10482. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN BERLIN.

Finckenstein übersendet, Berlin 29. October, an Eichel zwei Berichte des preussischen Agenten von Rexin in Konstantinopel vom 8. September 1758, mit Postscripten vom 10. September.

Rexin berichtet, Konstantinopel 8. September«  an den König-. „ . . . Der brave Ali Pascha343-1 ist den 6. hujus durch beigebrachten Gift zum grössten Leidwesen des Sultans und des Volks mit Tode abgegangen. Ich habe an ihm einen grossen Beistand verloren. Er hat für Ew. Königl. Majestät allerhöchstes Interesse Tag und Nacht mit unermüdetem Eifer gearbeitet, und alle Präparativen, so bis anhero gemacht worden, sind auf sein Anrathen beschehen. Die Janitscharen sind über seinen Verlust untröstlich, denn das Vertrauen in diesen Mann war allzu gross, und der Sultan hat keinen einzigen Pascha mehr von solcher Capacität eine Armee zu commandiren, als dieser Mann besass. Woher dieser fatale Coup eigentlich seinen Ursprung genommen und auf wessen Anstiften es geschehen, kann man zur Zeit noch nicht erfahren; doch wird es sich in kurzem zeigen und ich mit meinem folgenden Ew. Königl. Majestät anzuzeigen die Gnade haben. Sein Körper wird stündlich hier erwartet und soll auf Befehl des Sultans in das kaiserliche Begräbniss beigesetzet werden. Der Himmel gebe nur, dass durch seinen Hintritt nicht etwa die Affairen leiden! Bis dato continuiret zwar die Pforte noch immer mit denen angefangenen kriegerischen Anstalten, allein sie hat zu dato wegen des Allianztractats343-2 sich noch im mindesten nicht declariret und observiret ein tiefes Stillschweigen. Alles, was sie mir wissen lassen, bestehet darin, noch einige Zeit Geduld zu haben. Es scheinet also ganz deutlich, dass sie das Ende der Campagne annoch abwarten und alsdann erst ihre Resolution von sich geben wolle. Muss mich also bis dahin patientiren; dann wann zu sehr insistire, ist zu befürchten, sie zu degoutiren. Ich gedeake in etlichen Tagen selbsten nach Kjutahia, als der Residenz des verstorbenen Ali Pascha, so vier Tagereisen von hier und in Klein-Asien liegt, zu gehen, um mich mit seinem Secretär zu besprechen und zu sehen, wie weit es dieser ehrliche Mann eigentlich bei dem Sultan, Ew. Königl. Majestät allerhöchstes Interesse betreffend, gebracht hat, damit mich besser darnach reguliren, auch nunmehro an diejenige adressiren kann, deren sich dieser Pascha der Affairen halber etwa im Serail bedienet hat . . . Aus [Porters] Bezeigen merke deutlich, wie sein Hof bei der Pforte nicht gern gegen Russland agiren will; Porter krümmet sich deswegen gewaltig343-3 . .. »

Rexin berichtet, Konstantinopel 8. September, an Eichel: „Da die Pforte einmal über das andere um Neuigkeiten, sowohl bei Portern als mir, anfragen lasset, ich aber so lange mich ohne die geringste Nachricht befinde, als bitte ich ganz ergebenst, mir doch das eigentlich passirende baldigst anzuzeigen. Die Pforte erwartet noch fernere Evnements. Wie der König Olmütz belagerte, so glaubten die Türken endlich, er ginge auf Wien los. Hier hiess es schon, die Königin hätte sich bereits von dar retiriret, und wenig fehlte, dass die Türken nicht die Rossschweife ausgestecket hätten. Nunmehro und da die Belagerung dieses Orts aufgehoben worden, und die hiesige Minister343-4 deshalben der Pforte sehr desavantageuse Concepte von unserer Armee beigebracht und noch täglich beibringen, so stehet der Wagen wiederum auf einmal ganz stille. Gott gebe nur, dass vor dem Ende der Campagne noch eine gute Zeitung einläuft! alsdann sich die Türken wohl declariren dürften. Indessen werden die Kriegszurüstungen immer eifrigst fortgesetzet. An Ali Pascha habe einen<344> grossen Soutien verloren. Nunmehro muss andre suchen, und so gehet es immer in diesem fatalen Lande. Die Spesen laufen gewaltig hinauf, und wie sehr es mich kränket, dass bis dato des Königs Wunsch noch nicht völlig erfüllen können, bin ich zu beschreiben nicht capable. An meinem Laufen, Rennen, Mühe und Arbeit lieget es nicht. Ich erdulde, da mich noch immer geschlossen halten muss, solches Elend, dass es mit Worten nicht zu exprimiren, und wird der Courier bei seiner Retour Ihnen davon des mehreren berichten können . . . Uebrigens scheinet es recht, als ob der englische Hof dem russischen versprochen, sich gegen letzteren bei der Pforte allhier nicht gebrauchen zu lassen. Porter windet sich wie ein Wurm diesen Punkt belangend und macht hunderttausend leere Ausflüchte. Ich glaube, er erwartet neue Ordres von seinem Hofe. Er ist, mit einem Wort, gut russisch, und das gute Vernehmen zwischen ihm und Obreskow344-1 gefället mir gar nicht.“

