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8. Schreiben des Königs an Feldmarschall Schwerin193-1

[Lobositz], 2. Oktober [1756] .



Mein lieber Feldmarschall!

Damit Ihr mir nicht vorwerft, ich fürchtete mich vor den 700 österreichischen Kanonen193-2, so glaubte ich es meinem Rufe zu schulden, einen Gewaltstreich gegen die Leute zu führen.

Ich bin am 27. aus meinem Lager von Groß-Sedlitz ganz allein aufgebrochen und habe mich zu meiner Armee in Böhmen begeben, die aus 60 Schwadronen und 28 Bataillonen besteht. Ich fand sie bei Aussig in einem Lager193-3, das ich für schlecht und unvorteilhaft hielt. Nach Erkundung der näheren Umstände faßte ich meinen Entschluß. Ich brach mit einer Vorhut von 8 Bataillonen, 10 Dragoner- und 8 Husarenschwadronen auf und marschierte an ihrer Spitze nach Türmitz. Die Armee<194> erhielt Befehl, mir in zwei Kolonnen zu folgen, die eine über den Paschkopole, die andere hinter der Vorhut her; denn die Poststraße von Aussig nach Lobositz war wegen der Panduren, die das rechte Flußufer194-1 besetzt hielten, nicht zu benutzen. Von Türmitz marschierte ich mit meiner Avantgarde nach Wellemin, wo ich am Abend eine Stunde vor Sonnenuntergang eintraf. Dort erblickte ich die österreichische Armee, rechts an Lobositz und links an die Eger angelehnt. Weder ihre Stärke von 60 000 Mann noch ihre Kanonen schreckten mich. Noch am Abend besetzte ich selbst mit 6 Bataillonen eine Lücke194-2 und die Lobositz beherrschenden Höhen, von denen aus ich am nächsten Morgen gegen den Feind vorbrechen wollte. In der Nacht traf meine Armee in Wellemin ein. Ich begnügte mich damit, die Bataillone in Linie hintereinander aufmarschieren zu lassen, ebenso die Schwadronen.

Am 1. Oktober, als der Morgen graute, nahm ich die höchsten Offiziere mit mir und zeigte ihnen das Gelände der Lücke, das ich mit der Armee besetzen wollte: die Infanterie im ersten Treffen auf zwei Höhen194-3 und in einem dazwischen liegenden Grunde, 6 Bataillone im zweiten Treffen und die ganze Kavallerie im dritten. Ich beeilte mich nach Kräften, meine Flügel auf den beiden Höhen gut anzulehnen und die Flanken zu sichern. Der rechte Infanterieflügel nahm seine Stellung ein. Ich traf alle Vorsichtsmaßregeln zu seiner Sicherung; denn in ihm sah ich mein Heil und die Hauptstütze der Armee. Meine Linke wurde, als sie sich formierte, gleich mit den Panduren und den feindlichen Grenadieren handgemein, die sich hinter den steinernen Weinbergsmauern eingenistet hatten.

So rückten wir bis zu der Stelle vor, wo der Bergrücken nach dem Feinde zu abfällt. Dort sahen wir die Stadt Lobositz stark mit Infanterie besetzt, davor eine schwere Batterie von 12 Geschützen und die Kavallerie teils in Linie, teils gestaffelt, zwischen Lobositz und dem Dorfe Sullowitz aufgestellt. Dichter Nebel herrschte. Alles, was man erblicken konnte, war eine Art von feindlicher Nachhut, die nur angegriffen zu werden brauchte, um sich zurückzuziehen. Da ich schlecht sehe, so nahm ich bessere Augen als die meinen zu Hilfe, um festzustellen, was eigentlich vorging, aber alle sahen das gleiche. Ich schickte Patrouillen zur Aufklärung vor, jedoch alle ihre Meldungen bestätigten meine Vermutung.

Nachdem ich also meine 24 Bataillone in der Lücke aufgestellt hatte, wie ich es für geeignet hielt, glaubte ich nur noch die vor mir stehende Kavallerie vertreiben zu brauchen, die fortwährend ihre Formation wechselte, wie Ihr es ungefähr aus der schlechten Skizze ersehen könnt, die ich Euch beilege194-4. Daraufhin ließ ich die feindliche Reiterei von dreißig Schwadronen angreifen. Sie warfen den Feind, verfolgten ihn aber zu hitzig und gerieten selbst in das feindliche Geschützfeuer. Nun mußten sie nach tapferem Widerstande zurückgehen und sich unter dem Schutze meiner<195> Infanterie sammeln. Kaum war diese Attacke erfolgt, als meine 60 Schwadronen ohne meinen Befehl und sehr wider meinen Willen zum zweitenmal angriffen. Trotzdem sie in beiden Flanken von 60 Geschützen beschossen wurden, schlugen sie die österreichische Kavallerie vollständig. Außer diesem Feuer stießen sie noch auf einen furchtbaren Graben, setzten darüber hinweg, prallten aber jenseits davon auf österreichische Infanterie, die in einem zweiten Graben stand, und auf Artillerie. Von dort aus und in der linken Flanke mit Feuer überschüttet, mußten sie sich unter den Schutz unserer Infanterie flüchten. Verfolgt wurden sie nicht. Ich benutzte den Augenblick, um sie wieder auf dem Berg hinter meiner Infanterie aufzustellen, wo ich sie wie im Manöver sammelte.

