<211>

68. An d'Argens211-1
(Februar 1768)

Ha, teurer Marquis, nun erblaßt mal vor Neid,
Dieweil Ihr nicht mehr der Einzige seid,
Der Einzige in unsrer kleinen Welt,
Dem Atropos ernstlich nachgestellt!

Denkt Euch, ich lag, wie Ihr, gefährlich krank
Und war ganz scheußlich mitgenommen
Von dem schweren Katarrh. In Berlin die Frommen
Seufzten in Andacht: Gott sei Dank!
Wild durch die Adern tobte mein Blut,
Staute sich und betäubte mein Hirn
Und mehrte so des Fiebers Glut
Und das schmerzhafte Hämmern hinter der Stirn.
Aus meiner Brust, einem Brünnlein gleich,
Brach's scharlachrot, und es wurden bleich
Die Söhne des Hippokrat.
Und doch — wie wohl mir das alles tat!
Denn mit allen diesen Beschwerden
Fühlt' ich mich stolz Euch ähnlich werden.
Mein Leib war gepanthert, war rot gesprenkelt —
Ah, es packt Euch, Ihr seid bewegt?
Das ist der Neid nur, der Neid, der sich regt,
Euch läuft das Wasser im Munde zusammen.
„Was?“ fragt Ihr mit zornigem Augenflammen,
„Einer, der klagen will? Krankt oder kränkelt?
„Genau so wie ich?! Ich muß doch sehr bitten!“

Gemach doch, keiner tritt Euch zu nah,
Und Euer Vorrecht sei unbestritten;
<212>Ein Neuling, ein Anfänger bin ich ja!
Nein, es fällt mir im Traume nicht ein,
Es aufzunehmen mit Euren Litanein
Von allen Gebresten und Erdenweh!
Besitzen doch all diese Leiden von je
Ein Vorrecht auf Eure Leiblichkeit,
Worauf Ihr gar eifersüchtig seid!
Da gibt's Verstopfungen, gibt's versetzte,
Trübselige Blähungen; ha, und die letzte
Darmerschlaffung, und erst die Kolik!
Und der Harnzwang! Und da die Entzündung! Die Hitze!
Blutspucken — gewiß aus der Lungenspitze!
Und denkt an die schlimme Angina zurück!...
Lähmung und platzende Blutgefäße,
Schwindel, Ohnmacht und ähnliche Späße
Sind Eurer Einbildung stets zur Hand;
Hübsch reihum geht's,
Und eine ist stets
Zur „Krankheit vom Dienst“ ernannt. ..

Durch diese Schrecknisse, sollt' ich glauben,
Fühlen wir Sterblichen uns gequält;
Sie wollen uns gar das Leben rauben —
Bei Euch werden sie zur Familie gezählt.
Ist's eine Schrulle, ist's schlechter Geschmack,
Daß Ihr mit diesem entsetzlichen Pack
Nun lebt seit zwanzig Jahren,
Ja, daß Ihr in einem wahren
Sonderlingsehrgeiz ein größer Behagen
Verspürt an Euren Krankheitstagen,
Als andern das Hochgefühl mag verleihn,
Gesund zu sein!
Zum Beruf habt Ihr Euch das Kranksein gemacht,
Euch verbrennt mal die Wärmflasche über Nacht,
Und werdet Ihr zuguterletzt
Im Schloß Eguilles212-1 beigesetzt,
Dann grab' ich selber auf Euren Stein
Am Fuß des Altars mit dem Griffel ein:
<213>„Hier, Wandrer, ruht ein Schriftsiellerlein,
„Er starb aus Angst, nicht unsterblich zu sein.“

Mag auf der Bühne ein Held einmal
Mit Todesnöten ohne Zahl
Uns in Atem halten, daß für sein Leben
In jedem Augenblick wir beben,
Das muß so sein, das geht uns nah.
Doch Ihr, Marquis, Ihr wißt es ja,
Daß wir Euch lieben: Ihr müßt uns ersparen
Die Angst bei all Euren Lebensgefahren.
Doch Euer Geist ist ein Vergrößerungsglas,
Es zeigt Euch alles im Übermaß.
Habt Ihr Euch ein wenig geritzt und geschunden,
Gleich zeigt es gefährliche, brandige Wunden;
Und kommt Euren Augen, den kummervollen,
Euer Spiegelbild etwas verdächtig vor,
Als wär' das Gesicht Euch ein wenig geschwollen —
Was gilt's? Euer Ende sieht dicht bevor!...

Fort mit dem Wahn, der mich schon längst verdroß!
Gehört er in eines Weisen Schloß?
Ich hasse alles Falsche in der Welt,
Was immer die Wahrheit verderbt und entstellt.
Laßt Eure schwarzen Sorgen endlich weichen,
Die Furcht vor dem Tode und seinen Zeichen;
Die Narrheit hat manchen Tag Euch vergällt!
Könnt' ich es bannen, Euer Verhängnis,
Euch befreien aus Eurer Bedrängnis!
Bedenkt: Ihr versäumt ja zu leben
Vor lauter Zittern und Beben!...
So lang Euren Faden, gnädig gesinnt,
Frau Lachesis noch weiterspinnt,
So lange freut Euch unverzagt
Des schönen Lebens und ungestört,
Indem Ihr Euch der Angst entschlagt
Und nicht auf jeden Unsinn hört,
Den so ein Dummkopf von Doktor sagt.


211-1 Das folgende Scherzgedicht, eine Satire auf d'Argens'Hypochondertum, bildet das heitere Gegenstück zu der „Epistel an das Bett des Marquis d'Argens“ (vgl. S. 105 ff.).

212-1 Das Stammschloß von d'Argens in der Provence.