<I><II>

Die Werke Friedrichs des Großen
In deutscher Übersetzung
Zehn Bände
Mit Illustrationen
von
Adolph v. Menzel
Verlag von Reimar Hobbing in Berlin
1 9 1 4

<III>

Die Werke Friedrichs des Großen
Neunter Band
Dichtungen
Erster Teil
Herausgegeben von Gustav Berthold Volz
deutsch von
Eberhard König, Friedrich v. Oppeln Bronikowski,
Willy Rath und Thassilo von Scheffer
Verlag von Reimar Hobbing in Berlin
1 9 1 4

<IV><V>

Einleitung des Herausgebers

Der vorliegende und der folgende, der Schlußband unserer Ausgabe, enthalten eine Auslese aus den Dichtungen Friedrichs.

Ihre Zahl ist groß; denn schon frühzeitig begann seine poetische Laufbahn.V-1 Bereits mit zehn Jahren schrieb er, wie er seinem Vorleser später erzählte, einen Roman, mit sechzehn Jahren machte er die ersten Verse. Seine umfangreiche dichterische Tätigkeit setzte mit der Küstriner Epoche ein. Zwei Ereignisse gaben den Anstoß dazu: die Verlobung seiner Schwester Wilhelmine mit dem ungeliebten Erbprinzen von Bayreuth und seine tiefe Neigung zu Frau von Wreech, der lieblichen Schloßherrin von Tamsel.

In jene ersten Zeiten, da eben Friedrichs dichterischer Trieb erwachte, versetzt uns lebendig das Geständnis aus seinem Munde: „Er wäre ein großer Poet geworden, er könnte in zwei Stunden hundert Verse machen.“ Es war ein unbekümmertes, frisch-fröhliches Schaffen, in dem sich der junge Dichter gefiel. Zwar klagt er wohl auch über die Not, die sein neuer Beruf ihm bereite, aber man kann nicht sagen, daß er sich dadurch hätte abschrecken lassen. Ein kleines Blättchen, das den Lauf der Zeiten überdauert hat, verstattet einen tiefen Blick in seine Werkstatt. Es handelt sich um einen Entwurf für Verse, die an Voltaire gerichtet sind. Mühselig ist das Werk. Verse werden hingeschrieben und wieder gestrichen, bis endlich nach schwerer Arbeit die letzte Form gefunden ist. Dazu ist das Blatt mit Schnörkeln und gestrichelten Feldern bedeckt, die die Hand des grübelnden Poeten halb mechanisch zog, und zwischendurch sind in langen Kolumnen Reimpaare verzeichnet, auf denen die Verse zum Teil auch aufgebaut sind. Man sieht seine Methode: nicht daß er die Reimworte „mit ahnungsvoller Sicherheit im Momente heraufbeschwor“, sondern er suchte und schrieb sie auf, um „völlig nüchtern und nach Bedürfnis“ wählen zu können. Nicht die Stärke des Gefühls war es also, die nach Ausdruck ringt, sondern ihn beherrscht die Reflexion, die mit kühler und bewußter Überlegung gestaltet.

Nachdem ihm schon Freund Jordan als künstlerischer Beirat zur Seite gestanden hatte, wählte sich Friedrich dann in Voltaire seinen Lehrer für die hohe Kunst der Poeterei. Im Jahre 1737 fordert er in drolliger Alternative von diesem entweder ein Geheimmittel, das ihn von seiner Versewut befreien sollte, oder Unterricht in den Regeln dieser „bezaubernden Kunst“. Mit diesem Augenblick beginnt der Lehrkursus<VI> bei dem Dichter der „Henriade“. Seine Poesien wandern zu Voltaire, um mit dessen Korrekturen und Belehrungen wieder in seine Hände zurückzukehren.

Seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre regte Friedrichs poetischer Genius immer mächtiger die Schwingen. Den Höhepunkt erreichte sein literarisches und dichterisches Schassen in dem Jahrzehnt nach dem Dresdener Friedensschluß. Damals erfolgte auch die Herausgabe der „Œuvres du philosophe de Sanssoucci“. Sie waren zunächst auf drei Bände berechnet; einer umfaßte die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“, die beiden anderen dagegen Poesien, darunter das komische Heldenepos „Das Palladion“. Ältere Dichtungen, die er umarbeitete, vereinte er mit neuen.

Schon lagen die beiden Gedichtbände der „Œuvres“ gedruckt vor, als Voltaire auf die dringende Einladung des Königs am 10. Juli 1750 in Potsdam eintraf. Sofort schritt Friedrich zu einer Revision, an der der Dichter der „Henriade“ tätigsten Anteil nahm. Von großem Interesse ist das Urteil, das Voltaire wenige Wochen nach seiner Ankunft in einem Briefe an seinen Pariser Freund Graf d'Argental über den König und seine Arbeiten fällt. Er vergleicht ihn mit Mark Aurel, „davon abgesehen, daß Mark Aurel keine Verse machte, er aber ausgezeichnete macht, sobald er sich die Mühe gibt, sie zu korrigieren.“ Dann fährt er fort: „Er besitzt mehr Einbildungskraft als ich, aber ich habe mehr Routine als er. Ich benutze das Vertrauen, das er zu mir hat, um ihm die Wahrheit zu sagen, kühner, als ich sie Marmontel oder d'Arnaud oder meiner Nichte sagen würde. Er schickt mich nicht in die Steinbrüche für meine Kritik seiner Verse;VI-1 er dankt mir, er korrigiert sie, und besser noch als ich. Er hat einige gemacht, die bewundernswert sind.“

Die Kritik, die Voltaire an Friedrichs Poesien übte, war höchst eingehend. Sie erstreckte sich auf alles, auf die elementaren Regeln der Formenlehre, auf unfranzöfische Vokabeln, wie auf die metrischen Gesetze, auf Silbenzählung, Reime, Versbildung, auf die dichterische Sprache. Neben der Poetik im engeren Sinne wurde die Rhetorik berücksichtigt. Er tadelte Gedankensprünge und fehlende Übergänge, allzu häufige Wiederkehr besonderer Lieblingsausdrücke, die Anwendung von Flickworten. Auch an sachlichen Einwänden fehlte es nicht, während sich durch beide Bände gleichmäßig die Mahnung zog, zu sireichen und zu kürzen. Ein Vergleich der neuen mit der alten Ausgabe zeigt, daß Friedrich tatsächlich eine große Reihe der Voltaireschen Verbesserungsvorschläge, einzelne Worte und Wendungen, aber auch ganze Verse ohne weiteres übernommen hat, daß er sie aber keineswegs immer blind, lings guthieß. In den meisten Fällen hat sich der Franzose indessen damit begnügt, auf die Fehler hinzuweisen und ihre Richtigstellung dem Poeten zu überlassen.

Infolge des Zerwürfnisses, das mit Voltaires Abreise im Frühjahr 1753 endete, blieb der zweite Poesienband liegen; dem königlichen Autor war die Lust an seiner<VII> Fertigstellung verleidet. So umfaßt die Ausgabe der „Œuvres“ von 1752 im ganzen nur zwei Bände.

Im „Vorwort“ erklärt Friedrich selbst, seine Gedichtsammlung sei nur für den engsten Freundeskreis bestimmt. Um so peinlicher war er daher überrascht, als während des Siebenjährigen Krieges ein Nachdruck seiner Poesien in Frankreich erfolgte. Nach den neuesten Forschungen scheint festzustehen, daß Voltaire seine Hand dabei im Spiele gehabt hat. Der König, der, allein mit England verbündet, einer Welt in Waffen gegenüberstand, sollte politisch kompromittiert werden. Soweit es ihm möglich war, parierte er den Hieb, indem er sofort eine neue, revidierte Aus-

gabe des Bandes vorbereitete. Obwohl im Felde weilend, ging er unverzüglich an die Durchsicht und merzte alle politischen Anzüglichkeiten aus, die sich auf England, seinen damaligen Alliierten, sowie auf Rußland bezogen, das im Hinblick auf einen baldigen Thronwechsel schonend behandelt werden mußte. Außerdem fügte er einige neue Gedichte ein, darunter die gegen seine heimlichen Widersacher gerichtete Ode „An die Verleumdung“, der in diesem Zusammenhange erhöhte Bedeutung zukommt. Unter dem schlichten Titel „Poésies diverses“ erschien dann 1760 der neugestaltete Band, der im Vorwort als der allein „authentische“ bezeichnet ward.

Weder Voltaires Fortgang noch die heimtückische Veröffentlichung seiner Dichtungen hielten den König ab, weiter seinen poetischen Neigungen zu folgen. Erst das zunehmende Alter ließ um die Mitte der siebziger Jahre den Strom des dichterischen Schaffens allmählich versiegen.

Obwohl Friedrichs dichterische Laufbahn ein halbes Jahrhundert dauerte, wäre es falsch, bei ihm von einer begnadeten Poetennatur zu sprechen. So hat er denn auch den Namen eines Poeten niemals für sich in Anspruch genommen; im Gegenteil, er pflegte sich als „Dilettanten“ zu bezeichnen. Schon in einer seiner ersten Episteln bekannte er sich unumwunden zu seinen Vorbildern Horaz und Boileau. Und sie sind es mit Voltaire zusammen stets geblieben.

Zum Schluß drängt sich die Frage auf: welche Bedeutung kommt den Poesien Friedrichs zu? Die größte Verwandtschaft besitzen sie mit seinen musikalischen Schöpfungen: sie sind Erzeugnisse seiner Mußestunden, in denen er Erholung von den schweren Lasten seines Amtes suchte. Auch sie tragen die deutliche Spur des Geistes ihrer Zeit an sich. Manches erscheint uns veraltet, so das überwuchernde, allegorische Beiwerk, die zahlreichen mythologischen Beziehungen. Schwerfällig wirkt die Häufung der Bilder und Vergleiche, in denen er sich des öfteren wiederholt. Die Leichtigkeit, mit der ihm die Verse aus der Feder flossen, verleitet ihn oft auch zu allzu großer Breite und Ausführlichkeit, sowie zu Digressionen, die den Leser ermüden.

Diesen unbestreitbaren Mängeln stehen andrerseits große Vorzüge gegenüber. Zunächst die Fülle schöner und tiefer Gedanken, die oft glücklich geprägt sind. Ebensowenig fehlt es an originellen Einfällen und Wendungen, die seinen Dichtungen eigenartigen Reiz verleihen. Lebendig und flüssig ist die Sprache, knapp und klar die<VIII> Diktion, die den scharfen Denker verrät. Das hohe Pathos sieht dem königlichen Autor in gleicher Weise zu Gebote wie der leichte, scherzende Ton, der sich bis zu heiterer Ausgelassenheit steigern kann.

Vor allem aber gewinnen die Poesien noch dadurch an innerem Wert, daß viele von ihnen, gleich den musikalischen Kompositionen, die Seelensiimmungen wieder, spiegeln, die Friedrich bewegten und zur Aussprache drängten. So werden auch die Dichtungen durch die zahlreichen persönlichen Bekenntnisse, die sie enthalten, zu Dokumenten für seine Lebensgeschichte.

In drei Abschnitte zerfällt der vorliegende Band. Der erste umfaßt „Oden und Episteln“. Sie sind sämtlich den „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ entnommen.VIII-1 Abgesehen davon, daß es nicht mehr möglich ist, die Zeit der Entstehung und Umarbeitung aller dieser Stücke zu bestimmen, wäre es ein verfehltes Unternehmen, sie aus dem gemeinsamen Rahmen zu lösen, in den sie Friedrich selbst gestellt hat; denn nicht etwa Laune und Willkür hat sie bunt zusammengewürfelt. Diese Gedichte bilden vielmehr eine innere Einheit: sie enthalten seinen moralischen und philosophischen Katechismus.

Auch das komische Heldenepos „Das Palladion“, das auf die „Oden und Episteln“ folgt, war, wie erwähnt, ursprünglich für die „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ ausersehen, doch unterblieb dann die Aufnahme in die Ausgabe von 1752, um das Geheimnis zu wahren; denn nicht nur der französische Gesandte Marquis Valory, der Held des Epos, sondern auch König Ludwig XV. begehrten es kennen zu lernen. Verfaßt wurde das Gedicht im Januar 1749, nach Friedrichs eigenem Bekenntnis „eine Ausgeburt der Karnevalslaune“. Wahrheit und Dichtung sind darin untermischt. Er selbst schrieb darüber an Voltaire, die Gefangennahme Dargets, des Sekretärs von Valory, durch die Panduren sei wahr — sie findet auch in der „Geschichte meiner Zeit“VIII-2 kurze Erwähnung —, alles übrige dagegen beruhe auf freier Erfindung. So ist auch der Schauplatz zutreffend; denn die Episode spielte sich nach dem Siege bei Hohenfriedberg auf böhmischer Erde ab. Aber die Schlacht, deren Darstellung fast den ganzen sechsten Gesang füllt, ist eine poetische Fiktion, wenngleich die Schilderung des Kampfes mancherlei Anklänge an den Tag von Hohenftiedberg enthält. Doch nicht bloß die Satire oder, um Friedrichs Ausdruck zu gebrauchen, Callots Pinsel herrschen; auch weihevolle Klänge stimmt seine Muse in dieser Dichtung an, wenn sie dem Andenken Papst Benedikts XIV. oder, ebenso wie in der Epistel an Stille, den Manen der preußischen Helden, die während der Schlesischen Kriege für das Vaterland gestorben waren, ihre Huldigung darbringt.

In diesem Zusammenhange sei kurz erwähnt, daß König Friedrich rund ein Vierteljahrhundert später noch ein zweites komisches Epos, den „Konföderiertenkrieg“,<IX> verfaßt hat, das die polnischen Wirren nach dem Tode König Augusts III. drastisch schildert und mit der Teilung Polens endet.

Gleichwie für das „Palladion“ und den „Konföderiertenkrieg“ Voltaires komische Epen das Vorbild lieferten, so für seine Lustspiele Molieres Komödien. Nachdem er 1742 zur Hochzeit seines Freundes Keyserlingk den einaktigen Schwank „Der Modeaffe“, eine lustige Verspottung der Modetorheiten, geschrieben hatte, verfaßte der König zu Beginn des Jahres 1748 die dreiaktige Komödie „Die Schule der Welt“, mit der unser Band schließt. Den Hintergrund dieses Stückes bildet die Reform der in Verfall geratenen Universitäten, die ihn damals stark beschäftigte. Der Held der Komödie, der aus Halle heimkehrende junge Firlefanz, ist ein würdiges Seitenstück zu dem wüsten Ienenser Musensohn, namens Raufbold, dessen abschreckendes Bild Zachariä in seinem komischen Gedicht „Der Renommist“ gezeichnet hat. Die Tendenz des Lustspiels aber richtet sich, wie der Titel schon andeutet, vor allem gegen die verkehrte Erziehung, der Firlefanz zum Opfer fällt. Es ist das gleiche Thema, das der König nach dem Siebenjährigen Kriege in der Abhandlung „Über die Erziehung“IX-1 angeschlagen hat, wo er auch über den Erfolg seiner inzwischen durchgeführten Universitätsreform berichtet. So behauptet das Lustspiel trotz der äußeren Anlehnung an Molieresche Vorbilder seinen selbständigen Wert, und mit Recht durfte daher der König in seinem Briefe vom 18. Februar 1748 an den Akademiepräsidenten Maupertuis „Die Schule der Welt“ als „preußische Komödie“ bezeichnen, weil sie heimische Sitten schildert und parodiert.

Für die Übertragung der Dichtungen ist als Grundsatz aufgestellt, dem Leser in künstlerischer Form den Gedankenschatz Friedrichs zu vermitteln. Daher mußte den Bearbeitern ein größeres Maß von Freiheit zugestanden werden, ja, dem künstlerischen Empfinden des Einzelnen mußte überlassen bleiben, wo er die Grenze ziehen sollte. Ferner ließen die bereits gekennzeichneten Mängel der Poesien des Königs als geboten erscheinen, bei einer Reihe der von uns gebrachten Stücke auf die voll, ständige Übersetzung zu verzichten. Manches überflüssige und störende Beiwert war fortzulassen. Aber auch sonst eignete sich nicht alles zur Wiedergabe. Zur Orientie, rung des Lesers sind derartige Streichungen durch drei Punkte angedeutet; eine Ausnahme bildet allein das „Palladion“, das durchgehends gekürzt worden ist. Für die Namen der Übersetzer ist auf das Inhaltsverzeichnis zu verweisen, wo sie den einzelnen Titeln in Klammem beigefügt sind.

Der französische Text, der den Übertragungen zugrunde liegt, ist gedruckt in den „Œuvres de Frédéric le Grand“ (Bd. 10: Vorwort und Gedichte Nr. 1—19; Bd. 11: Gedichte Nr. 20—24 und „Das Palladion“; Bd. 14: das Lustspiel „Die Schule der Welt“).

<X><1>

Oden und Episteln

<2><3>

Vorwort

Euch gehören diese Blätter, nehmt sie, Freunde, willig an,
nur als Gruß von einem Herzen, das euch innig zugetan;
's ist ein buntes Allerlei:
Bittrer Ernst und Schelmerei;
Doch in kecker Narrenhülle
Reiner Sinn und reiner Wille.
Denkt nun nicht, daß hier im Vorwort Dichterdünkel sich ergeht,
Der den Wahn der Eigenliebe nicht erkennt und nicht gesieht!
Weil mich's freute und beglückte,
Weil Horaz mit seinem süßen
Sangeszauber mich entzückte,
War's wie ein geheimes Müssen:
Darum zum Poeten ward ich.
Meine Muse, ganz teutonisch,
Wunderlich und oft ironisch,
Die ein grob und eigenartig
Schandfranzösisch radebrecht,
Nennt die Dinge schlecht und recht,
Pfeift auf alle Gleichmaßregeln welscher Meisiersingerei,
Fühlt vom Zwang der Wortewäger, aller Peinlichkeit sich frei,
Wenn ihr Wort nur deutlich macht,
Was sie will und sich gedacht!
Darf ich doch dem innren Schauen
Zuversichtlicher vertrauen,
Ein Entlaufner aller Fron,
Als den frostigen Richtigkeiten —
Ungeheuren Wichtigkeiten
Für die Neusten von der Zunft,
Hält man auf dem Helikon,
Bitterwenig auch davon, —
Also folg' ich der Vernunft!

<4>

1. An die Verleumdung4-1

Wo ich wandle, wo ich schreite,
Unentrinnbar mir gesellt
Aus der Spuk, und Schattenwelt,
Bleibt ein Unhold mir zur Seite;
Mordgeschosse seine Blicke,
Und aus ftechem Schandmaul quillt
Dem Gespenste bleich und wild
Stromweis gallenbittre Tücke.
's ist ein körperloses Wesen;
Nur durch Lüge, Niedertracht,
Hinterlist und Lust am Bösen
Wird dies Nichts zu einer Macht.

Du unbändig Kind des Neides!
O, ich kenn' dich Feige gut:
An der Gier und an der Wut,
Nimmer satt des ftemden Leides,
Nimmer satt von Missetat
Und Verrat.
Deine Werke von dir sprechen,
Deine schamvergeßnen, frechen;
Deine Nattern von dir zeugen,
Die da Haß und Ingrimm säugen;
Kenne deines Schleiers Hüllen,
Der dein Haupt vermummt, den schrillen
Mißton deiner Lugtrompeten,
Wie sie in der Welt vonnöten
Jedem ungerechten Willen.
<5>Schwingst der Furien Fackelpaar,
Düstrer loht und schwelt der Brand
Vor dem Thron, bis ganz und gar
Er in Qualmgewölk verschwand;
Machst dich breit auf seinen Stufen,
Ach, da dringt der Unschuld Rufen,
Die dort ihren Helfer weiß,
Durch den Dunst nicht mehr hinan!
Bald ist er dir Untertan,
Gibt dir feig die Seinen preis:
Und vom Thron sind sie entrechtet,
Alle, die dein Haß geächtet.

Deine Häßlichkeit verborgen
Hinterm Trug staatsmänn'scher Sorgen,
Hast du's frecher Stirn gewagt,
Wider Könige geklagt.
Und dein Haß hat wider mich
Alle Höfe aufgehetzt:
Welch ein Zorngeheul das jetzt
In der ganzen Runde setzt —
Fürchterlich!
So wardst du zu guter Letzt
Seele aller Staatsminister,
Machst den Herrn mit deinen kranken,
Unheilvollen Nachtgedanken
Ihre Hellsten Tage düster.

Und die schwirrende, behende
Menschenrede trägt die Fracht
Deiner Wut und Niedertracht
Weiter bis ans Weltenende;
Läßt vergiftet hinter sich
Jedes Land, ob dem sie strich!
Und Europa hungert drauf,
Schnappt und schluckt den edlen Brodem,
Famas giftig-brant'gen Odem,
Lüstern stets nach Neuem, auf.
Und die Welt, in Wahn versenkt,
Den du selbst ihr eingetränkt,
<6>Nimmt für reine Wahrheit diesen
Lug, als war' er klar erwiesen.
Deinen Rost, du mußt ihn anwehn
Jedem Namen, groß an Ansehn;
Denn für scheele Dämmrungaugen
Kann der Blick ins Licht nicht taugen.
Deine Tollheit kennt kein Schonen!
So ward Cäsar des Geredes
Opfer als des Nikomedes6-1
Junger Gast! So die Scipionen!
Deinerhalb ging Belisar
In Verbannung: Lorbeerzier
Ward zu dürren Disteln hier,
Weil's dein Wunsch und Wille war.

Wo gab's ein Verdienst, das dich
Nicht gewurmt hätt' grimmiglich?
Blieb Thersites ungeschoren,
Lagst Achill du in den Ohren;
Heldenhoheit zu verderben,
Sah einst Griechenland die Deinen
Sich in Niedertracht vereinen
Zu dem Volksgericht der Scherben.
Ja, die Großen immerdar
Sind dein Opfer, deine Beute,
Und von deinem Mordaltar
Dampft ihr edles Blut noch heute.

Marschall Luxemburg! Ihn zieh
Der verruchtesten Magie
Deine trunkne Hirnverbranntheit;
Prinz Eugen mußt' jung an Jahren
Deine Bissigkeit erfahren;6-2
Wer in boshafter Verranntheit
Wagt wohl heute noch den prächtigen
Colbert niedrig zu verdächtigen?
Jeder Franzmann würde rot!
<7>Ludwig kaum den Rücken wendet,
Kaum ist der Erhabne tot,
Ist sein Bildnis schon geschändet.

Doch dein Dolch, ob er dem Ruhme
Wunden schlägt — dem Heldentume
Wird er Wecker erst und Sporn!
Manchen hat der Neid zuletzt
Just zum Sieg hinangehetzt:
Durch! Da hemmt nicht Busch und Dorn,
Wunder tut der wackre Streiter —
Sieh, so wird er ein Gefeiter,
Ist dein Gift an ihm verlorn!
Und des großen Namens Glanz,
Du auf Größe so Erpichte,
Strahlt nun erst im rechten Lichte,
Und in Nacht versinkst du ganz.

Darum darf mich niemand schelten,
Blieb auch ich nicht unversehrt,
Weil ja allem, was man ehrt,
Deines Hasses Pfeile gelten —
Wer, der deiner Tücke wehrt?
Nicht Minerva mit dem Schrecken
Der versteinernden Gorgone!
Sei's der Zeit anheimgestellt,
Deine Bosheit vor der Welt
Aufzudecken.
Der wird's ohne
Alle Müh' dereinst gelingen,
Neu zu Ehren uns zu bringen.

Jetzt zu euch, heimtück'sche Brut,
Die ihr, euch mit Bosheit nährend,
An des Scheusals Brüsten ruht:
Schreit nur! Mischt nur immerwährend
Eurer Lügenstimmen Greul
In ihr wüstes Wolfsgeheul —
Eitles Mühn, so sinnentbehrend,
Gleich als peitschtet ihr mit Ruten
<8>Meeresfluten —
Keift nur zu!
Fest im tiefsten Seelengrunde
Lebt mir in der bängsten Stunde
Unerschütterliche Ruh...

In beglückter Arbeitsstille,
Seiner Sendung treu ergeben,
Schafft ein weltbeglückend Streben,
Wirkt ein selbstlos reiner Wille.
Drüben aber sieht man dich
Rüstig in den groben Händen
Schneid'ge Klingen drehn und wenden,
Schärfen, rüsten emsiglich,
Um mit kalter Satanstücke
Auszurotten, zu vernichten
Was, im Bunde mit dem Glücke,
Weisheit Neues wollt' errichten.

Freilich seh' ich dich die Toten
Oft mit schnöden Händen streicheln,
Was wird alles aufgeboten,
Den Gestorbenen zu schmeicheln —
Um mit doppeltem Ergehen
Den Lebend'gen zuzusetzen!
Wer kennt deine Schliche nicht,
Frevel, die in Finsternissen
Immerdar sich bergen müssen,
Stets in Furcht vorm Tageslicht,
Wie der Raben schwarz Gelichter,
Das in der Zypressen dichter
Wipfelnacht verborgen steckt,
Mit Gekrächz die Schatten schreckt;
Gern um Totenkreuz und Hügel
Schwebt das düstre Nachtgefiügel!

Nein, du Viper, giftgeblähte,
Schändliche, die's nicht verschmähte,
Den Regenten, der uns allen
Zum Beglücker schien geboren,
<9>Mit dem Neidzahn anzufallen,9-1
Ihn, den gütigen, den milden —
Nein, die Mühe wär' verloren,
Dich, du reißend Tigertier,
Lechzend nur von Mordbegier,
Umzubilden;
Eh' ich das wollt' unternehmen,
Eher war' im Sonnenbrande
Afrikas ein Mohr imstande,
Dort die wilden,
Freien Bestien zu zähmen!

Sei du ein Virgil, ein Meister
Auf dem Doppelgipfel droben,
Sei ein Fürst im Reich der Geister —
Dieses Keifen, dieses Toben
Wie ein Zoilus, ein dreister,
Bannt dich von dem Helikon!
Was hilft all dein Sonnenstreben
Gleich dem Aar, der sich erheben
Möchte zu des Lichtgotts Thron?
Senke nur die stolzen Schwingen!
Keiner glaubt
An dein edles Aufwärtsringen —
Bist kein Adler überhaupt,
Nur ein Geier, der da raubt,
Der nur Beute will verschlingen!

Nein, wer, selber angesteckt
Von dem Gifte, solche Ehren
Der Verleumdung will gewähren,
Wisse, daß sein Lied die Kunst
Nur entwürdigt und besteckt!
Du mißbrauchst der Muse Gunst!
<10>Und vergiftet hat dir jene
In der Quelle
Schon den Lauf der Hippokrene;
Trübe nur rinnt ihre Welle.
Wie ich auch bewundern muß
Deiner Sprache Pracht und Fluß,
Mehr fürwahr
Zum Genuß
Lockt es mich bei Pierre Bernard,10-1
Unserm Liebeskunstpoeten,
Dessen überlegne Art
Still darwider sich verwahrt,
Vor den lauten Markt zu treten.

Seht die weinende Najade:
Wenn ihr droben
Ungeberd'ge Stürme grade
In den Wellenfrieden toben:
Glaubt, sie muß es drunten fühlen,
Wie sie in den Tiefen wühlen.
Schlammgetrübte Wogen spülen
Bis hinab ans Felsgestein,
Ja, bis in das Kämmerlein
Ihrer Grotte tief hinein.
Schweigen aber Wind und Meer,
Wird es Klarheit um sie her,
Lautre Reinheit sie umgibt
Ungetrübt.
Alle eure Schändlichkeiten,
Lohnt es erst, sie zu verbreiten?
Ja, so lang sie neu noch sind,
Gibt's im Lande ein'gen Wind,
Aber Freunde findet nicht
Euer Schimpft und Schmähgedicht;
Morgen ist es schon vergessen,
Bis es dann die Würmer fressen.
Aber echter Manneswert
<11>Hat, im Besten unversehrt,
In sich selber Halts genug
Wider Frechheit, Lug und Trug;
Und der Unbill allerwegen
Beut er Trotz und setzt mit Fug
Ihr die Zuversicht entgegen,
Daß die Nachwelt unbeirrt
Ihn gerechter richten wird.

Noch so sehr gefälscht, entstellt,
Siegt zuletzt in dieser Welt
Wahrheit über jeden Wahn;
Schließlich hat
Selbst der große Apostat
Julian
Seinen Anwalt noch gefunden. 11-1
Hat der Haß sich überlebt,
Sind die Hasser all zur Ruh,
Neid und Eifersucht dazu
Aus der Welt hinweggeschwunden,
Dann erhebt
Sich die Tugend unverkümmert.
Stets in neuem Ruhmeslichte
— Also lehrt's die Weltgeschichte —
Echte Manneshoheit schimmert,
Und zunichte
Wird das Neidwert schnöder Wichte.

<12>

2. Beharrlichkeit

Blindlings hinstürmende Wut,
Du, deren Wesen Verheeren,
Du, die durch Jammer und Blut
Ihre Bahnen sich bricht —
Nein, an deinen Altären
Opfte ich nicht!
Stillsichre Seelenkraft,
Die sich im Dulden strafft,
Die allen Schicksalsschlägen
Ausdauernd, heldenhaft,
Trotz setzt entgegen —
Preis dir und Ehren!
Wie auch die Neiderwut zetert und kreischt,
Weißt du den Wert dieses Lebens zu schätzen,
Doch auch gelassen ihn einzusetzen,
Wo es die Tugend erheischt.
<13>Hat doch der wagende Mut
Jener Prometheustat,
Die aus der himmlischen Hut
Einst das stammende Gut
Für uns entwendet hat,
Also erbittert die Himmlischen all,
Daß aus Pandorens Hand,
Ihrem unseligen Angebinde,
Wild sich ergoß der heillose Schwall
Höllischer Übel in alle vier Winde
Über das Menschenland.
Kaum, daß am Grunde noch grade,
Dank einem Resichen von göttlicher Gnade,
Die Hoffnung sich fand.

Ach, der Stiefmutter Natur
Ist's eine Kurzweil nur,
Ringt auf der Wunderbühne des Lebens,
Wo wir Sterblichen spielen müssen,
Mit den Leiden und Bitternissen
Ein Mensch vergebens!
Nichts kann des Fluchs uns entbürden,
Nicht die Geburt, nicht Verdienste noch Würden;
Wie's uns auch geh,
Stets überwiegt doch das Weh:
Galilei in Kettennot,
Medici ißt der Verbannung Brot,13-1
Und unter Henkers Händen
Mußte ein Stuart13-2 enden!

Seinem entschwundenen Glücke
Weint ein Beraubter nach;
Dort unter Neidertücke
Duldet ein argloses Herze Schmach;
Oder dein blühender Leib
Wird dir mit Siechtum und Plagen
Grimmig geschlagen;
Oder es stirbt dir dein Weib,
<14>Mutter und Bruder dein,
Und dein Getreuster scheidet von hinnen,
Läßt dich verwaist und allein —
Wie da die Tränen dir rinnen!

Also auf sturmtoller Flut
Treibt manch Schifflein daher;
Aber der wilde Orkan,
Der Tyrann auf dem Meer,
Bricht doch mit all seiner Wut
Nimmer des Seemanns Mut.
Ietzo wolkenhinan
Trägt ihn die türmende Welle,
Jetzt wie zum Abgrund der Hölle
Stürzt der gebrechliche Kahn.
Wo ist hier Rettung noch?
Tapfrer, verzweifle — und doch!
Wüte, was wüten mag,
Fest hält das Herz seinen Schlag:
Tausendmal trotz' ich dir, Tod, eh' ich verzag'!

Tage der Unruh! Wohin
Käm' es mit mir, dem Geplagten,
Wenn mein Schild, meine Wehr
Wider der Sorgen Heer,
Meine Getreusten, versagten:
Fest mir im Herzen drin
Du mein tragender, trotzender Sinn!
Wie auch das Schicksal mich treibt,
Ob über kurz oder lang
Fall mir und Untergang
Sicher verbleibt —
Sei's drum, ich werde
Zittern vor keiner Fährde!
Mag auch der Pöbel verzagen,
Greinen und klagen,
Erst wenn die Hoffnung zerrann,
Bewährt sich der Mann.
<15>Seht die beflügelte Zeit!
Eben noch rauscht ihr Gefieder —
Schon ist sie weit,
Weit, und kehrt niemals wieder.
Doch ihre rasende Eile
Ist uns zum Heile:
Wie sie Beschererin,
Ist sie Zerstörerin;
Was sie an Übeln gebracht,
Nimmt sie auch, eh' du's gedacht,
Wieder dahin.
Lohnt da Klage und Gram
Über ein Mißgeschick,
Das mit dem Augenblick
Geht, wie es kam?

Kenn' ich Ovid doch nicht wieder,
Wie er im Bann sich gebart:
Nichts mehr als winselnde Lieder,
Nichts mehr von Mannesart!
Kläglich liegt er darnieder:
Ist denn vor Romas Toren
Jegliches Hoffen verloren?
Konnt' er, statt zu verzagen,
Nicht mit Horatius sagen:
„Muß mein Glück in mir selber tragen!“

Segen euch, Lehrer und Meister,
Die ihr, himmelentstammt,
Euch bequemtet dem irdischen Amt,
Leuchten der Stoa ihr, führende Geister!
Sterblich wie wir,
Werdet ihr Götter allhier.
Ja, eure heldischen, hohen Gedanken
Und euer Mut ohne Wanken
Schlagen die Menschheit in Bann:
Wer da ein festes, gefeites,
Von Menschenschwachheit befreites,
Reifes Gemüt sich gewann,
Den tritt kein Leiden mehr an!
<16>Wie ist doch Regulus groß,
Als er den Feinden sich stellt!
Aus seiner Heimatwelt,
Die ihn mit Banden der Liebe hält,
Mannhaft reißt er sich los,
Um in karthagischer Haft
Sein Geschick zu erfüllen,
Seiner Bedränger roh wütende Leidenschaft
Durch seinen Tod zu stillen.16-1
Belisar, da er im Elend schmachtet,16-2
Verfemt und verachtet,
Ist mir ein höheres HeldenbUd,
Als der Feldherr, vom Glücke gekrönt;
Und was Ludwigs Gestalt mir verschönt,
Ist all das Menschenweh,
Das ich ihn tragen seh:
Kinder und Erben
Sah er hinsterben16-3.

Niedriger Seelen Art,
Sich im Behagen des Glückes zu sonnen!
Wohlfeile Lust! Sie ward
Einzig durch Zufalls Gnade gewonnen.
Niemals im Glücke tut
Hoher Sinn sich hervor;
Ist uns das Leben gut,
Ragen wir nicht aus dem Schwarm empor.
Doch wider Unheil und Schrecken
Stolzer sich heben, sich recken,
Wahrlich, das heiß' ich: mit Ehren
Mannheit bewähren.

Nichts mag das Schicksal, das blinde,
Linder gestalten;
Wer, der den Übergewalten
Je widerstünde!
<17>In den Wirbeln der reißenden Flut
Sinkt auch der rüstigste Schwimmer;
Hätt' er des Herakles Glieder,
Ringt er doch nimmer
Siegreich darwider.
Eines nur gibt es, was not hier tut:
Aushalten, Dulden, Beharren!
Mag dich das Schicksal auch grausam narren,
Trag es, wenn sich's nicht ändern läßt;
Nur bleib getreu, bleib fest!

<18>

3. Die Erneuerung der Akademie18-1

Welch Anblick ohnegleichen, geliebtes Vaterland!
Nun endlich will es tagen! Nun ist die Nacht gebannt!
Von blöden Vorurteilen, Irrtum und Barbarei,
Verscheucht aus Deinen Häusern, bist Du für ewig ftei!
Die schönen Künste jagen hinaus den wüsten Wahn;
Schon seh' ich ihre Helden in stolzem Zuge nahn,
Den Lorbeerkranz in Händen, den Zirkel und die Leier;
Die Wahrheit und der Ruhm
Geleiten sie zur Feier
In Mnemosynes Heiligtum.

Auf einem altersgrauen, geborstnen Säulentor,
Von roher Hand vernichtet, steigt sieghaft nun empor
Ein wundervoller Tempel, dem hehren Gott geweiht,
Der seine starte Hilfe der Kunst und Wahrheit leiht.
Und schon errichten Wissen, Vernunft und Geisteskraft,
Die mit vereintem Streben den Irrtum hingerafft,
Den Göttern, die sie schirmen, ein stolzes Ehrenmal,
Wie einst im Kapitol
Der hohe Ruhmessaal
Aufnahm der Siege Machtsymbol.

Unter der schnöden Herrschaft blinder Unwissenheit
Fiel diese Welt zur Beute dem Stumpfsinn weit und breit.
In ihren Eisenketten, von ihrem Wahn umnachtet,
Hat mit gelähmten Gliedern die Wahrheit lang geschmachtet.
Der Mensch war abergläubisch, verworfen, scheu und zag;
Doch da erschien die Wahrheit, und sieh, da ward es Tag!
<19>Er brach das Joch des Schreckens, das er so lange trug,
Verwarf das einst Verehrte,
Durchschaute den Betrug,
Der seinen Geist mit Fabeln nährte.

Auf jenem tiefen Meere, durch das der Weise fährt,
Ist er mit seiner schwachen Vernunft allein bewehrt;
Der Himmel ist unendlich, das Wasser uferlos;
Umringt vom Grenzenlosen, fühlt er sich arm und bloß.
Unendlichkeit ist alles, er kann sie nicht verstehen
Und irrt durch Höhn und Tiefen, die seinem Blick entgehen.
Sein Auge ist geblendet, die Sinne fassen's nicht,
Doch reizen ihn die Schranken;
Er macht es sich zur Pflicht,
Durchs All zu tummeln die Gedanken.

Im letzten Ringen brachte Vernunft hervor die Seher;
Sie kamen dem Geheimnis der Gottheit nah und näher.
Dem Menschen offenbarend des Höchsten wahres Wesen,
Erleuchten sie die Erde, wie sie am Himmel lesen.
Sie rechnen, wie die Sterne im Raum die Bahnen schlingen,
Sie wissen zu den Quellen der Ströme vorzudringen,
Erspähn den Lauf der Winde und wägen selbst die Luft.
Sie unterwerfen alles,
Erforschen Höh' und Kluft,
Selbst die Gestalt des Erdenballes.

Mit kund'ger Hand im Prisma zerteilen sie das Licht,
Das sich in Himmelsbläue, in Gold und Purpur bricht,
Das sonst in Strahlengarben Phöbus zusammenhält
Und von dem Himmelsthrone herabschickt auf die Welt.
Der Anatom durchstöbert im zarten Menschenleibe
Die Nerven und die Adern, forscht, was das Uhrwerk treibe,
Entdeckt verborgne Federn, dem Laienblick verwehrt.
Elektrische Magie
Berührt uns und durchfährt
Den Leib mit wilder Energie.

Nun naht auch meine Göttin, Beredsamkeit, die hehre,
Daß sie die goldnen Tage der Römer uns beschere,
Dem dumpfen Schweigen wieder die holde Stimme gebe
<20>Und mit des Geistes Feuer das rasche Wort belebe.
Hier bucht sie die Geschichte, dort läßt sie Verse rauschen.
Der feine Sinn kehrt wieder; den Jüngern, die ihr lauschen,
Läßt sie durch ihre Töchter erlesne Gaben spenden.
In ihre Tafeln schreiben
Sie mit den keuschen Händen
Nur Namen, die unsterblich bleiben.

Wie man in lichten Fernen, im blaugewölbten Himmel,
Uns malt der Götter buntes, vielfältiges Gewimmel
Und die Natur dem Dienste der Seligen unterstellt,
Sie herrschen läßt im Himmel, in Welt und Unterwelt,
Doch jedem ist im ganzen sein eignes Reich beschieden:
Im Schoß des Ätna läßt man Vulkan die Blitze schmieden,
Und Äolus entfesselt den Wind im Ätherraum,
Indes mit Zauberklang
Uns in entzückten Traum
Wiegt Polyhymnias Gesang: —

So glänzt an dieser Stätte Euer erlauchter Kreis
Von Priestern, deren jeder des Gotts Geheimnis weiß!
Die Ihr des Himmels Feuer der blinden Erde bringt
Und selbst die Vorurteile erleuchtet und bezwingt:
Ihr habt im Reich des Wissens jeder sein eignes Land,
Vereinigt alle Weisheit, die Menschengeist umspannt.
Der Wahrheit dunkle Tiefen hat Euer Geist durchdrungen;
Weltwunder macht Ihr kund.
Phöbus löst Euch die Zungen;
Orakel kündet Euer Mund.

Blüht, blüht, Ihr holden Künste! Mög' Euer Lorbeer sprießen,
Und mögen ihn die Wellen des Pattolos umstießen!
Ihr solltet dieser Erde, der törichten, gebieten,
Auf daß die Toren alle vor Eurem Altar knieten.
Schon hör' ich Eurer Stimmen holden Zusammenklang,
Uraniens Wort, sich schmiegend Melpomenes Gesang.
Ihr preist die Götter droben, Ihr gebt den Herrschern Lehren.
Der Himmel stößt mir's ein,
Das zwingende Begehren,
Euren Gesetzen Untertan zu sein!

<21>

4. Ode an die Preußen

Alles dankt ihr eurem eignen Werte,
Ihr, des Schlachtengottes Lieblingskinder,
Lorbeerstolze Völkerüberwinder,
Alles, alles eurem Heldenschwerte;
Laßt nicht rosten eure Waffen,
Nicht in Selbstzufriedenheit
Euren Mannessinn erschlaffen,
Bleibt, ihr Preußen, die ihr seid!

Mag Empfindung für der Ehr' Gebot
Heute noch ein ganzes Volk durchdringen
Und ihm Kraft verleihn, das Glück zu zwingen,
Weil es Furcht nicht kennt vor Feind und Tod -
Euer Kraftquell muß versiegen,
So nicht Treue drüber wacht,
Euer Bestes unterliegen —
Und dahin ist eure Macht.

Denkt, wie einst die wilden Punierkrieger
Unters Joch Italien gezwungen,
Wie mit Romas Herrengeist die Sieger
Schon ums Richteramt der Welt gerungen —
Bis Karthago dann mit Grauen
Alle Lorbeern welken sah
In dem Glück der lauen, flauen
Waffenruh von Kapua.

Bangte nicht in Hellas' Heldentagen
Vor Athen das ganze Morgenland,
<22>Da ein männlich Wagen, freudig Schlagen
Ging mit Herrscherweisheit Hand in Hand?
Asiens Völkerwogen fanden'
An den Griechen Damm und Wehr,
Xerres' Hoffart ward zuschanden,
Und zunicht sein Riesenheer.

Doch im Schatten ihrer großen Taten
Schossen alle Lasier geil ins Kraut,
Recht ward schnöde für Gewinn verraten,
Feigheit ward im Rat der Männer laut;
Längst war ihre Wehrkraft worden
Kleiner Niedertracht ein Raub,
Und der neue Held vom Norden22-1
Warf sie lachend in den Staub.
Mag der Blitzstrahl auch das Auge blenden,
Der das tiefe Schwarz der Nacht zerreißt,
Wenn durch Finsternisse allerenden
Seine jähe Flammenfährte gleißt —
Ach, ein Augenwink nur trennet
Werden und Vergehn zu Nichts;
Eh' der Blick ihn recht erkennet,
Schwand das Wunder seines Lichts.
Flammenmächtiger auf hohen Wegen
Herrscht der Sonne Lichtbeständigkeit,
Strömt hernieder ew'gen Leuchtesegen,
Sprengt das Eis, erlöst vom Winterleid;
Und ihr lautrer Strom der Gnaden
Wirkt beseelend und erhält
Auf den fernsten Schöpfungspfaden
Alles Leben in der Welt.
Wie der Feuerborn der Weltenhelle
Aus der Schöpfung Herzen sich ergießt,
<23>Bleibt er auch die starke Lebensquelle,
Die ohn' Ende stießt und überfließt;
Alles muß davor erbleichen:
Färbt der Morgenwolken Saum
Purpurglut, die Sterne weichen
In den dunklen Weltenraum.

Bleibt auch ihr, ihr Preußen, kraftbeständig,
Laßt die Sonne euch ein Vorbild sein,
Wahrt den jungen Waffenruhm lebendig,
Nicht auf halbem Wege haltet ein;
Lehrt's den Zweifler und Verächter:
Ehre bleibt nicht kinderlos,
Rechte Tugend tragt Geschlechter
Neuer Tugenden im Schoß!

Nimmer läßt des Himmels Haß und Tücke
Stolze Reiche schmachvoll untergehn;
Nirgend stand's im Buch der Weltgeschichte:
Also nur, nicht anders soll's geschehn!
Wink dem klaren Geist Vollbringen,
Scheitert blinder Unverstand;
So Gedeihen wie Mißlingen —
Beides liegt in unsrer Hand.

Mannestaten ohne gleichen schichten
Zu dem Bau des Reiches Stein auf Stein;
Hört denn, Helden! Ehren, sie verpflichten:
Hüter eures Werkes müßt ihr sein!
Rastlos, rastlos, Sturmgefieder!
Ist's zur Höh' auch nicht mehr weit.
Säumst du einmal, sinkst du nieder —
's ist das Los der Sterblichkeit!

Doch vergeßt auch nicht des Höhren Ruhmes:
Wie ihr im Triumphe aufwärts steigt,
Krönt euch jede Zier des Menschentumes,
Wenn ihr milden Sinn und Großmut zeigt!
<24>Die bezwungnen Feinde sollen
Mehr denn eurem Mut im Streit
Eurer Höhren Sittlichkeit
Ehrfurcht und Bewundrung zollen.

<25>

5. An Maupertuis25-1
Das Leben ein Traum

Sag doch: was ist, Freund Maupertuis,
Das ganze bißchen Leben?
Nicht mehr denn eine Blume, die
Heut' prangt und lacht,
Und über Nacht
Ist sie schon hingewelkt, die eben
Den Kelch erschloß! So ist's bestimmt
Im Ratschluß der Notwendigkeit,
Die alles Sein von hinnen nimmt
Mit Unerbittlichkeit;
All deine Gaben, noch so hoch,
Und all dein Wert, sie wirken doch
Dir keines Tages Gnadenfrist,
Wenn deine Zeit erfüllet ist.

Die schönen Tage mein, sie schwanden,
Wie eine Welle auf dem Meer,
Des Lebens Lust kam mir abhanden,
Kein Zauber bannt sie wieder her.
Der Stoa Weisheit ernst und kalt
Ward längst mein einz'ger Trost und Halt,
Und Will's mit mir herniedergehn,
Heißt sie mich geistesstark erstehn.
Hin flieht das Heute; voller Sorgen,
Ein Reich der Zweifel, ist das Morgen,
Und das Vergangne ist mir kaum
So wesenhaft als wie ein Traum.
<26>Was soll, hoffärtig Menschenkind,
Der Schöpferdünkel deines Geistes
Auf das, was er erkennt, ersinnt?
O beug' dein Herz, dein kindisch-dreistes,
Ermiß, wie schwächlich,
Hinfällig, gebrechlich
Dein Lebensschicksal und wie kurz dein Lauf!
Kaum schlägt der Mensch die Augen auf,
Verfällt er schon der dunklen Macht,
Die ihn entgegenzerrt dem Nichts, der Nacht.
Das gleiche Ende und das gleiche Ziel
Ist einem Mävius26-1 und ist Birgit
Ohn' Unterscheidung zugedacht.

Ihr Toren, die der falsche Glanz
Flüchtigen Erdenguts betört,
Die ihr dem goldnen Götzen ganz,
Dem Herzverderber, angehört!
Für wen denn schafft ihr?
Häuft ihr, rafft ihr?
Im flücht'gen Weltvorüberwallen,
Flüchtig wie Lenz und Blütenfallen!
O kindisch Wähnen,
Wert der Tränen:
Was wird von all den Herrlichkeiten
Euch niederwärts begleiten?...

Wieviel Jahrhunderte verrannen,
Seit schöpferische Allgewalt,
Den ew'gen Stoff in Form zu bannen,
Dem Chaos gab die Weltgestalt!
Es waltet ob der Wirklichkeit
Allmächtig das Gesetz der Zeit:
Das Jetzt entflieht, kaum ward es mein;
Die Zukunft hastet hinterdrein —
Die Spanne deiner Daseinsfrist
Ein Pünktchen nur im Ew'gen ist!
O Mensch, ein Leben heißest du —
Was nur ein Augenblick, ein Nu!
<27>Ja, wenn es noch zwei Leben wären,
Zwei Menschenalter! Dann vielleicht
Dürft' man den Wahn schon eher nähren,
Der aufwärts zu den Sternen reicht!
Zu Götterhöhen keck entschweben
Möcht' euer kurzbemeßnes Leben —
Und seid doch all, ihr armen Toren,
Im Schlamm zu kriechen nur geboren,
Zu leben einen Augenblick,
Dann zu versinken — in das Nichts zurück!
Und Ihr? Ihr wollt nach Ruhm hienieden streben?

Wozu nach einem Glücke jagen?
Wozu des Himmels Ungunst wagen?
Glück ist ein heitrer Traum der Nacht,
Unglück ein Traum, der bang uns macht:
Was uns auf Erden widerfährt,
Sei's gut, sei's schlimm, es ist nicht wert
Der Freude oder Trauer
Bei unsrer Tage Dauer.
Was liegt mir da an Lust und Weh,
An Lieb' und Liebesnot? Ich seh'
Einen Faden gleiten und enden
In Atropos' Händen.

Glücksgüter, Würden, Ruhm und Ehren,
Was hoher Sinn nur mag begehren —
Gleißende Schemen, Dunst und Trug!
Wie Rauchgewölk im Wandelflug;
Im Wahrheitslicht
Wird all die luftige,
Schwebende, duftige
Morganaschönheit schnell zunicht!
Nichts hat Bestand,
Kein Reich, kein Land;
Das Mächtigste wie das Geringe
Erliegt dem Wandel aller Dinge.

Die Blindheit — tat sie von uns weichen!
Der Wahn, die Schwäche, die uns narrt:
<28>Was groß uns schien und ohnegleichen,
Seht, Kleintram war's von winz'ger Art;
Schwingt euch im Geiste himmelan
Zum Thron der Glorie, und dann
Schaut niederwärts vom Weltendom —
Wo bleibt Paris da? Peking? Rom?
Verschwunden alles! Ward ja doch
Der Erdenball
Ein Pünktlein nur im Weltenall!
Ach, was bleibt da vom Menschen noch?

So schwimmt man, eitelkeitbefangen,
Inmitten zweier Ewigkeiten:
Dort die, die vor uns hingegangen,
Dort künftige Unendlichkeiten.
Wie Tantalus, vom Wunsch entbrannt
Für Trugbesitz und nicht'gen Tand,
Rastlos geplagt
Von Sehnsuchtnot und Glücksbegehr,
Und hinter einem Traumbild her
Stets auf der Jagd —
So taumeln wir ins Nichts hinein.
Sieh, das heißt Leben, das, ein Mensch zu sein!

<29>

6. An Hermotim
Lob der Wissenschaft

Dir, Hermotim, bin ich als Freund begegnet.
Kann Dir ein Vater mehr an Liebe schenken?
Mit jedem Wunsche Hab' ich Dich gesegnet:
Muß ich Dich mahnen, an Dein Glück zu denken?

Früh reift' ich selbst die Früchte Deiner Jugend.
Nun seh' ich, ach! statt der erhofften Tugend
Das Ungestüm, das sich zum Lasier wendet,
Den Sinnenrausch, der Deinen Geist verblendet,
Den Zügel der Vernunft zerrissen schon,
Wo rings Gefahren Deinen Pfad umdrohn.
Des Aufruhrs Feuer lodert Dir im Herzen —
Was ich auch sehe, schafft mir Furcht und Schmerzen!

Jung, unerfahren trittst Du in die Welt,
Und wie Odysseus' törichte Gefährten
Verlierst Du Dich in Circes Zaubergärten;
Schon seh' ich Dich wie sie zum Tier entstellt.
Da locken Dich der Lust Sirenenlieder
Und Gaukelein in güldner Ketten Haft.
In Saus und Braus, jedwedem Zwang zuwider,
Lebst Du dahin, in Müßiggang erschlafft.
Dir schuld' ich Hilfe! Aus den Zauberketten
Will ich mit starkem Freundesarm Dich retten.
Den Trug, der Dich im Taumelglück der Sinne
Umstrickt, vernicht' ich, daß der Traum zerrinne!

Entstellt durch Lasier wird des Menschen Bild.
O sei wie einst zu edlem Tun gewillt!
<30>Kehr' um zur Arbeit, die den Geist ernährt,
Das Herz erhebt und unser Streben ehrt!
Dem dumpfen Pöbel mag man es verzeihn,
Spannt er ins Joch der Leidenschaft sich ein;
Denn nie noch unterschied sein dumpfer Sinn
Der Venus Tochter von der Buhlerin,
Die zarte Lust von seinem dumpfen Drang,
Der doch der Stunden öde nie bezwang.

Folge dem Trieb, wie's Dich der Pöbel lehrt!
Doch hast Du recht der Weisheit Rat vernommen,
So folge ihr zum Heil! Vernunft verwehrt
Uns Menschen keine Freuden, die uns frommen!
Wisse, ich lehre Dich die wahre Lust,
Die würdig ist, zu glühn in Deiner Brust,
Die nicht die Seele schlaff, verächtlich macht,
Nein, helle Himmelsflammen drin entfacht,
Die jung und alt die gleichen Freuden spendet,
Gleich hell erstrahlt in Freud und Leid,
Die bleibend ist, wie auch das Glück sich wendet,
Ob Du im Strom der Welt, in Einsamkeit,
Gesund bist oder trank, in Stadt und Land,
Bei Tag und Nacht, am Hof oder verbannt: —
Dein Lebensglück schenkt sie Dir allezeit!

Die Götter, die Erbarmen mit uns haben
Und lindern wollen unsern Erdenkummer,
Verliehen uns zwei holde Himmelsgaben:
Hoffnung heißt eine und die andre Schlummer.
Der Weise nur ward reichlicher bedacht,
Und süßen Trost hat Pallas ihm gebracht:
Die Wissenschaft, die uns so hoch beglückt
Und stets mit neuen Reizen uns entzückt,
Je näher, desto schöner anzuschaun!
Die Glücklichen, die ihr sich anvertraun,
Verschmähen falsche Güter und bereichern
Den Geist mit dem allein, was sie uns schenkt.
Doch wähne nicht, daß sie sich an uns drängt!
Sie reicht die Schätze aus des Wissens Speichern
Nur Dem, der treu sie liebt und ihre Huld
<31>Durch Fleiß erringt und zärtliche Geduld.
Liebst Du sie wahr, wird sie Dir viel bescheren,
Und recht genützt, kannst Du das Gut noch mehren —
O heil'ger Hort der Tugend, frei von Schuld!

Die Wahrheit führt den Griffel der Geschichte,
Sitzt über alle Zeiten zu Gerichte;
Versunkne Reiche läßt sie neu erstehn,
Zeigt sie im Wachsen, Blühen, Untergehn.
Da lernt man ohne äußre Macht regieren,
Nur durch des Worts Gewalt die Geister führen;
Man lernt sich selbst erkennen und bezwingen,
Die Herrschaft übers eigne Ich erringen.
Von der Erfahrung läßt sich unser Geist
Ins Innre der Natur behutsam leiten;
Mit Maß und Zahl durchdringt er dreist
Des Weltenraumes grenzenlose Weiten.
Im Urgrund der Natur, der Dinge Schoß,
Legt er geheimnisvolle Faden bloß.

So wird der Weise Herr der Elemente,
Vereint in sich, was Raum und Stunde trennte.
Mitleidig sieht er auf dem Erdenball
Der Herrschermacht Gepränge — Rauch und Schall,
Und jene aufgebauschten Nichtigkeiten,
Um die sich wutentbrannt die Menschen streiten.

Der Sinne Zauberbann entgeht der Weise.
Ob auch Marcellus Syrakus bekriegt, 31-1
Zieht Archimedes ruhig seine Kreise
Und weiß nicht, daß die Römer schon gesiegt.
In seinem unstillbaren Drang nach Licht
Der Welt, der er Erleuchtung bringt, entrückt,
Allein nach Wahrheit ringend, sieht er nicht
Das Scheusal, das den Mordsiahl nach ihm zückt.
Ein Himmelsbürger, auf die Welt verschlagen,
Beklagt er ihre Kriege, ihre Not;
Sein Geist, gefeit gegen des Schicksals Plagen,
Verachtet falsche Güter, Schmerz und Tod.
<32>Doch das sind alte Fabeln, wirst Du sagen.
Manch Beispiel zeigt sich auch in unsern Tagen!
Sieh jenen Weisen, wie er, stets beneidet
Und stets verfolgt, sich dennoch still bescheidet!
Als Bayle erfuhr, daß ihm der Ehrensold,
Den Holland seinem seltnen Geist gezollt,
In Rotterdam durch eines Elfters32-1 Wut
Entrissen sei, verlor er nicht den Mut,
Beklagte lächelnd jenen Glaubenssireiter
Und schrieb in tiefster Armut ruhig weiter.

Kann Fürsienzorn und kann der schwarze Neid
Zum Räuber unsrer Geistesschätze werden?
Sie sind — Doch Du blickst finster und zerstreut,
Und Langeweile künden die Gebärden.
„Sieh“, sprichst Du, „dieser sechzig Wappen Zier:
„Die heben aus dem Pöbel mich heraus.
„Mein Stammbaum ist bekannt, verwandt mit mir
„Von alters her manch adelsstolzes Haus.
„Ich habe Güter, Geist und Gaben. Mich
„Sieht jeder gern, wenn nicht Frau Fama lügt.
„Natur beschenkte mich so mütterlich:
„Was würde durch die Kunst hinzugefügt?“

Gewiß, Dir war Natur sehr wohlgesinnt.
Doch laß Dir sagen, ohne daß Dich's kränkt:
Sie hat gleich viel dem rohen Stein geschenkt,
Der Seidenraupe, die ihr Haus sich spinnt,
Den wilden Reben, die im Wald gedeihn.
Die Kunst erst gibt den Schliff dem Edelstein.
Das Seidengarn, gehaspelt auf die Spule,
Von flinker Hand gewirkt am Webestuhle —
Sieh, wie's der Iris Farbenspielen gleicht
Und wie vor ihm der Blumen Pracht erbleicht!
Der Rebstock, den des Gärtners Kunst nicht pflegt,
Nutzloses Laub statt süßer Trauben trägt.
Die Kunst erst prägt die Gaben der Natur:
Wer beides eint, ist auf der rechten Spur.
<33>Reich bist Du, wohl! Allein woher Dein Glaube,
Ein Häuflein Gold bedecke Dich mit Ruhm
Und Deiner Ahnen großes Heldentum,
Der Modernden, erhöbe Dich vom Staube?
Hängst Du noch so am gröbsten Vorurteil?
Ein altes Pergament, ist das Dein Heil?
Der Wert des Menschen liegt nicht in den Gaben,
Die uns der Zufall schenkt und wieder raubt,
Und nur ein Tor in seinem Wahne glaubt,
Daß Geld und Güter innre Werte haben.
Fünftausend Taler sind des Glückes Pfand
In einem Nest wie Brieg, doch in Berlin ein Tand.
In Brieg bewundert, in Berlin verlacht —
Mußt Du Dir nicht zur eignen Schmach gestehen,
Daß man nicht Deinethalb Dich angesehen,
Nein, daß der volle Beutel alles macht?...

Reichtum erweckt nur Eifersucht und Neid.
Zwar jeder nennt Dich Freund, ist dienstbereit
Und macht den reichen Tropf flugs zum Voltaire.
Doch flieht das Glück, so kennt man Dich nicht mehr
Und geißelt Dich und stellt Dich hämisch bloß;
Die einst freigebige Hand läßt jeder los,
Und statt der Tugenden, die man Dir angedichtet,
Sieht nun der Haß nur Fehler, die er richtet!
Doch das Verdienst wird schließlich stets gerächt
An einem Midas, den das Volk zum Götzen
Erwählte: seines Flitters bunte Fetzen
Verbergen seine innre Hohlheit schlecht.
Er gleicht der Blase, die, vom Wind geschwellt,
Durch einen Stich in nichts zusammenfällt...

Willst Du geliebt sein, willst Du Gutes schaffen,
Sei sittenstreng, laß nie den Geist erschlaffen.
Der Wüstling wird verpönt, verlacht der Tor,
Doch das Verdienst tut schließlich sich hervor.
Man braucht es, sucht es, und es kommt zu Ehren,
Und höchste Lust bleibt stets, sich selbst belehren.
Nur sie vielleicht erträgt ein Übermaß,
An dem noch nie die schwarze Reue ftaß.
<34>Doch von den schnöden Lüsten, die ich schmäle,
Bleibt öd und leer das Herz, und Überdruß
Legt wie ein Alb nach jeglichem Genuß
Sich mit erloschnem Aug' auf Deine Seele.

Ergreift nach Ruhm Dich ein geheimes Sehnen,
Die Geistesgaben weisen Dir die Bahn,
Und gleiche Gunst gewährt Frau Fama denen,
Die in Apolls und Mars' Geleite nahn.
Selbst Helden sah man sich vor Weisen neigen,
Ehre der Tugend und dem Geist bezeigen ...
In allen Zeiten, da die Kunst geblüht,
Zwiefach gekrönt siehst Du die Herrscher thronen.
Für Kunst und Wissen ist die Welt erglüht,
Und Ruhm verleiht sie, das Verdienst zu lohnen ...

Ihr blöden Geister, wandelnde Maschinen,
Die nur im dumpfen Joch den Sinnen dienen,
Wie jener König, der zu stolz-vermessen,
Von Gott gestraft ward, Gras im Wald zu fressen:34-1
Ein Traum ist euer Sein; eh' ihr erwacht,
Ist euer stumpfes Leben hingebracht.
O fürchte, Hermolim, dies grause Muß!
Laß Dich beizeiten aus der Dumpfheit wecken.
Laß untergehn die Narren und die Gecken
Im Sinnentaumel und im Überdruß,
Als Schmach der Menschheit, von der Welt verachtet:
Die Weisheit blüht, wo's um die Toren nachtet!

Ihr Teil empfing jedwede Kreatur,
Den Trieb das Tier, der Mensch erhielt den Geist,
Der ihn nach Wahrheit trachten heißt.
Sind wir auch gleich den Tieren von Natur,
So werden wir den Himmlischen verwandt
Durch ihre hehre Gabe, den Verstand.
Sardanapal verliert sein Geistesgut:
Der Flamme gleich in der Vestalin Hut
<35>Will diese Glut geschürt sein und genährt;
Denn bald verlischt sie, wenn man sie nicht mehrt!
Nur diesen Rat kann Dir die Weisheit geben:
Hindämmern ist der Tod, viel Denken Leben.

<36>

7. Ruhm und Eigennutz

Sei's Überdruß, sei's, weil ein jedes Ding
Sich überlebt: vom Wahn, der mich umfing,
Wie alle Welt, kehr' ich mich ab. Mein Blut
Rollt minder heiß; schon stellt mein Herbst sich ein:
Zeit wird es, der Vernunft Gehör zu leihn!
Die blinde Jugend findet alles gut,
Doch andre Zeiten, andre Sitten: schließlich
Erstickt die Weisheit unsrer Wünsche Glut.
Wohlan denn, nüchtern Denken ist ersprießlich!
Streng wäg' ich ab: was gilt die Mörderlust
Des Oktavian, die Tugend des August?36-1

Die Tugend, immerfort im Mund geführt —
Wie oft mißbrauchte sie der Ehrgeiz nicht?
Sprecht, ob sie wohl dem Britensiolz gebührt,
Der ungestraft Europens Hader schürt
Und Herrscher, die Gefahr ihm drohn, besticht,
Der seines eignen Volkes Sinn verdirbt, 36-2
Der schlau mit Gold sich feile Söldner wirbt
Und lächelnd dieses blut'ge Urteil spricht:
„Ihr Menschen, schlachtet Euch, so ist mir's recht!“

Wie kann man ohne Murren es ertragen,
Wenn sich ein Geizhals, seines Goldes Knecht,
Der Tugend Namen anzutun erfrecht?
Wie darf er sich mit ihm zu schmücken wagen?
<37>Er maßt sich einen Ruhmestitel an:
Was tat er denn, wodurch er Ruhm gewann?

Zur Fahrt bereit, sein Schiff im Hafen schaukelt;
Widrige Winde halten es gebannt.
Er flucht dem Schicksal; seine Hoffnung gaukelt
Ihm Schätze vor im fernen Morgenland ...
Da schweigt der Sturm; beglückt eilt er an Bord;
Der Anker steigt, das Schiff verläßt den Port.
Er trotzt dem Wintersturm, dem Sonnenbrand,
Hält jeder Mühsal unverdrossen stand,
Verachtet die Gefahr, die ihn bedräut:
Nichts schreckt den Geist, dem Eigennutz gebeut!
Da zieht ein Wetter auf; gen Himmel türmen
Die Wogen sich, und klaffend gähnt ihr Schlund;
Des Schiffes Mast zersplittert in den Stürmen;
Am Riff zerschellend, sinkt es auf den Grund.
Die Mannschaft rettet aus dem nassen Grab
Auf Trümmern sich und schwört die Seefahrt ab.
Der Geizhals flucht dem falschen Element,
Doch kaum an Land, reißt ihn das gier'ge Trachten
Von neuem hin, und frisch sein Mut entbrennt.
Die Habsucht spricht: „Gefahr mußt Du verachten;
„Die Dornenpfade führen Dich zum Glücke!“
Der arme Nimmersatt, er zaudert kaum,
Vergessen hat er schon des Meeres Tücke;
Der Eigennutz bleibt Herr: sein Hoffnungstraum,
Gewohnheit, Unrast, Gier auf Gold versagen
Ihm jeden Wunsch nach friedlichem Behagen,
Und noch vom Schiffbruch triefend, eilt er toll
Zu Schiff und trotzt aufs neu der Stürme Groll.

Was nützt dem Midas all sein Überfluß?
Verschlingt er wohl das Gold in seinen Speichern?
Das Schicksal macht uns alle gleich: er muß
Zu neuem Aufwand täglich sich bereichern.
Nicht reich macht ihn die Habe, die ihn quält:
Arm fühlt er sich durch alles, was ihm fehlt.
Doch lächerlicher und noch mehr vernarrt,
Wer nie genießt und nur zusammenscharrt,
<38>Bis grinsend ihn der Tod von ungefähr
Mit seiner Hippe trifft und einen Erben,
Der Mangel litt und lauert' auf sein Sterben,
Mit Schätzen überhäuft! Noch ehe der
Ins Grab ihn bettet, leert er schon die Truhen
Und schlürft die Weine, die im Keller ruhen:
So weit kann Torheit einen Geist verblenden!

Doch wenn sich Geiz am eignen Leibe rächt,
Bedroht die Ehrsucht unser ganz Geschlecht.
Nach Größe strebt sie mit dem Dolch in Händen;
Ihr Planen und Vollbringen höhnt das Recht;
Zum Frevel wird der Tatendrang entstellt.
Solch schlimmer Hang, die Lust verderbler Seelen,
Wälzt Staaten um und siört die Ruh der Welt:
Ein Märchen will ich Euch davon erzählen.

Die schnöde Selbstsucht und der stolze Ruhm
Sahn einst auf Erden sich nach Narren um.
Da wurden Hirten, Bürgersleute, Priester,
Vornehme Herren, Krieger und Minister
Durch ihre schlimmen Gaben bald betrogen.
Am Weg bei einer Hütte sahn die beiden
Den Hirten Damon seine Schafe weiden.
Dem schlichten Jüngling war Natur gewogen:
Geist und ein fühlend Herz war ihm beschieden;
An Freiheit hing er, liebte Ruh und Frieden.
Weltfern, mit Phyllis nur und seiner Herde
Lebt' er beglückt auf seinem Stückchen Erde.

„Wie?“ sprach der Ruhm empört, „soll dieser Hirt
,Die Schmach uns antun, so mit Glück zu prunken?
„Wir haben manchem schon den Sinn verwirrt,
„Selbst Tugend, Weisheit sind oft hingesunken.
„Wie viele wären ohne uns beglückt!
„Doch hätten wir umsonst die Welt berückt,
„Umsonst entstammt der Kriegesfackel Glut
„Und uns gebadet in der Opfer Blut?
„Fürwahr, solang wir hier allmächtig sind,
<39>„Ziemt es sich nicht, uns stumm darein zu fügen,
„Daß dieser Schäfer unsrer Macht entrinnt.
„Auf! Stören wir sein weises Selbstgenügen!
„Auch er verspüre unsre Allgewalt!“

Um Damon desto sichrer zu betrügen,
Nahn sie in Hirtenkleidung und -Gestalt
Und reden sanft und schmeichlerisch ihn an.
Der Ruhm beginnt: „Beklagenswerter Mann,
„Warum verhehlst Du uns und aller Welt
„Der Gaben Fülle? Zeig' Dich unverstellt!
„Erkenn' Dich selber! Stirbst Du namenlos,
„So stirbst Du zwiefach. Dein Talent ist groß:
„Sei's auch die Laufbahn! Komm und tritt ans Licht!
„Verbirg Dich, Zier der Menschheit, länger nicht!
„Dich ruft das Glück; Ruhm, Ehre harren Dein;
„Gewisse Größe darfst Du Dir erhoffen.
„So wähle denn — die Wege stehen offen —
„Willst Du Minister, Dichter, Feldherr sein,
„Gefeiert von der Mitwelt und verehrt,
„Dereinst gar zur Unsterblichkeit verklärt?
„Siehst Du die Hirten dort in dumpfem Staunen,
„Wie sie, von Deinem Glanz geblendet, raunen:
„Ist das der Damon, der einst Schäfer war?
„Schon plagt Colin und Lycidas der Neid:
„Sie bersten, sehn sie Deine Herrlichkeit!“

Die Rede klingt ihm neu und wunderbar
Und sinnbetörend; tief in sein Gemüt
Ist schon der Ehrsucht schleichend Gift gedrungen,
Und für den Ruhm ist Damon rasch erglüht.
Der Eigennutz sieht ihn schon halb bezwungen;
Flugs stürmt er auf den Hirten ein und schwellt
Sein Herz mit unstillbarem Durst nach Geld.

„Erkenne“, spricht er, „Deine Unklugheit
„Und lerne, wo das Glück zu finden ist.
Du darbst und wähnst, daß Du enthaltsam bist —
„Ha! Solche Einfalt, Hirt, gen Himmel schreit!
<40>„Was bist Du? Deiner Herde blöder Sklave,
„Treibst sie zur Tränke nur und scherst die Schafe,
„Indes so mancher lebt im Überfluß
„Und sorglos frönt dem weichlichen Genuß!
„Welch wohliges Behagen findest Du
„In den Palästen, welch bequeme Ruh!
„Sieh das Lustwandeln ihrer Herren an:
„'s ist ein Triumphzug; üppig sind die Mahle,
„Und jedes Fest gleicht einem Bacchanale!
„Wir alle sind dem Reichtum Untertan;
„Das Gold beschert Talente, Freunde, Ehren,
„Und wo es fehlt, ist Notdurft und Entbehren.
„Mit hohem Geist, Vorzügen wunderbar,
„Doch arm, bist Du ein tugendhafter Narr!
„Das Gold herrscht hier auf Erden unbeschränkt:
„Willst Du bestrittne Rechte Dir erkämpfen,
„Kannst Du den Aufruhr in der Brust nicht dämpfen,
„Ein goldner Hammer alle Türen sprengt!
„Man feiert Deine Gaben und erträgt
„Die Torheit selbst: dies kostbare Metall
„War stets der Dinge Nerv und überall
„Die Triebkraft, die rundum die Welt bewegt!“

Der Ärmste hält, vom Eigennutz erfaßt,
Nicht länger stand und fällt in seine Schlinge.
Phyllis, die Herde, die vertrauten Dinge
Sind vor dem Gaukelspiel zu nichts verblaßt.
Sein ländlich Leben dünkt ihn blöd und leer;
Nach Glanz und Gütern sieht nun sein Begehr,
Und er verläßt die Trift, sein häuslich Glück.
Die arme Phyllis — was geschah mit ihr?
Mit bangem Laut — ihr bricht das Herze schier —
Ruft sie den heißgeliebten Freund zurück,
Er geht, von ihren Tränen ungerührt,
Vom Eigennutz verhärtet. Ihn entführt
Der stolze Ruhm, verachtend seine Gier.
Wie reich an Reizen, neu und immer neuer,
Dünkt einem armen Hirten doch die Welt,
In die Natur ihn schlicht und arglos stellt!
<41>Schwer ist die Wahl; er geht auf Abenteuer.
Die Sucht, sich Ruf und Ehre zu erringen,
Macht ihn zum Musenschüler; sein Geschick
Steht glänzend, lockend stets vor seinem Blick.
Um rascher ans ersehnte Ziel zu dringen,
Kürzt er durch Feuereifer sich die Wege;
Der Genius leiht ihm seine starken Schwingen.
Bald ist er allbekannt — doch als Kollege
Kommt er den schönen Geistern ins Gehege.
Die Verseschmiede und die Schreiberseelen
Verfolgen ihn mit ihrem gift'gen Schmälen;
Aus seinen Richtern spricht der nackte Neid.
Rasch wird ihm diese Art des Ruhmes leid:
Gehüllt in Schweigen, müde des Geschreis,
Gibt er den eignen blinden Eifer preis.

