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4. Kapitel

Feldzug des Jahres 1756.

Einmarsch in Sachsen. Das berühmte Lager bei Pirna. Einmarsch in Böhmen. Schlacht bei Lobositz. Feldzug des Feldmarschalls Schwerin. Zurückwerfung des Entsatzheeres aus Schandau. Gefangennahme der Sachsen. Kette der Winterquartiere.

Gleich bei Beginn des Krieges war es notwendig, eine Einmischung der Sachsen, die den Preußen gefährlich werden konnte, zu verhindern. Wollte man den Kriegsschauplatz nach Böhmen verlegen, so mußte man durch Sachsen marschieren, und machte man sich nicht zum Herrn Sachsens, so behielt man einen Feind im Rücken, der den Preußen die Schiffahrt auf der Elbe sperren und sie so zum Verlassen Böhmens nötigen konnte. Das lag völlig in der Hand des Königs von Polen. So hatten es die Sachsen ja schon im Kriege von 1744 gemacht, wo sie den preußischen Truppen den Wasserweg verlegt und sie um die Früchte ihrer Operationen gebracht hatten. Wenn man jetzt die gleiche Absicht bei ihnen voraussetzte, so stützte man sie keineswegs auf leere Vermutungen. Man hatte ja die Beweise ihres bösen Willens in Händen! Es wäre also ein unverzeihlicher politischer Fehler gewesen, aus bloßer Schwäche einen Fürsten zu schonen, der mit dem Hause Österreich verbündet war41-1 und sich offen gegen Preußen erklärt hätte, sobald er es ungestraft wagen konnte. Da der König von Preußen überdies voraussah, daß der größte Teil Europas sich zum Angriff auf ihn rüsten würde, so konnte er die Mark Brandenburg nur dadurch decken,<42> daß er Sachsen besetzte, was außerdem den Vorteil bot, daß er den Kriegsschauplatz von der Umgegend von Berlin in Feindesland verlegte. Er beschloß also, den Krieg nach Sachsen zu tragen, sich der Elbe zu bemächtigen und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den Versuch zu machen, die sächsischen Truppen zu entwaffnen. Als einige preußische Regimenter nach Pommern aufbrachen42-1, nahmen die sächsischen Truppen eine Stellung zwischen der Elbe und Mulde ein. Nicht lange danach rückten sie wieder in ihre gewöhnlichen Quartiere, und bald darauf zogen sie sich abermals in Kantonnementsquartieren zusammen. Alle diese Hin- und Hermärsche vermochten den König nicht zu täuschen. Er wußte genau, daß der Dresdener Hof die Absicht hatte, seine Armee im Lager von Pirna zu versammeln. Da die Sachsen in unangreifbarer Stellung standen, glaubten sie, die verheißene Hilfe der Österreicher mit völliger Sicherheit abwarten zu können. Derweilen hofften sie, die Preußen durch nichtige Unterhandlungen hinzuhalten. Ohne sich also um die verschiedenen Märsche der sächsischen Truppen zu kümmern, blieb der König bei dem Plane, die Armee unverzüglich nach den böhmischen Pässen vorzuschieben.

Der König teilte sein Heer in drei Korps. Zum Vereinigungspunkt dieser Kolonnen wurde Pirna bestimmt. Das erste Korps unter dem Prinzen Ferdinand von Braunschweig marschierte von Magdeburg über Leipzig, Borna, Chemnitz, Freiberg und Dippoldiswalde nach Cotta. Die zweite Kolonne, bei der sich der König befand, schlug den Weg über Pretzsch ein. Prinz Moritz von Dessau nahm Wittenberg, stieß mit seinem Detachement dann wieder zum Hauptkorps und ging bei Torgau über die Elbe. Von da rückte der König über Strehlen und Lommatsch nach Wilsdruff. Dort traf die bestimmte Meldung ein, die ganze sächsische Armee sei nach Pirna marschiert, König August befände sich in Person bei ihr und Dresden sei unbesetzt, obgleich die Königin42-2 dort zurückgeblieben wäre. Der König von Preußen ließ die Königin begrüßen und rückte mit seinen Truppen in die feindliche Hauptstadt ein. Die Disziplin war so vorzüglich, daß sich niemand zu beklagen brauchte. Die Preußen lagerten in der Nähe von Dresden, rückten am folgenden Tage gegen Pirna vor und nahmen Stellung zwischen Elbe, Groß-Sedlitz und Zehista. Die dritte Kolonne unter dem Herzog von Bevern42-3 marschierte durch die Lausitz. Bei Elsterwerda stießen 25 Schwadronen Kürassiere und Husaren aus Schlesien zu ihr, dann rückte sie über Bautzen, Stolpen und Lohmen weiter. Gleichzeitig erreichte Prinz Ferdinand Cotta. Somit waren die sächsischen Truppen durch die Vereinigung der drei Kolonnen in der Gegend von Pirna auf allen Seiten umzingelt. Trotzdem die verschiedenen Heere sich so dicht gegenüberstanden, kam es doch zu keinem Zwischenfall, keiner Feindseligkeit. Die Sachsen ertrugen ihre Aushungerung mit großer Artigkeit, und jede Partei war bemüht, ihre Stellung nach Möglichkeit zu befestigen. Um Zeit zu gewinnen, fing der König von Polen Unterhandlungen an, denn es war für die Sachsen<43> leichter zu schreiben als zu kämpfen. Mehrfach machte er Vorschläge, die aber mangels greifbaren Inhalts alle abgelehnt werden mußten. Sein Trachten ging nach vollkommener Neutralität, aber dazu konnte der König von Preußen nicht die Hand reichen. Waren ihm doch die Verbindungen des Königs von Polen mit den Höfen von Österreich, Rußland und Frankreich nur zu gut bekannt.

