<132>

8. Kapitel

Ereignisse der Jahre 1743 und 1744, nebst allem, was dem Kriege der Preußen voranging.

Nicht mit Unrecht gilt Vertrauen zu einem versöhnten Feinde für einen Kardinalfehler in der Politik. Aber ein noch viel größerer Fehler ist es, wenn eine schwache Macht auf die Dauer gegen eine mächtige Monarchie kämpft, welche Hilfsquellen besitzt, die jener fehlen. Das mußte gesagt werden, um im voraus den Tadlern des Königs zu begegnen. Warum, fragte man, stellte er sich an die Spitze eines Bundes zur Unterdrückung des neuen Hauses Österreich und ließ doch eben dieses Haus wieder emporkommen und widersetzte sich nicht, als es die Franzosen und Bayern aus Deutschland vertrieb? Aber was war des Königs Absicht? War es nicht die Eroberung Schlesiens? Wie hätte er sie durch einen endlosen Krieg erreichen können, für dessen unausbleiblich große Kosten ihm die Mittel fehlten? Alles, was er vermochte, war, durch Verhandlungen das Gleichgewicht zwischen den kriegführenden Mächten möglichst zu erhalten. Der Friede gab ihm Zeit, sich zu erholen und zu rüsten. Zudem war die Erbitterung zwischen Frankreich und Österreich so groß und ihre Interessen standen sich so schroff entgegen, daß eine Versöhnung zwischen ihnen noch in weitem Felde schien. Der König mußte seine Kräfte also für günstige Gelegenheiten aufsparen.

Die Mißerfolge der französischen Waffen hatten einen so tiefen Eindruck auf den Kardinal Fleury gemacht, daß seine Gesundheit darunter litt. Eine Krankheit raffte ihn zu Anfang dieses Jahres dahin132-1. Er war Bischof von Fréjus gewesen, dann Erzieher Ludwigs XV., Kardinal der römischen Kirche und siebzehn Jahre lang Premierminister. Diese Stellung, in der wenige Minister alt werden, behauptete er durch die Kunst, das Vertrauen seines Herrn zu fesseln, und durch die Sorgfalt, mit der er alle, die ihm durch ihre Talente verdächtig schienen, vom Hofe fernhielt. Er linderte die Wunden, die der Spanische Erbfolgekrieg und Laws System132-2 Frankreich geschlagen hatten. Seine Sparsamkeit war für den Staat ebenso nützlich, wie die Erwerbung<133> von Lothringen glorreich. Wenn er Heer und Flotte vernachlässigte, so geschah es, weil er alles durch Unterhandlungen erreichen wollte, für die er besonderes Talent besaß. Sein Geist unterlag wie sein Körper der Last der Jahre. Bei Lebzeiten wurde er zu sehr gelobt, nach seinem Tode zu sehr getadelt. Er hatte nicht die stolze Seele eines Richelieu, noch den arglistigen Geist eines Mazarin. Sie waren Löwen, die Lämmer zerrissen, Fleury aber war ein kluger Hirte, der über seine Herde wachte. Ludwig XV. wollte ihm ein Denkmal errichten lassen. Der Entwurf wurde gemacht aber nie ausgeführt. Kaum war Fleury tot, so war er auch schon vergessen.

Chauvelin, den der Kardinal hatte verbannen lassen133-1, bildete sich ein, aus der Ferne seines Exils den erledigten Posten ergattern zu können. Er schrieb an Ludwig XV., tadelte die Verwaltung seines Feindes und strich sich selbst heraus. Die Folge dieses voreiligen Schrittes war die Verbannung nach einem noch entfernteren Orte als Bourges, wohin er bisher verwiesen worden war.

Der König von Frankreich meldete den fremden Höfen den Tod seines Ministers ungefähr in dem Stile, in dem ein Fürst seine Thronbesteigung anzeigt. Er schrieb an den König wörtlich:

Versailles, den 30. Januar 1743.



Mein Herr Bruder,

Nach dem Verluste des Kardinals Fleury, dem ich bei der Verwaltung meiner Geschäfte vollstes Vertrauen geschenkt hatte und dessen Klugheit und Einsicht ich nicht genug nachtrauern kann, will ich nicht versäumen, Ew. Majestät selbst die Versicherungen zu erneuern, die er Ihnen in meinem Namen gegeben hat und die ich ihm oft auftrug, Ihnen zu wiederholen: die Versicherungen meiner vollkommenen Freundschaft für Ew. Majestät Person und meines aufrichtigen und beständigen Wunsches, überall da, wo unsere gemeinsamen Interessen berührt werden, mit Ihnen im Einvernehmen zu handeln. Ich zweifle nicht daran und darf wohl den Wunsch aussprechen, daß auch Ew. Majestät das Ihre tun werden. Sie können darauf rechnen, daß ich bei jeder Gelegenheit die gleiche Geneigtheit zur Förderung Ihres Ruhmes und Nutzens bezeigen werde, um Ihnen zu beweisen, wie sehr ich bin usw.

Zugleich zeigte das Departement des Auswärtigen an, daß der König beschlossen habe, die Regierung von nun an selbst zu führen, und daher wünsche, daß man sich an ihn selbst wende. Bis dahin war Ludwig XV. das Mündel und Kardinal Fleury der Vormund gewesen. Nach Mazarins Tode trug selbst Ludwig XIV. Trauer für seinen Minister; für Fleury legte niemand welche an. Man vergaß ihn, noch ehe seine Leichenrede gehalten war. Solange der Kardinal die Staatsgeschäfte führte,<134> liefen die verschiedenen Zügel der Regierung alle in seiner Hand zusammen: sein Kabinett war der Mittelpunkt, von dem aus er Finanzen, Kriegswesen, Flotte und auswärtige Politik leitete; er gab wenigstens die gemeinsame Richtung und das Ziel an. Nach seinem Tode wollte der König selbst mit den Ministern, die an der Spitze dieser vier Verwaltungszweige standen, arbeiten. Sein Eifer erlosch aber schon nach acht Tagen, und Frankreich wurde von vier, voneinander unabhängigen Unterkönigen regiert.