Damon verläßt des Pindus Höhn; sein Sinn
Strebt höher nun — zur Heldenlaufbahn hin.
Seit er zu Mars und zu Bellona schwört,
Trotzt er dem Zufall, hält Gefahren stand,
Beschirmt den Thron und rächt sein Vaterland.
Er führt zum Sturm, hat Wall um Wall bezwungen;
Der Stab wird sein, der manches Hirn verstört;
Den Siegen folgen die Eroberungen —
Noch ein paar Siege mehr und ein paar Glieder minder,
Und Damon gleicht des Brutus Überwinder. 41-1

Doch andre spinnen Ränke; scheeler Neid
Begeifert ihn mit seinem Gift und raubt
Den Siegeslorbeer von des Jünglings Haupt.
Was er vollbracht, nicht seiner Tüchtigkeit
Schreibt man es zu — der Dummheit der Rivalen.
Dafür, daß er das Vaterland befreit
Aus höchster Not, soll er nun Buße zahlen.
Sein Tatendrang weckt des Ministers Groll;
Ein Sieg noch und sein Sturz ist ausgemacht.
Verspritzt er auch sein Blut in mancher Schlacht,
Es macht der Undankbaren Zahl nur voll.
<42>Man klagt ihn an, die Lästernde schwirrt;
Der glatte Höfling und der Eisenfresser
Verleumden dreist und täuschen um so besser
Das blöde Volk, das leicht betrogen wird.
O welche Prüfung! Truggestalt des Ruhms,
Du bist der schlimme Lohn des Heldentums!
Flicht Tat um Tat in Deinen Siegeskranz,
Ein Neidbold raubt Dir allen Ruhmesglanz!

Im Schoß des Sieges, der sein Hoffen knickt,
Vom Neid gestürzt, befreit' er auch sein Land,
Kehrt er sich grollend ab vom Kriegerstand;
Doch ist die Ehrsucht nicht in ihm erstickt.
Sie weist ihm einen neuen Lebenslauf:
In einem Kabinett taucht Damon auf,
Verträge kritzelnd, Pläne ausgestaltend,
Europens Last auf seinen Schultern haltend,
Wie dieser neue Atlas töricht meint,
Doch finster, grüblerisch, ein Menschenfeind.
Als Kriegsmann übt' er Sittenstrenge: nun
Schwelgt er in Lastern, wie's die Großen tun.

Seit sich die Staatskunst an Sophismen hängte
Und sich mit Machiavellis Gift durchtränkte,
Sieht man nur Schurken, pfiffig und verlogen,
Minister, bald Betrüger, bald betrogen.
Die Ehre löst sich auf in eitel Dunst,
Und durch Verbrechen lernt man Herrscherkunst.

Die Seuche hat auch Damon übermannt;
Mißtrauisch wird er, falsch und hart wie Stein.
Machttrunken und in sein System verrannt,
Sieht, kennt und liebt er nichts als sich allein.
Nicht mehr der schlichte Hirte, still beglückt,
Dem in der Brust ein fühlend Herz noch schlägt,
Ein Krösus wird er, den sein Geld erdrückt,
Der Ekel, Schwermut tief im Busen trägt.
Er liebt Behagen, leidet Müh' und Qualen,
Sucht einen Freund und findet nur Rivalen.
<43>Beharrlich forscht er in der Zukunft Zügen:
Das tückische Geschehen straft ihn Lügen,
Indes die Welt, flugs gegen ihn ergrimmt,
Mit bitterbösem Urteil Rache nimmt.
Wie ihn so täglich Sorg und Gram beschleichen,
Läßt schon das Alter seine Haare bleichen.

Doch wie man's oft bei jungen Prassern sieht,
Daß, wenn in festem Schlaf der Rausch entflieht,
Sie zu Vernunft und Sitte sich bekehren,
So hält auch Damon, dem sein Wahn zuwider,
Wie einst die Weisheit und Vernunft in Ehren,
Verflucht den Eigennutz, das Ruhmbegehren
Und führt sein altes Hirtenleben wieder.
Die treue Phyllis drückt mit Freudentränen
Ihn an ihr Herz: erfüllt ist nun ihr Sehnen,
Und an der Weisheit Freuden sich erlabend,
Schließt Damon friedlich seinen Lebensabend.

Wohl allen, die, von der Vernunft belehrt,
Phyllis und ihre Herde nie verließen!
Die seichten Freuden, die der Ruhm gewährt,
Sind Seifenblasen, die in Dunst zerfließen.
Gesundheit, Freunde, Brot, ein wenig Liebe
Sind unser einzig Gut im Weltgetriebe.
Ihr seht sie rings, doch wie dem Tantalus
Beut sich umsonst die Flut Euch zum Genuß:
Des wahren Glücks ist nur die Tugend wert.

Du Geizhals, Du, an dem die Ehrsucht zehrt,
Geht denn und jagt nach Eurem eitlen Tand!
Das Menschenglück ist wetterwendisch: heute
Bestaunen Eurer Gärten Pracht die Leute,
Und morgen sind sie schon in fremder Hand.
Geliehn sind uns die Güter, nicht gegeben;
Gleich einem großen Wirtshaus ist das Leben;
Die Zeit trägt alles, Herrn und Knecht, zu Grabe.
Wozu in dieser kurzbemeßnen Frist
Stets Pläne schmieden? Nützt Fortunas Gabe,
<44>Anstatt daß innrer Zwiespalt Euch zerfrißt.
Weh dem, der strebt, zahlt er's mit solchem Preise!

Du fragst, was dieser lange Brief beweise?
Daß auf dem Meer des Lebens der Pilot
Den Hafen suche, wo kein Schiffbruch droht.

<45>

8. An d'Argens45-1
Über die Schwachen des menschlichen Geistes

Ein Zweifler, ja, Freund d'Argens, bin auch ich:
Gleich Dir lieb' ich's, mein Urteil auszusetzen.
Statt Deinen Geist zum letzten Schluß zu Hetzen,
Prüfst Du den wahren Grund bescheidentlich.
Du kennst den ewig irrenden Verstand,
Des Aberglaubens schmählichen Betrug;
Ich seh' in Deiner Philosophenhand
Die Wage schwanken: Dir ist es genug,
Zu zweifeln, doch Du fürchtest, zu bejahn;
Nie hat Parteiwut es Dir angetan!

Als Jüngling war ich stolz und dünkelhaft;
Rasch stand mein Urteil fest. In reifen Jahren
Lernt' ich vor dieser Torheit mich bewahren;
Da kam ich zum Bewußtsein meiner baren
Unkenntnis und der eitlen Wissenschaft.
Im Traum schwang ich zum Himmel mich empor
Auf Flügeln, die ich wachen Sinns verlor.
Mißtrauen lernt' ich da dem Phantasieren
Eilfertiger Neugier und dem Spekulieren
Des Grüblers, den sein eigner Wahn betrügt.

Mich deucht, ist zweckvoll diese Welt gefügt,
So ward vom Geist ein Fünkchen uns zuteil,
Das klein, für unsre Notdurft doch genügt.
Der Himmel gab es uns zu unserm Heil,
<46>Um unsres Schicksals Elend aufzuwiegen:
Sonst müßten wir den Leiden ja erliegen!
An Kräften stehn wir allen Tieren nach;
Hilflos als Kind, gefährdet ohne Waffen,
Müßt' uns im ersten Lenz der Tod entraffen.
Ein künstliches Gebild, gebrechlich, schwach,
Ist unser Leib; nur eine dünne Haut
Schützt uns vor Sturm und Frost; in stetem Ringen
Gilt es, die Elemente zu bezwingen.
Mit Spinnen, Weben ward der Mensch vertraut;
Er fällte Holz, mit dem er Hütten baut,
Grub Steine aus dem Fels und schuf sich Wagen,
Die schwere Bürde knarrend fortzutragen.
Doch mehr als alles galt es sich zu nähren,
Zu helfen und die Notdurft zu erklären,
Durch Laute seiner Seele Wunsch zu künden,
Das Feuer, das uns wärmte, zu entzünden,
Zum eignen Schutz sich Künste auszudenken,
Den Stahl zu Härten und das Tier zu lenken;
So gab Natur, um unser Los zu lindern,
Den Kunsifieiß einst den schwachen Menschenkindern.

Doch wenn der Dünkel die Vernunft bezwingt
Und unser Geist zu hoch empor sich schwingt,
Wenn unser Auge dreist die Nacht durchbohrt,
Mit der Natur sich rätselhaft umflort —
Glaul' nicht, der Weltplan würd' uns offenbar:
Nur unsre eignen Schranken sehn wir klar!
Der Sinne ledig, faßt der Geist nichts mehr;
Ihr Beistand nur kann durch das All ihn tragen,
Doch ohne sie treibt er ins Ungefähr,
Ein Schifflein auf dem grenzenlosen Meer,
Das masi- und feuerlos, vom Wind verschlagen,
Ein Raub der Wogen, fern dem Heimatstrand,
Am Riff zerschellt in unerforschtem Land.
Jedes System ist voller Widersinn:
Von Scylla reißt mich's zu Charybdis hin.

Geziemt es uns, selbstherrlich zu entscheiden,
Wo tausend Rätsel sich in Dunkel kleiden?
<47>Durch seine Sinne und durch ihren Trug
Lernt dies und das der Mensch — wenig genug.
Hört man ihn selbst, war er von je so klug,
Daß er, als Gott einst Erd' und Himmel schied.
Bei seinen tiefen Plänen ihn beriet
Und ihm gestalten half den Bau der Welt.
Das weise Rom, Athen, von Stolz geschwellt,
Beschrieben klar der Götter Art und Wesen
Und konnten nicht im Menschenherzen lesen!

Ist's Dir bestimmt, Du engbeschränkter Geist,
Dem Grenzenlosen Dein Gesetz zu geben?
Erkennst Du nicht, Du Wurm, so schwach wie dreist,
Die Kluft der Zeiten und Dein kurzes Leben?
Du willst den Strom des Werdens überschauen,
Du Eintagsfliege, die in ihm ertrinkt?
Dein Auge darf sich blinzelnd kaum getrauen
Ins Licht zu sehn; doch wähnst Du, es ergründe,
Wie sich der Sonnen Feuerbahn verschlingt!
Du sähst vom blachen Felde bei Berlin
Noch eher ragen Alp und Apennin,
Als daß Du wüßtest, wie das All entstünde.
Wärst Du auch Ödipus an Weisheit gleich,
Du fändest doch die Welt an Rätseln reich,
Im Größten wie im Winzigsten unendlich!

Ist dem Gelehrten wohl sein „Stoff“ verständlich?
Was ist Anziehungskraft? Er weiß es nicht.
Doch unentwegt schreibt er sein Lehrgedicht
Vom Geist in Wotten, unbestimmt und kraus.
Sein Kauderwelsch stellt uns die Seele dar
Als Hauch, als Himmelsglut, als Wesen gar.
Statt zu erklären, sinnt er Worte aus;
Wohl irrt er ab, doch bricht er keine Bahn.
In Abstraktionen schwelgt, spitzfindig nur,
Sein dürrer Geist; von Tiefe keine Spur.
Ob wir dem Schicksal sklavisch Untertan,
Ob frei der Wille sei — wie will er's wissen?
Sich kennt er nicht, allein sein Geist errät,
Daß anfangslos die Welt von je besieht.
<48>Ein andrer weiß, wie aus den Finsternissen
Des alten Chaos Gottes Werderuf —
Ein Wörtlein nur — der Dinge Ordnung schuf!
Sein Scharfsinn urteilt, ohne abzuwägen,
„Erklärt“, wie Wesen aus dem Nichts entstehn!
Weiß er, was „Leere“ sei? Ist einzusehn,
Wie Körper sich im vollen Raum bewegen?...

Bevor ein Sohn Euklids das Land aufnimmt
Und Berg und Tal auf seinem Plan bestimmt,
Prüft er zunächst sein mancherlei Gerät:
Je schärfer dieses, um so sichrer geht
Sein Werk vonstatten — welch ein weiser Brauch!
Gebührt es, eh man Schlüsse zieht, nicht auch,
Zu prüfen, wie beschaffen der Verstand?
Wer sich nicht kennt, ist in des Zufalls Hand,
Behauptet dies und das, verneint, bejaht.
Auf sich beschränkt, gerät auf falschen Pfad
Sein Wissensdrang, versteigt sich in das Leere.
Weiß er, ob der Verstand ihn nicht betrügt,
Ob sich sein Flattergeist dem Zügel fügt,
Ob nicht die Phantasie der Weisheit Lehre
Verspottet und mit ihm ins Blaue reist?
Doch unser Dünkel läßt den Wahn bestehen:
Er will durch Prüfung nicht beschämt sich sehen!

Ist's nicht, als ob der trügerische Geist,
Der Wahrheit ftemd, für Irrtum nur erglüht?
Vom Wunderbaren läßt sich das Gemüt
Gar leicht umstricken mit gefäll'ger Lüge.
Gleich einem schlechten Spiegel wirft es nicht
Das Bild der Wirklichkeit zurück: es bricht
Die Strahlen nur, verzerrt der Dinge Züge.

Der Mensch weiß nicht, wie weit sein Irrtum geht!
Als Weiser dünkt sich noch der größte Narr,
Bestaunt, von Eigendünkel aufgebläht,
Sein Können, bringt sich selber Weihrauch dar.
Schau, wie er täglich den Verstand mißbraucht!
Wenn Gold zu machen ein Adept verspricht,
<49>Sehn hundert gierbetörte Opfer nicht,
Wie in dem Tiegel all ihr Gut verraucht!

Ein Astrologe liest ein Strafgericht
Am Himmel und ein unheilschwangres Morgen;
Das Volk, verstört und stumm, ist voller Sorgen
Vor den Gefahren, die Saturn ihm droht.
Es wähnt, daß Gott, als Vorspiel großer Not,
Der Elemente feste Ordnung stört.
Wie? Stumme Sterne reden gleich Propheten?
Die Welt geht unter, zeigen sich Kometen?

Ich kenne manche, die der Wahn betört
Von Geistern und Vampiren, die uns plagen.
Nachts sehn sie jeden Schatten als Gespenst.
In stetem Grausen, das an Wahnsinn grenzt,
Und immerzu von Spuk beängstigt, klagen
Sie Tote an, den Lebenden zu schaden!

Allein mit Aberwitz noch mehr beladen
Ist spielend leicht betrogner Wunderglaube.
Das blöde Volk fällt jedem Schelm zum Raube,
Der mit Orakeln listig es belügt,
Durch Gaukelspiel von Wundern es betrügt.
Geh alle Zeiten durch und alle Lande:
An wunderlichen Kulten ist kein Mangel
Von Rom bis Peking, Memphis bis Archangel,
Daran die Menschheit hängt zu ihrer Schande.
Stets trieben Pfaffen ihr verruchtes Spiel
Mit unsrer armen Welt, der glaubenstollen;
Der Weihrauch dampfte vor dem Krokodil,
Verehrt ward alles bis zum Zwiebelknollen. 49-1
Schmach über Schmach! Selbst die Germanen brachten
Grausamen Göttern ihre Huldigung dar,
Und Menschenopfer sah man am Altar,
Um jener Götzen Zorn zu stillen, schlachten.
Doch hielt in ihrem Wahn die Welt noch Frieden;
<50>Des Glaubens Kraft ward nicht durchs Schwert entschieden:
In Blut erst watete das Christentum
Und brachte sich für neue Dogmen um.
Da war's, wo man den ftommen Mordsiahl schliff
Für einen Glauben, den kein Mensch begriff.
In neuem Wahn suchte die Welt ihr Heil,
Dem alten fluchend — keinem zu Gewinn!
Aus Schwäche zweifelt so der blöde Sinn
Des Volkes oder glaubt aus Vorurteil!

Wohin führt all der eitele Verstand,
Der prahlend uns als Herrn der Tiere preist?
Hirnlose Blödheit find' ich allermeist,
Das Denken geht mit Schwärmen Hand in Hand.
Ein Wahn, der schmeichelt, kann uns leicht bestechen;
Die siärlsie Seele zeigt sich voller Schwächen,
Und leider ist die Scheidung niemals rein:
Nur Scharfsinn sieht die eignen Schranken ein.

Den Sinnen haben alles wir zu danken;
Sie sind's, die unfern schwachen Geist ernähren;
Sie geben Halt und Stütze den Gedanken;
Erfahrung reift, verknüpfst Du ihre Lehren.
Läßt alles sich nur durch Vergleich begreifen,
Muß ohne sie der Geist ins Leere schweifen ...
Du, ein Atom im unermeßnen Raum,
Wähnst, daß Unendlichkeit sich Dir erschließt?
Dein Dünkel übers Ziel ins Blaue schießt:
Ein Mensch von Los, bist Du ein Gott im Traum.

Indes der Aar zum Sitz des Donners strebt,
Die bange Schwalbe scheu am Boden klebt.
Sei Du nicht zag, doch auch nicht flatterhaft:
Dir ziemt die Mitte; Vorsicht leite Dich!
Drum tadl' ich nicht den Hang zur Wissenschaft;
Sie ist dem Menschengeist gar förderlich.
Der Weise sei gelehrt, doch Eigensinn
Sei fern von ihm, sein Zweifel stets lebendig.
Sein Denken zügelnd, lerne er beständig
<51>Aus seiner eignen Ohnmacht Weisheit ziehn.
Ein Goldkorn hat für Arme hohen Preis,
Und vieles lernt, wer sieht, daß er nichts weiß.

Jedwedes Tier in dieser weiten Welt
Ist unter ein Gesetz und Ziel gestellt;
Natur hat allen ihren Platz gewiesen.
So gleicht der Mensch Antäus, jenem Riesen,
Der auf der Erde unbezwinglich blieb.
Ins Luftreich hob ihn Herkules empor:
Er starb, weil er sein Element verlor.
Nimm drum, o Mensch, mit deinem Reich fürlieb!
Wer könnte seiner Sphäre sich entziehn
Und atmen, wo Merkur und Venus kreist?
Der Pfau erstickt im Wasser, der Delphin
Stirbt in der Luft: so darf auch unser Geist
Der Sinnenwelt nicht ungestraft entfliehn.
Kurz, unsern Dünkel müssen wir verlieren;
Wir sollen handeln, nicht philosophieren.
Mit andren Sinnen wär' der Mensch geboren,
Wär' er zur Metaphysik auserkoren.
Dann wäre jedes Erdenband zerrissen;
Wir schwängen uns empor zu Himmelssphären,
Erkennten, was wir ahnen, doch nicht wissen:
Die ewigen Geister, Gott, den wir verehren.
Durchdringend wäre unser Blick, gestillt
All unser Sehnen ohne Astronomen.
Nichts war“ Problem, wo klarer Lehrsatz gilt,
Zerlegbar selbst Monaden und Atome,
Und die Natur erfassend im Entstehen,
Könnten wir auf den Grund der Dinge sehen.

Doch Gott hat diese Einsicht uns verwehrt;
Er macht uns glücklich ohne vieles Wissen.
Beugen wir uns in Demut seinen Schlüssen,
Zufrieden mit dem Los, das er beschert!
Sei Mäßigung und sei Behutsamkeit
Des schwachen Geistes ständiges Geleit!
In ihrer Hut erblühte ehedem
<52>Der Grieche,52-1 der uns selbst ein Vorbild war.
Des Geistes Dünkel kann' er, die Gefahr
Von einem klug gezimmerten System,
Und mit des Zweifels Schild bewehrt, entrann
Er weisheitsvoll des Irrtums Zauberbann.

Sein Schüler Cicero trug, was er lehrte,
Hinüber nach Ausoniens Gestad.
Vater des Vaterlands, groß im Senat,
Bedächtiger Denker, der dem Irrtum wehrte,
O weiser Cicero, sei Du mein Rat, —
Du, dessen Redekunst im Tribunal
Herniederschleuderte den Rachestrahl
Auf Catilinas schuldbedecktes Haupt,
Auf Verres, der SizUien ausgesogen,
Du, der nach Tuskulum zurückgezogen,
Die zweifeln lehrte, die zu leicht geglaubt,
Der uns den Weg zum wahren Glücke wies,
Indem er uns den Reiz der Tugend pries!

Ja, laßt im Himmel das erhabne Wissen!
Auf Erden bleibt das Lasier zu bezwingen.
Was hilft es uns, trotz allen Hindernissen
Zu Höll' und Himmel trotzig vorzudringen?
Statt uns in dieses Labyrinth zu wagen,
Laßt uns die Sittlichkeit im Busen tragen —
Sie, die gestreng das tiefste Herz ergründet,
Der Menschen Bosheit ungeschmintt verkündet,
Die Fehler geißelt, gegen Torheit kämpft,
Der Leidenschaften irren Taumel dämpft
Und unbestechlich Fehl und Tugend scheidet,
Die aller falschen Hüllen uns entkleidet
Und Rasende zur Menschlichkeit bekehrt,
Die hoffärtige Könige belehrt,
Daß sie nur Menschen sind, uns gleichgestellt,
Und die im Mißgeschick uns aufrecht hält.

O hehre Tugend, heilige mein Lied,
Daß Epikur der Stoa sich verbinde!
<53>Ihm leihe Schwung und mache sie gelinde:
Je sanfter man zu Dir des Weges zieht,
Je lieber wird die Menschheit Dir sich weihn.
Mein ganzes Forschen gelte Dir allein,
Solange das Geschick mir Frist gewahrt!
Nicht grübelnd will ich meine Zeit verschwenden,
Die zum Genießen die Natur beschert:
Mich soll Descartes und Leibniz nicht verblenden!

<54>

9. An Maupertuis54-1
Die Vorsehung fragt nicht nach dem Einzelwesen, nur nach der Gattung

Nein, Maupertuis, ein hochgestimmter Denker,
Wie Ihr es seid, der kann den Wahn nicht hegen,
Als wäre Gott, dem großen Weltenlenker,
An jedem nichtigen Einzelding gelegen!
Die ewige Weisheit sollte sich befassen
Mit unserm bißchen Freud und Leid?
Wie käm' sie dazu, sich herabzulassen
Zu unsrer Winzigkeit?
Ach, dieses Einzelwesen, dies Ich,
Wie dürft' es im Ernst wohl vermessentlich
Mit seinen Nöten und Nötchen allen
Dem Weltengeiste beschwerlich fallen?
Der aller Dinge erste Ursach war,
Den alten Stoff in feste Formen bannte;
Der Urbeweger gab, der Unbekannte,
Den Wesen ihr Gesetz unwandelbar:
Da strebt zu einem Punkt hin alle Schwere,
Die Flamme steigt im Luftraum lodernd auf,
Das Wasser fällt, lenkt nie zurück den Lauf,
Nichts lebt, das frei von Artbegrenzung wäre.
Aus einem Reis von Apfelbaum wächst immer
Ein Apfel nur, doch eine Rose nimmer.
Und keiner eine Wirkung denken kann,
Die nicht der Ursach sklavisch Untertan.
<55>So ward dem Menschen auch in dieses Leben
Sein Unveräußerliches mitgegeben:
Der Leidenschaften Wiegenangebind,
Die fortan Herren seines Innern sind,
Sein Herz bewegen und sein Tun bestimmen.
Ihr Herrscherwalten zeigt sich in der Tat,
In Wirkungen, mehr oder minder schlimmen:
Haß, unversöhnlicher, gebiert Verrat;
Die Liebe mischt in ihre Süßigkeiten
Ihr grimmes Gift, lockt uns in irre Weiten,
Sobald sie die Vernunft geködert hat;
Unruhvoll, stets voll Arg und Eifersucht,
Tränkt sie uns Tollheit oder Schwermut ein;
Der Zorn ist jäh, ist blind; er hetzt allein
Die Sterblichen zu Taten, ganz verrucht.
Wir alle sind gezeichnet mit dem Male
Der oder jener Leidenschaftlichkeit.
Ihr seht: Notwendig seid ihr, wie ihr seid!
Lacht auch ein Demokrit in jedem Falle,
Ein Heraklit weiß nur vom Daseinsleid.
Der da ist hart — warum? Weil seine Galle
Ihn also will; ein andrer schnell gerührt —
Warum? Weil er zu bald sein Herz verspürt.

Gott schuf die Mächte unsres Innern. Wer
Ahnt die Gesetze des Wohin, Woher?
Ihre Verteilung auf der Menschheit Weiten?
Und mit den seelischen Verschiedenheiten
Gestalten die Geschicke sich verschieden;
So wird das Leben bunt und reich hienieden,
So kann das Weltenschauspiel nie veralten
Und muß sich immer wieder neu gestalten.

Doch das allmächt'ge Wesen ftagt nicht viel,
Welch eine Rolle ich hier unten spiel',
Noch welches Schicksal etwa meiner harrt:
Was zum bewegenden Gesetz mir ward,
Das trägt mich sott; mein Dasein ist ein Fließen
Stromab, stromab. Wenn Gott aus Weltenhöhn
<56>Sich mal herabläßt, erdenwärts zu sehn,
Sieht er den Schierling bei der Rose sprießen:
Gleichmütig bleibt sein Blick! Das Große nur,
Das ist sein Werk; in Unermeßlichkeiten
Sucht seiner Weltenhoheit Riesenspur!
In Plänen nur, die ganze Ewigkeiten
Vordenkend und umfassend überspreiten,
Lebt er, auswirkend seine Göttlichkeit.
Doch was das dumme Völkchen drunten schreit,
Dafür hat er lein Ohr, denn ihn bewegen
Nicht Sorgen, er ist nie um Rat verlegen
Und weiß von keiner Mühsal, Pein und Not.
Er weiß, er braucht sich fürder nicht zu regen:
In seiner Schöpfung waltet sein Gebot,
Lebt das Gesetz, das er ihr auferlegt.
Gehorsam läuft nun alles, unentwegt;
Und jede Kraft, die er dem All geliehn,
Die wahrt's in treuer Hut, auch ohne ihn.

So setzt ein Meister, der ein Uhrwerk baut,
Die Federn ein, jede an ihre Stelle,
Bestimmt genau des Umlaufs Maß und Schnelle —
Gehorsam läuft es nun, und er vertraut,
Es werde, ohne daß er's überwacht,
Im Gange bleiben, ganz wie er's gedacht.
So läßt auch Gott, nachdem vor aller Zeit
Er einmal zu beständiger Wirksamkeit
Urkräfte eingesetzt, die ersten, alten
Ursachen noch im Weltgeschehen walten.
Der Wirkung sicher, läßt er allen Dingen
Geruhig ihren Lauf, ganz einerlei,
Ob's uns zum Fluche oder Segen sei;
Dient alles doch nur seinem Plan dabei,
Dem großen Weltplan, und der muß gelingen!
Nein, was die ew'ge Weisheit wollte,
Da sie dem Stoffe dieser Erde
Gesetze gab, das galt allein
Der Art, daß die erhalten werde,
Indem sie stets sich neu ergänzen sollte,
<57>Was sie im einzelnen auch büße ein.
Da füllt das Heute gleich die Lücken
Des Gestern aus, sowie auch wir
An unsrer Väter Stelle rücken;
Seht, so vermehrt sich im Luftrevier
Das Raubzeug ständig, so fördert der Rhein
Seine Wassermengen ins Meer hinein;
So wachsen Waldungen allerenden,
Ein Sprossen, ein Grünen, ein Blühn und Gedeihn,
Jedes Samenkorn will erschlossen sein,
Welch fruchtbares Sichselbstverschwenden!
Auch was vergeht, zu Boden fällt,
Hilft mit, zu erneuen das Bild der Welt.
Doch alle Fruchtbarkeit, sie schafft,
Alle im Innern treibende Kraft,
Immer nur eine Gattung und Art,
Die treu die eigenen Grenzen wahrt.

Begreift es denn, daß die Natur
Ein Herz hat für die Gattung nur!
Da sorgt sie getreulich und unverdrossen,
Daß siugs jede Lücke werde geschlossen.
Und ihre Fruchtbarkeit erhält
Nicht nur lebendig den Bestand der Welt:
Geburtenfülle übergroß
Verströmt ihr unerschöpflicher Schoß!
Sie weiß, aus einer Eichel kann einmal
Ein Eichbaum aufgehn, im besten Fall;
Doch ist sie für die vielen tausend blind,
Die da versprengt von Wetter und von Wind,
Am Raine, auf den Feldern überall,
Ohne zu keimen je, verrottet sind.
Wenn in Wolkenbrüchen und Regenguß
Hier die Hoffnung des Sommers verderben muß,
Was tut's? Es wächst wo anders ja
Inzwischen der Segen im Überfluß.
Was geht's die Natur an, daß Afrika
Von jeher die Märkte Frankreichs versah,
Daß Deutschlands Ähren
<58>Die Briten nähren?
Uns mag das freilich wichtig sein,
Vor ihrem Blick ist's nichtig, klein;
Die Welt, die große, grämt's keinen Deut,
Die läuft ihren Weg, wie gestern so heut.

Seht, wenn der Lenz des Eises Fesseln sprengt,
Dann überschwillt in unsern nordischen Bächen
Der Flutenschwall, der her von Sachsen drängt,
Und unsre Weiden, unsre Wiesenflächen
Der Elbsirom ganz in Schlamm und Tang ertränkt.
Dann kennt der stolze Fluß sein Bett nicht mehr,
Seine Flut überquer
Springt flüchtend über ein Ufer her:
Sie fragt nicht, wem der Boden dort,
Hüben und drüben, zu eigen mag sein,
Ob euer, ob mein,
Da spült sie an, dort reißt sie fort.
So kann's für das große Ganze des Alls
Verluste nie geben,
Doch wird der Ewige keinesfalls
Herab sich lassen zum Einzelleben.
Er lacht des Menschen, eitelkeitbefangen,
Dem nur sein liebes Ich was gilt,
Der, wenn sein Leben nicht nach Wunsch gegangen,
Dummdreist aufs höchste Wesen schilt.
Was möchtet ihr zum Maulwurf sagen,
Wollt' es der stockblinde Wühler wagen,
In seinem Schacht über Berlin
Und seine Schlösser herzuziehn?
Der mit der Nase in der Krume steckt,
Nicht ahnt, wie weit solch Prachtbau sich erstreckt!
Der Maulwurf ist der Mensch, Freund Maupertuis:
Eng, wie die Welt um jenes kleine Vieh,
Ist ihm der Sinne, des Erkennens Reich;
Falsch ist sein Urteil, und Irrlichtern gleich,
Was ihm an Licht mag aufgehn. Stein und Bein
Klagt hier ein Landmann: in sein Tal hinein,
Auf seine Feldflur strömt ein Wässerlein,
<59>Ein schlammgetrübtes; und nun klagt er drum
Die Götter an! Ei, kennt er ihr Warum?
Das dürre Moor, das seine Herden weidet,
Dankt seinen Blütenteppich, der es kleidet,
Dem Bach, dem nützlichen; auf Schlängelwegen
Zieht einem Strom er dann entgegen,
Durch dessen Mündung sein flutendes Leben
Dem Meere zu geben.

So unfrei ist der menschliche Gedanke,
So schief, so schielend ist des Menschen Blick:
Was er erkennt, das ist sein Mißgeschick;
Doch ob nicht jenseits seiner Daseinsschranke
Der größren Welt sein Leid zugut gekommen,
Das hat sein enger Sinn nie wahrgenommen!
Verschwindend Stäublein! Würmlein du,
Was klagst du über Unrecht immerzu?
Was schuldet die Natur dir? Hat sie, sprich,
Versprochen dir, den Gang der Welt zu stören
Nur dir zuliebe, lediglich, um dich
Mit allen Mühn und Sorgen, allem Schweren
Hübsch zu verschonen? Laß dich nicht betören
Von deiner Hoffart, die dich elend macht!
Erstick' den Stolz, und denk, o Menschenkind,
Ans Märlein von der Milbe und dem Rind.59-1
Was zählt im Riesenhaushalt, gotterdacht,
Im Haushalt einer Welt,
Ein Menschlein wohl? Kaum, daß ein Staat da zählt!
Ein Reich — was ist ein Reich? Ein Nichts, das kaum
Noch wahrnehmbar im ungeheuren Raum,
Im schattentiefen, wo die unzählbaren
Weltkörper sich um ihre Sonnen scharen,
Welten von höherer Art als unsre hier,
Zum mindesten doch ebenbürtig ihr!

Prüft die Geschichte aller großen Reiche —
Stets ist's das gleiche:
<60>Heut Ruhm und Größe, morgen alles hin!
Hellas, so stolz in seinem Freiheitssinn,
Die Sklavin Roms! Die Herrscherin der Meere,
Der reichen Ernten all in Afrika,
Da sank sie hin, zerstört durch Scipios Heere,
Hinweggetilgt, eh' sich's ein Mensch versah!
Rom wiederum: von Hunnen und von Goten
In Schutt gelegt! Dort ganze Länderstrecken
In Überschwemmungsnot! Dort allen Schrecken
Der Atropos geweiht, erfüllt von Toten
Die Stadt Marseille!60-1 Von wilden Völkerscharen
Manch mächt'ger Staat, manch ragender Koloß
Im Grund erschüttert! Wie mit einem Stoß
Von heut auf morgen sie zu fällen waren,
Sie alle haben's wehevoll erfahren!

Ihr seht, zu uns läßt sich kein Gott herab,
Mit uns gibt seine Weisheit sich nicht ab,
Er bleibt gelassen, bleibt empfindungslos;
Wenn blut'ge Schläge unsre Welt zerreißen,
Sieht er die große Daseinseinheit bloß;
Was will darinnen dieses Krümchen heißen,
Das ganz im Unermeßlichen verschwindet?
's ist eine Wahrheit, die das Menschenherz
In seiner Eitelkeit nicht leicht verwindet,
Und doch, wir sehn sie allerwärts
Nur allzu offenbar, zu wohl begründet!

Wenn Hundstagsglut die Ernten uns versengt,
Die ehrnen Himmel, taub für Flehn und Klagen,
Sogar die karge Labe uns versagen,
Mit der der Morgentau die Felder tränkt,
Dann sieht der Staat wohl Tagen schwerer Not
Zagend entgegen, bald gebricht's an Brot,
Hunger und Darben, Elend fahl und bleich,
Graun und Verzweiflung und der grimme Tod
Verheeren schauervoll das ganze Reich.
<61>Ließ' Gott sich unser Schicksal nahe gehn,
Als Hüter, Wächter — wär' es zu versteht!,
Daß er die Hand je könnte reichen
Zu solchem Jammer ohnegleichen?
Wär's denkbar, daß er in guter Ruh
Dem Weltflug des Dämons schaute zu,
Der Mord, Verwüstung, Waffenklang
Von Aufgang trägt gen Niedergang?
All diese Greul! All diese Wut!
Die Felder verwüstet, unschuldig Blut
Sinnlos vergossen; ach, und dann
Das blutige Ringen von tausend Fechtern,
Und die Vernichtung von ganzen Geschlechtern —
Ihn ficht's nicht an.
Mit gutem Grund! Denn sichtbarlich
Trotz all dem Graus, den Schicksalsplagen,
Damit die Menschheit stets geschlagen.
Sieghaft behauptet die Gattung sich!

Wie schleunig erfuhr doch ein König das,
Mit seinem hochweisen Ausrottungserlaß,
Wider die räuberische Spatzenbrut!61-1
Wenn sie im Ernst auch etwas litt —
Mit ihrer Fruchtbarkeit kommt keiner mit!
So kreist auch immerdar ein frisches Blut
Beim lieben Vieh in unsrer Fron und Hut:
Ob unsre Gier von seinem Fleisch sich nährt,
Es stirbt so schnell nicht hin, wie sich's vermehrt!
Das Beispiel jener Seuche liegt mir eben
Nur allzu nah, die uns von Trift und Pflug
Das Rindvieh rafft!61-2 Die Weiden ohne Leben!
Ein grimmes Sterben unsre Herden schlug,
Als tat ein würgend Schwert darüber schweben;
Und keine Menschenkunst, die helfen mag!
Die Felder unbestellt und ohn' Ertrag,
Der Landmann grübelt trost- und hoffnungslos
<62>Und faltet dumpf die Hände in dem Schoß.
In Frankreich, der Bretagne, den deutschen Gauen,
So weit sie sind, in Preußen und dem Norden,
Im kalten Skythenland ist man mit Grauen
Des gleichen schweren Unheils inne worden;
Und doch! Des Todes Wüten ist vergebens:
Noch sind ja hier und da so manche Herden
Verschont geblieben, die voll jungen Lebens
Bald den Verlust ersetzen werden.

Doch diese Heimsuchung und Plage
Sie mahnt mich an die Schreckenstage,
Da unser preußisch Heimatland
Einst unter der Geißel der Seuche62-1 stand.
Ach, wie der Heimat Jammer doch
Ins Herz mir schneidet heute noch!
Der Würger, keinen nahm er aus,
Hoch und gering das Elend einte;
Das ganze Land ein Trauerhaus,
Das nur um seine Kinder weinte!
Jäh fiel der Pesthauch die Menschen an,
Wen die Ansteckung faßte, um den war's getan;
Gluthitze befiel ihre Glieder urplötzlich,
Und Atemnot, und ein Durst ganz entsetzlich;
Sie tranken und tranken! Aber ehr
Tranken sie all unsre Flüsse leer,
Eh' diesen Höllendurst sie gestillt.
Das war wie eines Schmelzofens Glut,
Darein man vergeblich Wasser tut:
Nur neue Bluten brannten wild
Im Eingeweide der Gequälten.
Ach, ihre Wangen fahl und weiß,
Der Glanz der Augen fieberheiß
Genug von ihrer Todespein erzählten.
Wie ausgedörrt die Kehle und der Schlund,
Die Zunge wie ein Knebel lag im Mund;
Zitternde Arme streckte mancher da
<63>Dem Nachbar nach, sein Herz doch zu erweichen —
Ja, wer da helfen könnte! Ach, man sah
Auf jeder Stirn ja schon des Todes Zeichen.
Zum schlimmen Ende unter tausend Qualen,
Erlitten sie's, schon halbe Leichen,
Daß sich ihr armer Leib mit gift'gen Malen
Und Flecken ganz bedeckte; und die Beulen,
Die brachen auf, ein schwarzes Gift entfloß,
Sie starben mit verzweiflungswildem Heulen!

Der Fluch der Iammerzeit, er war zu groß:
Da gab's nicht Nisus mehr und nicht Orest,63-1
Kein Liebesband hielt in den Schrecken fest.
Bericht' ich's erst, wie Freundestreue nicht
Standhalten mochte noch Verwandtenpflicht?
O Schuld und Schmach! In feiger, toller Flucht
Ein jeder nur sich selbst zu retten sucht
Und läßt die Pestverfallnen ihrer Pein,
Daß ohne Trost sie starben ganz allein!

Zuletzt, was allen Jammer überbot,
Schien mit dem Ausbruch einer Hungersnot
Das Maß des Menschenleids erfüllt zu sein!
Was damals sich für Schreckensbilder boten,
Erwartet ihr, daß ich's euch erst beschreibe?
Plätze und Häuser vollgehäuft von Toten,
Ein Bruder, der auf seines Bruders Leibe
Elend verröchelt; auf des Vaters Leiche
Der Sohn geschleudert, der entseelte, bleiche.
Dies Wehgeschrei, das Schluchzen allerenden,
Das auf zum Himmel steht, die Not zu wenden.
Dort hangt ein Säugling an der Mutter Brüsten,
Tod saugt er ein: das Weib, noch im Erblassen,
Will doch, von Gott und aller Welt verlassen,
Im Sterben noch des Kindes Leben fristen!
Die unbegrabnen Toten stellt euch vor!
Pesibrodem stieg da tausendfach empor,
Ansteckung wirkend, sicher und sofort.
<64>Nichts, nichts als Jammerbilder sah man dort:
Mit düstren Trauerfackeln, wehndem Flor
Wird hier ein ganz Geschlecht zu Grab geleitet;
Und all die Trauernden, die diesen
Die letzte Liebe heut erwiesen,
Wer weiß, wer weiß, ob nicht zur Stunde
Im gleichen kühlen Friedhofsgrunde
Ihr eigen Grab so gut wie schon bereitet?
Scheut auch der Fuß vor den gehäuften Leichen,
Allüberall die gleichen Schreckenszeichen!
Wohin nur fliehen! Wohinaus sich retten!
Denn dort wie hier, allüberall bedroht
Das Auge der Tod,
Entheiligt selbst der Andacht Weihestätten,
Als müßte einem Gräberfelde gleichen
Die unglücksel'ge Königsstadt! 64-1
Kein Zweifel mehr: die Pest, sie hat
Vernichtung den preußischen Landen geschworen.
Sie hatten vom alten Stamm ihrer Bürger
Durch den wütenden Würger
Bereits so grausam viele verloren,
Daß schier das ganze Preußenland
Eine Einöde worden, ein wüster Strand.

Vielleicht, daß die Seuche dann müde geworden
Von all dem Morden;
Vielleicht, daß des Giftes tückische Kraft
Mählich doch sich erschöpft, erschlafft:
Genug, als das Unheil sein Ende gefunden,
Begann das arme Preußenland
Unter Friedrich Wilhelms gesegneter Hand
Neu zu gesunden.
Was von den Bürgern der Gefahr —
Ach, wenig genug! — entronnen war,
Das holte im allgemeinen Gedeihn
Wundersam schnell das Verlorene ein.
Mutter Natur, der wir leid getan,
Nahm sich auf ihre Art unser an:
<65>Die Menschen nennen's Liebe und Frein!
Ja, Liebe! Und wenn Preußen heut
Sich neuen Menschenreichtums erfreut,
Der Liebe gebührt der Dank allein.
Nichts mahnt uns in jenen Staaten mehr,
In ihrem Gedeihen und Segen,
Wie einst des Todes Hand so schwer
Auf Volt und Land gelegen.

Gesteht: wenn diese Leiden unerhört
Die Ordnung irgendwie der Welt gestört,
Wär's denkbar wohl, daß der Allmächt'ge dann
Nicht Einhalt hätte zur Zeit getan?
Nein, was als schwerstes der Geschicke,
Als ein Verhängnis uns erscheint,
Es ist ein Nichts vor jenem Blicke,
Dem alles sich zum Ganzen eint.
Und doch, und doch! Trotz alledem:
Wie bitter auch und unbequem
Uns allen diese Wahrheit ist —
Dem Menschen tut die Freude not
Wie's liebe Brot;
Und darum sag/ ich: Lebt nur und genießt!
Wem nach Erkenntnis steht der Sinn,
Dem dient ja alles zum Gewinn:
Ihm wird zur Lehre just das Weh,
Daß er des Glückes Wert und Sinn
Erst recht ermesse und versteh'.
Bedenkt er, welchen Wechselfällen
Ihn wehrlos preisgibt die Natur,
So hält er's eben an sonnenhellen,
Gedeihlichen Tagen mit Epikur;
In Stunden, schwarz und unheilschwer,
Glaubt er an Meister Zeno mehr;
Sein Geist, was ihm auch widerfährt,
Ist stets gewappnet und bewehrt.

Das ist es, was uns bleibt: wir wolln in Schweigen
Uns ehrfurchtsvoll vor den Gesetzen neigen,
Wie sie die Vorsehung der Schöpfung gab;
<66>Doch lassen wir von all dem Irrwahn ab,
Der der Beschränktheit unsres Geistes eigen.
Nur Vorwitz von so tiefen Dingen spricht:
„So ist's“ — und wiederum: „So ist es nicht!“
Sein wir versichert: was uns auch befällt
An Unheil und an Herzeleid,
Der Himmel weiß doch besser drum Bescheid
Als alle Weisen dieser Welt.

<67>

10. An meinen Bruder Ferdinand67-1
Wünschen und Wähnen

Ein Mensch, ein Tor! Der Träumer Plato schrieb
Vernunft uns zu — er meint' es allzu gut!
Zum Wechsel spornt uns ein verwünschter Trieb;
Das Dasein ist ein Bild von Wankelmut.
Wir heischen jedes Ding und halten keins,
So werden Wunsch und Wille nie sich eins.
Ich sehe gern der Menschen wahres Wesen:
In ihm kann ich die eignen Fehler lesen.
Das Menschenherz, ein treuer Spiegel, blinkt
Für jeden, der sich sehn will — ungeschminkt.

Einst ging ich disputierend durch die Stadt
Mit Theophil, des Gegenstandes voll.
Ein Menschenhauf, der uns den Weg vertrat,
Geschrei, das rauh aus tausend Kehlen quoll,
Verkündete den Schwarm der Müßiggänger,
Der dort sich staute. Auch uns Grillenfänger
Trieb Neugier, durch die Menge uns zu schlagen:
Kann Torheit doch dem Weisen vieles sagen!
Sich drängend, vor- und rückwärts flutend, riß
Der Strudel uns dahin; wir drangen bis
Ins Herz der schnurrigen Versammlung vor.
Da schwatzte fink und laut ein junger Tor:

„O, käm' es bald in Süden oder Norden,
„Wo, gilt mir gleich, zu Krieg und Menschenmorden;
„Dann würden wir, statt in geringem Stand
„Uns aufzureiben, als Eugens bekannt!“
Zwei junge Offiziere waren's; kaum
Umsproßte Mund und Kinn der erste Flaum.
<68>Allein schon kommt ein neuer Schwarm herbei,
Der uns in dichtem Wirbel weiterdrängt.
Zwanzig und mehr, als ob's 'ne Freude sei,
Schrein durcheinander, keiner hört und denkt.
Doch diese wilde Flut zerfließt im Nu,
Und andre Unbekannte strömen zu.
Ein wandelndes Skelett stößt mich am Arme
Und raunt mir zu: „O, daß sich Gott erbarme!
„Gäb' er mir neue Lungen in die Brust,
„Wohl hundert Jährchen lebt' ich dann mit Lust!“
Der Husten stieg ihm auf, er sprach nicht weiter.

Bald sahn wir Bürgersleut' des Weges wandern;
Ein ältrer Mann, vornehmer als die andern,
Sprach trockenen Tons zu einem der Begleiter:
„Ihr lobt die gute Ordnung meiner Habe,
,Doch glaubt nur nicht, daß ich mich dran erlabe,
„Solang der Himmel mir den Sohn verwehrt,
„Den Erben, den so glühend ich begehrt.
„Die Neffen sähn mich gern schon auf der Bahre:
„Ich häufe Schätze, ach, für Undankbare!“
Da kamen Arm in Arm ein paar Kollegen
Und streckten ihm zum Gruß die Hand entgegen.
Das Stimmgewirr erstickte tausendfach
Mit lautem Lärm, was er zu ihnen sprach.

Nun klangen Lieder, und die Leute lachten,
Und alle, die in Amors Banden schmachten,
Hofierten ihre Schönen, Arm in Arm.
Verträumt ging einer neben diesem Schwarm,
Allein, in ernstem Philosophenschritt,
Rieb sich die Stirn mit finsterer Gebärde
Und starrte schmerzerfüllt zur Erde.
Gerührt, weil er so seufzte und so litt,
Bot ich ihm meinen schwachen Beistand an;
Zu brechen sucht' ich seines Schweigens Bann.
„Ach, möchte Bestushew zum Teufel gehn!“
Stieß er hervor und ließ mich plötzlich stehn.

Auch Theophil riß die Geduld zuletzt.
„Gott! welch ein Volk von Narren!“ rief er jetzt.
<69>„Fort! Gib mir morgen hier ein Stelldichein;
„Der Himmel halt' uns dann das Volk vom Leib
„Und geb' uns Sonnenschein und Zeitvertreib!“
„Sieh wenigstens Dein eignes Unrecht ein;
„Du tadelst““, sprach ich, „all dies Plänemachen;
„Doch statt der andern Schwächen zu verlachen,
„Wär's klüger, Dich von Deinen zu befrein.
„Genießen wir doch heut den schönen Garten,
„'s ist sichrer, als das Morgen abzuwarten.
„Wie bald nagt an der reifen Frucht der Wurm,
„Und auf den schönsten Tag folgt Wettersturm.“

Das, Bruder, ist ein echtes Sittenbild!
Sieh diese Toren, wie sie wahnerfüllt,
Verzehrt von Wünschen, Hirngespinste nähren,
Sich blind erheben über ihre Sphären,
Das Einst betrauern und dem Heute grollen
Und auf die Zukunft baun ihr schwaches Hoffen!
Weit sehen sie des Glückes Tore offen,
In Tagen lebend, die noch kommen sollen,
Und töricht quälen sie mit eitlem Sehnen
Die Himmlischen und mit vermeßnen Plänen.
Erfüllten doch die Götter ihr Begehren —
Ihr Zorn könnt' ihnen Schlimmres nicht bescheren!

Tun wir des Schicksals Tempel ihnen auf!
Sieh dort den unzufriednen Menschenhauf,
Der ewig zwischen Furcht und Hoffnung schwankt
Und stets vom Gott ein beßres Los verlangt!
Doch der versetzt: „Erzittre, Kreatur!
„Umsonst ist's, meinen Ratschluß umzustoßen!
„Blick' in die Zukunft, sieh der Dinge großen
„Zusammenhang, das Räderwerk der Weltenuhr:
„Da beugt sich alles der Notwendigkeit!
„Doch seht, die Zeit und Wahrheit sind bereit,
„Im Fluge jedes Schicksal aufzurollen,
„Das Los zu zeigen, das ich Euch beschieden.
„Doch welch Ereignis in der wechselvollen
„Zukunft stellt Eure Wünsche je zufrieden?
„Entsagt dem eitlen Trachten nach dem Glück;
<70>„Ins Chaos fiele sonst die Welt zurück,
„Die ich durch feste Regeln weise lenke.
„Alles bedacht' ich, kann nichts umgestalten;
„Fügt Euch in Euer Los, das ich Euch schenke:
„Was Ihr Euch wünscht, ist andren vorbehalten.
„Wenn ich nicht fühllos Euren Wünschen bliebe,
„Zuchtruten bänden Euch die eignen Triebe!

„Du junger, vorwitziger Offizier,
„Ein andrer sieht an Deinem Platz: erfahren
„Sollst Du das Ende seiner Kampfbegier!
„Er liebte Krieg und suchte die Gefahren —
„Nun hat des Todes Sichel ihn gemäht!

„Du, dem der Sinn nach Nestors Alter sieht,
„Sieh dort den Greis! Wärst Du so hochbejahrt,
„Dir wär' das gleiche Schicksal aufgespart!
„Ihm macht nichts Lust noch Freude mehr; zuwider
„Ist ihm das Dasein; Alter, Siechtum nagen
„An seinem Lebensmark mit tausend Plagen,
„Und trübe schwelt des Geistes Leuchte nieder.
,Durch lange Qualen führt sein Weg zum Grabe.

„Hör', alter Krösus, mißvergnügter Narr,
„Dem seine Frau den Erben nicht gebar,
„Beim Nachbar sieh den Sohn und sein Gehabe:
„Ein Feigling ist's, entartet, undankbar!

„Du Menschenfeind, den Schrecknisse umnachten,
„Statt Bestushew sieh zwei Minister, dreister,
„Verruchter noch, der Zwietracht Höllengeister!

„O dämpft, Ihr Menschen, Euer hitzig Trachten!
„Stets blauer Himmel, Rosen ohne Dorn,
„Das ziemt Euch nicht, die Ihr am Staube hängt!
„Ich schuld' Euch nichts und Hab' Euch oft beschenkt.
„Für Wohltat fühllos, fürchtet meinen Zorn!“

Sprach's, und bei seiner Stimme Donnerklang
Der Tempel jählings mit dem Gott versank.
Die Pläneschmiede sahn, was ihre Wünsche galten,
Und sprachen demutvoll: „Gott möge walten!“ ...
<71>O weises Wort des alten Kineas
Zum Hitzkopf Pyrrhus, der es rasch vergaß:
„Gib auf das Planen, es ist Rauch und Dunst!
„Genießen lerne: das ist Lebenskunst!“

Ich folge seinem Rat. Uns ist hienieden
Als sichres Gut das Heute nur beschieden.
Die flücht'ge Zeit entführt uns Jahr um Jahr,
Und nimmer kehrt zurück, was einstens war.
Doch unser Geist, ist er so recht verdrossen
Und fällt des Glückes Übermaß ihm schwer,
Bangt vor der dunklen Zukunft um so mehr —
Wohl uns! Der Himmel hat sie uns verschlossen!

Wär' uns vom ersten Lebenstag bewußt,
Was uns dereinst die Vorsehung bestimmt —
Wie mancher Leidbeladne wär' ergrimmt,
Und der, dem Wohlstand winkt, verlör' die Lust;
So kürzten Ekel, Überdruß und Trauer
Verzweiflungsvoll des Lebens Dauer.
Drum laßt uns niemals in die Zukunft dringen:
Der Himmel hat sie weislich uns verborgen!
Nein, laßt uns, statt zu klagen und zu sorgen,
Der Wünsche dreisten Unverstand bezwingen.
Der Himmel möge unser Los gestalten;
Fromm beugen wir uns seinem weisen Walten.

<72>

11. An Stille72-1
Über rechten Mut und wahre Ehre

Freund Stille, was ist Ehre? Mancher sagt:
Genug, wenn man dem Tod zu trotzen wagt.
Zur Freveltat reißt sie den Schwärmer hin;
Der Ehrgeiz sieht in ihr verwegnen Sinn,
Den jedes Nichts entstammt zu blinder Wut;
Vergeltung nur kann seine Rachgier stillen.
Wer so nach Sühne lechzt für eitle Grillen,
Verrät mehr Wildheit als beherzten Mut:
Das hat mit wahrer Ehre nichts gemein.

Bewundrung stößt die Tapferkeit uns ein,
Die krieggestählte, die gefahrumdräut
Fürs Vaterland dem Feind die Stirne beut.
Der Pflichtvergeßne aber trübt den Glanz
Des eignen Ruhms; sein schönster Lorbeerkranz
Welkt auf der Stirn — er ist umsonst erstritten!
Erst jüngst hat Schweden solchen Schimpf erlitten:
Im stolzen Deutschland spielt' es einst den Herrn,
Doch seine Bastardsöhne unterlagen,
Seit Rußland sich ermannt zu kühnem Wagen;
Auf Finnlands Flur erlosch sein Heller Stern:
Das muß nun selbst das Joch der Knechtschaft tragend.72-2

Ein gleiches Los ist Holland widerfahren,
Das mannhaft streitend einst vor langen Jahren
<73>Die Kettenlast der Tyrannei zersprengte,
Die Zwingherrn in dem eignen Blut ertränkte.
Doch Enkel, unwert solches Heldentums,
Entehrten feig das Erbteil alten Ruhms:
Schlaff waren die Soldaten, ohne Zucht;
Laveld und Fontenoy73-1 sahn ihre Flucht,
Und in dem Röhricht hinter ihren Dämmen
Verkrochen sich die angstverstörten Memmen.

So brandmarkt Feigheit uns wie Missetat,
Doch wahre Ehre geht den rechten Pfad,
Gleich fern der Schwäche wie dem Überschwang.
Herr ihrer selbst, vertraut sie sich allein
Und liebt die Tugend, nicht den falschen Schein.
Doch führt der Ehre mißverstandner Drang
Nur Zank und Streit und Mörderwut herbei,
Verkehrt zu frechem Dünkel sich die Tugend,
So bleicht ihr Glanz, sie sinkt zur Schurkerei.

An Übertreibung scheitert oft die Jugend;
Der zügellose Jähzorn reißt sie fort,
Sie meuchelt sich um jedes Zufallswort
Und wagt noch dreist mit Ehre sich zu brüsten.
In Tugendzier hüllt sie ihr Nachgelüsten,
Und wahnumnebelt überlegt sie nicht,
Ob sie den Freund, den Gegner niedersticht.
Und doch, sie ist nicht schlecht: im Blutvergießen
Wähnt sie, ihr müsse Ruhm daraus ersprießen.

Die erste Wallung müssen wir verzeihn:
Wer kann des wilden Zornes Meister sein?
Doch wenn ein blödes Vorurteil der Welt
Zwei Freunde grausam in die Schranken stellt,
Daß sie kaltblütig, ohne Haß und Grollen
Wie Feinde aufeinander schlagen sollen —
Muß man barbarisch nicht die Sitte schelten,
Der solche krausen Ehrbegriffe gelten?
Sind's Narren, find's Berserker, die so wild
<74>Dies Zerrbild einer Ehre blutig rächen ?74-1
Nein, unser Volk ist edel, gut und mild,
Ein Vorurteil nur treibt es zum Verbrechen.
Der Himmel hat ihm seltnen Mut beschert;
Durch schlimmen Brauch wird er in Wut verkehrt.

Unsel'ge, halt! Vernehmt des Herzens Stimme!
Zu kostbar und zu wert dem ganzen Land
Ist Euer Blut; vergießt es nicht im Grimme
Auf diesem Grund, wo Eure Wiege stand.
Jäh schießt der Geier auf die Taube nieder,
Schlägt gierig ihr die Krallen in die Brust,
Verstreut im Walde ihre armen Glieder —
Tyrannenart zeigt solche Mörderlusi!
Ihr aber, Preußen, Ihr seid Brüder: ehrt
Das eigne Blut, die Väter, Haus und Herd —
Das sind Euch heilige Güter allzumal!
So sänftigt Euren Zorn und hemmt den Stahl!
Das Vaterland, Entmenschte, sieht entsetzt,
Wie Ihr mit Blut die Heimaterde netzt.

„Weh!“, ruft es, „meine Kinder, muß ich sehn,
„Wie Ihr Euch brudermörderisch vernichtet!
„Welchhöllengeist ließ neu die Gräul entsiehn,
„Die man dem Stamm von Theben angedichtet!
„Sprecht, seid Ihr jener schlimmen Saat entstammt,
„Die Kadmos einst, der Drachentöter, säte,
„Daraus ein Volk entsproß, das zornentflammt
„Im Bruderkrieg einander niedermähte?
„Zog ich Euch auf, um meiner Huld zu spotten,
„Mich zu verraten und Euch auszurotten?
„Gebar ich Euch, blutgierige Barbaren,
„Um Euch zu lieben oder zu bekämpfen?
„Dies edle Blut, Ihr solltet's lieber sparen,
„Um unsrer Neider Übermut zu dämpfen!
„An ihnen mögt Ihr Euren Mut erproben;
„Kehrt Ihr ihn gegen Euch in blindem Toben,
„So wird, statt daß der Siegeskranz Euch schmückt,
„Das Mördermal auf Eure Stirn gedrückt.
<75>„Dürft Ihr ans Leben Eurer Brüder greifen?
„Kann Mut im Menschenherzen Blutdurst reifen?
„Laßt ab vom grausen Wahn, der Euch verblendet!“

Lob, Ehr' und Preis sei meinem Volk gespendet,
Wenn mir vor seiner Ruhmestaten Bild
Das Herz von dankbarer Bewundrung schwillt!
Euch Schatten, Euch, Ihr unbesiegten Helden,
Die manchen Gegner in den Sand gestreckt,
Weih' ich dies Lied: es soll der Nachwelt melden,
Wie Eure Mannheit sich mit Ruhm bedeckt.
Entlocktt' ich je der Leier holdes Tönen,
Heut soll es Eure Heldengröße krönen!
Ich singe, wieviel Feinde Ihr bezwungen,
Wie große Milde Ihr im Sieg geübt,
Wie Euer Tod das Vaterland betrübt
Und wie mich tief der Dank für Euch durchdrungen.
Was Ihr vollbracht, ich künd“ es treu und wahr;
Der Nachwelt sei's ein Vorbild immerdar,
Wie Heimatliebe Euch in hehrem Flug
Und Ruhmesdrang von Sieg zu Siege trug.
Unsterblichkeit soll mir den Griffel leihn:
In bleibend Erz grab' ich die Namen ein;
Bezeugen will ich„s, wie voll Kampfesglut
Den stolzen Kaiseradler Ihr bezwangt,
In wieviel Schlachten Ihr den Übermut
Der Feinde löwenmutig niederrangt.

Erlauchte Söhne Albrechts,75-1den Geschossen
Des Feinds erlegen in dem Ehrenfeld:
Wie Ihr gelebt, hat Euch der Tod gesellt
Als Eures großen Ahnen würd'ge Sprossen,
Der für das Vaterland in tiefster Not
Dem Tode hundertfach die Stirne bot.
Finck,75-2 Schulenburg75-3 — um Euch nicht minder stießen
<76>Die Tränen mir! Du braver Fitzgerald, 76-1
War's mir bestimmt, Dein brechend Aug' zu schließen?
Wieviel verhieß uns Deine Ruhmgestalt,
Als Mars, auf Deine Taten voller Neid,
Dich allzufrüh aus unsrer Mitte riß!
Dem Tode haben viele sich geweiht
In jenem Kampf, so lang und ungewiß!
Doch unerschrocken, treu dem Vaterland
Und unerschüttert hielten alle stand,
Zum Trotz Eugens erprobten Veteranen,
Die stets den Sieg geknüpft an ihre Fahnen,
An denen Östreich keinen Halt mehr fand.

Von Euch nun laßt mich, ruhmbedeckte Helden,
In Preußens zweitem Siegesgange melden.
Auch Euch, Ihr Tapfren, brachte nichts zum Wanten,
Nicht der Verrat an Preußen, Bayern, Franken,
Den Sachsen übte in geheimer Tücke,
Als es des Bundes fromme Schwüre brach,
Des Neides voll, erschreckt von unsrem Glücke.
Da flüchtete sein Heer zur eignen Schmach,
Uns Unheil sinnend; denn bedrohlich naht
Der Lothringer der Elbe — doch mit Blut
Gerötet wälzt zum Meer sich ihre Flut,
Verkündend Eure ew'ge Ruhmestat.76-2
Du, liebster Rothenburg,76-3 dem Tod verfallen —
Welch Bild des Schreckens! Daß ein Wunder werde,
Fleht' um den Freund ich zu den Göttern allen,
Und Mars rief Dich zurück auf diese Erde.
Die Feinde spürten Deines Armes Wucht,
Dein brechend Aug' erlabte ihre Flucht;
Werdeck76-4 und Buddenbrock,76-5 sie setzten nach,
Bis auf dem Todesfeld ihr Herze brach.

Bald76-6 sammelt' Ostreich in geschäft'gem Werben,
Und hundert Völker schworen uns Verderben.
<77>Die Erde wimmelte von ihren Scharen;
Schon nahten unterm Adler der Zäsaren
Kroaten, Sachsen, Deutsche und Barbaren.
Voll kecken Hessens kamen sie zum Siegen
Aus Böhmens Bergeswall herabgestiegen,
Vom Wahn betört, sie hätten leichtes Spiel,
Wir stünden schon mit unsrer Kraft am Ziel.
Kaum dachten sie an Kampf, und übereilt
Ward da im Geist die Beute schon verteilt!
Welch edles Blut verrann an jenem Tag,
Als Düring, Truchseß und Schwerin77-1 erlag!
Ruhmvoller Tod, du warst des Neides wert!

Doch sieh, was braust heran mit blankem Schwert?
Dragoner sind's77-2 — Halbgöttern zu vergleichen,
Von deren Wucht zersprengt die Feinde weichen;
Gefangene und Fahnen ohne Zahl
Sind ihrer Wundertaten Ehrenmal.
Wie wenn die Wogen, aufgewühlt von Stürmen,
Sich schäumend an dem Meeresstrande türmen —
In ihrem Anprall brechen sie die Dämme,
Entwurzeln Wälder, Haus und Hof versinkt,
Das weite Land bedeckt ihr Flutgeschwemme,
Das all die bleichen Flüchtenden verschlingt —
So habt Ihr, stolze Helden, unbezwungen
An diesem Ruhmestag den Sieg errungen!
Doch, ach, Ihr Tapfren, in dem wilden Morden
Ist überströmt von Blut der Lorbeer worden!

Preußen, dein Heldenstamm wird nie vergehn,
Wird in den Lagern phönixgleich erstehn
Und in Gefahr sich ewig neugebären!
Doch die Besiegten quält ihr Rachbegehren;
In Böhmens finstren Bergesschluchten brüten
Sie Listen aus; Verderben sinnt ihr Wüten;
Doch nicht an Mut, an Zahl nur überlegen
Sind sie: ihr arges Netz zerreißt der Degen.
<78>Du Wedell,78-1 ein Achill, Goltz,78-2 ein Ulyß —
Mit Tränen netzt der Sieger Eure Gruft —
Ihr überwandet jedes Hindernis!
Trotz Feuerschlünden, trotz Gebirg und Kluft,
Vulkanen und Gefahren ungeahnt,
Durch zwanzig Völker, gegen Euch vereint,
Habt Ihr Euch kühn den Siegesweg gebahnt!

Doch welche neue Heldenschar erscheint?
Sie hält die Wacht im Feld bei Schnee und Eis,
Dem Lothringer zum Trotz, der uns erneut
Zur Winterszeit mit Schwert und Brand bedräut.78-3
„Auf, nach Berlin! Das sei des Zuges Preis!“
So ruft er: „Laßt es uns in Asche legen,
„Daß es, ein zweites Troja, untergeht!
„All seine Schirmer sind in blut'gen Schlägen
„Längst von des Todes Sense hingemäht.
„Ihr bestes Blut verrann; sie sind ermattet;
„Mit ihren Helden ward ihr Ruhm bestattet.
„Zur Rache! Auf! Die Stunde ist gekommen!“

Kaum hat das Preußenheer dies Wort vernommen,
Eilt es in edlem Zorn zu neuem Ringen,
Und wieder schenkt Fortuna ihm Gelingen.
Nicht Berge, Schluchten, Ströme nicht und Wald
Im Sachsenland gebieten ihm ein Halt!
Fest sieht der Feind, von starkem Wall umtürmt,
Natur und Kunst vereint sind zu bezwingen.
Da werden Berge, eisumstarrt, gestürmt,
Die Schwert und Feuer und der Tod beschirmt.
Im Siegeslauf stürzt Bredow78-4 jählings nieder —
Halt! grimmer Tod, gib uns den Tapften wieder!

Der stolzen Feinde Hoffen ist vernichtet;
Auf Dresden ist die wilde Flucht gerichtet.
<79>Weh! Polenz, Rintorf, Kleist79-1 die Ihr die Schlacht
Für uns gewannt ums Opfer Eures Lebens:
Wer hat das Mörderwerk an Euch vollbracht?
Der Feind ist fort, sein Wüten war vergebens,
Und Preußen triumphiert! Nicht Felsenwände,
Nicht Eis und Schnee, der Feinde dichter Hauf
Hielt unser Heer im Siegesdrange auf:
Viktoria gab den Ruhm in seine Hände!

Nun ruft die Heimat, die Euch dumpf betrauert,
Ihr Retter, Euch zurück in heißem Sehnen,
Und wie sie noch von Eurer Fährnis schauert,
Netzt sie den blut'gen Lorbeerkranz mit Tränen.
Ja, edle Schatten, diesen Schmerzensschrei
Habt Ihr verdient, und Eurer Tugend sei
Der heiße Dank, den wir Euch schulden, gleich!

Seid so wie dieses heldische Geschlecht
Und hegt die Ehre, einfach, rein und echt!
Getreu der Wicht, an hohen Taten reich,
Dem Vaterland zu dienen stets gewillt,
Übt Menschlichkeit im Sieg und zeigt Euch mild.
Für Haus und Herd trotzt Ehre der Gefahr,
Und wer des Vaterlandes Retter war,
Gilt Göttern gleich; sein schlichter Heldensinn
Gibt für die Heimat gern sein Leben hin.

So fiel Leonidas für Griechenland
Und hielt im Paß der Thermopylen lange
Der Welterobrer wildem Siegesdrange
Mit einem Häuflein Todgeweihter stand.
So ist auch Decius für Rom gefallen.
Jedoch den höchsten Heldenruhm von allen,
Ihr Preußensöhne, habt Ihr Euch erworben,
Da ruhmvoll Ihr fürs Vaterland gestorben.
Ihr sollt uns Götter, sollt uns Vorbild sein!

Ehrfürchtig tritt in ihren Tempel ein,
Betörte Jugend: Lern dem Wahn entsagen,
<80>Bestecke nicht mit Bruderblut die Hand!
Willst Du Dein Leben in die Schanze schlagen,
Gleich jenen Helden stirb fürs Vaterland!
Es wird ihr Name dauern in der Welt,
Solange bis das letzte Leben endet,
Solange wie vom hohen Himmelszelt
Die Sonne ihre Strahlen niedersendet!

<81>

12. An General Bredow81-1
Über den Ruhm

Bredow, wer den Menschen richtig kennt,
Ihn mehr vernünftelnd als vernünftig nennt!
Sein Geist ist unstet, eitel, hohl und klein,
Er haßt das Echte und er liebt den Schein
Und läßt von Stolz und Schwäche sich regieren.

Was kann man Dümmeres vor Augen führen,
Als manche Gecken, die mit frechem Lachen
Anmaßend jedes Ding verächtlich machen,
Manch Tribunal, das nie ein Recht besaß
Und doch den Ruhm zu richten sich vermaß.
Drum sieht der Unsinn in den höchsten Ehren;
Ich selber mußte sehn und hören,
Wie man ein still Verdienst gewissenlos verhöhnte,
Vernunft verlachte und die Torheit krönte.

Aus Oczakow entsandte einst der Khan
Mustapha nach Berlin.81-2 Als wir ihn sahn,
Da reizten Bart und Kaftan unser Lachen.
Die Höflinge, die stets gern Witze machen
Und denen Moslims arg verdächtig schienen,
Verhöhnten ihre Sitten, ihre Mienen.
Sogar die Höflichsten verlachten die Tartaren,
Und keiner wußte, daß diese Barbaren,
<82>So sehr auch Kleid und Brauch uns trennen mochten,
Einst China und die Perser unterjochten.

Man hütet sich ja so vor ernstem Denken
Und läßt im Witz das bißchen Geist versprühn.
Ja, redet man nur lässig, frech und kühn,
Kann man die Welt nach seiner Laune lenken.
Demütig beugt sie ihr betörtes Haupt,
Der größre Narr dem kleinern Narren glaubt.
Ein stolzer Ton und eine freche Stirn
Beherrschen stets der Masse blödes Hirn...

Und doch bevölkert ja solch schielend Pack
Die ganze Welt, man trifft es jeden Tag.
Virgil wird leichter als Segrais82-1 gewogen,
August den Antoninen vorgezogen.
Gekrönte heil'ge Väter voller Lügen
Malten Julian mit des Tiberius Zügen.
Der fromme Trug bekehrte alle Welt,
Julian ward als ein Scheusal hingestellt,
Und erst nach tausend Jahren sprach ein Weiser82-2
Die Wahrheit über diesen großen Kaiser.
Hat ganz Paris nicht seinen Spott getrieben
Mit jenem Mann,82-3 der einst ein Werk geschrieben,
Worin er Feuris mit Homer vergleicht?
Doch Frankreich hielt dies Buch für hohl und seicht
Und lernte erst durch Fremde seinen Wert.

Auch London hatte Milton nie geehrt.
Nach seinem Tode erst sah England klar,
Wie schön das Epos seines Dichters war.
Das Werk war gut, es mußte immer taugen.
Talente zu durchschaun, bedarf es guter Augen.

Ihr wähnt, ein Buch, ein Stück sei nur vorhanden,
Damit es Eurer Laune dienstbar sei,
<83>Und wenn beim Händler Ihr ein Buch erstanden,
So glaubt Ihr gleich, Euch ständ' ein Urteil frei.
Der eine liebt es schlicht, der andre hochgesinnt,
Man dürfte über den Geschmack nicht zanken.
Doch jeder sammelt ernsthaft die Gedanken,
Wenn wichtige Dinge zu entscheiden sind,
Dinge, woran sein Glück, sein Leben hängt:
Da sieht man gleich, wohin die Narrheit lenkt...

Bredow, Ihr lacht ob meiner Argumente,
Als ob ich sie im Scherz nur nennte,
Der heitern Muse zum gefälligen Spiele,
Auf daß ihr Spott auf Narrn und Gaukler fiele?
Ihr glaubt, mich triebe wohl die Spottsucht heute,
Vernünftig wären doch die meisten Leute,
Ich malte ganz mit Teniers' dunklem Braun
Und ließe bloß des Pöbels Narrheit schaun.

Vielleicht! Doch was Ihr so den Pöbel heißt,
Umfaßt die meisten, und Ihr müßt gestehen:
Drei Viertel dieser Welt, wohin wir sehen,
Ist blind und toll und handelt ohne Geist...

Wenn so ein Dummkopf aus der Kirche schreitet,
Lauscht er dem Freigeist, der die „Schrift“ bestreitet,
Verschlingt mit Wonne die willkommnen Lehren
Und wähnt im Witz ein tiefes Wort zu hören.
Erst töricht ftomm, dann Freigeist kurzerhand,
Hat er sich schnell vom Christentum gewandt.
Sein Geist, der alsobald den Halt verlor,
Ist noch viel schwacher als ein schwankes Rohr.
Urteilen will das Volk, klug dünkt sich, wer belesen,
Vernünfteln, nicht Vernunft ist unser Wesen.

Laßt mich in Ruh mit Newtons hohem Lob,
Der über Plato sich und Archimedes hob
Und lehrte, wie wir um die Sonne kreisen.
So groß er war, er schrieb sein „Jüngst Gericht“ ;83-1
<84>Und wußt' er auch der Sterne Weg zu weisen,
Gleich uns verstand er doch Johannes nicht.

Was geht's mich an, ob kluge Köpfe irren
Und ewig tappen in den Finsternissen!
Doch kann es den gesunden Sinn verwirren,
Wie jetzt von tollem Rausch dahingerissen
Ein mächtig Volk, das sonst so ruhig bleibt,
Die Freiheit liebt und friedlich Handel treibt,
Sich nun, durch eines Schelmes Rat verblendet,
Im Bund mit Holland gegen Frankreich wendet84-1...

