisse für das Triumvirat des Augustus, Antonius und Lepidus. Nach dem Vorbild dieser Triumvirn ächtete man und opferte einander gekrönte Häupter Europas. Die Kaiserin überließ England und Holland der Rache Frankreichs, und der Versailler Hof opferte Preußen dem Ehrgeiz der Kaiserin. Diese nahm sich das Verhalten des Augustus zur Richtschnur, der die Macht seiner Amtsgenossen benutzt hat, um seine eigne Macht zu vergrößern und sie dann einen nach dem andern zu stürzen.

Der Wiener Hof verfolgt mit seinen gegenwärtigen Schritten drei Absichten zugleich. Er will seinen Despotismus in Deutschland aufrichten, die Protestanten unterdrücken und Schlesien zurückerobern. Den König von Preußen betrachtet er als das größte Hindernis seiner weitausschauenden Pläne. Ist ihm erst dessen Niederwerfung geglückt, so glaubt er, alles übrige werde dann von selbst in Erfüllung gehen. Aus seinen letzten Schritten am Kasseler Hofe4 und aus der Art, wie er die Protestanten in seinen Staaten, sowohl in Ungarn wie in Steiermark, behandelt5, haben wir erst kürzlich ersehen, daß die ihm zugeschriebenen Absichten nur zu wahr sind.

Gutem Vernehmen nach wird die Kaiserin, sobald sie den Krieg gegen Preußen eröffnet hat, die 24 000 Mann Hilfstruppen beanspruchen, die ihr im Versailler Ver-


1 Graf Iwan Schuwalow (vgl. S. 118); Graf Michael Woronzow, Vizekanzler.

2 Am 1. Mai 1756 (vgl. S. 34).

3 Der englische Gesandte in Wien, Robert Murray Keith, war beauftragt, kategorische Erklärungen über die österreichisch-französischen Verhandlungen, die zum Versailler Vertrage führten, zu fordern, hatte aber nur eine ausweichende Antwort erhalten.

4 Der Wiener Hof suchte den zum Katholizismus übergetretenen Erbprinzen Friedrich zur Flucht nach Wien zu bestimmen. Auf die Beschwerden des Landgrafen Wilhelm VIII. antwortete er ausweichend.

5 Gemeint sind die Verfolgungen der Protestanten.