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5. Gedanken über den Frieden193-1
(Januar 1760)

Die folgenden Gedanken über den Frieden stellen sich meinem Geiste dar.

Ob Frankreich der Königin von Ungarn Gebietserweiterungen versprochen hat, ist nicht bekannt. Nehmen wir es aber an. Dann könnte man sie mit einem Stück von Bayern abfinden. Da die kurfürstliche Linie in Bayern im Aussterben ist193-2, würde das keine Schwierigkeit machen. Die Räumung von Sachsen193-3 würde ebensowenig auf Hindernisse stoßen, falls man die Bedingung stellt, daß die Franzosen die preußischen Besitzungen am Rhein und in Westfalen, die Russen Ostpreußen räumen und die Schweden heimkehren. Besteht der Kurfürst von Sachsen durchaus auf einer Entschädigung, so wird Erfurt mit seinem Territorium vorgeschlagen193-4. Das möchte der König von Polen gern haben, und es würde seine Staaten abrunden.

Schwieriger wird es sein, die beiderseitigen Ansprüche Englands und Frankreichs zu befriedigen. Bei Fortdauer des Krieges wird England den Franzosen Martinique abnehmen und Pondichery sowie den französischen Handel vollends zugrunde richten. Frankreich kann allerdings zu Lande große Anstrengungen machen. Bedenkt man aber, daß England, da es keine Landung an seinen Küsten mehr zu fürchten hat, noch 30 000 Mann nach Deutschland übersetzen kann, so wird man zugeben, daß dadurch das Gleichgewicht fast wiederhergestellt ist. Um England also zu einem für Frankreich möglichst wenig nachteiligen Frieden zu bewegen, müßte<194> Frankreich seine Verbündeten dazu verpflichten, den Frieden gleichfalls zu unterzeichnen, oder falls sie nein sagen, ihnen seinen Beistand verweigern.

Denn welche Rolle würde Frankreich sonst spielen? Eine Statistenrolle, bei der es zur Größe seiner wahren Feinde beiträgt! Die Rolle ist nicht glänzend und steht einer Großmacht schlecht an. Betrachtet man also dies alles mit unparteiischen Blicken, so scheint es wohl möglich, Europa aus der üblen Lage zu befreien, in die es durch die Wunderlichkeit der Verhältnisse geraten ist, wenn ein weiser und aufgeklärter Minister wie der französische194-1 an diesem einfachen und verständigen Plane arbeitet, wodurch er dem Ruhme seines Gebieters nichts vergibt. Dann wäre der Vorwand der Garantie des Westfälischen Friedens194-2 vor dem Gerede der Leute geschützt und der König von Frankreich hätte den Ruhm, Europa den Frieden geschenkt zu haben, — ein Ruhm, der den glänzendsten Erfolgen der Friedensstörer vorzuziehen ist. Für das Wohl der Menschheit wäre es zu wünschen, daß die Mächte diesen ebenso begründeten wie vorteilhaften Ansichten beiträten und daß ein Minister, von dem soviel Gutes gesagt wird, sich unsterblichen Ruhm erwürbe, indem er der Zwietracht und den Wirren ein Ziel setzte, die noch viele ins Unglück stürzen werden, falls der Krieg fortdauert, die aber das politische Antlitz Europas nicht zu ändern vermögen.


193-1 Die obige Denkschrift ist verfaßt, bevor die ablehnende Antwort der beiden Kaiserhöfe und Frankreichs auf die englisch-preußische Kundgebung vom 25. November 1759 zur Herbeiführung eines baldigen Friedens (vgl. S. 31 f.) erfolgt war. Die vier ersten Absätze teilte der König durch Erlaß vom 23. Januar 1760 auch dem Baron Knyphausen mit, der sich darüber mit Pitt aussprechen und feststellen sollte, unter welchen Bedingungen England den Frieden zu schließen beabsichtigte.

193-2 Kurfürst Maximilian Joseph starb ohne Nachkommen am 30. Dezember 1777.

193-3 Durch Preußen.

193-4 Vgl. S. 192.

194-1 Choiseul.

194-2 Vgl. Bd.III, S. 58.