So wird denn, was ein blöder Schurke schwätzt,
Zur Meinung einer unvernünftigen Masse.
Heut lobt sie Euch und tadelt Euch zuletzt
Und pendelt zwischen Gunst und blindem Hasse.
Selbst über Helden sitzt sie zu Gericht,
Doch deren wahres Wesen kennt sie nicht.

Mit blutiger Stirn, gefolgt von Kriegerscharen,
Reißt Mars das Tor des Ianustempels auf.
Man sieht die Schwerter aus den Scheiden fahren,
Man trägt die Fahnen vor im Sturmeslauf.
Dann nimmt das Volk für einen Herrn Partei
Und ftagt nicht, was der Grund des Kampfes sei.
So sah ich das betörte Volk der Deutschen,
Wie sie so blind den echten Freund verkannt.
Vergessen waren Österreichs Sklavenpeitschen,
Und für Theresia waren sie entbrannt.
Man schalt auf Kaiser Karl,84-2 auf Preußen, Bayern,
Es galt ja, den besiegten Franz84-3 zu feiern.

Wie drollig, wenn das Volk sich unterfängt,
Die Kriegskunst eines Helden zu verachten.
Wer nie ein Lager sah, nie eine Schlacht gelenkt,
<85>Der redet klug von Lagern und von Schlachten.
Und jeder urteilt in so schweren Sachen,
Die Weiber selbst am Rocken — 's ist zum Lachen!
Da geht man kurzerhand mit Generälen,
Ministern, ja mit Herrschern ins Gericht,
Sucht ihre Fehler aufzuzählen,
Und selbst am Webstuhl schweigt man nicht.
Schwer ist es, Ruhm und Ehre zu bewahren,
Das Volk ist stets zu ihrem Sturz bereit.
Nicht Taten noch Talent, nicht Zepter noch Tiaren,
Nichts wird verschont von dieser tollen Zeit.

Selbst Colbert, der Talent und Künste schützte
Und trefflich diente Frankreichs Majestät,
Er, der am meisten seinem Volke nützte,
Ward noch nach seinem Tode frech geschmäht.85-1
Der große Ludwig, der Europa zwang,
Das Glück des Landes und des Kaisers Schrecken,
Wie wollten Künste, Siege und Gesang
Ihn stets mit neuen Ehren überdecken!
Doch als der Tod die Augen ihm geschlossen,
Verhöhnte man des Grabes Heiligtum,
Und der Franzose, frech und voller Possen,
Befleckte seines größten Königs Ruhm.85-2

Bredow, so ist das Volk, die blöde Masse;
Sie opfert alles ihrem blinden Hasse:
Ein seltsam Federvieh, das alles hört und sieht,
Von Land zu Land mit Wundermären zieht,
Das niemals seine Neugier stillt,
Die Wahrheit stets in Lügenkleider hüllt.
Und aus Kabalen und gemeinem Neid,
Verleumdung, Haß und andrer Schändlichkeit
Braut dieses Untier seine Schreckensmären,
Bald kann man sie auf allen Gassen hören.
Wen dieses Monstrum biß, der fühlt es ewig brennen.

Kann man den Menschen noch vernünftig nennen,
Der Zeit und Ruh und Freuden daran gibt
<86>Und Müh und Sorgen überreich verschwendet,
Damit das flatterhafte Volk ihn liebt
Und staunend seine Augen auf ihn wendet?!
Ja, dieses Volk, das stets voll Irrtum ist
Und das so falsch den Ruhm der Toten mißt!

O Ruhm, o Wahn, hör' auf, uns zu verführen!
Nur Tugendliebe soll allein uns rühren.
Ich laß mich ganz von meinem Herzen lenken,
Erborgten Lorbeer soll man mir nicht schenken.
Soll ich denn von der Laune blinder Massen
Mir Namen und Verdienst bestimmen lassen?
Hab' ich die Tugend für ihr Lob geliebt?
Ob ruhmbedeckt, mit Tadel nur beladen —
Ich lache ob des Weihrauchs, der zerstiebt,
Und ob des Ruhms von Volkesgnaden.

<87>

13. An Podewils87-1
Man tut nicht alles, was man könnte

Emsiger Freund, Du, der den Frieden liebt
Und unsrem Staatsschiff Ziel und Richtung gibt,
Der meine Plane schaffensfroh erfüllt
Und offnen Augs für unsre Wohlfahrt wacht —
Du siehst gewiß, hast Du des Weltlaufs acht,
Der täglich Deinen Blicken sich enthüllt,
Wie überall bei jedem Menschenschlag,
Vom Mönch zum Papst, vom Schreiber bis zum Thron,
Keiner so viel vollbringt, als er vermag!
Blind tritt in seines Vaters Spur der Sohn;
Voll schlimmer Bräuche ist ein jedes Land;
Man klagt und duldet, doch man bessert nicht.
Wenn einer, für des Staats Gedeihn entbrannt,
Dem Allgemeinwohl neue Bahnen bricht,
Gleich wird er matt im allerersten Lauf
Und gibt die halbgelungne Arbeit auf.

Nur jene Hochgesinnten, die wir ehren,
Der Menschheit dienend ohne Dankbegehren,
Weltbeßrer, die in segensreichen Gaben
Ihr schönstes Denkmal sich errichtet haben,
Nur diese Göttlichen voll Willensstärke
Vollbrachten ihre vorgesetzten Werte.
Allmächtig ist der Wille; wer vorm Ziele
Erlahmt, gleicht einem, der erwacht, sich regt
Und wieder sich aufs Pfühl zum Schlummer legt.
<88>In jedem Land und Stand erblickst Du viele,
An Gaben reich, doch wenige fürwahr
Gibts, die zu wackrer Tat empor sich rafften!
Bei vielen, die im Eigennutz erschlafften,
Erstickte Trägheit, Mißmut, Habsucht gar
Nur allzu rasch den Drang, den tugendhaften,
Der ihres hohen Geistes würdig war.

Was hilft denn auch dem menschlichen Verbande
Ein Staatsmann, der an seiner Größe hängt,
An Macht ein König, wenn auch nicht von Stande,
Der ein System zum Wohl des Staats erdenkt,
Allein sein großes Werk, mit hundert Dingen
Beschäftigt, nicht zum Ziele weiß zu bringen?
Der eine, statt zu schaffen, will genießen;
Ein andrer bangt vor Neid, und nicht verdrießen
Will er das Volk, das stets am Brauche klebt
Und über jede Neurung Lärm erhebt,
Das ihm nicht Dank für seine Dienste weiß
Und Wohltat als erlittne Unbill zählt.
Ein dritter, den die Gier nach Gütern quält,
Gibt alle Pflichten seiner Selbstsucht preis.
Er, der dem Staat ein Vater könnte sein,
Sieht, kennt und liebt nur sich allein.
Dies arge Volk läßt unsre Not bestehn
Und Recht und Brauch drüber und drunter gehn;
Die Götterlust, den Wust mit weiser Hand
Planvoll zu ordnen, ist ihm unbekannt.
Doch oft auch bringt geschickten Staatenleitern
Des Schicksals Neid den besten Plan zum Scheitern.
Selbstsucht und Mißmut, Furcht und Trägheit treiben
Mit unsrer Menschenschwäche stets ihr Spiel;
Wir alle müssen uns ins Schuldbuch schreiben:
Kein Krieger, Staatsmann, König kommt zum Ziel.

Sieh jenen Feldherrn, den der Sieg umwirbt,
Wie er dem eignen Ruhme Schranken zieht,
Dem Feinde goldne Brücken baut, der flieht,
Und seiner Mühen Frucht sich selbst verdirbt!
Die Eigenliebe, die sich schnell begnügt
<89>Und gern zum Heldenrang empor sich lügt,
Umstrickt ihn, zeigt durch ein Vergrößrungsglas
Ihm seine Tat im Riesenmaß.
„Genug!“ spricht sie. „Dein Wagemut
„Hat glorreich heut zum Sieger Dich gemacht.
„Den Lorbeer, den Du pflücktest, hüte gut!“
Das angefangne Werk, er wähnt's vollbracht.

Erfüllt die Selbstsucht eines Staatsmanns Sinn,
Und lockt Bestechung ihn vom Weg der Treue,
Dann opfert der Verruchte ohne Reue
Des Staates Wohl für schnöden Geldgewinn,
Beugt das Gesetz, verkauft an Themis' Thron
Schamlos das heil'ge Recht um Sündenlohn.
Den Nachbarn redet er im Rat das Wort,
Bringt ihre argen Pläne zum Gedeihen,
Schürt Hader, um die Völker zu entzweien,
Und reißt den eignen Staat zum Kriege fort;
So führt Verrat zu Freveln und zu Mord.

Doch Du erkennst an diesem Bilde leicht
Den Schändlichen,89-1dem Zug um Zug es gleicht,
Den Unhold, dessen Härte Moskau fühlt,
Der Heeresmassen an den Grenzen hält,
Des Nordens Frieden ewig unterwühlt
Und unsren Gleichmut auf die Probe stellt!
Indes die Welt sein freches Ränkespiel
Mit kaum verhaltnem Ingrimm knirschend schaut,
Bleibt der Ukraine Fruchtland unbebaut;
In Rigas Pott verfault der Schiffe Kiel;
Gewerb und Kunstfleiß liegen schwer danieder,
Die alte Wildheit kehrt am Hofe wieder,
Und Peters großes Werk zerbröckelt sacht —
Welch Mißbrauch, Freund, der höchsten Herrschermacht!
Welch Schreckbild für Minister und für Fürsten,
Die, statt zu sorgen, daß ihr Land gewinnt,
Nach außen stark, fürs eigne Elend blind,
Nach Ruhm allein und eitlen Ehren dürsten!
<90>Und sei ihr Land auch lange nicht so wild,
Wie jenes Bärenloch, des Orkus Bild,
Kein Staat ist doch so makellos beschaffen,
Daß nichts an ihm zu bessern bleibt,
Daß zwischen Brauch und Recht nicht Lücken klaffen
Und die Vernunft allein Gesetze schreibt.

„Wohl spürt man dieser Mängel Schwergewicht,“
Sprichst Du; „warum beseitigt man sie nicht?“

Laß Dir die wahre Art der Herrscher zeigen,
Vor denen zitternd sich die Menschen neigen!
Sie wachsen auf in Prunk und Müßiggang
Und fürchten ernster Arbeit harten Zwang;
Im Freudentaumel, in des Glückes Schoß
Ziehn sie beschaulich ihre Trägheit groß.
Die Staatsgeschäfte gehn, wie's Gott gefällt,
Der alles, was geschehen kann, bedenkt.
Sorgt nun die Vorsehung für diese Welt,
So bleibt den Herrschern alle Müh' geschenkt.
Sie sagen sich's in lässigem Behagen,
Um müßig Tag' und Jahre totzuschlagen.
Der Menschheit Bürden, auf dem Thron erstarrt,
Für sich voll Rücksicht, gegen andre hart.
So dulden die hochmögenden Schlaraffen
All unsre Not, statt Nützliches zu schaffen.

Wenn Sachsens Macht und Wohlstand mehr und mehr
Verfällt und sein einst Heller Stern erblindet,
Zerrüttung droht, des Staates Ansehn schwindet,
Das Volt bedrückt ist und der Säckel leer —
Schieb's nicht dem Herrscher90-1 zu, der kein Tyrann,
Ja, dessen Trägheit nichts besiegen kann!
Aus Bosheit nicht erzeugt' er all dies Leid,
Nein, weil er sich dem Müßiggange weiht!
Er schläft auf Blumen; seiner schwachen Hand
Entglitt des schwanken Staates Gängelband.
<91>Trotz alten Schäden und dem tragen Hang
Der Großen geht die Welt zwar ihren Gang,
Allein ein Teil der Schuld trifft doch den König,
Geschieht fürs Wohl des Staats so bitterwenig!

Genug des Spotts! Ich schone meinesgleichen.
Kann mich allein der Tadel nicht erreichen?
Bin ich denn immer voller Wachsamkeit?
Gibt Umsicht jeder Arbeit das Geleit?
Gibt's nicht auch Tage, wo der Geist erschlafft,
Unfähig ist und ohne Schaffenskraft,
Wo ich das Ganze nicht vor Augen habe
Und kaum der Dinge Oberfläche streife?
Du siehst, wie ich beschämt ans eigne Herz mir greife!
Leben ist Handeln; Ruhe ist im Grabe.
Hat uns die flücht'ge Zeit nicht offenbart,
Daß kurz das Leben uns bemessen ward,
Daß man kein Ding dem Morgen überlassen,
Nein, die Gelegenheit beim Schopfe fassen
Und jeden Tag mit Taten füllen soll?
Umsonst droht uns die Parze frühen Tod;
Lang wird das Leben, ist es tatenvoll.
Drum nutzen wir die Macht in unsren Händen,
Um unsren Nächsten Gutes zuzuwenden:
Das sei des Daseins oberstes Gebot!
Der Seele Fruchtbarkeit ist unbeschränkt:
Sieh den Orangenbaum, der allezeit
Von Bluten strotzt und voller Früchte hängt,
Ein steter Vorwurf unsrer Lässigkeit!

Doch wenn ich auch das Wort der Tatkraft rede,
So wähne nicht, ich ließe mich betören
Von Brauseköpfen, die den Frieden stören,
Die ihre Unrast treibt zu Krieg und Fehde!
Glaub' nicht, daß mich der Nordlandsfürst entzückte,
Der Mühsal, Fährnis, Tod zu finden brannte
Und keine Lust als Krieg und Schlachten kannte,
Den Herrscher zu entthronen tief beglückte,
Der herrenlos die eignen Lande ließ,
<92>Polen gewann und sie ins Elend stieß!92-1
Doch ist ein Bürger mit der Macht betraut,
So schelt' ich seinen Hang zur Trägheit laut;
Amt, Ehre, Glück und Ansehn — alles drängt
Den Herrscher, daß er seiner Pflicht gedenkt.
Läßt er sich gehn, so ist es schon Verrat,
Und Trägheit wird bei ihm zur Freveltat.
's ist kein Verdienst, daß man das Böse meidet:
Fürs Gute zu erglühn — nur das entscheidet!

Ein Gleichnis noch! Gehüllt in Blumenzier
Zeig' ich der Weisheit strenge Regeln Dir!

Des Ruhmes Heiligtum, in alten Tagen
Sah man's auf einem schroffen Felsen ragen.
Der Gott versprach den Wagemut'gen Lohn,
Die klimmend bis zu seinem Wolkenthron
Ihm huldigten. Von diesem Preis verlocken
Ließ mancher sich und suchte um die Wette
Emporzudringen zu der heil'gen Stätte.
Dem Felsen nahend, blieben tieferschrocken
Die einen stehn ob ihres Unterfangens,
Indes verliebt ins Ziel ihres Verlangens
Waghalsige junge Toren Blumen pflückten
Und andre scheu sich an die Felswand drückten,
Gepackt vom Schwindel, und den Berg verließen.
Auch mancher sank, am steilen Hang erschlafft,
Entkräftet um, von Mühsal hingerafft.
Wohl ließen's Kühnere sich nicht verdrießen,
Emporzuklimmen an den steilen Riffen;
Doch ihre Seele ward vom Neid ergriffen
Auf jeden, dem das Wagnis auch gelang.
Sie rangen wild am Abgrundsrand und stießen
Einander in die Kluft, die sie verschlang.

Ein Weiser ohne Neid und Zagen dringt,
Vom Preis entflammt, der ihm dort oben winkt,
Allein auf kürzrem und noch rauhrem Pfad
<93>An Podewils. Man tut nicht alles, was man könnte
Von Fels zu Fels empor zum höchsten Grat.
Dort schließt in seine Arme ihn der Ruhm;
Sein Name wird vermerkt im Heiligtum
In jenem kleinen Buch der Ruhmeswetten,
Die stark an Mut und Tugend sich bewährten.
Der Gott gibt seinem Heldensinn die Krone
Und spricht: „Heil Dir! Nimm teil am hehren Lohne
„Der rastlosen Gelehrten, Herrscher, Krieger;
„Zu ruhen ziemt allein dem Sieger.“

<94>

14. An meine Schwester in Bayreuth94-1
Vom rechten Gebrauch der Glücksgüter

Der Größe Traumbild ist für mich verblaßt;
Stiller Beschaulichkeit ganz hingegeben,
Meid' ich der Menschen Zudrang, Lärm und Hast;
Die Stunden nutzend, die so schnell entschweben,
Genieß' ich tausend Freuden auf dem Land,
Errichte Lauben, lasse Hecken scheren,
Lese La Quintinie,94-2 dank dessen Lehren
Ein grüner Garten sprießt aus dürrem Sand.
Die Blumen, die uns Floras Huld beschieden,
Seh' ich da sprossen, blühn und bin zufrieden.
<95>Mein Freund Philemon, der mich oft beehrt,
Erörtert gern mit mir der Tugend Wert.
Erhitzt dann seine Rede mein Gemüte,
So schmückt mein Geist sie mit dem Reiz der Dichtung;
Das kleinste Ding, ein Blättchen, eine Blüte
Gibt unserm Denken Gegenstand und Richtung.
Natur ist reich an Wundern für uns beide;
Oft sind die Bienen unsre Augenweide.
O Schwester, welche Lust, ihr Werk zu sehn,
Wie sie im Blumenkelch nach Beute spähn,
Wie ihr geteiltes Wirken und ihr Fleiß
Das ganze Völkchen reich zu machen weiß!
Sie schaffen für einander; alle haben
Den gleichen Teil an ihren Honigwaben.

Warum befolgen wir ihr Beispiel nicht?
Erröten müßten wir, so oft wir sie
In höchster Ordnung, reinster Harmonie
Erfüllen sehn die allgemeine Pflicht.
Ihr Staat ist unsern Staaten weit voraus !
Nicht eine ist so stolz und aufgesteigert,
Daß sie der Arbeit Frucht den Schwestern weigert;
Dünkel und Eigennutz sind fremd im Haus.
O Menschenweisheit, aufgeblähter Wahn!
Wie tief dich selbst ein Tier beschämen kann!
Hartherzig sehn wir in des Glückes Schoß
Herab auf unsrer Nebenmenschen Los;
Die Sitten wechseln nach der Art des Stands.
Wir fliehn, geblendet von dem eignen Glanz,
Den schlichten Ursprung, kennen uns nicht mehr.

Wer glaubte, kommt ein Großer stolz daher,
Die Armen sein dem gleichen Stoff entsprossen,
Den Bettlern dort, zerlumpt und gramgebückt,
Sei ganz das gleiche Antlitz aufgedrückt,
Sie seien seine Brüder und Genossen!
Das ist Fortunas Werk; durch Dünkel ward
Er grundverschieden; kein gemeinsam Band
Gibt's, das sich zwischen arm und reich noch spannt;
Wie Tiere sind sie von verschiedner Art.
<96>Sein Wolfsgemüt wird kühl die Falken schauen,
Wie sie das Tal mit Taubenblut betauen.

Mich bost's, daß ein gewisser großer Herr
Sein Herz an Pferde, Hunde gar verschwendet,
Als ob er nur so hoch erhoben wär,
Damit sein Gold in ihrem Bauche endet!
Indes die Pferde nutzlos an der Krippe
Sich mästen, wird der Arme zum Gerippe.
Er schwelgt in Luxus, denkt an sich allein;
Ein leerer Traum ist ihm des Nächsten Pein.
Ja, dieser Mißbrauch hat mich so empört,
Daß ich die Großen und das Glück verachte!

„Du staunst!“ entgegnete mein Freund und lachte.
„Die Welt ist fühllos, undankbar, betört.
„Ich kenne sie nun schon so manches Jahr,
„Seit ich Fortunas Oberpriester war.
„Der Schmeichler blöder Schwarm umdrängte sie,
„Und einen jeden sollte sie beglücken.
„Ein Höfling bat, daß sie ihm Macht verlieh',
„Um einen falschen Freund zu unterdrücken,
„Der stets ihn auszustechen sich erfrechte.
„Der König heischte unterwürf'ge Knechte.
„Ein Stutzer, den sein karges Los verdroß,
„Verlangte Würden und ein prunkend Schloß,
„Und ein Verschwender wünschte große Habe,
„Um sie nach Lust und Laune zu vergeuden.
„Ein Geizhals sprach: Du Bringerin der Freuden,
„Gib Schätze mir, damit ich sie vergrabe!
„Hochmütig rief ein Graf mit frecher Miene:
„Wo bleibt der hohe Rang, den ich verdiene?
„Ich käme nie zum Schluß, erzählt' ich Dir
„Ihr wunderlich Gered in allen Stücken.
„Kurz, keiner dacht' in seiner eitlen Gier
„Der holden, edlen Wonne, zu beglücken,
„Und meine Göttin, unberechenbar
„Und unbesorgt, wen ihre Gabe trifft,
„Versagt' aus Laune, reichte wahllos dar.“
<97>„Das Glück“, versetzt' ich, „ist ein schlimmes Gift.
„Kann es den Geist mit Hirngespinsten nähren,
„So muß sich auch des Besten Sinn verkehren;
„In seinem Wahn glaubt er, ein Gott zu sein,
„Verlangt, daß Weihrauch überall ihm dampfe.
„Die Mächtigen in ihres Hochmuts Krampfe
„Vermeinen, daß die Vorsehung allein
„Für sie erschuf, was auf der Erde lebt
„Und was auf Flügeln durch die Lüfte schwebt.
„Sie fühlen sich als Mittelpunkt der Welt;
„Geht's ihnen gut, ist alles wohlbestellt.
„Zart gegen sich, doch gegen andre hart,
„Vom Glück berauscht, in ihren Rang vernarrt
„Und streng ihn wahrend, gleichen sie den Ästen,
„Die sich aus ihres Stammes Säften mästen
„Und eitle Blätterzier in Fülle treiben,
„Doch uns die süßen Früchte schuldig bleiben.
„Wird denn für sie allein der Saft bereitet,
„Den das Geflecht des Schafts zum Wipfel leitet?
„Ach, welcher Gärtner wird sie klug beschneiden,
„Wenn sie Pomona ihre Gaben neiden?
„Wie schmerzt es mich, es werden immer mehr!“

„Vielleicht, daß manches Herz wohltätig wär',“
Erwiderte mein Freund mit düstren Mienen.
„Doch die verderbte Welt ist voll von Bösen;
„Durch Wohltun ist nur Undank einzulösen:
„Wer Menschen kennt, versagt den Beistand ihnen!“
Wie schön ist's, Freund, sich Undank zu verdienen!
Ist's nötig, wenn es uns zur Tugend drangt,
Daß kaltes Klügeln unsrem Herzen wehrt?
Weise Minerva, Schwester, liebenswert,
Mit allen Herzensgaben reich beschenkt,
Ich weiß, Du denkst: ein edles Herze muß
Wohltätig sein; ihm ist es Hochgenuß,
Wenn es den Menschen, seines Gleichen, spendet,
Was ihm des Himmels Güte zugewendet!

Die Säulen, die ein kluger Architekt
Vor seinen Bau in edler Ordnung stellt,
<98>Sind nicht nur eitler Schmuck; was er bezweckt,
Ist, daß das Ganze fest zusammenhält.
— 's ist auch die Regel des Gesellschaftsbaus!
Zu seinem Halt trägt jeder Bürger bei:
Verschönern reicht nicht hin, ich sag' es frei:
Der Schmuck verziert, die Güte trägt das Haus.

Weltseele du, allmächtige Natur,
Laß dein Geheimnis kühn mich offenbaren!
Du fügst, magst du verschwenden oder sparen,
Zweckvoll ein jedes Ding zum Brauche nur!...

Wie lieb' ich jenes weisen Mannes98-1 Rede,
Als Rom zerklüftet ward von Bürgerfehde!
Zum Heil'gen Berge war das Volk gezogen,
Er glättete beredt des Aufruhrs Wogen.
„Der Staat, Ihr Freunde, ist der Leib“ — so sprach
Der Kluge; „alle Bürger sind die Glieder.
„Erlahmt nur eins, gleich wird das Ganze schwach;
„Gesundheit liegt und Lebenskraft danieder.
„Wenn's nur zu reden unserm Mund behagte
„Und er dem Leibe Speis' und Trank versagte,
„So wär' der Körper, ohne Saft und Kraft,
„Geschwind vom Hungertode hingerafft.
„Ihr Widerspenst'gen, Glieder unsres Staats,
„Seid Bürger! Ehrt den Willen des Senats!“
Wie hoch sich einer auch im Lande schwingt,
Er bleibt vom Ganzen immer doch ein Glied.
Wenn Ihr den Nächsten keine Hilfe bringt,
Der Staat in Euch gelähmte Glieder sieht.
Doch meiden wir den Spott und sein wir mild;
Richten ist leicht; die Kunst ist, zu bekehren.
Mit Freundesrat, nicht wie ein Pfaff, der schilt,
Laßt uns den rechten Brauch der Größe lehren,
Wie man den Dünkel, Rache, Haß verschmäht,
Allein durch seine Güte Macht verrät.
<99>„Nichts kann an Deiner Größe mehr entzücken,
„Als Deine Allmacht, Menschen zu beglücken;
„Nichts hebt Dich mehr empor zur Göttlichkeit,
„Als Deine Güte, ewig hilfsbereit“ —
So sprach einst Cicero zu Cäsars Ehren,99-1
Und alle Könige scheint er zu lehren:
„Um zu beglücken, wurdest Du zum Herrn,
„Dich ziert Dein Glanz, gleichwie des Tages Stern,
„Doch uns erwärmt er, wo er niederfällt.“

Die Großen, die das Glück im Schoße hält,
Verachtet man, ist ihre Seele schlimm.
Den Kaiser Nero traf des Volkes Grimm,
Der Antonine Tugend ward verehrt.
Du, Mark Aurel, mein Vorbild und mein Held,
Anbetungswürd'ger, eines Tempels wert,
Wenn schwache Menschen zu der Götterwelt
Aufsteigen können, dir geschah es so!
Bei deinem Namen fühl' ich, wie die Glut
Der Tugend, die mir tief im Busen ruht,
Empor in Flammen züngelt lichterloh!...

Doch muß zum Wohltun man ein König sein?
Kann nicht ein jeder sich der Tugend weihn?
Oft kann der Ärmste seinem Nächsten nützen;
Der Reiche soll von seinem Überfluß
Den Armen geben, und der Große muß
Mit starkem Arm bedürft'ge Tugend schützen.
Im Wohlstand zeigt sich erst der Seele Guß,
Ob sie voll Geiz, ob sie an Gaben reich:
Der Stand ist wechselnd, doch die Pflicht ist gleich.
So schenkt die zarte Blüte ihren Duft,
Das Feld Getreide und die Bäume Schatten,
Metall der Berge Schoß und Gras die Matten,
Fische das Meer; es kühlt der Wind die Luft,
Der Nordstern weist dem Wandrer seinen Pfad,
Und wenn die Nacht die Welt verschleiert hat,
So dringt des Mondes Leuchte durch das Dunkel.
<100>So füllt den Raum mit seinem Lichtgefunkel
Der Sonnenball, befruchtet und erhält
Das Leben rings auf dieser weiten Welt.

<101>

15. An Sweerts101-1
Über die Freuden

Ihr der liebenswürdige Leiter seid
All unsrer Kurzweil und Ergötzlichkeit,
Der Ihr den Tanz Terpsichores
Und Polyhymnias Spiele lenkt,
Den Tränenernst Melpomenes,
Thaliens Munterkeit uns schenkt:
Sagt an, Baron, habt Ihr schon eins bedacht:
Von alledem, was uns erfreut,
Was ist es wohl, das uns beglückter macht,
Dem innern Menschen wohl das meiste beut?
Sagt, ist's der Freudenüberschwang,
Den uns der Karneval beschert,
Den üpp'ge Jugend so begehrt,
Davor den Ehegatten bang?
Wenn unter Masten mannigfach
Das junge Volk, das liebvernarrte,
Begeistert stürmt der Luststandarte
Der holden Cytherea nach?
hei, wie sie all in Flammen stehn,
Jeder entschlossen zuzugreifen!
Dies Springen und Schleifen,
Dies Wirbeln und Drehn,
Der taumelnde Reigen
Beim Klang der Trompeten, der Flöten und Geigen —
Ein Rausch ist's, und alles dahingerissen
Von Genuß zu Genüssen.
Und Aurora, die
Zu Winterzeiten doch wahrlich nie
<102>'ne starke Frühaufsteherin,
Heut hat sie's nach dem Wunsch und Sinn
Der lustigen Jugend mal viel zu eilig —
Obschon zeitweilig
Bereits in Viertelstundenfrist
Von manchem schnell entstammten Galan
In seinem kurzatmigen Liebesroman
Ein böses Aber gefunden ist.

Was meint Ihr? Oder ist es vielleicht
Die Bühnenkunst, der Ihr die Palme reicht?
Allwo die Verschrobenheiten der Zeit
Mit seiner derben Ursprünglichkeit
Abschreckend uns Meister Molière konterfeit?
Ihr empfehlt mir ein neues Schauspiel: „Kehrt ein
„In jenes berückende Zauberschloß,
„Wo das Bühnenbild und der Tanz im Verein
„Mit dem Reize vielstimmiger Melodein,
„Wo ein hundertfältig Genießen
„Zu einer Lust, überwältigend groß,
„Will ineinanderfließen.
„Der Oper gebührt wohl der Freudenpreis,
„Wo alles, Hof und Stadt, wie berauscht
„Dem Meistergesange der Astrua102-1 lauscht,
„Wo alle Herzen zu rühren weiß
„Salimbeni102-2, der Meister der schmelzenden Töne,
„Wo unsre Terpsichore, unsere schöne
„Marianne Cochois ihre Bravos sich
„Beim Publikum einheimst allabendlich
„Und die hohe Kunst ihres Tanzes zusamt
„Dem Reiz der Verführung, der ihr eigen,
„Alle Herzen, die zur Verliebtheit neigen,
„Unrettbar entstammt.“

Ich versteh', und — was ich auch nicht verhehle —
Ich liebe im Grunde meiner Seele
All diese Freuden: Verirrung heißt
Mir die Andacht, die sie uns verleidet, verweist.
<103>Ich denke gut epikureisch und gern
Überlass' ich das Traurigsein
Von der Stoa den grimmigen Herrn.
Ach, daß unserm Herzen, wie weiland Theben,
Doch hundert Tore wären gegeben:
Ich ließe die Freuden groß und klein
In hellen Scharen herein!

Doch was hilft das alles: nicht jedermann
Schaut die Sache mit solchen Augen an.
Sah ich doch, traun,
Schon Herren, die große Nimrode waren,
Mit müden, hochgezogenen Braun
Inmitten von all dem Wunderbaren.
Sie gähnten und schliefen ein, und ihr Geist
War schleunigst nach ihren Iagdgründen verreist;
Dort war er beschäftigt mit Hirschen und Sauen
Und sah im Traum, statt auf Cinna zu schauen,
Die stinken Bracken
Den Schwarzkittel packen.
Ich sah auch auf euren Zuschauersitzen
So manchen Harpagon zappeln und schwitzen,
Im Angsttraum um seine Gelder vergehn,
Nach allen Riegeln und Schlössern sehn,
Sich heimlich im stillen quälen,
Seine Säcke mit Goldstücken abzuzählen.
Höchst eigenartig war auch der Genuß,
Den jener Mathematikus
Für sein Gehirn, das ausgedörrte
Einst im Theater sich erfand —
Sicher ist Euch die Geschichte bekannt:
Ohne daß er was sah oder hörte,
Selbst ohne zu sprechen, macht' er sich dran,
Zu berechnen den Rauminhalt des Saales,
Die Wege und Wirkungen des Schalles,
Die Optik im Theaterhaus,
Das große Oval an der Decke des Baus.
Und als er sein löbliches Wert getan,
Nichts blieb ihm als tödliche Langeweile —
Was geht ihn der Vorgang da oben an!
<104>So daß er, unglaublich! in polternder Eile,
Eh' nur ein Akt zu Ende gespielt,
Sich fluchend empfiehlt.

Gilt's unsere eigenen Neigungen — hei,
Wie sind wir mit Leib und Seele dabei!
Indes uns die Freuden von anderen Leuten
Blutwenig bedeuten.
Weil nun keiner heraus kann aus seiner Haut,
Aus jedem ein anderes Fühlen spricht,
So gönne der eine
Dem andern das seine,
Dieweil ja auch jedes Menschengesicht
Verschieden ausschaut!
Ja, segnen laßt uns die sorgende Macht,
Grad weil ihre gnadeströmenden Hände,
Geschmack und Verlangen vertausendfacht,
Daß jeglicher Wunsch sein Genügen fände.
Gäb's da nicht so viele Verschiedenheiten,
So wär' wohl das bißchen Freude und Spaß —
Das einzige, was
Dem Erdendasein noch gibt seinen Reiz —
Der Born nur des Zankes, des Neids und Streits,
Wütender, grausamer Zwistigkeiten
Ohn' Unterlaß;
So säh man uns Ärmste allerseits,
Nur um ein Freudegelüst zu stillen,
Den Erdboden röten,
Zu Kriegen käm' es und Kriegesnöten —
Einzig um des Vergnügens willen!
Doch meint Ihr, es müssen,
Die Sinne, die trägen
Uns anzuregen,
Gleich wahre Wunder von Hochgenüssen,
Theater und Feuerwerkerein
Oder ähnliche Herrlichkeiten sein?
Als ob nun jeder, dem all derlei
Das Geschick nicht vergönnt,
Mit Fug und Recht sich beschweren könnt',
Daß er zu kurz gekommen sei?
<105>Natur, die getreue, nimmt immerdar
Wachsam all unsrer Bedürfnisse wahr
Bis zum Überfluß:
Erhebt zum Verlangen, was uns fehlt,
Erhebt zur Wonne und zum Genuß,
Was uns zu schaffen macht, was uns quält;
Gab uns der Liebe Lust, — die gleiche
Dem Bauern wie dem Kavalier;
Gab uns die Labe, die segensreiche,
Des Schlummers. Ihr verdanken wir
Die Lust, wenn uns in Dursiesqual
Ein Bächlein rauscht mit einem Mal:
O tiefer Trunk, so kühl und rein,
Köstlicher kann kein Nektar sein.
Verschmachten wir in Hundstagsglut,
Wie tut in dunkler Schatten Hut
Des Waldes frischer Odem gut.
Wohliger denn auf Daunendecken
Behagt's, auf weicher Wiesenau
In guter Ruh' sich hinzustrecken,
Zu träumen in des Sommers Blau.
Und denkt doch, welche Wunderschau
Uns stets im Morgenrot erblüht,
Wie da, kaum daß das Dunkel schwand,
Im Osten schon der Himmelsrand
In reinsten Purpurfarben glüht;
Droben verblassen die Gestirne,
Der Nebel steigt, die Bergesfirne
Erglüht im ersten zagen Strahl
Und schickt ein goldnes Licht zu Tal.
Der Morgenwind die Schwingen hebt
Und weckt die Blumen, und es lebt
Das Menschenherz zur Freude auf,
Und ob der neugebornen Welt,
In allen Tiefen lichterhellt,
Hebt sich der Sonne Siegeslauf.
Wo ist die Wunderkunst, sagt an,
So zaubermächtig ohnegleichen,
Die solche Wirkung je erreichen,
Die solche Schau uns bieten kann?
<106>Malt doch der Sonne Feierpracht,
Wenn ihr die Farben dafür wißt!
Graun,106-1 der der Töne Meister ist —
Das Lied der Sängerin der Nacht,
Das schlichte Gezwitscher der Waldvögelein,
Erweckt vom jungen Tagesschein —
Noch hat er es nicht nachgemacht!
So wird an Schönheit überglänzen
Ein junges Blut von fünfzehn Lenzen
All eure trefflich gemalten Gesichter;
Was hilft der Farbenschmelz, die Lichter,
Was ist mit eurem Schminken getan,
All eurem zierlichen Drum und Dran —
Mit der Natur ringt die Kunst vergebens!

Seht, da habt ihr die Freuden, die holden,
Eines von Unschuld umhegten Lebens.
Dünkt ihre Schlichtheit euch minder golden
Denn eure Spiele und prunkvollen Feste,
Wo alles gestutzt und geregelt aufs beste,
So wißt: man übernimmt sich nicht
An ihnen, dieweil sie so einfach, so schlicht;
Gleichen sie doch einem Bächlein seicht,
Des lichte Welle flink und leicht
Hinplätschert über den silbernen Sand;
Die Au verschönt es, die's durchfließt,
Und segnet weitum alles Land,
Wo alles grünt und blüht und sprießt.
Freilich mit stolzen Brücken kann's
Nicht eben großtun; noch gewann's
Der großen Ströme Amt und Ehr',
Stattliche Schisse zu tragen daher
Mit wehenden Bannern; noch bespült
Sein Wasser die Mauern der großen Städte,
Allwo sich's gar oft in seinem Bette
Von den guten Deutschen geärgert fühlt.
Nichts stört und verdrießt es, nichts hält es auf,
So ist denn gar eben und grade sein Lauf.
<107>Versucht es nur einmal, ich rat' euch in Treuen,
An solchen Gütern der Welt euch zu freuen:
Ich sage euch: keine Gewissenspein
Folgt hinterdrein!
Es ist ein Genießen in Herzensruh;
Auch daß man zuviel des Guten tu',
Ist nie zu besorgen. So kehrt man schließlich,
Ward man der euren müd und verdrießlich,
Sich jenen immer wieder zu.

Hat jedes Alter, das wir durchwandern,
Doch seinen Geschmack, und jedes 'nen andern.
So macht uns alle der Lebensmai
Hörig der Liebestyrannei,
Indes des Daseins Sommerzeit
Der Ehre und dem Ruhm geweiht,
Und mehr nach Nutzen und Gewinn
In herbstlichen Tagen uns steht der Sinn;
Was aber bleibt unsern alten Tagen
Als Grübeln, Brummen und sich Beklagen!
Ein grauer Schädel — und dabei
Tät' er noch mit bei der Mummerei?
Ein runzlig Gesicht,
Und es schämte sich nicht!
Das stünd' ihm an, dem wackligen Alten,
In der Maske zu hüpfen, in Dominofalten
Den Leib zu hüllen, den wunschlos kalten!
Hat Amor doch längst keine Pfeile mehr
Für ihn, für ihn ist sein Köcher leer,
Den seines Leibes Gebrechlichkeit
Von aller süßen Fron befreit.
Wenn frostige Starrheit
Das Herz befiel,
So wird zur Narrheit
Das holde Spiel;
Ach, wenn die Liebe sich von uns kehrt,
Ihr Abschiedsgruß uns gar wenig ehrt!
Nun schimpfen sie, die in besseren Tagen
Anbetend auf den Knien lagen,
Und lästern haßvoll —
<108>Ohnmächtig sind sie nur, nicht maßvoll!
Die Leidenschaften schwanden — mit ihnen
Die Wunder, die einst dem Verliebten erschienen;
Die Sinne sind
Wie taub und wie blind,
Und wenn uns in die Augen fällt
Das Allerholdeste von der Welt,
So ist's, als wenn ein Lustschloß sich
Im Wasser spiegelt: jede Welle
Verlöscht und raubt uns auf der Stelle
Das Bild, wenn sie vorüberstrich.
So wenig hat's Bestand und Halt!
Ja, seht ihr, ist der Mensch erst alt,
So sind des Lebens süßeste Wonnen
Zerronnen.

So laßt uns genießen, ich bin dabei,
Aber den Kopf behalten wir ftei!
Sweerts, und ich sag Euch, am besten ist dran,
Wer sich glücklich davonmachen kann,
Den Hirtenstab wieder zuhanden nimmt
Und fort, zu seinen Gärten, nur fort,
Seinem Wald, seinem Zufluchtsort —
Nachdem er just auf der Szene dort
Durch Muttertränen umgestimmt
Im Lager gesehn den Coriolan;
Oder vorm ganzen Heeresbann
Der Griechen die traurige Königsmaid,108-1
Am Opferaltar schon zu sterben bereit,
Gerettet im letzten Augenblicke!
All dieser Glanz, dies Brimborium
Macht Euch zuletzt ganz taub und dumm,
Zerreißt Euch in Stücke
Seele und Sinn!

Ich bitt' Euch, Baron, wo soll das hin:
Was bin ich verdammt, für ein Leben zu führen,
Eine Irrfahrt ist es, ein Vagabundieren!
<109>Und dabei in dem Wirbel von Hof und Welt
Sich mitdrehn! Ewig umlagert, umstellt
Von jenen müßigen Vielgeschäftigen!
Von dem Kram all, dem Nichts
Voll ernsten Gewichts
Bis oben gefüllt; von dem rauschenden, heftigen
Wildstrom der Vergnügungen mitgerissen,
Über die nur die Mode gebeut,
Wo immer das Gestern gleicht dem Heut —
Ein Nichtstun, das uns mit Ärgernissen
Schier vergiftet das Leben!
Kein Leben, nein! Kein Denken; nur eben
Ein Atmen noch!
Und immer doch
Beeilt, in der großen Welt zu erscheinen,
Wie im Theater! Ich sollte meinen:
Da müßt' Euch vor Euch selber grauen,
Euch selber ins Gesicht zu schauen!

Nein, willst du verkehren mit deinem Ich,
So birg in beschaulicher Stille dich.
Dort, Auge in Auge mit deiner Seele,
Erkennst du dich selber und all deine Fehle.
Seht, so macht ein Weiser Gebrauch von der Zeit:
Er lernt das eigene Selbst verstehn,
Lernt es, mit Härte und Peinlichkeit
Mit sich selbst ins Gericht zu gehn,
Und wird seiner Vorurteile Meister,
Die seine Augen mit Blindheit geschlagen:
Schonungslos jede Verhüllung reißt er
Herunter, die seine Schwäche getragen,
Masken, die er mit großer Gewandtheit
Seinen dummen Streichen einst vorgebunden
Und seiner Launen Überspanntheit.
Fluch ist der Eigenliebe Verranntheit:
Sie schmeichelt und streichelt, und schlägt dabei Wunden!

Ja aber! haltet Ihr mir entgegen:
Die Komödie! Ihr Wert und ihr Segen!
Die Narrheit weiß sie auszupfeifen,
<110>Bessernd ins Leben einzugreifen!
Sehr schön. Und doch, dies tändelnde Spiel
— Oft tut es in Hanswurstpossen zuviel —
Streift unsere Mängel nur obenhin,
Befehdet sie kaum in ernstem Sinn.
Was suchen wir dort?
Ein gelungenes Wort,
Satirisch geschliffen und zugespitzt:
Einer, der im Theater sitzt,
Wird aus 'ner Predigt sich wenig machen —
Er will lachen!

Zeigt mir einen einzigen Lasterhaften,
Den Eure Komödie zur Tugend belehrt!
Dies hehre Amt bleibt ihr verwehrt!
Und wer von trüben Leidenschaften
Im Ernste sich zu bessern begehrt,
Der fang's mit harter Arbeit an.
Nur wer im Innern kämpft und ringt,
Nur wer im Leben sich gewann
Gewissensfrieden,
Nur dem ist Glück und Lohn beschieden.
Mein Sweerts, nur dann
Will ich mich Eures holden Tands erfteuen,
Wenn's gilt, vom Ernst der Arbeit sich zerstreuen.

<111>

16. An Algarotti111-1
Über die Tadelsucht

Du liebenswerter Sproß aus fernem Süd,
In dem aufs neu der hohe Geist erblüht,
Gesittung und Geschmack, die einst beglückt
Das alte Rom und herrlich es geschmückt:
Sag an, was treibt uns, bissig einen jeden,
Selbst Freunde, zu bekritteln und zu kränken?
Begierig fahnden wir nach ihren Schäden
Und suchen selbst das Lob mit Gift zu tränken.
Ist's wohl der Eigenliebe wechselnd Wesen,
Das gern des Geistes Maske sich erlesen,
Das lüstern stets nach fremden Schwachen späht
Und selber sich vor ihnen eitel bläht?
Hat Gott, der doch als unser Schöpfer gilt,
In unser Herz geprägt ein heimlich Bild,
Das der Vollendung hehre Züge trägt
Und unsern Sinn stets zum Vergleich erregt?

Doch soll kein Lob dies Lasier mehr verklären,
Nur Eigenliebe konnte es gebären.
Der Höfling schmeichelt seines Feindes Schwächen
Und sucht galant ihm so den Hals zu brechen.
Gewissenhaft verschmäht er offnen Tadel
Und sticht den Gegner mit geheimer Nadel,
Ist auch noch stolz auf seinen scharfen Geist,
Drum fürcht' ich sein Gemüt und Wort zumeist.
Denn wär' er gütig, würden seine Reden
<112>Nicht jeden so mit Spott und Hohn befehden.
Er würde mild vor fremden Fehlern stehn
Und sie in Lieb' und Güte übersehn.
Doch alle Freundschaft muß auf Erden sterben,
Wenn jene Krittler scheltend sie verderben.
Vor ihrem hohen Richterstuhl erliegt
Der Freund, vom Wenn und Aber bald besiegt.
Sie hassen ja der Menschen arm Geschlecht
Fast aus Geschmack, aus Zartgefühl erst recht.
Wird doch in diesem eisernen Jahrhundert
Nicht Nisus und Achates112-1 mehr bewundert.
Ein gütiger Mensch heißt bald ein dummer Junge,
Und Freundschaft redet nur mit böser Zunge:
„Mich schläfert Lycidas, der Gute, ein,
„Doch Perseus' Spottsucht geht fürwahr zu weit.
„Chrysipp will immer zu erhaben sein,
„Der tolle Damon sucht mit jedem Streit.
„Zu peinlich hütet Lytas all sein Gut,
„Zu mild ist Menelas, Sulpiz zu herrisch,
„Und Heraklit hat gar zu schweres Blut,
„Narziß ist ob der eignen Schönheit närrisch.“
Solch ein Geschwätz, zur Bosheit stets bereit,
Zerstört den Geist wahrer Geselligkeit.
O, wenn die Narrn, die sich so weise beuchten,
Sich einmal wollten ehrlich selbst beleuchten!
Im eignen Innern fänden sie nicht selten
Die Schwächen, die sie stolz bei andern schelten.
Wenn sie sich selbst wie ihren Freund belauschen,
Sie könnten wechselnd Fehl um Fehler tauschen
Und würden strahlender die Tugend sehn,
Wenn sie die Schwächen milder übergehn.
Wer alles schlecht nennt, selbst in Bosheit sank,
Wer alles gelb sieht, ist an Gelbsucht krank.
Ein Vorurteil ist öfter, als man denkt,
Der wahre Grund, der unser Handeln lenkt.

Von jeher war es der Natur Bestreben
Ein andres Antlitz jedem Ding zu geben.
<113>Burrhus sieht es von vorn, von rückwärts sieht's Sejan,
Daher entsteht der tausendfache Wahn.
Ich fürchte, des Soldaten rauher Sinn
Neigt nicht zu Wissenschaft und Weisheit hin,
Und manch verbissener Pedant verzeiht
Dem Geldmann nicht die brave Tätigkeit.
Ein Rechtsgelehrter sagt wohl frank und frei,
Daß der Soldat ein Menschenfresser sei.
Ihr Jünger Don Quichottes, die ihr verblendet
Noch stolz auf eure schwachen Taten seid,
Ihr seht nicht, wie Natur doch allezeit
Zu vielen Zwecken jedes Ding verwendet.
Jedem ist sein Geschick und sein Talent bestellt,
Ihr Unterschied bedingt das Wohl der Welt.

Wenn jeder wollte Rechtsgelehrter werden,
Wer möchte dann nach unsern Feldern schaun,
Wer erntete mit Schweiß und mit Beschwerden
Das Korn und suchte Äcker zu bebaun!
Wähnt ihr, ein Advokat wird euch beschützen,
Sobald ein Fürst, den Augenblick zu nützen,
Mit Krieg und Not das ganze Land bedrängt
Und Heer um Heer auf eure Saaten lenkt?
Es braucht der Staat den Rechtsmann und den Krieger,
Und ohne sie verfällt er dem Besieger.
Er gliche sonst dem unbemannten Schiff,
Das steuerlos der Sturm zerschellt am Riff.
Man preise drum und tadle nicht zuviel
Die Vorsehung und ihrer Farben Spiel,
Und nur das krasse Lasier sei verdammt,
Dem der Gemeinschaft ärgster Feind entstammt.

Wo die Natur stiefmütterlich gewaltet,
Da mag man ein verbittert Herz verzeihn;
Thersites und Brunel,113-1 sie mögen schrein,
Well sie der Himmel grausam mißgestaltet.
Nur Torheit kann so falsch den Klugen lenken,
Genie und wirkliches Talent zu tränten,
<114>Ja, über Freunde gar den Stab zu brechen,
Für Tugend blind, helläugig nur für Schwächen.
Wer dann im Schmähn noch sein Vergnügen sucht,
Den hat mein Herz noch allezeit verflucht.

Mir fällt hier ein, wie ich ein Gleichnis hörte
In Jahren, als man mich noch Fabeln lehrte:
Einst war im Jugendalter der Natur
Voll Einsicht eine jede Kreatur.
Vernunft erleuchtete das Tiergeschlecht,
Zu reden war sogar der Pflanzen heilig Recht,
Vollkommen jedes Ding von Anbeginn,
Und Blatt und Blüte raunten tiefen Sinn.
In einem Garten einst in jener Zeit
— Sein Name sank wohl in Vergessenheit —
Sprach dünkelhaft verächtlich zu dem Wein
Die Rose: „O, wie mußt du elend sein!
„Beschnitte nicht der Mensch dein reich Geäst,
„Und hielten kletternd die gekappten Ranken
„Nicht zärtlich die barmherz'ge Ulme fest,
„Du müßtest kriechend auf dem Boden kranken.
„Dein unbegnadet Holz trägt keine Blüten,
„Dein Laub ist schattenlos, duftlos die Frucht,
„Doch wenn die Sonnenstrahlen mich beglühten,
„Mir selbst Aurora nicht zu gleichen sucht.
„Des Weihrauchs Schwall, des seltnen Balsams Düfte
„Beleben nicht so süß wie ich die Lüfte.
„Ich schmücke hell das Haar der schönen Frauen,
„Man ruft mich stets zu allen Festen hin,
„Und wunderherrlich kannst du mich beschauen
„Als aller Gärten stolze Königin.“

„Ich gelte mehr als du,“ so sprach der Wein.
„Wie oft in deiner Schönheit jungem Schein
„Zerreißt ein rauher Wind dein prächtig Kleid:
„Kaum blühst du auf, bist du dem Tod geweiht.
„Ich schätzte höher deine Himmelsgaben,
„Wäre dein Stiel nicht so an Dornen reich
„Und würde lieber uns mit Früchten laben,
„Dann wärest du mir erst an Nutzen gleich.
<115>„Sieh meine leckern Trauben blau und golden,
„Wer gäb' um deine Kelche meinen Saft?
„Er quillt gepreßt aus meinen vollen Dolden,
„Treibt Sorgen fort und bietet neue Kraft.
„Mein Laub umschmückt, wo Liebesfeste brannten,
„Den Thyrsus und die Stirnen der Bacchanten.
„Dein Blühn vergeht, ich daure allezeit.“

Ein grober Distelstrauch belauschte diesen Streit.
Er hatte breit das ganze Feld bedeckt
Und sprach, den wüsten Busch hoch aufgereckt:
„Nicht hab' ich euren Duft, der Früchte Schatz,
„Doch mein Gewächs gedeiht an jedem Platz,
„Und was ihr tragt an Frucht- und Blütengut,
„Nimmt sich der Mensch als schuldigen Tribut.
„Wir aber fühlen uns in Freiheit reich,
„Und so verachtet meine Distel euch.“

Ja wurzelten sie nicht im Erdenschoß,
Sie schlügen wütend aufeinander los.

Da schwebte leicht in hoher Luft vorbei
Der Aar des Zeus und hörte ihr Geschrei.
„Du wüste Distel,“ rief er, „schweige jetzt,
„Du Schandgewächs, das nur der Esel schätzt!
„Lerne von mir, dich weniger zu adeln,
„Nur der Vollkommne hat das Recht zu tadeln.“
Auch zu den andern fing er an zu reden:
„So hört doch auf mit euern bissigen Fehden!
„Statt so mit bittern Worten euch zu tränten
„Soll jeder an des andern Nutzen denken.
„Jeder füllt seinen Platz, die Rose und der Wein,
„Der Dinge Ordnung schließt sie alle ein.
„Drum laßt nicht überkühn die Wünsche sieigen.“

Ja, die Vollendung ist nur Göttern eigen.
Denn Gut und Böse werden Hand in Hand
Sich immer teilen in dies Erdenland.
Die schöne Welt hat Wüsten dürr und hart;
Der Sommer sengt, in Eis der Winter starrt.
<116>Und zeigt uns nicht der krause Erdenball
Meer, Berge, Wälder, Schluchten überall?
Wind, Feuer, Luft sind wildem Streit ergeben,
Denn Kampf ist erst der Elemente Leben.
Und wer den Tag nur licht und fröhlich sieht,
Verkennt Natur und träumt als Sybarit;
Doch täuscht sich auch, wer nur mit Schlechtem mißt.
Man nehme drum die Welt, so wie sie ist.

<117>

17. An Finck117-1
Tugend gilt mehr als Geist

Die heut'ge Zeit hat einen schlimmen Span,
Tollhäuslern gleich in ihrem Größenwahn:
Ein jeder, selbst der allerdümmste Tropf,
Will Schöngeist sein und ein gescheiter Kopf.
Der Wahnsinn wächst, und alles zahlt ihm Zoll;
Die Abderiten trieben's nicht so toll!

Die Welt liebt Witz und lacht die Torheit aus.
Geist! heißt es, Geist! Dann sind wir schön heraus!
Der größte Narr ist blind darauf erpicht
Und dumm wie Stroh, macht er ein schlau Gesicht.
Gleichwie das liebe Vieh auf dürrer Flur
Zu weiden scheint und kaut im Leeren nur,
Der plumpste Schulfuchs sich für geistreich hält,
Und mehr noch will man's scheinen vor der Welt:
Was tut der Mensch nicht diesem Ruf zuliebe!

Der eine splitterrichtet die Autoren.
Mit weniger Talent als sie geboren,
Tut er, als ob nur er was Gutes schriebe,
Und schmält der andren Werke schonungslos.
Er wähnt, wenn er wie Zoilus es triebe,
Hielt' ihn die leicht getauschte Welt für groß!

Ein andrer Wicht mit noch oerderbtrem Herzen
Hat seinen Spaß dran, Menschen anzuschwärzen,
<118>Spritzt Gift um sich, peitscht mit Satiren, hetzt;
Wie'n toller Hund, so beißt er und zerfetzt.
Der Dunst des Weihrauchs macht den Kopf ihm heiß;
Dem Ruhm zulieb gibt er die Ehre preis.

Und manche schweifen dünkelhaft im Blauen,
Verkünden leck, was sie da Wunders schauen;
Der blöden Menge bringen sie's als Lehre
Und hoffen so, zur Größe aufzusteigen;
Allein das Publikum dankt für die Ehre:
Es pfeift sie aus und deckt ihr Werk mit Schweigen.

Ich kenne selbst vollkommen Hirnverbrannte
Und in den falschen Schöngeist so Verrannte,
Die leugnen dreist, daß Gott im Himmel sei,
Wo doch Geschöpf und Schöpfung ihn verkünden!
Ob recht, ob falsch, gilt ihnen einerlei,
Wenn sie sich nur den eignen Ruf begründen
Als starke Geister und aus dem Gewimmel
Der Frommen ragen; drum so greifen die
Abstrakten Denker zur Paradorie!

Schirm' uns vor Geist um solchen Preis, o Himmel!
Sonst wird im unreinen Gefäße bald
Der Honigseim zu Galle sich zersetzen.
Er gleicht dem Herzen, leiht von ihm Gestalt:
Im sanften süß, muß er im harten ätzen.
Was wir auch tun, für alles will er haften,
Als Anwalt dient er schnöden Leidenschaften;
Arglistig klügelnd, löscht er zielbewußt
Der Weisheit Fackel aus in unsrer Brust.

Und doch: er bleibt ein himmlisches Geschenk
An uns, der Wohltat wenig eingedenk,
Ein reiner Strahl der Gottheit, der uns leitet
In Tun und Denken, drinnen Licht verbreitet,
Vergangnes schaut, vorweg die Zukunft nimmt,
Begreift und urteilt, folgert und bestimmt,
Der Schlüsse zieht aus dem, was sicher sieht,
Zur Einsicht führt und uns zur Vorsicht rät:
<119>An Finck. Tugend gilt mehr als Geist
So will's Natur, daß Geisteskraft im Leibe
Beseelend wohne und das Uhrwerk treibe.

Doch soll der Geist, das himmlische Vermächtnis,
Nicht falschen Vorzugs sich bei mir erfreuen
Vor lautren Herzen, ihrer Pflicht getreuen!
Habt Ihr das staunenswerteste Gedächtnis,
Erwarbt Ihr selbst ein allumfassend Wissen,
Seid Ihr voll Geist und Witz, tief und erhaben —
Das alles läßt sich, fehlt die Achtung, missen:
Mein Beifall hängt an Euren Herzensgaben!
Geist ohne Tugend ist nur Mißgestalt;
Nur sie ist unser Schmuck und fester Halt.
Ob Ihr den Papst, ob Ihr Calvin verehrt —
Seid gute Bürger und Ihr seid mir wert!
Entzückt Ihr mich durch Tugend statt Verstand,
So drück' ich freudig Euch die Freundeshand!

Der Geist verwandelt nicht des Wesens Kern:
La Orange,119-1 der den Franzosen Schande macht,
Der Pfeile schnellte wider ihren Herrn
Und holden Zauber sanfter Harmonie
Dem meuchlerischen falschen Leumund lieh,
Verband Talent mit schwarzer Niedertracht;
Man las ihn, doch im tiefsten aufgebracht!
Mit reichem Geist ward mancher ein Verräter,
Betrüger, Räuber, Mörder, Missetäter.

Cromwell, der England sich zu Willen zwang,
Ein Schurke, dem der höchste Wurf gelang,
Der seinen König auf dem Blutgerüste
Hinopferte dem eignen Herrschgelüste
Und über seinesgleichen stieg im Flug —
Auch Cromwell hat vom Helden manchen Zug!119-2

Ein böser Geist zeigt stets die Tigerkralle,
Bestrickt er auch, verführt er doch nicht immer;
Oft blendet er durch äußren Glanz und Schimmer,
<120>Doch kennt man sie, haßt man die Bösen alle.
Ihr Geist gleicht öden Steppen, wüst und kahl,
Die statt der Früchte spitze Dornen treiben.
Packt sie der Drang zur Fruchtbarkeit einmal,
Ist's schlimmer noch, als wenn sie fruchtlos bleiben.

Da diese Narrenwelt nur das bewundert,
Was sonderbar und schwer zu finden ist,
So will auf einen Ehrenmann ich hundert
Geistreiche finden in gegebner Frist;
Und Ehre mein' ich hier im strengsten Sinn,
Ein Ding, das nimmer glänzt in niedren Seelen.

Die Welt schätzt unsre Sitten obenhin,
Lobt und verurteilt, ohne lang zu wählen,
Sieht Güte, Weisheit, rechte Lebensart,
Wo sich nur Schein dem Weisen offenbart.
Der träge Simon gilt für tugendhaft;
Das macht: zum Bösen fehlt ihm Nero und Kraft.
Der Tropf Aftanius, der nichts Arges denkt,
Meint's redlich nicht: er ist nur zu beschränkt.
Der Schurke Damon fürchtet sich vor Schande,
Hüllt Lasier drum in ehrbare Gewande;
Prüfst Du sein Herz, ist alles Heuchelei!

Doch Wahrheitsliebe glüht in Varus' Brust;
Sein edler Geist entgeht dem Trug der Lust,
Bekämpft die Selbstsucht, macht von Gier sich frei,
Beugt seinen Stolz, bezwingt sein Ich und weiht
Sein Herz der Menschheit und dem Menschenleid.
Das ist die Tugend, die den Bürger ehrt!
So sei der Weise, jeglicher Gerechte!
Solch reines Wesen, solcher seltene Wert
Ist ein Juwel, das unserm Staubgeschlechte
Die geizige Natur nur selten leiht!
Du Hochgesinnter, Vorbild wahrer Güte,
Gerührt schaut Deine Weisheit mein Gemüte,
Das Deinethalb den Menschen viel verzeiht!
Aus soviel Sterblichen, die schwächlich wanken
Und wie ein Rohr im Hauch des Windes schwanken,
<121>Ragst Du, mein Held, als Eiche, wurzelstark,
Die Blitz und Wetter trotzt mit zähem Mark!
Kein Frevler schändet Dir das Heiligtum
Der Ehre; machtlos knirscht des Neides Wut.
Du gleichst dem Schiff, das siegreich trotzt der Flut;
Geist ist Dein Segel und Dein Kompaß Ruhm:
Sein Urteil ist Dein kundiger Pilot,
Zuchtlose Gier der Sturm, der Dich bedroht.
Dein Hoffen strebt nach einem holden Strand;
Sein stiller Hafen, wenigen bekannt,
Setzt Deiner Müh' ein Ziel: dort findest Du
Gewissensfrieden, tiefste Seelenruh!

Ihr wähnt vielleicht, der knausernden Natur
Gelänge oft solch hoher Wurf? Gemach!
Wir sehen sie auf einen Weisen nur
Die Mißgestalten bilden tausendfach!
Gleicht doch dies abgeklärte Sich-Vollenden
Der Venus aus des Phidias Meisterhänden!
Prüft Eure Schöngeister auf Herz und Nieren:
's ist wenig dran, das meiste dient zum Zieren;
Ein Wortgefunkel ist's voll Schelmerei,
Ein Ton der großen Welt, galant und frei —
Doch hütet Euch, ein Nichts tränkt sie aufs Blut,
Und wehe Euch, entfacht Ihr ihre Wut!
Mit ihnen ist kein fester Bund zu stechten;
Nichts Heil'ges kennen sie, nicht Scheu vor Rechten:
Wohltäter, Feinde gelten ihnen gleich.
Nichts bleibt dem Hirn, dem seichten, eingeprägt;
Sie opfern Euch dem ersten Narrenstreich.
Planlos und ziellos, wie ihr Spott sich regt,
Bauschen sie Eure kleinsten Fehler auf
Und lassen ihrer Bosheit freien Lauf;
Sie stürben, müßten sie ein Wort verschweigen!
Wohl nutzen sie Euch aus, doch geben sie
Euch nichts zurück: sowas erwartet nie!
Ihr Undank kann zum Treubruch sich versteigen —
Und Undank weiß für Wohltat Euch ein jeder!
Schlimm ist die Zunge, schlimmer ihre Feder.
<122>Ich seh' sie über dicken Büchern hocken,
Gleichwertig ihren Witzen, schal und trocken,
Ein Versschwall, den Verlegern aufgehängt;
Doch zum Gespräch des Tages wird der Klatsch!
All ihr Geschreibsel ist nur öder Tratsch,
Teils fades Zeug und teils mit Gift durchtränkt.
Bald streuen sie Verleumdung aus, bald schlagen
Sie sich mit denen 'rum, die sie verklagen,
Und der Parnaß, von ihrem Kot besteckt,
Führt eine Sprache, die nach Jahrmarkt schmeckt!

Seht einen Schöngeist nun in andrem Licht!
Gebt ihm ein Amt, Ansehen und Gewicht:
Bei Hof macht er sich rasch den Brauch zu eigen;
Er spinnt Kabalen, hinterm Rücken schmäht
Er einen Günstling, der im Weg ihm sieht.
Als Richter wird er nie Erbarmen zeigen.
Feil ist sein Urteil, und der Rechtsgang wird
Zum Labyrinth, in dem man sich verirrt.
Umsonst erhebt bedrängte Unschuld Klage;
Der Widersacher siegt mit seinem Geld,
Und das Gesetz verstummt. Doch welche Plage,
O Gott, trifft vollends diese arme Welt,
Vertraut der Fürst ihm blind des Staates Ruder!
Gleich zeigt er sich als Alberonis122-1 Bruder,
Steckt überall die Kriegesfackel an;
Ruhmlüstern strebt er nach Unsterblichkeit
— Der Art, wie Herostrat sie einst gewann.

So falschen Glanz verschmäht der Ehrenmann;
Doch zuverlässig, klug und hilfsbereit,
Stets gleichen Sinns, verschwiegen in Geschäften,
Als Hofmann schlicht, von Dünkel frei als Dichter,
Mild als Soldat und makellos als Richter,
Wird er der Ehre Regeln nie entkräften.

Sprecht frei heraus, wer Euch von beiden lieber,
Der stets Bescheidne, gut und ehrenfest,
<123>Oder der Strudelkopf, der wie im Fieber
Ein Feuerwerk von Geist aufsprühen läßt,
Der Rauch und Flamme eint und schamlos jeden
Verfolgt mit seinen spitzen Lästerreden,
Der wie'n Chamäleon die Farbe wechselt,
Euch morgens Freund ist und des Abends Feind,
Der klatscht und widerruft, bejaht, verneint
Und bald Euch schmält, bald Komplimente drechselt!
Fragt beim Verstand, dem unverfälschten, an;
Vergleicht die beiden, prüft und richtet dann!

<124>

18. An Feldmarschall Keith124-1
Über die leeren Schrecken des Todes und das Bangen vor einem Jenseits

So ging auch er von hinnen, der hohe Sachsenheld,124-2
Der Frankreichs Schwert gewesen, vor dem die Britenwelt
In ihrem Grunde wankte, ja der mit seinen Siegen
Die Adler der Cäsaren verstand zu überstiegen;
Der sich von Belgiens Sümpfen kein Halt gebieten ließ,
Frankreich zur alten Kühnheit sich neu ermannen hieß.

Nicht auf dem Feld des Sieges ereilte ihn der Tod,
Nicht war's der Gott des Krieges, der ihm sein Halt gebot:
Im Frieden mußt' er sterben auf weicher Ruhestatt,
Im Frieden, den er selber der Welt erstritten hat!
Beneidenswert, wer draußen im Braus des Kampfes fiel,
Wie jene edlen Helden, der Bayer124-3 und Bell-Isle.124-4
So ward der Lorbeerstolze auch der Vernichtung Raub,
Bis auf den hohen Namen ein armes Häuflein Staub!
Ach, und was ist ein Name? Ein Nacheinander bloß
Von Lauten, Sprachgebilden, von Silben seelenlos,
Das uns der Schall ans Ohr wirft, eh' es verweht im Leeren,
Indes im Grab den Großen die Würmer schon verzehren ...

Was lehrt uns Moritz' Scheiden? Furcht, Todesangst und Zagen?
Uns, die wir ihn verloren, uns dürfen wir beklagen;
Doch er, der unserm Auge für immer nun entschwand,
Er dünkt mich nur ein Schiffer, der seinen Hafen fand.
Geruhig soll der Weise dem Tod entgegenschaun,
Dem Helfer, dem Erlöser aus Erdennot und Graun;
<125>Mit unserm letzten Hauche hat alle Pein ein End,
Wie sollte vor dem Tode der bangen, der ihn kennt?
Glaubt mir, er ist mit Nichten des Malers Schreckgebild,
Der knochendürre Würger, der Schwelger, nie gestillt,
Der unermeßne Ernten in allen Welten rafft,
Und nur dem ew'gen Abgrund ewige Nahrung schafft.
Traumbilder sind die Schatten, die ohne Wiederkehr
Dem dunklen Reich verfallen, ein klagend Geisierheer;
Ein Traum der Ort der Schmerzen, wo, jeder Hoffnung bar,
Endlose Strafen abbüßt die bleiche Sünderschar.
Ägyptens Wundermären sind gleicher Art wie die,
So unsre Väter glaubten, ein Wert der Phantasie,
Ein sinnlos Durcheinander, gestalt- und farbenreich,
Von Todesangst geschaffen und Pfaffenlist zugleich.

Mein lieber Keith, so laß uns mit dem unwürd'gen Spuk
Einmal zu Ende kommen, der Wahrheit Stunde schlug;
Und sei mein Lied ihr Herold: Ihr sollt uns Rede stehn,
Ihr heil'gen Lügen alle, — die freilich, recht besehn,
Nichts weniger denn heilig — so tretet denn herfür,
Doch nur, damit wir einmal euch abtun nach Gebühr.
Fort mit dem Wusi von Grauen, dem, was die Grabesnacht
Geheimnisvoll umwittert, das Herz uns schauern macht!
Verfällt der Leib den Würmern, das macht uns wenig Kummer:
Wir denken uns das Totsein als einen tiefen Schlummer,
Traumlos und ohn' Erwachen, in Leidgeborgenheit;
Und sollt' ein glimmend Fünklein später, nach unsrer Zeit,
Ein Etwas — nennt's die Seele, unsterblich nennt's dazu —
Wirtlich noch einmal aufglühn aus kalter Schlackenruh,
Dem Weltgesetze trotzend, das die Vernichtung will —
Sei's drum, was mag's uns kümmern? Wir ruhen stumm und still,
Ein Häuflein kühler Asche, dem alles einerlei,
Bei dem's mit Furcht und Hoffen für immerdar vorbei.

Was hätt' ich zu befahren in jener Welt, sag' an?
Ist Gott, den ich verehre, ein Wütrich, ein Tyrann?
Sollt' ich nach meinem Tode ein schuldlos Opfer sein
Des, der den Lebensodem uns gab und obendrein
All jene süßen Triebe, der Sinne Lustverlangen?
Ist einst aus Götterhänden der Mensch hervorgegangen
<126>Mit seinem Geist und Wesen, wie sollten Götter dann
Ihr Werk drum strafen wollen, weil noch gar viel daran
Des Unvollkommnen bliebe? Dergleichen anzunehmen,
Kann mein vernünftig Denken sich nimmermehr bequemen.

Wär' wohl ein Vater denkbar von väterlicher Art,
Dabei so ganz verschroben, so seelenroh und hart,
Daß grausam er bestrafte der eigenen Lenden Sproß,
Weil seines Neugebornen Mißbildung ihn verdroß?
Es reizt wohl ein Mißratner des eignen Vaters Grimm
Und macht dem Alten Kummer, da trifft sein Zorn ihn schlimm;
Allein was tut den Göttern all unser Aufbegehren?
Was könnte je der Sel'gen ewig Behagen stören?

Vermeßne Menschenhoffart, die alle Schranken bricht —
Bis an die Thronesstufen der Allmacht reicht sie nicht!
Ihr trutzigen Giganten, ei stürmt nur dreist zuhauf,
Packt auf den Ossagipfel den hohen Pelion drauf,
Kommt an in Wehr und Waffen! Was gilt's? Den ihr berennt,
Der Thron des Weltgebieters kein leises Wanken kennt.
Und er, an dessen Größe kein Hauch der Kränkung reicht,
Er sollt' auf Strafe sinnen? Wie sollt' ein Gott so leicht,
Der ohne Leidenschaften, in Zorn und Grimm geraten?
Ich kenn' nur seine Güte, nur seine Segenstaten.
Nein, einer nur beleidigt die Hoheit des Allmächt'gen:
Wer ihn als zornesmütig der Menschheit will verdächt'gen.

Nein, lieber Keith, dies Wesen, das keiner deuten kann,
Genannt die Menschenseele, das dann ein Welttyrann
Nach dieses Leibes Tode noch züchtigt, dieses Ich,
Das gar keins ist, dies Etwas, höchst abenteuerlich —
Vor der Naturerkenntnis schwindet's in Nichts dahin;
Mag all die Ammenmärchen des Volkes stumpfer Sinn
Noch treu in Ehren halten, laß uns auf ja und nein
Das Wunderding betrachten, wieviel daran mag sein.

Hochheilige, dich ruf' ich, Herrin Urania,
Deute des Werdens Wunder, sei meinem Geiste nah:
O wär' er doch begnadet, auf kühnen Feuerschwingen
In deine reinste Helle zum Wahrheitschaun zu dringen!
<127>Schon schlug so manche Bresche in der Erkenntnis Schranken
Uns der Versuch des Forschers; die Bahn zu den Gedanken
Eines Lukrez und Locke gelang es freizulegen;
Kommt, ihnen laßt uns nachgehn, auf den gebahnten Wegen
Den Menschen aufzuzeigen des eignen Wesens Art
Und endliche Bestimmung: Laßt sehen, wie er ward
Und in uns wuchs und reifte, der Geist, wo sein Verbleib,
Wenn einst in Staub zerfallen ist dieser Erdenleib.
Mit uns wird er geboren, erstarkt, entfaltet sich
Mit unserm Sinnenleben und umgestaltet sich,
So wie sich jenes wandelt: Im Kindheitalter zart,
Genau wie unser Körper, bald feurig, kecker Art,
Draufgängerisch, solange der Jünglingsmut uns hebt;
Zag, flügellahm im Leiden, und wieder stark belebt,
Sobald 's dem Leibe wohlgeht; plagt ihn Gebrechlichkeit,
Wird er herabgemindert, verfällt in Schwächlichkeit,
Und so mit uns vergeht er. So bleibt denn allezeit
Sein Schicksal unzertrennlich von unsrer Leiblichteit.

Doch sagt mir: Dieses Wesen von höherer Natur,
Unsterblich, schier gottähnlich — wie mag die Seele nur
Dem Himmel, uns zuliebe, und seinem Glück entsagen,
Mit dem kurzleb'gen Leibe den üblen Bund zu wagen,
Dem Erdstoff, dem verworfnen, vergänglich, undankbar?
Wie mag sie sich nur spitzen auf ein verliebtes Paar
Und seine Schäferstunde? Dann auf der Lauer liegen,
Den Fötus zu beleben, neun Monde sich zu schmiegen
In selbstgewähltem Kerker, im dunklen Mutterschoß,
Um dann, nach allem diesem, jedwedem groben Stoß
Des armen Menschendaseins ganz bloßgestellt zu sein,
Hitze und Frost zu dulden und Schmerz und Sterbenspein?