Diese Ressortherrschaft kam über die Einzelheiten der Verwaltung nicht hinaus. Die allgemeinen Gesichtspunkte, die das Staatswohl und Staatsinteresse einheitlich zusammenfassen, fehlten im Staatsrate. Man sehe sich die Zusammensetzung dieses Ministeriums an, und man wird sich ein Bild seines Wirkens machen können. Da war ein Kanzler des Herzogs von Orleans134-1, ein mit Rechtsgelahrtheit vollgepfropfter Kopf, Kriegsminister zu einer Zeit, da ganz Europa in Flammen stand, und ein früherer Dragonerhauptmann namens Orry stand an der Spitze der Finanzen. Maurepas wähnte Ludwig XV. zum Beherrscher des Meeres machen zu können, und der König wäre es auch geworden, hätten die Worte eines liebenswürdigen Mannes dieses Wunder wirken können. Amelot134-2 gehörte zu jenen Geistern, die so kurzsichtig sind, daß sie die Dinge nicht einmal in der Nähe unterscheiden können. Dieser Areopag also regierte. Frankreich war eigentlich eine Aristokratie134-3 geworden. Es fuhr ohne Kompaß auf stürmischem Meere und befolgte kein anderes System, als sich vom Winde treiben zu lassen.

Die neue Regierung hatte kein Waffenglück. Das Heer von Maillebois, das zu den Bayern gestoßen war, stand zwar noch an der österreichischen Grenze. Aber Fürst Lobkowitz hielt mit seinen 16 000 Ungarn den Marschall Belle-Isle noch immer mit 16 000 Franzosen in Prag eingeschlossen. Belle-Isles Heer bestand fast ganz aus Infanterie, das österreichische aus Reiterei. Diese Lage paßte d'Argenson nicht. War es Ungeduld, war es Laune oder Leichtsinn: der Narr sandte an Marschall Belle-Isle den Befehl, Prag zu räumen. Die Weisung war leichter gegeben als ausgeführt. Belle-Isle traf die entsprechenden Anordnungen. Am 16. Dezember abends, bei starkem Froste, ließ er die Besatzung ausmarschieren. Er kam dem Fürsten Lobkowitz um drei Tagemärsche zuvor, schlug einen beschwerlichen Weg ein, wo die feindliche Kavallerie ihm wenig anhaben konnte, zog längs der Eger weiter und langte am zehnten Marschtage in der Stadt Eger an. Viertausend Mann kamen bei den Gewaltmärschen durch Hunger und Frost um. Das zerrüttete, auf 8 000 Streiter zusammengeschmolzene Heer wurde geteilt. Was noch dienstfähig war, stieß zu Maillebois in Bayern, und die völlig dezimierten Truppenteile wurden nach dem Elsaß geschickt, um sich zu ergänzen.

<135>

So ward Böhmen erobert und wieder verloren, ohne daß irgendein Sieg der Franzosen oder der Österreicher über das Schicksal beider Reiche entschieden hätte. In jedem andern Lande hätte ein Rückzug wie der Belle-Isles allgemeine Bestürzung hervorgerufen. In Frankreich, wo man Kleinigkeiten mit Würde und große Dinge mit Leichtsinn behandelt, lachte man nur darüber und machte Spottlieder auf Belle-Isle. Solcher Singsang verdient freilich keinen Platz in einem ernsten Werke; aber da dergleichen Züge den Volkscharakter kennzeichnen, so glauben wir das folgende Liedchen nicht unterdrücken zu sollen:

Als Belle-Isle sich jüngst bei Nacht
Still aus Prag davongemacht,
Zu dem Mond er also spricht:
Luna, meiner Tage Licht,
Meines Glückes Stern und Hort,
Leite du mich immerfort!

In London hätte man bei solcher Gelegenheit gefastet, in Rom das Sakrament ausgestellt, in Wien Köpfe abgeschlagen. Besser war's, sich mit einem Epigramm zu trösten.

Mit dem Rückzuge des Marschalls Belle-Isle ging es wie mit allen menschlichen Handlungen. Es gab Enthusiasten, die ihn voller Begeisterung mit dem Rückzug der Zehntausend des Xenophon verglichen. Andre fanden diese schimpfliche Flucht nur vergleichbar mit der Niederlage von Guinegate135-1. Beide hatten unrecht; 16 000 Mann, die Prag räumen und sich vor 16 000 Verfolgern aus Böhmen zurückziehen, haben keine solche Gefahren zu bestehen wie Xenophons Truppen auf ihrem langen Marsche aus dem innersten Persien nach Griechenland. Aber man darf auch nach der andern Seite nicht übertreiben und einen Marsch, auf dem die Franzosen vom Feinde nicht angegriffen werden konnten, mit einer vernichtenden Niederlage vergleichen. Belle-Isles Anordnungen waren gut. Man kann ihm nur den Vorwurf machen, daß er seine Truppen nicht genug geschont hat.

Von nun an lächelte der Königin von Ungarn das Glück. In Italien schlug Feldmarschall Traun Gages135-2, der über den Panaro zum Angriff vorgegangen war. Der Sieg genügte aber dem Wiener Hofe nicht: er fand, daß Traun nicht genug getan hätte, und verlangte folgenreichere Schlachten. Kurz, man urteilte über den Marschall wie Midas über Apollo, und doch war er der erste österreichische Feldherr, der überhaupt einen Sieg zu verzeichnen hatte. Das Haus Österreich fing an, seine verlorenen Provinzen wiederzugewinnen und die bedrohten zu sichern. Immerhin drückte die Last des Krieges Österreich doch schwer, und vielleicht wäre es unterlegen, hätten die ersten Glücksstrahlen den guten Willen seiner Bundesgenossen nicht wieder belebt.

<136>

Der König von England zeigte den größten Eifer für die Sache der Königin von Ungarn. Was ihn antrieb, war vornehmlich sein eingefleischter Haß gegen Frankreich. In seiner Jugend hatte er gegen Frankreich im Felde gestanden, hatte die Schlacht von Oudenaarde (1708) mitgemacht, wo er an der Spitze einer hannöverschen Schwadron eine Attacke geritten und Proben hervorragender Tapferkeit geliefert hatte. Ihn plagte der Ehrgeiz, sich an der Spitze von Armeen Heldenruhm zu erwerben. Jetzt bot sich die Gelegenheit, wo er Truppen in Flandern hatte. Ergriff er nun die Partei der Königin und kam übers Meer, so konnte ihm niemand den Oberbefehl über seine eignen Truppen streitig machen. Zudem konnte er seinen hannöverschen Schatz mit den Subsidien auffüllen, die ihm die Engländer für seine Hannoveraner zahlten.