Nun erfüllte das Geschrei der Sachsen ganz Europa. Sie verbreiteten die beleidigendsten Nachrichten über den Einbruch der Preußen in ihr Land. Eine Aufklärung der Öffentlichkeit über alle ihre Verleumdungen war daher notwendig. Denn widerlegte man sie nicht, so erschienen sie am Ende glaubhaft und hätten die ganze Welt mit Vorurteilen gegen das Vorgehen des Königs von Preußen erfüllt. Schon längst besaß der König eine Abschrift der Verträge des Königs von Polen und der Berichte seiner Gesandten an den auswärtigen Höfen. Aber wenn diese Schriftstücke das Vorgehen der Preußen auch voll rechtfertigten, so konnte man doch keinen Gebrauch davon machen; denn veröffentlichte man sie, so hätten die Sachsen sie für untergeschobene und frei erfundene Dokumente erklärt, deren einziger Zweck die Rechtfertigung eines verwegenen Unternehmens war, das sich nur mit Lügen verteidigen ließe. Daher mußte man auf die Originaldokumente zurückgehen, die sich noch im Dresdener Archiv befanden. Der König gab Befehl zu ihrer Beschlagnahme; sie waren bereits verpackt und sollten gerade nach Polen geschickt werden.

Die Königin erfuhr von dem geplanten Vorhaben der Preußen und wollte es hintertreiben. Nur mit Mühe konnte man ihr begreiflich machen, daß sie besser täte, dem König von Preußen zu willfahren und sich nicht gegen seine Anordnungen zu sträuben, die zwar härter als beabsichtigt, aber trotzdem ein Gebot der Notwendigkeit seien. Man fertigte aus den sächsischen Archivalien zunächst einen Auszug an, der unter dem Titel „Beweisschriften und Urkunden“ veröffentlicht wurde43-1.

Während dieser Beschlagnahme im Dresdener Schlosse standen die preußischen und sächsischen Truppen sich untätig gegenüber. Der König von Polen wiegte sich in der Hoffnung auf Entsatz durch die österreichischen Hilfstruppen, und der König von Preußen konnte nichts gegen eine Stellung unternehmen, gegen die weder die Zahl noch die Tapferkeit seiner Truppen etwas vermochten. Zum Verständnis der nachfolgenden Ereignisse dürfte es angebracht sein, das berühmte Lager von Pirna und die Stellung der sächsischen Truppen etwas eingehender zu beschreiben. Es hatte der Natur gefallen, in diesem eigenartigen Gelände eine Art Festung zu schaffen, der die Kunst wenig oder garnichts hinzuzufügen brauchte. Im Osten der sächsischen Stellung fließt die Elbe zwischen Felsen, die ihren Lauf hemmen und sie um so reißender machen. Der rechte Flügel der Sachsen lehnte sich an die kleine Festung<44> Sonnenstein an der Elbe. In einer Niederung am Fuße der Felsen liegt die Stadt Pirna, nach der das Lager benannt wird. Die Nordfront dehnte sich bis an den Kohlberg aus, der gleichsam das Bollwerk dieses natürlichen Walles war. Davor zieht sich eine Schlucht von 60 bis 80 Fuß Tiefe links um das ganze Lager herum und endet am Fuß des Königsteins. Am Kohlberg, der eine Art von ausspringendem Winkel bildet, beginnt mit der Front nach Westen eine Felsenkette, deren Gipfel die Sachsen besetzt hatten. Sie läßt Rottwerndorf vor sich liegen und endigt, immer schmaler werdend, über Struppen und Leupoldishain am Elbufer bei Königstein. Die Sachsen waren zu schwach zur Besetzung des ganzen Umfangs der Stellung, die auf allen Seiten in unzugänglichen Felsen abstürzt. Sie begnügten sich also, die schwierigen Zugänge, auf denen allein man an sie herankonnte, stark zu besetzen und sie durch Verhaue, Schanzen und Palisaden zu befestigen. Dazu lieferten die ausgedehnten Fichtenwälder auf den Berghöhen Holz in Fülle.

Wer das Lager genau geprüft hat und es bis ins einzelne kennt, muß es als eine der stärksten Stellungen in Europa ansehen und gegen Angriff und Überrumpelung für völlig gesichert halten. Nur Zeit und Hunger konnten so starke Hindernisse überwinden. So wurde denn beschlossen, das Lager eng einzuschließen, den sächsischen Truppen die Zufuhr aller Lebensmittel aus der Umgegend abzuschneiden, kurz, wie bei einer regelrechten Belagerung zu verfahren. Zu dem Zweck bestimmte der König einen Teil seiner Truppen zur Umzingelung des Lagers, während der andere als Beobachtungskorps verwandt wurde. Die Maßregel war die beste, die man unter den obwaltenden Umständen treffen konnte. Sie war um so richtiger, als die Sachsen sich in großer Hast in ihre Felsenfestung zurückgezogen und zur Ansammlung großer Vorräte keine Zeit mehr gehabt hatten. Das Vorhandene reichte höchstens für zwei Monate aus.

Alsbald besetzten die preußischen Truppen alle Wege, auf denen Entsatz oder Lebensmittel zu den Sachsen gelangen konnten. Der Herzog von Bevern nahm mit seiner Abteilung die Stellungen bei Lohmen, Wehlen, Ober-Rathen und Schandau längs der ganzen Elbe ein. Sein rechter Flügel blieb in Verbindung mit der Abteilung des Königs vermittelst einer Brücke, die bei der Ziegelbrennerei geschlagen war. 10 Bataillone und 10 Schwadronen, die in der Nähe des Königs lagerten, besetzten die Gegend von der Elbe und dem Dorfe Groß-Sedlitz bis nach Zehista. Dort begann die Abteilung des Prinzen Moritz, die sich durch einzelne nach Leupoldishain, Markersbach, Langen-Hennersdorf und Hellendorf vorgeschobene Detachements bis über Cotta ausdehnte. Alles in allem dienten 38 Bataillone und 30 Schwadronen zur Einschließung des sächsischen Lagers. Den Befehl über das Beobachtungskorps, das aus 29 Bataillonen und 70 Schwadronen bestand, führte Feldmarschall Keith.