Dresden, 2. November 1758.

Ew. Excellenz ganz gnädiges Schreiben vom 29. vorigen Monates habe ich ehegestern wohl zu erhalten die Ehre gehabt, auch darauf keine Zeit versäumet, die chiffrirte Einlagen, nachdem ich solche in einen andern Chiffre übersetzen lassen, an des Königs Majestät zu übersenden, auf dass Dieselbe baldmöglichst davon informiret werden und allenfalls Dero weitere Mesures darnach nehmen können. Ich gestehe, dass ich die Sache bei denen in den Piecen enthaltenen Umständen als noch sehr ungewiss ansehe, zumalen da der Verfasser dererselben sein grossestes Appui durch den darin gemeldeten Todesfall verloren hat und diejenigen Ressources, zu welchen derselbe statt dessen schreiten will, mir so weitläuftig und so équivoque und ungewiss vorkommen, dass ich sehr besorge, es werde dessen Contre-partie inzwischen davon und von der Wintersaison profitiren und Himmel und Erde bewegen, um sein ganzes Gebäude zu bouleversiren, worunter erstere auch aus Ursachen, so der Benoît ohnlängst schon in einigen seiner Rapports berühret hat und sonst Ew. Excellenz schon bekannt seind, um so mehr Facilité finden dörften, als der bekannte P.344-2 dabei so matt zu Werke gehet und im Grunde nicht vor die Sache portiret zu sein scheinet, es sei nun, dass seine Instructiones ihm dazu Anlass geben, oder aber dass seine eigene Sentiments ihn dazu verleiten. Ich wünschete daher wohl zu Gott, dass des Königs Majestät die sicherste Partie zu nehmen geruheten und solche allen anderen, — die, welchen Train sie auch nehmen, allemal mit so vieler Ungewissheit als ohnendlichen Weitläuftigkeiten vergesellschaftet seind, auch am Ende ohnendlichen Embarras mit sich führen müssen, — präferireten.344-3

Da inzwischen der Referent wiederum von neuem344-4 so sehr auf Nachrichten instantiiret, so habe zugleich bei Absendung seiner Berichte an des Königs Majestät gemeldet, wie Ew. Excellenz ihn schon darunter präveniret und denselben von allem währender dieser Campagne vorgefallenen nach und nach umständlich informiret, auch sonsten besonders<345> über die ganze jetzige Situation derer Affaires nebst dem Gebrauch, den er davon zu machen habe, durch ein besonderes Memoire345-1 instruiret hätten, und dass, wenn ihm solches zu der Zeit, da er seinen letzteren Bericht datiret, noch nicht zugekommen sei, man es dem grossen Weg und der Détour, so die Briefe an ihn machen müssten, lediglich zuzuschreiben habe, indess ihm nunmehro ein Avis nach dem andern eingehen müsste.

Ich zweifele auch nicht, dass Ew. Excellenz die Gnade gehabt haben werden, gedachten Referenten sowohl über den Vorfall mit der Bataille von Zorndorf zu informiren, als auch welchergestalt er dem Vorgeben derer Russen, die sich auf eine fast nie erlebte Art den Sieg von solcher attribuiren wollen, zu begegnen habe, instruiren zu lassen. Ich glaube auch, dass ein gleiches noch nöthig sein dörfte wegen der letzteren am 14. October vorgefallenen Affaire, als welche die Oesterreicher selbst in Teutschland vor eine ganz totale Défaite auszugeben sich nicht scheuen (wie Ew. Excellenz aus der Einlage345-2 zu ersehen geruhen werden) und mithin bewusster Orten calomnieuser Weise noch weit grösser ausschreien werden wollen. Ich untergebe auch Ew. Excellenz Gutfinden, ob es nicht nöthig sei, ihn etwas über die in Hessen vorgefallene Obergische Affaire,345-3 desgleichen den Échec, so die Engelländer auf denen Küsten von Bretagne gehabt.345-4 convenablement zu instruiren, als die man ausser allem Zweifel vor grosse und complete Bataillen an quästionirtem Orte wird ausschreien wollen, um nur dasige Leute um so mehr zu intimidiren und dadurch zu seinem Hauptzweck zu gelangen.

