9372. AN DEN GENERALFELDMARSCHALL VON LEHWALDT.384-1

Quartier Buttelstädt, 29. September 1757.

Euer Schreiben vom 16. dieses ist das letzte gewesen, so Ich erhalten habe, und hoffe Ich, dass sich doch einmal die wahre und eigentliche Ursache der ohnvermutheten und eiligen Retraite von der russischen Armee aus Preussen384-2 developpiren wird, und Ich die zuverlässige Nachricht von Euch mit nächstem bekommen werde.

Secret. Indessen kann Ich Euch hierdurch nicht verhalten, und schreibe Ich Euch eigentlich diesen Brief in der Hauptabsicht, um Euch hierdurch bekannt zu machen, wie hier die Umstände wegen der Mir jetzo zu sehr überlegenen Menge Meiner Feinde, denen Ich ohnmöglich überall ohne Succurs Face machen kann, jetzt sehr betrübt seind, da hier alles scheel gehet, und Ich also zu denen letzteren Ressources greifen muss. Ich habe alle Ursache zu glauben, dass, weil die Russen sich auf eine solche Art, wie geschiehet, zurück aus Preussen ziehen, es aus einer sehr wichtigen und indispensablen Motive geschehen muss, und dass sie Mir vorerst nicht weiter schaden wollen noch können. Es mag aber auch hierunter gehen und geschehen, wie es wolle, so bin Ich absolument gezwungen, Euch und die dortige Truppen hieher zurück und an Mich zu ziehen. Dahero Ihr dann nur sofort mit Eurem ganzen Corps von 50 Escadrons und 29 Bataillons, auch dem Train d'artillerie, nach Marienwerder marschiren und Euch nur sogleich dazu disponiren sollet.384-3

Damit Ihr aber auch eine Idee habet, wie Meine Umstände hier<385> jetzo beschaffen seind, so muss Ich Euch schreiben, dass in Schlesien der Herzog von Bevern von denen Oesterreichern ziemlich pressiret wird, da er 90,000 Mann vor sich hat und er nicht stärker als 37,000 Mann ist, dass also absolut ein Succurs nöthig. Hier habe Ich 20,000 Mann, mit welchen Ich gegen die Franzosen unter dem Soubise und gegen die sogenannte Reichsarmee Tête mache, um solche zu verhindern, über Leipzig nach der Elbe und nach Berlin oder nach dem Halberstädtschen zu marschiren. Den Prinz Ferdinand von Braunschweig habe Ich detachiret, um das Magdeburgische zu decken und das Halberstädtsche von denen dort schon eingedrungen gewesenen Franzosen zu evacuiren, der sie auch dort weggejaget hat, wiewohl sie stärker wieder zu kommen Miene machen. Nunmehro kommen 40,000 von der Seite der Altmark anmarschiret, und die Schweden seind mit 17,000 Mann jenseits der Elbe, von hier aus, wo Ich jetzo stehe, zu rechnen, im Anmarsch, um zusammen Magdeburg von ferne zu blokiren. Da nun dadurch Mein ganzes Land hier der Verheerung exponiret, Berlin nicht mehr sicher und Magdeburg in Gefahr ist, so muss Ich absolut Suceurs haben, sonsten alles verloren ist und selbst Preussen alsdenn von sich selber fallen muss. So muss Ich Euch, wie obgedacht, nur baldmöglichst hieher zurückziehen.

Bei dieser Gelegenheit aber wird Euer Marsch Mir zwei gute Dienste thun können; nämlich erstlich, wird solcher bei den Oesterreichern eine gewisse Alteration machen, und zweitens, hier sehr à propos kommen. Ich vermeine und denke, dass Ihr von Marienwerder den geraden Weg, und zwar immer in Cantonnierquartiere marschirend, über Schwedt nehmet, Ihr sodann gegen Anfang des kommenden Decembris in der Gegend von Brandenburg sein werdet, da dann Ihr die Schweden auf jener Seite der Elbe, und Ich auf dieser Seite die Franzosen attaquiren und sie also aus ihren Quartieren herausjagen und schlagen wollen. Ich weiss nicht, ob Ich indess im Stande sein werde, Euch von allen Umständen, so inzwischen vorfallen, und wie hier alles gehet, immediate avertiren zu können. Ich werde aber dem Etatsminister Graf Finckenstein Ordre geben,385-1 so wie Ihr gegen Marienwerder kommet, Euch zu schreiben, was hier alles passiret, damit Ihr die Umstände wisset. Woferne sich aber gegen solche Zeit hier etwas geändert haben und die Schweden sich etwa nicht jenseits der Elbe befinden, auch wohl gar nach Vorpommern zurückgezogen haben oder ziehen sollten, so werde Ich Euch vielleicht in Schlesien nöthiger gebrauchen, welches Ich jedoch vor der Hand noch nicht glaube. Gesetzten Falls aber, dass Ihr dahin gehen müsstet, so wäre Mein Rath, dass Ihr die Oder immer rechter Hand liesset und Euch so den nächsten Weg nach Cosel zöget, alsdenn aber in die Quartiere, so die Oesterreicher zwischen Neustadt und Jägerndorf haben, fielet und Eure Quartiere dorten nähmet.

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So viel Ich aber bis dato noch einsehen kann, so glaube Ich, dass es wohl nach der Elbe gehen wird, allwo es Mir am gefährlichsten aussiehet.

Alles dieses überlasse Ich also Eurer guten Disposition und zweifele gar nicht, dass Ihr es baldmöglichst so einrichten werdet, damit in diesen so gefährlichen als betrübten Umständen Meine Intention erreichet werden, und Ich den Staat aus seinem sonst ohnvermeidlichen Umsturz und Ruin durch diese letzte Ressource retten, auch es bald zu einem redlichen und honorablen Frieden bringen kann.

Friderich.

Nach dem Concept.



384-1 Lehwaldt datirt seine Berichte vom 16. September aus dem Lager bei Petersdorf, vom 24. aus dem Lager bei Auluwöhnen, vom 29. aus dem Lager bei Argenincken „ohnweit Tilse“ (d. i. Tilsit).

384-2 Vergl. S. 364. 365.

384-3 In einem Cabineterlass, d. d. Buttelstädt 1. October, sendet der König einige weitere Befehle für den Marsch des Lehwaldt'schen Corps. Lehwaldt solle mit ganz completten Regimentern nebst doppelten Uebercompletten aufbrechen; er solle „alle dortigen Kassen völlig aufräumen,“ alles aufzutreibende Geld mit sich nehmen und zur Verpflegung der Regimenter gebrauchen; von sämmtlichen Revenus der Provinz solle auch fernerhin „alles und jedes, so an Geldern einkommet, sonder Abzug zur Militärkasse fliessen, auch nach Eurem Abmarsch zur Generalkriegeskasse nach Berlin tibermachet werden.“

385-1 Cabinetserlass an Finckenstein, d. d. Buttelstädt 30. September.