Ach ja, das sind so Träume der lieben Eitelkeit!
Doch holt euch bei den Jüngern des Hippokrat Bescheid:
Laßt euch das Uhrwerk weisen, das Leib und Leben heißt,
Trennt bei dem Ineinander den Körper und den Geist!
Schließt dir bei Tagesscheiden der Schlaf die Wimpern zu,
Was tut dann deine Seele? Auch sie versinkt in Ruh.
Und fliegen dir die Pulse und tobt erhitzt das Blut,
Als wollte dich verzehren die schlimme Fieberglut,
<128>Dann taumelt auch der Geist dir und kennt sich selber nicht.
Wenn aus geschlagner Vene Hochauf der Blutquell bricht,
Ist alles überwunden, aufatmen deine Lungen,
Dann lehrt dein Geist auch heimwärts von seinen Wanderungen.
Sieh hier den Bachusjünger, welch blödes Zeug er lallt;
So leidet von dem Weine der Menschengeist Gewalt!

Ein Ohnmachtanfall löst nicht die Spannkraft nur der Glieder:
Das Denken stockt, die Seele, sie liegt wie tot danieder,
Bis daß die Lähmung schwindet; da öffnet sich der Blick,
Nach kurzem Tode kehrt auch die Seele neu zurück.
Vernunft, armselig Flämmchen! Ein Nichts sie löschen kann:
Im Hirn ein Blutgerinnsel, so ist's um sie getan.
Der Geist, sich zu betät'gen, braucht die Organe all
Des Erdenleibs; was wär' ihm Gefühl, Erscheinung, Schall,
Wär' er des seinen Werkzeugs der Leibessinne bar?
Kein Denken, Furcht und Freude, nähm' er die Welt nicht wahr!
Löst dies Atom, unsterblich, die stofflose Substanz,
Einmal von seinem Körper und seinen Sinnen ganz
Was bleibt dann noch? Ein Wortklang, ein Name, anspruchsvoll,
Ein Wahngebild, ein Wesen, sinnlos und hohl und toll.
Was weiß sie denn vom Tage, der uns gebar zur Welt?
Wie war's, da sie der Himmel dem Erdenstoff vermählt?
Wie kommt's, daß kein Erinnern die Seele sich gewahrt
Des, was sie einst gewesen, der eignen Ursprungsart?

Ach nein, es gab die Seele, die ich empfangen Hab',
Von ihrem Schaun und Wissen mir herzlich wenig ab
Beim Eintritt in das Leben; nicht die geringste Spur
Von allem, was vordem sie in dieser Welt erfuhr,
Hat sie mir überliefert als alter Zeit Vermächtnis,
Sonst trüg' ich's im Bewußtsein, besäß' es im Gedächtnis.
Nie hat mein Herz geblutet in jenen Jammertagen,128-1
Als die Germanengeißel der Väter Land geschlagen,
Als fremde Fäuste rafften der deutschen Fluren Segen,
Die Arbeit deutscher Hände, als Feinde allerwegen,
Im Osten und im Westen, im Süden wie im Norden
Das Vaterland verheerten mit Rauben und mit Morden;
Und als der Zorn des Himmels, der über uns entbrannte,
<129>Den Jammer zu vollenden, noch Pest und Seuche sandte,
Daß ausgerottet werde, was noch dem Schwert entging,
Als Dunst von Gift und Sterben ob allem Lande hing
Und unsre Staaten wurden gewalt'ge Wüstenein.
Dies alles sieht lebendig vor meinem Geist — allein
Ihn lehrt' es die Geschichte! Müßt' er's von damals her
Und nur von sich aus wissen, er wär' erinnerungsleer.

Nun, was vom Einst gilt, gilt auch genau so, lieber Keith,
Von dem, was nach uns sein wird: so wie's vor unsrer Zeit
Kein Denken gab, so wird wohl, wenn erst dies Ich zerfiel,
Auch nichts mehr weiterdenken; ein Anfang und ein Ziel.
Mit unserm Leibessierben — nichts ist mir so gewiß —
Erlischt auch unsre Seele in tiefster Finsternis.
So züngelt um ein Holzscheit die lichte Flamme her,
Doch ist's verzehrt zu Asche, sinkt sie und ist nicht mehr.

Ja, so ist's uns beschieden. Ich warte unentwegt,
Wie mich die flücht'ge Stunde dem Ziele näherträgt.
Was soll mir auch geschehen, wovor ich müßte bangen?
Ich werde dort, woraus ich dereinst hervorgegangen,
Aufs neue untertauchen, allwo ich ewiglang
Mich schon einmal befunden, eh' ich ins Dasein sprang.
Sag' an, eh' ich geboren, was litt ich da für Leid?
Gern beug' ich den Gesetzen mich der Notwendigkeit;
Zu Gast bin ich im Leben, gezählt sind meine Tage,
In Sicht die letzte Stunde — ziemt's, daß ich darum klage?

Hör', Sterblicher, du Stolzer, was die Natur dich lehrt!
Genug nicht all des Segens, den sie dir reich beschert,
Von allem Irrwahn will sie, von allen Vorurteilen,
Von allen Hirngespinsten erlösen dich und heilen,
Zum Wissenden, Geweihten dich endlich zu erheben:
„Ich war es,“ also spricht sie, „die dir geschenkt das Leben;
„Ich war's, die deines Daseins und Werdens treu gewaltet,
„Daß Tag an Tag sich gliedert, dein Leib sich ausgestaltet.
„Aus deines Adernetzes Gestechte war zu lesen,
„Wie du so gar empfindlich, gebrechlich all dein Wesen;
„Du lebst auf Augenblicke, lebst auf Bedingnis bloß!
„Als ich der Stoffe Vielheit zu deiner Einheit goß,
„Geschah's mit der Bedingung, daß einst der allgerechte
<130>„Quittmacher Tod dies Darlehn der Huld begleichen möchte.
„Freu' dich nun meiner Gnaden, doch acht' auf mein Gebot:
„Ich gab dir einst dein Leben, du schuldest mir den Tod!
„Zu deinen Jahren soll ich noch weitere dir schenken?
„Unsel'ger, wenn du wüßtest! Du würdest dich bedenken!
„Ein Mehr an Weh erstehst du, das über dich hereinbricht,
„An Herzeleid, an Kummer, der dich zernagt, zerpeinigt!
„Du sehnst dich selbst noch einmal nach deiner letzten Ruh':
„Drück du nur erst die Augen den Eltern beiden zu!
„Schließ sie den liebsten Freunden, schließ sie den Kindern dein,
„Und sieh du dann hinfällig in dieser Welt allein,
„Indes dir Kopf und Sinne tagtäglich mehr versagen
„Und du zum Spott der Jungen wirst in den alten Tagen!
„Ein harter Spruch, den jeder an sich erfahren muß!
„So mußte selbst ein Marlb'rough, ein Prinz Eugenius
„Und auch Conde, der große, sich selber überleben;
„So mußte alle Kinder dem Grabe übergeben
„Er, der Augustus Frankreichs;130-1 dem Hochbetagten ward —
„Da half kein Glanz der Krone — der Jammer nicht erspart!“

Das könnte unser aller Urmutter zu dir sagen.
Gelt, eitler Sohn des Standes, das will dir nicht behagen?
Zu lieb ist dir die Erde! Ach ja, sie gleißt und blendet;
Doch ach, ihr Antlitz wechselt, alles vergeht und endet.
Trotz Unheil und Gefahren hält dich das liebe Leben.
Du bist das Glück der Eltern, und dich dahinzugehen,
Es machte sie untröstlich! Und dann — was gibt es doch
Zu schaffen und zu richten, wozu du nötig noch!
Durch wieviel große Pläne macht dir der Tod 'nen Strich,
Wieviel bleibt unvollendet, wie überrascht er dich!
Ja, warum, Unglücksel'ger, läßt man sich so viel Zeit?
Hast du dich eingerichtet auf die Unsterblichkeit?
O wisse, unsre Wünsche, sie welken nicht so bald;
Wenn wir auch selber altern, das Streben wird nicht alt!
Wer hat sein Werk vollendet, eh Schicksal ihm und Tod
Die Arbeitsstunden endet' und Feierabend bot?
Ob früher oder später — ein Totsein gibt es nur!
Äonen, die verflossen, sind bis zur letzten Spur
Vor unserm Sein verloschen, und dieser Augenblick
<131>Ist mehr wert denn sie alle. So ist das Weltgeschick
Ein ewig Fließen, Wechseln; der stolzen Ströme Los
Ist, ständig zu erneuen des reichen Meeres Schoß...
Haushälterisch verwaltet Natur den großen Schatz;
Hier Ausfall und Verlieren, dort Ausgleich und Ersatz.
Der Stoff nur ist von Dauer und wechselt immerdar
Form und Gestalt, und was nun in eins gebunden war,
Das löst, rastlos geschäftig, die Zeit nach kurzer Weile,
Zerlegt die Lebenseinheit in unlebendige Teile...

Wohlan, ich hab' dem Schauspiel der Welt, dem wunderbaren,
Ein Weilchen zugesehen, ich durfte tief erfahren,
Was Leben heißt, und weiß auch von Lebens Lust und Glück;
Gern geb' den Elementen ich diesen Leib zurück.131-1

Der Welterobrer Cäsar, der Sängerfürst Birgit,
Newton, vor dessen Blicken so mancher Schleier fiel,
Ja, Mark Aurel, an Tugend mein Vorbild und mein Gott,
Die Hohen all erlagen dem großen Weltgebot;
Wie sollte ich da murren, wenn mit verdroßner Hand
Die Parze, die an jenen nichts zu verschonen fand,
Endlich auch meines Daseins, das ihr schon lang verleidet,
Längst abgegriffnen Faden erbarmungslos durchschneidet!

Was ist an diesem Leben zuletzt denn auch verloren?
Was ist des Menschen Dasein? Zum Leid sind wir geboren.
Wir bauen und zerstören, wir lieben und wir sehen
Hinsterben, was wir lieben, möchten vor Schmerz vergehen,
Trösten uns neu und fahren zum Schlusse selbst dahin —
Und dies, ihr Ärmsten, ist noch der lohnendste Gewinn!
Die Welt, die wir verlassen, war nur ein Unterstand,
Ein Zwischenort; wir leben wie fremd in fremdem Land,
Wie'n Wandersmann, der gern wohl sein Aug' an Feld und Wald
Erlabt im Weiterziehen, doch ohne Aufenthalt.

So wolln wir, Keith, im Kommen und Gehen dieser Welt
Mittraben unsre Strecke, solang es Gott gefällt...
Doch nichts soll uns gemein sein mit jener Gläubigkeit,
Der feigen, die vor Sünde die Höllenangst nur feit,
<132>Die gern die Schranken bräche verderblichster Gelüste,
Wenn sie in ihrem Jenseits die ew'ge Glut nicht wüßte.
All ihre Tugendsirenge ist ja nur Schein und Hohn!
Wir, ohne Furcht und Hoffen, erwarten keinen Lohn;
Wir wissen nichts von Strafen der ew'gen Höllenpein,
Vom niedren Eigennutze blieb unser Denken rein.
Der Menschheit Wohl, die Tugend ist unsrer Tage Licht,
Was von der Schuld uns fernhält, die Liebe ist's zur Pflicht.
Wir wollen ohne Reue ruhvoll von hinnen fahren,
Gewiß, daß unsre Taten der Welt ein Segen waren.

So flammt der Stern des Tages, eh' er hinabsinkt ganz,
Am Horizont noch einmal in heitrem Feierglanz;
Und seiner Strahlen letzte, sie sind sein Abschiedsgruß,
Ein Seufzer an die Erde, die er nun lassen muß.

<133>

19. An Darget133-1
Apologie der Könige

Der Du mir, was ich schaffe, unverdrossen
Ins Reine schreibst,
Mir alles wohlverwahrt hältst und verschlossen
Und jede Schrift der Sammlung einverleibst —
Nun beichte mir einmal, mein Freund Darget,
Was Du so heimlich bei Dir denkst. Gesteh,
Was dünket Dich um einen Herrn wie mich:
In Traum verloren, launisch, wunderlich,
Dann wieder höchst lebendig, dann versonnen,
Dann ganz zerstreut, in Trübsal eingesponnen,
So etwa wie ein Algebraikus,
Der sich an einer Lösung quälen muß?
Da gibt's kein Vergnügen, dem es gelänge,
Die Stirn ihm zu glätten, die düstere, strenge;
Ist er versunken, ist er verloren
An eine Arbeit? Sprichst Du ihn an,
Ist es, als sprächst Du zu tauben Ohren;
Kaum, daß ihn Cicero wecken kann,
Wenn Du aus seinen Schriften ihm liest.
Dann schüttelst Du wohl den Kopf, wenn Du
Solch einen verträumten König siehst —
In so neidenswerter Stellung dazu!
Nicht wahr? Und denkst so in Deinem Sinn:
„Ja ja, Astolfo, der Paladin
„Ist mit Nichten der einzige, dem sein Verstand
<134>„Hinauf zum Monde entschwand.134-1
„Wie gut es doch so einem Könige geht:
„Er kann, was er will — wenn er's nur versteht
„Sich dranzuhalten! Sie haben's zu leicht,
„Die Herren da oben! Gebietend reicht
„Ihr Wille über Provinzen weit;
„Ianus schließt oder öffnet die beiden
„Torflügel ganz so, wie sie entscheiden;
„Es scheint die Bestimmung der Sterblichkeit,
„Einzig zu leben nach ihrem Gesetze.
„Der Menschheit Andachtbild und ihr Götze,
„Der Halbgott dieser Erdenwelt,
„War der Fürst das Schoßkind des Himmels von je,
„Der treulich ihm dient, ihn liebend erhält.
„Ha, krönte nur einmal das Glück den Darget!
„Der wollte sich hüten,
„Über verzwickten Problemen zu brüten!
„Holdselig sollten die Tage ihm gleiten
„Zwischen Kurzweil und Seligkeiten!
„Nie dürften die Wonnen der Liebe lange
„Sich bitten lassen! Beim Becherklange,
„Bei Spaß und Lachen und Iubelgesange
„Bis in den grauenden Tag hinein,
„Heißa, das müßte ein Leben sein,
„Um das ihn die Götter selber beneiden!
„Wer mit einem Diadem beglückt,
„Und doch nicht verlernt hat, Gesichter zu schneiden,
„Der muß an unheilbarer Milzsucht leiden,
„Den narrt ein Traum, der ist verrückt.“

Nur sachte, Darget, nicht so zornentbrannt,
Nicht mit dem Urteil so rasch bei der Hand!
Dich blendet ein Wahn nur, Dich gängeln am Seile
Des Pöbels kindische Vorurteile.
Sehn wir mal ab von all dem Glanz,
Dem großen Aufputz, dem gleißenden Schein,
Prüfen wir Grund und Wesen allein
Unseres beiderseitigen Stands.
<135>Was Deinem Leben Gestalt gibt, das
Ist ein gedeihlich Mittelmaß:
Deine Tage sehn einer dem andern gleich,
Dein Schicksal, an Wechselfällen nicht reich,
Gab Dir den angenehmsten der Plätze:
Inmitten der beiden Gegensätze
Bedürftigkeit und Überfluß,
Zwo Klippen beide,
Daran mit Leide
So manches Dasein scheitern muß,
Dir wog es bescheidenen Segen zu,
Bist kein Zwerg und kein Riese — lieb Herz, gib Ruh!
's ist just das Rechte, so bleibst Du frei
Von all den Nöten, der Plackerei,
Darfst fein geruhige Tage leben,
Froh jeder Gegenwart hingegeben,
Ohne Dich ernstlich zu grämen ums Morgen,
Nur Dir selber gehört all Dein Sorgen.
Du weißt nicht, wie gut Du's hast, Darget,
In Deiner Dunkelheit, wohlgeborgen
Vor Ehrenkränkung, Schimpf und Weh,
Wie knirschender Neid dergleichen von je
Über wohlbekannte Namen ergossen,
Namen der Helden, Namen der Großen.
Möchte wissen, was Dir zu wünschen bliebe —
Wenn Dir nicht grade daheim Deine liebe,
Ehrsame Hausfrau mit großem Hallo
Den Kopf zurechtsetzt; wie bist Du schon froh,
Wenn sie am Abend Dich herzlich begrüßt
Bei Deiner Heimkehr und zärtlich Dich küßt,
Und Deine Liebe in ihren Armen
Neu darf erwarmen.
Und versichert dann Dallichamp135-1 noch dabei,
Daß alles in schönster Ordnung sei,
Von oben bis unten dem Herrn nichts fehle,
Sag/, was verlangt dann noch Deine Seele?

Du brummst so frostig, ablehnend und steif?
Aha, Du traust mir nicht recht! Ich begreif':
<136>Du denkst, es mache mir bloß Vergnügen,
Um in rosigen Farben und launigen Zügen
Einmal meinen Stift sich ergehn zu lassen,
Dies Bild Deines Glückes erstehn zu lassen.
Nun gut, ich geb's zu — ich verschweige nichts mehr:

Nein nein, Du hast's schwer!
Ein ärgerlich Amt ist's, der Sekretär
Eines Herrn zu sein, der ein Dichter gern wär',
Der als Schöngeist sich fühlt, der bis in die Nacht
Liest und schreibt und Gedichte macht
Und wähnt, daß der Fama hundert Trompeten
Nichts Wichtigeres zu verkünden hätten.
Als die Mär von dem Quark, den er rastlos verfaßt!
Tagtäglich schreibst Du das Zeug dann ins Reine,
Gleich heftweis, und wehe, wenn ihm was nicht paßt:
Was schlägt er da Lärm, was macht er Dir Beine!
Verdammte Kleinigkeitskrämerei,
Als ob wer weiß, was gelegen sei
An jedem Punkt oder Komma! — „Wie dumm:
„Die E's müssen offen sein und sind stumm!136-1
„Da — ein Wort zu wenig! Er hinkt ja, der Vers!“
Nun kopierst Du mit Ingrimm und Seelenqual
Das unsterbliche Werk zum zweitenmal
Und verfluchst wohl den Dichter — begreiflich wär's.
So etwa stellt sich in Kürze, nicht wahr?
Ein Abriß Deines Lebens dar.

Doch laß Dir sagen, ich glaube, Du lernst
Bei mir am besten, was man im Ernst
Sorgen und Kümmernis heißen kann;
Und vielleicht bekennst Du mir dann,
Wer wohl die schwersten Ketten muß tragen,
Du oder ich,
Ob die Dargets, ob die Könige sich
In härterer Knechtschaft plagen.
Du schüttelst den Kopf und glaubst am Ende,
Diese kühne Behauptung stände
<137>Nur eben zum Aufputz des Vortrags da —
Schmachvollerweise liebt man ja
In unseren Tagen das Gewagte,
Den Widersinn, das verblüffend Gesagte,
Womit dem gesunden Menschenverstand
Mutwillig wird vor den Kopf gerannt,
Der Wahrheit ins Gesicht geschlagen,
Um in allerneustem Schnitt und Gewand
Eine Verkehrtheit zu Markte zu tragen.
Nenn's wie Du willst: 's ist die Wahrheit, Darget,
Die am eigenen Leibe mit Ach und Weh
Man erfahren muß, ob man will oder nicht —
Von der man freilich nicht gerne spricht.

Das Herrscheramt, mein Freund, ist nicht leicht,
Schwer ist da die Meisterschaft erreicht.
Ein rechter König kennt keine Müh,
Hat überall selber, spät und früh,
Die Augen, um seinen Staat zu leiten,
Nimmt sich auch winziger Einzelheiten
Gewissenhaft an. Frau Themis heißt er,
Die da bemüht ist, in ihren Dingen
Alles wieder ins Lot zu bringen
Und des Unrechts, der Zwietracht Geister,
Die höllenentstammten, niederzuringen,
Indem sie keinen Wahrspruch fällt,
Der sich nicht streng an die Billigkeit hält —
Sie heißt er mit allen laufenden Sachen
Bis dann und dann mal ein Ende machen.
Eine Hydra, der ständig gar wunderschnell
Die Köpfe nachwachsen — Schikane heißt sie —
Hebt wider die Göttin ihr freches Gebell;
Schon meinst Du, Du hast sie, doch auf der Stell'
Den Fesseln entwischt sie, schon dräut sie und beißt sie
Das reine Mühn der Penelope!
Und doch, ich gesteh',
Man könnte wirklich noch zuletzt
Mit Recht ein Menschenhasser werden,
Hört man, nachdem man den Beschwerden
Von hundert Prozessen ein Ziel gesetzt,
<138>All jene streitenden Parteien
Doch wieder über Unrecht schreien,
Indem sie nach ihren Launen bemessen
Ihr „gutes Recht“ und infolgedessen
Die Rechtspflege schmählich vermaledeien!

Nun soll das Volk besteuert sein;
Hilft es doch all jene Ämter erhalten,
Die das Leben des Hofes gestalten,
Der Finanzen, des Rechtes walten.
Was da von Spindel und Pflug geht ein,
Das kommt jenen wehrhaften Helden zugut,
Die dem Nährsiand bestellt sind zur Rache, zur Hut.
Da ist's eine Frage der Billigkeit:
Wie bemißt man all diese Abgaben
Von dem, was die Untertanen haben,
Bei aller Standesverschiedenheit?
Während draußen das Volk sich beschwert,
Die Belastung des Dorfes gehe zu weit,
Murrt der Junker bei Hof und begehrt,
Daß sein Gehalt ihm werde vermehrt.
Ach, Vorschläge gibt es da tausenderlei,
Wie's wohl am besten zu machen sei,
Doch jeder denkt heimlich nur an sich:
Wie drück' ich wohl am besten mich?
Denn haben will jeder, was geben keiner.
Ein Hexenmeister, und zwar kein kleiner,
Ja, glückselig wäre der König zu preisen,
Der eines Tages den Stein der Weisen,
Das große Steuerrezept entdeckte.
Glückseliger freilich, wär's ihm gegeben,
Die Vernunft seiner Bürger so zu heben,
Daß er Platos Staat zum Leben erweckte.

Doch nicht genug damit. Es bedarf
Eines starken Arms, einer Zucht gar scharf,
Das wilde Kriegsvolk im Zaum zu halten.
Darf zuchtlos die Soldateska walten,
Bald bindet lein Fahneneid mehr, und bald
Wankt der Staat vor der Waffengewalt.
<139>Was war jene Prätorianerbande?
Verräter an Rom, am Vaterlande;
Mit der Reichsgewalt trieben sie Schacher,
Sie, die selbstherrlichen Kaisermacher.
Nein, diese Leuen, gehalten zum Kämpfen,
Verwöhnt von Bellonen —
Themis muß ihre Üppigkeit dämpfen,
Muß sie bändigen ohne Schonen.
Zwar, ihre stolze Selbständigkeit,
Ihre dumme Unbändigkeit
Festzuhalten an Halfter und Band,
Dazu gehört die geschickte Hand,
Die je nach Bedarf sie weiß anzufassen,
Bald mit Strenge und Drohn,
Bald mit Hoffnung auf Lohn,
Auch wohl mit mildem Gewährenlassen.
Ein Staat, der auf seine Ehre hält,
Auf seine Geltung in der Welt,
Soll inmitten der schönsten Friedenszeiten
Seine Wehrkraft zum Siege vorbereiten,
Auf daß diese tausend von Willen und Geistern,
Die, von einer Pflicht zusammengehalten,
Zu einem lebendigen Leibe sich ballten,
Von einer Führerhand seien zu meistern.
Des Einen überlegner Verstand,
Er ist's, der zum Hell für das Vaterland
Die kriegrische Wildheit entbinde und lenke
Und wieder hemme, dämpfe, beschränke.

„Ah!“ denkst Du und atmest erleichtert auf,
„Dem Himmel sei Dank! Seiner Rede Lauf,
„Hier ist er zu Ende.“ — Zu Ende! Ich? —
„Nun, was noch?“ — Mein Bester, ich bitte Dich,
Dieser Gegenstand ist ja ein Feld — ein Feld —
Und gar für 'nen Staatsmann so weit wie die Welt!
Was denkst Du! Das sind erst der Punkte drei.
Nun aber gibt's ihrer tausenderlei,
Und gleichermaßen wichtig dabei.

Nur eine Herrschaft, die da mit Geschick
Handhabt die Kunst der hohen Politik,
<140>Verbürgt dem Staate seine Sicherheit;
Die Kunst ist's, die's versteht, von nah und fern
Zum Bund zu einigen die Landesherrn,
Und so der Freunde Macht zur rechten Zeit,
Geschlossen und zu Schutz und Trutz bereit,
Der Macht der Feinde entgegenstellt
Und damit durch kluge Wahrung des rechten
Gleichgewichtes unter den Mächten
Europa unabhängig erhält.
Solang nun Treu und Glauben allerwegen
Das Wort noch hatten in den Staatsverträgen,
War solcher Bande unbestrittner Wert
In Geltung überall und hochgeehrt.
Doch Gradheit, Redlichkeit kam bald abhanden
Und ward vor schnödem Eigennutz zuschanden;
Da gab's bald der Hintertüren genug,
Gab's Kniffe und Listen, ja nackten Betrug,
Sodaß sich ins Leben der Staaten sacht
Das Mißtrauen einschlich und der Verdacht.
Neid und Verrat, sie lernten's, beizeiten
Den Tag ihrer Abrechnung vorzubereiten;
Zu einer Wissenschaft hat man's gebracht,
Einer hohen Schule der Schlechtigkeiten.
Erlauchte Verbrecher ohne Zahl
Erfüllten die Welt mit einemmal
Zum Fluch der Menschheit, zur Geißel der Staaten.
Schon ließ sich die Weisheit selber beraten
Von den Afterlehren
Und ward, des Verbrechens sich zu erwehren,
Selber verbrecherisch:
Im hohen Staatsrat, am Sitzungstisch,
Vor den Ohren des Königs gar,
Berief man sich drauf — und fortan war
Ein Pakt ein schielendes Ding nur, das man
So oder so auslegen kann,
War jeder Vertrag verdächtig, verschlagen;
Voller Verstecktheiten, Zweifel und Fragen;
Kurz, der Betrug war geadelt, gekrönt,
Und was bei dem Volke dort unten verpönt,
Schandtaten, die vom Gesetzbuch bedroht sind,
<141>Die wurden da oben
Zur Tugend erhoben,
Zu Tugenden, wie sie 'nem Könige not sind!
Seit so das Schändlichste scheint erlaubt,
Kann sich in jedem Augenblicke
Ein Abgrund auftun, eh' man's glaubt,
Umdrohen uns Fallen, Schlingen und Stricke;
Ängstlich bei jedem Schritte nimmt
Man sich in acht, wie der Krieger, der
Die Minen zerstörend, Schanze und Wehr
Einer wohlverteidigten Festung erklimmt.
Doch — Freundschaft unter Fürsten, ach,
Der fragst Du wohl meist vergebens nach!
Je näher benachbart, je ärger ergrimmt,
Sinnt jeder, den andern zu vernichten:
Da heißt's auf der Hut sein, lauern und passen
Auf des Nachbarn Pläne, sein Tun und Lassen,
Was da werden will, scharf ins Auge zu fassen,
Um auf drohendes Unheil sich einzurichten.

Das, Freund Darget, sind die Sorgen, die bangen,
Die an der Krone untrennbar hangen.
Und dennoch — ob ein Fürst auch immer
Für Staat und Reich sein Letztes tu',
Auf Dank beim Volke zähl' er nimmer,
Geht es nicht grab mit 'nem Wunder zu!
Wem kann's wohl ein König zu Danke machen?
Er soll sich auf alles zugleich verstehn,
Auf den Krieg, die Finanzen und dabei
Auf Diplomatie und Juristerei;
Auf seinem Feld, das nicht abzusehn,
Soll er ein Allerweltskerl sein —
Und heischt doch für sich jedes Ding allein
Einen ganzen Mann, eine ganze Kraft!
Dem, der zur Strafe gezogen ward,
Heißt er zu strenge, heißt er zu hart.
Der klagt über Jähzorn und Leidenschaft;
Der schimpft, er sei zu weich, zu mild;
Zieht er zu Felde, gleich heißt er wild,
Ehrbegierig, vermessenen Geistes:
<142>„Das ist für unsre Sünden,“ heißt es,
„Daß solch ein König uns ist beschieden!“
Ebenso schimpfen sie, hält er Frieden:
„Stumpfsinnig ist er, ein Abenteuer
„Ist ihm bedenklich, der Ruhm macht ihm Grauen!“
Hält er selber die Hand am Steuer:
„Ehrneidisch ist er und ungeheuer
„Eigensinnig, an Selbstvertrauen
„Ein rechter Narr, voller Launen und Grillen,
„Alles soll gehen nach seinem Willen!“
Doch läßt er die Sorgen um Staat und Reich
Seinen Ministern, kopfschütteln sie gleich:
„Wann wird ihm das finstre Ränkespiel
„Dieser Gesellschaft mal endlich zuviel?“
Hat er Günstlinge — mit Erbarmen
Zuckt man die Achseln ob seiner Schwächen;
Hat er keine, hört man sie sprechen:
„Der kann für Freundschaft ja nie erwarmen!“
Heißt dieser ein schlimmer, unruhiger Kopf,
So jener ein träger, tatscheuer Tropf.
Wer spart, wird ein schmutziger Filz genannt,
Verschwender — der mit der offenen Hand;
Hat er gar für die Frauen ein Herz, einen Blick,
Gleich ist er ein liederlicher Strick.
Das wär' so ein Bildnis in groben Strichen
Von unserem Dasein, dem königlichen.

Wie soll nun, Darget, das verrate mir bloß,
Ein König, und wär' er noch so groß,
Vereinen mit unseren Menschlichkeiten
Alle göttlichen Vollkommenheiten?
Nein, solche Vollendungsfülle ward
Noch nimmer zuteil der sterblichen Art!
Wollt ihr einen König, der, ganz und gar
Jeder menschlichen Leidenschaft bar,
Nur Ruhe halte immerdar —
Dann geht zum Meister Adam,142-1 der
Stellt euch aus Stein den Gewünschten her!
<143>An Darget. Apologie der Könige
Was sollt' auch den Leuten den Mund verschließen,
Den ewigen Nörglern? Selbst Cäsar war
Von Mißgunst verfolgt, und die Krittler ließen
Nicht ungerupft einen Titus gar!

Wie aber kommt's nun, daß jederzeit
Mit besonderer Wut und Bissigkeit
Die Spottrede grade auf unsern Rang
Es abgesehn hat? Ich will's Dir sagen:
Der Mensch hat den angebornen Hang
Zur Freiheit; drum haßt er Gewalt und Zwang,
Sein stolzer Unabhängigkeitsdrang
Kann unbeschränkte Macht nicht ertragen,
Den Abstand vom Herrn zum Untertan;
Das tut seinem Selbstgefühl weh, das tränkt,
Also daß mancher im stillen denkt:
Was ist denn an diesem König daran?
Fehlt's ihm doch ganz und gar an Geist,
Zu denken wie ich! Ein andrer ruft dreist:
„I ch müßte einmal da oben stehn,
„Da solltet ihr was von Regierung sehn!“
Sieh Dir das Pack der Mißvergnügten an,
Der Überschuldeten: ein Amt ward frei,
Nun drängt das gierig, eifernd sich herbei:
Ich! Ich! — Der kriegt es, der was ist und kann.
Nun die Spottreden der Enttäuschten, die
Beschimpft sich fühlen! Wie entstellen sie
Zum Zerrbild unsre Züge jetzt und schwärzen
Das Alleredelste in unserm Herzen!
Bald wächst der Schwarm von Neuen ihresgleichen,
Und mir nichts, dir nichts, von oben herab
Brechen sie über Dein Leben den Stab;
Konnt's doch der Himmel selber nie erreichen,
Daß die Gesellschaft sich zufrieden gab;
Wie stellt das erst ein armer König an,
Der aller Erdenschwachheit Untertan?

Da gibt's nur eins: Um seiner selber willen
Das Gute lieben, seine Pflicht erfüllen
Und das Geschwätz verachten, das gar bald
<144>Im Leeren verhallt.
Drum lassen wir das Volk der Wespen schwärmen,
Mag's summen, brummen, uns soll's wenig härmen.
Ich weiß ein vernichtendes Wort, um ihnen,
Den Richtern der Fürsten, im Ernst doch zu dienen —
Sie kennen, die übergescheiten Herrn,
All die wichtigen Dinge doch nur von fern,
Und sind, die Allzugestrengen, gesteh's
Doch nichts als ebensoviele Dargets.
Das Besserwissen und Tadeln ist leicht,
Die Meisterschaft selber ist schwer erreicht!
Ein Bürger, an dem meine Lust ich hab',
Gibt einen Tölpel von König ab.
Sie sollten nur, jene Phaetons all,
Sie, unseres Faches gewiegteste Kenner,
Selbst einmal lenken des Staatswagens Renner
Zum Olymp hinan — das gäb' einen Fall!

Doch fürchte ja nicht, mein guter Darget,
Daß ich des Unfugs mich untersteh',
Meine Leier und Reimkunst zu schänden
Und mich sophistisch hier zu verwenden
Als Fürsprech für Schurken auf den Thronen,
Für Tyrannen, den Abscheu der Welt:
Nein, meine Muse kennt auch kein Schonen
Bei Fürsten, wo's also schmählich bestellt.
Naturen, wertlos, ehrlos, gemein,
Auf ihrem Thronsitz schlafen sie ein,
Oder von leeren Phantasterein
Ist ihr Inneres geschwellt;
Wider die Nachbarn nur allzu zart
Und rückgratlos, ist solch ein Tyrann
Wider den eigenen Untertan
Übertrieben hart.
O, ich möchte Dir diese Art
Gern einmal nach der Natur konterfein:
Sieh, solch ein Zerrbild von König — doch nein!
Mein Vortrag macht Dich müde, mein Darget,
Ja ja, ganz maßlos müde, und ich seh',
Du brennst, nach Haus zu kommen, wo zur Stunde
<145>Die liebe Frau aus mehr als einem Grunde
In Sehnsucht Deiner harrt; auch brummt wohl schon
Die Köchin, daß der Braten auf dem Herde
Einschmore; längst schon sei der Tisch gedeckt
Und das Ragout höchst lecker abgeschmeckt
Von dieser kunsibewanderten Person —
Sie droht schon, daß es ungenießbar werde;
Und drunten warnt ein scharfer Peitschenton:
Der Kutscher hätt uns gerne aufgeschreckt,
Und schwingt die Peitsche über seine Pferde.
Gleich schlägt es zehn. Es murrt bei Dir zu Haus
Das Dienervolk, Du bleibst zu lange aus!
Es muß wohl sein, nun denn, so fahr!
Doch erst, nicht wahr?
Gibst Du mir noch das Eine zu:
Die Großen sind nicht besser dran als Du.

<146>

20. An meinen Bruder Heinrich

Wohin des Wegs? — „Nur fort! Ich flieh' das Land!
„Will nicht ins Grab hier bei lebendigem Leibe;
„Die Öde bringt mich schier um den Verstand.
„Denn sterben heißt's, wenn ich allein hier bleibe.
„Berlin ist meine Wonne, meine Welt!
„Dort gibt es schöne Mädchen, Feste, Bälle,
„Kurz, alles findest Du, was Dir gefällt.
„Bist Du kein Tor: dort sitzst Du an der Quelle.“
Gewiß, mein Bruder, kannst Du Dich vergnügen,
Mit allem ist Berlin ja wohl versehn;
Leicht sind auch unsre Schönen zu besiegen —
Was macht nur diese Freuden einzig schön?

„Ein kleines Fest gibt's bei Herrn Milon heute,
„Man ist ganz unter sich und wie allem;
„Denn eingeladen sind nur achtzig Leute.“
Die Gäste nahn; 's ist eine Höllenpein,
Wie an der Türe sich ein Knäuel ballt.
Ich dränge mich hindurch, sei's mit Gewalt.

Zum Spiel stehn dreißig Tische schon zurecht,
Und wer nicht spielt, dem Ärmsten geht es schlecht.
Ein jeder brütet über seinen Karten;
Der schwitzt, kann kaum das Herzenaß erwarten;
Der andre lauert, in der Hand die Flöte.
Sein Pech treibt ins Gesicht ihm Zornesröte,
Er tobt! Hat er den Koller? Ist er krank?
„Viel schlimmer noch: er hat den König blank!“

In einer fernen Ecke, ganz apart,
Ein andrer Spielerhaufe spielt Hazard.
In hohen Bergen liegt das Gold vor ihnen.
Ihr Priester mischt mit feierlichen Mienen
<147>Die bunten Karten, während alle Welt
Die Blicke starr auf ihn gerichtet hält.
Die guten Leutchen tun nicht übel dran,
Doch unser Priester fühlt sich sehr geniert.
Er ist geschickt; man sagt, der wackere Mann
Das Glück mit seinen Fingern korrigiert.
Es scheint, daß plötzlich ihn ein Feuer packt:
Die Stirne runzelt sich, sein Blick wird wlld,
Und eine Flut von Worten, abgehackt,
Wie grollend, sioßweis von den Lippen quillt.
Ein jeder hängt gespannt an seinem Mund,
Als würden ihm Orakelsprüche kund,
Die durch ein Wunder ändern unser Leben,
Die Großes stürzen, Niedriges erheben.
Der flucht, und jener schwimmt in Wonne, grinst
Und Heimst ihn ein, den köstlichen Gewinst.

Da schlägt es neun; nun bricht man auf zum Essen.
Die Zeit, die man beim öden Spiel versessen,
Will jeder gern beim üppigen Mahl vergessen.

Seht ihr sie aufmarschiert in langen Reihen?
Gemessenen Schrittes nahn dreißig Lakaien,
Von ihrem Küchenmeister angeführt.
Noch stolzer als ein Römer dirigiert
Herr Hamoch sie; er leitet in den Saal
Mit großem Pompe das Lukullusmahl.
Hochtönend tauft er eine jede Speise,
Doch leider paßt dazu der Name nicht.
Da ist der Braten, hier das Vorgericht;
Er ordnet alles sachgemäß und weise.
Dort ist ein neu Ragout, hier sind Pasteten;
Den Kennern lobt er ihre Qualitäten.

Wie übel sich der Speisen Duft verbreitet,
Der Wirt ist glücklich, und ein Lächeln gleitet
Stolz über seine Züge; er sagt offen:
Herr Hamoch hat sich selber übertroffen.

Zu Tisch! Trotz ihrem zugeknöpften Wesen
Ist die Gesellschaft dennoch auserlesen.
<148>Doch was bedeutet das? Schau Dich nur um!
Wie zeigt sich alle Welt so stumpf und stumm!
Dort jenes Pärchen ist ein wahrer Hohn:
Da führt der kleine schwächliche Baron
Die Zierpuppe, die lange feind ihm ist;
Ein Rechtsstreit trägt die Schuld an ihrem Zwist.
Sie schneiden grämliche Gesichter, hu!
Und drehen beide sich den Rücken zu.

Der Reifrock, noch verziert mit Schmuck und mit Gewinden,
Bläht sich und macht den Platz bei Tisch so grausam enge,
Daß ich mir kaum ein Fleckchen weiß zu finden,
Wenn ich auch fest die Knie zusammenzwänge.

Es hätte Damis große Lust zu plaudern,
Doch scheint er träumerisch, der gute Junge.
Schon der Gedanke an die giftige Zunge
Des alten Freiherrn148-1 läßt ihn tief erschaudern.

Der Wirt, die flaue Stimmung zu erhöhn,
Versucht's mit Redensarten, Witzemachen,
Mit Scherzen, die von Mund zu Munde gehn.
Er ruft: „Ich will nur Frohsinn um mich sehn!
„Schaut her auf mich! Ich berste schon vor Lachen!“

Corinna fastet streng, nicht um die Welt
Wird sie an dieser leckren Sauce nippen;
Denn geht die Schminke weg, wär's schlecht bestellt
Um all den Glanz der kirschenroten Lippen.
Und wenn Marianne an das Brot nicht rührt,
So wißt, sie hat sich allzu stark geschnürt.
Dazu auch fürchtet sie, daß das Ragout
Dem Einsatz ihrer Taille Schaden tu',
Der äußerste Bewunderung gebührt.

Dagegen unbekümmert, unverdrossen
Von all und jedem hat der Graf genossen,
Daß fast die Nähte seines Rockes platzen.
<149>Nun hebt er an, mit Hamoch klug zu schwatzen.
Lukulls Apostel heißt er ganz mit Recht.
Kein Schlemmer fährt bei seinem Rate schlecht.

Zuletzt bricht Julie das starre Schweigen
Und sagt mit müdem Tone, der ihr eigen:
„Jetzt regnet's schon den ganzen Tag — 0 Graus!
„Das sieht nach einer zweiten Sintfiut aus.“
„Ganz meine Ansicht,“ sagt Merlin beflissen;
„Denn im Kalender steht's, der muß es wissen.“
Merlin spricht gut, ist ein gelehrtes Haus,
Läßt gerne leuchten seines Wissens Licht,
Doch mehr als den Kalender kennt er nicht.

Die Unterhaltung stockt, man gähnt, faßt neuen Mut,
Spricht von Frisuren und von Kleid und Hut.
Man redet auch ein wenig schlecht von Fanny —
Sie ist nicht da —, und selbst die schwarze Nanny
Weiß nicht, was viel an deren Schönheit wäre.
Nur glaubet nicht, es spräch' aus ihr der Neid.
„Ihr Herz,“ sagt sie, „ist wirklich gut und lieb.“
Doch ihr beleidigter Geschmack nur trieb
Fast widerwillig sie zur Offenheit:
Sie gäbe so der Wahrheit nur die Ehre.

Auch vom Theater wird darauf geplaudert:
„Plump ist die Marville wie ein Elefant,“
Sagt jemand: „Die als Künstlerin — mich schaudert!
„Dagegen die Babett: ihr Äußres elegant,
„Die Kleidung schick — kurzum, sie ist scharmant!
„Zwar ist sie äußerst schwer nur zu verstehn —
„Als ob wir darum ins Theater gehn!?“

Valerius — er hat noch nie geirrt —
Weiß, daß Herr Reich aus Sachsen, jüngst verkracht,
In Kürze all sein Gut verkaufen wird.
Seht nur, wie jeder den Erstaunten macht!
Jetzt wird gestichelt, immer mehr und mehr:
So fällt man über seinen Nächsten her.
<150>Zuletzt schläft alle Unterhaltung ein.
Die Verslein gehen nun von Hand zu Hand,
Die eines Zuckerbäckers Geist erfand,
Und kichernd lesen sie die Mägdelein:
Man schont bei diesen Festen den Verstand.

Da werden dauernd Toaste ausgebracht,
Zweideutigkeiten laut beklatscht, belacht.
Man will sich hören lassen. Von Natur
Und Frohsinn zeigt die Rede keine Spur,
Nur Schwulst, und auch das Wort erstirbt da schon,
Kaum daß dem Munde zögernd es entflohn.
Verlegen blickt sich an die Tafelrunde,
Das Wort versiegt in eines jeden Munde.
Schnell sucht der Wirt die Gäste zu erheitern,
Indem er einen faden Scherz erzählt,
Doch alle seine Redekünste scheitern;
Aus Anstand lächelt man, wenn auch gequält,
Und sagt, wie herrlich man sich hier vergnüge.
Dabei verflucht man innerlich das Fest,
Wo Langeweile nie den Gast verläßt,
Und wünscht, daß man schon längst im Schlummer liege.

Drauf wird ein Lied von Chloris angestimmt,
Sie schmettert Töne, immer spitzer, schriller,
Daß unten auf der Straße man's vernimmt,
Und würzt mit falschem Tonfall ihre Triller.
Von ihrer Stimme Schönheit ganz durchdrungen
Trägt Chloris eine Opernarie vor —
Ach, hätte sie nur nicht so falsch gesungen!
Vor Wonne außer sich, erklärt ein Tor,
Sie sänge wunderbar, er könnt's beschwören.
So singt denn Chloris, ohne aufzuhören.
Verflucht sei diese Stimme, wie geschaffen
Zur Kinderklapper; sie wird nie erschlaffen!
Spricht Chloris: „Um Sie vollends zu betören,
„Ich bitte Sie, dies Schäferlied zu hören:
„Es ist für mich gemacht, will mich bedünken.
„Die Töne, wie sie schwellen, wie sie sinken,
„Die Triller, wie sie steigen, wie sie fallen
<151>„Und langgezogen endlich leis verhallen —
„Das alles macht den Reiz des Liedes aus
„Und stempelt es zu einem Ohrenschmaus.
„Und zweifeln Sie, ob's mühlos mir gelänge,
„Daß ich die Decke dieses Saales sprenge?“

Der Wirt, als er das hört, wird fassungslos,
Schon sieht er die Trompeten Jerichos.
Um zu verhüten, daß ihr Widerhall
Die Mauern seines Hauses bringt zu Fall,
Beginnt er plötzlich von Moral zu schwätzen
Und damit seine Gäste zu ergötzen.
Doch während er noch lang und breit erzählt
Und sie mit tödlich öden Argumenten quält,
Da kokettiert sein liebes Weib inzwischen
Nach rechts und links, die Stimmung aufzufrischen.
Wie könnte Amor da im Spiele sein?
Der Teufel gab's der holden Dame ein.
Die Langeweile drückt das ganze Fest,
Bis man zuletzt die Tafel gern verläßt.

Frisch auf zum Tanz! Schon regen sich die Geigen!
So hat denn doch die Freude noch gesiegt.
Nach feierlicher Polonaise wiegt
Sich Paar für Paar in Englands leichten Reigen.
Drauf tanzt man Menuetts, doch stumm und still.
Es spenden wohl, well es der Anstand will,
Die Zuschauer ein Wort, doch ungerührt
Und kühl, sodaß es fast zu Eis gestiert.
Ganz laut oft lacht das müßige Publikum
Der Gaffer, wüßte es auch nur warum.

Der junge Tag bricht an. Die Schar der Gäste
Kehrt heim, voll Gleichmut, ohne Weinen, Lachen:
Könnt' jeder nur den andern glauben machen,
Daß göttlich sein Genuß auf diesem Feste!

Das, lieber Bruder, sind nun Deine Freuden,
Ich kann Dich nimmermehr um sie beneiden.
Für mich verdient den allerhöchsten Preis
<152>Ein kleiner, aber auserwählter Kreis,
Der harmlos unsrem Geist Erholung beut,
Geplauder, das die Fragen leicht berührt
Und doch zu tieferer Erkenntnis führt,
Bei dem man gern, doch nicht geräuschvoll lacht,
Wo nicht ein hingeworfnes Wort Dich reut,
Well giftige Zungen voller Niedertracht
Es anders deuten, als Du Dir gedacht.
Laß jenes Glück! Laß jenen falschen Schein!
Nur Langeweile hüllt es trügrisch ein;
Denn wo der Stumpfsinn waltet, lärmend, blöde,
Kein Glück gedeiht in solcher leeren Öde.

Des Irrtums leichter Spielball, sieht die Menge
Mit Neid der Großen gleißendes Gepränge.
Nur einmal sollte sie sich nah besehn
Die Feste, die ihr so den Kopf verdrehn,
Dies eitle Nichts — sie würd' uns Mitleid spenden.

Da heb' zum Himmel stehend ich den Blick
Und bete leise: Gütiges Geschick,
Laß nimmer schnöde Hoffart mich verblenden!
Vor eitlen Wünschen wahr' mein Dichten, Trachten,
Nie lehr' die wahren Freuden mich verachten,
Die Freuden, die nicht unsren Sinn betören,
Die Freuden, die uns aus dem Geist erblühn!
Und gnädig mögest du mein Flehn erhören:
Laß stets mein Herz für edle Freundschaft glühn!

<153>

21. An Fouqué153-1

Was preisen wir doch stets die alten Zeiten?
Sag' an, warum es uns so sehr gefallt,
Zu reden von des Menschen Schändlichkeiten
Und der Verschlechterung der ganzen Welt?
Was wollen wir denn immer lang und breit
Nur so satirisch diese Welt betrachten
Und sie mit solcher Bitterkeit verachten?
Was schelten wir auf unsre eigne Zeit
Und preisen nichts als die Vergangenheit?

Moritz von Sachsen, war er weniger wacker
Als Cincinnatus? War er minder gut?
Zwar Moritz stammte aus erlauchtem Blut
Und pflügte niemals selber seinen Acker.
Schlug er drum schwächer als ein alter Held
Die Holländer auf Flanderns Siegesfeld?153-2

Sag' an, sind unsre Dichter denn so schlecht,
Weil sie die Muttersprache nicht verpönen?
Doch andre sagen: „Einzig die Hellenen
„Sind in der Dichtung herrlich, groß und echt.“
Virgil, Horaz, sie schrieben auf Latein,
Die Griechen griechisch, wir in unsrer Sprache.
Und da verlangt nun solch ein Richterlein,
Daß man Gedichte auf Hebräisch mache!

Gab uns denn heute nicht für den Homer
Ein gutes Schicksal einen neuen Sänger,
<154>Weit strahlender und sprühender als er?
Wir haben ja den herrlichen Voltaire.
Wie könnten wir da länger
Uns nach dem alten Schwätzer sehnen!
Ach, seine Verse liest man nur mit Gähnen.

Sind wir geringer als die biedern Ahnen
In ihrer Einfalt, gotisch, grob und schlicht?
Da will man uns mit lautem Vorwurf mahnen,
Wir legten auf den Prunk zuviel Gewicht,
Wir hätten gar zu glänzende Paläste,
Wir feierten verschwenderische Feste,
All unsre Wünsche würden uns erfüllt,
Nur von Genüssen ließen wir uns treiben —
Mein lieber Fouque, wer uns also schilt,
Der ist ein Narr und wird es bleiben.

Man hat die Helden aus vergangnen Jahren
Gepriesen, weil sie arm und einfach waren,
Doch daß wir reich sind, läßt man uns entgelten;
O, nur ein Dummkopf kann so töricht schelten.
So redet nur ein kleiner Geist
Aus einer neidbewegten Seele
Und wähnt noch, daß er uns mit Güte speist,
Wenn er uns predigt, was uns fehle.

Solange diese alte Welt sich dreht,
Läuft sie noch immer in den gleichen Gleisen.
Da sieht man rings der Torheit Majestät
Sich täglich immer alberner beweisen.
Sie wechselt stets, und jedesmal
Bereitet sie dem Hirn der Nörgler Qual.
Doch wenn man unsre heutigen Geschlechter
Vergleicht mit der berühmten Toten Zahl,
Sind wir nicht besser und nicht schlechter.

Ich kann in meinem Zorn nicht länger schweigen,
So will ich den gestrengen Herren zeigen,
Wie unsre schönen Künste uns bekehrt,
Nicht mehr nach blutigen Trophän zu trachten.
<155>Glücklich Jahrhundert, das die Milde lehrt,
Du heißt die Wut und den Verrat verachten!
Der Schlechte schämt sich, wenn er schlecht gesonnen;
Das, dünkt mich, heißt schon viel gewonnen.

Doch schlügen wir, schulmeisterlich-gelehrt,
Mit Argumenten drein — das wär' verkehrt.
Man kann ja Toren niemals überzeugen,
Und auch den Neidbold bringt man schwer zum Schweigen.
Wer immer nur ein Splitterrichter war,
Zur Strafe soll er's bleiben immerdar;
In seiner Wut auf andrer Leute Ruhm,
Erfüllt mit Galle, bittrer als Absinth,
Seh' er im Einst getrost sein Heiligtum!
Und haßt er uns, nun gut, er sei so dumm!
Er weine seine scheelen Augen blind,
Wenn ihn die Tugend gar zu stark erregt
Und ihn zerschmettert und zerschlägt.
Mag er die alten Helden ungeschwächt
Mit Ruhm bedecken, sein erwählt Geschlecht;
Er liebt sie nur, weil sie vergangen sind.
Ist das denn nicht sein gutes Recht?
Doch müssen wir in dieser Liebesbrunst
Den Haß auf unsre Tage sehen;
Denn könnten durch des Himmels Gunst
Die Toten heute auferstehen,
Dann hörten wir in kurzer Zeit,
Wie jene Nörgler, feig und voller Neid,
Nur auf die Lasier ihrer Liebsten deuten.
Die Toten aber machten fluchend kehrt,
Sobald sie von den feilen Leuten
So schändlichen Verrat gehört.
Du schnöder Neider, heule nur voll Wut
Auf dies Jahrhundert, reich an großen Geistern.
Feiger Verleumder, wilde Natternbrut,
Müh' dich nicht unnütz, deinen Zorn zu meistern.
Kehr' gegen unsre Tage deine Wut,
Versucht nur weiter dein Pamphlet zu kleistern:
Am Glanz der Gegenwart verblaßt dein Mut...
<156>Des Neides Pfeile mögt ihr still verachten,
Die euer Leben zu zerstören trachten.
An eurer Tugend werde stumpf sein Zahn,
Vergeblich soll er euch mit Bissen nahn!
Ihr scharfen Richter, lernt den frechen Sinn
Vor einem großen Namen beugen,
Streut Blüten auf der Helden Asche hin;
Doch wollt ihr uns der Toten Vorbild zeigen,
So gebt auch unsrer Zeit ihr Lob zu eigen!

Ja, Freund Fouque, sind wir erst einmal tot,
Schätzt man auch uns in abertausend Jahren.
Dann blüht der alten Toten Morgenrot,
Und sind wir erst ins Grab gefahren,
Gefühllos allem Lob und aller Not,
Dann werden wir nicht mehr beneidet,
Wenn uns das Volk in Glorie kleidet
Und unsres Ruhmes helle Fackel loht.

<157>

22. An die Gräfin Camas157-1

Nein, niemals wag' ich, würdige Camas,
Mit Ihrem Geist, dem glänzend inhaltreichen,
Die geistesarmen Reize zu vergleichen,
Die ich an unsren leeren Gänschen sah.
Das bißchen Schönheit oder frische Jugend
Ist ihnen Stellvertreter aller Tugend.
Gleich Blumen sind sie, deren bunte Pracht
Kaum eine einz'ge Sommerspanne dauert;
Wenn sie ein Hauch der Glutzeit überschauert,
Verwelkt die Schönheit, die uns ftoh gemacht.
Und wenn ihr Farbenglanz uns nimmer lacht,
Wird's keinem mehr belieben, sich zu bücken,
Um sie zu tränken oder sie zu pflücken.
<158>Wer Einsicht fühlt und Feinsinn, der verehrt
Statt Schönheit Geist, der unser Wesen klärt.
In Ihnen sind die Gaben wohlverbunden;
Ihr Sinn, der hundertfältig Früchte bringt,
Ist menschlich mild und immer frohbeschwingt.
Ihr Geistesreichtum lebt zu allen Stunden,
In allen Landen und in jeder Zeit.
Daß Sie so manchen wahren Freund gefunden
Und Glücks noch mehr, ist nur Gerechtigkeit.

Ihr graues Haar wird nimmer von Geschmeiden,
Von Flitterkram und Bändern nicht bedrückt.
In Riesenreifenröcken, goldgeschmückt,
Braucht nicht Ihr Körper Folterqual zu leiden.
Doch unter Ihres Haares Tracht entzückt
Uns Mannesgeist, so selten, ach! zu finden,
Dem wir so wohlverdiente Kränze winden.

So viele Freuden scheuchen Alters Pein —
Worauf wollt ihr euch, fade Schönen, stützen?
Die Lärvchen sind ja hübsch im Iugendschein;
Ihr ältlich Grinsen wird euch garnichts nützen.
Ihr äugelt schmeichlerisch, ihr tut gar fein,
Und Schönheit muß wohl allem Anmut geben.
Allein — ich sag' es nur mit Widerstreben —
Dasselbe gilt für unser Augenmerk
Von Bouchardon158-1 ein schönes Bildnerwerk.

Ach, wenn der Himmel, günstig eurem Lieben,
Euch stumm geschaffen hätt' von Anbeginn!
Wär' euren Buhlen Hörsinn ausgeblieben!
Dann konnte unser liebeglühnder Sinn
Sich länger mindstens in den Wahn versenken,
Daß euer Geist berufen sei, zu denken.
Doch jetzt ist jede so sehr Schwätzerin —
Mich überläuft ein todesfrostig Schaudern,
Vernehm' ich nur die Spur von eurem Plaudern;
Und eures Lockens sämtlichen Gewinn
<159>Und eures Reizes Siege mir im Herzen,
Durch eure Reden müßt ihr sie verscherzen.
Spiel, Flitterwerk und Klatsch und Modeschlif,
Geschichtchen, tausend Liebesfadigkeiten,
Gewürzt mit hundert dreisten Albernheiten,
Sind eurer Unterhaltung Inbegriff.

Doch wollt ihr Anspruch gar auf Geist erheben,
Das ist nun wahrhaft herrlich zu erleben.
Ich sehe schon die Extraschüsseln nahn,
Gereicht von Weibchen mit Pedantenwahn
Und dumm; sie spielen die gelehrten Frauen,
Wie wir sie bei Molière, dem Großen, schauen,
Mit seiner Meistermalkunst abgetan
In seinen Stücken, die mit Witz erbauen,
Darin sein Urteil goldne Worte prägt
Und tausendfach die Toren niederschlägt.

Erzittert, abgeschmackte Ziergestalten:
Schönheit vergeht, das Alter stellt sich ein;
Es ritzt euch die gewelkte Stirn mit Falten,
Und euer Liebreiz wird vernichtet sein.

Geliebter Spiegel, gibst du ihnen dann
Bleifarbig fahle Angesichter wieder,
Zahnschwund, erloschne Augen, Tränenlider
Und Haar, des Glanz in trübes Grau zerrann,
So faßt ein Eumenidenzorn sie an;
Ihr Wüten wird dir, ach! dein Glas verderben:
Zerschmettern werden sie's in tausend Scherben.

O, wie das wurmt: der Alabasterhauch
Des Teints vergilbt. Und Ros' und Lilien fliehn.
Die abgöttisch Verliebten fliehen auch:
Vor Vetteln wird kein schöner Tyrsis knien.
Des Boudoirs verschmitzte Gaukelkunst,
Der Flitterglanz, der Blümlein frische Pracht
Schmückt die verjährten Reize ganz umsunst.
Der jugendschönen Frauen Putz und Tracht
Ziert alte Mütterchen wahrhaftig nicht:
<160>Ach, sieht das schlecht zum welken Angesicht!
Die Liebelei, die euch zu Häupten schwebt,
Die euch bei Ball, Souper und Fest belebt,
Uns Pfeile schickt aus schöner Augen Schimmer,
Sie flieht dieselben Augen einst für immer.
Anbetungswürdig scheint die Schönheit heute;
Das alte Weibsbild! spotten einst die Leute.

Die Trübsal eures Alters tut mir leid:
Zu Wohlgefallens fernerer Entfaltung
Bleibt euch ein einzig Mittel: Unterhaltung.
Doch wie es nützen, wenn ihr geistlos seid?
Als altgewordne Puppe, öde Base,
Die nichts als Muhmenklatsch erzählen kann,
Zieht man die Kunden nicht in Menge an.
Vom Vorsaal schon schleicht Pesihauch in die Nase
Des armen Buhlen. Da vergeht Ekstase;
Der Ekel treibt ihn aus der schlimmen Luft,
Dem gräßlich ewigen Gebrestenduft.

Gott weiß, wie die Chasots160-1 der spätern Zeit,
Die Ferdinands,160-2 die Knechte aller Schönen,
Geborne Spötter ohn' Empfindsamkeit,
Dann eure würd'gen Angesichter höhnen,
Wenn ihr, grell aufgeputzt die Schreckgestalt,
Zuletzt auf Liebenswürdigkeit verfallt.
Ja, die Galans, die euch die Tür einlaufen,
Sie werden sich dann nicht mehr darum raufen,
Euch bleibt ihr spöttisch Lachen nur und Scherzen.
Ich seh es, dann bereut ihr's wohl mit Schmerzen,
Daß ihr in launenhafter Sprödigkeit
So schnöde heut verschmäht die vielen Herzen,
Die euch der Buhlen Schar zum Opfer weiht.
Erst muß die tolle Hoffart Schiffbruch leiden,
Ich seh's voraus, dann mit der Reize Rest
Ermutigt ihr das Werben gar bescheiden,
Das heute noch euch Eitle fühllos läßt.
<161>Umsonst des rost'gen Alters heiß Verlangen:
Nie wird es Liebeshuld'gung mehr empfangen.

Dies ist das Los der holden Nichtigkeit,
Die einzig lebt von Schönheit und von Jugend.
Sie aber, würdige Camas, hat Tugend
Aus solchen Schiffbruchs Not fürwahr befreit.

Was tut es, daß der Zeit Zerstörertrieb
Auch Ihren Iugendreiz erblassen machte,
Da Ihnen doch Ihr halbes Selbst verblieb:
Ihr geistig Wesen, das ich lieb' und achte!
Weit ragt es über äußern Reiz empor.
Besiegen Sie die Wut der Zeit, die schele;
Nicht trifft sie Ihren prächtigen Humor
Noch Ihre unbeirrbar starke Seele!

Ja, Sie verschmähn die dumme Wichtigkeit,
Wie sie Hofmeisterinnen gern bekunden;
Sie Weise sind zur Nachsicht gern bereit.
Ihr reger Sinn erweckt die Heiterkeit
In lauer Hofluft farblos öden Stunden.
Und mehr: aus echter Frömmigkeit sind Sie
Gut hugenottisch, doch unduldsam nie.
Teure Camas, ist dieser eine Zug
Um Sie zu lieben Grundes nicht genug?
Nichtwissern gelten Sie als ihresgleichen,
Vielwisser wissen wohl, Sie wissen viel.
Sie schmiegen sich mit einem anmutreichen
Geschick in der Gesellschaft Brauch und Stil.
Die Jugend dankt mit Frohmut Ihrem Lachen,
Die Reifen künden Ihrer Weisheit Ruhm;
In Ihrer Güte, Ihrer immerwachen,
Ertragen Sie getrost vom Greisentum
Gebrechlichkeit und blöden Schwatz der Schwachen.

Durch solche Züge, durch Vollkommenheit
Hat wahre Freunde Ihr Gemüt errungen.
Dies — glauben Sie! — ist Amor nie gelungen
Bei wollustgleichen, leichtbeherzten Jungen,
<162>Wenn er in Torheit flattert weit und breit.
Die echte Freundschaft gründet sich allein
Auf hohe Achtung, die der Tugend Sold ist —
Und die ist Ihnen eigen; obendrein
Der Zauber auch, daß jeder Ihnen hold ist.
Ja, singen will ich, o Camas, fortan
Dies Ihr natürlich schönes Geisieswesen;
Ihm weih ich, was ich dichtend fühl' und kann.
Und Sie will ich in meiner Verse Bann
Zur Pallas, zur Minerva mir erlesen.

<163>

23. An Jordan163-1
(1738)

Sieh, Flora räumt, aus unfern Gärten scheidend,
Pomonen schon das Feld, so sterbensmüd!
Der Sommer schwand, Herbstwinde wehen schneidend,
Und alles dorrt, entfärbt sich und verblüht.
Des Tages Leuchte alle Macht verlor,
Frösteln rinnt durch die Welt, die bleichbesonnte,
Und täglich später tritt am Horizonte
Der Tag aus seinem Morgentor.

Colin und Lycas frohgemut geleiten
Die Ernte heim von unsern Ackerbreiten,
Und allerenden hallt das Echo wieder
Der ausgelaßnen, trunknen Schelmenlieder.
Ach, ungebundene Freiheit, Liebeslust
Begnaden reicher, tiefer ihre Brust,
Als all der Überfluß und üpp'ge Tand,
Den sich des Städters eitler Sinn erfand.
Denken beschwert sie kaum, ihr Magen
Kennt keinen Einspruch, kein Versagen;
Feldarbeit und ein karges Brot
Hält stark den Leib, die Wangen rot.
Frei bleibt ihr Sinn von Überspanntheit
Und weltvergeßner Wahnverranntheit.
Was Weltgeschick? Was Altertum?
Was schert sich ihresgleichen drum!
Vorm Draußen fiel ihr Hoftor zu,
Dahinter wohnt Gedankenruh,
<164>Wohnt Spiel und Frohsinn, Lieb' und Scherz.
Nie sah hier der tyrannische Götze
Des Eigennutzes das Neidgehetze
Nach des Paktolus gelbem Erz;
Nie keuchen sah er die Menschen hier
Unterm Joch der Begier.
Ruhmsucht, die alle Eitlen herrisch
Zu knechten weiß, sinnlos und närrisch,
Hat nichts Verführendes für sie;
Drum wagt ein unerlaubt Begehren
Und ein vermeßnes Beten nie
Die Gottheit zu beschweren.

In ihrer Ländlichkeit, wie sind sie glücklich!
Du hockst derweilen in Berlin,
Im lautsten Treiben mitten drin,
Und bist vermutlich augenblicklich
Vom heil'gen Staube Griechenlands
Und Latiums verschüttet ganz,
Mein würd'ger Freund, um Rats zu pflegen
Mit jedem Herrn gar hochgelahrt,
Der seiner zuverläss'gen Weisheit wegen
Der armen Menschheit eine Leuchte ward.
Von Deinem Trübsinn Dich zu heilen,
Und unsrer holden Narretei
Dir auch ein wenig mitzuteilen,
Steht meine Muse just mir bei:
Wir brachen auf, zu Dir zu eilen.

Du weißt, wir Dichter haben's gar leicht
Zu reisen; im Nu ist das Ziel erreicht!
So war's auch bis Berlin nicht weit,
Zum Unterschlupf Deiner Gelehrsamkeit.
Gleich an der Tür, von Buchschmuck überrankt,
Ein dicker heil'ger Augustinus prangt;
Schräg lehnt er an den Nachbarschwarten,
Verfaßt von einem überaus gelahrten
Und überaus geschwätz'gen Herrn vom Orden
Des heil'gen Benedikt; in ganzen Horden
Sieht man die trocknen Kerle all auf us
<165>Im Hausflur ausmarschiert — ein rechtes Fressen
Für'n Trödler oder Antiquarius!
Zwar Namen alle hohen Klangs, indessen
Gar schäbig von Gewand, so trotzen sie
Dem Erdgeschick, und wenig protzen sie
Im Kittel von schmutzfarbnem Pergament.

Doch nun mit frommem Graus verlassen wir
Den Tempelvorraum, der uns ja noch trennt
Von Deiner Cella, dem Studiergemach.
Wie'n Kapuziner hausest Du allhier,
In diese Freistatt dringt die Welt nicht nach.
Meister Erasmus, sieh! O feinberedter
Fürsprech der Narrheit!165-1 Aber sagt doch, sieht er
Nicht da wie ein Grandonio,165-2 groß und breit,
Wie der gewicht'ge Pförtner dieser Kammer,
In großem Folio, der Rotterdamer?
Und borten — ist's die Möglichkeit?
Die Büchermassen — lauter Kirchenväter!
So nahn wir Deinem Schreibtisch: also hier
Machst Du die Nacht zum Tage Dir
Und prägst Dir tausend Wunder ein
In Koptisch, Griechisch und Latein!
Dort Dein berühmter Abauzit165-3 — wer kennt ihn
Und wer sein Werk? — kein Titel nennt ihn;
Und da, der letzte Band von Reimerein,
Die Jean Baptiste Rousseau gedrechselt,
Seit er sein Wesen scheinheilig gewechselt. 165-4
Was mag das dort auf den Regalen sein?
Die Sammlung ist's von scharfen Diatriben,
Die ein gewandter Hugenott geschrieben,
Angriffe auf den Jesuitenorden.
Und dort auf jenen Bücherborden
Erbauliche Betrachtungen — da salbadert
<166>Ein Pfäfflein in gespreiztem Kanzelton,
Das mit dem großen „Tier“166-1 gewaltig hadert
Und mit der großen Hure Babylon;
Ungläubige trifft geschwind die Höllenpein,
— Aus lauter Christenliebe sicherlich —
Erbauungsschriften kurz für Papagein!
Nicht weit davon fand gar ein Opus sich,
Darin von Ungeziefer war zu lesen.166-2
Und dort ein Quellenwerk fürs Sektenwesen.166-3

Höchstselbst nahm seinen Sitz bei Dir Apoll,
Der Dir, daß Dein Museum werde voll,
Aus eigenen Helikonischen Beständen
So mancherlei geruhte zuzuwenden.
Berief auch einen Schatten hohen Ranges,
Den Freund des klaren Denkens, Herrn Horaz,
Dir nah zu sein; der ziere Meister tat's
Und sprach im Wortlaut seines frohen Sanges:166-4
„Das sei unsre ernsteste Sorge jetzt:
„Der Wein, der das Herz uns am lieblichsten letzt;
„Was hat es für Sinn, was hat es für Wert,
„So ein Planen und Sorgen
„Übers Heut und Morgen?
„Weitschauend Erwägen den Kopf uns beschwert;
„Wer weiß, wie bald
„Spricht die Parze ihr Halt,
„Die mit ihrer Schere dazwischen fährt.“

Nicht weit davon sieht einer eingereiht,
Ein Eifter für Vernunft und Richtigkeit,
Als Spötter oft zu scharf, zu grob, zu roh,
Doch am Parnaß beliebt, Herr BoUeau.
Mit Weltmannsmiene folgt sodann
Der überlegne Lucian,
Ein liebloser Spötter, doch niemals langwellig;
Der himmlischen Götter ist keiner ihm heilig,
<167>Und jedem hängt er Schabernack an.
Dann kommt da einer von des Pontus Ufer,
Der Einsamkeiten sehnsuchtsvoller Rufer,
Der allzu farbig schier sein klagend Lied
Aus seines Schauens Fülle hat geschmückt,
Und doch die Leser immer neu entzückt —
Der zärtliche Ovid.167-1
Dann weiter der berühmte Skeptiker,
Bayle, ein gewiegter Dialektiker;
Hei, wie er schneidig in die Schranken ladet
Die Herrn Doktoren, in den Sand sie schmeißt,
Die Glaubenseifrer, und zu Boden reißt
Der Theologen Dünkel, gottbegnadet,
Er, der dem Reich des Irrwahns stets geschadet.

Homer, den guten alten, schau' ich da,
Wie der sich von Voltaire verdunkelt sah
Und schamhaft sich in sein Gedicht versteckte,
Das ihm die Schar seiner Getreuen deckte.
Darüber hab' ich, kostbar eingebunden,
Den großen Schildrer der Natur167-2 gefunden,
Der, Romas Herrlichkeit zu mehren,
Mit seinen Versen mehr getan,
Als Ruhm und Größe ihr gewann
Ein Cäsar je mit seinen Siegesheeren.

So hohen Toten zugesellt,
Mein Jordan, sucht Dein Forschergeist
Das Sein und Wesen dieser Welt,
Woher sie kam, was sie erhält —
Ein Flug, der immer höher weist.
Glaub' mir, ich ehr' Dein hohes Streben,
Den Ernst, dem nur die Arbeit Leben;
Doch, mein Iordanus, magst Du Dir
Mit köstlich-seltner Lorbeerzier,
Die auf dem Pindus männiglich
Der eine tut dem andern neiden,
Im Leben schon Dein Haupt umkleiden —
Macht Dich das glücklicher, Geliebter, sprich?
<168>Bedenk die viele Müh und Plag',
Eh' zur Unsterblichkeit man dringt!
Lohnt denn, was mühsam man erlernen mag,
Das Freiheitopfer, das man dafür bringt?
Wie kann Dein Stolz sich so betrügen,
Mit Weihrauchdunst Dich zu begnügen,
Wo Du ein rechtes Herzgenügen
Und Daseinsfreude haben kannst!
Verstündst Du Dich, mit uns zu leben
Im frohen Kreis, Du, dem's gegeben,
Daß Du so manches Herz gewannst!
Wie in den letzten Herbsiestagen,
Wenn treulich in Pomonas Hut
Den Jahreszoll sie abgetragen,
Die Erde friedeatmend ruht,
So gönn' auch Du
Dir Feierruh.
Kehr wieder, hier ist's friedestill,
Hier sehnt sich alles Dir entgegen;
Mit jeder Lust, mit jedem Segen
Freundschaft Dich hier beglücken will...

Bedenke: mehr denn eine Lust
Hat Raum in einer Menschenbrust!
Welch schlechter Wirt ist doch der Sparer da,
Der sich von allem, was ihn freuen könnt',
Aus Kargheit nie den vollen Nutzen gönnt.
Chasot168-1 schwärmt für die Jagd und für Trara,
Jordan für Nächte, still beim Lampenschein,
Cäsarion168-2 für geleerte Flaschenreihn.
Der strebt nach Höflingsglanz und Gloria,
Der kann nicht ohne Liebesseufzer leben,
Und dem muß stets vom Ruhme dieser Welt
Ein Weihrauchwölklein um die Nase schweben.
Der dicke August168-3 braucht ein Heidengeld
Für seine Tafel; nun, und ich? — ich leime
Mir selbst zur Freude, Reim an Reime.
<169>Da wie ein Schatten unsre schönsten Tage
Vorüberwandeln, weiser Jordan, sage:
Warum denn unsre Freuden noch beschränken?
Wie sie zu mehren, das laß uns bedenken!
Wer sich aufs Leben will verstehn,
Läßt ihrer keine sich entgehn.