Auch Lord Carteret hatte den Krieg nötig, um sich bei seinem Herrn wie beim englischen Volke in Gunst zu erhalten. Seit dem Kriege mit Spanien war der Handel des Inselvolkes gestört. Um eine entscheidende Wendung zugunsten des Handels herbeizuführen, mußte ein großer Schlag zu Lande und in Europa fallen. Frankreich galt für halb ruiniert durch seine Anstrengungen, Bayern und Böhmen zu halten. Es war mit Spanien im Bunde. Schlug man eine dieser Mächte, so traf man zugleich die andere. Man mußte also die Franzosen entweder in Deutschland oder in Flandern besiegen, um zur See ein Übergewicht zu erlangen, das dem englischen Handel wirklichen Vorteil bringen konnte. Der König, seine Minister und das englische Volk strebten nach dem gleichen Ziele, obwohl aus sehr verschiedenen Gründen. Es ward also beschlossen, die in Flandern stehenden englischen, hannöverschen und hessischen Truppen nach dem inneren Deutschland vorzuschieben.

So sehr dieses Projekt dem König von England zusagen mochte, so wenig gefiel es dem König von Preußen. Er mußte darauf sehen, daß das politische Gleichgewicht selbst während des Krieges zwischen den kriegführenden Mächten erhalten bliebe. So verlangte es sein Interesse. Bekam das Haus Österreich im Reiche ein entscheidendes Übergewicht über das Haus Bayern, dann verlor Preußen seinen Einfluß auf die allgemeinen deutschen Angelegenheiten. Man mußte also zu verhindern suchen, daß der König von England und die Königin von Ungarn, durch die blendende Aussicht auf Erfolge verlockt, den Kaiser entthronten. Der König von Preußen konnte sich allein der Vorstellungen bedienen. Alle Argumente, die ein deutscher Fürst vorbringen kann, dem das Wohl des Vaterlandes und die Freiheit der Reichsverfassung am Herzen liegen, führte er ins Feld, um den König von England zu beschwören, das Reich nicht ohne triftige Gründe zum Schauplatz eines unmittelbar drohenden Krieges zu machen und zu bedenken, daß kein Reichsstand ohne Genehmigung des Reichstages fremde Truppen in sein Vaterland führen dürfte136-1. Mehr konnte der König unter den damaligen Verhältnissen nicht tun. Auf Frankreich war kein Verlaß, denn der König hatte es durch den Breslauer Frieden verstimmt. Mit den Englän<137>dern durfte er es nicht verderben, da sie allein für diesen Frieden Garantie geleistet hatten. Auch hatten sich die Dinge noch nicht so zugespitzt, daß er seinen Staat in einen neuen Krieg hätte stürzen müssen. Er mußte sich also damit begnügen, daß der König von England versprach, nichts gegen den Kaiser oder dessen Erblande zu unternehmen.

Die Unterhandlungen mit England waren nicht die einzigen. Der König hatte in seinem unmittelbaren Interesse noch andre in Petersburg angeknüpft. Es galt, die Kaiserin von Rußland zur Garantie des Breslauer Friedens zu bewegen. England und Österreich aber arbeiteten dem König entgegen, wenn auch nur unter der Hand, so doch aus allen Kräften. Die Brüder Bestushew, beide Minister der Kaiserin137-1, machten, durch zehntausend Guineen geködert, immer neue Schwierigkeiten, durch die sie den Abschluß der Sache stets von neuem hinausschoben. Die Königin von Ungarn betrachtete die Abtretung Schlesiens als erzwungen und glaubte, sie eines Tages widerrufen und ihre unfreiwillige Zustimmung auf ihre damalige Notlage schieben zu können. Die Engländer wollten den König von Preußen isolieren, ihm jeden Rückhalt nehmen und ihn ganz in ihre Abhängigkeit bringen. Wie sehr Fürsten solche Absichten auch verbergen mögen, sich völlig vor Entdeckung zu schützen ist doch sehr schwer.

Damals wurde der Friede zu Friedrichshamn137-2 zwischen Rußland und Schweden ratifiziert. Der Verlust eines öden Teiles von Finnland war das Geringste, was Schweden zu beklagen hatte. Aber der Despotismus, den die Russen in Stockholm ausübten, wurde zum Schandfleck für die Nation. Ein Untertan der Kaiserin ward in Schweden so geachtet wie ein römischer Senator zu Cäsars Zeilen in Gallien.

Einer Nation, die Unglück hat, fehlt es nie an Feinden. So wollten die Dänen von Schwedens Mißgeschick profitieren. Der Reichstag war in Stockholm versammelt, um den soeben mit Rußland geschlossenen Frieden zu bestätigen und einen Thronfolger zu ernennen. Der König von Dänemark137-3 hatte die Absicht, die Kronen der drei nordischen Reiche auf dem Haupte seines Sohnes, des Kronprinzen, zu vereinigen. Er erregte einen Aufstand in Dalekarlien, wiegelte die Priester auf und bestach einige Bürger. Aber das Unternehmen stieß auf so viele Schwierigkeiten, daß der Plan schon in der Geburt erstickte. Die dänischen und schwedischen Truppen zogen sich bereits an den Grenzen zusammen. Der Stockholmer Reichstag sah sich nach Hilfe um und bat den König von Preußen um seine guten Dienste zur Vermittlung eines Vergleiches mit seinen Nachbarn. Der König verwandte sich für Schweden, und der König von Dänemark erwiderte ihm, er werde auf Preußens Vorstellungen hin nichts übereilen. Aber, was vielleicht unglaublich scheinen wird: dieselben Schweden, die eben einen so entehrenden Frieden mit den Russen geschlossen hatten, baten jetzt die Zarin um Schutz gegen die Dänen. Elisabeth willigte ein und schickte General Keith mit<138> 10 000 Mann auf Galeeren ab. Nun wurde mit Hilfe dieser Truppen statt des Kronprinzen von Dänemark der Herzog von Holstein, Bischof von Lübeck138-1, zum Nachfolger des alten Königs von Schweden und Landgrafen von Hessen erwählt. So wurde Schweden innerhalb eines Jahres von der Kaiserin von Rußland geschlagen, beschützt und schließlich an den Herzog von Holstein verschenkt. Der Senat zu Stockholm tröstete sich über alle diese Unglücksfälle durch Grausamkeiten. Er ließ die Generale Buddenbrock und Lewenhaupt auf dem Blutgerüst sterben. Sie waren des Verrats und der Treulosigkeit bezichtigt, aber nichts war erwiesen. Unwissenheit und übergroße Schwäche war ihr ganzes Verbrechen.

