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Widmung des „Lebens des Apollonios von Tyana“
von Philostratos an
Papst Klemms XIV.
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Heiliger Vater!

Wir nehmen uns die Freiheit, Eurer Heiligkeit das „Leben des Apollonios von Tyana“ mit den Anmerkungen des Barons Herbert, die wir aus der englischen Ausgabe von Charles Blount übersetzt haben, zu widmen. Die von Philostratos überlieferte Geschichte des Apollonios wurde von Hierokles113-2, einem großen Anhänger des heidnischen Kultus, dazu benutzt, die angeblichen Wunder dieses Apollonios den Wundern Jesu Christi entgegenzustellen. Hierokles wurde seinerseits von Eusebios bekämpft, der sich in seiner Demonstratio evangelica die größte Mühe gab, jene Wunder zu widerlegen. Herr von Tillemont113-3 glaubt, der Teufel habe aus Furcht, durch die Ankunft des Heilands vernichtet zu werden, fast gleichzeitig unsren Apollonios zur Welt kommen lassen, damit, wenn Christi angebliche Magie die Völker unterjochte, der Irrtum Altäre gegen die Wahrheit errichten könnte, oder falls die Betrügereien seines Helden ans Licht kämen, durch die falschen Wunder des Apollonios auch die Wunder Christi in Mißkredit gebracht würden. Wer nicht<114> jahrelang in den politischen Schreibstuben der Hölle als Sekretär gearbeitet hat, wird über dies Thema nicht mehr sagen können als Herr von Tillemont. Indes scheint die heutige Kirche eine kräftigere Widerlegung der Wunder des Apollonios zu fordern als die ersten Kirchenväter. Das von uns veröffentlichte Werk setzt diese Wunder ins hellste Licht. Baron Herbert bekräftigt sie durch seine Anmerkungen. Wenn der Irrtum so dreist auftritt, verdient er von einem starken, siegreichen Arme zu Boden geschlagen zu werden. Und von wem könnte die Schar der Auserwählten solche Hilfe erwarten, wenn nicht von dem sichtbaren Haupte der Kirche, dem Statthalter Christi auf Erden? Eurer Heiligkeit gebührt die Aufklärung der Welt in einem Jahrhundert, wo der Unglaube überhandnimmt, wo die Geister denken lernen, wo der Philosoph nur exakte Beweise zuläßt, kurz, wo alles sireng geprüft und dem Urteil unterworfen wird. Eurer Heiligkeit gebührt es, uns die untrüglichen Kennzeichen zu lehren, an denen man die Zaubereien der Betrüger von den Wundern des Teufels und die Wunder des Teufels von denen unterscheiden kann, die Gott in seiner Gnade durch seine Diener vollbringen ließ. Mit diesen Waffen, die wir aus den heiligen Rüstkammern erbitten, werden wir um so besser Trotz bieten können allen Angriffen des Teufels, der alles ins Werk setzt, um die Grundlagen der Kirche zu untergraben und zu erschüttern. Den wankenden Glauben befestigen, die Wunder des Apollonios widerlegen, nach Aufhebung des Jesuitenordens114-1 den Teufel niederschlagen, das sind, Heiliger Vater, Taten, die Euer Pontifikat über das Eurer sämtlichen Vorgänger erheben werden. Wir werden uns glücklich schätzen, wenn dies Werk, das wir Euch zu Füßen legen, Euch Gelegenheit gibt, Euren Ruhm zu vermehren und die streitende Kirche zu befestigen, deren stärkster Rückhalt Eure Heiligkeit ist.

Mit tiefster Ehrerbietung und Demut verbleibe ich,
Vater der Gläubigen, Eurer Heiligkeit demütigstes und untertänigstes Schäflein Philalethes.


113-1 Apollonios von Tyana in Kappadotien, neupythagoräischer Philosoph, Sittenlehrer und Magier starb um 100 n. Chr. in Ephesos. Er wurde u. a. von Voltaire mit Jesus zusammengestellt. Im Frühjahr 1772 ließ sich König Friedrich die englische Übersetzung des „Lebens des Apollonios von Lyana“ von Charles Blount (London 1680) mit den Anmerkungen von Lord Edward Herbert von Cherbury († 1648) aus London kommen, um, wie er sagt, „mit dieser Seltenheit seine Bibliothek zu bereichern“. Nach diesem Werke veranstaltete er darauf 1774 eine Ausgabe in französischer Übersetzung, die Professor Castillon besorgte, und schickte ihr die obige „Widmung“ vorauf.

113-2 Römischer Statt, Halter von Bithynien, dann von Alexandra (um 300 n. Chr.).

113-3 Der französische Geschichtsschreiber Sebastian Lenain de Tillemont (1637—1698), Verfasser der „Mémoires pour l'histoire ecclésiastique des six premiers siècles“ (Brüssel 1694).
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114-1 Am 21. Juli I773.