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Und doch verdiente Ludwig XIV. weder die maßlosen Lobeserhebungen, noch die rohen Schmähungen, mit denen er überhäuft wurde. Er war in krasser Unwissenheit aufgewachsen. Die Vergnügungen seiner ersten Jugend bestanden darin, dem Kardinal Mazarin bei der Messe zu ministrieren. Er war mit gesundem Verstande begabt, besaß Ehrgefühl und mehr Eitelkeit als Ehrgeiz. Er, den man bezichtigte, nach der Weltmonarchie zu streben, war siolzer auf die Unterwerfung des Dogen von Genua als auf die Triumphe seiner Feldherren über die Feinde. Ludwig XIV. be-saß Schwächen. Jedermann kennt seine Neigungen für einige Damen seines Hofes. Man weiß, daß Frau von Maintenon den Sieg über die anderen davontrug, und daß er, um sein Gewissen mit seiner Liebe in Einklang zu bringen, sich heimlich mit ihr vermählte. Darüber erhob sich ein Geschrei und Lärm, als müsse das Königreich untergehen, weil der König ein liebebedürftiges Herz hatte! Während so viele Pamphletschreiber ihn und seine Geliebte herabzerrten, hatte doch jedermann, von seinem Hofstaate bis zu dem kleinsten Schreiber in Paris, und selbst die, die so unanständig gegen ihn schrieben, sein Liebchen! Man machte also dem König ein Verbrechen aus etwas, was man bei dem Geringsten seiner Untertanen nicht mißbilligte. Dergleichen Züge verraten die Leidenschaften des Verfassers. Er schildert, ohne es zu merken, den Haß und die Erbitterung, die ihm selber am Herzen nagen.

Nicht wegen seiner Liebschaften sollte man Ludwig XIV. schelten. Was Tadel verdient, waren die unerhörten Grausamkeiten, die er in der Pfalz verüben ließ, und die an Melac erteilte Vollmacht, einen barbarischen Mordbrennerkrieg zu führen (1689). Auch sein Widerruf des Edikts von Nantes (1685) ist unentschuldbar. Er will die Gewissen knechten, verfährt mit unmenschlicher Härte gegen die Protestanten und beraubt sein Reich einer Unzahl fleißiger Menschen, die ihre Talente und denHaß gegen ihre Verfolger in ihre neuen Zufluchtsstätten mitnehmen. Sehe ich von diesen beiden Flecken ab, die den Glanz seiner langen Negierung verdunkeln, welchen Vorwurf kann man gegen Ludwig XIV. erheben, der die gegen ihn geschriebenen bitterbösen Schmähschriften rechtfertigte? Geziemt es wohl solchen armen Schluckern, deren ganzes Talent in unseliger Schreibfertigkeit besteht, den Thron ihres Herrschers zu besudeln? Kommt es ihnen zu, das Benehmen der Großen zu begeifern, über ihre Schwächen herzufallen und systematisch nach Fehlern an ihnen zu fahnden? Gebührt es Unbekannten, die allen Staatsgeschäften fern stehen, die nur die äußeren Vorgänge sehen, ohne zu wissen, was sie herbeiführt, die nur die Handlungen wahrnehmen, ohne ihre Motive zu kennen, die ihre ganze Staatskunsi aus den Zeitungen lernen — gebührt es ihnen, frage ich, die Herrscher der Welt zu richten? Und kann selbst ihre Unwissenheit ihre Dreistigkeit entschuldigen? Aber die Bosheit verzehrt sie; falscher Ehrgeiz treibt sie an. Sie wollen sich einen Namen machen, und um bekannt zu werden, ahmen sie Herosirat nach.

Wie man gestehen muß, gab es eine Zeit, wo die Satire gang und gäbe war; doch diese gute Zeit ist vorüber. Man mußte unter der Regierung Karls V. oder Franz' I.