<218>lichen Generale zu vereiteln? Darauf erwidere ich dreist: diese Regel ist nicht allgemein gültig. Bei der Belagerung von Dünkirchen griff Turenne Don Juan d'Austria, den Prinzen Condé und Estevan de Gamare in den Dünen an1, schlug sie und eroberte die Stadt. Als Ludwig XIV. Mons belagerte, schlug sein Bruder, der Herzog von Orleans, oder vielmehr der Marschall von Luxemburg, der die Beobachtungsarmee befehligte, bei Mont-Cassel den Prinzen von Oranien, der der Stadt zu Hilfe eilen wollte2. Auch Prinz Eugen schlug die Türken bei Belgrad3. Während der Belagerung von Tournai schlug der Marschall von Sachsen den Herzog von Cumberland bei Fontenoy4, und den Marschällen La Feuillade und Marsin wird mit Recht der Vorwurf gemacht, daß sie ihre Verschanzungen bei Turin nicht verlassen haben, um dem Prinzen Eugen entgegenzutreten, der mit Riesenschritten auf Turin rückte5. So verlor Frankreich im Jahre 1706 Italien einzig und allein deshalb, weil die Franzosen in ihren Verschanzungen blieben, statt sich dem Vorrücken des Prinzen Eugen entgegenzustellen. Ich glaube, das sind Beispiele genug zur Rechtfertigung eines heutigen Heerführers, der den großen Vorbildern folgen und, fehlt es ihm an Erfahrung, sich an sein Gedächtnis halten soll. Aber nicht genug damit: ich will auch die besonderen Gründe anführen, die mich zu meinem Entschlusse bestimmten.

Fast ganz Europa hatte sich gegen Preußen verbündet. Ich durfte nicht abwarten, bis alle meine Feinde mit vereinten Kräften über mich herfielen. Der Herzog von Cumberland brauchte Hilfe6. Die Reichstruppen versammelten sich. Wären im Juli 30 000 Preußen ins Reich eingerückt, so hätten sie dies Phantom von Reichsarmee in alle Winde zerstreut und am Ende noch die Franzosen aus Westfalen herausgeworfen. Die Staatsraison gebot also, sich des nächststehenden Feindes zu entledigen, um freie Hand gegen die anderen zu bekommen.

Dazu traten mehrere strategische Gründe. Erstens wurde die Beschaffung von Fourage für die Belagerungsarmee, besonders für die Truppen bei Michle, immer schwieriger. Ein Umkreis von drei Meilen mußte ihr sichergestellt werden, damit sie ihren Unterhalt fand. Zweitens mußte sie nach Aurzinowes und der Sazawa hin geschützt werden, von wo der Feind große Detachements vorschicken konnte. Sonst hätten die Österreicher die Einschließungstruppen im Rücken angreifen können, und dann wäre es den Belagerten leichtgefallen, die Blockade an irgend einer Stelle zu durchbrechen und zu entkommen. Nun aber vermochte ich für die Beobachtungsarmee keine Stellung zu finden, die allen diesen Ansprüchen genügte. Daun hatte mehr als 15 000 Mann leichter Truppen. Sobald die Stellung bei Kuttenberg aufgegeben war, konnte die preußische Armee, die bei Kaurzim stand, nicht zugleich die


1 14. Juni 1658.

2 Prinz Wilhelm III. von Oranien wurde am 9. April 1677 von den Franzosen bei Mont-Cassel geschlagen, als er das von ihnen belagerte St. Omer (nicht Mons, wie der König schreibt) entsetzen wollte.

3 16. August 1717.

4 11. Mai 1745 (vgl. Bd. II, S. 206 f.).

5 Die Folge war die Niederlage der Franzosen bei Turin am 7. September 1706 (vgl. Bd.. VII, S.90).

6 Vgl. S. 86 f.