Inzwischen dauerte das Geschützfeuer fort, und der Feind machte die größten Anstrengungen zur Umfassung meines linken Infanterieflügels. Ich sah die Notwendigkeit ein, ihn zu unterstützen, und schickte ihm die beiden letzten Bataillone, die mir von den 24 blieben, zu Hilfe. Um gute Miene zum bösen Spiel zu machen, ließ ich die 24 Bataillone des ersten Treffens linksum machen. Die Lücke im Zentrum füllte ich zum Notbehelf mit meinen Kürassieren, und aus dem Rest der Kavallerie bildete ich ein zweites Treffen zur Unterstützung des Fußvolks. Zugleich rückte mein ganzer linker Infanterieflügel mit einer Viertelschwenkung staffelweise gegen Lobositz vor, eroberte den Ort trotz des Geschützfeuers und der unerhört starken feindlichen Infanterie in seiner Flanke und zwang die ganze feindliche Armee zur Flucht.

Der Herzog von Bevern zeichnete sich derart aus, daß ich sein Lob nicht laut genug singen kann. Mit 24 Bataillonen haben wir 72 vertrieben und, wenn Ihr wollt, 700 Geschütze. Von den Truppen rede ich nicht. Ihr kennt sie. Aber seit ich die Ehre habe, sie zu führen, sah ich noch nie solche Wunder der Tapferkeit bei der Reiterei wie beim Fußvolk. Die Infanterie eroberte ummauerte Weinberge und steinerne Häuser. Sie stand von 7 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags im Geschützund Gewehrfeuer und hielt vor allem den Angriff auf Lobositz aus. Kurz, sie kämpfte ununterbrochen, bis der Feind vertrieben war. Ich war besonders darauf bedacht, mit meinem rechten Flügel die Höhe zu halten. Das hat, glaube ich, den Sieg entschieden. Zeigt die beifolgende Skizze bitte Fouqué; er würde mir nie verzeihen, wenn er sie nicht zu Gesichte bekäme.

Ich ersehe aus alledem, daß die Feinde sich nur auf Stellungskämpfe einlassen wollen, und daß man sich hüten muß, sie auf Husarenart anzugreifen. Sie sind gewitzigter geworden als früher. Und glaubt mir aufs Wort: wenn man ihnen nicht starkes Geschütz entgegenstellen kann, würde es unendlich viel Leute kosten, sie zu schlagen.

Moller195-1 von der Artillerie hat Wunder vollbracht und mich hervorragend unterstützt.

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Von meinen Verlusten rede ich nur tränenden Auges. Die Generale Lüderitz196-1 und Oertzen196-2 sind gefallen, auch Holtzendorff196-3 von den Gensdarmes. Kurz, ich will nicht weich werden, indem ich Euch meine Verluste melde. Aber dieser Gewaltstreich übertrifft den von Soor196-4 und alles, was ich bisher von meinen Truppen gesehen habe. Nun werden die Sachsen sich ergeben, und meine Aufgabe ist für dies Jahr beendet. Ich umarme Euch, lieber Feldmarschall, und rate Euch, vorsichtig zu sein. Adieu.


193-1 Für die Darstellung der Schlacht von Lobositz, die der König in diesem Schreiben gibt, vgl. S. 46 ff.

193-2 In einem Bericht an den König vom 13. September 1756 hatte Schwerin die österreichische Artillerie erwähnt und allgemein von der geringen Schätzung gesprochen, die die Artillerie bei erfahrenen Offizieren genösse. „Ich selber“, fuhr er fort, „fürchte sie nicht wegen ihrer geringen Wirkung, wie ich bei allen Schlachten gesehen habe, an denen ich teilnahm, und wo diese Waffe meist mehr Lärm verursachte als Erfolge erzielte und nur die Leute einschüchterte, die furchtsam, ohne Erfahrung oder geborene Memmen sind.“ Vgl. auch S.11 und 13 die Äußerungen des Königs über den zunehmenden „Mißbrauch“ der Artillerie.

193-3 Im Lager von Johnsdorf.

194-1 Der Elbe.

194-2 Zwischen dem Lobosch und den Ausläufern des Wawczinberges.

194-3 Dem Lobosch und dem Homolkaberg.

194-4 Vgl. die umstehende Tafel.

195-1 Major Karl Friedrich von Moller.

196-1 Vgl. S. 49.

196-2 Generalmajor Henning Ernst von Oertzen.

196-3 Oberst Georg Heinrich von Holtzendorff.

196-4 Vgl. Bd. II, S. 235 ff.