Prinz Ferdinand von Braunschweig rückte mit der Avantgarde in Böhmen ein (13. September). Nach dem Durchmarsch durch Peterswald stieß er bei Nollendorf auf den österreichischen General Wied mit zehn Grenadierbataillonen und entsprechender<45> Kavallerie und vertrieb ihn. Die Österreicher ergriffen die Flucht, der Prinz setzte seinen Vormarsch fort. Unmittelbar darauf ging Feldmarschall Keith gegen Aussig vor und bezog bei Johnsdorf ein Lager. Von dort detachierte er General Manstein45-1, der sich des Schlosses Tetschen bemächtigte45-2, um die Schiffahrt auf der Elbe zu sichern. Dabei blieben die Dinge in Sachsen und in Nordböhmen bis Ende September stehen.

Auf österreichischer Seite hatte General Piccolomini in der Nähe von Königgrätz auf den Höhen zwischen dem Zusammenfluß der Elbe und Adler eine starke Stellung bezogen. Das Lager war in Form eines Winkels angelegt und von allen Seiten gleich unangreifbar. Feldmarschall Schwerin rückte mit seiner Armee aus der Grafschaft Glatz vor, zuerst bis Nachod, dann gegen die Ufer der Mettau und schließlich bis nach Aujezd. Dort trat ihm General Buccow mit einem Kavalleriekorps entgegen, ließ sich aber völlig schlagen und verlor dabei 200 Mann45-3. Gegen Piccolomini aber konnte Schwerin bei der Stellung der Österreicher nichts ausrichten. Belagerung und Schlacht waren gleich unmöglich, kurz, ein herzhafter Entschluß ließ sich nicht fassen. Da überdies die Jahreszeit schon stark vorgerückt war, so begnügte sich der Feldmarschall damit, alle Lebensmittel, die er in Böhmen fand, aufzubrauchen. Er fouragierte bis unter die Kanonen der kaiserlichen Armee, ohne daß Piccolomini sich darum zu kümmern schien. Eine preußische Husarenabteilung schlug 400 feindliche Dragoner bei Hohenmauth und nahm die meisten gefangen45-4. Damit fanden Schwerins Operationen zunächst ein Ende; denn Piccolomini hütete sich wohl, die geringste Bewegung zu machen, und hielt sich sorgfältig in seinem Lager zurück, das stärker war als manche Festung.

Zu großen Kämpfen konnte es für dieses Jahr nur bei der Armee des Königs kommen. Dort waren zunächst die Sachsen gefangen zu nehmen und ein etwaiges Entsatzheer zurückzutreiben. Indes wurde die Lage von Tag zu Tag schwieriger und verwickelter. Das Lager von Pirna war zwar derart eingeschlossen, daß weder Lebensmittel noch Hilfstruppen hineinkonnten, aber es war doch völlig unmöglich, all die Pfade zu besetzen, die durch die umliegenden Wälder und Felsen führten. So kam es, daß der König von Polen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, noch immer Verbindung mit dem Wiener Hof unterhielt, und so erfuhr man Ende September, daß Feldmarschall Browne von seinem Hof Befehl erhalten hatte, die bei Pirna eingeschlossenen Sachsen um jeden Preis zu entsetzen. Der Feldmarschall war bis Budin vorgerückt (20. September). Er hatte drei Möglichkeiten zur Ausführung seines Planes. Entweder mußte er gegen Feldmarschall Keith vorgehen und dessen Armee schlagen, was indessen nicht leicht war, oder er konnte über Bilin und Teplitz marschieren und über Sebastiansberg oder Hellendorf in Sachsen eindringen. Dabei<46> hätte er freilich dem Feldmarschall Keith seine Flanke entblößt und sich außerdem der Gefahr ausgesetzt, alle zwischen Budin und Prag angelegten Magazine zu verlieren. Drittens hatte er die Möglichkeit, ein Detachement auf das rechte Elbufer hinüberzuwerfen und über Böhmisch-Leipa, Schluckenau und Rumburg gegen Schandau zu rücken. Aber das letztere konnte zu keiner wirklichen Entscheidung führen, weil die Preußen über ihre Brücke bei Schandau Hilfe in jene Gegend schicken konnten und das Gelände nach Ober-Rathen und Schandau hin durchschnitten, schwierig und zu Plänkeleien und Belästigungen geeignet war. Außerdem befanden sich dort ziemlich schlechte Straßen, sodaß ein einziges Bataillon eine ganze Armee aufhalten konnte.

Da der Ausgang dieser Krisis den ganzen Feldzug entscheiden mußte, so hielt der König seine Gegenwart in Böhmen für nötig, um selbst Maßnahmen gegen die Pläne seiner Feinde zu treffen. Am 28. kam er im Lager von Johnsdorf an. Dort standen die Truppen auf einem schmalen, von Anhöhen beherrschten Gelände, mit dem Rücken gegen eine steile Felswand, sodaß man im Fall eines Gefechts nur sehr schwer Hilfe von einem Teil des Lagers zum andern schicken konnte. So wie die Stellung war, hätte man sie beim Anmarsch des Feindes doch aufgeben müssen, und darum wurde sie am nächsten Tage geräumt.

Feldmarschall Browne war noch zu weit entfernt, um Nachrichten über ihn zu erhalten. Da es wichtig war, seine Bewegungen aus der Nähe zu beobachten, marschierte der König an der Spitze einer Avantgarde von 8 Bataillonen und 20 Schwadronen auf Türmitz. Dort erfuhr er, daß Feldmarschall Browne am folgenden Tage die Eger bei Budin überschreiten wollte. Das war der rechte Augenblick, sich ihm zu nähern, um sich Klarheit über seine Pläne zu verschaffen und ihm bei günstiger Gelegenheit eine Schlacht zu liefern. So wie die Dinge lagen, waren die Pläne der beiden Armeeführer einander derart entgegengesetzt, daß es notwendig zu einer Entscheidung kommen mußte, mochte nun Feldmarschall Browne sich mit dem Degen in der Hand den Weg nach Sachsen bahnen oder nur Detachements vorschieben.