Auch Du denkst so, ich weiß es ganz bestimmt,
Denn Deine Weisheit, Deine abgeklärte,
Ist keine, die in überflüss'ger Härte,
Griesgräm'gem Ernst sich übernimmt.
Sah ich doch selbst in frohgeselligen Stunden
Dein Haupt, das des Parnasses Würde krönt,
Von Myrtengrün und Weingerank umwunden,
Sodaß mir's war, als säh' ich Dir verbunden
Uranien, die zur Venus sich verschönt,
Säh' die Vernunft, umschwebt vom Grazienreigen,
Sich wohlbedacht zur Weltlust niederneigen.

Komm denn! Ein Feuerhimmel andrer Art
Mit flücht'gen Erdenfreuden Deiner harrt!
Doch, hörst Du, bald! und Deinen Schritt beeil'!
Für uns gibt's ohne Jordan hier kein Heil.

Die alten Buchen kennst Du, die so kühn
Die Häupter recken, weitum breitend
Ihr Astgewirr, und unter üppigem Grün
Mit Schattenruh uns überspreitend —
Ein Bild, als wollten sie mit ihren Wipfeln
Der Himmelswölbung sich entgegengipfeln.
Dort, Jordan, in der trauten Dämmernacht,
Ist Wohlsein — mehr als unter Säulenpracht;
So schlicht und schmucklos war, in Heimlichkeit,
Der Sitz der Wonne zu der Väter Zeit.

Dort harr' ich, Jordan, Dein. — Wie gern in Ruh
Schau' ich von da, befreit vom Standeszwange
Und frei von jedem Ehrsuchtdrange,
Dem stillen Ablauf meines Lebens zu.
Ein Denker, dem nach Wahrheit sieht der Sinn,
<170>Will ich nicht mehr, denn was ich hab' und bin.
Dort, ganz beseelt von meines Gottes Feuer,
Werf' ich in Versen hin manch flüchtig Bild;
Dort weckt mein Mund zum Klange meiner Leier
Mit manchem Freundesnamen, der mir teuer,
Des Echos Widerhall; und nicht gewillt,
An Hasser und an Neider mich zu kehren,
Möcht' ich, den Freunden zärtlich zugetan,
Das Herz voll Mitgefühls mit jedermann,
Dem Dienst der ganzen Menschheit angehören.
So sonder Furcht und Bangen, halt' ich still,
Abwartend, welches Los mir fallen will.

<171>

24. An d'Argens171-1
(1747)

Lenz will's werden; schwach zum Sterben, räumt der Winter ihm das Feld,
Und die eis'gen Stürme haben schon ihr Wüten eingestellt.
Draußen, wo die Saaten keimen, frei und froh die Welle rollt
Durch des Eises Trümmerschollen, das sie gar ersticken wollt'.
hei, und unsre Rieselbäche! Über goldig-klaren Sand
Treiben lustig die erlösten ihren Schlängellauf durchs Land.
Flora aber hat Natur
Wie ein Lieblingskind bedacht:
Flora schmückt uns Feld und Flur
Schon mit Frühlingsblumenpracht.
Neu wird alles unterm Himmel, und es mahnt das junge Jahr
Alles Holden, alles Lieben, das vor Zeiten unser war...

Doch indes mein Griffel hier
Euch zu schildern treu bemüht ist,
Wie ringsum die Welt erblüht ist —
Was, mein träger Herr Marquis, tut Ihr?
Faulheit, die geliebte Herrin, hält Euch fest in Bann und Fron,
Unbeweglich, taub an Sinnen, ihre Lider schwer von Mohn!171-2
Wie ein Klausner lebt Ihr hin,
Unbekannt schier in Berlin,
Mitten in der Residenz,
Und zu freudigerm Genießen,
Draußen, wo die Saaten sprießen,
Ruft vergebens Euch der Lenz.
Ei, so laßt mal Euern Bau,
Wo die Langeweile nistet,
Die Gedanken grau in grau,
Eure Händel, Eure Grillen,
<172>Ärgernisse, die die Galle
Nur erregen, laßt sie alle!
Euer Herz mit Lust zu füllen,
Wüßt' ich schon ein Wo und Wie:
Kommt zu mir nach Sanssouci!
Dort erst ist man recht ein König, ist sein eigner Fürst und Herr,
Auf dem Lande, in der Stille! Weiß nicht, wo man freier wär'!
Fragt Ihr nun, wo sie gelegen, meine grüne Einsamkeit,
Wo beschaulich diese Strophen Euer Freund für Euch gereiht,
Jener Ort, wo meiner Tage schönste mir die Parze spinnt —
Hört, ob Ihr ein Bild gewinnt!

Hoch auf eines Hügels Rücken,
Wo das Auge mit Entzücken
Schweift, soweit der Himmel blau,
Hebt gebietend sich der Bau.
Hohe Kunst ward dran gewendet;
Sorglich schuf und meisterlich
Mir des Meißels Hieb und Stich
Stemgestalten formvollendet,
Die das Ganze prächtig schmücken,
Ohne lastend es zu drücken.
Morgens taucht mein Schlößlein ganz
Sich in goldnen Frühlichtglanz,
Der es grüßt, wenn er erwacht.
Sechs bequeme Treppen lassen
Nieder über sechs Terrassen,
Mählich sacht
Euch zum Haine niedersteigen,
Euch zu flüchten
In die grüne Dämmernacht.
Dorten läßt dann unter dichten,
Unter hundertfarbigen Zweigen
Loser Nymphen Schelmerei
Klare Silberwellen nieder
Sprudeln über Marmorglieder —
Gab's seit Phidias jemals wieder
Solche Meisterbildnerei?

Seht, dort regelt meine Tage
Holdes Gleichmaß, still gedeihlich,
<173>Fern der dummen Modeplage
Endlos langer Prunkgelage,
Steif, nach Vorschrift und langweilig:
Stumpfsinn gähnt da, Überdruß
Zum Verschwenderüberfluß
Unsrer Midasse von heute;
Und was alles da für Leute
Blind zuhauf der Zufall lehrt!
Frostig lächeln sie, verzerrt,
Ob des Zwanges still ergrimmt,
Der, was nie zusammenstimmt,
Dorten zur Gemeinschaft bindet,
Peinlich nur und unbequem!
Seht Ihr, nichts von alledem
Ihr in meinem Hause findet!
Mittags ladet unser Tisch zu bescheidenen Genüssen —
Just, daß man befriedigt sei:
Kein Zuviel, noch Schlemmerei —
Die mit wertvollen Gesprächen weidlich wir zu würzen wissen.
Wie das sprudelt, wie das schäumet! Funkelhelle Geistesblitze —
Manchmal macht man auch auf Kosten fremder Dummheit seine Witze.
Mehr denn so ein Schlemmerftaß
Eurer Herrn Apiciusse,
Eurer Helden im Genusse,
Gilt ein Wort von Geist und Anmut, gilt bei uns ein kecker Spaß!
Niemals spielt bei uns die Falschheit ihre niederträcht'gen Szenen,
Noch verstellter Haß, den keine Macht der Erde kann versöhnen:
Wie das sich verrenkt, sich windet, Brust an Brust bewegt sich drückt,
Süße Iudasworte stammelt und beinahe dran erstickt!

Dort ist auch kein Platz für jene, die, ins eigne Ich verliebt,
Es mit glühnden Farben malen,
Von sich selbst, dem Ausbund prahlen
Alles Tücht'gen, was es gibt;
Ihr Geschwätz ohn' Unterlaß
Ist nichts als ein Spiegelglas,
Davor sie in Andacht stehn,
Männchen machen und sich drehn.
Das Getu' und das Gespreize zierlich zimperlicher Herrn,
Hochbetitelter Hanswürste, die verschämt tun und sich sperrn,
<174>Die um nichts viel Motte machen
Und im Chorus gerne lachen —
Alldergleichen bleibt uns fern.
Dort, der Himmel sei gepriesen,
Sind wir auch verschont von diesen
Tröpfen, die mit ihren modischen
Metaphysischen, methodischen
Abhandlungen und Beweisen
Die erstaunte Welt bereisen —
All das Eselzeug auf us
Nach selbsteignem Taufbeschluß.
Bei uns gibt's kein hämisch grinsend, lieblos scharfes Besserwissen,
Keine Argusse mit gift'gen Krallen oder Raubtierbissen,
Keinen, der mit Höllenwässern seine Schmähschrift noch versetzt,
Und so sind wir auch zuletzt
Frei von jenen Schwätzern allen,
Leidigen Schmarotzerseelen,
Die die liebe Zeit uns stehlen
Und uns auf die Nerven fallen.

Diese stille Einsamkeit
Ist mir Bollwerk, Wehr und Turm
Wider jeden Stoß und Sturm
Dieser wildbewegten Zeit,
Unrast, Wirrsal, Not und Streit;
Wider alles, drein so gern
Uns die Menge möchte zerrn,
Uns, die Weisen, die dem Wissen, die den Künsten sich geweiht.
Ach, d'Argens, besieht man's recht,
Ist das menschliche Geschlecht
Nichts als gierig, dumm und schlecht!
Glücklich, wer abseits vom Wege sich ein Heiligtum gebaut,
Zuschaut, wie zu seinen Füßen Sturm und Wetter grollt und braut;
Wüste Trümmer sieht er treiben drunten in dem Klippenmeer,
Und er nickt: es ist nicht anders, seelenloses Ungefähr
Treibt sein Spiel mit eurer Ehrsucht! Seht, nun deckt den weiten Strand
Trümmergraus so stolzen Hessens, das gar bald sein Ende fand!
Glücklich jeder Unbekannte, ja, gesegnet tausendmal,
Der den Kopf sich klar behalten, der des Ruhmes Giftpokal
Von sich stieß, noch ungekostet, der sich zeitig noch besann,
Was an all dem Lorbeersegen der Geschichte ernstlich dran,
<175>Der in treuer Pfiichterfüllung quitt mit seiner Mitwelt ward
Und die Müh' um sein Gedächtnis bei der Nachwelt gern sich spart,
Nicht erbettelt ihre Gunst
Und ihr bißchen Weihrauchdunst!

Nein, Marquis, die eitlen Streber, laßt uns alle sie verachten,
Wir, fürwahr, sind nicht die Narren, ihrem Glückswahn nachzutrachten.
Eher soll ein Frühaufsteher unser Freund d'Argens sich nennen,
Eher soll ein Esel Sieger werden bei dem Pferderennen,
Oder die Camas175-1 'ne Metze,
Eher stießt die Elbe aufwärts wider die Naturgesetze!
Mögen denn die Ruhmbedürft'gen nur sich selber Beifall spenden,
Ungesättigt bleibt ihr Hunger, ihre Not wird nimmer enden.
Pläne über Pläne häufen mögen sie, der Unrast Beute,
Nur von ihrer Hoffnung lebend, abgestorben für das Heute!
Uns lockt alles dies vergebens;
Wir genießen unsres Lebens
Nach der Kunst und Möglichkeit!
Bellt nur, Höllenhund und Neid!
Uns sei eines nur bewußt:
Jedes Augenblickes Lust
Raubt der Sturmgang uns der Zeit,
Die uns unsre schönsten Tage
Wie im Fluge hetzt vorbei;
Heut des Lebens Blütenmai,
Morgen Alters Last und Plage!
Ach, der Mensch, geworden kaum,
Ist er auch gewesen schon,
Ja, das Leben ist ein Traum! —
Doch wenn dieser trockne Ton
Der Betrachtung Euch verdrießt,
Ei, so hört denn, was davon
Meine Nutzanwendung ist —
Ob Ihr der Euch wohl verschließt?!
Maßen meine Freundestreue Euch beschwört, nur zuzugreifen,
Frisch die Freude festzuhalten, die Euch will vorüberstreifen,
Leichter Hand und leichten Herzens, eh die flüchtige entschwinde!
Was geht uns das Morgen an?
Und der nächste Tag sodann?
Ob das Schicksal uns, das blinde,
<176>Einen Vorrat langer Jahre gnädig noch hat zugedacht,
Ob's mit Götterhuld uns lacht,
Oder ob es ohn' Erbarmen
Droht, mit seinen wucht'gen Armen
Uns, betäubt von Not und Schrecken,
Nieder in den Staub zu strecken —
Einerlei!
Rosen! Rosen bringt herbei!
Schlingt sie feiernd um die Stirn!
Seliger ein holdes Irrn
Denn die wahren Daseinsgüter! Darum raubt die flinken Schwingen
Jenen Liebesgötterschlingeln, ihre Pfeile, laßt sie schwirrn,
Laßt sie klingen, laßt sie springen
In die Herzen unsrer Schönen! — Denn zuletzt sind wir nur Herrn
Dieser flücht'gen Gegenwart;
Wer da aufschiebt, was er gern
Sein genannt, ist meist genarrt.
Drum so sag' ich: unverdrossen
Jedes Augenblicks genossen:
Heut' ist uns der Himmel hold;
Weiß nicht, ob er morgen grollt!

<177>

Das Palladion
Ein tiefgründiges Gedicht
(1749)

<178><179>

Vorwort

Im Mittelpunkte des ganzen Gedichtes sieht der Marquis Valory.179-1 Die Fabel setzt voraus: Ihm ward die Wundergabe zuteil, daß er durch seine Gegenwart das Preußenheer unbesiegbar macht. Die Heiligen, die sich überall einmischen, offenbaren dies Geheimnis dem Prinzen Karl von Lothringen,179-2 der darauf den Plan faßt, den Marquis zu entführen. Nach einigen mißglückten Versuchen fängt Franquini179-3 statt des Marquis dessen Sekretär Darget,179-4 der in diesem Gedicht ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt. Die Preußen, die Valory und der Dämon der Zwietracht anstacheln, den angeblichen Schimpf zu rächen, liefern den Österreichern eine blutige Schlacht, bei der selbstverständlich auch die Heiligen mittun. Die Preußen behaupten das Feld, ihr Siegespreis ist die Auswechslung Dargets gegen einen gefangenen österreichischen General. Prinz Karl verzichtet auf seinen Plan, Valory zu entführen: das Komplott ist zu Ende und die Harmonie wiederhergestellt.

Sollte einen böswilligen Leser diese Fabel für ein Heldengedicht nicht heroisch genug bedünken, so sei er auf das berühmte Gedicht vom „Rattenkrieg“ 179-5 verwiesen, auf Boileaus „Lutrin“ oder auf Gressets Papageienepos.179-6 Wenn all diese unsterblichen Leistungen ihn keines Besseren belehren, so muß sich der Verfasser mit der Gewißheit trösten, daß die Nachwelt nie und nimmer aufhören wird, ein Werk zu bewundern, das eine Verschmelzung aller Epik von Noah bis auf unsere Tage herab bildet. Sein Gewicht noch zu mehren, soll dem Werke ein Abdruck der begeistertsten Zuschriften vorangestellt werden, die beim Verfasser über seine Leistung voraussichtlich einlaufen. Und wenn Herr Euler179-7 bei seinen mathematischen Berechnungen ein Auge drangab, so wird ihn die schwierige Aufgabe wohl noch das andre kosten, die Masse der Lachsalven festzustellen, die unser tiefgründiges Gedicht in der Welt beim Lesen hervorruft.

<180>

Erster Gesang
Das Palladien soll entführt werden

Helden zu singen ward ich nicht geboren:
Die Flöte blas' ich statt der Erzdrommeten;
Wie spitzt das Musenroß vergnügt die Ohren
Beim Schenkeldrucke rechter Kraftpoeten —
Steigt aber unsereins ihm auf den Rücken,
Ein Schinder ist's, hartmäulig, voller Tücken!

Doch mag auch unhold meine Stimme klingen,
Ich will heut' einen Helden wunderhehren,
Will unfern dicken Valory besingen:
Ihm hat sein Schicksal ganz besondre Ehren
In toller Narrenlaune zugedacht —
Hat zum Palladion Preußens ihn gemacht!
Das gab um ihn gar wilde Aventüren,
Ein blutig Raufen gab's, da die Husaren
Spitzbubenfiink ihm überm Halse waren,
Den Hort dem Preußenlager zu entführen.

Du Göttlicher, du Schwatzmaul ohnegleichen,
Vater Homer/
Altmeister und Orakel du uns allen,
Die Reime basteln unter deinem Zeichen,
Du Abgott aller Tröpfe
Und öden Tüfteltöpfe
In deinem Interpretenheer —
Heut' sei mir nah und tu mir den Gefallen
Vgl. S. 153 f. und 167.
<181>Und überliste euren Höllenhund
Und stiehl dich fort aus eurem Kellerschlund
Zum Licht hinan: du sollst mir Hilfe leisten
Bei meinem helikonischen Erdreisten!
Du sangst vom schmollenden Achill —
Doch der, er mag so groß sein, wie er will,
Der jeden Feind zerschmettert hat, zerkerbt,
Des Xanthos klare Welle rot gefärbt —
Im Grunde war's kein Kerl von Fleisch und Bein!
Da ist mein Valory ein andrer Held,
Kein Fabeltier. O nein! Ins Waffenfeld
Bracht' ihn der Vater schon, als er noch klein —
Kurzum: ein richtiger Held! Und seine Richtigkeit
Hat auch, was ich erzähle lang und breit.

O Hedwig, du Schutzherrin von Berlin181-1
Zwar du hast recht, es ist ein starkes Stück:
Ein Ketzer, Schüler des Calvin,
Und steht zu dir um einen Gnadenblick!
Um einen nur! Ein Wunder sollst du wirken
Am untertänigsten Gevatter dein
Und meinem Sang erst Schwung und Wärme leihn;
Vielleicht in paradiesischen Bezirken
Denkst du auch mal beim Paternoster mein
Und meiner Reimerein?
Stehst du bei diesem Werk mir bei,
So glaubt die Welt, daß es das deine sei.

Das gute Karlchen, schnöd hinausgejagt
Aus Schlesiens Fluren, hatt' mit seinen Scharen
östreich'scher Helden stolz und unverzagt
Ein höchst pompöses Lager aufgeschlagen,181-2
An Schätzen reich für Herz und Magen,
<182>Daß sie so recht geborgen waren
Am Strand der Elbe, fast
Wie Mönche in der fettsten Klostermast.
Wenn ihnen nur das Preußenheer
Nicht immer auf den Fersen wär'!
Für jeden, der nicht auf den Ohren saß,
Ein schlechter Spaß:
Fern um des Lothringers Lager rundum
Der preußischen Trommeln Rumplum!

Vergebens packt er in die zähe Kette,
Die er, im starken Lager hart umstellt,
So gern zerrissen hätte.
Vergebens bricht er vor ins offne Feld:
Zersprengt in alle Winde und zerstreut
Muß er die Seinen immer wieder schauen,
Ganz außer Atem, lahm gehauen
Und fürchterlich zerbläut!

Und gramgebeugt, gelehnt auf Freund Rosières,182-1
Gleich Ares groß im Männermorden,
„Wo ist der Heilige nun, der mich erhöre?
„Wer, Teufel, hält die flüchtigen Horden
„Mir noch zusammen?“ seufzt er. „Immer wieder
„Hab ich's versucht — umsonst! Das wirft mich nieder:
„Der Kaiseradler kehrt aus jedem Strauß
„Gerupfter heim, und bald ist's gänzlich aus!“ —
„Prinz“, rief der fluge Freund, „was soll das Sorgen!
„Wer wird denn so langweilig Trübsal blasen?
„Wer weiß! Wer heute weint, der lacht schon morgen;
„Drum, Herr, die Ohren steif und hoch die Nase!
„Wer zwingt das Schlachtenglück?! Laßt's seinen Laufgehn
„Und seid vergnügt und laßt mal etwas draufgehn.
„Wir wollen uns heut mal was Besondres gönnen,
„Wer weiß, was morgen wird, das Glück ist blind:
„Ob wir nicht auch mal an der Reihe sind,
Den Feind zu überrennen!“

Gesagt, getan! Die langen Tische krachten,
Von guten Dingen voll, das gab ein Fressen!


<183>Dreißig Lakaien sprangen wie besessen
Mit leckren Schüsseln, die sie eifrig brachten.
In allen Farben sprüht es in den Bechern,
Der stürzt den Kapwein, wie man Wasser trinkt,
Der herben Pontac, der rubinrot blinkt,
Und sprühender Champagner löst den Zechern
Das Zungenband, macht sie zu wilden Sprechern.
Graf Saint-Ignon,183-1 in seinem Harnisch schwer,
Was schwatzt er für ein blödes Zeug daher!
Da, in der allgemeinen Heiterkeit,
Löst unserm Karlchen wie ein schwerer Bann
Sich von der Seele Gram und Herzeleid;
Schon fängt von seiner Liebsten jeder an.
Mein Karlchen lacht und lacht und trinkt und trinkt,
Sein Kopf ist bald von Weindunst ganz verblödet;
Er merkt nicht, wie ihm längst die Zunge hinkt,
Und schwatzt und prahlt und weiß nicht, was er redet.
Er zwinkert mit verklebten Äugelein,
Die Welt um ihn tanzt einen Ringelreihn;
Nun will er fort — doch es will nicht wie er,
Wie stehn ihm doch die Beine so verquer!
Er wackelt, purzelt, fuchtelt mit den Armen,
Bis ein paar Freunde seiner sich erbarmen;
Von denen wird er aufgesackt
Und in sein Federbett gepackt.

Die Trunknen schirmt der Himmel: sieh, da naht er,
Sein Beichtiger und Seelenheilberater;
Die Segensfinger zwei, die stets gereckten,
Zeichnen das Kreuz ob dem im Pfühl Versteckten.
„O heiliger Hieronymus! O Peter!“
Psalmengebrummel und Lateingezeter;
Davon wird unserm Sünder urbehaglich:
Gottlob, nun schlaf' ich endlich ein! Unfraglich!
Nichts ruft so schnell den Schlaf herbei
Wie eine schöne Litanei.
Man gähnt, in unserm Kopf wird's schwer und bleiern,
Man senkt das Kinn, und die Gedanken feiern,
<184>Die Lider fallen zu, auf geht der Mund,
Schon schläft man gründlich und gesund.

Nun war des Himmels, der Erde Bild
Vom schwarzen Schleier der Nacht verhüllt,
Die Eulen schrien — es klang ganz graulich —
(Uns war dieser Vogel stets wenig erbaulich!) —
Da kam wie auf leichtem Sperbergefieder
Ein neckischer Spuk. Er schwang sich hernieder
Zum Zelt, wo er schnarchte, der trunkene Prinz:
Ein Heiliger seines Zeichens und Standes,
Höchstselber der Heilige des Wenzellandes,
Der naht sich ihm leise: „Erschrick nicht, ich bin's!
„Ich habe von oben dein Leid gesehn
„Und komme herab, um dir beizustehn.
„Als Nepomuk hat man mich hierzulande
„Gekannt und geschunden — es war eine Schande!
„War hier mal als Beichtvater angestellt.
„Nun, da wird einem ja so manches erzählt,
„Was mancher gern wüßt' — du verstehst mich schon.
„Mein König, ein schäbiger, roher Patron,
„Wollt' an kein heiliges Gebot sich kehren
„Und alle Beichtgeheimnisse hören.
„Ich blieb bei meiner heiligen Pflicht.
„Da befahl wutschnaubend der Bösewicht:
„Hält er so ängstlich reinen Mund,
„Schneidet die Zunge ihm aus dem Schlund!
„Nun — einen richtigen Heiligen grämt das nicht sehr:
„Eine Zunge weniger oder mehr!
„Aber um auf dich zurückzukommen,
„Weshalb ich daher durch den Äther geschwommen,
„Wie ich da bin, vom Paradies —
„Was mich da aufgejagt hat, ist dies:
„All unsre Getreuen seh“ ich verzagt,
„Vernahm, wie du, mein Held, geklagt!
„Und meines Helden Jammergeschick,
„Der doch so ein guter Katholik,
„Will mir das Herz im Leibe zerreißen:
„Wie zappelst du in den preußischen Schlingen!
„Soll's denn dem verdammten Ketzer gelingen?
<185>„Denn ob sie mich gleich einen Heiligen heißen,
„Verzeih mir's Gott, ich habe noch heute
„Eine ehrliche Wut auf jene Leute,
„Die nie zu Messe und Beichte gehn:
„Schufte sind es und Übeltäter
„An Gott und der Menschheit, meineidige Verräter —
„Mit ihrem Alles-besser-Verstehn,
„Mit ihrem Spott über Heilige und Messe,
„Ihren armen Vernünftelein,
„Mit ihrer Aufklärung, ihrer Presse!
„Wie gerne brock' ich dem niederträchtigen
„Lumpengesindel, dem ganz verdächtigen,
„Mit euch zusammen etwas ein!
„Mit euch, meinen lieben, rechtgläubigen Kindern
„Aus Österreich und dem Ungarland!
„Es gibt einen Rat, eure Not zu lindern —
„Freilich, er liegt nicht just auf der Hand.
„Drum merk' fein auf: Kaum wird's euch gelingen,
„Die Preußen mit Gewalt zu zwingen;
„Du weißt, wie's euch ging; ich warne beizeiten,
„Laßt vom Heldenmute euch nicht verleiten!
„Mein Mittel ist von ganz besondrer Art:
„Sei dir denn das Geheimnis offenbart.

„Du weißt, mein Prinz, daß einst in Sturm und Streite
„Die hohe Feste Ilion
„Die göttliche Minerva feite.
„So hat auch Preußen sein Palladion!
„Sankt Genoveva und Sankt Hedewig,
„Die beiden heiligen Damen fanden sich
„Und schenkten jenen, euch zum Tort,
„Der Siege Unterpfand und Hort,
„Und zwar in der Gestalt — du rätst es nie! —
„Eines französischen Marquis;
„Kurz, das Palladion, auf mein heilig Wort,
„Es ist der dicke Herr von Valory!
„Traut keiner sich, den Schatz zu stehlen,
„Kann's denen drüben niemals fehlen;
„Schnappt ihr ihn weg durch ein Husarenstück,
„Zum Teufel ist dann Preußens Glanz und Glück,
<186>„Aus ist's mit seiner Glori!
„Drum holt euch den Valory!“

Und damit — hast du nicht gesehn!
Entschwand mit formlos eiliger
Empfehlung unser Heiliger;
Ein lautlos weicher Eulenflug
Ihn heimwärts trug
Ins Gnadenlicht der ewig reinen Höhn.
Mein Karlchen war wie vor den Kopf geschlagen:
Träum' ich? Hat sich das wirklich zugetragen?
O lieber heiliger Josef, welch ein Wunder!
Getrost, mein Herz, und zweifle nicht: Jetzunder
Mengt sich der Himmel drein, die Not zu enden,
Mit Rat und Tat! Bald wird sich alles wenden!

Schon öffnet mit Rosenfingern Aurore
Im Osten die Sonnentore.
Ins Morgengezwitscher der Vögel gellt
Trompete und Trommel durch Lager und Feld;
Die Krieger erwachen und rennen und schwärmen
Und stürzen den Frühtrunk mit Prahlen und Lärmen.
Welch lustiger Morgen! Ein Glückstag wird das!
Der Lothringer aufrecht im Bette saß
Und rieb sich die Augen — „He, lauf mal wer
„Und hole mir schleunigst meinen Rosieres!“

Der erschien. Drauf der Held: „Gleich steh' ich auf;
„Inzwischen, mein Lieber, spring und lauf,
„Laß deine klangvolle Stimme erschallen
„Und künde unseren Helden allen
„Den Anbruch der glorreichsten Morgenröte,
„Und daß ich sie unverzüglich entböte.“

Als erster kam Wallis,186-1 eine Nestorerscheinung,
Auch ein Schwätzer wie Nestor, stets anderer Meinung,
Ein Elsenschädel. Dann trat ins Zelt
Fürst Lobkowitz,186-2 ein gar stürmischer Held.
<187>Der Dummkopf Spada.187-1 Der Aremberger,187-2
Ein geistvoller Herr. Drauf Waldeck,187-3 wie immer
Bis oben geladen mit Wut und Ärger
Und greulich fluchend. Dann Stein,187-4 ein gar schlimmer
Spottvogel, berüchtigt durch Witzeln und Lästern.
Saint-Ignon, noch stark benommen von gestern.
Dann der sächsischen Herrlein wohlriechende Schar,
Das Maul voller Süße und immerdar
Die Höflichkeit selber, ich glaube, sogar
Ihr „Donnerwetter!“ klingt noch wie „zu dienen“.
Steif wie eine Kerze unter ihnen,
Glanzvoll, geschniegelt, wie auf Draht
Der Ritter von Sachsen.187-5 Zuletzt erschien
Versonnen, allein, er, der auf den Knien
Vor den Füßen der Heiligen und Marien
Gar oft vergessen, daß er Soldat:
Der fromme Böhme Kolowrat.187-6

Vor dieser auserlesnen Kriegerschar
Trat Karlchen wie ein kleiner Herrgott dar.
Von einem Schimmer Heiligkeit umwittert,
Das Antlitz von unirdischem Licht umzittert;
Das Haupt bedeckt, die Hüfte dolchbewehrt,
Gestützt auf sein gewichtig Heldenschwert,
Hub er jetzt hoheitvollen Tones an:

„Liebwerte Freunde, länger darf das
„So nicht dauern, das geht über den Spaß.
„Schockschwerenot! Jetzt kommen wir dran!
„Sind wir in Böhmen hier noch Herrn im Haus?
„Nun ist's genug, die Preußen müssen hinaus!
„Jawohl, ihr Herrn, ich weiß auch, wie man's macht:
„Mir ward eine Offenbarung diese Nacht!
„Jawohl! Und ohne Schwerthieb obendrein!
„Ihr staunt und fragt: Wie kann das möglich sein?
<188>„So hört: Mir hat's ein Heiliger anvertraut,
„Den ich in dieser Nacht geschaut!“

Drauf standen alle verdutzt und stumm,
Dann gab's ein Gemurmel und Gebrumm.
Vergebens machte Fürst Lobkowitz „pst!“
Er wollte was sagen! Doch das war ein Lärm,
Wie ein sumsendes Bienengeschwärm,
Dem keine Ruh zu gebieten ist;
Da muß man, ist's einmal aufgestört,
Abwarten, bis es von selbst aufhört.
So mußte auch hier in Geduld sich fassen
Der Lobkowitz und sie toben lassen.
Auf einmal war's dann wie abgeschnitten,
In tiefem Schweigen standen sie,
Wie um die Ungehörigkeit abzubitten —
Ein Mäuslein fuhr durch des Zeltes Mitten:
Man hörte es trappeln, das kleine Vieh.

Rief Lobkowitz: „So hübsche Geschichten
„Erzählt unser Karlchen, und ihr macht Spektakel!“
Schrien alle wie besessen: „Er soll uns berichten
„Von seinem Traum und von dem Mirakel!“

„Die Sache ist ernst, ihr Herren,“ begann
Von neuem Karlchen, „hört mich an!
„Es gilt nur, den Herren von Valory
„Dem Feind zu entführen; der dicke Marquis
„Allein macht die Preußen unüberwindlich;
„Erwischen wir den, dann siegen wir gründlich.
„Dann ist's plötzlich mit der preußischen Furchtbarkeit aus,
„Wir spielen die Katze, der Preuße die Maus.“

„Kinder,“ rief Saint-Ignon, „ich glaub',
„Der Prinz ist noch immer betrunken!“
Drauf der grobe Waldeck: „Mit Verlaub,
„Ich wär' in die Erde gesunken
„Vor Scham, hätte ich solche Ammenmären
„Erzählt. Ich pfeif' auf den Heiligenkram.
<189>„Im Schwert liegt das Heil, und wer mit Ehren
„Dem Tode trotzt, wird wundersam
„Den Seinen den Sieg bescheren.
„Wohlauf, mir nach, auf des Ruhmes Bahn:
„Zerschmettert soll der Preuße sich winden
„Uns unter den Füßen und knirschend fortan
„Der Nachwelt Waldecks Taten verkünden.“

Bei diesen höchst weltlichen Reden hat
Schon längst sich der fromme Kolowrat,
Gebete murmelnd, bekreuzt und gesegnet;
In heiligem Zorn er dem Spötter entgegnet,
Und kampflich die Eselsohren beide
Richtet er auf: „Daß dich doch, du Heide,
„Der Himmel strafe mit Feuer und Schwefel,
„Du Fürst, beladen mit Sünde und Frevel!
„Waldeck, ich sag' dir, an allen Himmeln
„Sind nicht so viele Sterne zu schauen,
„Wie der heiligen Männer und Frauen
„Endlose Scharen kribbeln und wimmeln!
„Freilich, sie würdigen nur gläubige Christen
„Der Gnade und Ehr' ihres Angesichts;
„Solch eines glaubenlosen, wüsten,
„Abgebrühten Taugenichts
„Harrt nur die Pein eines ewigen Gerichts!“

„Ha! Tod und Hölle!“ schäumt in Heller Wut
Jetzt Waldeck auf. „Mir das? Das fordert Blut!
„Zieh! Wärst du selber Mariens Sohn,
„Heimzahlt dir meine Klinge den Hohn!“

Mit klugem Wort trennt Aremberg die beiden:
„Wer wird so schnöde edles Blut vergeuden?
„Und müßt ihr's denn durchaus mal fließen lassen,
„Ist dies der Ort dafür: die Lagergassen?
„Nein, für ein Heldenlos von höherer Art
„Bleib' euer köstlich Leben aufgespart!
„Habt nur Geduld, für euren Blutandrang
„Ist mir um einen Feldscher gar nicht bang:
„Derselbe ist's, der sich nicht rückt und rührt
<190>„Von unserm Heimatboden; o, der führt
„Besänftigungsmittel mancherlei,
„Und gleich mit eurer Hitze ist's vorbei.“

So Aremberg, und seine Suada
Ergänzte der verdrehte Spada
Mit einer seiner Albernheiten,
Da lächelten sogar die Kampfbereiten.
Wo aber nehm' ich die Worte her,
Um würdig zu malen, wie Waldecks Groll
Mählich sich legte! Er war wie das Meer!
Das Meer, das im Sturme himmelan schwoll
Und lange noch brandet hinauf zum Strand —
Lange noch knurrte er nach!

Und der uralte Wallis sprach:
„Zu meiner Zeit hatte man mehr Verstand.
„Wenn damals im Kriegsrat des Prinzen Eugen
„Der Starhemberah190-1 sprach und kein Ende fand,
„Der bei jedem Wort euch Sentenzen spuckte,
„Den hätt' ich mögen sehn,
„Der da nur mit der Wimper zuckte.
„Zum Exempel, man hielt mal einen Rat,
„Der von Morgen zu Morgen gedauert hat —“
„Da habt ihr geschlafen“, sprach Spada. —
„Oho, keineswegs! Es geschah da,
„Daß der Plan gefaßt ward zu dem Tage,
„Der dann endete mit unsrer Niederlage —
„Hm! — bei Almansa.190-2 Auf jeden Fall:
„Mehr Haltung hatten wir dazumal,
„Und ich wünschte, die Heldenjugend von heute
„Hielt's wie wir dereinst, wir alten Leute!
„Das gute Karlchen, das uns herbeordert,
„In einem Kriegsrat uns was vorzutragen,
„Mit Recht jetzt ungestörten Fortgang fordert;
„Bedenkt, was sollte England190-3 dazu sagen,
„Und gar die Königin!“
<191>Mit höfischer Gebärde
Und mit Verneigung zur Erde
Der Sachsenherzog191-1 rief: „Sehr wahr, sehr richtig!
„Entführen wir denn Frankreichs Abgesandten!
„Welch Schimpf für Preußen! Unsre Räuberbanden,
„Für solchen Handstreich, denk' ich, sind sie tüchtig,
„Das liegt dem Pack schon besser als die Schlacht.
„Und ich, ob ich's schon halte mit Luthers Lehre,
„Bin gern dabei, wo Karl den Führer macht,
„Ich folg' ihm nach, und wenn's zur Hölle wäre;
„Auch alle meine Sachsen sich beteiligen.
„Versuchen wir's denn mal mit euren Heiligen!“

„Gotts Donner!“ schrie jetzt Waldeck zornentbrannt,
Sein Auge sprühte Blitze, und er kannt'
Schon keine Scheu und Ehrerbietung mehr.
„Wie eine Memme, Herzog, schwatzt Ihr daher!
„Bei Tisch, jawohl, seid Ihr ein grimmer Held;
„Doch da, wo seinen Mann ein jeder stellt,
„Vorm Preußen kriecht Ihr stets ins Mauseloch!
„Was ist's nur für ein Schreckbild, das sagt mir doch,
„Ihr Sachsen, he? Was für'n Gorgonenhaupt,
„Das flugs euch die Courage raubt?
„Wir sind das Gelächter der ganzen Welt:
„Seht doch, wird's heißen, die großen Führer im Feld,
„Seht doch, all jene Kriegerscharen,
„Die, das Blachfeld bedeckend, so zahlreich waren,
„Daß sie die Hölle mochten bezwingen,
„Ein Traumgesicht hat sie zu Narren gemacht,
„Ein Irrwischspuk um den Verstand gebracht:
„Sie wußten nichts mehr vom Niederringen
„Des streitbaren Gegners durch Waffengewalt,
„Wagten es nur noch mit Listen und Schlingen,
„Schwächlingskniffen und Hinterhalt!
„Und die Feiglingskünste, was frommten sie?
„Sie fingen einen dicken fränkischen Marquis!
„Das nenn ich eine Tat! O, ihr Gedächtnis
<192>„Bleibt unsrer Enkel schönstes Ruhmvermächtnis!
„Mit Fingern zeigt auf uns die Welt und lacht sich
„Den Buckel voll, und die Satire macht sich
„Aus unsrer Heldenherrlichkeit ein Fest —
„Kurz, was sich nimmer bemänteln läßt:
„Ihr bleibt, ihr Herren, der Bosheit der Welt
„Zum Gotterbarmen bloßgestellt.
„Soviel in zwei Worten. Das mußte mal raus!“

Der Lothringer zog die Stirne kraus.
„Waldeck! Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht!
„So sehr ich sonst Euch zu schätzen weiß.
„Wohlan, ihr Herren, ist's euch recht,
„So sitzt der Herr von Valory
„In dieses Lagers Bann und Kreis
„Heut abend lieber noch denn morgen früh!
„Also hat mir's der Heilige kund gemacht
„In dieser Nacht.“

Alle Helden schrien:
„Recht hat er! Soweit wäre die Sache gediehn,
„Doch ist das Ob entschieden, will's der Brauch,
„Daß man das Wie erwäge: Wie fangen wir's an?“

Und Waldeck wiederum: „Na schön, alsdann,
„Großdenkend wie ich bin, biet' ich mich euch
„Mit Herz und Hand für den erhabnen Streich.
„Ist euch damit gedient, noch diesen Tag
„Hol' ich, meinetwegen unter Trommelschlag,
„Euch den Valory mitten aus dem Heer,
„Dem stolzen, siegestrunknen; ja noch mehr:
„Mitten aus dem Lager, aus seinem Zelt,
„Wenn's euch gefällt.“ —
„Ihr übertrefft,“ spricht Karl, „mein Erwarten; solche Glut
„Beschämt all unsrer Helden Wagemut.“

Die Feldherrn rücken jetzt mit hundert Aber an,
Und dies geht nicht, und jenes kann nicht sein;
Auf Gegengründe läßt sich keiner ein,
Fährnisse vorn und hinten — ach, es kann
<193>Der Blitzstrahl hinten so wie vorne zünden —
Not, nichts als Not! Wer kann den Ausweg finden?

Der Lothringer, stets guten Rates Finder,
„Das ist was,“ spricht er, „für die Pußtakinder!
„Unsrer Husaren — sagen wir: zweihundert,
„Die reiten zu Marie Theresens Ehr'
„Und schassen fiugs uns den Valory her!“ —
„Von alledem,“ ruft Waldeck wie verwundert,
„Von alledem kann ich kein Wort versteht“;
„Es ist wohl nur Spaß! Zweihundert! Wie verhöhnt
„Käm' ich mir vor! Verdammt, man ist gewöhnt,
„Als Führer ganzer Heere mich zu sehn!
„Zweihundert Husaren! Daß ich nicht lache!
„Das wäre vielleicht für Saint-André193-1 eine Sache.“

„Danke gehorsamst, Hoheit,“ spricht mit Neigen
Saint-Andre, „ich überlaß die
„Besondre Ehre dir, Nadasdy,193-2
„Dem Ungarnführer. Kannst der Welt mal zeigen,
„Was an dem kühnen Ungarmute dran ist.“
Der Ungar aber, höflichst rückwärts weichend,
Spricht, seinen dicken, schwarzen Schnauzbart streichend:
„Ob nicht Dessewffy 193-3 eher der rechte Mann ist,
„Der junge Held, für solch ein Reiterstück?
„Neidlos tret' ich vor ihm zurück.“
Karl sieht nun wohl: Hier will sich jeder drücken,
Sich jeder retten hinter Nachbars Rücken;
Da gilt ein Machtwort, und er spricht: „Wohlan,
„Noch heut', so ist mein Wille, soll's geschehn!
„Dessewffy übernimmt's.“ Er eilt voran.
Die andern Helden wollen gehn,
Als Saint-Ignon, noch immer nicht
Ganz nüchtern wieder, lacht und spricht:
„Ach, Karlchen, was ist der Soldat?
<194>„Was er gefrühstückt hat!
„Der Teufel schlage sich mit leerem Bauch;
„Speisen wir, Prinz, Homer rät's auch!“
Was half's? Sie aßen, es knurrte der Magen.
Den letzten Brocken, halb gekaut,
Hinter den feisten Backen verstaut,
Vollgefuttert bis an den Kragen,
Nicht minder voll von süßem Wein,
Unter Getorkel und Rempelein,
Brachen sie auf, den Strauß zu wagen.

Zweihundert Husaren,
Verstärkt durch Tartaren,
Auf Rennern, so flüchtig wie Sturmwind und Wetter,
Verlassen das Lager beim Iubelgeschmetter
Von hundert Fanfaren.
Nun fragt ihr: Wer waren —
Es klingt schier nach Barbaren! —
Der Reiter,
Der Streiter
Unheimliche Scharen?
Ulanen, so heißt man das schlimme Gesindel.
Man weiß auch, sie fressen kleine Kindel,
Kahlschädlig, stumpfnasig, nicht anzusehn,
Und stark! Da gibt's kein Widerstehn.
Die Augen funkelnd in Mörderlust,
Mit nackten Armen und nackter Brust,
Die lange Lanze in der Faust,
Die scharf gespitzte, mit wüstem Geschrei
Die Lüfte erfüllend, so stob das vorbei —
Ein Volk, davor einem graust!

Aber da drüben auf preußischer Seite,
Wo getreu auf der Hut
Jede Wacht ihre Schuldigkeit tut,
Erspäht man gar bald, wie in dämmernder Weite
Feinde zerstampfen den frischgrünen Plan.
Flugs Meldung zum Feldherrn: DieÖsterreicher nahn!
Der kommt und sieht sich die Sache an:
Von feindlichen Reitern das Blachfeld bedeckt!
<195>Ein Ungarkerl, der durchgebrannt,
Belehrt ihn, was das Ganze bezweckt:
„Paßt auf, heut' erlebt ihr noch allerhand!
„Der Lothringer Prinz hätt' gar zu gern
„Euch einen gewissen französischen Herrn —
„Ich weiß nicht, Gesandter ist er wohl —
„Der in eurem Lager hier Hausen soll,
„Fein weggeschnappt und ausgespannt,
„Hat drum ein Streifkorps ausgesandt.“

Nun weiß der König genau Bescheid
Und hält zum Empfang eine Streitmacht bereit:
Dragoner und leichte Reiterei.
Doch eine reisige Schar ist dabei,
Der Preis und Ehre vor allen gebührt:
Ein Ritter ohne Furcht und Tadel sie führt,
Chasot,195-1 der Held aus der Normandei;
Haudegen alle und kampfbewährt.
Hei, wie das schwärmend, die Zügel verhängt,
Aufgelöst über das Blachfeld sprengt;
Ruft der Führer, sind sie zur Stelle,
Schließen die Reihen sich blitzesschnelle.
Weh nun dem Feinde! Das fährt.
So er sich widersetzt,
Auf ihn hernieder jetzt,
Wie Wetterschlag — in jeder Klinge droht
Der sichre Tod.

Nun rücken sie von hüben und von drüben
Sich langsam näher. Jetzt heißt es aufgepaßt,
Wer am geschicktesten den andern faßt
Mit List und Witz, durchtrieben und gerieben.
Der Preuße lacht: „Gemach, ich glaube gar,
„Das denkt, es führt mich an der Nase herum!“ —
„Ich bin erkannt! Er ist gar nicht so dumm!“
Flucht der Magyar.

Am Hange zweier Hügel aufgestellt,
Beherrscht das Preußenlager weit das Feld.
<196>Wie ein Löwe aus seinem Felsenschacht,
So halten die Legionen Wacht,
Und mit verhaltnem Blutdurst, in krampfhafter Ruh
Schaun sie dem Österreicher zu,
Den sie von fernher nahen sehn.
Ihr rechter Flügel hält die Bergeshöhn;
Der linke, quer durchs flache Land gedehnt,
Steht unten an die Elbe angelehnt.
Im Lager unangreifbar, wohlgeborgen,
Hat Preußens Heer vom Feind nichts zu besorgen.

Dessewffy schweifte durch der Ebene Weiten,
Besah im Umkreis die Gelegenheiten,
Da wandelte ihn ein Gedanke an,
Ein schmeichelndes Vielleicht, ein neuer Plan:
Chasot kommt näher — recht so! Lauernd späht er,
Tänzelnd den Gaul auf der Hinterhand dreht er,
Nun rasch die Sporen, und er sprengt ihn an,
Schon vor ihm hält er, Mann gegen Mann.

„Ich bin der tapfere Dessewffy,“ spricht er,
„Zweihundert Kühe nenne ich mein und mehr
„Daheim bei mir — im Feld bin ich erpichter
„Auf Rosse, und was sonst zu Nutz und Ehr
„Dem Feind ich abgenommen. Nun, und du?“ —
„Chasot heiß' ich,“ ruft ihm der andre zu,
„Und bin der Ausbund aller Tapferkeit;
„Wohl hundert Scheffel Äpfel hat und mehr
„Daheim mein Vater; aus Frankreich weit
„Von der Normannen Küste stamm' ich her,
„Vom Lande Caux. Doch nun, wohlan, o Held,
„Dem sei des Tages Ehre zuerkannt,
„Der hier an Mut den anderen bestand!
„Komm an! Auf uns zwei beide schaut die Welt!“

Schon kracht des Ungarn Karabiner los,
Die Kugel pfeift vorbei am Kopf Chasots.
„Du hast's recht eilig, Freund, ins Gras zu beißen!“
Ruft Chasot aus. Schon trifft sein Eisen
Des andern Rückgrat, doch der Hieb
<197>Fiel flach. Dessewffy, der im Sattel blieb,
Reißt flugs den Gaul herum, sein krummes Schwert
Holt aus zum Kopfhieb; doch der Preuße wehrt
Der Ungarklinge, und sie trifft das Pferd.
Es strauchelt, stürzt, und wie vom Blitz gefällt
Mit seinem Roß zu Boden sinkt der Held.

Jetzt bist du mein! denkt schon der Ungar — da
Reißt's ihn zurück: Ruesch,197-1 der das Unheil sah,
Der Wackre, hat ihm einen Stoß versetzt!
So blieb der tapfre Chasot unverletzt
Bis auf den Daumen, den er sich verrenkt.
Schnell ist er auf den Beinen und, nicht faul,
Sitzt er im Sattel einem Polengaul.

Doch der Ungar, schlau wie er war,
Detachiert einen Teil seiner Schar,
Der das preußische Lager zur Rechten
Umgeht, während er mit Scheingefechten
Den Feind in Atem hält, damit inzwischen
Seine Mannschaft von hinten herum
Das ersehnte Palladium,
Den dicken Herrn aus Frankreich, kann erwischen.
Dort waren indes mit gutem Bedacht
Die Preußen gerüstet und scharf auf Wacht.
Karlchen und seine östreich'schen Herrn
Verfolgen durchs Glas mit Spannung von fern
Den Kampf ihrer streitbaren Recken —
Valory, dir hilft kein Verstecken!

Da stürmen, geschlossen Mann an Mann,
Von allen Seiten die Preußen an
Und drauf auf den Feind — schon wankt er und weicht er!
Der Ungar sieht es und jagt durch die Reihn,
Sucht sie zu halten mit Schelten und Schrein:
„Zu mir her, Husaren!“ Doch nichts erreicht er,
Es geht drunter und drüber und querfeldein.
Hei, trank heute der grimmige Preußendegen
<198>Ulanenblut, das in Strömen stoß!
Tod sah man und Sterben allerwegen
Im Graus dieser Flucht, die wild sich ergoß,
Und Glieder, vom Rumpfe getrennt.
Das jagt und das stürzt und das rennt
Besinnungslos über Stock und Stein,
Und jauchzend die Preußen hinterdrein.

Nun aber, Muse, künde uns an:
Welch Heldenwerk hier Chasot getan.
Wie er hier Köpfe springen ließ,
Hinterm Reißaus der Husaren
Unentrinnbar einhergefahren,
Den aus dem Sattel hieb, den durchstieß.
Vor seines Flambergs Sausen
Stob rasende Flucht und zitterndes Grausen.
So ist im Bilde Jupiter zu schaun,
Seiner Blitzwaffe froh,
Wie hier die Steppenreiter Chasot
In die Pfanne gehaun.

Da muß mein gutes Karlchen ebenfalls
Samt Prinzen und Helden schleunigst sich bequemen,
Die Beine in die Hand zu nehmen,
Eh' ihm der trutzige Feind kommt auf den Hals.
Es war wie eine lustige Hasenhatz:
Wie wenn von seinem warmen Ruheplatz
Das Häslein aufgejagt von hinnen fegt;
Hals über Kopf, denn gräßlich nah schon gellt
Der Meute Kläffen übers weite Feld.
Hui! wie mein Häslein die Läufe regt,
Hui! das stiegt über Gräben und Hecken!
Lang ausgreifend die Hunde sich strecken,
Gilt's doch, das Wild beizeiten zu fassen:
Wenn's erst den Wald gewann, müssen sie's lassen.
Wer vergebens die tolle Jagd,
Das Häschen hat sich in Sicherheit gebracht!
Also flohn sie nach allen Enden
Vor unsres hochgemuten Chasots

<199>

Mehr denn alkidenhaft würgenden Händen, Bis sie alle, Ulanen und Husaren, Wacker verfluchend das Schlachtenlos, Im Lager angekommen waren.

<200>

Zweiter Gesang
Der Rat der Himmlischen

Freunde, laßt euch raten: Nur nicht lästern!
Satire ist nun mal ein tödlich Gift;
So manchen muntren Witzbold, der erst gestern
Sein Liedchen pfiff, schon heut die Rache trifft:
Da beißt's ihn selber, eh' er sich's versehn,
Und um den Spötter ist's geschehn.
Was soll man gar zu jenen Schreibern sagen,
Die sich, laut Vollmacht vom Parnaß,
Mit ihrem allzu dreisten Spaß
An das, was andern heilig, wagen!

Nie hätt' ich solch ein Wagnis unternommen!
Spaßhaftes gibt's genug sonst in der Welt;
Weh dem, des Sünderhaupt der Zorn der Frommen,
Der Schwarm der Unheilsvögel überfällt!

Uns weist Natur auch hier die rechte Bahn,
Natur und ihr Gesetz, die unverstellt,
Schlicht, rein und schön, sich all den trüben Wahn
Abgött'schen Aberwitzes ferne hält;
Die uns den Höchsten anzubeten lehrt
Durch frommen Kult, darin ihn Liebe ehrt.

Wenn ich jetzt kühnlich der Seligen und Götter
Schimmernde Höh, den „Olympus,“ erkletter',
Glaub, Leser, nicht, daß ich den „Himmel“ mein'!
<201>Nicht doch! Nur läßt sich's so freier schalten,
Unbefangner mit jenen Gestalten,
Die der Betrug, der Irrtum erdacht,
Die Irrgeist sich zurechtgemacht;
Nein! Jene mein' ich allein.

Alles, was wir, die hier auf Erden
Kriechen, erleben an Beschwerden,
Zänkerein und Interessen,
Kriegen, Hadern und Prozessen,
Alles irdische Geschehn
Ist schon längst vorhergesehn
Im Ratschluß jener Himmlischen alle,
Die da thronen in der olympischen Halle.

Die beiden Völler also ebenfalls,
Die wie die Helden in Vorzeittagen
Einander ergrimmt in den Haaren lagen
Auf einem Fleckchen des Weltenballs,
Sie blieben vor dem Olymp zwar versteckt,
Doch wurden sie von den Heiligen entdeckt.
Da gab es ein eifernd Hin und Her,
Sie sprachen fast von nichts anderem mehr,
Ein jeder Heilige ergriff Partei;
Und hieß es da: „Hie gut Österreich!“ —
So klang von drüben allsogleich
„Hie Preußen!“ das Feldgeschrei.
Was an Heiligen aus Frankreich stammt,
War füglich für die Allianz201-1 entflammt,
Doch die an der Donaustadt goldnen Altären
Gefeiert werden und drunten in Mähren,
Die sagten: „Der Lothringer ist unser Mann!“

Der Herr beordert
Den Erzengel Michael und fordert
Durch diesen Getreusien — stets muß er springen
<202>Bei wichtigen Dingen —
Das ganze himmlische Reich
Vor sein Angesicht, und zwar sogleich.

Und der gute Vater hebt an:
„Ihr Herren, sobald ich euch kundgetan,
„Was mir's hier gilt, um was sich's dreht,
„So denke ich, daß sich's von selbst versieht,
„Daß jedermann mir freudig beweist,
„Es lebe in ihm noch der alte Geist.
„Noch niemals braucht' ich, das darf ich wohl sagen,
„Hier solche Tonart anzuschlagen;
„Doch es muß mal heraus, denn, leider, die Sache
„Führt schon eine allzu vernehmliche Sprache:
„Die Sache ist's, die zum Himmel schreit,
„Was ihr für pflichtvergessene Heilige seid!
„Ihr, die ich weiseren Sinnes geglaubt,
„Ihr wagt's, ihr erhebt das Empörerhaupt
„Mitten im Paradiese drin!
„Weil jeder versieht, zu schwadronieren,
„Vermeint er, er könne die Welt regieren?
„Was denkt ihr, wozu ich im Himmel bin?

„Guck' ich da gestern ein Stündchen vom Himmel,
„Zieh' mir mein langes Fernrohr aus:
„Seh' ich da auf dem Planetenkrümel
„Zwei Nationen in wildem Strauß
„Sich katzbalgen in buntem Getümmel:
„Ein Sandkorn schließlich, um das sie sich raufen!
„Flugs bilden sich hier oben zwei Haufen.
„Jeder, verrannt in den albernen Wahn,
„Der Streit da unten ging' ihn was an.
„Jeder zieht seinen Strang allein,
„Alle Gemüter sind erhitzt,
„Leidenschaft jedes Auge blitzt;
„Und nach Willkür fährt jeder mir drein:
„Den befehde, den beschütze,
„Hüben schade, drüben nütze!
„Und da soll man nicht zornig sein!
„Soviel jedenfalls bitt' ich mir aus:
<203>„Hier sind Ordnung und Friede zu Haus,
„Hier ist kein Ort für Umsturz und Ränke;
„Hier wünsch' ich selber, so wie ich mir's denke,
„Meiner Menschen Geschick zu gestalten.
„Ihr aber habt den Mund zu halten!
„Ich gebiete Ruhe dem frechen Geschwärm,
„Das wie Hornissen, mit dumpfem Gelärm,
„Auftührerisch und wild,
„Hier alle Lüfte füllt.“

Sprach's, und die Blicke zu Boden gesenkt,
Die Knie geknickt,
Die Nacken gebückt,
Die Finger im Krampf ineinander verschränkt,
Standen die Heiligen mit Demutblick,
Verfluchten im stillen ihr Ohnmachtsgeschick.
Grabesstill war es, man konnte fragen:
Haben sie denn die Sprache verloren?
Ist ihr Redesprudel denn festgefroren?
Sind sie verwunschen? Totgeschlagen?
Doch da nun allem sein Ziel gesetzt,
So atmete man
Auch von der lähmenden Angst zuletzt
Noch einmal auf, da sank der Bann,
Und das Bächlein rann,
Und mit frischer Kraft ward drauflosgeschwätzt.

Und schon trat Meister Borromäus vor:
„Mein hoher Herr, nun gönnt ein gnädig Ohr
„Dem Wort, das einer der Unsterblichen
„Vom Weltlauf drunten, dem verderblichen,
„Gehorsamst hier vor Eurem Throne wagt.
„So sei's denn grab heraus gesagt:
„Das östreich'sche Heer
„Und was noch mehr:
„Meines Namens Ruhm,
„Meine Heiligenehre,
„Mein Dienst mit allem Dran und Drum,
„Meine Kapellen, Altäre —
„Das alles geht in Rauch und Schutt
<204>„Noch heute auf, wenn dein Strafgericht
„Gewissen Verbrechern nicht Einhalt tut!
„O Herr, verwirf meine Bitte nicht!“

„Recht hat er,“ sag' ich, „in jedem Stuck!“
Rief laut der böhmische Nepomuk.
„Wollt Ihr denn, wie in Eurem Haus,
„All unser heilig Eigen da drauß,
„All unsern Besitz, all unsre Ehr'
„Preisgeben dem blöden Ungefähr?
„Der Östreicher, wie Ihr seht,
„Meinen Wert zu schätzen versteht;
„In dem ungeheuren Heiligenhaufen
„Ist nicht ein einziger so überlaufen,
„Mit Opfergaben, Bildstöckeln geehrt,
„Wie's im Böhmerlande mir widerfährt!
„Man weiß dort gewissermaßen,
„Was mir gebührt: Reist hin und schaut —
„Auf jeder Brücke, allen Straßen
„Haben sie Steinbilder mir gebaut;
„Wehe dem Wandrer, der seinen Gruß unterlassen!
„Wenn aber die ungläubigen Hunde —
„Sie glauben, o König, ja kaum noch an Euch! —
„Wenn die Preußen in einer unseligen Stunde
„Siegreich den Trost von Österreich,
„Den Lothringer, gänzlich zum Teufel jagen —
„Wer wird dann nach meinen Festen noch fragen?
„Doch dann nehmt Euch selber in acht, mein König,
„Im Ernst, Euch geht's auch an, und das nicht wenig!
„Ich sag' Euch, mich läßt man zuerst dran glauben,
„Läßt mich elend in meiner Nische verstauben,
„Und bin ich erst zu Falle gebracht,
„Versucht sich der Preuße an Eurer Macht!“

„Still, Schlingel!“ rief Wenzel wutentbrannt,
„Schönschwätzer du, dem die Zunge fehlt,
„Hast du nicht dereinst um mein Reich, mein Land
„Spitzbübisch mich geprellt?
„Der Böhmen Schutzherr war ich allein,
„Da fiel dir's eines Tages ein,
<205>„Du Wicht, mit elenden Fälscherlisten
„An meiner Stelle dich einzunisten!“

Calvin und Luther baten warm
Für Preußen. Genoveva und den Schwarm
Der französischen Heiligen
Sah man sich flehend beteiligen.

Doch sieh, welch holdseliges Frauenbild
Vorm Thron der Allmacht jetzt erscheint,
Welch Augenaufschlag, demutmild!
Kein Mägdlein lebt in den seligen Scharen,
Das so mit rührendem Gebaren
Sieghafte Schönheit vereint:
Die heilige Hedwig ist's, es bricht
Der Glaubensinbrunst reinstes Licht
Aus ihren Wunderaugen beiden,
Da sie vor Gott tritt holdbescheiden.
Wer sieht's dem süßen Munde an,
Daß er im Kampf, der das Böhmerland
Verheert mit wildem Schreckensbrand,
Das Wort des Schicksals sprechen kann?
O einzig Bild, wie ihr Knie sich biegt,
Zu Gottes Füßen sie sich schmiegt,
Die eine Hand seine Knie umfängt,
Liebkosend empor sich die andre drängt.

„O Herr, all meine Hoffnung sieht bei dir,“
Sprach sie. „In der Jugend schon gabst du die Stärke mir,
„Die von der Erdenschwachheit mich befreite
„Und mich zur Heiligen machte an meines Gatten Seite.
„Nun sieh mir bei und laß die Meinen
„Von deiner Gnade Sonne bescheinen.
„Wenn sie auch nicht viel nach Heiligen ftagen,
„Von Liebe zu dir wissen alle zu sagen.
„Die Meinen, Herr, das sind die Preußen,
„Von meinem Blute echteste Sprossen,
„Sie sind es, die ihre Könige heißen:205-1
<206>„O, gib es nicht zu, daß irgend einer
„Von den Heiligen, irgend ein schäbiger, kleiner,
„Mit ihnen treibt seine groben Possen!
„Über sie all deine Fittiche breite,
„Denn du bist's, nur du, dem Hedwig sich weihte!“

So flehte ihr süßer Schmeichellaut.
Wann ward ein Frauenleib erschaut
So aufgelöst in rührendem Flehn!
Wer könnte der Einzigen widersteh?
„Weil du so bittest,“ sprach Gottvater da,
„So will ich willfahren deinem Begehr.
„Dir zu versagen ein williges Ja,
„Wär' selbst dem hyrkanischen Tiger schwer.“

Womit er zu Genoveva sich kehrt:
„Wohlan, du nimmst mein Flammenschwert,
„Das grause, damit in Vorzeittagen
„Mein Racheengel die Philister geschlagen,
„Und unterstützest in allen Dingen
„Der Preußenkrieger heldisches Ringen,
„Dieweil sie die Kinder und Kindeskind
„Von dir, mein reizendes Töchterchen, sind.
„Du, liebe Hedwig, sollst denn allein
„Die Herrin über das Schicksal sein:
„Schlag immer die stolzen Östreicherheere,
„Doch den gesegneten Deinen mehre
„Kriegesgewinn und Ehre,
„Ruhm und Gedeihn!“

Laut erscholl sein Machtgebot,
Viel herrischer denn Donnerklang;
Durch Mark und Bein es allen Heiligen drang,
Schuf ihnen Verwirrung und Herzensnot.
Der Engel rief: „Ihr seid entlassen! Sogleich
„Verfüge sich jeder in sein Reich.“

Da ward geschoben, gestoßen, gedrängt,
Beim schleunigen Aufbruch der Heiligen all —
<207>Wie wenn zu Grodno mit wüstem Krawall
Ein Veto den polnischen Reichstag sprengt.207-1

<208>

Dritter Gesang
Dargets Entführung208-1

Es gibt ja nichts als Glück und Malheur!
In dieses verworfnen Jahrhunderts Tagen,
Mit Blindheit geschlagen,
Strolcht die Göttin Fortuna umher,
Um den Nichtsnutz und den Lumpen zu krönen.
Die Tugend, die in vollen Tönen
Ein jeder predigt, jeder preist,
Sie bleibt im Banne der Armut zumeist,
Verkauft und verraten dem Ungefähr,
Muß in Ketten geschlagen
Schimpf und Schande ertragen.
Und ob man ein Held gleich wie Cäsar wär',
Pompejus, Scipio oder die anderen Großen —
Hat das Geschick deinen Fall mal beschlossen,
Eine Zeitlang magst du brav um dich schlagen,
Endlich kriegt es dich doch beim Kragen.

Leichtherziger Leser, du glaubst mir's nicht?
So höre meine traurige Geschicht,
Vernimm den Jammer und das Weh,
Die widerfuhren dem armen Darget.
Nie kann ich den traurigen Fall vergessen,
Noch heute will er mir Tränen erpressen!

So hört! Auf österreichischer Seiten,
Wo alle Pläne ins Wasser gefallen,
Gab's unter vielem Erörtern und Streiten
<209>Lange Gesichter bei allen.
Was litt das arme Karlchen für Pein
Unter dem Hohn des bissigen Stein!
Was ließ der an spöttischen Geistesblitzen,
Plumpen Späßen und boshaften Witzen
Auf unfern armen Lothringer flitzen;
Das machte die Runde
Von Mund zu Munde.

Schon hebt das Untier, der Vogel Klatsch,
Sich auf zum Weltenflug, um all den Tratsch,
All die Verleumdung auszustreun.
Das Scheusal scheint zu Anfang klein,
Doch eh' man's denkt, so reckt es sich,
Und auf zum Himmel streckt es sich,
Und stößt es da oben an mit dem Schädel,
So streift es die Hölle mit Klauen und Wedel.
Das fabelhafte Federvieh,
Es ruht sogar im Fluge nie:
Da schnappt es auf, was hie und da
Noch etwa in der Welt geschah,
Und was die Leute dazu sagen.
Es soll — was ich ein Wunder nenne,
Wie ich's unheimlicher nicht kenne —
Soll unter jeder Feder tragen
Augen, Ohren, Münder!
Von Aufgang bis zum Niedergang
Zieht's so die ganze Welt entlang,
Und was da wahr ist, doch nicht minder
Was nur geträumt, was nur erlogen,
Was ganz geheim, was niemand weiß,
Das schreit es aus und gibt es preis.
So kam's laut schreiend auch geflogen
Zum beiderseitigen Lagerfeuer,
Das niederträchtige Ungeheuer.

Das gute Karlchen seufzte schwer und tief.
„Ist das mein Lohn?“ der Wackre rief.
„So treu den Heiligen ergeben,
„Ernt' ich in diesem irdischen Leben
<210>„Nur Not und Plage!“
Doch zu ihm trat
Freund Kolowrat:
„Prinz, keine Klage!
„Wer nimmt sich zu Herzen des vermaledeiten
„Jammertales Verdrießlichkeiten,
„Wenn ihm bestimmt der Unsterblichkeit Krone,
„Seiner Gottseligkeit zum Lohne?
„Die ja doch dem nur zugedacht,
„Den die Welt tat in Bann und Acht!
„Heil, wen das Leben zwickt und brennt und kneift,
„Der so dem bessern Sein entgegenreift!“

Der ritterliche Rosieres vernimmt
Das fromme Gesäusel und schilt ergrimmt:
„Potzblitz, heißt das wohl soldatisch gesprochen?
„Das kapuzinerhafte Salbadern?
„Mein Prinz! Ihr habt doch noch Mark in den Knochen,
„Mut in der Brust, Glut in den Adern!
„Ich sag' Euch: Die Nacht darf herauf nicht kommen,
„Eh' Ihr nicht für die Kränkung, die schwere,
„Sühne geschafft und Rache genommen —
„Die Kränkung des Himmels und Eurer Ehre!“

Dem Lothringer gab dies Männerwort
Erneute Zuversicht sofort,
Und er sprach: „Die Geschichte war scheußlich peinlich!
„Wie wär's, wir machen es wieder wett?
„Daß es um Kopf und Kragen gleich geht,
„Ist kaum wahrscheinlich!“
Da gab's im Lager ein Hin und Her,
Wie das wohl am besten zu machen wär';
Zuletzt ward Franquini, ein rauher Kroat,210-1
Erwählt zum Vollstrecker der Tat.
Drauf unverweilt,
Den Handstreich beizeiten
Recht vorzubereiten,
Wurden die nötigen Befehle erteilt.
<211>Schon wähnte Nepomuk auf seiner Brücken,
Er braucht' sich nach dem Siege nur zu bücken,
Doch Hedwig lachte seiner Sicherheit
Aus Herzensgrunde, und sie mußt' warum:
„Nur zu! Was gilt„s? Ihr kommt nicht allzu weit
„Mit eurem Anschlag, er ist gar zu dumm!“
Mit einem Blicke liebewarm
Nahm sie Genoveva beim Arm:
„Mein liebes Schwesterlein, vernimm,
„Mit meinem Französisch sieht es sehr schlimm!
„Ich habe keine Lust, mit Barbarismen,
„Groben Schnitzern und Germanismen
„Der Dienerschaft des Pariser Marquis
„Einen Spaß zum besten zu geben,
„Daß sie mich auspfeifen überdies;
„Darum wär's wohl das beste eben,
„Wenn ich das Wichtigste dir überließ“:
„Gib Kunde ihm, der noch nichts ahnt,
„Was der Franquini wider ihn geplant.
„Er soll sich verschanzen auf alle Fälle
„Inmitten der preußischen Lagerwälle.“

Da eilte die göttliche Schirmerin
Der Seinestadt durch die Lüfte hin;
Doch ehe sie zum dicken Marquis gekommen,
Hat sie eine andere Gestalt angenommen:
In einem Gewande nach welschem Schnitt,
Trat sie daher mit Stutzerschritt,
Ein Adonis, ein Kerlchen wie Milch und Blut,
Apoll an Wuchs und blondem Schopf,
Ein allerliebster Lockenkopf,
Die Nase hoch, die Augen blitzen;
Ein Lächeln voller Schelmenübermut.
An Hals und Ärmeln reiche schöne Spitzen;
Wie straff ihm seine weißen Strümpfe sitzen!
Die Schuhe mit roten Hacken verziert,
Den Rock mit Tressen und Litzen verschnürt.

Eben erging sich der dicke Marquis
Am Elbstrand mit seinem geliebten Darget.
<212>Trat zu ihm die Heilige: „Freund Valory,
„Ich hatte für Euch was übrig von je,
„Obschon Ihr ein Schürzenjäger seid
„Und ein Freund der leichten Weiblichkeit.
„Wenn Ihr nicht gar so unklug wärt,
„Daß man Euerwegen in Angst muß schweben,
„Hätt' ich mich nicht damit beschwert,
„Euch in Person einen Wink zu geben.“

„Kommt da solch kleiner Bursche an,
„Der zur Not einen Liebesbrief schreiben kann,
„Mit weisen Lehren! Solch Gernegroß'“
Lacht Valory, völlig ahnungslos.

Und sie darauf: „Denkt, was Ihr wollt!
„Nur so viel: gebt in dieser Nacht
„In Eurem Zelte sorglich acht,
„Daß nicht der Österreicher Euch holt,
„Der sich den Streich längst ausgedacht!“

Valory findet das äußerst spaßig:
„Der Tausend! Sagt, woher wißt Ihr das,
„Was erst geschehn soll? Mich holen! Was!
„Ich sag' dir, mein Junge, den Frechling, den faß ich!
„Nein, hör' mal, der Einfall ist zu verdreht!''
Auf einmal — Zeichen und Wunder! — ersieht
Ein schimmernder Lichtkranz, ein schwebender Schein,
Der Leib der Heiligen wird ätherfein,
Ein Luftgebild, wie ein Hauch, der verweht.
Der gute Darget verdonnert sieht
Mit offnem Mund; und wie vom Schlag
Getroffen, der dicke Marquis vermag
Kein Glied zu rühren, von Schreck wie versteint;
Zuletzt seine Geister sammelt er
Und wie von Sinnen stammelt er,
„Himmelsspuk holder, wie ist das gemeint?
„Seid Ihr ein Engel? Ein Höllengeist?
„Habt die Gewogenheit, sagt, wie Ihr heißt!“
Drauf unsre gütige Heilige spricht:
„Genoveva bin ich, erkennst du mich nicht?
<213>„Dich zu retten, mein Schützling, komm' ich geschwind,
„Weil ein Heiliger, ein Erzschelm, auf dein Verderben sinnt.“

„Heilige, mein Hoffen ist all bei dir!“
Andächtig sank er zu Füßen ihr,
Bekreuzte sich ftomm und schlug sich die Brust;
Zu dreien Malen in Glaubensverlangen
Ihre Knie wollt' er umfangen,
Zu dreien Malen sie lassen mußt',
Die wie ein Traumbild im Arm ihm zergangen.
Fort war sie, fort. Was nun anfangen?
Ob's nicht geraten, der Sicherheit wegen
Für diese Nacht das Quartier zu verlegen?

Da war, nah am Lager, ein kleiner Flecken,
Und auch für ihn kam einmal der Tag,
Da ward er berühmt mit einem Schlag:
Iaromircz
(Dafür ist kein Reim auszuhecken).
Wie soll ich) diese verlaßnen Mauern beschreiben,
Um der Geschichte nichts schuldig zu bleiben?
In diesem Nest, obwohl solche
Behausung für Savoyardenstrolche
Kaum anstehn mag, bezieht nunmehr
Unser Marquis sein Losament,
Und meint noch wunder, wie schlau er wär'!
Wo ihm von einem erlesenen Regiment
Ein Posten ward vor die Tür gegeben,
Zu behüten sein teures Leben
Und zu bewahren die Gegend rundum
Samt dem großen Palladium.

Doch hört, wie als Abgrund von Witz und Geist
Sich jetzo Frankreichs Gesandter erweist!
Was sagt ihr? Am vorderen Tor
Schob er den Riegel davor,
Die Hintere Tür indessen,
Wo die Entführung offenbar
Am leichtesten zu machen war,
Hat er zu schließen vergessen!
<214>Saß der Verrat doch sowieso
Unter dem Dach von faulem Stroh;
Denn der Wirt war bestochen schon
Von Franquini um schnöden Lohn.
Zwei Räume barg das traute Dach:
Der vordre ward das Schlafgemach
Des braven Sekretarii,
Im hintren ruhte der Marquis.

