Vorwort

Ich hatte allen Grund zu der Annahme, daß das letzte politisch-militärische Werk, das ich der Nachwelt zu geben hätte, die Darstellung der europäischen Ereignisse von 1756 bis 1763, d. h. bis zum Hubertusburger Frieden sein würde. Sieben mühselige Feldzüge hatten meine Lebenskraft verbraucht, und mein zunehmendes Alter ließ mich alle von ihm unzertrennlichen Gebrechen fühlen. Alles zeigte mir das baldige Ende meiner Laufbahn und ließ mich voraussehen, daß ich dem Staate keine anderen Dienste mehr leisten könnte, als durch weise und tatkräftige Verwaltung die zahllosen Wunden zu heilen, die der Krieg allen preußischen Landen geschlagen hatte.

Man durfte hoffen, daß auf so heftige Erschütterungen, wie Europa sie im letzten Kriege durchgemacht hatte, auf so viel Stürme ruhiges und heiteres Wetter folgen würde. Die Großmächte waren erschöpft durch die ungeheuren Anstrengungen, die sie hatten machen müssen. Auch die Zerrüttung ihrer Finanzen erlegte ihnen Mäßigung auf und erstickte die Erbitterung, der sie sich nur zu lange überlassen hatten. Kurz, sie waren so vieler vergeblicher Anstrengungen müde und wünschten nichts sehnlicher als die Befestigung der öffentlichen Ruhe.

Preußen hatte diese Ruhe noch nötiger als das übrige Europa; hatte es doch fast allein die ganze Last des Krieges getragen. Der preußische Staat glich einem von Wunden bedeckten, von Blutverlust geschwächten Kämpfer, der unter der Bürde seiner Leiden fast zusammenbrach. Er bedurfte eines geregelten Lebens, um sich zu erholen, stärkender Mittel, um wieder zu Kräften zu kommen, und heilenden Balsams, um von seinen Wunden zu genesen. Unter diesen Umständen durfte die Regierung nur das Beispiel eines guten Arztes befolgen, der einem erschöpften Körper mit Hilfe der Zeit und lindernder Mittel wieder emporhilft.

Diese Gründe waren so zwingend, daß die innere Verwaltung des Staates meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Der Adel war erschöpft, das niedere Volk<4> ruiniert, viele Dörfer in Asche gelegt, zahlreiche Städte teils durch Belagerungen, teils durch vom Feinde gedungene Brandstifter zerstört. An Stelle geordneter Verwaltung in Stadt und Land war völlige Anarchie getreten; die Finanzen waren in der größten Verwirrung; kurz, das Elend war allgemein. Zu all diesen Mißständen kam noch, daß die alten Räte und Finanzminister während des letzten Krieges gestorben waren. Ich stand sozusagen allein und ohne Hilfskräfte. Ich mußte mir neue auswählen und sie zugleich für die Ämter ausbilden, für die ich sie bestimme.

Die Armee befand sich in keinem besseren Zustande als das Land. Siebzehn Schlachten hatten die Blüte der Offiziere und Soldaten dahingerafft. Die Regimenter waren zusammengeschmolzen und bestanden zum Teil aus Kriegsgefangenen und Überläufern. Die Ordnung war fast verschwunden und die Mannszucht derart erschlafft, daß unsere alte Infanterie nicht mehr taugte als neu ausgehobene Miliz. Es galt also, Rekruten zu beschaffen, wieder Zucht und Ordnung in die Regimenter zu bringen, vor allem die jungen Offiziere durch den Stachel der Ehre anzuspornen, um dieser heruntergekommenen Masse die alte Tatkraft wiederzugeben.

Auch die Politik bot kein erfreulicheres Bild als das eben entworfene. Durch Englands unwürdiges, treuloses Benehmen am Ende des letzten Krieges war das Bündnis mit ihm zerrissen. Der Separatfriede, den England mit Frankreich geschlossen, die Unterhandlungen, die es mit Rußland angeknüpft, um mich mit dem Zaren Peter III. zu entzweien, die Anträge, die es dem Wiener Hofe gemacht hatte, um ihm meine Interessen zu opfern4-1 — alle diese Schändlichkeiten hatten die Bande zwischen Preußen und Großbritannien zerschnitten, und so stand ich nach dem allgemeinen Friedensschluß allein und ohne Bundesgenossen in ganz Europa.