Am 30. folgte die Armee dem König in zwei Kolonnen. Kaum hatte die Avantgarde die Höhe des Paschkopole erreicht, so erblickte sie in der Ebene von Lobositz ein Lager, dessen rechter Flügel sich an Welhotta lehnte. Lobositz lag vor seiner Front und Sullowitz zur Linken. Der linke Flügel dehnte sich bis hinter den Teich von Tschischkowitz aus. Die preußische Avantgarde setzte den Marsch fort und vertrieb einige hundert Panduren aus Wellemin, wo sie eine Erkundungsstellung eingenommen hatten. Das Dorf liegt in einem Kessel von zuckerhutartig geformten Felsen. Indes beherrschten sowohl die umliegenden Höhen wie der Felskessel selbst die Ebenen ringsum. Eiligst ließ der König seine Infanterie zur Besetzung der Weinberge und der Ausgänge auf die Ebene von Lobositz vorrücken. Die Truppen kamen um 10 Uhr an und verbrachten die Nacht im Biwak dicht hinter der Avantgarde, die dem Feind gegenüberstand.

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Am nächsten Tag, dem 1. Oktober, bei Morgengrauen, sollte das am Abend vorher entdeckte Lager rekognosziert werden. Aber ein dichter Nebel bedeckte die Ebene und verhüllte alle Gegenstände. Wie durch einen Schleier erblickte man das Dorf Lobositz und rechts und links davon zwei Kavallerieabteilungen, jede scheinbar zu 5 Schwadronen. Nun ließ der König die Armee aufmarschieren. Eine Infanteriekolonne formierte sich rechts, eine andere links, die Kavallerie bildete das zweite Treffen. Denn da das Gelände für die kleine Armee des Königs gar zu ausgedehnt war, so brauchte er 20 Bataillone zum ersten Treffen, und ihm blieben nur 4 zur Reserve. Die übrigen waren entweder zur Bedeckung der Magazine verwandt oder bei den Detachements.

Das Schlachtfeld, auf dem der König seine Truppen aufstellte, erweiterte sich nach links. Der Bergabhang nach Lobositz zu ist mit Weinbergen bedeckt. Steinerne Einfriedigungen in Brusthöhe grenzen die einzelnen Gehege ab. Feldmarschall Browne hatte diese Gehege mit Panduren besetzt, um die Preußen aufzuhalten. So kam es, daß die Bataillone des linken Flügels, sobald sie in Front aufmarschiert waren, mit dem Feinde sofort handgemein wurden. Indes wurde das Feuer nur schwach unterhalten, und die Panduren leisteten keinen kräftigen Widerstand. Dadurch wurde der König in der vorgefaßten Meinung bestärkt, daß die Truppen, die er am Abend vorher in der Ebene hatte lagern sehen, sich zum Rückzug anschickten, und daß die in den Weinbergen feuernden Panduren samt der über der Ebene verbreiteten Kavallerie nur die Nachhut bilden sollten. Das war um so wahrscheinlicher, als man gar keine Spur von einer Armee entdeckte. Aber die Voraussetzung war falsch; denn die Truppen, die man bei Lobositz gesehen hatte, waren die Avantgarde des Feldmarschalls Browne. Die Österreicher erfuhren vom Anmarsch der preußischen Armee nicht eher etwas, als bis sie das Heer bei Wellemin hervorkommen sahen. Erst jetzt erhielt Feldmarschall Browne durch seinen Avantgardenkommandeur Meldung davon und stieß noch in der nämlichen Nacht mit seiner Armee bei Lobositz zu ihm.

Der dichte Nebel dauerte bis gegen 11 Uhr und zerstreute sich erst gänzlich, als der Kampf beinahe zu Ende war. In der Annahme, daß man nur die österreichische Nachhut vor sich hätte, wurden einige Kanonenschüsse auf die feindliche Kavallerie abgefeuert. Sie wurde unruhig und änderte mehrfach ihre Stellung und Formation. Bald stellte sie sich staffelförmig auf, bald in drei Linien, dann wieder in einer Front. Bisweilen zogen sich fünf bis sechs Haufen nach links und verschwanden. Bald erschienen sie in größerer Anzahl wieder. Endlich hatte der König diese unnützen und zeitraubenden Bewegungen satt. Wenn er die feindliche Kavallerie durch 20 Schwadronen Dragoner attackieren ließ, glaubte er die Nachhut schnellstens zu zerstreuen und so dem Kampf ein Ende zu machen. Die Dragoner rückten daher von den Höhen herab, formierten sich an ihrem Fuß unter dem Schutze der preußischen Infanterie, griffen die feindliche Kavallerie an und warfen alles, was sich ihnen entgegenstellte, über den Haufen. Bei der Verfolgung der Fliehenden erhielten sie aus dem Dorfe<48> Sullowitz Gewehr- und Geschützfeuer von vorn und in der Flanke, sodaß sie wieder in die Stellung am Fuß der Weinberge zurückmußten. Erst jetzt begriff man, daß man es nicht mit der Nachhut zu tun hatte, sondern Feldmarschall Browne mit der ganzen österreichischen Armee gegenüberstand.

Der König wollte seine Kavallerie zurückziehen und sie wieder auf die Höhen ins zweite Treffen stellen, aber infolge von Mißverständnissen, wie sie an Schlachttagen unglücklicherweise so häufig sind, hatten sich alle Kürassiere bereits mit den Dragonern vereinigt. Noch ehe ihnen der Adjutant den Befehl des Königs überbringen konnte, attackierten sie in ihrem Ungestüm und in dem Wunsche, sich auszuzeichnen, zum zweitenmal und hatten die feindliche Reiterei bald geworfen. Obgleich ihnen abermals das Feuer entgegenschlug, das schon die Dragoner in ihre alte Stellung zurückgetrieben hatte, verfolgten sie die Österreicher bis auf 3 000 Schritt. Von ihrem eignen Ungestüm fortgerissen, setzten sie über einen 10 Fuß breiten Graben. 300 Schritt dahinter deckte ein noch breiterer Graben die feindliche Infanterie. Sofort ließ Feldmarschall Browne 60 Geschütze seiner Batterien auf die preußische Kavallerie feuern, wodurch sie abermals zum Rückzug und zur Aufstellung am Fuße der Höhen gezwungen wurde. Das geschah aber in voller Ordnung und ohne Verfolgung von seiten des Feindes. Um eine nochmalige Übereilung der Kavallerie zu verhüten, schickte der König sie wieder ins zweite Treffen hinter die Infanterie.