Doch genug von diesen traurigen Szenen, die sich im Norden abspielten. Kehren wir nach dem Süden zurück und sehen wir zu, was in Böhmen vorging, nachdem die Franzosen es geräumt hatten. Die Königin von Ungarn begab sich nach Prag und nahm dort die Huldigung der Stände Böhmens entgegen, dessen Wiedergewinnung sie ebensosehr, wo nicht mehr, ihrer Standhaftigkeit als dem Waffenglück verdankte. Gerade an ihrem Krönungstage (12. Mai) erhielt sie die Nachricht, daß Feldmarschall Khevenhüller von Schärding nach Braunau marschiert sei und von dort den General Minucci mit seinem Korps von 7—8 000 Kaiserlichen vertrieben habe (9. Mai). Die Einzelheiten dieses Ereignisses haben wir von preußischen Offizieren erfahren, die jenen Feldzug bei den Österreichern als Freiwillige mitmachten. Khevenhüller wollte seine Truppen in Schärding, einem festen Platz an dem Inn, nahe der österreichischen Grenze, versammeln. Sie rückten aus ihren Winterquartieren auf verschiedenen Wegen dorthin. Trotzdem der geschickte Führer seine Absichten sorgfältig verbarg, erfuhr sie Feldmarschall Seckendorff und befahl Minucci den Rückzug aus Braunau. Aber dieser unfähige General verstand es weder, seinen Rückmarsch nach dem Befehl seines Vorgesetzten einzurichten, noch dem Feind in vorteilhafter Stellung die Stirn zu bieten. Khevenhüller stand bald den Bayern gegenüber. Er sah, daß Minucci in der Front unangreifbar war, da eine tiefe Schlucht beide Heere trennte. Dessen rechter Flügel lehnte sich an Braunau, das im letzten Winter in aller Eile befestigt war. Aber so stark diese Stellung auf dem rechten Flügel und in der Front war, so schwach war sie auf dem linken Flügel. Das bemerkte Khevenhüller auf den ersten Blick. Er schickte Berlichingen mit einem starken Kavalleriekorps ab, das die Kaiserlichen umging und auf Umwegen über ihren in der Luft schwebenden Flügel herfiel, indes Nadasdy mit seinen Husaren die Truppen Minuccis in der Front angriff. Es war eigentlich keine Schlacht. Die Bayern flohen ohne Gegenwehr. Ein Teil ihrer Kavallerie rettete sich nach Braunau, und ihre Infanterie flüchtete über die Festungswälle. Gleich darauf kapitulierte Minucci mit dem größten Teil seiner Truppen. Nur Trümmer seiner Kavallerie schlugen sich nach Burghausen durch, wo die Kaiserlichen noch ein Korps stehen hatten.

<139>

Die Franzosen, die in Osterhofen standen, waren auf den Anmarsch der Öster reicher nicht gefaßt. Der alte Broglie, der mit den Marschällen Maillebois und Seckendorff das Heer befehligte, war von Seckendorff aufs dringendste gebeten worden, dem Feinde zuvorzukommen und die Truppen zusammenzuziehen, bevor Khevenhüller etwas unternehmen könne. Aber umsonst. Broglies Feinde behaupteten sogar, ihm wären die Mißerfolge eines Krieges, an dem der Marschall Belle-Isle den meisten Anteil gehabt hatte, nicht einmal unlieb gewesen. Andre meinen mit größerer Wahrscheinlichkeit, er habe vom Hofe Befehl gehabt, Bayern im Stich zu lassen und nach Frankreich zurückzukehren. Sein Betragen schien jedenfalls die letztere Meinung zu rechtfertigen, und der Hof bezeigte ihm bei seiner Rückkehr keinerlei Unzufriedenheit.

Die Österreicher benutzten den Vorteil, daß sie mit einem zusammengezogenen Heere gegen zersplitterte Truppen zu kämpfen hatten. Prinz Karl von Lothringen übernahm den Oberbefehl und vertrieb die Franzosen unverweilt aus Deggendorf. Alles wich vor ihm. In dem Maße, wie er vorrückte, erhielten die französischen Truppen Befehl zum Rückzuge. Mehrere ziemlich beträchtliche Flüsse, die in Tirol entspringen, ihren Lauf durch Bayern nehmen und in die Donau münden, machen es Heerführern, die sich zur Wehr setzen wollen, leicht, den Feind am Überschreiten zu hindern. Aber der Prinz von Lothringen fand nicht den geringsten Widerstand. Broglie räumte Straubing und gab dem Feinde ein großes Magazin preis, bei dem er nur eine schwache Besatzung zurückgelassen hatte. Zwar waren bei Donauwörth schon 10 000 Mann französische Hilfstruppen angelangt, um zu ihm zu stoßen. Sie schlossen sich aber seiner Flucht an. Das ganze französische Heer ließ Seckendorff trotz dessen nachdrücklichen Vorstellungen im Stich und machte erst in Straßburg wieder halt. Hier gab Broglie gleich am Tage seiner Ankunft einen Ball, offenbar zur Feier dieses glorreichen Feldzugsabschlusses.