Von dem schönen Marsch, welchen des Königs Majestät letzthintout d'un coup von Bautzen auf Görlitz gethan, und wodurch der Marschall Daun dergestalt in Embarras gesetzet worden, dass er denen hiesigen Nachrichten nach zu Reichenbach krank sein soll, ingleichen dem avantageusen Combat, so Sr. Königl. Majestät Cavalerie den 26. voriges gegen die österreichische Carabiniers und Cuirassierer gehabt,345-5 will ich kein Detail anführen, da Ew. Excellenz davon ausser allem Zweifel von des Königs Majestät en droiture informiret sein werden.

Der Vorfall, so mit dem bekannten Briefe345-6 auf Amsterdam geschehen, ist allemal, auf was Art er auch geschehen sein möge, höchst ohnangenehm. Ich habe mir noch keine Idee machen können, ob das erbrochene Schreiben die Originaldepesche oder aber dasjenige Duplicat gewesen, welches Ew. Excellenz mehrerer Sicherheit halber nachher noch abgehen lassen wollen. Ersterenfalls wäre der arme Mann, an welchen solche gerichtet ist, sehr zu beklagen, dass er noch so lange Zeit durch<346> dieses ohnglückliche Accident auf Antwort warten muss und ihm solche vielleicht gar zu späte kommen dörfte. Ich kenne dasjenige Comptoir,346-1 mit welchem der Vorfall geschehen, nicht genugsam, um zu urtheilen, ob einige Collusion darunter vorgegangen sein könne, oder ob es pur aus Précipitation geschehen; von denen ehemaligen Zeiten aber erinnere mich noch, dass der Stifter dieses Comptoirs, von dem es sich noch schreibet, in vieler Connexion mit dem Wienerschen Hofe wegen Vorschüsse, so in Millionen gegangen, gestanden, welches aber aufgehöret haben kann. Wäre eine Trahison darunter, so befürchte ich, es werde der Mann quaestionis dasselbe Sort wenigstens haben, was er in seinem Bericht von dem, so sein dortiger grosser Patron gehabt, soupçonniret.346-2 Ich erachte daher, dass es allemal gut sein dörfte, zuvorderst ihn von dem geschehenen Vorfall baldmöglichst en chiffres unter dem Namen der Gebrüdere Schwartz346-3 zu avertiren, damit er nöthigenfalls Mesures darnach nehmen, auch eine andere Adresse, wenigstens wegen der immediaten Correspondance, anzeigen könne; denn die auf ihn adressirte Wechsel zu ändern, ohne dass er davon vorher informiret wäre, und sein Sentiment deshalb überschrieben habe, davon begreife ich den Hasard und die daher fast ohnvermeidlich entstehende Confusion gar zu sehr, als dass ich darunter Herrn Schickler nicht völlig beipflichten sollte. Demnächst dörfte es sehr gut sein, wenn Herr Schickler ein anderes Haus als das bisherige zu Amsterdam finden und trauen könnte, an welches er die Briefe vor den Mann quaestionis zur sicheren weiteren prompten Beförderung adressirete, welches auch deshalb nöthig sein dörfte, damit das quästionirte Comptoir, daferne es auch über die eröffnete chiffrirte Sachen noch keinen Soupçon gefasset, wegen der vielen Briefe, so nothwendig aufeinander erfolgen müssen, wenn der Mann quaestionis beständig von allen Vorfallenheiten informiret werden soll, nicht neuen und mehreren Verdacht fasse. Ich weiss aber nicht, wie weit Herr Schickler anderweite Connexiones in Amsterdam hat, um dergleichen Changements machen zu können. Mir ist dabei der Gedanken gekommen, ob es nicht angehe, dass man an den Correspondenten en question kleine Kisten mit allerhand kurzen Waaren und Babioles von Berlin aus sendete, in solchen aber die Dépêches an denselben enveloppirete und solche mit den gewöhnlichen Kaufmannsschreiben, die committirete Waaren begleiten, unter dem Namen der Gebrüdere Schwartz zur schleunigen Besorgung recommandirete und abgehen liesse, welches zugleich eine Gelegenheit sein könnte, erwähnte Waaren oder Babioles in allerhand gedruckte Zeitungen und Pamphlets, Relationes p., als aus Précaution der Waaren, einzuwickeln, welches manches Chiffriren menagiren könnte. Ich weiss aber wiederum nicht,<347> was vor Sorten von dergleichen Waaren sicher und ohne Anstoss nach der Türkei gehen können und dorten usuell sein; welches Herr Schickler allenfalls zu beurtheilen haben würde, und wenn es endlich auf die Bezahlung dergleichen Waaren, so ohnedem nicht von grossem Volume sein müssten, ankäme, so glaube ich, dass des Königs Majestät nicht refusiren würden, dass ich solche aus meiner kleinen Kasse bezahlete. Allenfalls könnten die Herren Gebrüdere Schwartze dem Mann quaestionis solche als committirende Waaren, um dorten eine Probe damit zu machen, in ihrem Schreiben accusiren, und da, wenn dieses Moyen vor thunlich gefunden würde, unser Mann dorten sich gewiss wieder dieses Mittels bedienen dörfte, um seine Correspondance hieher zu bringen, so könnte er sich nach seiner dereinstigen Retour alsdenn mit denen prätendireten Gebrüderen Schwartz darüber berechnen.