Während die Kavallerie zurückkam, begann das Feuer der Linken lebhafter und stärker zu werden. Feldmarschall Browne wollte den Spieß umdrehen. Als er sah, daß man ihn angreifen wollte, beschloß er, lieber selbst anzugreifen. Zu dem Zweck hatte er 20 Bataillone hinter Lobositz vorrücken lassen. Sie schlängelten sich hintereinander an der Elbe entlang, kamen den in den Weinbergen kämpfenden Panduren zu Hilfe und versuchten sogar, die linke Flanke der Preußen zu umgehen. Aber die preußische Infanterie warf sie tapfer zurück und eroberte einen Weingarten nach dem andern. Dann drang sie in die Ebene vor und verfolgte einige feindliche Bataillone, die sich vor Schreck in die Elbe stürzten. Ein andrer Haufe von Flüchtlingen warf sich in die nächsten Häuser von Lobositz und schickte sich zur Verteidigung an. Nun wurden einige Bataillone vom rechten preußischen Flügel zur Verstärkung des linken Flügels abgeschickt, sodaß er sich nun an die Elbe lehnen konnte. In dieser Formation rückte er keck und entschlossen auf Lobositz vor, ohne daß der rechte Flügel der Preußen seinen Stützpunkt auf den Höhen verließ. Die Grenadiere schossen durch Fenster und Türen in die Häuser und legten endlich Feuer an, um schneller zum Ziele zu kommen. Obgleich die Angreifer sich verschossen hatten, drangen die Regimenter Itzenplitz und Manteuffel mit gefälltem Bajonett in Lobositz ein und zwangen neun frisch von Browne herbeigeschickte Bataillone zur Räumung des Ortes und zu schimpflicher Flucht. Nun wichen alle feindlichen Truppen auf diesem Flügel und überließen den Preußen den Sieg.

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Der König konnte den errungenen Vorteil nicht so ausnützen, wie er gewünscht hätte, denn er hatte eigentlich nur den rechten Flügel der Kaiserlichen geschlagen. Noch hielten sie das Dorf Sullowitz besetzt, und da ihr linker Flügel hinter dem obenerwähnten Graben stand, so konnte die preußische Kavallerie ihm nichts anhaben. Zugleich machte Feldmarschall Browne eine vorzügliche Bewegung: er zog einige Brigaden seines linken Flügels, die noch gar nicht im Feuer gestanden hatten, zur Deckung der zerstreuten Truppen vor, die in großer Unordnung aus Lobositz flohen. In der Nacht ging er zurück und ließ Leitmeritz durch ein Detachement besetzen, das die dortige Elbbrücke abbrach. Dann bezog der Feldmarschall mit dem Gros seines Heeres wieder das Lager von Budin und ließ alle Brücken über die Eger zerstören, um die Preußen am Überschreiten des Flusses zu hindern.

Bei Lobositz verloren die Preußen an Toten und Verwundeten 1 200 Mann und die beiden Generale von Quadt und von Lüderitz49-1. Sie machten nur 700 Gefangene, darunter den Fürsten Lobkowitz, einen kaiserlichen General. Hätte die Kavallerie am Schluß des Treffens eingreifen können, so wäre die Zahl der Gefangenen viel bedeutender gewesen49-2.

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Am Tage nach der Schlacht wurde der Herzog von Bevern mit 8 000 Mann nach Tschischkowitz detachiert, einem Dorfe rechts von der Stellung des Königs auf halbem Wege nach Budin. Von seinem Lager aus sandte er Abteilungen längs der Eger zur Rekognoszierung der Übergänge, aber mehr noch, um die Aufmerksamkeit und Besorgnis des Feldmarschalls Browne zu erregen. Diese Scheinbewegungen sollten Browne aufhalten und ihn daran hindern, dem König von Polen und den sächsischen Truppen zu Hilfe zu eilen.

Damit hatte es bei der böhmischen Armee sein Bewenden. Zu schwach, um irgend etwas gegen den Feind zu unternehmen, mußte sie sich auf Beobachtung beschränken. Der König konnte in der Tat nicht offensiv vorgehen. Um Browne wirklich zu beunruhigen, hätte er die Eger überschreiten müssen, aber dann hätte das österreichische Detachement bei Leitmeritz im Rücken der Preußen gestanden und ihnen ihr Magazin bei Aussig wegnehmen können. Überdies hätte man sich durch Überschreiten der Eger allzu weit von der Verteidigungslinie entfernt und wäre nicht imstande gewesen, rasche Hilfe nach Sachsen zu schicken. Entschloß man sich aber zur Einnahme von Leitmeritz, so war dadurch gar nichts gewonnen. Vielmehr wäre man noch in weit größere Verlegenheit geraten; denn durch die notwendige Besetzung des Ortes hätte man das Heer geschwächt und die Besatzung selbst der Gefahr ausgesetzt, beim ersten Angriff aufgehoben zu werden, da man die beherrschenden Höhen rings um die Stadt nicht besetzen konnte. Aus all diesen Gründen mußte sich der König mit einer siegreichen Schlacht zu Beginn des Krieges begnügen und sich darauf beschränken, Feldmarschall Browne an der Entsendung weiterer Detachements zu verhindern, oder falls dies doch geschah, ebenso starke Abteilungen dem Lager bei Pirna zu Hilfe zu senden.