Kaum ist es finster worden, liegt im Bette stracks
Valory und schläft wie ein Dachs;
Im Nebenraume bettet sich Darget,
Der seiner Heldentaten stolze Koryphä':
Fromm noch den Rosenkranz durchlief er,
Dann schlief er.
Da — himmelhernieder durch die Nacht
Herschwebt der heilige Stephan 214-1 sacht,
Und setzt sich unserm biederen Tropf
Im ersten Schlaf grab auf den Kopf.
„Ei, ei, mein Sohn, sie wollen dich greifen!
„Ich seh' im Feld da draußen, geführt
„Von dem Halunken, eurem Wirt,
„Schon lange den schlimmen Franquini streifen!
„Und du — du schläfst hier wie ein Dummer?“
Darget erwacht aus seinem Schlummer
Mit einer Gänsehaut,
Horcht in die Nacht und um sich schaut.
Nichts! Keine Seele! Er ist allein!
Und er schläft wieder ein.
Gleich meldet sich wieder die Spukgestalt:
„Gib acht, Darget, sie holen dich bald!“

Es ist eine Stunde nach Mitternacht —
Die Schelle geht draußen — es lärmt und kracht;
Läßt ein Pandur, der wild aufs Plündern,
Sich durch einen geschlossenen Riegel hindern?
Krach — bumm! Schon ist die Türe eingetreten!
Was tut jetzt das wackere Schreiberlem
<215>In solchen Nöten?
Frankreichs Sache gilt's hier — das begreift er,
Ich sitz' in der Falle — das sieht er ein:
Er reißt sich zusammen, den Nacken steift er
Und schnarrt: „He, wen sucht ihr?“ — „Nun, den Marquis!
„Das Tafelgeschirr von Valory
„Und seine Möbel und Staatsperson.“ —
„Wohlan“, sagt Darget, „die habt ihr schon:
„Ich bin der Gesandte! Und wenn ihr wollt,
„Sind hier auch Beutel mit Louis in Gold.“

Das Raubgesindel, eh' man's gedacht,
Flugs hat es reinen Tisch gemacht;
Nur — weiß der Himmel, wie das gekommen:
Hatten sie's in der Elle nicht acht? —
Von dem andern Verschlag,
Der daneben lag,
Hat keiner weiter Kenntnis genommen!

Kaum traf der Höllenlärm sein Ohr,
Fuhr der dicke Marquis aus dem Schlaf empor.
Unfehlbar ereilte ihn sein Geschick,
Wenn nicht in diesem Augenblick
Seine holde Heilige wieder
Vom Himmel stieg hernieder.
Er war grab aus dem Bette gesprungen
Und wollte, schreiend aus vollen Lungen,
Splitternackt
Dem Räuberhaufen
In die Arme laufen,
Da ward er gepackt!
Die Heilige, in himmlischer Iüngferlichkeit,
Hatte zum Glück einen Fächer bereit;
Dahinter in schämigem Erschrecken
Konnt' sie ihr liebliches Antlitz verstecken,
Nur ganz bescheiden in magdlicher Tugend
Dabei durch die Gitterstäbchen lugend.
Gott, wie die Weiber nun mal sind!
Ihn aber, der ja toll und blind,
Versenkt sie geschwind —
<216>Zeichen und Wunder! Eins, zwei, drei —
In tiefen Schlummer, schwer wie Blei;
Indes die Räuber
Den guten Schreiber
Von dannen schleppen mit Siegesgeschrei,
So wie er vom Leib seiner Mutter gekommen
Die dummen Kerle, sie glauben, nun sei
Das Vogelnest ausgenommen
Und sie trügen im Triumphe davon
Der Preußen großes Palladien!

Sankt Hedwig jagt jetzt die Wache auf:
„Feindio! Korporal! Dran und drauf!
„Ihm nach, dem Räuber, dem Bösewicht,
„Helft mir, tut eure Soldatenpflicht!“

Die wüste Rotte, die mitgehn läßt
Was nicht niet- und nagelfest,
Pufft und schleift den armen Darget
Durch den Garten — da, o weh!
Auf einmal Donner und Krach!
Saust ihr eine preußische Salve nach.
Nie wurden in Rußland auf einer Jagd
So viele Bären erlegt, wie in dieser Nacht
In Iaromircz Panduren
Gradwegs zur Hölle fuhren.

Nun werdet ihr alle in Ängsten schweben:
Wie soll nur Darget das überleben?
Nach vorn von den Feinden gestoßen,
Von hinten von den Freunden beschossen!
O keine Sorgen! Da naht ja schon
Der heilige Stephan, sein Schutzpatron;
Der stellt sich als Kugelfang trutzig dazwischen,
Wie die Geschosse den Liebling umzischen,
Und fängt sie weg von rechts, von links.
Ja, sagt der Leser, dann allerdings!

Der rauhe Franquini, ahnungslos,
Wie schlimm er heut hereingefallen,
<217>Trieb vorwärts, immer vorwärts bloß.
Wie ward das Herz ihm weit und groß,
Das schon den Vorgeschmack genoß
Der Ehre, die vor allen
Ihm heute zugefallen.
Barfüßig stolpert Darget hinterdrein,
Sinkt bis zum Knie in den Straßenschlamm ein.
Er zieht ein Maul. Er zittert und friert,
Und er fiucht dem Geschick, das die Menschen führt.
Und mit Füßen, von Dornen zerrissen,
Meilenwärts immer vorwärts zu müssen!
So hat er sich fluchend weitergequält,
Bis der Morgen graut und der Reitertrupp hält,
Wo sich Franquini sein Lager gewählt.

Jetzt seht den Schlingel! Wie's ihm gefällt,
Zu spielen den Mann von Bildung und Welt:
„Mein Herr Gesandter, Ihr Abenteuer
„Ihr mißliches, dauert mich ungeheuer,
„Wiewohl für mich das Vergnügen nicht klein,
„Der glückliche Anlaß dazu zu sein.
„Gewiß, es ist hart, so ohne Wagen,
„Dazu mit nackten Beinen und leider
„Ganz ohne Kleider
„Sich meilenweit durch die Welt zu schlagen;
„Allein ich denk mir das äußerst tröstlich,
„Wenn wir, auf diesen Gram und Schreck,
„Dort drüben in meinem Felsversteck
„Von diesem Geschirr, das wirtlich köstlich —
„Gestern war's Ihrs noch und heut' ist's mein —
„Selbander einen Imbiß nähmen ein.“

Der Zeitpunkt schien sich am besten zu schicken,
Um mit der Wahrheit herauszurücken,
Die freilich nicht immer ergötzlich ist;
Drum, ohne lange Rederei
Erklärte der Schreiber, wer er sei,
Den Spaß der Verwechslung und seine List.
Hallo, Freund Österreicher, sag,
Wie wird dir plötzlich? Rührt dich der Schlag?
<218>„Ha! Rache!“ so tobte der los.
„Verwünschtes Pech! Mein Heldenlos!
„Du Hund! Du Schelmfranzos!
„Was ich so fein ins Werk gesetzt,
„Das stiehlst du mir zu guter Letzt,
„Du Lump! Du Schuft! mein höchstes Glück,
„Den Ehrentag — mein Meisterstück!
„Well du zum Trottel mich gemacht,
„Wirst du unfehlbar umgebracht!“
Ein langes Messer zog er blank
Und es dreimal um den Schädel schwang;
Und der entmenschte Wüterich
Hätt unserm Freunde sicherlich
Den Kopf vom Halse abgesägt,
Wenn ihm ein alter Ungar nicht
Die Hand auf seinen Arm gelegt:
„Ihr wißt doch, Herr, was unsre Pflicht:
„Jeder Gefangene, den man macht,
„Wird erst vor den Lothringer gebracht!
„Drum sage ich, verschont diesen Mann,
„Der Wichtiges verraten kann.“
Franqmm schnauft und rollt die Augen noch,
Und knirscht und flucht — zuletzt gibt er sich doch.

Nun durch den tiefen, wildböhmischen Wald
Setzen sie sich in Marsch alsbald.
Wo nie der holde Tagesstrahl
Sich durch die Nacht der Wipfel stahl,
Im dicksten Dickicht, da, wo tief
Die Waldnacht unter Tannen schlief,
Da öffnet sich ein Felsenschlund,
Wie ein Abstieg zu der Hölle Grund.
Hier hatte Franquini sein Versteck,
Sein Diebesnest, sein Wolfsgeheck.
Und schon vorm Eingang zieht ein Hauf'
Verwegener Gestalten auf.
„Nun, wieder da? Wie ist's denn gegangen?
„He? Was gefischt? Was erwischt? Was gefangen?
„Halbpart! Was hast du uns mitgebracht?“
Und man umarmt sich, man schwatzt, man lacht,
<219>Und an ein Lärmen und Prahlen geht's:
„Ja, unser Franquini, ja, der versteht's!“

Darget, ohne Hemd und Unterjacke,
Ein Hauptspaß ist er dem ruppigen Packe:
„Haha, du kamst in die richtigen Hände!
„Laß dich mal anschaun: hast du am Ende
„Irgendwo noch einen Louisdor?
„Raus damit, Freundchen! Uns machst du nichts vor!“

Der arme Darget war ganz kleinlaut, ganz stumm;
Die geschundenen Füße, sie taten ihm weh!
Ach, alle Glieder zog's ihm krumm!
Sein Dulderblick suchte die Himmelshöh'
Und klagte: „Erbarmen! Ich bitt' euch drum!“
Franquini verscheucht sie mit der Bemerkung:
„Es ist mein Gefangner, das seht ihr doch!
„Nehmt ihn hinein in mein Felsenloch,
„Verpflegt ihn und gebt ihm 'ne Herzensstärkung.“

Sie taten schleunigst befohlenermaßen,
Denn der Franquini ließ nicht mit sich spaßen.
Und zwei Panduren, Kerle wie Hünen,
Mit väterlichen Biedermienen,
Die führten den Gast in die Tiefe hinein;
Denkt euch einen Felsenschacht,
Dessen geheimnisvolle Nacht
Noch nie gelichtet ein Tagesschein!
Man sah die Hand vor Augen kaum;
Und schon umwölbt unsern tappenden Mann
Ein düstrer Riesenkuppelraum,
Zwei Grubenlichter zittern voran,
Er geht hinterher halb wie im Traum.
Nun eine Grotte, und sie sind da.
Und sieh, schon ist auch Franquini nah!

„Nun wascht ihn, er hat's nötig!“
Da eilen diensterbötig
Beeimert herbei
Diebsweiber zwei.
<220>Die waschen, begießen
Von Kopf ihn zu Füßen,
Und striegeln und salben
Ihn allenthalben.
„Nun Kleider dem Gast!“
Sie stiegen in Hast
Und bringen zum Vorschein
Ein Hemdlein wie Flor fein,
Mit einer Mechelner Spitzenkrawatte,
Ein Prachtstück, das vorher ein Preuße hatte.
Zwei zierliche Schuh
Reicht die eine ihm zu —
Zum Unglück sind bloß
Seine Füße zu groß;
Eine andre ihm über die Schultern streift
Einen schweren Staatsrock, in dem er ersäuft —
Franquini sackte ihn ein
Im Feldzug am Rhein.
Einen Filz, den eine Schnur umsticht,
Stülpt man zum Schluß auf sein Gesicht.

„Hallo, Gesindel!“ Franquini schreit,
„Das Mahl gerüstet, 's ist höchste Zeit!
„Mein Hals ist trocken, es knurrt mein Magen!“
Und die Dirnen rannten, um aufzutragen.
Mit Kerzen ward festlich die Tafel erhellt;
Die steuerte irgendwo in der Welt
Ein Altar zu Franquinis Lustbarkeit —
Mag sein auch, er hatt' sie sich selber geweiht.
Pompös! Das Tafelgeschirr des Marquis',
Das der Pandurenkerl mitgehn hieß!
Darget erklärt, ein Kunstwerk sei dies,
Von der Hand des Meisters Germain220-1 in Paris!
Franquini lacht: „Freut mich zu hören;
„Dafür halt' ich's auch doppelt in Ehren.“

Vierzig Schüsseln fahren jetzt auf,
Allerhand leckere Dinge drauf,
<221>Lammbraten, zarte Hühnchen und Kälber.
Gestohlen war alles — versteht sich von selber!
Böhme wie Preuße — einerlei:
Jeder trägt zu den Kosten bei.
Der Jammer des Kriegs, 0, der nährt seinen Mann —
Wir fressen uns dick und fett daran!

Lustig! Nun läßt er Champagner holen;
Bald schäumt es und perlt es in jedem Glas.
Portwein, Tokaier, gelb wie Topas!
Alles geraubt und gestohlen!
Immer hinab mit dem vollen Pokal —
Schon gibt's ein betrunkenes, wüstes Geprahl.
Und Darget? Ob er dreinhaut?
Ach Gott, der saß ganz kleinlaut
Und aß nur eben,
Was man braucht, um zu leben.

Später kamen die Dirnen herein.
Nun waren da leider auch Mägdelein,
Mit jedem Liebreiz der Jugend geziert,
Die schauten mit wilden Angstaugen drein.
Sie waren geraubt und entführt,
In die Nacht des Räuberlochs hier,
Preisgegeben der rohen Begier
Franquinis und seiner verkommnen Bande,
Preisgegeben gewaltsamer Schande!

Schon nahte das Ende der Gasterei,
Kam noch ein Trupp Panduren herbei,
Die kehrten verfroren zurück
Und priesen ihr Räuberglück.
Ganze Herden brachten sie
Rings von den Weiden und aus den Ställen,
Schafe und Schweine, auch Federvieh;
Und freundlich die Höhlenwelt zu erhellen,
Geweihte Kerzen aus den Kapellen.
Zum andern schleppten sie davon
Des Pfarrers Magd, eine schmucke Person,
Sowie des Amtmanns Töchterlein,
<222>Ein unschuldiges Mädchen, schmuck und fein.
Zu schweigen eines Haufens gelber
Dukaten — von denen schwiegen sie selber!
Als Räuber ist selbst der Pandurenkerl schlau;
Denn was er stiehlt und behält, das weiß er genau.
Gleich geht's ans Teilen: Franquini verfügt:
„Für uns die Mädchen! Ihr aber kriegt,
„Ihr Kerls, den ganzen Branntwein
„Und Schöps und Rind und Landschwein.“

Bald hallten und widerhallten die Höhlen
Vom Brüllen der Tiere, vom Quieken und Gröhlen.
„Schlaf hin, Schlaf her!“
Die Strauchdiebe lachten:
„Ein Schweindel zu schlachten,
„Das frommt uns mehr!“
Ein paar der fettesten unverweilt
Werden abgestochen und redlich verteilt.
Nun Holz herbei; schnell Stahl auf Stein,
Schon stieben die Funken drein,
Aufglimmt im Brand der Schwefelfaden,
Jetzt brennen die Lichte. Und um die Wette
Schmoren die Braten, gewickelt in Fladen
Von triefendem Fette.
Dann liegt man gemütlich
Und tut sich gütlich,
Ein jeder zufrieden mit seiner Portion
Wie die Helden von Ilion.

Jetzt bringt man die Mädchen dem rauhen Franquini,
So recht was für unfern Rinaldini!
Welch Schauspiel: Unter den Räubern allen,
Den verwilderten, solch ein junges Ding,
An dessen Lieblichkeiten hing
Jedes Auge mit Wohlgefallen.
Die Dame, die einstmals in Griechenland
Dem Menelaos durchgebrannt,
Die Wunderholde, derenwegen
Ganz Asien sich in Waffen geeint,
Und Priamos blutige Tränen geweint —
<223>Ich sage, sie war nichts dagegen!
Auch glich unsre Schöne nicht euch, ihr Prinzessen,
Die immer schön sind — von Hoheit wegen!
Ist's doch ihr Amts- und Staatskleid — indessen
Versucht's doch, den Prunk einmal abzulegen,
Den Edelsteinflimmer, das Drum und Dran,
Und guckt euch dann mal im Spiegel an!

Ganz ausgelöst in Tränen und Harm
Trat das liebliche Kind vor den tobenden Schwarm;
Im Schlummer schleppte man sie heraus,
Das zarte Geschöpf, aus dem Elternhaus,
Im schlichten Nachtgewande nur,
Das nichts mehr hinzutat zur holden Natur.
Da stand sie in der Unschuld Hoheit;
Doch die Bande in viehischer Seelenroheit
Leckte die Mäuler sich alsobald
Nach der wehrlosen Beute —
Da gebot der lechzenden Meute
Franquini ein Halt:
„Wie wär's, wenn mal Wonnen das Weh ablösten?
„Mag unsern Gefangnen die Liebe trösten!“

„Mein Gott!“ ruft sie. „Wie komm ich hierher?
„Das ist ja, als wenn hier die Hölle wär!“
So ziemlich stimmt es:
Franquini nimmt es
Am Ende auch auf mit dem Luzifer!
„Erbarmen, mein lieber, mein gütiger Herr!
„Bin ja so jung noch, mein Los ist so schwer!
„Verlobt bin ich, doch ach, es kann
„Mir heut mein Liebster, mein künftiger Mann
„Nicht helfen, nicht nützen —
„Ihr müßt mich beschützen!
„Nehmt, gnädiger Herr, meiner Tugend Euch an!“
So klagte, so flehte in Angst und Weh
Die Holde zu Füßen des guten Darget,
Und weinte und weinte ohn' Unterlaß,
Ihr süßer Busen war tränennaß.
<224>Darget war vor Verliebtheit toll,
Von Seligkeit voll
Und glückberauscht —
Aber Sankt Stephan, der ihn belauscht,
Der nahm ihn am Kragen: Laß gut sein, mein Sohn!
Da gab es kein Mucken,
Da hieß es sich ducken;
Ganz leise verwünscht er den Schutzpatron.

Darget spricht also abgekühlt:
„Liebwerte unglückselige Maid,
„Glaub' mir — mein Herze mit dir fühlt
„Und deiner Tugendhaftigkeit.
„Und weißt du — zu solcher Schandtat gebricht's
„Mir, Gott sei Dank! an dem nötigen Geschick;
„Darum erheb deinen Tränenblick
„Und Hab' keine Angst: Ich tu dir nichts.
„Im Gegenteil: Ich kaufe dich los!“
Und tätschelt ihr Händchen: „So glaub' mir doch bloß!“

Franquini sieht, wie all das gar zart
Und gar frostig will enden —
„Nanu! Ist das in Frankreich die Art,
„Eine Jungfer zu schänden?
„Zur Sache — zur Sache! 's wird endlich Zeit!“

„Ach, Euer Gnaden, wir wissen, Ihr seid
„Der Herr über unser Tränengeschick;
„Und doch! Werft einen großmütigen Blick
„Auf dieses holde, liebreizende Weib,
„Dies Gotteswunder von blühendem Leib,
„Und dann gesteht, es wär' doch ein Jammer,
„All diese Schönheitsfülle hier
„In dieser trostlosen Felsenkammer
„Der stechen Gier
„Des ersten besten preiszugeben;
„Bedenkt ihre Jugend
„Und ehrt ihre Tugend,
„Und gebt sie zurück ihrem früheren Leben!
„Wenn Ihr Euch gütigst entschließen könntet
<225>„Und Lösegeld nähmet und mir vergönntet,
„Euch abzukaufen in klingendem Golde
„Das Mädchenkleinod, das wunderholde!“

Dem Räuber leuchtet der Handel ein:
„Topp, wenn's dein Ernst ist!“ — Der Satz war nicht klein.
„Mag sie denn heimgehn, ganz wie sie kam,
„Die gerettete Braut, zum Bräutigam!“

Habgier, der Seele Schmach und Tod,
Heut warst du Retterin in der Not!
Der reizendsten der schönen Frauen
Halfst du aus eines Wüstlings Klauen
Und führtest sie unberührt heraus
Aus dem Felsenloch, wo die Schande zu Haus.

<226>

Vierter Gesang
Dargets Lebensgeschichte

as Großes ist's um die Tugend, ich weiß.
Doch weil zur Zeit der Vernunft hienieden
Nur eine geringe Rolle beschieden,
Steht Liebenswürdigkeit höher im Preis;
Und wärst du ein Schuft, ein Galgenstrick,
Bist du nur nett, hast du überall Glück.

Wohl unserm Darget, der in gleichem Maß
Das eine wie das andre besaß!
Und also am nächsten Abend geschah's,
Daß der schlimme Franquini, ganz ausgepumpt -
Er hatte halt gar zu ausgiebig gelumpt,
Denn schließlich, ein Räuber und Pandur
Kann auch nicht alleweile nur
Auf dem Kriegspfade leben,
Auf dem Gaule kleben —
Nun, wie gesagt, der Edle lag
Zu Bette erst den geschlagenen Tag,
Bis er endlich wieder zu Kräften kam.
Nun saß er, er war merkwürdig zahm
Und weich gestimmt heut, ganz freundschaftlich
Am Bette Dargets: „Ich langweile mich,
„Muß mal ein bißchen nach Euch schaun;
„Man mag sich nicht vor die Türe traun,
„So regnet's draußen. Ich meine daher,
„Ihr erzählt Eures Lebens Mär,
„Was Ihr erlebt und was Ihr getan;
„Man sagt, daß kein Volk so erzählen kann
„Wie ihr Franzosen.“
<227>Darget verneigt sich,
Und er zeigt sich
Äußerst entzückt von der Ehre und Gunst,
Mit seiner geringen Erzählerkunst
Den großen Franquini zu unterhalten.
„Doch bitt' ich Euch, laßt Nachsicht walten;
„Mit jener Mär
„Ist's nicht weit her;
„Drum sei mein Bericht
„Recht bündig und schlicht.

„Damit mir das Schicksal nichts Tolles erspar',
„Geschah's, daß eine Herzogin mich gebar;
„Mein Vater war wohl ein dunkler Herr X,
„Begnadeter heimlichen Minneglücks.
„Daß das Unglücksfrüchtlein verbotener Liebe
„Hübsch im Dunkel bliebe,
„Schoben die Eltern den Zögling ab;
„Und daß sich beizeiten sein Seelchen form'
„Nach der gottwohlgefälligen Norm,
„Man schon den Buben ins Kloster gab.

„Von da ging's hinaus ins Ungefähr,
„Als ob da mein Glück mir so sicher wär'!
„Da war ich im ersehnten Paris,
„Mitten im lustigen Sybaris!
„Welch ein Völkchen, welch ein Leben!
„Liebenswerteres kann's nicht geben;
„Und das lacht und singt und freut sich
„Und zerstreut sich,
„Schiebt und dreht sich
„Durcheinander wie die Narren —
„An der Seine, das versteht sich,
„Hat ein jeder seinen Sparren.

„Paris hat der Gottheiten mancherlei.
„Der Kult der Frau sieht obenan;
„Schier ebenso ernst ist die Sorge sodann,
„Was wohl das Neuste vom Neuen sei;
„Dazu noch die Modenarretei —
<228>„So habt Ihr ganz
„Die Götzen meines Vaterlands,
„Die der Gesellschaft und ihrem Leben
„Gesetz, Gestalt und Ordnung geben.
„Auch mir war dies Gesetz verbindlich:
„Ich trieb die Windbeutelei recht gründlich
„Und hatte, ob durch Fleiß, ob durch Geschick,
„Als Schürzenjäger und als Stutzer Glück.“

„Kann ich mir denken,“ meinte Franquini.
„Aber zum Teufel, man muß doch leben!
„Doch ich begreif' das Wovon und das Wie nie;
„Darüber, du aus dem Neste geschmißner
„Bastard, mußt du mir Aufschluß geben.“

„O, ich lebte als Kunstbeflißner:
„Schrieb Romane und Vaudevilles
„Jener Mache und jenen Stils,
„Wie sie an Trottel und Idioten
„Stets zu Paris wurden feilgeboten.
„Vieles, was damals kam in Mode,
„Es ist von mir: Die ,Geschwätz'gen Kleinode',
„Auch die,Empfindsame Prinzeß',
„Auch ,Acajou' — ein Buch, das indes
„Kein Mensch versteht; auch einen Versuch
„Über Katzen wagt' ich. Mein launig Buch
„Vom Bäuerlein, das sein Glück gemacht,
„Hat's gradezu zu Weltruhm gebracht,
„Und für meine,Bäuerin' hätt' man zuletzt
„Am liebsten mir ein Standbild gesetzt. 228-1
„Doch alles gar schön; Ehre hin, Ehre her!
„Ich hatt' mir mein Leben doch anders gedacht:
„Was hilft das Talent,
„Wenn's im Herdloch nicht brennt
<229>„Und Küche und Keller bleiben leer?
„Ich brütete, sann,
„Dann macht' ich mich dran
„Und erfand die Hampelmänner 229-1
„Was einen Ertrag gab in baren, blanken
„Einhundertzwanzigtausend Franken.

„Auf einmal packte mich Reiseverlangen!
„Nichts bildet so sehr einen jungen Mann.
„Und wer seine Landsleute auswendig kann,
„Guckt sich gern mal fremde Gesichter an.
„So bin ich zunächst nach Holland gegangen.
„Was sind das für konfiszierte Gesichter,
„Welch massiges Flegel- und Tölpelgelichter!
„Denkt Euch ein Volk von trägen Schnecken,
„Frostig und gleichmütig,
„Frosch- oder fischblütig,
„Aus ihrer Ruhe nicht aufzuwecken,
„Langwellige Tröpfe,
„Wassergeschöpfe;
„Und maulfaul! Kaum sickern in einer Stunde
„Zwei Menschenworte aus ihrem Munde.
„Ich leg' mein Gesicht in holdselige Falten,
„Mich ehrsam-verständig zu unterhalten:
„Sagt an, wovon lebt ihr eigentlich? —
„Von der Milchwirtschaft,“ so belehrt man mich;
-“Ihr seht unsre Herden und unsre Weiden —
„Vom Handel mit Käse und Pfeffer dabei
„Und ein wenig auch von der Gaunerei,
„Die ja beim Kaufmann nicht ganz zu vermeiden.
„Da ist ganz Europa uns abgabenpfiichtig,
„Und wir, wir scheren's und schröpfen's tüchtig.“ —
„Nun, und wie steht's mit der Herrschaft im Land? —
„Einst seufzten wir unter der Fremden Hand;
„Doch haben wir Schmach und Tyrannei
„In unserm eigenen Blut ertränkt
„Und sind nun frei.
<230>„Das heißt — daß Ihr nichts Verkehrtes Euch denkt —
„Es ist wahr, das Königtum wären wir los —
„Das heißt — im Grunde den Namen bloß,
„Den Namen, der unser Ohr so kränkt;
„Es haben sich dreißig Tyrannen jetzt
„An Königs Statt uns auf den Thron gesetzt. 230-1
„Ihr seht, wie's unsre Völker auch treiben,
„Unsre Ketten bleiben.
„Republikanischer Mannessiolz
„Kriecht munter auf dem Bauche vor Leuten,
„Die unser Volk verraten, ausbeuten,
„Wir, deren Freiheit die Welt bewundert,
„Statt eines Königs haben wir hundert
„Gebieter von demselben Holz!

„Einer von diesen behäbigen Herrn,
„Der besonders mit Gütern gesegnet,
„Ladet mich ein, sein Gast zu sein.
„Selbstverständlich sag' ich nicht nein,
„Danke gar höflich und folge gern.
„Da ist mir was Schnurriges begegnet:
„Eine bedienstete Weibsperson,
„Kaum sieht sie mich, da packt sie mich schon,
„Buckelt mich auf und schleppt mich wie'n Sack
„Quer über die Gasse huckepack.
„Nun auf der Schwelle angekommen,
„Ward ich erst gründlich vorgenommen,
„Abgeschruppt erbarmungslos
„Nach den Landessitten,
„Zu guter Letzt
„Ans einem Eimer tief und groß,
„Schon mehr einer Bütten,
„Mit roher Gewalt unter Wasser gesetzt.
„Hallo! Was hat man vor mit mir? —
„Ja, das ist der Gipfel der Höflichkeit hier,
„Und bei den Fremden stets angebracht:
„Hier gilt's vor allem, zu jeder Zeit
„Die Erhaltung der heimischen Reinlichkeit!“
<231>„Nun ging's in die Küche — war das eine Pracht!
„Ich staunte des Glanzes und dachte: Aha!
„Hier speist man vermutlich! Man hatte ja
„Seit einem Menschenalter allda
„Kein Feuer mehr angemacht.
„Man speist? Allmächtiger!“ — Ich stand wie ein elender,
„Schmählich ertappter Tempelschänder —
„Man speist! Als wenn diese Räume wir putzten,
„Damit wir sie einfach als Wohnung benutzten!
„Wer, Unmensch, bewohnt denn solche Gemacher?
„Wozu gibt's Keller und ähnliche Löcher?
„Die Sippe mag noch so zahlreich sein:
„Da wird ein bißchen zusammengerückt,
„Man richtet schlecht und recht sich ein,
„So haust man zufrieden und still beglückt.
„Hier aber thront,
„Wo niemand wohnt,
„In hehrer Göttereinsamkeit
„Die Reinlichkeit.

„Einmal und nie wieder, hab' ich gedacht
„Und schleunigst nach England mich aufgemacht.
„Ein Riesentransportschiss nahm mich an Bord.
„Hoch rasseln die Anker, weit leuchten die Wellen,
„Schaumgekrönt, unsre Segel schwellen,
„Aufrauscht es vorm Bugspriet, nun trägt es uns fort
„Bei Lotsenruf, Kommando und Wink
„Regt das Matrosenvolk sich flink.
„Und da wir hintreiben vor stetem Süd,
„Auf glatter Bahn unser Segler zieht,
„Die Reisenden schmausen, zechen und lachen,
„Keinem fällt's ein. sich Gedanken zu machen.

„Die Ahnungslosen. Eh' wir's gedacht,
„Drehte der Wind sich, finster ward's droben,
„Springende Böen pfiffen und schnoben,
„Donner grollte — darüber ward's Nacht.
„Bald in den gähnenden Abgrund gerissen,
„Bald zu den Wolken emporgehoben,
„War unser Schiff in den Finsternissen
<232>„Ach, nur ein Spielzeug! Da mit einem Mal
„Prasselt hernieder ein Feuerstrahl,
„Der die empörte Welt
„Ringsum erhellt,
„Alles entzündend zu rotem Brand.
„Der Mast bricht und zerschellt,
„Das Deck erzittert,
„Das Steuer zersplittert!
„Da faßt unsre Seeleute Schwindel und Graus,
„Die Knie wanken, sie wissen: 's ist aus.
„Und wirklich, ein Spielball der Sturmeswut,
„Hören wir jetzo — uns starrt das Blut —
„Ein fürchterlich Krachen: Weh, aufgerannt
„An Felsenklippen,
„Zerschellten des Fahrzeugs Rippen,
„Nun löste sich Niet und Band.

„In ihrer Angst meine Reisegefährten
„Gelobten dem Himmel, weiß Gott, was;
„Ich betete brünstig zu meinem verehrten
„Schutzheiligen, der meiner auch nicht vergaß.
„Eine Ruderstange ließ er mich fassen
„Und hat sich also vernehmen lassen:
„Für diesmal biet' ich dir noch die Hand,
„Weil du einmal nach mir genannt;
„So hab' ich dir jenes Stück Holz beschert,
“.Bediene dich seiner als Steckenpferd,
„Meines Mantels als Segel; mein Heiligenschein
„Wird dir als Leitstern willkommen sein.
„Denn steuern wirst du dich sowieso
„Mit deinem vieigewandten.... —
„Teurer Sankt Stephan, entgegnete ich,
„Mir ist just wahrhaftig nicht lächerlich;
„Ein bißchen mehr Hilfe wär' eher hier nütze,
„Und ein bißchen weniger schlechte Witze.

„So schwamm und trieb ich mit meinem Plunder.
„Zuletzt, zerschlagen und mürbe wie Zunder
„Und halb ersoffen im Wogenschwall,
„Vom Salzwasser elend, das ich geschluckt;
<233>„Dem Schiffbruch nahe zum zweitenmal,
„Ward ich endlich mit hartem Prall
„Irgendwo auf den Grund gestuckt.
„Nah war die Küste; den Rest meiner Kraft
„Hab' ich noch krampfhaft zusammengerafft,
„So schwamm ich hinüber an Englands Strand.
„O glücklich der Mann, der den Hafen fand!
„Meinem Heiligen hielt ich mein Wort
„Und schenkt' ihm zwei dicke Kerzen sofort.

„Welch ein entzückendes Landschaftsbild!
„Ich sag' Euch, das reine Friedensgefild;
„Ei, diese britischen Bulldoggen, dacht' ich,
„Wohnen ja reizend hier! Aber mach' dich
„Endlich von diesen Küsten mal los,
„England ist groß!
„Und liegt dir daran, die Briten zu sehn,
„So mußt du schon nach London gehn.

„Dort angelangt, schaut' ich mich satt
„Desselben Tags noch an der Stadt.
„Der Brite, herb und trotzig,
„Fühlt selbst wie ein kleiner Gott sich;
„Herrn Käpten nennt er seinen König.233-1
„Ich sah ihn und grüßte untertänig.
„Da sagte er gnädig zum General:
„Zeigt dem Franzosen mein Arsenal!
„Ha, dacht' ich, da gibt's mal was zu gaffen:
„Waffen, Waffen und nichts als Waffen!
„Indessen statt ernsten Kriegsgerätes
„Hüte und Stiefel! Nein, sowas Verdrehtes!
„Da Hub mein Führer schwärmend die Hände:
„Ihr hehren Bekleidungsgegenstände!
„Euch trug ja mein Held233-2 bei Malplaquet!
„O Himmel, und wenn ich die Sporen seh':
„Mit denen ritt er vor seiner Garde
„Auf dem Siegesfelde bei Oudenaarde!233-3
<234>„Doch bitte, nun drehen Sie sich mal um,
„Bewundern Sie dieses Heiligtum:
„Des Helden grimmer Degen ist das,
„Der ward Franzosenblutes naß
„In der Dettinger Schlacht;234-1 und bemerken Sie dort —
„Hier neigt' ich mich tief und fiel ihm ins Wort:
„Ich danke! Zuviel schon mein Auge erblickte
„Von Frankreichs Leid! — Und sichtlich behagte
„Der Höflingsseele, wie ich das sagte;
„Worauf ich verstimmt mich schleunigst drückte
„Und ging, wo das Haus der Gemeinen tagte.

„Das sind der alten Römer Affen!
„Gewandt zwar, die Menge hübsch breitzuschlagen,
„Demosthenesse, könnte man sagen,
„Entsprächen die Worte dem, was sie schaffen.
„Doch können sie auf ihre Tugend nicht pochen;
„Denn gehn sie frei mit dem Wort auch um,
„So sind doch leider nur alle bestochen -
„Sie alle regiert das Kurfürstentum.234-2

„Einen Briten, ungekünstelt und schlicht,
„Den findet man unter Tausenden nicht.
„Je ausgefallner die Querköpfigkeit,
„Je freudiger die Menge Beifall schreit;
„Denn was man dort unterm Regiment
„Des Königs seine Freiheit nennt,
„Ist das Recht, sich nach Kräften verrückt zu benehmen —
„Mag doch die Welt sich dem bequemen!
„Eigentlich sind's gar traurige Narren,
„Leiden nicht just an vergnüglichen Sparren:
„Ich sag' Euch, wie unsereins zum Wein,
„Gehn sie sich aufhängen, als müßt' es so sein;
„Vergeht schier kein Tag, da nicht einer hinge!
„Sind halbwild noch, die Leute da drüben;
„Kein Theaterstück wird da geschrieben,
„Darin nicht ein wacker
<235>„Bluttriefend Massacker
„Sämtliche Rollen, selbst noch so geringe,
„Ohne Erbarmen zur Strecke brächte.235-1
„Doch, worauf sie noch toller versessen:
„Wenn ihre Gladiatoren sich messen
„Im Faustgefechte!
„Hab' sie gesehn: Da stehn sie halbnackt,
„Hieb und Parade, das geht wie im Takt,
„Die Arme, die sehnigen, stiegen, das knackt
„In allen Gelenken, man schlägt sich halbtot —
„Es war einfach scheußlich! Erspart mir das Weitre.
„Was aber, Franquini, Euch mehr erheitre,
„War jenes Schauspiel, das sich mir bot
„Bei einem Volksfest, einem der großen Rennen!
„Das muß man gesehn haben, muß man kennen!

„Die stolzen Engländer sind auf Ehre
„Mehr oder minder Millionäre;
„Eine Schatzkammer hat ein jedes Haus,
„Selbst die Bettler leben in Saus und Braus.“

Dem Hörer lief's Wasser im Maule zusammen:
„Das ist noch ein Land! Gott soll mich verdammen!
„Ja, aber warum, in drei Teufels Namen
„Führt man nicht Krieg mit den prächtigen Leuten?
„Schaut wahrlich mehr dabei heraus
„Als bei der armen preußischen Kirchenmaus;
„Da gäb's schon eher was Rechtes zu erbeuten
„Als bei den Rittern', die allerwegen
„Nichts eigen haben denn Mantel und Degen!
„Doch weiter im Texte!“

„Fahr' ich da eines Tages durch die City quer,
„Schreit mir da jemand was hinterher —
„War nicht grade eine Schmeichelei!
„Ich aus dem Wagen eins, zwei, drei,
„Und im ersten Feuer,
„Fuchswild wie noch nie,
„Mit Wucht auf den Schreier.
<236>„Nun Knie gegen Knie,
„Faust wider Faust,
„Und Streich auf Streich,
„Das hagelt und saust,
„Und also prügl' ich ihn windelweich;
„Er blutet und fällt und schlägt sich dabei
„Vor der Stirn eine Brausche wie'n Hühnerei.
„Na, denk ich, der sieht nicht wieder auf —
„Da rennt auch schon das Volk zuhauf
„Mit fuchtelnden Armen und Zetergeschrei;
„Ich sah, daß es Zeit zu verschwinden sei,
„Und reiste ab noch die Nacht darauf.

„Zu Schiffe kam ich in Portugal an.
„Hier sah ich staunend des Königs Johann236-1
„Klösterlich Schloß.
„Der König der seltenen Ehre genoß
„Ms der Kirche allerergebenster Sohn
„Messe zu lesen in eigner Person.
„Worauf ich mir ein Kloster beschaute,
„Ein Riesending, das er sich erbaute.
„Dafür suchte er Kapuziner;
„Für diese jedenfalls schien er
„Ein äußerst warmes Herz zu haben;
„Sind ja wohl auch ganz brave Knaben
„Und aller Ehren wert.
„Mich hat man da mit dem Antrag beehrt:
„Wie wär's denn, wenn Sie sich aufnehmen ließen?
„Wehrt' mich dagegen mit Händen und Füßen:
„Einkasteln! Mich! — Doch so wird's gemacht!
„Hat man doch einfach, die gähnende Leere
„Dieses verdammten Klosters zu füllen,
„Leute gewaltsam hereingebracht:
„Hundert Mann aus des Königs Heere,
„Die Mönche geworden sind wider Willen.
„Mir wurde doch ängstlich, muß ich gestehn,
„Es möcht mir am Ende auch so gehn.
„Ich floh und war der Gefahr entronnen,
„Als ich glücklich die Grenze von Spanien gewonnen.
<237>„Dort wähnt' ich vor Ungemach und Sorgen
„Mich endlich geborgen.
„Ach, mein Verhängnis, darwider ich streite,
„Geht mir ja heut noch getreulich zur Seite!
„Ach, Liebe, du alte Schicksalsmacht,
„Wie hast du mich damals heruntergebracht!

„Das war zur Strafe für meine Sünden,
„Daß mir an jenes Morgens Licht
„Aufging ihr Himmelsangesicht;
„In Klosterhut mußt' ich sie finden,
„Am Gitter, in ihrem Nonnenkleid,
„Ganz Demut und junge Holdseligkeit.
„Da dacht' ich: Zu dir muß ich wiederkehren,
„Dich wiedersehen, von ferne verehren!
„Gleich war auch ein Pfaffe als Kuppler zur Hand,
„Der schlau ein Hintertürchen fand,
„Wie ich mit ihr könnte beisammen sein,
„Meiner holden Nonne,
„Meiner Sehnsucht und Wonne,
„Und sie willigte ein.
„So hat mich in einer unseligen Nacht
„Eine Leiter heimlich ins Kloster gebracht.
„Nach dem Scheiden will ich heiter
„Abwärts klettern auf der Leiter.
„Doch das morsche Holz bricht plötzlich,
„Ein Getöse gibt's entsetzlich,
„Daß mein Blut zu Eis gerinnt;
„Und im Augenblick beginnt
„Rings ein grauenhaft Hallo,
„Laufen, Rennen und Geschrei,
„Was denn nur geschehen sei,
„Und mit Zetermordio
„Stürzt das Weibervolk herbei.
„Wenn der Wolf zu nächtiger Stunde
„In die dunklen Hürden brach,
„Hirt und Hunde
„Werden wach.
„Hussa! heißt's, ihm nach, ihm nach!
„Reißaus nimmt er querfeldein,
<238>„Steine sausen hinterdrein;
„Durch den Wald die wilde Hatz,
„Bis Freund Isegrimm den Schlägen
„Der Verfolger unterlegen —
„So auch bleibe ich am Platz.
„Drauf schafft man mich gebunden fort
„Vors Gericht in den Nachbarort.

„Der Spanier hat nun für Missetaten
„Ein besondres Gericht,238-1
„Zur Hälfte Mönche, zur Hälfte Prälaten,
„Das wutentflammt
„Und morderpicht
„Auf den Laien sich stürzt, den es immer verdammt;
„Denn Freispruch kennt es nicht!
„Sie sind ja der Gottesliebe voll
„Und lassen aus reiner Gutherzigkeit,
„Weil's ihnen um eure Seele leid,
„Die sonst ja verloren,
„Den armen Sünder am Brandpfahl schmoren.
„Rings um diese Stätte der Not
„Das Feuer von hundert Scheiterhaufen loht.
„Ein Richter, wie ein Waldkauz anzusehn,
„Ließ eine Ansprache über mich ergehn:
„Graut dir, du schamloser Bösewicht,
„Vor der Rache des Himmels nicht?
„Drum soll zum heilsamen Schrecken
„Für alle, die im Unglauben stecken,
„Dein Sündenleib der schmorenden Pein
„Morgen überantwortet sein!“

„In mein Gefängnis zurückgebracht,
„Habe ich die schöne Rede bedacht.
„Mir war doch recht erbärmlich zu Mut
„Ob dem trüben Verlauf meines Abenteuers,
„Auch hatt' ich von je einen Haß, eine Wut
„Auf diese Art der Verwendung des Feuers,
„Sah auch beim besten Willen nicht ein,
<239>„Warum durchaus sollte gestorben sein!
„So blieb denn als einziger, letzter Retter
„Nur noch mein Heiliger und Namensvetter.
„Ach, heiliger Stephan, mein Schutzpatron!
„Fing ich erbärmlich an zu fiehn,
„Nicht wahr, wie hier dein Schützling, dein Sohn
„Höchst grausamlich verderben soll,
„Das kannst du doch nicht ruhig sehn?
„Ich weiß, du bist der Gnade voll!
„Denn einmal halfst du schon!
„O, wie ich damals, todumbrandet,
„An Englands Küste doch gelandet,
„Durch deine Güte, deine Helfermacht —
„Die Kerzen habe ich dir auch dargebracht
„Für deinen Altar —
„So sieh auch heut' mir bei in dieser Gefahr!

„So lag ich auf meinem Angesicht,
„Und sieh, der Himmel verließ mich nicht:
„Der Kertergrund erbebte,
„Auftat sich das Gemäuer,
„Im Strahlenkleide schwebte
„Mein Heiliger, mein Getreuer:
„Kopf hoch, mein Sohn, nicht gleich verzagen!
„Ich lese dein Schicksal in Zukunfttagen:
„Hat doch die Fügung noch zu vielen Dingen
„Dich vorherbestimmt, zu Ehren mancherlei —
„Sogar ein Heldenlied wird von dir singen.
„Drum, guter Junge, mach' dich frei
„Von aller Angst vor dem blutigen Gelichter
„Dieser glaubenswütigen Ketzerrichter:
„Ich schwör dir's, kein Härchen wird dir gekrümmt —
„Wofern du versprichst, mir meine Kapellen
„Zu den großen Festen frisch zu bestellen!
„Versprichst du mir das?“ — Ja, bestimmt! —
„Schon war ich der Ketten und Bande frei
„Auf den Wink meines Heiligen; was sollte dabei
„Der eingeschläferte Wächter machen?
„Der Heilige gab mir die sieben Sachen
„Eines Iesuitenpaters, die Tür tat sich auf.
<240>„Nun mach', daß du fortkommst! Beeil' dich, lauf!
„Beim Schopf ergreif die Gelegenheit!“
„Worauf er mir noch seinen Segen beut.

„Nun, ob ich's eilig hatte! Ein zweites Mal
„Vor dies verfluchte Waldkauztribunal —
„Ich danke bestens! Wie im Waldesgrunde
„Ein Hirsch, den stinke Jäger rings und Hunde
„Umstellt schon halten, der sein Ende wittert —
„Nun bricht er aus! In mutigen Sätzen
„Reißt er das Netz- und Lappenwerk in Fetzen,
„Das ihn von allen Enden eingegittert,
„In hohen Fluchten geht's durch Dorn und Hecken:
„So war's, wie ich aus Spanien Reißaus nahm!
„Völlig verstört! Und der Todesschrecken
„Blieb mir noch lang in den Gliedern stecken,
„Noch weint' ich bitter vor Grimm und Gram,
„Als ich im Mönchskleid nach Italien kam.

„Das lateinische Land ist recht zum Bettüben:
„Wo ist das alte Ausonien geblieben?
„Was man geschaffen, was man gelehrt,
„Es ist alles verkommen, es ist zerstört.
„Im Kreise seiner erhabenen Trümmer
„Fühlt sich der Enkel der stolzen Zeiten
„Als ein Civis romanus noch immer.
„Und der Priesterwelt kleine Gestalten
„Leben vom Glanze der großen Alten
„Im Schimmer der Vergangenheiten.
„Jeder Hansnarr, mit dem man spricht,
„Springt uns mit Cicero ins Gesicht,
„Weiß vom Kaiser Augustus zu sagen,
„Vom alten Florenz und der Medici Tagen.
„Aber die im jetzigen Römerland wohnen,
„Diese Urenkel der Catonen,
„Lassen sich, um im Diskant zu wimmern,
„Ihre Lebenskraft verkümmern.
„Nein, diese Kastraten sind nur Helden der Töne,
„Sind nur der Nymphe Echo Söhne,
„Weiß und rot bemalte Gesichter,
<241>„Ein verkommenes Theatergelichter.241-1
„Seht, also sind diese Römer entartet!

„Doch einen Mann — das muß ich gesteh —
„Einen Hab' ich zu Rom gesehn,
„Der hohen Amtes mit Größe wartet:
„Fürwahr, eine Fürsten-- und Priestergestalt,
„An Geistesadel, Gedankengewalt
„Vergleichbar den Sternen des Altertums;
„Ein Priester ohne Pfaffenlist,
„Ein Fürst, der weiß, was Gebieten ist,
„Wohl würdig seines hohen Ruhms,
„Ein Glaubensheld, der die Künste meistert!241-2
„Gern hätt' ich mich länger für ihn begeistert,
„Doch war daheim der Krieg entbrannt
„Und rief mich in mein Vaterland.

„Da war ich denn glücklich wieder inmitten
„Meiner geliebten Sybariten,
„Die nun — war's Laune, war's echte Gunst? —
„Für den Vater der Hampelmannkunst
„Aus Erkenntlichkeit was zu tun gedachten
„Und bei Valory mich unterbrachten.

„Doch was sich seitdem mit mir zugetragen,
„Das brauch' ich Euch wohl nicht erst zu sagen.“

<242>

Fünfter Gesang
Verhandlungen über Dargets Freilassung. Franquinis Lebenslauf

Kein langes Versgeschwätz! Unnötige Worte
Sind mir ein Greul; ein Wort am rechten Orte
Wiegt tausend auf. So laßt euch denn belehren,
Daß mancher Heilige aus dem Paradies
Sich's damals redlich sauer werden ließ,
Das Unterste nach oben zu kehren
Und in der Welt den Wirrwarr zu vermehren.

Da war der Herr der schwarzen Schwefelbande,
Die höll'sche Hoheit vom gehörnten Haupt:
Wie der vernahm, was dort im Menschenlande
Das Heiligenvolk nach Willkür sich erlaubt,
Da gor dem Satan vor Neid das Blut,
Und er schäumte vor Wut.

Zum Ätna geht's, wo aus der Hölle Nacht
Nach oben führt ein wüster Kraterschacht
Als Schornstein. Dort fährt er empor,
Stößt jäh sein ungeheures Haupt hervor;
Des Berges Flammenatem ihn umwallt,
Und düstrer Brodem wirbelnd ballt
Sich um des Fürsten Mißgestalt.
Gefieder rauscht: Der Vogel Klatsch! „He, du!“
Ruft ihm der Böse freundschaftlich zu,
„Was gibt's Neues?“ Da hemmt den Flug
Das Tier und schwatzt mehr als genug,
<243>Mehr als dem Teufel lieb ist, und wieder
Taucht er erbost in die Hölle nieder.

Sofort befahl er seinen hohen Rat,
Seine Helfer bei jeder Unheilstat.
Umgeben waren sie, die grimmen Alten,
Von einem Chorus wilder Graungestalten,
Unholden, die in Ewigkeit
Wider die zehrende Glut gefeit.
Was jene Finstres ausgeheckt,
Das wird von diesen flugs vollstreckt.
Der schmutzige Geiz, der Schätze hehlt,
Ohn' Sinn und Ziel sich sorgt und quält;
Mit ihrem Dolch liebäugeln hier
Grausame Lust und Mördergier;
Die dumme Hoffart macht sich breit
Und bläht ihr schimmernd Pfauenkleid;
Was wetzt und feilt der fahle Neid?
Ein Spottgedicht! Ihm stiehlt die Ruh'
Der Ruhm mit seiner Herrlichkeit,
Dem spinnt er Ränke immerzu.
Denn Größe ist ihm tief verhaßt
Und fremdes Glück ihm Qual und Last.
Wenn Neid die Seele schlägt in Bann —
Grausamer waltet kein Tyrann!
Der finstre Argwohn lm Geleite
Der Eifersucht; Gewissensnot,
Verzweiflung, jeder Seele Tod;
Verrat, Verleumdung Seit' an Seite;
Ehrsucht, die bis zum Tode quält,
Wen sie zum Opfer sich gewählt;
Zwietracht, die Mensch vom Menschen reißt,
Verführung, der der Sündenlohn
Goldschimmernd in der Rechten gleißt;
Staatsklugheit, die mit Spott und Hohn
Ihre kalten Sophismen weist;
Und Eigennutz, der jederzeit
Der Vater jeder Niedrigkeit;
Schmerz, Tod und Entsetzen und nächtiges Grauen
Sind all in dem schrecklichen Kreise zu schauen.
<244>So standen sie harrend, die furchtbaren Wesen,
Standen in finster gedrängtem Hauf —
Vom Höllenfürsten ein Wink, ein Wort
Jagt sie auf und fort;
Dann wirken sie den Willen des Bösen,
Rühren den ganzen Erdkreis auf.

Dieser Senat von unsauberen Geistern
Erwog, wie man möchte den Weltlauf meistern,
Beelzebub, Umbriel,244-1 Astaroth —
Jeder mit Glück seinen Beitrag bot,
Jedweder von diesen Satanassen
Wollte sein Licht hell leuchten lassen.
Nach langem Für und Wider zuletzt
Ward im Rate beschlossen und festgesetzt,
Daß nach oben, zu den Geschlechtem der Erde,
Die Zwietracht abgeordnet werde,
Allwo sie die Köpfe der Menschen erhitze.
Und das Scheusal erschien vor dem Fürsiensitze,
Und seine Tochter belehrte der Alte,
Wie sie sich am besten dabei verhalte.

Nun durcheilt unsre Jammerwelt
Die Zwietracht unter Mord und Brand,
Und wo sie den Fuß nur setzte aufs Land,
Wo ihr Pesthauch wehte, da starb und schwand
Alles Gedeihn in Wald und Feld;
Verdorrt, erstickt' jeder Keim in der Erde,
Seuchen und Sterben befielen die Herde.
Unter ihrem Tritt erbebt
Was da atmet, was da lebt,
Und ihr zu Häupten wetterfahl
Wurde der Himmel mit einemmal.
Das Ungetüm eilte bergab und bergauf
Und nahm zu dem dicken Marquis seinen Lauf,
Dem's jetzt mit seinem Satansrate
Ganz leise sich nahte,
<245>Indes er noch immer süß und tief
Den Schlaf des Gerechten schlief.245-1

Zu seinen Häupten erhob sich's,
Und in seine Träume verwob sich's:
„Ei, Herr Valory, das muß ich sagen,
„Gemütsruhig seid Ihr und könnt was vertragen:
„Da stehlen sie Euch den guten Darget
„Vor der Nase weg — Euch tut's nicht weh!
„Ein schäbiger Frechling von Pandur,
„Der beschimpft nicht Euren Schreiber nur,
„Euch selber, Freund, und mit Euch das Reich
„Der Franzosen — doch Euch bleibt das gleich!
„Auf, auf! Nicht rechts und links mehr geschaut,
„Jetzt ganz den Preußen Euch anvertraut
„Als berufenen Rächern Eurer Ehre;
„Jeder Preußenarm Euch gehöre!
„Sei Darget beim Teufel, sei er im Himmel —
„Verlaßt Euch nur auf die preußischen Waffen:
„Lärm geschlagen, Hallo und Getümmel!
„Sie werden ihn Euch schon wieder schaffen!“
So sprach das Scheusal, und aus seinen langen
Haaren zog es eine der Schlangen
Heraus und setzte sie
Lautlos ins Bett zum Marquis.
Und wie sie des Opfers Seele umschlang
Und sie mit ihrem Gifte durchdrang,
Das war dem höllischen Weib
Ein köstlicher Zeitvertreib.
Zufrieden, wie alles so hübsch hier geraten,
Flog's auf und davon zu neuen Taten.

In Schweiß gebadet Valory fährt
Aus dem Bette empor, es schäumt und gärt
Das Gift ihm im Leibe und macht ihn toll;
Sein Busen schwoll
Vor sinnloser Wut,
Er sieht nur Blut.
<246>Wie die Löwin schnaubt,
Der die Jungen geraubt,
Und brüllt, daß die Wüste widerhallt,
Und Neger zerfleischt und zerkrallt -
So kam der Marquis, der vor Wut sich nicht kannte,
Der schwer beleidigte Gesandte
Zum Preußenfeldherrn: „Hölle und Tod!
„Wißt Ihr, was mir der Lothringer bot?
„Wie dem ersten besten, tut er mir den Tort
„Und holt mir den treuen Darget fort!
“'s ist eine tödliche Schande! ein frecher Hohn!
„Und der Schimpf, den ich litt —
„Euch trifft er mit!
„Bin ich nicht euer Palladion?
„Drum Rache! Rache! gellt mein Schrei.
„Schafft mir den Ärmsten wieder herbei,
„Holt ihn — fordert ihn — einerlei!
„Nein, nein! vielmehr:
„In hellen Haufen fallt über sie her!
„Strömen soll ihr Verräterblut!“

So brüllte der dicke Marquis vor Wut,
Gebarte sich wie ein völlig Verdrehter,
Schlug sich die Stirn mit den Fäusten beiden,
Erging sich in schauderhaften Eiden
Wider Franquini, den Missetäter:
„O wenn mir Gott die Gnade gönnte,
„Daß ich den Kerl erwischen könnte,
„Dann weiß ich, was ich tu:
„Die Zunge reiß' ich ihm aus und die Augen dazu!“

„Nun gut, Marquis, wir sind bereit,
„Euch zu helfen aus dieser Verlegenheit.“
Valory, dem der Schädel brannte,
Wie ein Wilder durchs Lager rannte,
Indes der preußische Kriegesrat
Einstimmig beschlossen hat:
Diesen Klagen und Beschwerden
Soll schleunig abgeholfen werden;
Man wird von den Feinden verlangen,
<247>Den Darget, den sie gefangen,
Heil an Gesundheit und Leben
Sofort herauszugeben.
Zu welchem Ende die Klugen
Eine Gesandtschaft vorschlugen.

Man wählte Wortedrechsler, die gern
Sich reden hören, drei eitle Herrn
Mit Vollmachtschreiben. Ihr Führer, Camas,247-1
Wie der sich in seinem Amte sonnte,
Weil es ihm ja garnicht fehlen konnte,
Im Handumdrehn, mit Glanz und Gloria
Darget ins Lager heimzubringen!
Das muß seinem feinen Plan gelingen!

Die Furie der Zwietracht merkt den Plan und nimmt
Den Flug zum Feindeslager tiefergrimmt;
In einem nahen Wäldchen ging sie nieder,
Legt' ab ihr furchtbares Gewand, ihr schwarz Gefieder.
Nun wuchs auf ihrem Haupt schneeweißes Haar.
Das Angesicht durchfurcht von tiefen Falten,
So stellte sie sich, gleich dem kriegerischen alten
General von Wallis, unserm Karlchen dar,
Der grad' mit seinen jungen Herrn sich fröhlich unterhalten.
Da sprach die Vermummte: „Mein Prinz, das ist recht!
„Zwar geht bei uns alles hundeschlecht,
„Aber Ihr schlagt die Zeit mit Narrheiten tot,
„Überlaßt lustig alles dem lieben Gott!
„Und des feindlichen Heeres Palladion?
„Habt Ihr's gefangen? Ich seh' nichts davon!
„Schläft denn bei Euch der alte Schneid?
„Bald wird der Feind in edler Dreistigkeit
„Von Euch sich Darget wiederholen,
„Den Ihr ihm über Nacht gestohlen.
„Karlchen, ich sag' Euch, gebt Ihr ihm den,
„So ist's um Euren Namen geschehn!
„Drum neu den Ehrgeiz angeschürt,
„Der einst zu großer Tat geführt:
<248>„In Eurer Hand ruht Glück und Glanz
„Des ganzen Österreicherlands,
„Dazu großmächtiger Könige Gedeihn!“

So das Scheusal. Und Karl stand verlegen und bleich,
Einem vom Lehrer ertappten Schulbuben gleich.
Dem großen Kriegsheld blieb im ersten Schrecken
Jedwedes Wort im Halse stecken.
Dann stieß er plötzlich grimmig heraus:
„Ich schick' sie mit blutigen Köpfen nach Haus.
„Ich denke, Herr Wallis, Ihr kennt mich noch:
„Ich will mich nicht loben. Zuletzt bin ich doch
„Unser Schild, unsre Rettung; verlaßt Euch drauf,
„Mit den Preußen nehm' ich's noch immer auf!“

Und die Zwietracht kehrte, unerkannt,
Zufrieden zurück in die höllische Nacht,
Nachdem sie ihren verwirrenden Brand
In beiden Lagern entfacht.

In diesem Augenblick hört man Geschrei;
Ganz atemlos rennt Rosières herbei
Und stammelt von Gesandten, dreien,
Die von preußischer Seite gekommen seien.
Der Leser weiß schon! Das sollt“ mir fehlen,
Zweimal dasselbe zu erzählen,
Wie der gute Homer! — Kurzum, er sprach nein,
Der Lothringer: „Fällt mir garnicht ein!“
Was half„s? Man faßte auf beiden Seiten
Mit diplomatischen Artigkeiten
Sich diesmal kurz, und die Herren Gesandten
Schleunigst zur Rückkehr ins Lager sich wandten.

Ganz zwanglos, nach Art eines alten Bekannten.
Trat Nepomuk bei dem Lothringer ein;
Wie Demosthenes sprach er zwar nicht,
Er meinte ganz trocken und schlicht:
„Mischst du dich nicht in die Sache drein,
„So werden die Preußen Franquini bezwingen
„Und Darget stehlen. Drum laß dir die beiden,
<249>„Franquini und seinen Gefangenen, bringen,
„Willst du nicht ewige Schande erleiden.“

Karl schickte sogleich einen Boten aus,
Der auf tscherkessischem Renner, in fliegendem Saus,
Ja, schneller noch, als mir's will glücken,
Hier diese Verse zurechtzurücken,
Zum Lager Franquinis sprengt,
Wo man ihn frostig empfängt.

Frostig, und etwas betreten auch:
Dort ging's hoch her nach pandurischem Brauch.
Und nun heißt's aufgesessen — jammerschade!
Franquini zog ein schiefes Maul: weil's grade
So lustig war! „Ihr Freunde, zu den Waffen!
„Wir sollen Darget zu unserm Prinzen schaffen.“
Da rüsten die Panduren sich alsbald,
Flugs wird der krumme Säbel umgeschnallt
Über den Koller, den zinnoberroten;
Dann auf der Schulter rollen sie und knoten
Den Mantel fest, zuletzt quer übern Rücken
Die lange Flinte! Bald an hundert Karren
Und Leiterwagen hochbefrachtet knarren;
Troßknechte haben sie mit Beutestücken,
Mit Ballen vollgepackt zum Brechen fast,
Es ächzen und knacksen
Die Räder und Achsen,
Zehn riesige Ochsen schleppen an der Last.
Prachttiere sind's, nur langsam geht's voran,
Mühselig stampfen sie durch den Morast
Mit ihrer schwanken Ladung ihre Bahn.
Der ritterliche Lacy249-1 führt den Zug,
Der sich durch Quer, und Seitenwege schlug,
Rechts und links Pandurenscharen reiten,
Die sichern scharf und spähn nach allen Seiten.
In ihrer Mitte ist Darget, doch läßt
Franqumi ihn nicht frei, Bügel an Bügel
Reitet er neben ihm und hält ihn fest,
<250>Immer die Faust an seiner Mähre Zügel.
Dem guten Kerl ging's garnicht gut.
Wie er in rauhen Führers Hut,
Im Sattel hopsend, stets im Trab,
Dem Gaul, wie's traf, die Sporen gab.

Doch unser rüstiger Dumont,250-1 stets auf Wacht,
Lag schon im Waldesdickicht auf der Lauer,
Zum Morgengruß 'nen Flintenhagelschauer
Halt' er dem frechen Strauchdieb zugedacht.
Die Kugeln pfeifen. Man greift an,
Man lädt, man wehrt sich, kämpft Mann an Mann;
Manch einer färbt das Gras mit seinem Blut.
Doch wankt Franquini nicht der feste Mut
In dieser heißen Stunde: Ihm ist klar,
Daß es auf Darget abgesehen war.
Ihn gilt's vor allen Dingen
In Sicherheit zu bringen.
Die Besten packen ihn, durch Tal und Schlucht
Mit dem Gefangnen geht die wilde Flucht,
Indes Herr Dumont ihn vergeblich sucht.

Und Darget, der ein stilles Vaterunser sprach,
Muß hinter dem Franquini nach,
Der sehr zufrieden ist,
Daß fehlgeschlagen Dumonts List.
Franquini lacht: „Einfältiger Tropf!
„Es geht ja nicht um deinen Kopf.
„Nun heule nicht, du brauchst dich nicht zu bangen;
„Denn auch der Prinz wird freundlich dich empfangen.
„Um deine Geister aufzufrischen,
„Erzähl' ich dir meine Geschichte inzwischen.“

„Ich bin des Ewigen Juden jüngster Sproß.
„Mein Alter, in geheimen Künsten groß,
„Stand mit der Geisterwelt auf du und du;
„Ich brachte meine frühste Kindheit zu
„In meinem dalmatinischen Heimatneste;
<251>„Dann nahm mein Vater mich in jungen Jahren
„Nach Rußland mit. Dort hielt ich's für das beste,
„Nicht gleich als Jude mich einzuführen:
„Drum legte ich flotte Kavaliersmanieren
„Mir schleunigst zu, ein anmaßend Gebaren
„Samt einer großen fteiherrlichen Geste
„Und nannte mich frech nach einer Baronie.
„Die guten Leute, weiß selbst nicht, wie,
„Sie fielen glücklich auf mich 'rein
„Und schoben gar bald in ein Amt mich ein:
„Ich war einer mehr am Hof der Zarina,
„Nicht ungem sah mich die Katharina.251-1

„Einst kannte — so lang ist's noch nicht her —
„Das ungeleckte Volt nicht viel mehr
„Als niedrige Triebe; in stumpfem Sinn
„Lebt' es in Barbarei dahin,
„Bis Peter sie in die Höhe brachte,
„Eine Art Menschen aus ihnen machte,
„Der auf zwei Füßen sie laufen lehrte,
„Den Wilden beschnitt ihre Zottelbärte,
„Die Herrn Bojaren französisch anzog
„Und sie zum Dienst bei der Fahne bewog.
„Doch war's ihm leider nicht möglich eben,
„Auch andere Geister ihnen zu geben:
„Ganz zahm sind sie heute noch nicht bekanntlich
„Und für den Regierenden sehr unhandlich.
„Der Gott, der Schweigen gebietet,
„Hat sich dort eingemietet:
„Kein Zeichen verrät uns, was einer meint,
„Niemand ist das, was er scheint;
„Sie schweigen, sie brüten, sie sprechen nur leise,
„Kein Mensch tritt borten vernünftigerweise
„Mit dem Hacken auf. Und die Hofleute gar!
„Das ist euch ein ganz besonderer Schlag:
„Die raunen sogar ihr ,guten Tag'
„Sich heimlich ins Ohr. Aber eines war
„Mir recht erfreulich: Sie wissen zu saufen!
<252>„Und ferner dies: Ob da einer Bojar,
„Ob er entstammt aus dem Pöbelhaufen —
„Jedem kann's glücken, zu was zu kommen!
„Hält' mein Geschick nicht mit einemmal
„Eine betrübliche Wendung genommen,
„So wäre ich heute dort General.

„Katharina starb, die Kaiserin;
„Da war der Teufel los im ganzen Reich,
„Als sänke aufgelöst der Staat dahin,
„Da wechselten die Herrscher dreimal gleich.252-1
„Die neue Zarin zeigte mir nicht
„Ein freundliches Gesicht.
„Schon kam ein Höfling an,
„Der also begann:
„Mein Herr, auf daß Ihr unsrer Kaiserin
„Besondre Gewogenheit erkennt —
„Wohlan, nehmt hin:
„Bestallung und Patent,
„Worin sie Euch zum Hofnarren ernennt.
„Das ging mir übern Spaß, Kreuzsapperment!
„Mein Knüppel tanzte auf des Bojaren Rücken,
„Den Wisch zerriß ich in Stücken,
„Die Fetzen warf ich dem höfischen Wicht
„Ins verblüffte Gesicht
„Und prügle ihn heraus
„Bis vor mein Haus,
„Worauf man mich festnahm
„Und ich in Arrest kam;
„Dann kriegte ich gründlich was mit der Knute.
„Drauf witzelte wer — ein gemeiner Scherz —
„Da siehst du der Zarin großes Herz:
„Sie schickt dich bloß nach Sibirien, die Gute.
„Nun ward ich weit hinter Archangel verschlagen
„Und konnte dem Sonnenlicht Lebewohl sagen.

„Ein Jahr lang Hab' ich wie geistumnachtet
„In meinem Kerkergrab geschmachtet;
<253>„Da eines Tags fielen mir ein
„Meines seligen Vaters Zauberein,
„Und es begann sich in meinem Gedächtnis zu regen
„Ein alter höllischer Zaubersegen,
„Ein krauses Wort von wüstem Klang;
„Ich wagt' es darauf, und es gelang:
„Die kahle Mauer, steil und hoch,
„Unnahbar — ich erklomm sie doch!
„War's Geisterhilfe, die ich bannte?
„Verzweiflung, die die Sehnen spannte?
„Das Unerhörte war geglückt,
„Für diesmal war ich ausgerückt.
„Nun ging's durch die Wälder in fliegender Hast,
„Hier sperrte den Weg mir Sumpf und Morast;
„Das war eine Irrfahrt mit dorrender Kehle,
„Knurrendem Magen, verzagender Seele,
„Dazu die Kälte in allen Knochen!
„Und doch — mein Mut blieb ungebrochen!
„Was tat ich an Wölfen und Bären erlegen
„In der Waldeswildnis auf meinen Wegen!
„Einst dachte ich wirklich: Jetzt ist es aus.
„Die Lüfte erschollen, es war ein Graus,
„Vom Heulen der Wölfe; wutentbrannt
„Kamen sie auf mich losgerannt
„Von allen Seiten — so an die dreißig.
„Flink turnt' ich auf eine Fichte hinauf
„Und prügelte von da oben fleißig
„Mit Astwert in den Bestienhauf.
„Und wirklich gelang mir's, man sollt' es kaum denken,
„Ihrer zwein das Hinterteil auszurenken.
„Auch schmiß ich einigen die Lichter ein.
„Allein, was half mir's von meiner Pein,
„Macht' ich ein Dutzend gleich kampfunfähig:
„Ich starb schier vor Hunger! Auf einmal, was seh' ich?
„Bricht in das Rudel von lechzenden Wölfen
„Ein wirklicher Löwe, der offenbar
„In der Gegend beschäftigt war,
„Aus der Verlegenheit mir zu helfen.
„Jetzt aber, die Not macht erfinderisch,
„Schnitzt' ich mir hurtig einen Ast zurecht
<254>„Zum Bajonett und klettere frisch
„Von der Fichte herunter
„Und stürze mich munter
„In das bestialische Gefecht.
„Da waren denn, eh' ich's gedacht,
„Sämtliche Wölfe zur Strecke gebracht.
„Nun glaubt' ich, und tat mich schon drauf freuen,
„Ich könnte mir diesen gutmütigen Leuen
„Wie weiland der Ritter Gottfried254-1 zulegen
„Als Kriegskameraden auf allen Wegen;
„Doch er alsbald
„Verschwand im Wald.

„Drei Monde waren vergangen und mehr
„Nach wilden Fahrten die Kreuz und Quer,
„Nach wunderbaren Abenteuern,
„Auch mit der Wildnis Ungeheuern —
„Da sah ich Dächer! Es waren
„Siedlungen der Tartaren.
„Zu einem trat ich in seine Hütte;
„Gutmütig und gastfrei, nach Vätersitte,
„Empfing er mich in der Seinen Mitte,
„Und bot mir sogleich, der treffliche Mann,
„Sein Weib und seine Tochter an,
„Schlachtet darauf eine junge Kuh,
„Opfert auch seinen Abgöttern und Götzen,
„Schiebt dann, recht liebreich den Gast zu letzen,
„Stets mir die leckersten Bissen zu.
„Schwer sanken mir die Augenlider.
„Meine Wirte bemerkten es kaum —
„Sowas von Liebe findet man nicht wieder —
„So überließen sie mir den Raum,
„Indem sie draußen sich niederstreckten,
„Wo Rinderfelle die Erde bedeckten.

„In aller Herrgottsfrühe trat ich
„Zu meinem Wirt und um Auskunft bat ich,
<255>„Welcher Weg wohl von seiner Türe
„Am schnellsten mich nach Persien führe.
„Hochherziger Fremdling, der Gute sprach,
„Steht dir im Ernste der Sinn danach —
„Statt mit Worten dich lang zu versäumen,
„Will ich dir erst vor allen Dingen
„Meinen Bullenbeißer zäumen.
„Das ist dir ein Renner!
„Nur was für Kenner.
„Hundertmal tat er dorthin mich bringen!
„Brauchst ihm nur immer ins Ohr zu sagen,
„Wohin es soll gehn:
„Unfehlbar wird er ans Ziel dich tragen,
„Sollst dein blaues Wunder dran sehn.

„So sprach der Gute. Ich schloß ihn ans Herz,
„Säbel und Quersack ergriff ich drauf,
„Saß auf dem riesigen Köter auf
„Und trabte gen Agra morgenwärts.
„Wie ich so durch die Lande fahr',
„Begegnet mir ein graubärt'ger Tartar,
„Auch hoch zu Hund, ein Handelsmann;
„Gleich hatte mir's seine Bagage angetan.
„Ich weiß mich geschickt heranzuschlängeln,
„Ihn wehrlos zu setzen, nach rechts zu drängeln,
„Auf einmal — schwapp!
„Fliegt ihm der Schädel ab.
„Zwar hielt er stramm sich ein Weilchen noch
„Mit seinen Beinen im Sattel hoch,
„Zuletzt jedoch besann er sich,
„Daß er doch tot sei eigentlich,
„Und purzelt aus dem Sitz.
„Ich wie der Blitz
„Mach' mich über sein Geld;
„Doch sein Köter, der knurrt und bellt
„Und springt mir wütend an den Hals;
„Da regt sich meiner ebenfalls
„Und stürzt zu meiner Verteidigung
„Sich auf den ftemden mit kühnem Sprung.
„Doch war ich selber schon bei der Hand,
<256>„Vom Leder zog ich und schlug gewandt
„Mit einem Iagdhieb dem grimmigen Vieh“ —

Hier fiel ihm Darget in die Rede und schrie:
„Was seid Ihr bloß
„Ruppig und seelenlos!
„Sowas von Undank! In einem Land,
„Wo man nur Liebes und Gutes fand,
„Schnöd hinzuschlachten einen Tartaren!
„Und sowas nennt Ihr einen Barbaren!“

„Halt's Maul, du Tropf!“ Franquini faucht.
„Ich habe sein Geld zur Reise gebraucht!
„Dann kam ich, mit Ehren empfangen, an —
„Wie's gebührte einer Persönlichkeit
„Von meiner Außergewöhnlichkeit —
„Im Lager des Thamas,Chouli-Khan.256-1
„Er lag wider den Mogul zu Felde grade;
„Ich durfte im Kampf aus besondrer Gnade
„Stets um ihn sein. Sein Heerlager schien
„Bis an den Horizont sich zu ziehn,
„Man zählte an Streitern eine Million.
„Dort herrscht die Zoroasterreligion,
„Geheimnisvoll, düster in Kult und Verehrung.
„Leicht war ich zu haben für eine Bekehrung,
„Wie sich's ziemt für einen Mann von Verstand
„So wird man heimisch im fremdesten Land;
„Habe sowas öfter schon durchgemacht,
„Hat stets sich gelohnt und mich weitergebracht.

„Bald brach mein Khan mit dem Heerbann auf,
„Der Ruf seiner Furchtbarkeit flog ihm vorauf,
„Und Delhi sah sich umschlossen
„Von persischen Streitern und Rossen.
„Da gab zum Sturme das Zeichen der Khan,
„Das ganze Heer griff auf einmal an.
„Ein Regen von Pfeilen, ein Hagelschauer
„Stob uns entgegen von jeder Mauer.
<257>„Es regnete Tod! Doch von unseren Streitern
„Ward die Mauer besetzt mit tausend Leitern,
„Mit Schwert und mit Feuer drangen wir ein.
„Die Hunde will ich der Hölle weihn!
„Schreit Thamas im Blutrausch vor seinen Horden;
„Hei, da ging's an ein Morden!
„Die ganze Stadt in Vernichtung versank.
„Der Mogul, der fast im Blute ertrank,
„Tät derweilen mit großem Behagen
„Süßigkeiten knabbern und nagen.
„Ich selber natürlich, das müßt Ihr glauben,
„War unter den Ersten mit Sengen und Rauben.

„Als schließlich dem Würgen, dem Jammer, der Not
„Die Großmut des Thamas Einhalt gebot —
„Hm, dacht' ich mir, soll ich der Beute wegen
„Jetzt etwa Rechenschaft ablegen?
„Womöglich rausrücken meinen Raub?
„Da mach' ich mich lieber gleich aus dem Staub!
„So hab' ich denn wieder Reißaus genommen
„Und bin endlich zum Herrn aller Gläubigen kommen,
„In dem sich bekanntlich alles empört,
„Sobald er den Namen Perser hört.

„Damals geschah's, daß in Ungarland
„Von neuem die Kriegesfurie entbrannt':
„Der Kaiser, wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
„Überfiel meine armen beschnittenen Herrn. 257-1
„Nun, Todesgefahr, Gerauf und Getümmel
„Halt' ich ja stets für mein Leben gern,
„Und so hat es mir nichts weiter verschlagen,
„Zu Mohammeds Ehre die Waffen zu tragen.
„Fragt nach, was dort bei Mehadia
„Für Heldenwerk durch mich geschah.
,„Doch bei Kornia war mein Kriegsglück zu Ende:
„Da fiel ich in derÖstrreicher Hände.

„Natürlich trug diese Lebenswende
„Mir wieder einen neuen Glauben ein:
<258>„Diesmal mußt's nun Maria sein.
„So bin ich denn heute ein guter Christ,
„Ja sogar, was noch schlimmer ist:
„Ein Österreicher mit Leib und Seel.“ —

Hoppla! da trat sein Rößlein fehl;
Wer weiß, was es war? War's ein Unglückstritt
In eine Wagenrinne? eine Fichtenwurzel?
Jedenfalls Freund Darget muß mit
Im allgemeinen Gepurzel;
Auch die am nächsten aufgeschlossen,
Kollern zuhauf samt ihren Rossen.
Das gibt ein lieblich Gequetsch und Geknäule,
Menschenleiber und strampelnde Gäule,
Und zu unterst, im zappelnden Haufen
Liegt Franquini und kann kaum schnaufen,
Schlägt wütend um sich mit Beinen und Armen
Und flucht und schimpft zum Erbarmen.
Obendrein war der Abend nah,
Sodaß man die Hand nicht vor Augen sah.

Schon deckt die Nacht mit dunklen Schleiern
Das Weltall zu
Und spendet Ruh
Den Menschen, die von ihrer Arbeit feiern.

Franquinis Schar war vom Lager nicht weit,
Und es mußte der Lärm in der Dunkelheit
Den schlafenden Posten wecken;
Der schoß in seinem Schrecken.
„Wer da?“ — „Franquini!“ Ein Gefreiter sodann
Von der Wache sitzt auf und reitet heran.
„Herrgott! Unser Großmaul! Euer Gnaden,
„Wer hat Euch hier abgeladen?“
Jetzt begann sich der Knäul auseinanderzuklauben;
Und richtig fand auch, kaum sollte man's glauben,
Jeder wieder
Seine eigenen Glieder.

Als man im Lager vernommen,
Was sich da draußen begeben hätt',
<259>Legt sich Karlchen beruhigt wieder zu Bett.
Aber der Schlaf will nicht recht kommen;
Sein Gemüt ist gar zu sehr erregt,
Zuviel ist's, was seinen Geist bewegt.
Franquini und der Schreiber liefen
Ins Zelt und schliefen.

Wer nun noch weiter vernehmen will,
Wie die Ereignisse kamen zum Ziel
Unter Kämpfen, Horn- und Trompetenklang,
Der lese noch den letzten Gesang.

<260>

Sechster Gesang
Schlacht und Ausgang

Der Tag trat seine Reise an.
Beschämt vor seiner Strahlen Pracht
Erblich der Sternenchor der Nacht,
Und neubelebt verspürt sein Nahn
Die Welt. Der Nebeldunst verweht
Vorm Glanz, der über Berge lacht,
Das Land in jungem Golde sieht.

Der Lothringer hatte die ganze Nacht
Schlummerlos damit zugebracht,
Unruhvoll seine Uhr zu fragen,
Wann es denn endlich wolle tagen.

Er beschied seine Freunde, seine Getreuen:
„Meine Lieben, es geht uns schlecht,
„Wir sollen uns keines Erfolges freuen!
„Wie bescheiden und wie gerecht
„Sind doch die Wünsche, die wir hegen —
„Der grausame Himmel bleibt taub dagegen!
„Nun haben wir Spott und Schande davon:
„Es war nichts mit dem Palladion,
„Der Preuße bewahrt's in zu sorglicher Hut.
„Und doch, wir müssen alles dransetzen,
„Endlich die Scharte auszuwetzen,
„Es hilft nichts! Es wird nicht eher gut!“
<261>Der männermordende Rosieres
Brach los: „Das kommt davon, auf Ehre,
„Daß Ihr auf die alten Schwätzer gehört,
„Die Euch mit Heiligengeschichten betört,
„Bei denen sich jedes Kriegerherz empört!
„Um den Wagemut ist's im Alter geschehn;
„Da weiß man seinen Rosenkranz zu drehn —
„Nur mit der ganzen Helligkeit
„Kommt man im Leben nicht weit.
„Ihr seid noch jung zu kühner Tat;
„Folgt Eurem Mut, nicht weisem Rat!
„Doch darf ich meine Meinung sagen,
„So soll man nichts nach Heiligen fragen.
„Im Himmel sind sie an rechter Stelle,
„Hier aber haben sie nichts getan,
„Um uns aus dem Unglück zu helfen. Wohlan,
„Versuchen wir's mal mit der Hölle!
„Ich meine, wer auf den Teufel zählt,
„Wird mit den Preußen besser fertig,
„Und unser famoser Franquini hält
„Stets Teufelskünste gegenwärtig.
„Er kann wohl beschwören“ —

„Heilige Marie!“
Vor Entsetzen das gute Karlchen schrie.
Allein der gute Rosieres schwor
Auf der Höllengeisier ganzen Chor;
Franquini aber verwettet sein Leben,
Die ganze Welt aus den Angeln zu heben.
Das gute Karlchen in Angst und Pein
Wird endlich bezwungen und schickt sich drein.

Ein Wäldchen lag vom Lager nicht weit,
Ein Ort des Friedens, der Einsamkeit,
So recht was für weltflüchtige Leute.
Dorthin pilgern drei Männer heute,
Das gute Karlchen an ihrer Spitze.
Er hat sich mit Weihwasser besprengt:
Man kann nie wissen, wozu das nütze,
Wenn uns der Böse listig bedrängt.
<262>Angelangt im Waldesverstecke,
Zieht Franquini eine alte Scharteke heraus,
Sucht mühsam einen Verbenenstrauß,
Bricht einen Zweig von der Haselnußhecke,
Schnitzt ihn zurecht, und auf einmal, o Graun,
Ist er ganz scheußlich anzuschaun,
In Ton und Gebärde schreckensvoll,
Wie die Seherin des Apoll:
Wenn ihr Dämon über sie kommen,
Von ihren Sinnen ein göttlich Feuer
Unwiderstehlich Besitz genommen,
Auf ihrem Dreifuß rauchumhüllt,
In Erregungen ungeheuer,
Das irrende Auge begeisterungswild,
Gibt sie taumelnd, mit schäumendem Mund
Ihre heiligen Orakel kund.
Noch schrecklicher als sie erschien
Dem Prinzen der Beschwörer Franquin.
Fuchtelnd tat er sich strecken
Mit Fauchen und Zähneblecken;
Und ein Kauderwelschen
Beginnt er mit höll'schen
Banngebärden;
Ein Kollern und Rasen
In grausen Ekstasen,
Um toll zu werden;
Und malt in die Luft
Die seltsamsten Zeichen,
Beschwört und ruft
Aus den finsteren Reichen
Astaroth und Luzifer
Und andre Höllengeister mehr.

Im Holze erhub sich ein brausend Rumoren,
Franquini wechselt die Farbe nicht,
Doch Karlchen erblaßt bis über die Ohren,
Reißt aus und bekreuzt sich und glaubt sich verloren;
Das Poltern kommt näher, es kracht und es bricht
In Buschwerk und Dickicht — herausgerannt
Kommt plötzlich, schau, schau!
<263>Eine grobe Sau
Und tobt vorbei unserm Nekromant.

„War das alles?“ so spöttelt Rosieres,
„Darum stellst du so greulich dich an,
„Spielst hier den Nachtspuk und wilden Mann,
„Rufst Luzifer,
„Um schließlich hier
„Ein Borstentier,
„Das friedlich in seiner Kule lag,
„Aufzuscheuchen vor Tau und Tag!“

Jetzt wagt's auch Karlchen, den Kopf zu drehn:
Er konnt' es noch grade verschwinden sehn,
Das Ungetüm, und da schlechterdings
Nichts Verdächtiges war zu erblicken rings,
So ging er hübsch langsam, blieb schließlich stehn;
Inzwischen holte auch Rosieres ihn ein.
Franquinis Verlegenheit war nicht klein;
Er sagt' es dem Lothringer auf den Kopf:
Schuld sei allein sein Weihwassertopf.
Dagegen konnte Karlchen freilich nichts sagen!
„Mag sein,“ meint Rosières und lächelt schlau.
„Doch, um dies zu ergründen genau,
„Erlaube ich mir jetzt vorzuschlagen:
„Wir wollen einen zweiten Vorstoß wagen,
„Und zwar mit verdoppelter Ladung diesmal!“
Da Hub sein schaurig Ritual
Der grimme Franquini von neuem an,
Indem er mit doppelten Kräften begann.

Schon dachte jeder: aber jetzt!
Jetzt muß doch samt den Seinen
Herr Satan gleich erscheinen!
Da nahten auf einmal, ganz abgehetzt,
Ganz außer Atem, ein paar Offiziere:
Soeben marschiere,
Bereit zur Schlacht,
Mt großer Macht
Der Feind heran.
<264>„Euch rappelt's wohl!“ so schreit der Prinz;
„Denn wahrscheinlich find's
„Nur einige Herden
„Von friedlichen Hammeln,
„Über denen sich Staubwolken sammeln:
„Das gleicht dann von ferne Menschen und Pferden.“
Nein, nein! Sie beschwören's und bleiben dabei,
Daß es die Streitmacht der Preußen sei.
„Auf! Auf drum, mein Prinz!“ Sie drängen, sie schrein.
Und Franqumi? Dem fällt vom Herzen ew Stein:
Er war zu Ende mit seinem Zauberlatein.
Das Kleeblatt eilt davon in stürmischem Lauf.
Wie reißt da Karlchen die Augen auf,
Als er sieht, wie der Feinde Scharen
Gegen das Lager im Anmarsch waren.

Ihm war's, als sähe er vier riesige Schlangen
Sich näher wälzen, die Gefilde decken;
Von ihren glanzgeschuppten Rücken sprangen
Buntfarbige Lichter, und er sah mit Bangen,
Wie sie sich mächtig in die Breite recken.
Aus ihren Massen dringt ein dumpfes Dröhnen
Von Waffen und von Rossen, und es tönen
Hell die Kommandorufe, Trommeln, Zinken.
Im Staub verfinstert sich der Sonne Blinken.
Ausdauer, Kühnheit, Manneskraft und Mut
Führen das Heer zum Streite;
Entsetzen, Schrecken und der Durst nach Blut
Sind sein finsteres Geleite.

Wer könnte indessen beschreiben, o Himmel!
Im Österreicherlager das Getümmel?!
Man sattelt sein Pferd,
Man gürtet sein Schwert,
Man ergreift sein Gewehr;
Den Helm, den Küraß her!
Wer feige, wer tapfer, noch kann man's nicht sagen;
Noch sieht man keinem etwas an:
Den schwachen und den harten Mann
Sieht man dieselbe Miene tragen.
<265>Jetzt nimmt der Preuße seinen VorteU wahr
Und bietet einen eisernen Willkommen dar.
Zweihundert Blitze prasseln los:
Was reißt für Lücken das schwere Geschoß!
Da erweist seine Reverenz der Feind.
Doch bald sieht man ihn bei den Fahnen vereint:
Zuerst die Kürassiere auf dem rechten Flügel zur Stelle,
Dann die stolzen Grenadiere im Schmuck ihrer Bärenfelle;265-1
Drauf Bethlehemiten, Lykanier und Gomorrhaten,
Portalisien, Böotier, Siebenbürger, Kroaten,
Timoktaler und so weiter,
Alles tapfere Streiter.
Dann die Dragoner ganz auf dem linken Flügel,
Auf kleinen Gäulen, doch sicher im Bügel.
Doch überall schwärmten Husaren,
Viele tausend, in großen Scharen,
In kleinen Haufen,
Auf ihren Pferden, den schnellen;
Sie lieben das Raufen,
Sie schweifen und streifen,
Sind nimmer zu greifen —
Des Kriegsgotts lustige Gesellen.
Der wackre Franquini beschloß,
Wie immer begehrlich:
Man plündert am besten den Troß;
Das ist nicht gefährlich.

Das gute Karlchen wies jedermann
Von den Führern jetzt seinen Posten an.
Da bekamen die Herrn aus dem Sachsenland
Auf dem linken Flügel ihren Stand;
Sie machten gezierte Gesichter
Als künftige Heldentatenverrichter.
Graf Wallis erhielt die Reserve zu führen,
Lobwowitz soll zu den Kürassieren.
Doch der hält das für einen schlechten Kauf,
Knurrt Karlchen an in trotzigem Ton:
„Diesen Heldenarm und meine Person,
<266>„Die spart' ich für große Taten auf!
„Ein festes Kommando ist mir verhaßt;
„Ich will da kämpfen, wo es mir paßt.“

Es war wohl für Karlchen ein Tag der Gnaden,
Er war heut mit Klugheit förmlich geladen;
Wie ein Gott war er heut, und sein Angesicht
Strahlte schier von Erkenntnislicht.
Er hörte es an mit Schweigen
Und ritt zu Arembergs Soldaten:
„Heut soll der Preuße den Rücken uns zeigen!
„Beweist es durch Taten!“ —
„Mein Prinz,“ entgegnet der Herzog da,
„Ohne Frage, zu fechten verstehn wir ja;
„Schlug ich doch selber in eigner Person
„Ihrer viere nieder, des öfteren schon.
„Doch Ihr, der Könige Stab und Stecken,
„Und wiederum anderer Könige Schrecken,
„Ihr habt gestern wirklich, muß ich sagen,
„Eine allzu schneidige Klinge geschlagen;
„Konntet wirklich die hochedlen Herrn
,Der Preußengesandtschaft gut und gern
„Bescheiden mit etwas mehr Höflichkeit;
„Dann hätten wir heute jedenfalls
„Den Morgenbesuch nicht auf dem Hals!“ —
„Heiliger Joseph! Ich glaub' gar, Ihr seid
„In tausend Ängsten?“ fuhr Karlchen ihn an. —
„Oho! Vielleicht Ihr!“ Und nun begann
Ein weidlich Schimpfen
Mit allen Trümpfen.

Da kam Graf Wallis, der Alte, wie bestellt;
Ihm war der dumme Spada zugesellt.
„Ihr Helden,“ schalt er, „was soll das Krakehlen!
„Jetzt heißt es, den Gegner niederstreiten,
„Jetzt heißt es, marschieren, handeln, befehlen —
„Ihr vertrödelt die Zeit mit Albernheiten!
„Ah, wär' ich wie einst noch, strotzend von Kraft,
„In längst entschwundenen Jugendtagen,
„Ich hätt's mit dem Feinde allein geschafft,
<267>„Würde euch garnicht erst fragen!
„In Italien 267-1 — was war ich doch ehemals
„Für ein flotter Bursche, ein Wagehals,
„Mein Arm so gefürchtet wie bewundert
„Durch Heldentaten mehr als hundert!
„Und was mochten die Weiber mich gern
„Zum Ärger der jungen verliebten Herrn.“

Dem Spada war das Gerede
Des Alten zu öde:
„Edler Herr, was Ihr da gesprochen,
„Das scheint mir weder gehaun noch gestochen;
„Homerische Helden fallen einem ein
„Mit ihren endlosen Prahlerein.“

Da just in diesem Augenblick
Gesellte den dreien ihr Mißgeschick
Herrn Waldeck, den trutzigen,
Den Lästerer nichtsnutz'gen!
Nun entbrannte erst recht
Das Redegefecht!
Der heischte nun gar, daß des Tages Ehre
Ihm allein gehöre.
Was Luxemburg? Was Prinz Eugen?
Den Waldeck sollt ihr erst mal sehn!

Indes die Führer lagen im Streit
Um Heldenpreis und Würdigkeit,
Rückten mit Macht
Die Preußen zur Schlacht.
Schon trat der rechte Flügel an
Und warf sich mit Schneid
Auf der Sachsen zaghaften Heeresbann;
Nur kurze Zeit
Versuchten die standzuhalten, doch dann —
Was? Abwarten, bis jene ganz nahe heran?
Die weichlichen Herrlein dachten nicht dran.
<268>„Reißt aus, ihr Helden aus Sachsenland,
„Was habt ihr hier auf der Walstatt zu schaffen?
„Nach Hause mit euch, Porzellan gebrannt,
„Fruchtstücklein, Vasen, Pagoden und Affen!“
Und damit fuhren die lustigen Spötter
Über die Flüchtigen wie ein Donnerwetter.
Da sausten die Klingen,
Da mußten sie springen,
Also, daß vor den preußischen Hieben
Ihrer nicht zwei beieinander blieben.

Der wackre Franquini fand seinerseits
Am Gepäck doch wieder den meisten Reiz.
Herr Dumont268-1 sah dies Stehlen und Rauben,
Flugs fiel er über die Spitzbuben her,
Da mußte das Pandurengesindel dran glauben.
Franquini, der von der räubernden Schar
Völlig im Stich gelassen war,
Setzte sich grimmig zur Wehr,
Den Säbel zog er schnell;
Schon sprudelte rot und hell
Des Blutes lebendiger Quell.
Der Pandure ward falsch zuletzt,
Gern hätte er dem seine Quinte versetzt,
Doch auf Quinten und Finten sich Dumont verstand,
Hat ihm den Stahl w die Rippen gerannt.
Franquini wankt, und atemlos
Zu Bodm stürzt er im schmetternden Fall;
So bricht im Walde mit wetterndem Hall
Eine Rieseneiche des Sturmwinds Stoß.
Er knirscht, seine Finger ins Erdreich krallen,
Hinströmt sein Blut, er erschaudert, erbleicht;
Das ist der grause Tod, schon fallen
Die Lider ihm zu, noch ein letzter Fluch,
Und die sündige Seele entweicht.

Gern hätten, da ihnen der erste Versuch
So glorreich gelungen,
<269>Die Preußen der Lorbeern noch mehr errungen:
Jetzt zu den tapferen Kürassieren!
Auf der Linken gilt es den Stoß zu führen.
Nassau269-1 und Rothenburg269-2 voran,
Camas269-3 und Chasot269-4 folgen dann.
Dreißig Schwadronen preußischer Reiter
Rasseln jetzt los, erbitterte Streiter.
Und wie die Erde erbangt und erzittert,
Wenn es in Felsenschlünden gewittert,
Nachtschwarze Wolken der Feuerberg speit,
Also erbebte hier unter den tausend
Donnerhufen, mit Sturmgewalt brausend,
Weitum die Erde, da enggereiht
All die prangenden Kämpferscharen
Wider die Feinde dahergefahren;
Himmel und Erde, so schien es, waren
Selber w tobendem Aufruhr und Streit.

Ein Augenblick nur — da sind sie heran.
Nun Klmge auf Klinge, nun Mann wider Mann.
Zuerst nur ein wüstes, dumpfes Getöne,
Eisenklang und wuchtiges Gedröhne,
Von Kampf und Wut ein Brüllen und Schrein,
Staubwolken verdunkeln den Tagesschein.
Das war ein Stoß, das war ein Prall!
Also berennt einen Mauerwall
Ein mächtiger Rammbock — wie hier der Graf
Von Nassau auf die tapfren Schwadronen
östreichischer Kürassiere traf.
Da mähte der Säbel, da galt kein Schonen.
Hinein und durch! Haut alles nieder!
Durch zuckende Glieder
Von Roß und von Mann
Eine blutige Bahn!
Was vor den mördrischen Hieben
<270>Nicht liegen geblieben,
Reißt die rasende Flucht hindann.
Es türmen die Leiber sich unter dm Rossen,
Blutbäche kommen rieselnd geflossen;
Dort rast, entledigt von Zaum und Zügel,
Ein Hengst dahin und schleift seinen Reiter
Durch den Sand, den Fuß noch im Bügel;
Andere schleppen sich taumelnd weiter,
Bis sie todwund, verstümmelt, durchstochen,
Zusammengebrochen.
Besät von Leibern der Krieger, der Pferde
War ringsum die Erde.
Genug, die Schwadronen des Lothringers lagen
Im Staube, gründlich aufs Haupt geschlagen,
Und die nicht geblieben,
Hat des Nassauers Schwert,
Im Streite bewährt,
Zu Paaren getrieben.

Sankt Nepomuk mit schwerem Gram
Von diesem Schlachtengraus vernahm,
Und sieh, in Kolowrats Gestalt,
Des frommen Böhmen, wo der Hauf
Der Fliehenden sich am dicksten ballt,
Taucht plötzlich im Gewühl er auf
Und läßt sogleich nach allen Enden
Trompetenruf zum Sammeln senden,
Und die Reiter halten und wenden.
Der Heilige stellt sich den Flüchtigen entgegen,
Väterlich mahnend ihr Herz zu bewegen.
Als Helfer in der Not sodann
Rief er Sankt Borromäus an.
Der kam — ein wunderlicher Reitersmann —
Einen Eismhut auf dem Kriegerhaupt,
Die starren Schnurrbartenden verquer
Unter der Nase hochgeschraubt,
Am linken Arme die Tartsche schwer.
Und nun das Roß erst! Es ist die Blume
Aller Renner von epischem Ruhme!
Selbst Podarges Glanz muß daneben erblassen,
<271>Und Rabikan darf sich begraben lassen:271-1
Der derzeitige Besitzer gewann es
Für hohen Preis vom heiligen Johannes,
Bei dem es, wie aus der Schrift bekannt,
In der Apokalypse271-2 Verwendung fand.

Kaum sah man den Heiligen in dieser Gestalt
Als ringsum tolles Gelächter schallt!
Vergessen schien Angst und Schrecken alsbald.
So hat es sich Nepomuk ausgedacht:
Dies Mittel, wußte er, ist probat!
Und so gelang's auch in der Tat:
Der alte Mut war neu erwacht,
Aufs neu der Kriegerzorn entfacht.

Die List war fein, der Spaß gelungen;
Doch Hedwig, Luther und Calvin
Und Genooeva,die merkten darin
Die böse Absicht. Da sind sie gesprungen
Quer über die Felder, die jammerreichen,
Besät mit Verwundeten, Sterbenden, Leichen.
Dem Allerschlimmsien zuvorzukommen,
Hat Calvin des Dessauers Maske genommen,
Indes verwandelte Luther sich,
Sodaß er dem General von Kalckstein271-3 glich.
Nicht ganz so weit
Wagt sich die heilige Weiblichkeit:
Bescheidentlich hocken die beiden Damen
In einem Eichenwipfel zusammen;
Dort kann nichts Gröbliches ihnen begegnen,
Dort oben können sie aus den Zweigen
Sich ungestört zu den Ihren neigen
Und sie von oben her segnen.

Die Streitkräfte sammeln sich hüben und drüben;
Freilich Sankt Nepomuk erschrickt,
<272>Wie er das Unheil erblickt:
Die Lothringschen nahezu aufgerieben!
Das geht nicht gut, diese armen Trümmer,
Erwägt der Heilige, nun und nimmer
Dürfen die nochmals in die Schlacht
Mit der gesamten Preußenmacht!
Wozu wäre denn der Wald eck da
Mit seiner verwegenen Furia?
Der hat sich ja stets um Gefahren gerissen,
Der lechzt ja nach Raufen, nach Beulen und Schmissen;
Den Hetze ich drauf! — Gedacht, getan:
„Auf jetzt!“ schreit er den Fürsten an.
„Ihr seid unser Rächer heut', seid unser Mann!“
Der Waldeck setzt die Sporen ein
Und sprengt drauflos und hält allein
Inmitten der feindlich gelagerten Reihn.
Und reißt den Mund auf gewaltiglich:
„Ihr preußischen Herren, wer wagt's wider mich?
„Heran, wer Herz hat!“ und schlägt an den Degen.
Streitbar sprengt ihm Graf Truchseß272-1 entgegen.
Schon sind sie aneinander. Da durchfuhr
Des Grafen erster Hieb die Zügel nur
Vor seines wütigen Gegners linker Faust;
Der schäumt vor Zorn, und seine Klinge saust
Auf Truchseß. Zu Tode getroffen, der Held
Stürzt wie vom Blitze gefällt.

„Wer ist der nächste hinter Truchs?
„Wer in dem ganzen Preußenhauf
„Bringt jetzt noch die Courage auf,
„Mich zu bestehn? Wohlan, der versuch's!“
Reitet der Rothenburg kühn in die Schranken:
„Fürst! Daß Euch Euer Prahlen nicht reut!
„Trügt mich nicht alles, so büßt Ihr's noch heut:
„Truchseß ist tot — doch hier lebt und hier beut
„Trutz Euch ein andrer! Mein Mut kennt Wanken!“
„Los denn! Es gilt!“
Schnaubt Waldeck wild.
<273>Nun aber Hub ein Fechten an!
Was Leibeskraft, verwegner Mut
Im Männerkampfe Wunder tut,
Was jeder Kämpe sich gewann
An Schnelle und gelenker Kraft,
An ritterlicher Meisterschaft,
Hier ward's bewährt, hier ward's getan.
Aug' sprüht in Auge Zorn und Wut;
Jetzt aneinander blind-verwegen,
Jetzt voreinander auf der Hut,
Mit hageldichten Schwertesschlägen
Umkreist ein jeder seinen Gegner;
Und Hieb auf Hieb wie Wetterstrahl,
Doch immer klirrt nur Stahl auf Stahl.
Jetzt zornentbrannter, jetzt verwegner
Sprengten sie aufeinander los
Zu Hieb und Stoß;
Doch wie das Eisen knirschte und stöhnte,
Der Harnisch funkenstiebend dröhnte,
Er hielt wie harter Mauerwall
Im mörderischen Klingenprall.
Der Graf von Rothenburg indessen,
Besonnener, von kältrem Blut,
Jetzt einen scharfen Kopfhieb tut —
Ein Meisterhieb! Der hat gesessen!
Tief durch den straffen Bizeps schnitt er:
Der Schwertarm, hochgereckt zum Schlag,
Sank jäh herunter, und da lag
Der blutige Degen auch. Wie bitter
War das dem Stolzen, brennend sehrt es
Das Heldenherz: Beraubt des Schwertes!
Das wurmt, er beißt die Lippe wütend,
Gemeßnen Schrittes, finster brütend
Zurück zu seinen Freunden ritt er.
Gemeßnen Schritts! Also ein Leu,
Weidwund vom Negerpfeil: bedächtig
Nur weicht er rückwärts, stets aufs neu
Dreht er das Mähnenhaupt und mächtig
Peitscht er den Schweif um beide Flanken
Und brüllt in ungezähmtem Mut —
<274>So schied Fürst Waldeck ohne Wanken
Mit rachedrohenden Gedanken.

Jetzt setzt sich Saint-Ignon in Trab;
Und tatenfroh
Löst Freund Chasot
Den Rothenburger ab.
Der Österreicher gebarte sich
Gar fürchterlich;
Chasot trabt zu,
Sieht seinen Mann
In guter Ruh'
Sich staunend an,
Setzt im Sattel zurecht sich,
Zieht vom Leder bedächtig.
Drauf Saint-Ignon: „Gleich bist du hin,
„Bete schnell noch zu deinem Calvin.“ —
„Und du befiehl deine Seele,“ versetzte
Der Ritter Chasot, „der Jungfrau Marie!
„Mich dünkt, es schlug deiner Stunden letzte.“
Nach diesen Trutzreden fielen sie
Einander an. Doch ist da zu melden:
Sehr verschieden waren die Helden;
Während Saint-Ignon nur ein Maulheld war,
Der gern aus dem Weg ging der Gefahr,
Wollt's dem Chasot am besten behagen
Bei heißen Kämpfen und wildem Jagen.
Schon sitzt er dem Feind im Genick, und jetzt
Hat er ihm eins von hinten versetzt,
Daß dem das Schwert
Durch den Nacken fährt.
Er stürzt herab mit wuchtigem Dröhnen,
Und mit verröchelndem Stöhnen
Er sterbend am Boden liegt,
Sein letzter Atem verstiegt.

Jetzt aber hat Luther wieder mit Macht
Die preußische Reiterfurie entfacht,
Er führt sie stracks auf die östreichschen Reih,
<275>Die fliehen und räumen das Feld der Schlacht,
Und die Ehre wird den Preußen wieder allein.

Nur Lobkowitz möchte das Geschick noch wenden,
Mit Kräften der Verzweiflung schlägt er drein,
So ihm zur Seite Aremberg und Stein.
Da sanken unter ihren Würgerhänden
Im Heldentod zwei edle Degen hin:
Camas und Schwerin!275-1

Graf Rothenburg nun seinen Angriff kehrt
Auf Lobwowitz, der sich noch immer wehrt.
Er umgeht ihn und schneidet den Rückzug ihm ab.
Doch der, noch einmal aufgerafft,
Schlägt sich durch mit der letzten Kraft,
Die heldische Todesverachtung ihm gab,
Und weiß einen Weg sich zu bahnen
Zu des Lothringers Fahnen.
Aber die Preußen wie Wetter und Blitz
Schmettern zermalmend in den Feind —
Endlich wankt auch Fürst Lobtowitz,
Er, der nimmer zu fiiehen gemeint!
Die preußischen Reiter Sieger waren,
Die Feinde zerstoben auf allen Straßen;
Der Rothenburger und seine Scharen
Den Fliehenden auf den Fersen saßen.
Es ward auf dieser wilden Jagd
Manch General zum Gefangnen gemacht.

Doch nun entbrannte der Kampf erst recht
Beim Fußvolk! Welch rasendes Feuergefecht!
Inmitten: der Preußen Palladion
Im Schutz einer dichtgeschloßnen Schwadron.
Karlchen, dem bei dem gräßlichen Morden
Ganz ängstlich geworden,
Empfing noch schnell die Absolution.
Wie da die mördrischen Salven rollten
<276>Von Bataillon wider Bataillon!
Nachtschwarz stiegen die Rauchwolken schon,
Die, zu mehren die Schrecken der Schlacht,
Des Tages Helle verdunkeln wollten;
Grell durch den Qualm, den Dunst, die Nacht
Flammten die Salven im Peloton.
Das Blei, dem Feuerschlund entflohn,
Es kennt kein Ansehn der Person:
Da fielen zwei edle Markgrafen gut
Aus erlauchtem Fürstenblut276-1
Du, Wilhelm, jedem Preußen teuer!
De Rège,276-2 Varenne,276-3 du Getreuer!
Da auf dem Felde seht
Die Helden hingemäht!
Wie Blumen, bunt von tausend Farben,
Die, eh' der Lenz, der sie gebar,
Gegangen war,
Im Gluthauch einer Stunde starben.
In diesem Ringen ungeheuer
Verdoppeln die Preußen ihr rasendes Feuer:
Geschossen, geladen — geladen, geschossen!
Das geht wie der Teufel, unverdrossen;
Der schwarze Ätna, an Gluten reich,
Die stammende Hölle kommt dem nicht gleich.
Viel Feinde fielen. Im Feuerschein
Aufleuchteten ihre Rotten und Reihn.
Von Entsetzen verzerrt sind ihre Mienen,
Gar mancher Schütze ist unter ihnen,
Der schießt vor lauter Angst in die Luft.
Ist da so ein Böhnlein ins Blaue gepufft.
Beschrieb einen Bogen
Und ist in den Eichbaum geflogen,
Wo das tückische Ding
In Genovevas Ferse ging.
<277>Die Holde schrie vor Schmerzen auf,
Dann wandte sie sich in schnellem Lauf
Hinauf zum seligen Paradies,
Wo sie sich bejammern ließ.
Noch dröhnten und stöhnten vom Salvengeroll
Die Lüfte, da drängten sich kopflos und toll
Um sinkende Fahnen noch Ostreichs Krieger —
Die Blüte ihrer Helden lag tot.
Kaum sieht der Sieger
All diese Bestürzung und letzte Not,
Da heißt's: Das Bajonett zur Hand,
Und das wankende Häuflein niedergerannt!
Das ist nun das Ende! Keine Gewalten
Vermöchten die Sinnlosen noch zu halten;
Wer noch laufen kann, sucht sich zu retten
Vor den preußischen Bajonetten.
Wie eine Herde, zersprengt und gescheucht,
Hinter der hungernd der Wolf herkeucht,
Also des guten Karlchens Scharen,
Aufgelöst in Entsetzen und Graun;
Hinterdrein kam der Dessau gefahren,
All die nicht flink auf den Beinen waren,
Ohne Erbarmen zusammenzuhaun.
Geschlagen war die große Schlacht.
Nun sammelt sich von fern und nah
Mählich der Preußen Heeresmacht.
Viktoria! Viktoria!
Ein Jubel war's, ein Siegsgeschrei,
Ein Höllenlärm und Juchhei,
Und in das Toben der siegfrohen Menge
Mischten sich helle Fanfarenklänge.
Jetzt ward der Austausch in die Wege geleitet:
Ein Lothringer gegen Darget, hieß es da;
Der Vorschlag ward Karlchen unterbreitet,
In seiner Gutmütigkeit sagte er Ja.
Darget den Preußen wiedergegeben!
Das war ein Triumph im Lager, ein Leben!
<278>Und Karlchen fügte zu seinem Bescheid,
Daß er, nach dieser schlimmen Geschichte,
Von heute ab für alle Zeit
Auf das Palladion verzichte.

<279>

Die Schule der Welt
Komödie in drei Akten
Verfaßt von Herrn Satyricus,
der inkognito zu bleiben wünscht
(1748)

<280>

Handelnde:

Herr Bardus, Firlefanzens Bater

Firlefanz, ein junger Student, von der Universität heimgekehrt

Herr Argan, Juliens Vater

Frau Arg an

Julie, ihre Tochter, geliebt von Mondor

Mondor, Iuliens Liebhaber

Nerine, Frau Argans Zofe

Martin, Firlefanzens Bedienter

Merlin, Mondors Bedienter

Der Schauplatz ist ein Haus in Berlin, mit mehreren Wohnungen

<281>

Erster Akt

Erste Szene

Martin. Nerine

Martin. Ob ich wohl einen aus dem Haus sprechen kann, um die nötigen Maßnahmen zu treffen, bevor wir Herrn Bardus unsere Reverenz machen? — Ah, Nerine! Kommt wie gerufen. (zu Nerine:) Guten Tag, süßes Kind. Du glaubst nicht, wie ich darauf brannte, dich wiederzusehen.

Nerine. Es sieht gerade danach aus! Zwei Tage bist du nun schon von der Universität zurück, und ich habe dich noch nicht zu sehen gekriegt!

Martin. Wer zum Teufel hat dir das gesagt, daß wir seit zwei Tagen hier sind?

Nerine. Hierzulande weiß man alles, mein armer Junge. Wir Mädchen wollen halt immer mit Neuigkeiten gefüttert sein. Und wer da sucht, der findet sie am Weg. Wenn Susanne und Marie und Chloe, Fanni und Nanni beieinander stecken, da wird dir nicht schlecht über den lieben Nächsten räsonniert! Jede erzählt die Geschichte von ihrem Viertel; dann haben wir die ganze Stadtgeschichte beisammen. Siehst du wohl: auf die Art weiß ich alles, was passiert.

Martin. Na — wenn du denn alles weißt, will ich dir auch alles eingestehen. Aber verrate meinen Herrn nicht! Sein Vater verzieh' es ihm nie und nimmer!

Nerine. Neugierig bin ich, aber boshaft bin ich nicht. Ich mische mich gewiß nicht in die dummen Streiche deines Herrn. Seit zwei Tagen wartet sein Vater auf ihn, um ihn mit meinem Fräulein zu verloben. Daß du's weißt! Es kann mir freilich ganz gleich sein, was der Herr Firlefanz anstellt; aber mit dir ist das was anderes!

Martin. Du darfst den Diener nicht mit dem Herrn verwechseln, mein Schatz! Während mein Herr die Natur und alle Universitätsgelahrtheit studierte, lag mir weiter nichts im Sinn, als dir zu gefallen. Während er sich in den Strudel des galanten Lebens stürzte, bin ich dir in meinen Gedanken treu geblieben, wenn sich's auch praktisch nicht durchführen ließ. Als er sich schließlich hier noch auf zwei Tage bei<282> der dienstfertigen La Roche einlogierte, hab' ich mich nicht aus dem Haus getraut, vor Angst, sein alter Herr könnte mich gewahr werden. Bin auch nur mit Zittern und Zagen hergekommen. Aber da ich im Reisekleid bin und der junge Herr heut ins Vaterhaus zurückkehren will, so riskiere ich ja nichts.

Nerine. Offen gesagt, in deinem langen Gerede ist mir die Madame La Roche sehr unliebsam aufgefallen.

Martin. Liebes Kind, mit der Galanterie hat's eine eigene Bewandtnis. Wir Diener würden einfach als sauertöpfische Kerle gelten, wenn wir nicht galant wären. Und dann, welche Ehre für dich, wenn du dir sagen kannst: Herr Martin hat deinetwegen ein ganzes Schock schöner Mädchen geopfert, und jetzt bersten sie wegen deines Triumphs!

Nerine. Ich bin ein bißchen anderer Ansicht. Ich für mein Teil wünsche mir nichts als Treu und Redlichkeit. Ich verzichte dankend auf deine geopferten Eroberungen. Herr Martin, Herr Martin, du bist mir verdorben worden auf der verdammten Universität. Ich seh's schon, dein Herr bringt weiter nichts heim als alle Lasier von dem jungen Volk, mit dem er sich herumgetrieben hat. Er kommt nicht als Hochweiser Herr wieder, sondern als höchst wüster.

Martin. Woraus willst du das schließen?

Nerine. Aus dem Sprichwort: wie der Herr, so der Knecht. — Aber da kommt jemand. Dein alter Herr und meiner! Schaff nur den Firlefanz herbei, drück dich!

Zweite Szene

Nerine. Bardus. Argan.

Bardus. Ich muß gestehen, ich begreife sein Ausbleiben nicht. Vielleicht hat er sich durch nächtliches Studium so überanstrengt, daß er jetzt krank darniederliegt! Oder ist ihm vielleicht auf der Reise ein Unglück zugestoßen? Oder wollten seine Professoren vielleicht bloß einen Kursus in der Physik beenden oder irgend ein anderes Kolleg, ehe sie ihn reisen ließen? Ich hätte doch zur Post schicken sollen: am Ende sind Nachrichten da!

Argan. Da ist ja Nerine. Sie kann es gleich besorgen. Nerine. Ich schicke sofort hin, gnädiger Herr. (Ab.)

Argan. Ich fühle mich auch schon von Ihrer Unruhe ergriffen. O, ich kann es so gut verstehen, wie es Ihr Innerstes bewegen muß, wenn die Ankunft des heißgeliebten Sohnes nur den mindesten Aufschub erleidet — des Einzigen, auf den Sie all Ihre Hoffnungen setzen!<283> Bardus. Ja, ich habe allen Grund, ihn zu lieben. Er schlägt ganz nach mir. Schon im zartesten Kindesalter war er so vielversprechend. Mit acht Jahren konnte er schon lesen und schreiben. Sanft war er wie ein Lamm. Mit fünfzehn Jahren hatte er bereits das ganze Rabbinersiudium hinter sich.

Argan. Aber warum ein so unfruchtbares Studium?

Bardus. Wie! Unfruchtbar? Unfruchtbares Studium! Sie haben ja keine Ahnung, mein Bester! Durch das Rabbinersiudium erwirbt man sich eine tiefgründige Gelehrsamkeit. Und es macht sich wunderhübsch, wenn man in einem Brief oder einer größeren Arbeit diesen oder jenen Rabbiner zitieren kann.283-1 Aber das ist natürlich noch nicht alles! Ich habe meinen Sohn auch Cujaz und Bartolo283-2 studieren lassen, Metaphysik und Physik und die höhere Mathematik.

Argan. Mr deucht, die Metaphysik ist kein ratsames Fach für einen jungen Mann. Das ist gerade so, als lehrte man ihn die chimärische Geschichte eines Landes, wo nie ein Mensch gewohnt hat oder wohnen wird. Ich will Ihren Geschmack gewiß nicht verurteilen, aber die schöne Literatur —

Bardus. Gehen Sie mir bloß mit Ihrer schönen Literatur! Das ist ja so gewöhnlich, so eine Allerweltssache! Dazu geben sich doch nur kleine Geister her, die den Weiberchen gefallen wollen. Virgil und Homer und am Ende sogar Cicero waren nicht würdig, dem Plato die Schuhriemen zu lösen. Und dieser große Philosoph wiederum verstand nicht einmal Algebra. Wie tief stand er noch unter dem doctissimus Leibniz und seinen Schülern.

Argan. Darin bin ich nicht ganz Ihrer Meinung. Mir scheint die schöne Literatur durchaus das Richtige für junge Leute, die für die feine Welt und hoffentlich auch für die große Welt bestimmt sind. Soll ein junger Mann gut sprechen, so muß er sich auf die Redekunst verstehen. Um seiner Konversation Nahrung zu geben, muß er sein Gedächtnis mit allen Meisterwerken aus alter und neuer Zeit ausstaffieren. Die schöne Literatur gibt der Rede den artigsten Firnis. Die Kunst der feinen Welt ist die Kunst zu gefallen. Daher wird ein begabter junger Mann sicherlich besser vorwärtskommen, wenn er sich mit einem Wort des Horaz schmückt, als wenn er einen Lehrsatz des Archimedes vorbringt.

Bardus. Mein werter Freund — es tut mir leid — mit diesen Studien, die lediglich Talent voraussetzen, haben Sie sich den Verstand verdorben. Wir Andersgearteten verschmähen eine so seichte Beschäftigung. Wir sind die Erforscher der Natur. Wir gehen den Dingen auf den Grund, während ihr nur über ihre Oberfläche hingleitet. Durch Berechnung einerseits, durch unsere metaphysischen Systeme<284> anderseits reißen wir das, was der Weltschöpfer den Menschen verbergen wollte, aus dem Dunkel hervor. Ihr stellt Worte zusammen. Wir forschen nach Wahrheiten. Und das gibt den großen Männern ihr Gepräge. Sie sind leidenschaftliche Liebhaber der Wahrheiten, sind fortwährend drauf aus, neue zu entdecken.

Argan. Mir deucht aber: wenn solche Wahrheiten gefunden sind, können Ihre Mathematiker und Ihre Metaphysiker sich nicht immer über den Tatbestand einigen.

Bardus. Das kommt bloß daher, weil die einen nichts davon verstehen. Argan. Wer verbürgt uns denn das Wissen der andren? Baröus. Die Berechnungen, die Algebra.

Argan. Die Algebra —! Ich hoffe, die brauchte Ihr Sohn nicht auch noch zu lernen!

Bardus. Ich habe wohl nicht recht gehört? Wissen Sie, was ich ihn noch lernen ließ? Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Koptisch und die Grundzüge des Chinesischen. Denn wenn er sich in all diesen Sprachen schriftlich ausdrücken kann, wird seine Korrespondenz um so nützlicher für den Staat.

Argan. Ich bezweifle denn doch stark, daß zu Nutz und Frommen des preußischen Handels oder der preußischen Politik ein koptischer Briefwechsel angebracht sei. Ich meine, selbst die Algebra braucht höchstens einer, der alte Rechnungen zu entziffern hat, oder ein Finanzkontrolleur.

Bardus. Ist's menschenmöglich, so verkehrtes Zeug zu reden? Merken Sie denn garnicht, daß unser Staat und die ganze Welt nur deshalb so schlecht regiert werden, weil alle, die sich mit Politik befassen, die reinen Ignoranten sind? Von Euklid wissen sie nichts, nichts von der Algebra; sie haben weder das Prinzip des Widerspruchs noch den Satz vom zureichenden Grunde studiert —

Argan. Mein lieber Bardus, Ihr großes Wissen verleitet Sie zu Extravaganzen. Wo denken Sie hin! Mit Algebra den Staat regieren! Von denen, die unsre Führer sein wollen, fordern wir Umsicht und Einsicht, Gründlichkeit und vor allem gerechtes Wesen. Der Herrscher und seine Berater sollen das Vaterland aufrichtig lieben, seine Leiden kennen und heilen. Sie sollen Ehrsucht und Schwäche gleichermaßen meiden, sollen ihrem Volk den Frieden erhalten, aber nicht dulden, daß anmaßende Nachbarn die Majestät des Staates in den Staub ziehen. Sie sollen sich von Parteilichkeit freihalten und ohne Ansehen der Person die Tugend belohnen, das Lasier bestrafen. Und Güte muß in ihnen leben, die letzte Zuflucht aller Unglücklichen, die von Natur und Schicksal verfolgt werden. Braucht man Algebra, um so zu regieren oder den Fürsten zu beraten?

Bardus. Jawohl, man braucht sie! Denn die algebraischen Gleichungen sind der einzige Weg, auf dem wir ins Land der Wahrheit reisen können. Die Schluß<285>folgerungen sind Stationen, die uns immer näher ans Ziel führen. Die Algebra macht den Geist exakt. Wer diese göttliche Wissenschaft kennt, kann niemals auf Irrwege geraten. Sie täten gut daran, Sie ließen Ihre Tochter gleichfalls Algebra studieren.

Argan. Sie wünschen ja, daß ich Julie dem jungen Firlefanz zur Frau gebe. Ich kann aber nicht einsehen, daß sie die Algebra nötig hätten, um Kinder zu kriegen.

Bardus. Überall ist sie nötig! Ich bin ganz entzückt, wenn ich nur dran denke, was für eine niedliche Gelehrtenrasse sie in die Welt setzen werden.

Argan. Nicht so stürmisch! Ich habe mir ausbedungen, daß Julie der Heirat zustimmen muß. Für den Fall, daß sie dagegen ist, erkläre ich Ihnen, ich werde nicht so barbarisch sein, sie zu der Ehe zu zwingen. Wir müßten dann den Plan fallen lassen.

Bardus. Was! Sie sind doch der Vater! Sie werden Ihre Tochter doch nicht erst nach ihrer Meinung fragen, wenn Sie sie verheiraten wollen! Sind Sie nicht Herr in Ihrem Haus? Das ist mir ja eine spaßige Gefälligkeit gegenüber der Tochter! Mein Sohn, das können Sie mir glauben, wird die heiraten, die es mir beliebt, ihm zur Frau zu geben.

Argan. Die Philosophie, auf die es mir ankommt, erschöpft sich nicht in leeren Spekulationen. Sie geht auf eine gute, gesunde Moral aus. Wenn die Natur uns Rechte über unsere Kinder gab, so hat sie gewiß nicht gewollt, daß wir Mißbrauch damit treiben. Wir sind ihre ersten Freunde, aber nicht ihre Tyrannen. Julie ist wohlerzogen, ihr Charakter fehlerlos. Sie sieht auch im vernünftigen Alter. Sie muß es also wissen, ob sie sich entschließen kann, fortan in der Abhängigkeit von Ihrem Sohn zu leben, oder ob ihr das widerstrebt. Erzwungene Heiraten haben nur zu oft unschuldige Herzen um ihre Reinheit gebracht. Eine unglückliche Ehe könnte meine Tochter zu Verfehlungen treiben. Der Himmel bewahre mich davor, solche Verantwortung auf mich zu laden!285-1

Bardus. Wer redet denn jetzt von Moral? Mein Sohn, Verehrtester, hat nach meinem Ableben sechstausend gute Taler Rente. Wissen Sie, daß hier am Ort kein Mensch soviel hat?

Argan. Muß man denn immer den Reichsten den Hof machen?

Bardus. Lieber Freund, ich glaube, Sie haben eine Schwäche für den Mondor, den Hohlkopf, der bei jeder Gelegenheit seinen Virgil, seinen Boileau zitiert. Und wenn ich auf den Klatsch hören wollte, so lernt Fräulein Julie bei ihm nichts als „Seelenschwung“ und „Gefühle“ und „Innerstes“ und so weiter, das ganze verfluchte Kauderwelsch Ihrer Schöngeister, wovon ich nichts versiehe und auch durchaus nichts verstehen will!<286> Argan. Regen Sie sich nicht auf! Ihre Galle ist recht leicht erregbar für eine philosophische Galle. Ich Hab' es Ihnen ja gesagt und wiederhole es: ich lege Ihrem Sohn nichts in den Weg. Aber ich will meine Tochter auch zu nichts zwingen. Sprechen will ich mit ihr und sie auf Firlefanzens Ankunft vorbereiten. Weiter kann ich vorderhand nichts für Sie tun. Die Sache eilt ja nicht. Die jungen Leutchen sollen sich zuvördersi einmal kennen lernen, ehe sie sich heiraten. Überdies sagten Sie mir ja selbst, die Hochzeit solle erst nach der endgültigen Heimkehr Ihres Sohnes von seinen Reisen stattfinden.

Bardus. Ganz richtig. Aber verloben wollen wir das Pärchen schon jetzt.

Argan. Also, ich spreche gleich mit Julie und auch mit meiner Frau. Wenn Firlefanz ankommt, können Sie ihn den Damen bringen. (Ab.)

Dritte Szene

Bardus (allein)

Ein guter Kerl. Aber das rechte Abbild des ganzen Völkchens, das auf der Oberfläche dieser platten Welt herumkraucht. Uns trägt die Philosophie zum Himmel empor; wir bemerken solche Leute kaum. Aber ihr bißchen Vernunft und die unfruchtbare Moral, mit der sie sich brüsten, macht sie so eitel, daß sie sich allen Ernstes einbilden, sie könnten sich mit uns vergleichen. Na, bei meinem Sohn wird das ja ganz anders werden, dank meiner sorgfältigen Erziehungsmethode! Wartet nur, Newton, Leibniz und du, scharfsinniger Malebranche,286-1 von mir kriegt ihr einen Rivalen, der euch alle in den Schatten stellt! — Doch wer kommt da?

Vierte Szene

Bardus. Martin

Bardus. Ah! Mattin! Endlich! Wo bleibt dein Herr?

Martin. Gnädiger Herr, wir kommen arg erschöpft von der Reise, und Ihr Herr Sohn bittet um Erlaubnis, Ihnen seine Aufwartung machen zu dürfen.

Bardus. Was sind denn das für Umstände? Herein mit ihm! Martin. Sofort, gnädiger Herr! (Ab.)

Bardus. Voller Rücksicht und Artigkeit für seinen Vater! Das nenne ich mir einen wohlerzogenen Sohn.

<287>

Fünfte Szene

Bardus. Firlefanz. Martin

Bardus. Heran zu mir, einzige Hoffnung meines Hauses, Ebenbild deines Vaters! In meine Arme, mein teurer Sohn! (Sie küssen sich.) Nun, wie sieht's mit den Monaden? (Der Sohn blickt verlegen drein.)

Martin (mit zuvorkommender Mime). Gnädiger Herr, sie lassen sich ganz ergebenst

empfehlen.

Bardus (zu Martin). Mit dir spreche ich nicht. (Zu seinem Sohn:) Wie sieht's mit

den Monaden?

Firlefanz. Die Monaden, Herr Vater, werden immer noch so hoch geschätzt wie vormals.

Martin. O ja, gnädiger Herr! Wir schätzen sie außerordentlich!

Bardus. Hast du sie auch gründlich studiert?

Firlefanz. Herr Vater, die Monaden —

Martin. Die Monaden, gnädiger Herr, sind unglaublich teuer geworden.

Bardus. Was schwatzest du da? Die Monaden teuer geworden? Das versiehe, wer will!

Firlefanz. Die Sache ist nämlich die, lieber Vater —

Martin. Die Sache ist nämlich die, gnädiger Herr: man wollte uns zuviel dafür abnehmen.

Bardus. Zum Henker! Was soll denn das heißen? Firlefanz. Er meint, daß der Herr Professor mehr dafür verlangt.

Martin. Jawohl, gnädiger Herr. Das Stück Monaden ist so teuer geworden, daß wir keins kaufen konnten!

Bardus. Genug jetzt mit den Späßen! Doktor Difucius,287-1 mein Freund, hat mir fest versprochen, dich zu unterrichten und in unsere metaphysischen Geheimnisse einzuführen. Was macht übrigens seine Antwort auf das üble Machwerk, worin sein System widerlegt wird?

Martin. Er ist noch mit der Aufzählung seiner ersten vierundzwanzig Foliobände beschäftigt, gnädiger Herr. Er muß noch einen Haufen Korr — Korrouladen287-2 und Theoresen und Ar — Ar — Arge-Enten zusammenbringen.<288> Bardus (zu Mattin). Halt' Er den Mund, Schlingel! Ich spreche mit meinem Sohn.

Firlefanz. Der Herr Doktor arbeitet eifrig an seiner Entgegnung, Herr Vater. Sein Fräulein Tochter sagte mir, er sei immerfort damit beschäftigt, irgend jemand zu widerlegen.

Bardus. Wie kann man zwei Jahre in Halle gewesen sein und nicht die Geschichte aller dortigen Widerlegungen in- und auswendig kennen!

Firlefanz. Ja, Herr Vater, das kommt davon, weil ich andauernd in mein Studium versunken war und rein nichts von der Welt erfuhr, als was in meinen Kollegien vorkam und in Ihren Briefen.

Martin. O, gnädiger Herr! Wir haben allzeit mit einer Ausdauer studiert —

Bardus. Du hast wohl gar bei der Tochter Stunden genommen, statt bei dem Vater, dem großen Mann, dem Stolz Deutschlands und der Menschheit?

Firlefanz. Ich versichere Ihnen, Herr Vater, ich habe Ihre Instruktionen bestens befolgt. Ich habe all' meine Kollegien nachgeschrieben.

Martin. Ei freilich, gnädiger Herr. Wir haben unser ganzes Wissen schriftlich in unsrer Reisetasche. Wenn wir's auspacken, werden Sie Mühe haben, uns standzuhalten. Ja, wir sind scharf beschlagen! Ach, hätten Sie nur Ihren Herrn Sohn sehen können, wie er seine Thesen verteidigte: das Herz im Leibe hätte Ihnen gelacht! O ja, wir haben uns einen Namen gemacht! Fabelhaft! Wer's nicht gesehen hat, glaubt's nicht.

Bardus. Ei, ei, das hör' ich gern. Wohlan, mein Junge, da dir meine zärtlichste Fürsorge gilt, habe ich nicht allein an dein Studium gedacht. Ich habe dir auch eine Frau ausgesucht! Jung, schön und liebenswürdig, auch ein bißchen kokett. Ich will dich jetzt mit ihr verloben, und wenn du von deinen Reisen heimkehrst, wirst du sie heiraten. Heut' nachmittag werde ich dich in der Familie vorstellen. Ich hoffe, daß du meinen Plan unterstützest, zumal sie auch noch den Hauptvorzug hat: viel Geld.

Firlefanz (macht eine tiefe Reverenz). Lieber Vater — Bardus. Du wirst bald eine Philosophin aus ihr machen. Firlefanz. Herr Vater —

Bardus. Dann soll mein Haus allein eine ganze Akademie der Wissenschaften aufwiegen.

Firlefanz. Herr Vater — die Ehre und die Genugtuung der Freude, die durch die Rücksicht auf die Zufriedenstellung —<289> Bardus. Du heiratest sie also nach der Heimkehr von deinen Reisen. Ich speise heut bei meinem Freund Fabricius und ersuche dich, dorthin nachzukommen. Ich hole nur erst noch eine lateinische Arbeit von mir, die ich ihm vorzulesen versprochen habe. (Ab.) Firlefanz. Ich werde nicht verfehlen, Herr Vater —

Sechste Szene

Firlefanz. Martin

Firlefanz. Der Teufel soll ihn holen! All ihr hunderttausend Millionen Dämonen, saht ihr in den tiefsten Höllenschlünden je einen unerträglicheren Pedanten? Himmelhageldonnerwetterschockschwerenot noch mal! Was konnt' ich ihm antworten, als er nach den verfluchten Monaden fragte!

Martin. Ja ja, mein teurer Herr, wir hätten wohl etwas mehr studieren dürfen. Hab ich's Ihnen nicht manches Mal gesagt, daß wir daheim eine Aufnahme mit Hindernissen fänden, wenn wir nichts täten als alle Nächte durchbummeln, alle Tage versaufen, zum Zeitvertreib Mädchen verführen, unser Geld verspielen und hinterdrein raufen?

Firlefanz. Das wäre noch das wenigste. Aber der Sappermentspedant geht mir auf die Nerven, auf die Folter spannt er mich mit seinen gottverfluchten Monaden!

Martin. Ich Hab Sie doch aus der Affaire gezogen, so gut ich konnte. Firlefanz. Kriegt er mich aber allein zu fassen, bin ich verloren!

Martin. Sagen Sie nur, in was für einem Buch das Zeug behandelt wird. Dann kauf' ich's Ihnen und Sie studieren's schleunigst.

Firlefanz. Wir haben ja keinen Heller mehr. O verdammt, was ist das für ein Dasein!

Martin. Weil Sie Ihren letzten Taler bei der Madame La Roche draufgehen ließen. Die vermaledeite Karoline hat Sie ganz auf den Hund gebracht.

Firlefanz. Tod und Teufel! Wenn du von Madame La Roche sprichst, erwürge ich dich!

Martin. O je! Das werde ich schön bleiben lassen, sintemal Ihr Vater Sie verheiraten will.

Firlefanz. Was werden die anderen dazu sagen: Adelheid, Chloe, Cephisa, Melanis und die Morgans, die ich elegisch besungen habe?

Martin. Verzweifeln werden sie, die armen Geschöpfe. Wo fänden sie wohl einen Kavalier, der Sie zu ersetzen vermöchte?<290> Firlefanz. Kerl, ich glaube, du wagst zu spotten! Ich nehme es mit jedem auf. Mir hat noch kein Weib widerstanden.

Martin. Weib und Weib ist nicht dasselbe, lieter Herr. Die Weiber, denen Sie bisher nähertraten, waren gegen alle anderen auch nicht grausamer als gegen Sie. Wenn Sie aber eine von den Tugendsamen, von den ungeschliffenen Tugendsamen attackieren, dann können Sie was erleben.

Firlefanz. Dummer Kerl! So eine wird mir mein Lebtag nicht in den Weg kommen.

Martin. Nichtsdestoweniger wüßt' ich eine gewisse Nerine, die sich gegen mich zur Wehr setzt, so lang ich sie kenne.

Firlefanz. Ich danke für den Vergleich. Ein Hanswurst wie du — und ein junger Mann meines Schlags!

Martin. Da haben Sie selbstverständlich recht, lieber Herr. Aber wir haben auch unsere Meriten. Und es kommt öfters vor, daß Frauen lieber den Diener wählen als den Herrn —

Firlefanz. Wird's nicht bald Zeit, den alten Herrn zu treffen?

Martin. Ich glaube, Sie sind schon in Ihre Zukünftige verliebt! Diese Eile, diese Bereitwilligkeit! Mir scheint, Ihre Phantasie ist schon entstammt.

Firlefanz. Schafskopf! Wie kannst du mich für verliebt halten, wo ich doch nur die Veränderung liebe und den Ruhm, viele gefesselte Schönen vor meinen Siegeswagen zu spannen!

Martin. Einmal muß man aber doch haltmachen.

Firlefanz. Man nimmt eben die Kleine, bringt ihr Vermögen mit ihren Rivalinnen durch und läßt sie sitzen, wenn man sie gründlich ruiniert hat.

Martin. Das ist aber wahrhaftig kein anständiges Plänchen. Schämen Sie sich denn garnicht, Herr, kalten Bluts auf das Unglück eines Wesens auszugehen, das Ihnen niemals etwas zuleide tat? Als wir seinerzeit von hier abreisten, waren Sie so brav. Was mußten Sie auch auf die Universität geschickt werden! Das böse Beispiel, das fortgesetzte Luderleben in schrankenloser Freiheit —

Firlefanz. Schweig, du Lump! Bei allen Milliarden Teufeln, hat der Mensch je einen impertinenteren Schlingel gesehen! Gottes Donner! Unterstehst du dich, weiter zu räsonnieren, so sollen mich Beelzebub und Astaroth kriegen, wenn ich dich nicht erdrossele! Folge mir! Es ist Zeit, meinen Vater abzuholen.

Martin. O, o! Das geht übel aus. Entweder für ihn, oder für mich.

<291>

Zweiter Akt

Erste Szene

Julie. Nerine

Julie. New, ich sehe keinen Ausweg. Ich will ihm alles opfern, meine Liebe, mein Leben.

Nerine. Aber, Fräulein, Sie sind zu rasch. Sie kennen doch Ihren Vater. Er ist mild und gut, er wird Sie gewiß nicht zwingen. Wenn er Ihnen von Firlefanz spricht, brauchen Sie ihm nur zu sagen, daß er Ihnen nicht gefällt und Ihr Herz sich für Mondor entschieden hat.

Julie. Wenn mein Herz sich schwach zeigt, muß meine Vernunft dagegen ankämpfen. Ein Vater, der so gut und ehrwürdig ist wie meiner, hat das Recht, von seinen Kindern alles zu fordern. Wenn ich seinem Willen folge, bin ich sicher, niemals fehlzugehen. Was er anordnet, werde ich immer blindlings tun.

Nerine. Was für schöne Gefühle, Fräuleinchen! Die berühmtesten Heldinnen könnten's nicht schöner. Aber lassen wir lieber den Heldenstil, ich bitte Sie, sprechen wir gutbürgerlich von der Heirat. Sie soll doch über Ihr Leben entscheiden! Ich bin gamicht dafür, daß Sie Frau Student werden. Ein Ehemann, der erst noch aufReisen gehen will und wer weiß wie lang auf sich warten läßt, verdient, daß man ihn stehen läßt. Außerdem scheint mir der Mondor hundertmal besser zu Ihnen zu passen. Da haben Sie doch eine reife Frucht. Der andere ist ja noch grün!

Julie. An seiner Reise würde es nicht liegen, wenn ich mich entschlösse, nein zu sagen. Aber ich würde meinen Vater sehr kränken.

Nerine. Ach! Der arme Mondor! Er überlebt es nicht! Sie wollen ihm den Dolch ins Herz stoßen. Mein liebes, gutes, gnädiges Fräulein, könnten Sie wirklich den liebenswürdigsten Kavalier von Berlin zur Verzweiflung treiben?

Julie. Was soll ich tun? Was rätst du mir?<292> Nerine. Sie müssen Ihrem Vater in allem Respekt gestehen, daß Sie Mondor lieben und ihn zum Mann haben wollen.

Julie. Wenn Papa böse würde, ich wäre untröstlich.

Nerine. Ihr Vater hat Sie viel zu lieb, um böse zu werden. Und die Sache selbst ist zu vernünftig, Fräulein. — Doch da kommt ja der Mondor selber.

Zweite Szene

Julie. Nerine. Mondor

Mondor. O ihr Götter! Wäre es Wahrheit, gnädiges Fräulein? Ich höre, ich soll Sie auf ewig verlieren!

Julie. Herr Mondor, Nerine hat mir erzählt, daß mein Vater eine Unterredung mit Herrn Bardus hatte, und daß er mich dem Herrn Firlefanz zur Gattin bestimmt.

Mondor. Und Sie sind einverstanden, gnädiges Fräulein?

Julie. Mein Vater hat mit mir noch nicht darüber gesprochen. Aber Sie wissen, Herr Mondor, Mädchenpflicht kennt kein Verdienst als den Gehorsam.

Mondor. Wie? Sie wären also einverstanden mit meinem Unglück, Sie würden sich sogar zur Mitschuldigen machen? Sie wollen mich zugrunde richten, gnädiges Fräulein! Meine Vernunft, mein Glaube an das Gute, alles — alles wäre dagegen machtlos. Ihre Schönheit, die ich anbete, Ihre Tugenden, denen ich Tempel errichte, sind der Ursprung meiner Liebe. Ich weiß, ich bin nicht wert, Sie zu besitzen, und doch wagte ich, meine Wünsche zum höchsten Glück zu erheben. Ich hoffte. Ach! Wie leicht redet man sich doch ein, was man sich wünscht! Ich sah und fühlte, atmete, lebte nur noch durch Sie. In diesem furchtbaren Augenblick verliere ich meine Herrin und den Frieden meiner Seele zugleich. Denn alle Achtung, die ich Ihnen, mein Fräulein, schulde, kann mich nicht hindern, Rache zu nehmen an dem beglückten Sterblichen, der mich verdrängt. Was habe ich zu verlieren, wenn ich Sie verlor? Das Leben kann mir nur noch eine Last sein, mein einziges Glück der Tod. (Er versinkt in tiefe Traurigkeit.)

Julie. Mondor, hinge es von mir ab, so würden unsere Geschicke auf ewig vereinigt. Ihr Geist, Ihre Tugenden und Talente gleichen aus, was das ungerechte Schicksal Ihnen versagte. Mich verlangt nicht nach äußeren Gütern. All meine Wünsche wären erfüllt, wenn ich Ihnen angehören dürfte. Ja, ich wiederhole es Ihnen: hat mein Herz sich eine Schwachheit vorzuwerfen, so ist es einzig die, daß ich Sie liebte. Alle Welt spendet dem Geliebten Beifall; man fühlt eine Neigung, die von der Vernunft bestärkt wird, fühlt sich unwiderstehlich hingezogen: so ist es mir ergangen. Aber verargen Sie es mir nicht, wenn ich Ihnen zugleich mit diesem Ge<293>ständnis meiner Schwäche ein Beispiel gebe, daß ein Mädchen sein leidenschaftliches Empfinden beherrschen kann. Vernehmen Sie es denn, daß ich aus Ergebenheit gegen meines Vaters Willen bereit bin, meine Gefühle zu ersticken, sollte mich die Überwindung auch das Leben kosten. Nur von meinem Vater und meiner Mutter können Sie mich erlangen. Sie sind mir lieber als die ganze Welt, allein die Kindespfiicht läßt mich Ihnen entsagen.

Mondor. Lebte je eine schönere Seele in so vollkommenem Körper? O Fräulein Julie, Sie beschämen mich, Sie verdoppeln meine Liebe, Sie steigern sie unsagbar. Ich bete Sie an, und ich soll Sie verlieren! Nein, nein! Ich will alle Hebel in Bewegung setzen, ich wage das Äußersie. Ich bitte Ihre Eltern um Ihre Hand —

Nerine. Ich sehe nur ein Hindernis. Mondor. Was ist das? Nerine. Mit Reichtümern sind Sie nicht beladen. Mondor. Wie! Die feilen Gaben des Plutus?

Nerine. Sie spielen bei Frau Argan eine bedeutende Rolle. Das ist der Kapitalpunkt, den wir bedenken müssen.

Mondor. Ich setze all meine Hoffnungen auf die hochherzige Julie. Ohne sie bin ich verloren.

Julie. Soweit es meine Ehre erlaubt, will ich alles für Sie tun. Suchen Sie aber vor allem meine Mutter zu gewinnen.

Nerine. Ich höre was kommen. Gehen Sie! Man darf Sie beide nicht beisammen finden!

Mondor (im Abgehen). Ja, schöne Julie, Ihr Herz ist mein ein und alles, mein Schutzgeist. Nur auf Sie hoffe ich noch.

Dritte Szene

Julie. N e r i n e. Dann Frau Argan (lässig auftretend)

Nerine. Es ist Ihre Mutter. Ich will ihr von unserer Sache sprechen. Julie. Sei ja auf deiner Hut!

Nerine. Ich kenne sie. Lassen Sie mich nur machen. Sie muß ein wenig vorbereitet werden. (zu Frau Argan:) Ist Ihre Migräne noch nicht vorüber, gnädige Frau?

Frau Argan. Ach du lieber Gott! Die Leiden kommen mit Extrapost, aber mit dem Gehen eilt es ihnen nicht. Man mag sich noch so gut pflegen, sie geben sich doch<294> nur Schrittchen für Schrittchen. Die unglückselige Schildwache da an unserer Straßen, ecke, die bringt mich nächstens noch unter die Erde, mit ihrem ewigen „Halt! Wer da?“ — Einen Fauteuil, mein Liebchen, einen Fauteuil! (Nerine bringt einen; Frau Argan nimmt gemächlich Platz.) Ich kann mich kaum mehr aufrecht halten.

Nerine. Ist's wahr, gnädige Frau: es heißt, Sie bekommen heut Besuch?

Frau Argan (zu Julie, in scharfem Ton). Halte dich grade! (Zu Nerine:) Ja, der Sohn von Herrn Bardus ist von der Universität heimgekommen. (Zu Julie, scharf:) Die Schultern mehr zurück! (Zu Nenne:) Und soll zu mir kommen.

Nerine. Es heißt, er soll Ihr Fräulein Tochter heiraten. Und Sie wünschen doch selbstverständlich nicht, daß sie eine Frau Student wird. Das wäre ja zu lächerlich, nicht wahr?

Frau Arg an. Warum denn? Einen Mann soll sie doch haben. Ob's der ist oder ein anderer —

Nerine. Wahrhaftig, gnädige Frau, Sie scherzen. Sie können sich doch keinen Schwiegersohn wünschen, der frisch von der Schulbank kommt. Und obendrein dann immer diesen Herrn Bardus auf dem Buckel zu haben mit seinem Griechisch, seinem Latein und seiner Philosophie, womit er die ganze Stadt anödet.

Frau Argan. O, er ist ja so gelehrt!

Nerine. Als er neulich zu Ihrem Herrn Gemahl kam, traf er mich auf der Treppe und fragte mich, ob ich nicht wüßte, welcher Handwerker die besten Instrumente für die Geometrie mache. Ich sagte ihm, ich hätte keine Ahnung. „O, mein liebes Kind,“ sagte er, „in der Philosophie allein liegt unser Heil. Das Forschen nach der Wahrheit bedeutet unser Glück; du solltest dich auch darauf verlegen.“ Ich machte ihm meinen Knicks. Ich sei seine ergebene Dienerin, sagte ich, und da müsse er sich schon an meinen Herrn wenden. Und dann hat er mich mit seiner Unterhaltung noch verfolgt, in einem ganz vertrackten Kauderwelsch, bis er mich aus dem Gesicht verlor.

Frau Argan. Was hat er denn eigentlich geredet?

Nerine. Ach du meine Güte, ich weiß nicht, gnädige Frau. Er redete was vom leeren Raum, von Horror und von der Natur. Wer weiß, was das für dummes Zeug ist! Soviel aber sieht fest: all die Bücher, die er geschrieben haben will, die sind samt und sonders von seinem dicken Professor verfaßt.

Frau Argan. Was tut denn das? Man kann nicht alles allein machen. Auf alle Fälle hat er Geld, also wird Julchen es gut haben.

Nerine. Schafft das Geld glückliche Ehen?

Frau Argan. Na und ob! Als man mir vorschlug, meinen Mann zu heiraten fragte ich zuerst einmal, was für ein Einkommen er habe. Ich würde ihn ganz gewiß<295> nicht genommen haben, hätte ich mir nicht alles hübsch ausgerechnet und dabei gefunden, daß ich dann bestimmt besser zu leben hätte als Frau von der Tribelwitz — sie ist nicht annähernd so schön eingerichtet wie ich — und Frau Kreuzer, bei der es sehr dürftig hergeht, wie man weiß, oder Frau Turtelmann, die noch nie so hoch gespielt hat wie ich.

Nerine. Aber Ihr Herr Gemahl hat soviel gute Eigenschaften, gnädige Frau —

Frau Argan. Ach Possen! Von den guten Eigenschaften eines Mannes kann man nicht leben! Man muß doch essen und trinken, mein Liebchen, und vor allem seine Bequemlichkeit haben. Wenn man sich abstrapazieren muß, das ist ja kein Leben. Himmel, sind die Menschen dumm, die's besser wissen wollen! Ich habe Gottseidank noch jederzeit alle Frauen unseres Viertels ausgestochen. Manche hat vor Wut darüber die Gelbsucht gekriegt. Und alle platzen vor Neid, daß wir mehr vorstellen!

Nerine. Ich denke grad, wie Sie Fräulein Julie verheiraten könnten, und da kommt mir eine gute Idee. — Der Herr Mondor ist doch ein charmanter, liebenswürdiger junger Mann. Der wird Ihnen sicher besser zusagen als der Firlefanz.

Frau Argan. Aber er hat ja kein Einkommen. Er ist arm wie ein Poet.

Nerine. Leute dieser Art, die soviel Geist haben, machen oft ihr Glück. (Zu Julie:) Vorwärts, Fräulein, vorwärts!

Julie. Ja, liebe Mutter, er verehrt Sie so sehr.

Frau Argan. Was kaufe ich mir für seine Verehrung!

Julie. Mit seinen reizenden Geschichten unterhält er Sie so schön!

Frau Argan. Aber er versieht noch nicht einmal Cavagnole295-1 zu spielen.

Julie. Ihnen zu Liebe wird er alles lemen.

Frau Argan. Laß gut sein, du Grünschnabel, mach mir den Kopf nicht heiß mit deinem lästigen Kram. Ich sehe, dein Vater kommt. Zieh dich jetzt zurück.

Vierte Szene

Argan. Frau Argan (die in ihrem Fauteuil bleibt und den Gatten nur flüchtig grüßt) Frau Argan. Na, was gibt's, mein Herzchen?

Argan. Ich habe mit dir zu reden. Es handelt sich um unsere Tochter: Herr Bardus möchte sie für seinen Sohn haben.<296> Frau Argan. Er ist reich. Weiter braucht es nichts. Auf den Firlefanz hab' ich schon lang Absichten für unsere Tochter. Das Gänschen ist ihn garnicht wert.

Argan. Ich finde ihn ja ganz nett, bin aber auch recht froh, daß ich eine so vernünftige Tochter habe.

Frau Argan. Vernünftig, vernünftig! Schön, vernünftige Tochter! Jawohl, Herr, so sieht sie aus! Bleibt bei den Redouten bis Mitternacht auf, ißt an Operntagen um zehn Uhr Abendbrot!

Argan. Was ist denn Schlimmes dabei? Soll ein junges Mädchen die Passionen einer alten Frau haben?

Frau Argan. Es stimmt allerdings, daß man alt wird. Aber wie du mich genommen hast, war ich jung, mein Schäfchen. Es wird nicht anders gehen, du wirst mich schon so behalten müssen, wie ich bin.

Argan. Ich habe dir dein Alter nicht vorgehalten. Ich habe dir nur ganz einfach gesagt, daß ein Mädchen von achtzehn Jahren nicht den ganzen Tag daheim hocken kann, und daß es Vergnügungen gibt, die man ihm ruhig verstatten darf.

Frau Argan. Vergnügungen sind schreckliche Strapazen. Einmal in meinem Leben war ich in der Komödie, aber zehn Pferde sollen mich nicht mehr hinkriegen! Todkrank war ich von der Geschichte. Drei Wochen konnt' ich nicht vom Bett aufstehen. Gräßliche Strapazen sind das. Das bringt einen ja um. Um drei viertel zehn muß ich eingeschlafen sein, sonst kann ich nicht leben. Mein Fräulein Tochter aber, die ist ganz anders. Die artet nach dir. Na, ich nenne sie ja auch nur noch deine Tochter. Dahingegen mein Sohn, der Leutnant — der arme Junge! Der ist mein Ebenbild. Mein Geist, mein Charakter, mir wie aus den Augen geschnitten!

Argan. Wozu denn diese Erörterungen? Ob die Kinder dem Vater ähneln oder

durchaus der Mutter nachschlagen, das ist ganz gleichgültig, wenn sie bloß ordentliche

Menschen sind.

Frau Argan. Wenn ich an mein armes Christophchen denke! Alle acht Tage muß

er einmal auf Wache ziehen. O, er kommt mir noch um in dieser Garnison. Ich Hab'

ihm wenigstens von meinem guten Kaffee geschickt und Chinatee und einen Rest von

einem hübschen Stoff für einen Schlafrock und ein gutes Daunenbett. Das arme

Kind! Er darf sich garnicht ausziehen, wenn er die Wache hat. Denke doch nur, mein

Schäfchen, so eine ganze Nacht lang in den Kleidern stecken zu müssen!

Argan. Er hat seine Pflicht und Schuldigkeit zu tun. Er soll sich seines Rangs

würdig zeigen. Du aber, liebe Frau, du verwöhnst ihn. Das muß ihn weich und

weibisch machen.

Frau Argan. Jawohl, ich verwöhne ihn auch, den armen Christoph, weil ich nicht

will, daß er mir stirbt. Daß ich dir's nur sage: ich habe auch die Schulden bezahlt,

die er machen mußte.<297> Argan. Das hättest du nicht tun sollen. Ich höre nichts Gutes über ihn. Erführt ein nichtsnutziges Leben. Und du bestärkst ihn noch in seinen Lastern. Frau Argan. Höre mal, Mannchen, ich will dir was sagen: ich habe da so meinen Plan. Ich möchte ihn nach Holland tun. Meine Schwester, die einen Bürgermeister von Rotterdam geheiratet hat, verspricht mir, sie wird Chrisiophchen eine Kompagnie verschaffen.

Argan. Das werde ich niemals dulden. Wir gehören alle dem Vaterland. Dem danken wir unser Dasein und schulden ihm unsere Dienste. Wer soll es verteidigen, wenn wir ihm unseren Arm versagen? Wir haben nicht das Recht, im Ausland zu dienen, es sei denn, daß das Vaterland uns nicht mehr als seine Kinder anerkennt oder keine Verwendung für uns hat.

Frau Argan. Aber hier ist der Dienst so streng! Es wird alles so furchtbar genau genommen! Im holländischen Dienst dagegen, sagt man, tut jeder, was er will. Argan. Daher kommt's aber auch, daß unsere Offiziere mit Ehren dienen und Ruhm ernten, während die anderen dabei ihren guten Namen verlieren, weil sie keine Disziplin haben. Noch einmal, liebe Frau, dazu gebe ich nimmermehr meine Zustimmung. Ein Windbeutel wie unser Sohn muß sich in den unteren Graden die Hörner ablaufen, damit er nachher, wenn er zu den höheren aufsteigt, ein reifes Wesen hat und solide Kenntnisse. — Um aber auf unsere Julie zurückzukommen: du wünschest also —

Frau Argan. Ich wünsche, daß sie den Firlefanz nimmt. Argan. Hast du schon mit ihr darüber gesprochen? Frau Argan. Das war nicht nötig.

Argan. Freilich ist es nötig. Ich will sie gleich fragen, wie sie über die Sache denkt. (Ab.)

Fünfte Szene

Frau Argan (allein)

Armer Mann! Wenn ich dich nicht regierte! Gott sei Dank bin ich ja Herrin in meinem Haus. Es macht mir genug zu schaffen. Was für Sorgen und Mühen hat man davon! Aber trotz alledem, seine Pflicht muß man tun. Meine Tochter nimmt den Mann, den ich ihr gebe. Und mit meinem Sohn, da muß es auch nach meinem Willen gehen, und wenn —

Sechste Szene

Frau Argan. Nerine

Nerine. Drunten ist 'n Fremder, der Sie zu sprechen wünscht. Er sieht ganz so aus, als wär's der bewußte Student. Gleichzeitig läßt auch Herr Mondor höflichst um einen Augenblick Gehör bitten.<298> Frau Argan. Sie sollen eintreten. Du meine Güte, was gibt's für zudringliche Menschen auf der Welt! Was hat man seine Last mit so einem Haushalt! sine heiratsfähige Tochter verursacht mehr Lärm im Haus als ein Katzenkonzert auf dem Dach. Und die jungen Herrchen laufen einem die Bude ein. O, ich wollte, sie wäre schon unter der Haube!

Siebente Szene

Frau Argan. Firlefanz. Mondor. Nerine

Firlefanz (eintretend, zu Nenne). Komm mal her, du süßes Pausbäckchen, du niedliches Burschenfutter du! Auf Ehre, 's ist schade, daß ich nicht bei dir studiert habe.

Nerine. Zu meiner Herrin müssen Sie sprechen, Herr. Ich glaube, Sie schneiden dem ganzen Haus die Kur.

Firlefanz. Gar kein übler Gedanke, mein Schätzchen. (Nähert sich Frau Argan und sagt in pretiösem Ton:) Ich segne den Tag, den so ersehnten Tag, den schmerzlich erwarteten Tag, den schönsten Tag meines Lebens, 0 seltenes, reizendes Wunderbild, da ich das Glück habe, den schönen Stern in Person zu sehen, dessen Ruhm den Schimmer seiner Lieblichkeit bis zu unserer Universität getragen hat. Ja, gnädiges Fräulein, jawohl, Ihre göttlichen Reize machen solches Aufsehen, daß man nicht weiß, ob man Sie der schönen Helena oder Rosamunden oder der schönen Magelone vergleichen soll. Banise war nicht würdig, Ihnen die Schuhriemen zu lösen. Und hätte Prinz Scandor Sie gesehen, er wäre ihr untreu geworden.298-1

Mondor (bricht in ein fürchterliches Gelächter aus).

Firlefanz (fortfahrend). Das ist offenbar Ihr Hofnarr, gnädiges Fräulein, der da so lacht?

Frau Argan. Sie irren, Herr.

Firlefanz. Ja, meine Prinzessin, hätte der Lacher da mich nicht unterbrochen, mein Kompliment hätte viel länger gedauert. Da haben Sie viel versäumt.

Frau Argan. Aber, Herr —

Firlefanz. Ich galt allgemein als der Galanteste von der ganzen Universität. (Mondor lacht noch immer.) Der lacht ja noch! — Und Sie bekommen den gesuchtesten Kavalier von Halle zum Gemahl.

Frau Argan. Aber, Herr, Sie —<299> Firlefanz. Einen Kavalier, der so viel Glück bei Frauen hatte, wie er nur begehrte.

Frau Argan. Herr —

Firlefanz. Der aber all das Glück Ihnen aufopfert. (Mondor lacht.) Zum Donnerwetter, was ist das für ein verdammter Lacher! Frau Argan. Sie irren, Herr: ich bin nicht Julie.

Firlefanz. Was! Sie sind nicht Julie? Da tun Sie mir leid. — Aber zum Teufel, wer sind Sie dann?

Mondor (in ironischem Ton). Sprechen Sie respektvoller mit Frau Argan, Herr! Und lassen Sie sich sagen, Herr, daß der Jargon der Spielhöllen in anständigen Häusern nicht am Platz ist.

Firlefanz. Fürwahr, gnädige Frau, der Irrtum ist begreiflich! Wenn die Mutter selbst so schön ist — Heutzutage kann man die Mädchen und die Frauen garnicht mehr auseinander halten.

Mondor. Welche Sprache! Hat man je in der guten Gesellschaft in solchem Ton geredet?

Frau Argan. Julie soll herkommen. (Zu Firlefanz:) Ich muß sie Ihnen doch vorstellen, Herr. (Nenne ab.)

Mondor (beiseite). O - das ist zum Tollwerden!

Firlefanz (zu Frau Argan). Wenn das Fräulein Ihnen gleicht, dann gibt es eben zwei Weltwunder.

Frau Argan. Ja, ich habe mich immer gut konserviert. Wie ich noch jung war, bin ich nie ohne Schutzlarve in die Sonne gegangen. Ich habe wohl noch Tage, wo ich meine Tochter ausstechen könnte, wenn mir daran läge. Aber bis man sich Schaft löschen gekräuselt hat, das ist eine Heidenarbeit, und überhaupt, wieviel Mühe macht das, bis man ordentlich hergerichtet ist!

Achte Szene

Frau Argan. Firlefanz. Mondor. Julie

Frau Argan. Tritt näher, meine Tochter! Der Herr hier ist dein Bräutigam. Firlefanz. Ja, göttlicher Sprößling eines engelgleichen Stammes, ja, ich werde die Ehre haben, Sie zu heiraten. Ach, sind Sie schön! Hol mich der Teufel, ich bin schon ganz verliebt, als ob ich Sie zehn Jahre kennte. Ha, ha! — Sie wird rot. Sowas von Schamhaftigkeit! Weiß Gott, das hätt' ich nicht geglaubt, daß es sowas gibt. Julie. Ihre Sprache. Herr, versiehe ich nicht.<300> Firlefanz (will sie unters Kinn fassen. Sie weicht zurück). Sie sind so liebreizend — ich wollte, wir könnten beim Schluß der Heiraterei anfangen.

Mondor (leise). Der Kerl ist ja unglaublich! Ich kann nicht länger schweigen.

(laut:) Hören Sie, Herr Student, solange Sie nur zu Frau Argan gesprochen haben, konnte ich mich noch bezwingen. Wenn Sie aber einen flegelhaften Ton gegen das gnädige Fräulein anschlagen, dann haben Sie's mit mir zu tun. Verstehen Sie mich?

Julie (zu Mondor). Um Gotteswillen, beherrschen Sie sich!

Firlefanz. Wissen Sie, Herr Hofnarr, daß ich der renommierteste Fechter der Universität war und Kerle blessiert habe, die stärker als Sie waren und vermutlich besser mit dem Schläger Bescheid wußten?

Mondor. Wissen Sie, Herr Frechling, daß Sie hinausfliegen, wenn Sie so fortfahren?

Firlefanz. Hinausfiiegen! Ich?! — Na, das könnte heiter werden! — Mein Vater wohnt im selben Haus. — Ha! Himmel und Hölle! Zehntausend Dämonen! Heilige Barbara —

Mondor. Ihre Flüche sollten mich wahrhaftig nicht einschüchtern, wenn —

(Julie läuft in peinlicher Verwirrung zu ihrer Mutter.)

Firlefanz. Gottes Donner! Hätte ich meine schwedischen Handschuhe hier, meine Pandurenpistolen und meinen großen Artemisdegen —

Frau Argan (in leidendem Ton). Mein Gott, was machen Sie da für einen Lärm?

Mondor (zu Firlefanz). Ein für allemal: ich fürchte Sie nicht, weder Ihre Person noch Ihren Degen. Aber ich weiß, welche Verehrung und Rücksicht ich den Damen des Hauses schulde. Lernen auch Sie sich beherrschen, zum wenigsten solange Sie hier sind!

Firlefanz. Ah! du hast Angst! Ha! du verruchter Kerl, du infamer! (Er packt ihn beim Kragen. Mondor wehrt sich. Sie stoßen einander über die Bühne hin und her.) Frau Arg an (immer wehleidig). Holla, holla! Hilfe! Warum kommt denn kein Mensch? (Julie läuft fort, ihren Vater zu benachrichtigen. Die Zofe kommt und will beide Liebhaber trennen.) O— der Lärm! O, O,— Ruhe, Ruhe!! (Sie sieht auf.)

Neunte Szene

Die Vorigen. Argan. Nerine

(Während dieser Szene bedrohen Firlefanz und Mondor einander in siummem Spiel, und Julie beschwört Mondor durch Gebärden, sich zu mäßigen.)

Argan. Aber, meine Herren, was soll das heißen? Wie können sich anständige junge Leute so weit vergessen! Wie? In meinem Hause, in Gegenwart meiner Frau und meiner Tochter!<301> Mondor (aufgebracht). Firlefanz (dreist). Er hat mich überfallen, verehrter Herr — Der Hanswurst, verehrter Herr, hat die Unverschämtheit — mir Lebensart beibringen zu wollen!

Argan. So sprechen Sie doch nicht durcheinander! Julie, sag du mir: was bedeutet das? Wie konnte der Streit entstehen?

Julie. Lieber Vater, Herr Firlefanz ist äußerst ungezogen.

Firlefanz. Wie! Schöne Tigerin, charmanter Skorpion, Sie verklagen mich?

Mondor. Herr Argan, Sie kennen mich seit langem. Ich darf wohl hoffen, daß Sie mich nicht für fähig halten, einen solchen Auftritt zu verschulden.

Firlefanz. So ein feiger Lümmel!

Argan. Also was ist denn nun eigentlich los?

Julie. Ach, lieber Vater, er hat Mondor zum Äußersten getrieben.

Firlefanz. Seien Sie still, Herzchen! Sie wissen ja nicht, was Sie sagen.

Frau Argan. Gott im Himmel, bringt sie doch auseinander! Bringt sie doch auseinander!

Argan. Wir wollen ins Nebenzimmer gehen und die Sache in Ruhe untersuchen. (Frau Argan mit Firlefanz, Argan mit Mondor ab.)

Zehnte Szene

Julie. Nerine

Julie. Ach Gott, was soll das werden! Ich zittere, wenn ich mir ausdenke — Mondor wird sich unglücklich machen!

Nerine. Gehen Sie Ihrem Vater nach, Fräulein, lassen Sie ihn nicht allein. Und stehen Sie dem Mondor bei.

Julie. Du hast recht. Aber was soll ich sagen, was kann ich tun? — Mein Gott, wie soll ich ihm denn beistehen?

Nerine. Fragen Sie nur Ihr Herz! Das wird Ihnen am besten raten.

(Julie folgt ihrem Vater.)

Elfte Szene

Nerine (allein)

Höchste Gefahr! Ich muß dem Fräulein heraushelfen! Ich werd' es schon schaffen — (Sie denkt nach.) Wenn ich — oder so — nein, nein — Halt — die da — die La Roche — Ja, so wird's gemacht.

<302>

Zwölfte Szene

Nerine. Martin

Nerine. Da ist ja Martin. — Der kommt mir grade recht.

Martin. Nun, schönes Kind, sprechen wir denn niemals von unseren Privatangelegenheiten?

Nerine. Ich will schon, aber —

Martin. Da gibts gar kein Aber. Du hast mir's versprochen, daß du mich heiratest. Du willst mich doch noch? Oder hast du's auf einen andern? Bist du mir auch noch treu?

Nerine. Ich dir schon! — Aber eh ich dich nehme, stelle ich eine Bedingung.

Martin. Potztausend! Und die wäre?

Nerine. Willst du mich heiraten, so mußt du deinen Herrn aufgeben.

Martin. Das Opfer ließe sich ertragen. Aber warum das?

Nerine. Weil er ein brutaler Ekel ist. Die Manieren, die der Mensch hat! Die Reden, die er führt! Fluchen tut er wie'n alter Dragoner. Ein Narr ist er, weiß Gott, reif fürs Irrenhaus!

Martin. All die schönen Sachen haben wir an der Universität gelernt.

Nerine. O, ich hab' keinen schlechten Zorn auf die Universität. Ich begreife die Väter nicht, daß sie die jungen Herren hinschicken. Wenn sie da weiter nichts lernen!

Martin. Mein Schatz, du mußt auseinanderhalten, was die Professoren den jungen Leuten beibringen und was sie in schlechter Gesellschaft lernen.

Nerine. Ich muß garnichts auseinanderhalten. So viel weiß ich gewiß: ich will nicht, daß dein Flegel mein Fräulein heiratet; und um das zu vereiteln, brauch' ich deine Unterstützung. Bist du dabei, so bin ich die Deine.

Martin. Abgemacht! — Aber was könnte ich dabei tun?

Nerine. Sag mir: was ist eigentlich bei dieser Madame La Roche passiert?

Martin. Du wirst verstehen, mein Schatz —

Nerine. Sag mir's wenigstens ungefähr.

Martin. Nichts Neues, ich versichere dir's. Es war alles sehr gewöhnlich. Höchstens, daß Firlefanz der Karoline einen Wechsel über fünfzig Dukaten ausgestellt hat, zahlbar dem Überbringer, und daß die Karoline den Schein der Madame La Roche abgeben mußte. (Sie flüstern miteinander.)

<303>

Dreizehnte Szene

Nerine. Martin. Merlin

(Merlin macht Nennen ein Zeichen, daß er ihr etwas zu sagen hat. Martin merkt es.)

Martin. Hoho! Was will denn der? (Beiseite:) Ich müßte mich sehr täuschen, wenn das kein Verehrer ist!

Merlin (zu Nerine). Ist's wahr: mein Herr hat sich duelliert?

Martin. Was hast du der Nenne zu sagen?

Merlin. Warum sollt' ich denn nicht mit ihr sprechen?

Martin. Weil mir's nicht paßt.

Merlin. Ich werde aber doch mit ihr sprechen.

Martin. Das wollen wir sehen.

Nerine. Er hat mir ja bloß ein Wort zu sagen.

Martin. Nun seh' mir einer die verschmitzte Kreatur! Der Teufel soll mich holen — ich glaube, sie hat mir schon vor der Zeit einen Streich gespielt. (Merlin will zu Nerine sprechen.) Wenn du nicht sofort machst, daß du hinauskommst, könntest du Prügel besehen.

Merlin. Ich kann drauf rausgeben!

Nerine. Seid ihr verrückt?

Martin. Zieh ab, Schlingel!

Merlin. Wir wollen doch sehen, wer von uns zwei beiden zuerst draußen ist!

Martin. Der Lümmel hat nicht studiert; das merkt man. Ich will ihn hinausbefördern.

(Er läuft auf den andern zu. Sie stoßen sich gegenseitig hinaus.)

Nerine. Ist denn heut alles toll geworden?

<304>

Dritter Akt

Erste Szene

Argan. Bardus

Argan. Mit Mühe habe ich sie schließlich getrennt und der Vorsicht halber Mondor bei meiner Frau gelassen, damit sie auf ihn achtgibt. Ihr Sohn wollte zu Ihnen gehen. So haben wir dem Schlimmsien vorgebeugt und gewinnen Zeit, die Sache endgültig ins reine zu bringen.

Bardus. Dieser Mondor hat ganz bestimmt unrecht; der Geck, der sich selbst bewundert, wenn er nur den Mund auftut. Er wird meinem Firlefanz lächerlich vorgekommen sein. Denn der beschäftigt sich bloß mit den erhabensten Dingen der Menschheit. Wahrscheinlich ist er ihm mit einem mitleidigen Lächeln begegnet. Das hat den anderen gewurmt, und sein aufgeregtes Wesen hat ihn dann zur Unart verleitet. Bei Ihren Schöngeistern muß man ja stets auf Verstöße gefaßt sein.

Argan. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Mondor scheint mir minder schuldig als Ihr Sohn. Mondor hat gewiß eine lebendige Phantasie, ist aber durchaus gesittet. Wenn der Geist allzu beweglich ist, so begeht man leicht einmal eine Torheit. Gesellt sich aber Vernunft zu dem inneren Feuer, so vermag der Geist frisch aufzufassen, Gedanken leicht zu verweben und funkelnd lebendig zu antworten. Und das ist ja eben der Vorzug, den wir den Schöngeistern zuerkennen: daß sie mehr und besser denken als die Menge.

Bardus. Nach Ihrer Definition sind also die Algebrakundigen die einzigen wahren Schöngeister. Und Ihr Mondor ist ein windiger Bruder, dem die schönen Vergleiche seines Virgil und seines Horaz so zu Kopf steigen, daß er die Frechheit hat, sich mit meinem Sohn zu messen. Hätte ich nicht gerade mit meinem Professor über die Gleichung einer wunderbaren neuen Kurve reden müssen, die ich für mein Buch verwerten will, so hätte ich Firlefanz bei seinem Besuch begleitet. Allerdings hätte ich kaum die Zeit gefunden. Es war ein Freund da, der ihn nach Holland und dann nach Frankreich mitnehmen will.<305> Argan. Sie sind also entschlossen, ihn auf Reisen zu schicken?

Bardus. Gewiß. Er soll mir sämtliche Professoren Deutschlands und Hollands kennen lernen, danach in Frankreich mit der feinen Welt verkehren und schließlich nach England gehen, um gründlich zu werden.

Argan. Wenn ich Ihnen raten darf, lassen Sie Ihren Sohn erst hier im Land ein fertiger Mensch werden und hinterher auf Reisen gehen. Senden die Väter ihre Kinder zu früh ins Ausland, bevor ihr Charakter gefestigt ist, so wählen sie verkehrt und nehmen nur die Lasier und lächerlichen Bräuche der anderen Nationen an. Sie verschleudern ihr Geld, und das ganze Reisen bringt weiter nichts ein als irgend eine ftivole neue Mode und dazu vielleicht eine Frisur wie ein Königspapagei oder ein Rabenschnabel. Das lohnt wahrhaftig nicht die Unkosten.

Bardus. Oho! Mein Sohn ist keiner von der Sorte. Übrigens möchte ich Ihnen nur noch sagen, daß mein Vetter einen Sohn, der erzdumm war, nach Frankreich sandte, um sich dort Geist anzueignen.

Argan. Nun und? Hat er sich ihn angeeignet?

Bardus. Das nicht. Er ist noch nicht zurück. Von meinem Sohn aber verlange ich, daß er dort nur mit Herzögen und Pairs verkehrt und mit Philosophen.

Argan. Seine Abkunft wird ihn den Pairs und Herzögen fernhalten. Bardus. Aber er ist doch so gelehrt!

Argan. Ich wiederhole Ihnen, mein Bester, man ist in Frankreich zwar sehr Höft lich und hat für den Fremden tausend Artigkeiten; aber bilden Sie sich ja nicht ein, man wolle sich dort in den guten Häusern mit dem Zurechtstutzen unserer jungen Leute plagen, die frisch von der Schulbank kommen. Man muß liebenswürdig sein; das ist der Freipaß für die gute Gesellschaft. Ein junger Mensch, der nicht fertig er, zogen in Frankreich ankommt, kann sich drauf gefaßt machen, daß er nirgends auft genommen wird. Dann bleibt ihm der Umgang mit Theatermädchen und Stutzern, und schließlich kehrt er schlechter erzogen heim, als er fortreiste.

Bardus. Und trotz alledem gehört sich's, daß ein junger Mann sich in der Welt umsieht.

Argan. Was soll er denn eigentlich werden?

Bardus. Zum Militär lasse ich ihn keinesfalls. Es wäre jammerschade, wenn er im Krieg umkäme. Er ist doch mein einziger Sohn, die Stütze meines Hauses.

Argan. Sie wünschen aber doch, daß er irgend etwas anfängt?

Bardus. Zur Finanz kann ich ihn auch nicht geben. Es hieße die Würde der Philosophie prostituieren, wenn er sich zu einer so gemeinen Beschäftigung hergäbe.

Argan. Was wollen Sie ihn aber werden lassen?<306> Bardus. Er soll in den Richtersiand eintreten.

Argan. Der Richtersiand ist eben erst von allen Mißbrauchen gesäubert worden.306-1 Bei unserer neuen Prozeßordnung kann die Rechtsverdreherei verhungern.

Bardus. Ach, mein Lieber, sowie ihr die Klauen beschnitten sind, wachsen sie wieder nach. Es war einmal ein Richter, bei dem verlor mein Großvater Aristoteles Bardus einen Prozeß. Dafür soll jetzt mein Sohn Richter werden und meine Familie rächen. Das Geld, das wir damals durch die Justiz verloren, soll er uns wieder heimholen.

Argan. Das können Sie natürlich halten, wie Sie wollen. Aber wozu wollen Sie dann den Sohn auf Reisen schicken?

Bardus. Ich Hab' es nun einmal so beschlossen. Und da mein Freund, der ihn mitnehmen will, schon morgen abreist, müssen wir die Verlobung unserer Kinder noch heute abend zustande bringen.

Argan. Ich habe ja nichts dagegen, vorausgesetzt, daß die heutige Affaire —

Zweite Szene

Bardus. Argan. Nerine

Nerine (zu Argan, in dringlichem Ton). Gnädiger Herr, gnädiger Herr! Gnädige Frau läßt Ihnen sagen —

Argan. Was denn?

Bardus. Haben sie sich duelliert?

Nerine. Nein, gnädiger Herr.

Argan. Hat es schon wieder einen Auftritt gegeben?

Nerine. Nein, gnädiger Herr.

Bardus. Ja zum Henker, so sag' uns doch, was los ist!

Nerine (zu Argan). Gnädige Frau läßt Ihnen sagen: anstatt zu seinem Herrn Vater zu gehen, ist Herr Firlefanz fortgelaufen, und kein Mensch weiß, wohin.

Argan. Nun und?

Nerine. Meiner Treu, er ist fort. Und nun fürchten wir, er will sich mit Herrn Mondor schlagen, sobald der das Haus verläßt.

Bardus. Dazu ist er viel zu vernünftig. Weiter war's nichts? Da brauchst du dich nicht zu ängstigen, mein Kind.<307> Argan. Ich bitte um Vergebung. Die Angelegenheit kann weit ernstere Folgen haben, als Sie sich vorstellen. Hier müssen wir alle erdenkliche Vorsicht aufwenden, um dem Unheil vorzubeugen. (Zu Nerine:) Ist Mondor noch bei meiner Frau?

Nerine. Jawohl, gnädiger Herr.

Argan. Rufe sie beide her!

(Nerine ab, um ihre Herrin und Mondor zu holen.)

Dritte Szene

Argan. Bardus

Argan. Wir wissen nur zu gut, wohin Händel dieser Art führen können. Wir haben Beispiele genug vor Augen. Ich bitte Sie, behandeln Sie die Sache nicht als Bagatelle. Helfen Sie mir, die drohende Gefahr abzuwenden!

Bardus. Niemand als dieser verdammte Schöngeist ist schuld an dem ganzen Radau. Werfen Sie den Kerl doch hinaus!

Argan. Es ist ein hochgebildeter junger Mann, von glänzenden Geistesgaben, wie ich sie noch bei keinem fand. Sein Charakter ist von einer Sanftmut —

Bardus. Schöne Sanftmut! Und insultiert mir meinen Sohn!

Vierte Szene

Argan. Bardus. Frau Argan. Mondor. Nerine

Frau Argan (zu ihrem Gatten). Du bringst mich heut noch um, Dickerchen. Der verfluchte Spektakel kostet mich meine Spielpartie heut abend. Nein, nein, wahrhaft tig, es ist die höchste Zeit, daß wir unser hochnäsiges Fräulein unter die Haube kriegen, sonst gibt's keine Ruhe mehr im Haus!

Argan. Ah! Da ist Mondor. Also brauchen wir nichts zu befürchten.

Bardus (wütend). Na, haben wir Sie also da, Herr Krakehler! Wie kommen Sie dazu, meinen Sohn zu insultieren? Wollen Sie uns nicht ein paar Verse zitieren, die zu derartigen Dummheiten einladen? Sie haben ja genug ungereimtes Zeug im Kopf!

Mondor. Ich sehe schon, Herr Bardus, Ihr Haß gegen die schöne Literatur verschlimmert noch den unseligen Streit, den ich mit Ihrem Sohn hatte.

Bardus (brummt zwischen den Zähnen). Lump, Halunke!

Argan. Mäßigen Sie sich doch, Herr Bardus! Wie kommt soviel Galle in eine Philosophenseele?<308> Bardus. Wenn er mich doch beleidigt, wenn er mich in der Person meines Sohnes beschimpft! Sehen Sie doch bloß, wie er sich hat — die süßliche Miene!

Nerine (zu Frau Argan). Hahaha! Unser Herr Philosoph erhitzt sich, gnädige Frau. O, der gewaltige Zorn, hahaha!

Frau Argan. Wirst du wohl den Mund halten?

Bardus. Um ihn zu strafen, wollen wir unsere Kinder in seiner Gegenwart verloben.

Mondor. Himmel! Was muß ich hören! Frau Argan. Ganz vortrefflich, Herr Bardus.

Mondor (wirft sich vor Frau Argan auf die Knie). Das ist zuviel. Ich beschwöre Sie, gnädige Frau, treiben Sie mich nicht zur Verzweiflung! Bedenken Sie, in welcher Lage ich bin! Übereilen Sie nichts! Nur die Achtung vor Ihnen hat mich abgehalten, an meinem Gegner Rache zu nehmen. Ich habe Ihnen alles geopfert.

Frau Argan. Ausgezeichnet! Ich bin Ihnen sehr verbunden. Aber meine Tochter soll heiraten, und Sie, Monsieur, kriegen sie nicht. Verstehen Sie mich?

Mondor (aufstehend). Dann bleibt mir also nur noch der Tod. Bardus. Stirb schleunigst! Das ist das Beste, was du tun kannst. Frau Argan (zu Nenne). Rufe meine Tochter. (Nenne ab.)

Fünfte Szene

Die Vorigen. Julie und Nerine

Frau Argan. Wir müssen ein Ende machen. Mein Mann kommt ja zu keinem Entschluß. (Zu Julie:) Tritt näher! Du weißt, daß ich dir Firlefanz zum Mann bestimmt habe. Und ich will, daß du ihn nimmst.

Julie. Frau Mutter, Sie kennen meine Folgsamkeit, Sie wissen, wie ich mich jedem Ihrer Befehle unterwerfe. Ich kenne meine Pflicht, ich werde sie nie verletzen. Aber wenn meine Bitten Sie rühren können, wenn die mütterliche Zärtlichkeit noch etwas über Ihr Herz vermag, so haben Sie Erbarmen und stehen von einer Heirat ab, die mich zeitlebens unglücklich macht. Ich bekenne es Ihnen offen, niemals brächte ich es über mich, den Gatten zu lieben, den Sie für mich bestimmt haben. Vom ersten Augenblick an hat er mir nur Abneigung eingeflößt, und die Zeit wird daran nichts ändern. Und wenn ich auch mit aller Kraft meiner Tugend dagegen ankämpfe, so könnte ich doch nicht —

Bardus. Immer besser, immer besser! (Zu Argan:) Verehrter Freund, Sie haben Ihre Tochter sehr schlecht erzogen. Hören Sie nur, wie sie räsonniert! Sapperlot,<309> ich glaube, sie hat Ihre gütige Zustimmung nicht abgewartet, um ihre Wahl zu treffen. Eine heimliche Anziehungskraft hat ihr Herz geradlinig angezogen — Sie verstehen — der süße Herr da verdirbt Ihnen das ganze Geschäft.

Julie. Legen Sie meine Gefühle aus, wie Sie wollen, Herr Bardus. Aber nach dem Benehmen Ihres Herrn Sohnes bei der ersten Begegnung ist es nicht zu verwundern, daß ich mich beklage.

Nerine. Das Fräulein hat recht. Sowas von einem Erzflegel wie Ihr Herr Student ist noch nicht dagewesen. Der geht sofort aufs Ganze!

Bardus. Bei mir haben die Kammermädchen nichts dreinzureden, mein Herzchen. (Zu Argan:) Wie ist's möglich, daß Sie sich so ein ungewaschenes Gerede gefallen lassen? Wie können Sie sich dem Gekeife solcher Ignorantinnen aussetzen?

Nerine. Ich Hab' freilich nicht Philosophie studiert wie Sie, Herr Bardus. Aber ich Hab' so viel gesunden Menschenverstand wie andere Leute auch. Und wenn ich Unverschämtheiten sehe, dann mach' ich den Mund auf!

Argan. Sie ist ein gutes Mädchen. Nur ein bißchen lebhaft.

Bardus. Fräulein Julie, an Ihrem Hochzeitstag werden Sie die Güte haben, dies steche Weibsbild hinauszuwerfen.

Nerine. Sie vergessen ja, daß Sie ein Philosoph sind, gnädiger Herr. Sie fuchsen sich so arg: eine Ignorantin wie ich könnt's auch nicht schöner.

Frau Argan. Jetzt aber Schluß! Schluß, sag' ich! Das geht mir alles auf die Nerven und verschlimmert meine Migräne dermaßen —

Julie. Bei allem, was Ihnen teuer ist, liebe Mutter, machen Sie mich nicht unglücklich für mein ganzes Leben, nur weil Ihnen jetzt die Geduld reißt.

Argan. Fürchte nichts, mein Kind. Aber sei auch du vernünftig.

Frau Argan. Wo bleibt er denn nun, der Zukünftige? Er läßt ja stark auf sich warten —

Sechste Szene

Die Vorigen. Merlin (bringt Mondor einen Brief)

Merlin (zu Mondor). Ein Brief, gnädiger Herr, ein eiliger Brief! Bardus. Hoho! Was bedeutet das?

Argan (zu Bardus). Ich fürchte, es ist die Forderung. (Zu Mondor:) Erlauben Sie uns einen Blick in diesen Brief? Wir haben guten Grund dazu. (El greift nach dem Brief.)

Mondor. Lesen Sie nur, bitte! Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen.<310> Argan (den Brief öffnend). Sie werden meine Gründe bald verstehen. (El liest:)

„Ihr Verdienst, Herr Mondor, ist bis zum Hofe gedrungen. Der Fürst kennt Ihr Talent und Ihre Armut. Er bietet Ihnen eine Stellung an seinem Hofe, die alles wieder gutmachen soll, was das Geschick Ihnen bis Hieher zuleide tat. Beeilen Sie sich, ihm zu danken und zu beweisen, daß Erkenntlichkeit nicht die

geringste Ihrer Tugenden ist.

Hermotime.“

Argan (ihm den Brief wiedergebend). Verzeihen Sie meinen Argwohn; er galt nicht Ihnen. Um so mehr freue ich mich, daß ich Ihnen diese gute Botschaft bekannt geben durfte. In wahrer Freundschaft nehme ich Anteil an Ihrem Glück.

Bardus (für sich). Charakterloser Speichellecker! (Zu Argan:) Sie werfen sich ihm wohl gleich zu Füßen, weil er zu Hofe gehen soll. Ich für mein Teil verachte ihn jetzt erst recht.

Iulie (zu Nenne). O Gott, könnte diese glückliche Wendung doch meine Mutter umstimmen!

Argan (zu Bardus). Die Komplimente, die ich ihm mache, sind ehrlich gemeint. Und Sie müssen selbst bezeugen, daß ich seinen Verdiensten zuvor schon gerecht ward. Wenn ich den Manneswert achte, dem hohe Gunst widerfährt, so ist das etwas an, deres, als wenn ich mich vor den letzten Domestiken der Großen erniedrigen würde. Mag er auch künftig bei Hofe sein, so ist er doch mein Freund, nach wie vor. Wiewohl ich nur aus dem guten Bürgerstand bin, fühle ich mich doch in meinem Herzen viel zu stolz, um vor Bedienten zu kriechen. Den Großen kann man keinen ärgeren Schimpf antun, als wenn man glaubt, durch Schmeichelei gegen ihre Umgebung mache man sich bei ihnen beliebt.

Mondor. Ich verdiene die Ehre nicht, die der Fürst mir erweist. Aber vielleicht finden Sie nun, daß ich in meiner neuen Lebenslage wagen dürfte —

Frau Argan. Er kommt also wirklich an den Hof?

Bardus. Der Hof hat den Verstand verloren! Auf das wahre Verdienst versieht er sich nicht. Meinen Sohn hätte ich auch bei Hofe unterbringen können, aber ich werde mich schön hüten.

Siebente Szene

Die Vorigen. Martin (ganz außer Atem ankommend)

Martin. Ach, gnädiger Herr! Ach, was für ein schweres Malheur! Alles ist aus, alles ist aus!

Bardus. Es kommt immer besser! Na — was hast du uns denn zu sagen? Mußt du so schreien?<311> Martin. Gnädiger Herr, Ihr Sohn — Der Kummer bringt mich um, wenn ich bloß dran denke —

Bardus. An was denn?

Martin. Gnädiger Herr, Ihr Sohn — ach, so ein guter Herr, so ein lieber Herr —

ach!

Bardus. Wird's endlich?!

Martin. Vergönnen Sie meinem Schmerz einen Augenblick Zeit — Uff! Ich kann nicht mehr. (Er weint.)

Bardus. Mach ein Ende, oder zum Teufel —

Martin. Die Polizei war so unhöflich, ihn zu arretieren, gnädiger Herr.

Bardus. Was soll das heißen?

Martin. Daß er im Gefängnis sitzt, gnädiger Herr.

Argan. Wer? Firlefanz ist im Gefängnis?

Martin. Ach! Leider ja, gnädiger Herr.

Bardus. Aber so sprich doch! Was hat er getan? Wann, wie, warum wurde er arretiert?

Martin. Sie wünschen eine Beschreibung davon? So wappnen Sie sich mit Geduld und hören Sie zu! (Er hustet, spuckt und schnaubt.) Die Sonne hatte kaum ihren Lauf vollendet und sich an Phöbus' Busen gebettet, da sprach Firlefanz zu mir: Wohlan, Genosse meines Ruhmes und meiner Studien, Zeit ist's, durch einen glänzenden Streich Rache zu nehmen für das unmenschliche Benehmen der Madame La Röche —

Frau Argan. Madame La Roche — wer ist das? Kenne ich nicht.

Martin. Nur Geduld, gnädige Frau, Sie werden gleich Bescheid wissen. (Mit Emphase:) Ohne großes Gefolge brechen wir von hier auf, als einziges Gewaffen eine Schleuder mit uns führend. Endlich langen wir in der Sackgasse der Hexe an. Firlefanz erhebt seine Stimme und richtet in seiner edlen Art die Frage an sie: Madame, wollen Sie mir jetzt den Wechsel, zahlbar dem Überbringer, zurückgeben?

Bardus. Was für einen Wechsel, zahlbar dem Überbringer?

Martin. Einen auf fünfzig Dukaten', den mein Herr ihr ausgestellt hatte.

Bardus. Wann?

Martin. Während der beiden Tage, als wir bei ihr logierten.

Argan. Was! Dieser Mustersohn?

Bardus (zu Mattin). Er war schon zwei Tage hier! — Weiter!<312> Martin. Also er spricht zu ihr: Madame, wollen Sie sie herausrücken, diese verhängnisvolle Urkunde? Sie weigert sich, und der Krieg wird erklärt. Die Mädchen räumen, flüchtigen Nymphen gleich, sofort die Gefilde, die Mars zu verwüsten droht. Marie, die Zimperliche, und Liese, die Hagere, und Manon, die Fidele, und Karoline, sie alle suchen anderwärts ein Obdach. Mit Kieselsteinen, die auf der Straße gehäuft lagen, bewaffnen wir unsere hochherzigen Arme, kraftvoll schleudern wir sie gegen die Fenster, und eine Viertelstunde später ist keines mehr vorhanden. Dann zerschmettem wir die Spiegel, zerbrechen die Stühle, zuletzt das Porzellan — und es war so ein schöner Meißner Affe dabei! Ach, war das schade, gnädiger Herr! Er war so schön wie einer aus Japan.

Bardus. Kerl! Kommst du nun zum Schluß?

Martin. Ich komme. — Schließlich alarmiert unser Schlachtlärm das ganze Viertel. Ein dienstfertiger Herr von Stande will die Friedensverhandlungen einleiten. Aber wir kennen nichts mehr als Krieg. Wir wollen nichts von Unterhändlern wissen. Wir befördern ihn die Stiegen hinunter.

Bardus. Ist er gefallen?

Martin. Der Länge nach kopfüber! (Mit Emphase:) Der Lärm verzwiefacht sich; Hilfstruppen rücken an.

Bardus. Was für Hilfstruppen denn?

Martin. Die Lakaien des Unterhändlers, gnädiger Herr. (Mit Emphase:) Alles erhitzt sich, man wird handgemein, der eine auf Hieb, der andere auf Stoß. In dieser höchsten Gefahr bewährt sich der hochsinnige Firlefanz hervorragend. Wie ein Rasender stürzt er sich auf seine Gegner. Und ich, ich folgte dem roten Helmbusch, der über seinem Haupte wallte; er führte mich die Bahn des Ruhms.312-1 Überall lichtet sich's. Die Feinde wanken, weichen! Aber, o Schmerz! O Schmach! O schaudervolle Schicksalstücke! — Schon glauben wir den wohlverdienten Sieg in Händen zu halten, da kommt die plumpe Polizei mit ihrem ganzen stechen Aufzug daher. Mein Herr wird umstellt und gepackt, gefesselt. In diesem bösen Augenblick, da wir aus Siegern zu Besiegten werden, denk' ich an den Rückzug. Hundert kräftige Stockschläge regnet's auf meinen Rücken. Alsbald trete ich den Rückzug an — durchs Fenster, um den Weg abzukürzen — und flüchte durch den Garten. Auf einem Umweg folg' ich dem traurigen Zug und sehe Ihren Sohn ins Gefängnis führen.

Bardus. O Himmel! Ist es denn denkbar!

Frau Argan. Mich intrigiert nur diese Madame La Roche —<313> Bardus. Der Philosophie eine solche Schmach anzutun!

Argan. Ja, Herr Bardus, Ihr Sohn hat ein bißchen zuviel Dummheiten an einem Tag gemacht.

Bardus. Ich setze Staat und Justiz in Bewegung: mein Sohn muß steige, lassen werden!

Argan. Ganz, wie es Ihnen beliebt. Aber auf meine Julie muß er verzichten. (Bardus ab.)

Letzte Szene

Dieselben .

Frau Argan. Es ist doch schrecklich, alle Welt nennt sich heutzutage Madame, und diese Kreatur —

Julie. O Gott — ich atme auf. (Sie nähert sich dem Vater und wirft sich vor ihm auf

die Knie.) Lassen Sie mich Ihnen danken, lieber Vater, daß Sie mir zum zweitenmal das Leben schenken, indem Sie mich von einem Menschen befreien, der mein ganzes Leben mit Bitternis erfüllt hätte.

Mondor (wirft sich ebenfalls auf die Knie). Machen Sie Ihre Güte vollkommen und vereinen Sie zwei Herzen, die längst durch gleiches Empfinden verbunden sind. Mein neues Geschick ist mir nur darum lieb, weil ich nun minder unwürdig bin, Julie zu besitzen.

Julie. Wir erwarten alles von Ihrer Großmut, lieber Vater.

Mondor. Ich gehöre Ihnen ja schon durch meine Achtung und Verehrung für Sie.

Argan. Steht auf, meine Kinder! (Er umarmt sie.) Ja, Mondor, Ihnen gebe ich meine Tochter. Über Ihr Verdienst war ich mir nie im unklaren. Ich hätte mich schon früher für Sie entschieden, aber die Vereinbarung meiner Frau mit Herrn Bardus hat mich gehemmt.

Frau Argan. Ja, ja, Dickerchen, die Vereinbarungen, die „meine Frau“ trifft, sind wohlgetrossen.

Mondor. Geben auch Sie uns Ihre Einwilligung, auf daß unsere Freude vollkommen sei.

Frau Argan. Wenn Ihr Gehalt gut ist und der Fürst Ihnen viel Schönes schenkt.

Argan. Mach' dich doch endlich von deiner blinden Anbetung des Reichtums frei! Wenn die liebe von der Achtung gekrönt wird, dann gibt es eine glückliche Ehe.<314> Und laß dir gesagt sein, daß Vernunft und Tugend sich oftmals das Glück erzwungen haben.

Frau Argan. Nun gut, gut, Männchen, ich gebe meine Zustimmung auch. Es ist allemal ein Glück, wenn man eine Tochter los wird.

Mondor. Julie! Sie sind mein ganzes Glück. Könnte ich doch auch Sie glücklich machen!

Julie. Ich habe Ihr Herz, Mondor. Was bliebe mir noch zu wünschen? Nerine. Ach, guter Martin! Was soll nun wohl aus dir werden? Martin. Meiner Treu, ich gebe meinen Herrn auf! Nerine. Ja, aber man muß auch was zum Leben haben.

Martin. O, darum sorge dich nicht! Ich werde Merkur bei irgend einem Minister. Auf die Art kann's einer zu den höchsten Stellungen in der Finanz bringen. Und wenn mein Amt mich mästet, wirst du meine Frau.

Argan. Kommt! Feiern wir den Ausgang dieses glücklichen Tages!


V-1 Vgl. Volz, „Friedrich der Große am Schreibtisch“ und „Aus den Poesien Friedrichs des Großen“ (hohenzollern-Jahrbuch 1909 und 1912).

VI-1 Wie der Tyrann Dionys von Syratus den Dichter Philorenos.

VIII-1 Mit Ausnahme der erst 1760 den „Poésies diverses“ eingefügten Ode „An die Verleumdung“ .

VIII-2 Vgl. Bd. II. S. 231.

IX-1 Vgl. Bd. VIII, S. 257ff.

4-1 Vgl. dazu die Anleitung.

6-1 Nikomedes III., König von Bithynien (91—75 v. Chr.).

6-2 Vgl. Bd. II, S. 19.

9-1 Anspielung auf die „Odes philippiques“, die Schmähschrift von la Orange gegen den Regenten Herzog Philipp von Orleans. Aber auch Voltaire, der, obwohl fälschlich, als ihr Verfasser bezeichnet wurde, hatte ein Spottgedicht auf den Regenten geschrieben, das ihm seine erste Haft in der Bastille eintrug (vgl. Bd. VII, S. 32 und VIII, S. 234). Jedenfalls richtet sich diese Strophe, gleichwie die folgenden, auch gegen Voltaire, der der Veröffentlichung der „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ (vgl. Einleitung) nicht ganz fernstand.

10-1 Pierre Joseph Bernard (1708—1775), genannt Gentil-Bernard, Verfasser des Gedichts „L'art d'aimer“, der es bis zu seinem Tode unveröffentlicht bewahrte und nur einzelne Stücke daraus im kleinen Kreise vortrug.

11-1 In der „Vie de l'empereur Julien“ des Abbé de la Blatterie (Amsterdam, 1735).

13-1 Die Söhne des Lorenzo de Medici in den Jahren 1494—1512.

13-2 Anmerkung des Königs: „Karl I., König von England.“

16-1 M. Attillius Regulas, der während des Ersten Panischen Krieges von den Karthagern gefangen und zur Unterhandlung nach Rom geschickt war, mußte die Rückkehr, zu der er sich verpflichtet hatte, mit seinem Leben büßen.

16-2 Vgl. S. 6.

16-3 Als Ludwig XIV. 1715 starb, überlebte ihn nur sein Urenkel, der als Ludwig XV. den Thron bestieg.

18-1 Am 24. Januar 1744 war die neue „Akademie der Wissenschaften und schönen Literatur“ durch eine Sitzung im Berliner Schlosse eröffnet worden.

22-1 Alexander der Große.

25-1 Vgl. Bd. II, S. 44 und 150: VI, S. 365; VIII, S. 227 ff. und 237.

26-1 Ein schlechter Dichter zur Zeit Birgits.

31-1 Marcus Claudius Marcellus eroberte 212 v. Chr. Syrakus.

32-1 Anmerkung des Königs: „Jurieu.“

34-1 Nebukadnezar, König von Babylon. Daniel, Kap. IV, Vers 30 f.

36-1 Vgl. Bd. VII, S. 34.

36-2 Durch Bestechung des Parlaments.

41-1 Marcus Antonius besiegte 42 v. Chr. bei Philipp Marcus Iunius Brutus, der sich darauf selbst den Tod gab.

45-1 Jean Baptisie de Boyer, Marquis d'Argens, der Freund des Königs. Vgl. Bd. VIII, S.132 ff. und 192 f.

49-1 Vgl. Bd. I, S. 190.

52-1 Anmerkung des Königs: „Karneades.“ Er lehrte den Skeptizismus und stiftete die sogenannte neue Akademie in Athen (gest. 129 v. Chr.).

54-1 Vgl. oben S. 25.

59-1 Anmerkung des Königs: „Die Milbe und das Rind von Lafontaine.“ Eine solche Fabel gibt es nicht von diesem Dichter; vielleicht ist die Fabel „Die Mücke und der Ochs“ von Phädrus gemeint (vgl. Bd. V, S. 211).

60-1 Anspielung auf die Pest von 1720.

61-1 Anspielung König Friedrichs auf den von ihm selbst gegebenen Erlaß vom 22.Juni 1744: „Renovirtes und geschärftes Edict wegen Ausrottung der Sperlinge und Krähen.“

61-2 Ende der vierziger Jahre herrschte ein großes Viehsterben in den preußischen Provinzen.

62-1 Die Pest, die 1710 Ostpreußen und Litauen heimsuchte. Vgl. Bd. I, S. 114. 118.130 und 137.

63-1 Nisus und Euryalus, Orest und Pylades sind Vorbilder treuer Freundschaft.

64-1 Anmerkung des Königs: „Königsberg.“

67-1 Vgl. Bd. VII, S. 278 und 289.

72-1 Vgl. die „Gedächtnisrede auf Stille“ in Bd. VI, S. 364ff.

72-2 Für den russisch-schwedischen Krieg (1741—1743), der mit der Niederlage der Schweden und der Abtretung eines teils von Finnland an Rußland endete, vgl. Bd. II, S. 68. 84. 87. 97.128.137.

73-1 Vgl. Bd. II, S.206f.; III, S. 16.

74-1 Für Äußerungen des Königs über das Duell vgl. ferner Bd. VIII, S. 37f. und 273.

75-1 Die Marlgrafen Friedrich und Wilhelm von Brandenburg-Schwedt, Söhne Markgraf Albrecht Friedrichs und Enkel des Großen Kurfürsten. Der erstere fiel in der Schlacht bei Mollwitz, der zweite bei der Belagerung von Prag (vgl. Bd. II, S. 77 und 175).

75-2 Der Oberst und Generaladjutant Graf Friedrich Wilhelm Finck von Finckenstein, der älteste Bruder des Kabinettsministers, starb im Mai 1741 an den bei Mollwitz erhaltenen Wunden.

75-3 Generalleutnant Graf Adolf Friedrich von der Schulenburg war bei Mollwitz gefallen (vgl. Bd. II, S. 76).

76-1 Oberstleutnant Thomas Fitzgerald war ebenfalls bei Mollwitz geblieben.

76-2 Vgl. Bd. II, S. 107—116.

76-3 Generalmajor Graf Friedrich Rudolf Rothenburg wurde bei Chotusitz schwer verwundet (vgl. Bd. II, S. 115).

76-4 Generalmajor Ernst Friedrich von Werdeck fiel bei Chotusitz (vgl. Bd. II, S. 116).

76-5 Auch Major Karl Friedrich von Buddenbrock, Sohn des Feldmarschalls, blieb bei Chotusitz,

76-6 Anmerkung des Königs: „Feldzug von 1744 und 1745.“

77-1 Generalleutnant Graf Friedrich Sebastian Wunibald Truchseß-Waldburg, Oberst Felix Bogislav von Schwerin, Oberstleutnant Friedrich Wilhelm Adolf von Düring fielen bei Hohenftiedberg (vgl. Bd. l l, S. 220).

77-2 Das Dragonerregiment Bayreuth. Vgl. Bd. II, S. 220.

78-1 Oberstleutnant Georg von Wedelt, berühmt durch den heldenmütigen Widerstand, den er den Österreichern bei Selmitz am 19. November 1744 leistete, fiel bei Soor (vgl. Bd. II, S. 184 und 238).

78-2 Vgl. die „Gedächtnisrede“ auf Freiherr Georg Konrad von der Goltz in Bd. VI, S. 357 ff.

78-3 Gemeint ist der Winterfeldzug von 1745, der auf die Einnahme von Berlin angelegt war und zum Frieden von Dresden führte (vgl. Bd. II, S. 245—268).

78-4 Generalmajor Asmus Ehrentteich von Bredow (vgl. S. 81) wurde bei Kesselsdorf verwundet.

79-1 Generalmajor Samuel von Polenz, Oberst Friedrich Christoph von Rintorf und Major Joachim Erdmann von Kleist starben an den bei Kesselsdorf erhaltenen Wunden.

81-1 Generalmajor Asmus Ehrentreich von Bredow (vgl. S. 78) hatte den Winter 1750/51 in der Umgebung des Königs in Potsdam verlebt. Er wurde 1752 Mitglied der Akademie und starb 1756 als Generalleutnant.

81-2 Im Juli 1750 war der Tartarenoberst Mustapha Aga in Berlin erschienen, um dem König die Hilfe des Groß-Khans der Krim, Aslan Geray, gegen Rußland anzubieten, und von Friedrich am 27. Inli in Audienz empfangen worden.

82-1 Jean Regnauld de Segrais (1624—1701), französischer Dichter, der auch Virgils Werke ins Französische übertragen hat.

82-2 Anmerkung des Königs: „Abbe de la Blatterte“ (vgl. S. 11).

82-3 Anmerkung des Königs: „Abbé Dubos.“ Dieser war der Verfasser des Werkes: „Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture“ (Paris 1719).

83-1 Vgl. Bd. VII, S. 76 und 239.

84-1 Es handelt sich um den Entschluß Englands im Frühjahr 1743, die Offensive gegen Frankreich in Deutschland zu ergreifen, und um den Anschluß Hollands (vgl. Bd. II, S. 126.136. 140.146). Diese Wendung wurde durch die Treibereien eines „Schelmes“, des Herausgebers der „Gazette de Cologne“, namens Rodérique, herbeigeführt.

84-2 Kaiser Karl VII.

84-3 Großherzog Franz Stephan von Toskana, der Gemahl Maria Theresias.

85-1 Vgl. S. 6.

85-2 Vgl. S 7.

87-1 Der Kabinettsminister Graf Heinrich Podewils.

89-1 Der russische Großlanzler Graf Alexej Bestushew (vgl. S. 68).

90-1 August III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen.

92-1 Vgl. die Abhandlung: „Betrachtungen über die militärischen Talente und den Charakter Karls XII.“ (Bd. VI. S. 367 ff.).

94-1 Vgl. Bd. III, S. 152.

94-2 Jean de La Quintinie (1626—1688), Inspektor der Obst- und Gemüsegärten Ludwigs XIV. und Verfasser eines Wertes über Gartenbau, das lange als mustergültig galt.

98-1 Anmerkung des Königs: „Menenius Agrippa“ (vgl. Bd. VII, S. 83).

99-1 Vgl. Bd. VII, S. 88.

101-1 Baron Ernst Maximilian Sweerts, Generalintendant der Königlichen Schauspiele in Berlin.

102-1 Siovanna Astrua, Sängerin an der Oper.

102-2 Felicino Salimbeni, Sänger.

106-1 Karl Heinrich Graun, Komponist und Kapellmeister des Königs.

108-1 Anspielung auf die von Graun 1748 und 1749 komponierten Opern „Iphigenie in Aulis“ und „Coriolan“, für die der König selbst den Text verfaßt hatte.

111-1 Graf Franz Algarotti (1712—1764), der Freund des Königs.

112-1 Nisus ein Muster der Freundschaft, Achates ein treuer Diener, beides Gestalten aus der Äneis.

113-1 Eine Gestalt aus Bojardos und Ariosts Roland-Dichtungen.

117-1 Der Kabinettsminister Graf Karl Wilhelm Finck von Finckenstein.

119-1 Vgl. S. 9 und Bd. VII, S. 32.

119-2 Vgl. Bd. I, S. 90.

122-1 Vgl. Bd. I, S. 132 ff.; II, S. 26.

124-1 Jakob Kelch (vgl. Bd. III, S. 144). In einer Fußnote der Ausgabe van 1760 wird diese Epistel als „Nachahmung des dritten Buches von Lutrez“ bezeichnet. Gemeint ist das Lehrgedicht: „De rerum natura.“ Vgl. Bd. VII, S. 264.

124-2 Graf Moritz von Sachsen starb am 30. November 1750.

124-3 Graf Emanuel Franz Joseph von Bayern, natürlicher Sohn Kurfürst Maximilians II. Emanuel, fiel bei Laveld am 2. Juli 1747.

124-4 Der Chevalier de Belle-Isle, Bruder des Marschalls, fiel im Gefecht am Col d'Assiette am 19. Juli 1747 (vgl. Bd. III, S. 17 f.).

128-1 Anmerkung des Königs: „Der Dreißigjährige Krieg.“

130-1 Ludwig XIV. Vgl. S. 16.

131-1 Vgl. Bd. VII, S. 276 und 287.

133-1 Claude Etienne Darget war zunächst Sekretär des französischen Gesandten, Marquis Valory, gewesen, dann in König Friedrichs Dienste getreten und am 18. Januar 1746 zu dessen Privatsekretär und Vorleser ernannt worden. Im Frühjahr 1752 kehrte er nach Frankreich zurück.

134-1 Vgl. Ariost, Der rasende Roland, 34. Gesang, Stanze 84.

135-1 Anmerkung des Königs: „Chirurg bei der preußischen Armee.“

136-1 Das „offene E“ wird im Französischen stets ausgesprochen und daher im Verse als Silbe gezählt, das „stumme E“ hingegen nur, wenn lein Vokal folgt.

142-1 Anmerkung des Königs: „Bildhauer des Königs.“ Vgl. Bd. VIII, S. 224.

148-1 Anspielung auf den Kammerheirn Baron Pöllnitz, der bei Hofe den Beinamen „le vieux baron“ führte.

153-1 Generalleutnant Heinrich Augnst Baron de La Motte Fouque, der Freund des Königs seit den Rheinsberger Tagen. Vgl. Bd. IV, S. 39 f.

153-2 In der Schlacht bei Laveld (vgl. S. 73).

157-1 Gräfin Sophie Karoline Camas, geb. von Brandt, Witwe des Obersten von Camas und seit 1742 Oberhofmeisierin der Königin Elisabeth Christine, die mütterliche Freundin des Königs. Sie starb 1766 im Alter von 80 Jahren.

158-1 Edme Bonchardon (1698—1762), französischer Bildhauer.

160-1 In einer hier nicht aufgenommenen Epistel an Franz Isaal von Chasot, der noch zum Rheinsberger Freundeskreise gehörte, wird der Mißbrauch der Liebe gegeißelt.

160-2 Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder des Königs (vgl. S. 67).

163-1 Charles Etienne Jordan, der Freund, Sekretär und literarische Berater Friedrichs. Vgl. Bd. VII, S. 275; VIII, S. 211 ff.

165-1 Anspielung auf Erasmus' Schrift: „lob der Narrheit.“

165-2 Der Riese Orandonio, ein Sarazenenfürst in Spanien, ist einer der Helden in Bojardos Epos „Orlando innamorato“.

165-3 Anmerkung Friedrichs: „Ein Genfer Professor, den Jordan als großen Schriftsteller zitiert, den aber zu kennen lein Mensch die Ehre hat.“ Gemeint ist Firmian Abauzit (1679—1767), ein philosophischer und theologischer Schriftsteller, der nach dem Edikt von Nantes nach Genf geflüchtet war.

165-4 I. B. Rousseau (1670—1741), der Verfasser sehr freier und schlüpfriger Verse, kehrte in späteren Jahren den Strenggläubigen heraus.

166-1 Offenbarung Johannis, Kap. 17.

166-2 Anmerkung Friedrichs: „Réaumur.“ Es handelt sich um den Physiker und Naturforscher René Anton Ferchault de Réaumur (1683—1757), den Verfasser der „Mémoires pour servir à l'histoire des insectes“ (Paris 1734/42).

166-3 Anmerkung Friedrichs: „Die Bibel.“

166-4 Vgl. Oden l, 11.

167-1 Vgl. Bd. VI, S. 387.

167-2 Anmerkung Friedrichs: „Virgil.“

168-1 Vgl. S. 160.

168-2 Dietrich von Keyserlink, der gleichfalls zum Rheinsberger Freundeskreise zählte, führte den Namen „Cäsarion“.

168-3 Anmerkung Friedrichs: „König von Polen.“

171-1 Vgl. S. 45. Die Entstehung dieser Epistel fällt in das Frühjahr 1747, kurz nachdem das „Lusthaus auf dem Weinberg“, Schloß Sanssouci, am 1. Mai durch ein festliches Mahl mit zweihundert Gästen eingeweiht worden war.

171-2 Vgl. Bd. VIII, S. 192ff.

175-1 Vgl. S. 157.

179-1 Marquis Veit Heinrich Ludwig Valory, französischer Gesandter am Berliner Hofe.

179-2 Feldmarschall Prinz Karl Alexander von Lothringen, der Bruder des Großherzogs Franz Stephan von Toskana, des Gemahls Maria Theresias, führte den Oberbefehl über die österreichische Armee, die den Preußen im Herbst 1745 in Böhmen gegenüberstand. Vgl. Bd. II, S. 166; VI, S. 431.

179-3 Oberstleutnant Franquini kommandierte ein österreichisches Freikorps.

179-4 Claude Etienne Dargel (vgl. S. 133),

179-5 Gemeint ist Homers Froschmäusekrieg.

179-6 Jean Baptisie Louis de Gresset (1709—1777), französischer Dichter, Verfasser des Epos „Vert-Vert“.

179-7 Leonhard Euler (1707-1783), berühmter Mathematiker und Mitglied der Berliner Akademie.

181-1 Die heilige Hedwig war die Ahnherrin des preußischen Königshauses. Aus ihrer Ehe mit Herzog Heinrich I. von Schlesien stammten die Herzöge von Liegnitz und Brieg. Eine Prinzessin dieses Hauses, Sophie, war die erste Gemahlin des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg (vgl. Bd. l, S.30), und aus dieser Verbindung entsproß Kurfürsi Joachim Friedrich, der Stammvater aller später existierenden Linien des brandenburgischen Hauses.

181-2 Nach der Niederlage bei Hohenfriedberg am 4. Juni 1745 hatte Prinz Karl von Lothringen Schlesien geräumt und ein Lager bei Königgrätz bezogen. Die Preußen waren den Österreichern gefolgt und lagerten ihnen gegenüber (vgl. Bd. II, S. 223).

182-1 Benedikt von Rostères, österreichischer Oberst.

183-1 Graf Franz Saint-Ignon, österreichischer Feldmarschalleutnant.

186-1 Graf Olivier Wallis, österreichischer Feldmarschall.

186-2 Fürst Christian Loblowitz, österreichischer Feldmarschall.

187-1 Marquis de Spada, österreichischer Generalfeldwachtmeister.

187-2 Herzog Leopold Philiipp Karl Joseph von Aremberg, österreichischer Feldmarschall.

187-3 Fürst Karl August Friedrich von Waldeck, österreichischer Feldmaischall.

187-4 Freiherr Franz Stein mm Rechtenstein, österreichischer Oberst.

187-5 Johann Georg, Ritter von Sachsen, ein natürlicher Sohn Augusts des Starken, kursächsischer General.

187-6 Graf Cajetan Kolowrat-Kralowsky, österreichischer Feldmarschalleutnant.

190-1 Graf Guido Starhemberg, österreichischer Feldmarschall.

190-2 Am 25. April 1707 (vgl. Bd. VI, S. 429). Die Anführung gerade dieser Schlacht, in der die Franzosen und Spanier über die Engländer siegten, ist dem Charakter der Dichtung entsprechend ein Scherz des Königs.

190-3 England war mit Österreich gegen Preußen verbündet.

191-1 Der kursächsische Feldmarschall Herzog Johann Adolf von Sachsen-Weißenfels, der die Sachsen bei Hohenfriedberg geführt hatte. Die Anführung des Ritters von Sachsen (S. 187) beruht offenbar auf einem Versehen.

193-1 Freiherr Friedrich Daniel Saint-André, österreichischer Generalfeldwachtmeister.

193-2 Graf Franz Nadasdy, österreichischer Feldmarschalleutnant.

193-3 Oberstleutnant Graf Adam Dessewffy.

195-1 Franz Isaak von Chasot, Major im Dragonerregiment Bayreuth (vgl. S. 160).

197-1 Freiherr Johann Theodor von Ruesch, Oberst und Chef eines preußischen Husarenregiments

201-1 Durch den Versailler Vertrag vom 5. Juni 1744 hatten sich Preußen und Frankreich gegen Österreich verbündet (vgl. Bd. II, S. 162).

205-1 Vgl. S. 18 l, Anm. 1.

207-1 Das sogenannte liberum veto verlieh jedem polnischen Landboten das Recht, durch seinen Einspruch gegen die Beschlüsse des Reichstags dessen sofortige Auflösung herbeizuführen.

208-1 Für den historischen Vorgang der Entführung Dargets in der Nacht vom 3. zum 4. September 1745 vgl. die Darstellung des Königs in der „Geschichte meiner Zeit“ (Bd. II, E. 231).

210-1 Vgl. S. 179.

214-1 Der heilige Stephan (Etienne) war Dargets Namensheiliger und Schutzpatron.

220-1 Thomas Germain, ein berühmter Pariser Goldschmied.

228-1 In drastischem Scherze stempelt der König Darget zum Verfasser der neuesten erotischen Literatur. Es handelt sich um folgende Werke: „Les Bijoux indiscrets“ von Denis Diderot (1713—1784), „La sensible princesse et le prince Typhon“ von Mademoiselle de Ludert, „Acajou et Zirphile“ von Charles Pineau Duclos (1704—1772), „Histoire des Chats“ von Paradis de Moncrif (1687—1770), „Le Paysan parvenue “ von Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux (1688—1763) und „La Paysanne parvenue“ von Charles de Fieux Chevalier de Mouhy (1701—1784).

229-1 Auch diese Erfindung schreibt der König scherzhaft Qarget zu. Die Hampelmänner waren 1746 in Paris aufgekommen und wurden zu einem äußerst beliebten Spielzeug, das Verbreitung bei jung und alt fand.

230-1 Die sogenannten Generalstaaten, d. h. die Abgeordneten, die von den Provinzialständen zur Leitung des Staates gewählt wurden.

233-1 Mit diesem Spottwort pflegte König Friedlich seiner persönlichen Abneigung gegen Georg II. von England Ausdruck zu geben.

233-2 Georg II.

233-3 Vgl. Bd. I, S. 155.

234-1 Für die spöttische Schilderung der Haltung Georgs II. in der Schlacht bei Dettingen am 27. Juni 1743 vgl. Bd. II, S. 142.

234-2 Um die englische Politik im Interesse seines Stammlandes Hannover zu lenken, bestach König Georg II. das Parlament. Vgl. S. 36 und Bd. l S. 154f.; II, S. 27f.; V, S.84f.

235-1 Anspielung auf Shakespeares Dramen (vgl. Bd. VIII, S. 88).

236-1 König Johann V. (vgl. Bd. II, S. 27).

238-1 Die Inquisition.

241-1 Vgl. Bd. II, S. 47.

241-2 Papsi Benedikt XIV. (vgl. Bd. II, S. 42; III, S. 153).

244-1 Eine Gestalt aus Popes Dichtung: „The Rape of the Lock“.

245-1 Vgl. S. 215 f.

247-1 Paul Heinrich Camas de Tilio, preußischer Oberst (vgl. S. 157). Er war bereits 1741 gestorben.

249-1 Graf Franz Moritz lacy, österreichischer Hauptmann, der spätere berühmte Heerführer.

250-1 Offenbar ist der preußische Generalleutnant Peter Ludwig du Moulin gemeint.

251-1 Kaiserin Katharina I. (1725—1727).

252-1 Auf Peter II. (1727—1730), Anna Iwanowna (1730—1740) und Iwan VI. folgte 1741 die Zarin Elisabeth.

254-1 Während des ersten Kreuzzugs rettete 1098 der französische Ritter Gottfried de la Tour durch einen Schwertstreich einen köwen vor einer Schlange. Voll Dankbarkeit verließ der Löwe den Ritter nicht mehr.

256-1 Schah Nadir von Persien. Vgl. Bd. II, S. 43.

257-1 Für den Krieg Karls VI. gegen Sultan Mahmud V. in den Jahren 1736—1739 vgl. Bd. I, S.158 ff.

265-1 Die österreichischen Grenadiere trugen Mützen aus Bärenfell.

267-1 Während des Spanischen Erbfolgekrieges.

268-1 Vgl.S. 250.

269-1 Graf Christoph Ernst von Nassau, preußischer Generalleutnant.

269-2 Vgl. S. 76.

269-3 Vgl. S. 247.

269-4 Vgl. S. 195.

271-1 Podarge heißt eins der Rosse des Menelaus in der Ilias, während den Namen Rabikan die Streitrosse mehrerer Helden in den Roland-Dichtungen des Bojardo und Ariosi tragen.

271-2 Kap. 6, Vers 2 und Kap. 19, Vers II.

271-3 Christoph Wilhelm von Kalckstein, preußischer General der Infanterie, der frühere Erzieher des Königs.

272-1 Vgl. S. 77.

275-1 Felix Bogislav von Schwerin, preußischer Oberst. Vgl. S. 77.

276-1 Die Markgrafen Friedlich und Wilhelm von Brandenburg-Schwedt. Vgl. S. 75.

276-2 Major Gabriel Gideon d'Azemar de Rege wurde bei Ottmachau am 9. Januar 1741 tödlich verwundet.

276-3 Oberst Marquis Friedrich Wilhelm Varenne war am II. Februar 1744 am Fieber in Prag gestorben.

283-1 Vielleicht ein Stich auf Marquis d'Argens, den Verfasser der „Lettres juives“ (vgl. Bd. VIII, S. 132ff.).

283-2 Jacques Cujas (Cujacius), französischer Rechtslehrer (1522—1590); Bartolo (1314 bis 1357), italienischer Rechtslehrer.

285-1 Vgl.Bd.VIII,S.266.

286-1 Vgl. Bd. VIII, S. 40 f.

287-1 Als König Friedrich das Lustspiel verfaßte, hatte er sich unter Maupertuis' Einfluß bereits innerlich von der Leibniz-Wolffschen Philosophie abgewandt. Mit dem verspotteten Doktor Difucius ist danach Christian Wolff selber gemeint. Vgl. für Wolff Bd. I, S. 215; II, S. 46 und VIII, S. 260.

287-2 Entstellt aus dem französischen Wort corollaire, das soviel wie Folgesatz bedeutet.

295-1 Ein Glücksspiel mit Kugeln oder Karten, die aus einem Beutel gezogen werden, eine Art Zahlenlotterie.

298-1 Banise und Scandor sind die Hauptfiguren des Romans „Die asiatische Banise“ von Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphansen (Leipzig 1688).

306-1 Anspielung auf die Coccejische Justizreform (vgl. Bd. III, S.7f.; VII, S. 118: VIII, S. 36).

312-1 Scherzhafte Anspielung auf die Worte König Heinrichs l V. von Frankreich am Tage der Schlacht bei Jorn (1590): „Folgt meinem weißen Helmbusch! Ibr werdet ihn stets auf der Bahn der Ehre und des Ruhmes sehen!“