Der unglückliche Seckendorff bemühte sich, die Trümmer der Kaiserlichen, die sich bei Braunau so kläglich gehalten hatten, zu sammeln. Er vereinigte sie mit dem bei Burghausen stehenden Korps und zog sich eiligst nach München zurück, verließ aber auch dieses, um zu den Franzosen zu stoßen. In der Überzeugung, daß die Franzosen über den Rhein zurückgehen würden, schrieb er an Marschall Broglie: da die Franzosen den Kaiser im Stiche ließen, so sähe sich der Kaiser genötigt, die Franzosen gleichfalls zu verlassen und nur noch an seine Sicherheit zu denken. Zugleich bat er den Prinzen von Lothringen und Khevenhüller um einen Waffenstillstand und erhielt von ihnen eine Zusage, die einem Waffenstillstand gleichkam: die Österreicher versprachen, die kaiserlichen Truppen so lange zu respektieren, als sie auf neutralem Reichsgebiet ständen139-1. Im Rausch ihrer Erfolge fanden die Österreicher es unter ihrer Würde, die kaiserlichen Truppen zu entwaffnen. Sie eilten nach dem Rhein, in<140> der chimärischen Hoffnung, Lothringen zurückzuerobern. Glück ist im Kriege oft gefährlicher als Unglück. Bald verursacht es zu große Sorglosigkeit, bald übertriebenen Wagemut. Der wäre der größte Feldherr auf Erden, der bei jedem Glückswechsel gleichmütig und bei aller Tatenlust vorsichtig bliebe.

Während der Prinz von Lothringen gegen den Rhein vorrückte, wurde Deutschland von einem neuen fremden Heer überschwemmt, das unter dem Vorwand des Schutzes neues Verderben brachte. Der König von England hatte seine hannöverschen und englischen Truppen unter Lord Stairs Kommando nach dem Niederrhein gesandt. Georg ging selbst über das Meer und kam nach Hannover, um alsbald an die Spitze seiner Armee zu treten. Lord Stair, der bei Höchst stand, wagte es, den Main zu überschreiten. Die wachsamen Franzosen nötigten ihn sogleich, in seine erste Stellung zurückzugehen. Nach diesem Schülerstreich fürchtete der König von England von dem allzu hitzigen Temperament seines Generals noch größere Unvorsichtigkeiten und beeilte sich, den Oberbefehl seiner Truppen selbst zu übernehmen. Das Heer bestand aus 17 000 Engländern, 16 000 Hannoveranern und 10 000 Österreichern, insgesamt also aus 43 000 Streitern; 6 000 Hessen und einige hannöversche Regimenter waren noch im Anmarsche. Lord Stair war so leichtsinnig vorgegangen, daß es seinen Leuten an Brot und seinen Pferden an Futter mangelte. Um dem Notstand abzuhelfen, verlegte der König das Lager nach Aschaffenburg. Das genügte aber nicht, um die Nachlässigkeit in der Verproviantierung gutzumachen. Am Rhein konnte der König Proviant finden; da er sich aber von ihm entfernte, so kam er mehr als zuvor in Verlegenheit. Vor sich hatte er den Main und auf dem jenseitigen Ufer die Franzosen, im Rücken die unfruchtbaren Berghöhen des Spessart. Nur zu bald erkannte er seinen Fehler. Marschall Noailles hungerte den König von England in seinem Lager aus, und da er voraussah, daß der König sich nur wenige Tage würde halten können, so begann er eine Operation, die des größten Feldherrn würdig gewesen wäre. Er nahm Dettingen ein, ließ zwei Brücken über den Main schlagen und daneben Furten für die Kavallerie herrichten. Das alles geschah, ohne daß der König von England davon Wind bekam. Es war das Vorspiel zu der kommenden Schlacht (27. Juni 1743).

Um die Lage ganz zu verstehen, muß man wissen, daß die englische Armee, die ausgehungert an den Mainufern stand, nur dann zu Lebensmitteln kommen konnte, wenn sie den Weg über Hanau einschlug. Ihr linker Flügel mußte nach Verlassen des Berglandes am Main entlang ziehen und die kleine Ebene bei Dettingen passieren. Noailles, der das alles wußte, hielt ein Detachement bereit, um Aschaffenburg in dem Augenblick, wo die Engländer es räumten, zu besetzen. Den ganzen Main entlang hatte er versteckte Batterien anlegen lassen, die auf die Marschkolonnen der Verbündeten aus nächster Nähe feuern konnten. Das Gros seines Heeres sollte über den Main gehen und hinter einem Bache Stellung nehmen, der vom Spessart her vor der Front der Stellung entlang in den Main fließt. Die Franzosen schnitten gerade<141> den Weg nach Hanau ab. Beim Austritt aus dem Hügellande fand der König von England also eine Armee vor sich und Batterien in seiner Flanke. Hätte Noailles seinen Plan ebenso sorgfältig ausgeführt, wie er ihn klug entworfen hatte, so wäre der König von England gezwungen gewesen, entweder die französische Armee in ihrer höchst vorteilhaften Stellung anzugreifen, um sich mit der Waffe in der Hand den Weg nach Hanau zu bahnen, oder sich durch die Wälder des Spessart zurückzuziehen, wo seine Truppen aus Mangel an Lebensmitteln unfehlbar auseinandergelaufen wären. Wie Noailles es vorhergesehen hatte, vertrieb der Hunger die Engländer aus Aschaffenburg. Die Truppen, die korpsweise gelagert hatten, marschierten nicht in geschlossener Kolonne, sondern folgten sich in Abständen, erst die Hannoveraner, dann die Engländer und schließlich die Österreicher. Der König fuhr in seiner Kutsche neben den hannöverschen Truppen. Während des Marsches erhielt er die Meldung, daß seine Avantgarde von einem starken französischen Kavalleriekorps angegriffen werde, und bald darauf, daß die ganze französische Armee über den Main gegangen sei und ihm gegenüber in Schlachtordnung stände. Der König steigt zu Pferde und will sich selbst davon überzeugen. Da beginnt schon die Kanonade der Franzosen. Des Königs Pferd wird scheu und wäre mit ihm mitten ins feindliche Heer durchgegangen, hätte sich nicht ein Stallmeister in den Weg geworfen. Georg stieg ab und focht von nun an zu Fuß an der Spitze eines englischen Bataillons. Die Truppen mußten durch ein kleines Gehölz. Dadurch wurde Zeit gewonnen, die übrigen Korps von der drohenden Gefahr zu benachrichtigen. Der Herzog von Aremberg und Neipperg eilten mit ihren Österreichern herbei und stellten ihr Heer, so gut es eben ging, dem französischen gegenüber auf. Das Schlachtfeld hatte nur 1 200 Schritt Frontbreite, sodaß die Verbündeten sich sieben bis acht Glieder tief aufbauen mußten. Die Franzosen ließen ihnen keine Zeit, die Aufstellung ruhig zu vollenden. Die königliche Leibgarde griff sie an, brach durch vier Kavalleriereihen, warf alles, was ihr in den Weg kam, über den Haufen und verrichtete Wunder der Tapferkeit. Vielleicht hätte sie den Ruhm des Tages davongetragen, wäre sie nicht immer auf neue Glieder gestoßen. Die wiederholten Angriffe brachten sie schließlich in Unordnung. Das merkte das österreichische Regiment Styrum und warf sie nun seinerseits zurück. Dadurch hätten die Franzosen indessen die Schlacht nicht verloren. Die wahre Ursache ihrer Niederlage war ein unkluges Manöver von Harcourt und Grammont, die mit der französischen Gardebrigade auf dem rechten Flügel des Heeres standen. Sie verließen ohne Befehl ihre Stellung in der Absicht, dem linken Flügel der Verbündeten, der sich zum Main hinüberzog, in die Flanke zu fallen. Dadurch hinderten sie ihre eignen Batterien, die jenseits des Maines standen und den Verbündeten sehr unbequem waren, am Feuern. Die französische Garde hielt nicht einmal die erste Salve der Österreicher aus. Sie ergriff schimpflich die Flucht und stürzte sich in den Main, wo sie ertrank. Nun verbreiteten sich Mutlosigkeit und Schrecken im ganzen Heere. Prinz Ludwig von Braunschweig, der in der österreichischen Armee<142> diente, konnte den König nur mit größter Mühe bewegen, Befehl zum Vorrücken seiner Engländer zu geben. Und doch waren sie es, die die Franzosen zur Umkehr und zum Rückzug über den Rhein zwangen.

Die Franzosen scherzten über ihren Rückzug. Man nannte diese Schlacht den „Tag der verunglückten Stäbe“, weil Harcourt und Grammont ihren Angriff nur in der Hoffnung unternommen hatten, zum Lohn ihrer Tapferkeit den Marschallsstab zu erhalten. Der französischen Garde gab man den Spottnamen „Main-Enten“. An Noailles' Wohnung hängte man einen Degen mit der Inschrift auf: „Du sollst nicht töten“. Freilich hätte der Marschall nicht bei seinen Batterien am andern Mainufer bleiben dürfen. Wäre er beim Heere gewesen, so hätte er der französischen Garde niemals erlaubt, so zur Unzeit anzugreifen; und hätten die Truppen ihre Stellung nicht verlassen, so hätten die Verbündeten sie niemals daraus vertreiben können.

Dem König von England trug die Schlacht bei Dettingen weiter nichts ein als Lebensmittel für seine Truppen. Die hannöversche Artillerie wurde gut bedient. Einige hannöversche und österreichische Regimenter, besonders das Regiment Styrum, zeichneten sich aus. Den größten Anteil am Siege hatte Neipperg; Prinz Ludwig von Braunschweig unterstützte ihn trefflich. Von diesem Prinzen, der Augenzeuge gewesen war, weiß ich, daß der König von England während der ganzen Schlacht zu Fuß vor seinem hannöverschen Bataillon stand, den linken Fuß zurückgesetzt, den rechten Arm mit dem Degen in der Hand ausgestreckt, etwa wie ein Fechtmeister, der einen Quartstoß ausführen will. Er gab Beweise von Tapferkeit, aber keinen Befehl für die Schlacht. Der Herzog von Cumberland142-1 focht mit den Engländern an der Spitze der Garde und erregte Bewunderung durch seinen Mut und durch Menschenfreundlichkeit. Obwohl selbst verwundet, verlangte er, daß der Feldscher einen mit Wunden ganz bedeckten französischen Gefangenen vor ihm verbände.

Die Alliierten dachten nicht an die Verfolgung der Franzosen, sondern nur an die Lebensmittel in ihrem Magazin zu Hanau. Der Sieger nahm das Abendbrot auf dem Schlachtfelde ein und setzte dann unverzüglich seinen Marsch fort, um zu seinen Vorräten zu gelangen. Äußerst merkwürdig ist es, daß Lord Stair nach dieser siegreichen Schlacht den Marschall Noailles brieflich ersuchte, für die Verwundeten zu sorgen, die auf dem vom Sieger verlassenen Schlachtfelde lagen. Da die Verbündeten sämtlich ein grünes Band am Hute hatten, so befestigte man am Bande des Königs einen Lorberzweig, den er auch unbedenklich trug. Das sind Armseligkeiten, aber sie kennzeichnen die Menschen.

Dem König von Preußen machte der Sieg nicht so viel Freude wie dem König von England. Er mußte befürchten, daß das ohnedies energielose französische Ministerium, das nun vollends durch eine Reihe von Schlägen entmutigt war, den Ruhm Ludwigs XV. und die Interessen des Kaisers aufopfern würde, um sich aus<143> den stets neu auftauchenden Verlegenheiten zu befreien. Um die Absichten der Verbündeten zu ergründen, sandte der König den jungen Grafen Finck143-1 an den König von England unter dem Vorwande, ihn zu seinem Siege zu beglückwünschen, in Wahrheit jedoch, um auf Lord Carteret ein Auge zu haben und etwaigen Unterhandlungen im Lager auf die Spur zu kommen. Prinz Wilhelm von Hessen, des Königs von Schweden Bruder, war den Interessen des Kaisers gewogen. Man benutzte ihn, um Lord Carteret einige Vergleichsvorschläge zur Aussöhnung zwischen Bayern und Österreich zu machen. Aber der Lord war nicht verschlagen genug, um seine innersten Gedanken zu verhehlen. Man merkte, daß er von einem Vergleich nichts wissen wollte, daß sein Herr den Krieg wünschte, daß die Königin von Ungarn für ihren Gatten den Kaiserthron verlangte und daß es beide gleichermaßen auf den Untergang Bayerns abgesehen hatten. Der König von England gab bald seine Rolle als Schirmherr des Reiches auf. Eine erborgte Rolle ist stets schwer zu Ende zu spielen. Nur wenn man sich gibt, wie man ist, fühlt man sich wohl. Hochmütig verwarf er die Entschädigungsansprüche verschiedener Fürsten für den Schaden, den seine Truppen in ihren Ländern angerichtet; ja, er wollte ihnen nicht einmal die von ihnen gelieferten Lebensmittel und die Fourage vergüten. In einer Denkschrift, die er drucken ließ, um die Ablehnung aller Entschädigungen zu begründen, gebrauchte er einen sonderbaren Ausdruck. Er sagte nämlich: „Es wäre das wenigste, was die Reichsfürsten tun könnten, wenn sie das Heer ihres Befreiers und Erretters freihielten, aber er wolle darauf bedacht sein, sie nach Maßgabe ihres Verhaltens gegen ihn zu bezahlen.“ Dieser Hochmut machte ihn vollends verhaßt. Gebieterischer kann sich der größte Despot nicht ausdrücken. Der König handelte aus Eigennutz; Carteret war heftig, und solche Charaktere bedienen sich nur selten gemäßigter Ausdrücke.

Während dies alles am Maine geschah, verfolgte der Prinz von Lothringen die Franzosen bis an den Rhein. Während sein Heer in drei Kolonnen gegen die elsässische Grenze vorrückte, begab er sich mit dem Feldmarschall Khevenhüller zur englischen Armee, was um so leichter war, als Noailles bei Oppenheim über den Rhein zurückgegangen war. Der König von England wollte einen gemeinsamen Operationsplan für die Bewegungen beider Armeen entwerfen, dessen Ziel die Wiedereroberung Lothringens war. Zu diesem Zweck sollte König Georg bei Mainz über den Rhein gehen und durch einen direkten Vorstoß gegen das Elsaß es dem Prinzen Karl erleichtern, den Rhein bei Basel zu überschreiten, Lothringen zurückzuerobern und schließlich mit den siegreichen Truppen Winterquartiere teils in Burgund, teils in der Champagne zu beziehen. Der Plan war weitausschauend, aber die Ausführung entsprach seiner Größe schlecht. Der König von England, der keinen Gegner vor sich sah, ging bei Mainz über den Rhein und rückte bis Worms vor. Prinz Karl von Lothringen<144> hatte weniger Glück. Er ließ einige Truppen nach einer Rheininsel übersetzen und sandte einige Ungarn nach dem andern Ufer vor. Sie wurden mit Verlust zurückgeschlagen, die Rheininsel wurde aufgegeben, und so verlief der so glänzend begonnene Feldzug im Breisgau im Sande.

Das Lager bei Worms ward nun durch die Untätigkeit der Truppen zum Mittelpunkte von Unterhandlungen. Die Franzosen versuchten alles mögliche, um hinter die Absichten der Gegner zu kommen. Sie machten Lord Carteret Eröffnungen und wagten einige Vorschläge, um das Terrain zu sondieren und zu erfahren, unter welchen Bedingungen der Friede zu erlangen sei. Die Absichten des Königs von England gingen weit über alles hinaus, was Frankreich ihm mit Anstand anbieten konnte. König Georg wußte, daß dem König von Preußen diese Besprechungen bekannt waren, und wollte den Umstand benutzen, um ihn zu täuschen. Er teilte ihm einen Friedensvorschlag mit, wonach Frankreich sich erbot, der Königin von Ungarn bei der Eroberung Schlesiens beizustehen, falls sie dafür den Kaiser anerkennen und ihn im ungestörten Besitz von Bayern lassen wollte. Lord Hyndford reiste nach Schlesien, wo der König sich damals befand, um ihm dies zu eröffnen. Es geschah aber in so zudringlicher Weise, daß der König von der Wahrheit des Projekts nicht nur nicht überzeugt wurde, sondern vielmehr Verdacht schöpfte, daß die angeblichen Vorschläge Frankreichs frei erfunden seien. Die Gesinnungen des Königs von England gegen Preußen waren zu bekannt, und sein Übelwollen wurde durch sein Betragen gegen den Grafen Finck offenbar. Das alles bestärkte den König in der Meinung, daß die vertrauliche Mitteilung nur eine Falle war, die ihm Lord Carteret arglistig stellte. Gleichwohl antwortete er Lord Hyndford, er sei sehr gerührt über den Freundschaftsbeweis, den der König von England ihm bei dieser Gelegenheit gäbe. Aber er rechne zu sehr auf die Rechtschaffenheit der Königin von Ungarn, auf die Weisheit des Königs Georg und auf dessen Garantie, um nicht überzeugt zu sein, daß sich die beiden Mächte niemals auf Pläne einlassen würden, die ihren Verpflichtungen so widersprächen und deren Ausführung schwieriger sein dürfte, als man dächte. Eine solche Antwort hatte der englische Gesandte nicht erwartet, und sein Unmut malte sich wider Willen in seinen Zügen.

Wie unwahrscheinlich war es auch, daß der König von Frankreich zu einem so lächerlichen Mittel greifen sollte, um sich mit der Kaiserin-Königin zu vergleichen! Er sollte sich in einen neuen Krieg verwickeln und sich selbst zum Werkzeug der Größe des Hauses Österreich machen, wo das dauernde Interesse seines Reiches Österreichs Niederhaltung erheischte! War es nicht natürlicher, alles für ein Märchen zu halten, das Lord Carteret ersonnen hatte, um den König von Preußen gegen Frankreich aufzuhetzen? Konnte Carteret sich nicht sagen: der König von Preußen ist lebhaft, er fängt leicht Feuer; eine Eröffnung wie die unsre wird ihn in hellen Zorn versetzen; Lord Hyndford wird das benutzen und ihn so weit erbittern, daß er sich gegen Frankreich erklärt; und dann haben wir seine Hilfe sehr billig erkauft? Allerdings <145>war Lord Hyndfords Nachricht mit so wahrscheinlichen Einzelheiten ausgeschmückt, daß es der Mühe wert war, sich Klarheit zu verschaffen, bevor man sie gänzlich verwarf. Da war ein gewisser Hatsel145-1, ein französischer Agent, zum Kurfürsten von Mainz gekommen, um ihm die für die Engländer bestimmten Vorschläge zu hinterbringen. Zum Kurfürsten von Mainz war auf Betreiben der Österreicher Ostein an Stelle des Grafen von Eltz, der Karl VII. gekrönt hatte, erwählt worden145-2. Er war also eine Kreatur des Wiener Hofes und stand außerdem noch im Solde der Engländer, denen er sich mit Haut und Haaren verkauft hatte. Graf Finck wurde nach Mainz gesandt, um die Sache aufzuklären. Auch in Frankreich setzte man alles in Bewegung, um die Wahrheit zu erfahren. Aber es war ganz vergebliche Mühe. Vielleicht hatte Hatsel auf eigne Faust Äußerungen getan, die jene Erzählung veranlaßten. Es war ein Abgrund von Verlogenheit, und es gehörte ein neuer Ödipus dazu, um das Geheimnis zu enthüllen.