Indes war diese kritische Lage nicht von Dauer, sondern nahm gegen Ende des Jahres 1763 wieder günstigere Gestalt an. Der russische Hof war wie betäubt durch die plötzliche Umwälzung4-2 und bedurfte einiger Zeit, um wieder zur Besinnung zu kommen. Kaum hatte die neue Zarin ihre Stellung im Innern befestigt, so schweiften ihre Blicke weiter, und sie näherte sich Preußen. Zu Anfang suchte man sich nur zu verständigen, bald aber erschien das gegenseitige Bedürfnis einer Einigung nicht mehr problematisch. Gerade zu der Zeit, wo die Unterhandlungen lebhafter wurden, starb König August III. von Polen4-3. Dies unerwartete Ereignis reichte hin, um den Abschluß eines Defensivbündnisses zwischen Rußland und Preußen zu beschleunigen. Katharina II. wollte über den erledigten Thron nach ihrem Gutdünken verfügen: zu dem Zweck schien ihr Preußen der passendste Bundesgenosse, und so wurde denn Stanislaus Poniatowski bald zum König von Polen gewählt, well es die Zarin so wollte. Seine Wahl wäre auch ohne schlimme Folgen geblieben, hätte es die Zarin dabei bewenden lassen. Aber sie verlangte auch noch, daß die Republik den Dissidenten beträchtliche Vorrechte einräumte. Diese neuen Forderungen empörten<5> ganz Polen. Die Großen des Reiches suchten Hilfe bei den Türken. Bald danach brach der Krieg aus, und die russischen Heere brauchten sich nur im Felde zu zeigen, um die Muselmanen bei jedem Gefecht zu schlagen.

Dieser Krieg veränderte das ganze politische System Europas. Neue Perspektiven eröffneten sich, und man hätte schon ganz ungeschickt oder in dumpfe Starre versunken sein müssen, um die günstige Gelegenheit nicht zu benutzen. Ich hatte das schöne Gleichnis von Bojardo5-1 gelesen. Ich ergriff also die Gelegenheit, die sich darbot, beim Schöpfe, und durch Unterhandlungen und Intrigen gelang es mir, unsere Monarchie durch die Einverleibung Westpreußens für ihre früheren Verluste zu entschädigen. Diese Erwerbung war eine der wichtigsten, die wir machen konnten; denn dadurch erhielt Pommern Verbindung mit Ostpreußen, und als Herren der Weichsel erlangten wir den doppelten Vorteil, daß wir Ostpreußen verteidigen konnten und die bedeutenden Weichselzölle erhielten, da der ganze polnische Handel über diesen Fluß geht.

Diese Erwerbung schien mir in den preußischen Annalen Epoche zu machen und bedeutsam genug zu sein, um ihre Einzelheiten der Nachwelt zu überliefern, zumal ich bei jenem Ereignis Augenzeuge und Mitwirkender zugleich war.

Die Originalakten der Unterhandlungen, über die ich in diesem Werke berichte, befinden sich sämtlich im Staatsarchiv. Ich habe diese Denkwürdigkeiten in drei Kapitel eingeteilt. Das erste umfaßt die Unterhandlungen und die politischen Vorgänge vom Hubertusburger Frieden bis zur Pazifizierung Polens, das zweite die Finanzwirtschaft, die neuen Handelszweige, die eingeführt wurden, die Urbarmachungen in verschiedenen Provinzen, die Erträge Westpreußens und die Verbesserungen, die dort möglich sind. Das dritte enthält alles auf die Armee Bezügliche: ihre Reorganisation und Vermehrung, die seit der Erwerbung Westpreußens aufgestellten neuen Truppenteile, den Präsenzstand der Armee, der im Frieden auf 186 000 Mann festgesetzt ist, die Artillerie, alle Vorkehrungen, die zur Mobilmachung dieser Massen nötig sind, endlich einen defensiven Feldzugsplan, der lediglich zur Verteidigung von Ost- und Westpreußen gegen den Einfall jedwedes Feindes bestimmt ist.

Zugleich muß ich den Leser darauf hinweisen, daß es mir widerstrebte, in einer so langen Darstellung stets von mir selber zu reden. Solch Egoismus stößt mich ab, und so zog ich es vor, in der dritten Person zu sprechen. Ich beschränke mich also einfach auf das Amt eines Historikers, der die Ereignisse seiner Zeit wahr und klar beschreiben will, ohne das Geringste zu übertreiben oder zu fälschen. Ich habe zeitlebens keinen Menschen betrogen; noch weniger will ich die Nachwelt betrügen.


4-1 Vgl. Bd. IV, S. 125 f.

4-2 Der Sturz Peters III.

4-3 5. Oktober 1763.

5-1 Orlando innamorato, I. Buch, 12. Gesang, Stanze 14 und 15. Es handelt sich um die Fee Morgana, die den Helden Roland mit seinen Gefährten in einem kristallenen Schlosse gefangen hielt. Nur wer sie an ihren Haaren ergriff, konnte sie bezwingen.