<100> blieb nun kein Rechtsanspruch, noch selbst der Schein eines solchen auf Bayern; er behalf sich daher mit gefälschten Dokumenten und vermeintlichen Hoheitsrechten, die der Kaiser als König von Böhmen auf die bayrischen Lehen zu haben glaubte. Alle Minister des Kurfürsten von der Pfalz1, ja dieser selbst, waren von Österreich im voraus bestochen. Man hatte ihm vorteilhafte Versorgungen für seine illegitimen Söhne versprochen, falls er ihnen die Rechte seiner legitimen Nachfolger opferte, an deren Spitze der Herzog von Zweibrücken2 stand.

Kaum traf in Wien die Kunde vom Ableben des Kurfürsten von Bayern ein, so trat der Staatsrat zusammen. Der Kaiser schlug vor, Bayern zu besetzen. Die Kaiseritt willigte mit Widerstreben in diesen gewaltsamen Schritt, oder besser: sie ließ sich hinreißen durch die Überredungskunst des Fürsten Kaunitz, der ihr versicherte, er würde keine üblen Folgen haben, und Europa würde in seiner Verblüffung oder Lethargie das kühne und entschiedene Vorgehen des Kaisers nicht hindern. Sofort rücken 16 Bataillone, 20 Schwadronen und 80 Geschütze ab. Bei dieser Nachricht erbleicht der Kurfürst von der Pfalz, der sich in München befand; ein panischer Schreck trübt sein bißchen Verstand; seine Feigheit gibt den Ausschlag, und er unterzeichnet zu seiner Schande ein Abkommen3, durch das er zwei Drittel von Bayern der österreichischen Ländergier abtritt.

Diese ebenso gewaltsame wie ungerechte Tat wurde allgemein ruchbar. Der Kaiser hatte seine Maske hinreichend gelüftet, um ganz Europa darüber aufzuklären, was für Folgen ein so zügelloser Ehrgeiz verhieße. In diesem kritischen Augenblick galt es, Partei zu nehmen. Entweder mußte man dem Gießbach, der, wenn ihn nichts hemmte, alles zu überschwemmen drohte, einen starken Damm entgegensetzen, oder jeder Reichsfürst mußte auf sein Freiheitsprivileg verzichten. Denn blieben die Reichsstände untätig, so schienen sie damit dem Kaiser stillschweigend das Recht zu geben, das er sich anmaßen wollte, über die erledigten Reichslehen despotisch zu verfügen. Das aber mußte zum allgemeinen Umsturz der Reichsgesetze, Verträge, ErbVerbrüderungen und Privilegien führen, die den Reichsfürsten ihr Besitztum sicherten.

Alle diese verhängnisvollen Folgen waren dem Scharfblick des Königs nicht entgangen. Bevor man aber zu gewaltsamen Mitteln griff, galt es erst andere Maßnahmen zu treffen. Der Herzog von Zweibrücken mußte gegen den Münchener Vertrag protestieren; Sachsen mußte den König für sein Allodialerbe um Hilfe angehen4. Vor allem aber mußte die Anschauung des Versailler und Petersburger Hofes ergründet werden; denn man mußte bestimmt wissen, was von ihrer Seite zu erwarten war.

Der Kurfürst von Sachsen war der erste, der sich an den König wandte, nachdem er. in Wien vergebens vorstellig geworden war. In seinem anmaßlichen Hochmut hatte


1 Karl Theodor, der Erbe des Kurfürstentums Bayern.

2 Herzog Karl.

3 Vertrag vom 3. Januar 1778.

4 Die Mutter des Kurfürsten Friedrich August, Maria Antonia, war die Schwester des verstorbenen Kurfürsten von Bayern.