<90>Und sei ihr Land auch lange nicht so wild,
Wie jenes Bärenloch, des Orkus Bild,
Kein Staat ist doch so makellos beschaffen,
Daß nichts an ihm zu bessern bleibt,
Daß zwischen Brauch und Recht nicht Lücken klaffen
Und die Vernunft allein Gesetze schreibt.

„Wohl spürt man dieser Mängel Schwergewicht,“
Sprichst Du; „warum beseitigt man sie nicht?“

Laß Dir die wahre Art der Herrscher zeigen,
Vor denen zitternd sich die Menschen neigen!
Sie wachsen auf in Prunk und Müßiggang
Und fürchten ernster Arbeit harten Zwang;
Im Freudentaumel, in des Glückes Schoß
Ziehn sie beschaulich ihre Trägheit groß.
Die Staatsgeschäfte gehn, wie's Gott gefällt,
Der alles, was geschehen kann, bedenkt.
Sorgt nun die Vorsehung für diese Welt,
So bleibt den Herrschern alle Müh' geschenkt.
Sie sagen sich's in lässigem Behagen,
Um müßig Tag' und Jahre totzuschlagen.
Der Menschheit Bürden, auf dem Thron erstarrt,
Für sich voll Rücksicht, gegen andre hart.
So dulden die hochmögenden Schlaraffen
All unsre Not, statt Nützliches zu schaffen.

Wenn Sachsens Macht und Wohlstand mehr und mehr
Verfällt und sein einst Heller Stern erblindet,
Zerrüttung droht, des Staates Ansehn schwindet,
Das Volt bedrückt ist und der Säckel leer —
Schieb's nicht dem Herrscher1 zu, der kein Tyrann,
Ja, dessen Trägheit nichts besiegen kann!
Aus Bosheit nicht erzeugt' er all dies Leid,
Nein, weil er sich dem Müßiggange weiht!
Er schläft auf Blumen; seiner schwachen Hand
Entglitt des schwanken Staates Gängelband.


1 August III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen.