108. AN DENSELBEN.

Rheinsberg, den 26. October 1736.



Allergnädigster König und Vater,

Ich habe meines allergnädigsten Vaters gnädiges Schreiben in aller Unterthänigkeit empfangen und kann ich nicht meinem allergnädigsten Vater genugsam danken für die Gnade, so Er gehabt hat, uns Fasanen zu schicken. Ich kann meinem allergnädigsten Vater versichern, dass wir sie unser Tage nicht anders essen, als uns dabei erinnernde der unterthänigsten Dankbarkeit, so wir Ihm darfür schuldig sind.

<104>Gestern bin ich nach Mirow3_117-a gewesen. Um meinem allergnädigsten Vater eine Idee von dem Ort zu geben, so kann ich die Stadt zum Höchsten mit Grossen-Kreutz vergleichen; das einzige Haus drinnen, das man ein Haus nennen kann, ist nicht so gut, als das Priesterhaus dorten. Ich ging alsofort nach dem Schloss, welches ohngefähr wie das Gartenhaus in Bornim ist; rings herum aber ist ein Wall, und ein alter Thurm, der schon ziemlich verfallen ist, dienet dem Hause zum Thorweg. Wie ich an die Brücke kam, so fand ich einen alten Strumpfstricker, als einen Grenadier verkleidet, mit der Mütze, Tasche, und das Gewehr bei sich stehen, um ihn desto weniger an seiner Arbeit zu hindern. Als ich herankam, so frug er wor ich her käme und wor ich hin wollte, worauf ich ihm antwortete, ich käme vom Posthause und ginge über die Brücke, worauf der Grenadier ganz entzürnet nach dem Thurm lief, worselbsten er eine Thüre aufmachte und den Corporal herausrief. Dieser war aber eben aus dem Bette aufgestanden und hatte aus grosser Eile sich nicht die Zeit genommen, sich weder die Schuhe anzuziehen, noch sich die Hosen zuzumachen, und frug uns ganz verstöret, wor wir hin wollten und wie wir der Schildwache begegnet hätten. Ohne ihm aber einmal zu antworten, gingen wir unsere Wege nach dem Schlosse zu. Dieses hätte ich mein Tage für kein Schloss angesehen, wenn nicht zwei Laternen vorne an der Thüre wären gepflanzet gewesen, und dass nicht zwei Kraniche Schildwache darvor gestanden hätten. Ich kam ans Haus heran, und nachdem ich wohl eine halbe Stunde an die Thüre geklopfet hatte, so kam eine ganz alte Magd, die wohl aussähe als wenn sie des Prinzen Mirow seines Vaters Amme gewesen wäre; und als die gute Frau fremde Gesichter zu sehen kriegte, so war sie dermassen erschrocken, dass sie uns die Thüre vor der Nase zuschmiss. Wir klopften wieder, und als wir sahen, dass nichts zu thun war, gingen wir nach dem Stall, dar uns doch ein Knecht <105>sagte, der junge Prinz mit seiner Gemahlin wäre nach Neu-Strelitz, zwei Meilen von dort, und die Herzogin seine Mutter, welche in dem Hause wohnet, hätte ihm, um Staat zu machen, alle ihre Leute mitgegeben, also, dass ihr die alte Magd alleine übrig blieb. Es war noch frühe, also dachte ich, ich könnte nicht besser thun, als von der Gelegenheit profitiren, so kriegte ich Strelitz auch zu sehen. So nahmen wir Postpferde und waren zu Mittage dar. Neu-Strelitz ist eigentlich ein Dorf, dar nur eine Strasse drin ist, welche Kammerjunker, Kanzellisten und Domestiquen bewohnen, wor ein Wirthshaus drin ist. Ich kann es meinem allergnädigsten Vater nicht besser beschreiben, als die Strasse in Gumbinnen, wenn man nach dem Rathhause gehet, ausgenommen, dass kein Haus abgeweisset ist. Das Schloss ist schön und lieget an einem See, mit einem grossen Garten, so wie die Situation von Rheinsberg. Die erste Frage, so ich that, war nach dem Prinzen Mirow; so sageten sie mir, er wäre eben nach einem Orte gereiset, der heisset Kanow und lieget nur eine halbe Meile von Mirow. Buddenbrock,3_118-a welcher dorten bekannt ist, schaffte mir bei einem Kammerjunker was zu essen, dar denn der Böhme auch hinkam, welcher vor diesem Adjutant unter meines allergnädigsten Vaters Regiment gewesen ist, welcher mich gar nicht wieder gekennet, als bis ich es ihm gesagt, wer ich wäre. Selbiger hat mir erzählet, dass der Herzog von Strelitz schön nähen könnte und dass er schöne Casaquins nähete. Dieses machte mich curieux ihn zu sehen und liessen wir uns als Fremde präsentiren, welches mir auch so gut anging, dass mich keiner kennete. Ich kann ihn meinem allergnädigsten Vater nicht besser beschreiben, als den alten Stahl,3_119-a mit einer dicken blonden Abbé-Perrücke; es ist ein Herr, der sehr blöde ist; sein Hofrath Altrock saget ihm, um so zu sagen, Alles was er reden soll. Wie wir uns verabgescheidet hatten, so fuhr ich gleich weg nach Kanow, wor ich ohngefähr um sechs Uhr hinkam. Es ist ein pures Dorf, und das Lusthaus des Prinzen nichts anders, als ein ordinäres Jägerhaus, wie alle Heideläufer haben. Ich kehrte bei dem Müller ein und liess mich durch die Magd anmelden, worauf <106>ich durch den Haushofmeister in der Mühle complimentiret wurde und mit demselbigen nach der Residenz mich begab, worselbsten die ganze Mirowsche Familie versammelt war. Seine Mutter ist eine Prinzessin von Schwarzburg,3_119-b und noch die klügste von allen, die dorten zugegen waren; seine Tante war auch dorten. Die Frau Gemahlin ist klein, des Prinzen von Hildburghausen, von den Kaiserlichen, seine Nichte; sie war schwanger, scheint aber sonsten eine gar gute Prinzessin zu sein. Das Erstere, womit ich entreteniret wurde, war das Unglück, welches dem besten Koch geschehen wäre, welcher mit sammt dem Wagen, welcher Provisions sollte bringen, umgefallen wäre und sich den Arm gebrochen, und die Provisions wären dardurch alle zu nichte gegangen. Ich liess mich insgeheim darnach erkundigen, so war nicht ein wahr Wort daran. Endlich ging man an Tafel, dar es denn auch gewisse schien, als wenn denen Provisions nebst dem Koch ein Unglück geschehen wäre, denn gewiss in denen Drei Kronen in Potsdam ist viel besser Essen, als dorten. Der Discours über der Tafel war nichts, als von allen den deutschen Fürsten, so nicht recht klug sind; da war Weimar,3_119-c Gotha, Waldeck, Hoym, und wie die Häuser alle heissen, auf dem Tapis; und nachdem sich der gute Herr recht sehr besoffen hatte, stunden wir auf und hat er mir, mit seiner ganzen Familie, versprochen, mich zu besuchen. Kommen wird er gewiss; wie ich ihn aber los werden werde, das weiss Gott. Ich bitte meinen allergnädigsten Vater für diesen langen Brief unterthänigst um Vergebung, der ich mit allem ersinnlichsten Respect bis an mein Ende verharre, u. s. w.


3_117-a Mirow war die Residenz des Herzogs Carl Ludwig Friedrich von Mecklenburg-Strelitz. eines Stiefbruders des regierenden Herzogs Adolph Friedrichs III., geboren den 23. Februar 1708 und vermählt den 15. Februar 1735 mit der Prinzessin Albertine Elisabeth, Tochter des Herzogs Ernst Friedrich von Hildburghausen. Er starb den 4. Juni 1752.

3_118-a Siehe Band XXVI., S. 62 und 317.

3_119-a Siehe Band I., S. 263, und Band XXII., S. 210 und an.

3_119-b Christine, Prinzessin von Schwarzburg-Sondershausen, die dritte Gemahlin Herzog Adolph Friedrichs II. von Mecklenburg-Strelitz.

3_119-c Siehe Band XXVI., S. 595.