Ew. Excellenz nehmen nicht ungnädig, dass mich über diesen Articul so sehr etendiret habe, ich muss Deroselben überlassen, was Dieselbe deshalb mit Herr Schickler zu besprechen und allenfalls zu concertiren geruhen wollen; das betrübteste und ohnangenehmste aber hierbei ist allemal, dass die Correspondance dergestalt eine so weite Tour und geraume Zeit erfordert und nicht auf eine weit kürzere Art auf andere Oerter dirigiret werden kann . . .

Hier in der Stadt sprechen gewisse Leute untereinander von einer Bataille, so den 30. dieses in der Lausnitz zum grossen Nachtheil des Feldmarschall Daun vorgefallen sein soll; wir aber haben noch keine Nachricht daher, doch ist es wohl sicher, dass gedachte Leute seit der Zeit die Köpfe hängen lassen, ohne sich zu äussern, worum.

Der dem Generalmajor von Wedell anbefohlene Rückmarsch auf Berlin347-1 gehet mir sehr nahe, da ich glaube, dass Berlin so nahe noch nicht pressiret und die dem Herrn General Graf Schmettau zugekommene Nachrichten etwas präcipitiret gewesen sein mögen . . .347-2

Eichel.

Nach der Ausfertigung.



343-1 Ali Pascha, Statthalter von Natolien, der dreimal Grossvezier gewesen war (vergl. Bd. XI, 458), starb in Kjutahia. Vergl. Über ihn den Nekrolog in den Genealogisch-historischen Nachrichten Bd. 10 (Leipzig 1759) S. 166—168. Sein Tod ist dort in den August 1758 gelegt,

343-2 Alliance mit Preussen. Vergl. Bd. XI, 23.

343-3 Ueber den englischen Gesandten Porter vergl. schon Bd. XVI, 238, 351

343-4 Die Gesandten Oesterreichs und Russlands; vergl. S. 259. Anm. I.

344-1 Der russische Gesandte.

344-2 Porter.

344-3 Diese „sicherste Partie“ , welche Eichel herbeiwünscht, ist der Abschluss des Friedens.

344-4 Vergl. schon S. 242. 256.

345-1 Vergl. Nr. 10343 mit Anm. 3. S. 255.

345-2 Die Einlage liegt nicht mehr bei.

345-3 Vergl. S. 326. 329.

345-4 Vergl. S. 286.

345-5 Vergl. Nr. 10471 mit Anm. 7.

345-6 Vergl. S. 329.

346-1 Das Schreiben Finckenstein's, in welchem das Comptoir namhaft gemacht wird, liegt nicht vor.

346-2 Eichel befürchtet, Rexin könne im Fall der Entdeckung von seinen Gegnern in Konstantinopel vergiftet werden.

346-3 Vergl. Bd. XVI, 237.

347-1 Vergl. Nr. 10467.

347-2 Eichel übersendet zum Schluss ein an ihn adressirtes Schreiben Weidemann's, des Secretärs des gefallenen Feldmarschalls Keith, d. d. Bautzen 17. October; Eichel empfiehlt, die in Berlin befindlichen Briefschaften des Feldmarschalls sorgfältig zu sammeln und zu versiegeln.