Die preußische Armee in Böhmen war zwar nur halb so stark wie die kaiserliche, aber bei der vortrefflichen Disziplin der Truppen und der Tapferkeit der Offiziere fühlten sie sich dem Feinde wo nicht überlegen, so doch mindestens ebenbürtig. Mag man aber eine noch so gute Meinung von sich selbst haben, Sorglosigkeit ist und bleibt im Kriege doch immer gefährlich, und es ist besser, man treibt die Vorsicht zu weit, als daß man das Nötige außer acht läßt. Da nun die Österreicher der Zahl nach im Vorteil waren und der König obendrein zur Absendung von Detachements genötigt werden konnte, so ließ er einige Batterien errichten und die schwächsten Teile seines Lagers befestigen. Wie gut das war, sah man am 6. Oktober bei der Nachricht, Browne habe insgeheim einige Regimenter seiner Armee detachiert, und dieses auf 6 000 Mann geschätzte Korps rücke über Naudnitz nach Böhmisch-Leipa, um von dort die Straße nach Sachsen einzuschlagen. Obgleich das Detachement keinen Anlaß zu ernster Besorgnis gab, ließ der König dem Markgrafen Karl und dem Prinzen Moritz, die in Sachsen geblieben waren, doch Nachricht zukommen und rückte selbst mit einer Kavallerieverstärkung nach dem Lager von Groß-Sedlitz, wo nur noch 30 Schwadronen waren. Die allein hätten nicht genügt, um die Sachsen aufzuhalten, zumal wenn<51> sie einen Durchbruch nach Hellendorf und Teplitz versucht hätten. Der König rückte am 13. mit 15 Schwadronen von Lobositz ab und traf am 14. mittags bei seiner Armee in Struppen ein. Hier hatte der König von Polen in der ganzen Zeit während der Einschließung der Sachsen sein Hauptquartier gehabt.

Seit der König von Preußen an die Spitze seiner Armee in Böhmen getreten war, hatten die Dinge in Sachsen sich völlig geändert. Die Schlacht bei Lobositz hatte den sächsischen Hof überrascht. Er hoffte kaum mehr auf den Beistand der Kaiserlichen. Da die sächsischen Truppen überdies vom Hunger bedroht waren, so wollten ihre Generale den Versuch wagen, sich selbst einen Weg durch die Preußen zu bahnen. Ihr Plan ging dahin, sich über die Elbe zu retten. Sie versuchten daher eine Brücke bei Wehlstädtel zu schlagen, doch befand sich gerade gegenüber eine preußische Schanze, die einige ihrer Pontons in den Grund schoß und ihre Maßnahmen vereitelte. Nun änderten sie ihren Plan und schafften ihre Pontons nach Halbestadt, das ihnen als der geeignetste und passendste Ort zum Durchbruch erschien, zumal Browne ihnen aufs neue Beistand versprochen hatte.

Alles, was die feindlichen Heere in diesen Gegenden unternahmen, ist so eng mit der Bodengestaltung verknüpft, daß wir zum Verständnis des Lesers einen möglichst deutlichen Begriff vom Gelände geben müssen. Die Beschreibung der Stellung bei Pirna hat schon eine Vorstellung von ihrer Stärke gegeben. Aber ebenso schwer, wie einzunehmen, war sie auch zu verlassen. Ihr natürlicher und bequemster Ausgang liegt bei Leupoldishain. Wenn die Sachsen von ihren Felsen herabstiegen, so stand ihnen der Weg nach Böhmen über Hermsdorf und Hellendorf frei. Das soll nicht heißen, daß sie sich den Durchmarsch ohne Verluste erzwingen konnten, aber es schien doch, als könnten sie auf diesem Wege einen Teil ihrer Leute retten. Hatten sie erst Teplitz gewonnen, so waren die weiteren Hindernisse nicht groß, und niemand konnte es ihnen verwehren, sich über Eger mit den Österreichern zu vereinigen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach kannten die sächsischen Generale die Lage von Halbestadt, Burkersdorf, Schandau und vom Ziegenrück nicht. Insbesondere schienen sie nicht zu wissen, in welcher Weise die Preußen diese Gegend besetzt hielten; denn sonst hätten sie sich wohl niemals auf ein so unglückliches Unternehmen eingelassen.

Zwischen Schandau und dem Dorf Wendisch-Fähre stand General Lestwitz sehr vorteilhaft mit 11 Bataillonen und 15 Schwadronen. Ihm gegenüber lagerte sich nun Feldmarschall Browne, der an der Spitze seines Detachements in Sachsen eingerückt war. Die Österreicher besetzten die Dörfer Mittelndorf und Altendorf51-1, aber da sie Lestwitz über Vermuten stark sahen, so hüteten sie sich wohlweislich, ihn anzugreifen. Burkersdorf konnte Browne nicht erreichen, weil eine unwegsame Felsenkette dazwischen lag. Sich mit Lestwitz einzulassen, schien ihm wie gesagt nicht ratsam, und doch hätten seine Leute, um den Sachsen bei Altstadt die Hand zu reichen,<52> unter den Augen der Preußen und im Feuer ihrer Gewehre zu zweit durch Engpässe marschieren müssen. Von all diesen verschiedenen Möglichkeiten konnte ein so erfahrener Mann wie Browne also keine wählen, ohne seinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Er blieb daher lieber untätig, als daß er seine Truppen unnützerweise zur Schlachtbank führte.

Nach Altstadt zu, wo sich die Sachsen zum Übergang über die Elbe entschlossen hatten, liegt am rechten Flußufer eine kleine Ebene, vom Lilienstein, einem steilen Felsen, beherrscht und teils auch begrenzt. Zu beiden Seiten des Felsens standen unter Retzow 5 preußische Bataillone hinter halbkreisförmigen Verhauen, die sich mit den Enden an die dort von der Elbe gebildete Schleife lehnten. 500 Schritt dahinter hielten 6 Bataillone und 5 Schwadronen den Engpaß von Burkersdorf besetzt. Hinter dem Paß ragt eine steile, schroffe Felsenkette, der Ziegenrück genannt, die das ganze Gelände umschließt und auf beiden Seiten an die Elbe stößt. Zum Durchbruch auf dieser Seite hätten die Sachsen hintereinander drei Stellungen stürmen müssen, deren eine immer furchtbarer war als die andere. Trotzdem begannen sie am 11. Oktober hier Brücken zu schlagen, um den Durchbruch zu versuchen. Die Preußen ließen sie wohlweislich ungestört arbeiten. Von Thürmsdorf an die Elbe herabzukommen, fiel nicht schwer. Als ihre Brücken aber fertig waren und sie am andern Ufer die Felsen hinauf wollten, um die Ebene von Altstadt zu gewinnen, fanden sie nur einen schmalen, von den Fischern benutzten Fußsteig. Sie brauchten einen halben Tag, um zwei Bataillone auf diesem Steg fortzubringen. Der strömende Regen machte ihn völlig grundlos, und da es unmöglich war, ihre Geschütze aufs andere Ufer hinüberzuschaffen, mußten sie die ganze Artillerie in den eben geräumten Verschanzungen im Stiche lassen. Bei der Langsamkeit ihres Vormarsches blieb die gesamte Kavallerie, Infanterie, Bagage und Nachhut der sächsischen Armee in wirrem Durcheinander bei Struppen stecken.

Am 13. Oktober, vor Tagesanbruch, erhielt Prinz Moritz von Anhalt Meldung vom Entweichen der Sachsen. Die Armee trat sofort ins Gewehr, brach in sieben Kolonnen auf und erkletterte mit großer Mühe die von ihren Verteidigern geräumten Felsen des Pirnaer Lagers. Auf dem Gipfel der Höhen zwischen Sonnenstein und Rottwerndorf stellten die Generale die Truppen auf. Sofort griff Zieten mit seinen Husaren die Nachhut des Feindes an und trieb sie bis nach Thürmsdorf. Die Freikompagnien und die preußischen Jäger setzten sich in einem Gehölz in der Nähe der Nachhut fest und belästigten sie stark durch ihr Feuer. Prinz Moritz, der dazukam, schickte das Infanterieregiment Prinz von Preußen zur Besetzung einer Anhöhe im Rücken der Sachsen. Sie waren bestürzt, als sie von einer so unerwarteten Stelle Feuer bekamen, gerieten bei den ersten Kanonenschüssen in Unordnung und ergriffen jählings die Flucht. Die Husaren fielen über die Bagage her und plünderten sie, und die Jäger schlichen sich in ein Gehölz nahe der Elbe und beschossen von dort die sächsische Nachhut, die beinahe die Brücke passiert hatte. Das genügte, um sie vollends<53> zu verwirren. Sie hieb selbst die Brückentaue ab, und der Strom trieb die Pontons bis nach Nathen, wo sie von den Preußen abgefangen wurden. Prinz Moritz ließ die Truppen sofort auf den Höhen von Struppen ein Lager beziehen. Der linke Flügel dehnte sich bis zur Elbe, der rechte bis über eine tiefe Schlucht hinaus, die sich allmählich nach Langen-Hennersdorf zu verliert.

So standen die Dinge, als der König mit seinen Dragonern in Struppen ankam53-1. Die Sachsen erwarteten ein mit den Kaiserlichen verabredetes Signal zum gemeinsamen Angriff auf die Preußen. Als aber das Signal nicht erfolgte, verloren sie die letzte Hoffnung. Angesichts von Retzows Stellung sahen sie die Unmöglichkeit ein, sich selbst Luft zu schaffen. Andrerseits drängte der König von Polen, der seine Zuflucht auf dem Königstein genommen hatte, seine Generale zum Angriff auf den Lilienstein. Aber Graf Rutowski bewies ihm klipp und klar die Zwecklosigkeit dieses Unternehmens. Es konnte nur zu Blutvergießen und Gemetzel führen, ohne daß der König dabei irgend etwas gewonnen hätte. Auch Browne befand sich in einer schlimmen, wenn schon minder gefährlichen Lage. Vor sich hatte er ein überlegenes preußisches Heer. Jede Verbindung mit dem Königstein war ihm abgeschnitten, und bei allen Versuchen zum Entsatz der Sachsen stieß er überall auf äußere Hindernisse. So mußte er denn fürchten, die Sachsen möchten ohne sein Wissen die Waffen strecken. Dann hätte er die ganze preußische Armee auf dem Halse gehabt. Infolgedessen gab er die Sachsen verloren, war nur noch auf die Rettung seines eignen Korps bedacht und trat am 14. Oktober den Rückzug nach Böhmen an. Die preußischen Husaren setzten ihm nach. Oberstleutnant Warnery schlug seine Nachhut und ließ 300 kroatische Grenadiere über die Klinge springen.

Das Mißlingen des Unternehmens führte zu den beleidigendsten Vorwürfen zwischen den sächsischen und österreichischen Generalen. Beide Teile hatten unrecht. Schuldig war allein der sächsische General, der den Plan dieses Durchbruchs entworfen hatte. Zweifellos hatte er fehlerhafte Karten benutzt und war nie in der Gegend gewesen, denn das Gelände war ihm völlig unbekannt. Welcher vernünftige Mensch würde sonst auch zum Rückzug einen vom Feinde besetzten Engpaß zwischen steilen Felsen wählen? Die ganze Gegend war völlig ungeeignet für das, was die Sachsen und Österreicher vorhatten: das ist die wahre Ursache all des Unglücks, das über die Sachsen hereinbrach. So wichtig ist die Kenntnis des Geländes, so entscheidend die Bodengestaltung für die kriegerischen Unternehmungen und das Schicksal der Staaten!

Von der Höhe des Königsteins aus war der König von Polen Zuschauer der verzweifelten Lage seiner Truppen. Sie waren ohne Brot, von Feinden umringt und konnten sich nicht einmal mit dem Mut der Verzweiflung, mit Einsatz ihres Lebens durchschlagen, weil ihnen kein Ausweg blieb. Um sie nicht in Hunger und<54> Elend umkommen zu lassen, mußte der König darein willigen, daß sie die Waffen streckten.

Graf Rutowski wurde mit dem Abschluß der traurigen Kapitulation beauftragt. Das ganze sächsische Korps ergab sich54-1. Die Offiziere verpflichteten sich auf Ehrenwort, in diesem Kriege nicht mehr gegen Preußen zu kämpfen. Man traute ihrem Versprechen und gab ihnen die Freiheit. Um dem besiegten Feind eine Demütigung zu ersparen, ließ der König die Fahnen, Standarten und Pauken der Sachsen an den König von Polen zurückgeben. Auch die Neutralität der Feste Königstein ward ihm bewilligt. Aber selbst jetzt, wo der König von Preußen das Schicksal Augusts III. zu lindern bestrebt war, trat dieser der Kaiserin-Königin in einem Geheimvertrag vier Regimenter Dragoner und zwei Pulks Ulanen, die er in Polen hatte, gegen Subsidien ab. Ein solches Verfahren rechtfertigte die bisherige Haltung der Preußen noch mehr. Dem König von Polen war der Krieg nach allem, was geschehen war, mehr denn je zuwider. Er bat um freien Durchzug für seine Person und wollte seinen Aufenthalt künftig in Polen nehmen. Das wurde ihm nicht allein bewilligt, sondern man entfernte aus übermäßiger Rücksicht auch die preußischen Truppen von<55> dem Wege, den er nehmen mußte, um ihm einen peinlichen Anblick zu ersparen. Am 20. Oktober reiste er mit seinen zwei Söhnen und seinem Minister nach Warschau ab.

Die gefangene sächsische Armee war 17 000 Mann stark. Die erbeutete Artillerie überstieg 80 Kanonen. Der König verteilte die sächsischen Truppen auf sein Heer und formierte aus ihnen 20 neue Infanteriebataillone. Aber er beging den Fehler, sie mit Ausnahme der Offiziere, die alle Preußen waren, nicht mit Landeskindern zu vermischen. Dadurch hatte er in der Folgezeit nur wenig Nutzen von ihnen, und sie leisteten schlechte Dienste.

Nach der Kapitulation der Sachsen begab sich der König wieder nach Böhmen, um seine Armee von dort zurückzuführen. Feldmarschall Keith verließ das Lager von Lobositz am 23. Oktober und zog sich auf Hlinay zurück, ohne daß der Feind ihm folgte. In derselben Nacht55-1 wurde das Regiment Itzenplitz, das beim Dorfe Salesl eine Furt über die Elbe bewachte, angegriffen, verteidigte sich aber so gut, daß es den Feind nicht nur zurücktrieb, sondern sogar Gefangene machte. Von Hlinay aus setzte die Armee ihren Marsch über Nollendorf, Schönwald, Berggießhübel ruhig fort und langte am 30. in Sachsen an, wo sie zwischen Pirna und der böhmischen Grenze Kantonnementsquartiere bezog.

Während das Heer des Königs in Sachsen einmarschierte, zog sich Feldmarschall Schwerin aus der Gegend von Königgrätz nach Schlesien zurück. Auf dem Marsche nach Skalitz folgten ihm ein paar tausend Ungarn und beunruhigten seine Nachhut. Aber der Feldmarschall verstand keinen Spaß. An der Spitze einer Kavallerieabteilung warf er sich plötzlich auf den Feind, schlug ihn und verfolgte ihn bis Smirschitz. Dann setzte er ungestört seinen Marsch fort und erreichte mit seiner Armee am 2. November die schlesische Grenze.

Da der Feind sich ruhig verhielt, so konnten die Truppen schon früh ins Quartier rücken und die Kette der Winterquartiere ziehen. Prinz Moritz übernahm den Befehl über die Abteilung bei Chemnitz und Zwickau, schob Detachements zur Bewachung der böhmischen Pässe vor und ließ die Stellungen von Asch, Oelsnitz und Sebastiansberg befestigen. General Hülsen kommandierte die Brigaden von Freiberg und Dippoldiswalde und hielt die Stellungen von Saida, Frauenstein und Einsiedel besetzt. Den Paß von Berggießhübel und das Defilee von Hellendorf deckte Zastrow. Jenseits der Elbe zog sich die Kette von Dresden über Bischofswerda bis Bautzen. Dort stand eine Abteilung von 10 Bataillonen und 10 Schwadronen zur Unterstützung bereit, wo es irgend erforderlich wurde. Lestwitz besetzte mit 6 Bataillonen Zittau und schob zur Sicherung seiner Verbindungen Detachements nach Hirschfelde, Ostritz und Kloster Marienthal vor. In Görlitz und Lauban lagen 10 Bataillone und 15 Schwadronen unter dem Herzog von Bevern. Winterfeldt und der Prinz von Württemberg55-2 rückten mit einem Detachement nach Schlesien und setzten dort die Kette über Greiffenberg,<56> Hirschberg bis Landeshut und Friedland fort, während Fouqué die Grafschaft Glatz deckte. Ein anderes Korps vom Heere des Feldmarschalls Schwerin überwinterte in der Gegend von Neustadt und diente zur Deckung von Oberschlesien gegen etwaige Einfälle der Kaiserlichen aus Mähren.

In diesen Stellungen verbrachten die preußischen Truppen den Winter von 1756 auf 1757.


41-1 Sachsen hatte mit den Kaiserhöfen Verteidigungsbündnisse, war aber ihrer Allianz von 1746 (vgl. S. 23) nicht beigetreten.

42-1 Vgl. S. 36.

42-2 Maria Josepha.

42-3 August Wilhelm, Herzog von Braunschweig-Bevern.

43-1 Als Anhang zu der Schrift: „Gegründete Anzeige des unrechtmäßigen Betragens und der gefährlichen Anschläge und Absichten des Wienerischen und Sächsischen Hofes gegen Se. Königliche Majestät von Preußen, mit schriftlichen Urkunden erwiesen“ (Berlin 1756). Ein gedrucktes Exemplar dieses Anhangs legte der König auch der „Geschichte des Siebenjährigen Krieges“ bei. (vgl. S. 38 Anm. 1).

45-1 Christoph Hermann von Manstein.

45-2 Kapitulation in der Nacht vom 22. zum 23. September 1756.

45-3 Gefecht bei Iasena, 22. September 1756.

45-4 Gefecht bei Reichenau, 16. Oktober 1756.

49-1 Baron Johann Christian Rühlemann Quadt; David Hans Christoph von Lüderitz.

49-2 Vgl. im Anhang (Nr. 8) die Schilderung der Schlacht in dem Schreiben des Königs an Schwerin vom 2. Oktober 1756.

51-1 11. Oktober 1756.

53-1 14. Oktober 1756.

54-1 16. Oktober 1756.

55-1 In der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1756.

55-2 Prinz Friedrich Eugen von Württemberg.