Eine wichtigere Unterhandlung nahm jetzt ihren Anfang. Der Versailler Hof beschloß, den König von Sardinien in Frankreichs und Spaniens Interesse zu ziehen. Allerdings bestand ein provisorischer Traktat145-3 zwischen Karl Emanuel und Maria Theresia, aber der war so unbestimmt und in so allgemeinen Ausdrücken gefaßt, daß man ihn ohne Treulosigkeit brechen konnte. Die Unterhandlung der Franzosen machte in Turin Fortschritte und wäre auch zum Abschluß gelangt, hätten die Franzosen und Spanier nicht zu sehr um kleine Vorteile gefeilscht. Lord Carteret erfuhr, was in Turin angesponnen ward. Er schacherte nicht: seine Anerbietungen auf Kosten von Österreich übertrafen die der Franzosen, und er gewann den König von Sardinien für sich. Durch diesen neuen Vertrag trat die Königin von Ungarn dem König von Sardinien die Gebiete von Vigevano und Tortona sowie einen Teil des Herzogtums Parma ab; dafür garantierte der König von Sardinien ihr alle ihre Besitzungen in Italien und verpflichtete sich, sie nach besten Kräften zu verteidigen. So kam der Vertrag von Worms zustande (13. September 1743).

Der Wiener Hof war aufgebracht, daß ihn die Engländer fortwährend zu neuen Abtretungen zwangen. Man fand, daß sie sonderbare Bürgen der Pragmatischen Sanktion wären, da sie immerfort neue Lücken in sie rissen. Der König von Preußen hielt die Stimmung der Österreicher für vorteilhaft, um ihnen friedliche Gesinnungen einzuflößen. Er ließ zu Wien vorstellen, daß die Rolle, die die Österreicher in Europa spielten, nicht würdig sei. Hielte man den Kaiser für die Drahtpuppe Ludwigs XV., so gälten sie für die Marionetten Georgs II. Der Friede wäre das einzige Mittel, von der Vormundschaft Englands loszukommen. Diese Vorstellungen verfehlten ihren Eindruck um so weniger, als die Tatsachen stimmten. Trotzdem aber riß die Hoffnung auf den Wiedergewinn von Lothringen sie auf dem eingeschlagenen Wege fort. Der<146> König von Preußen wollte Frieden. Er predigte allen Mächten Mäßigung, er suchte die einen zu besänftigen und die andern zurückzuhalten. Es war schon viel, nur zu verhindern, daß kein Öl ins Feuer gegossen wurde. Dann mußte es ja doch schließlich aus Mangel an Nahrung erlöschen. Doch die besten Absichten gelingen nicht immer. Die englischen Guineen begannen die Republik Holland in Gärung zu bringen. Die oranische Partei wollte Krieg. Die echten Republikaner wünschten die Erhaltung des Friedens. Die Macht des Geldes siegte über die Beredsamkeit der besten Bürger, und die vereinigten Niederlande ergriffen Partei für die Interessen der Königin von Ungarn, die ihnen ganz fremd waren, und für Lord Carterets Pläne, die sie nicht kannten. Sie schickten (im August) 20 000 Mann zur Verstärkung des Heeres bei Worms; 14 000 kamen an, der Rest lief auseinander.

Nachdem Marschall Noailles einen Teil des Feldzuges hinter dem Speyerbach verbracht hatte, verließ er diese Stellung und näherte sich Landau, um sich mit dem Marschall Coigny, der den Oberbefehl über die Truppen des alten Broglie übernommen hatte, leichter vereinigen zu können, falls der Prinz von Lothringen den Rheinübergang erzwänge und nach dem Elsaß vorrückte. König Georg folgte den Franzosen bis zum Speyerbach, beendete hier aber die Operationen des Feldzuges, nachdem er die Befestigungen, die die Franzosen am Ufer errichtet hatten,hatte schleifen lassen. Er selbst ging nach Hannover zurück, und die Truppen bezogen Winterquartiere in Brabant und im Bistum Münster. Während seines Aufenthalts zu Hannover verheiratete Georg seine Tochter Luise mit dem Kronprinzen von Dänemark. Dann begab er sich nach London, um dort seinem Parlament in einer pomphaften Rede von seinen Kriegstaten zu berichten.

Will man sich von der Planlosigkeit menschlichen Handelns einen rechten Begriff machen, so braucht man nur diesen Feldzug genau zu zergliedern. Am Main zieht man eine Armee zusammen, ohne für ihre Verpflegung zu sorgen. Hunger und eine feindliche Überraschung zwingen die Verbündeten zur Schlacht. Sie besiegen die Franzosen, gehen über den Rhein und rücken bis Worms. Hier hält der Speyerbach sie auf, ohne daß sie Mittel finden, den Feind aus seiner Stellung zu vertreiben. Endlich gehen sie über den Speyerbach vor, den Noailles ihnen überläßt, und erhalten Verstärkung aus Holland, nur um in Brabant und Westfalen Winterquartiere zu beziehen. In diesem Verhalten fehlt jeder Zusammenhang; es gleicht dem Laborieren eines Alchimisten, der den Stein der Weisen sucht und einen sehr entbehrlichen Farbstoff findet. Diese Kritik richtet sich keineswegs gegen das Benehmen des Königs von England. Denn viele andre Heerführer haben es ebenso gemacht; sie sollen nur den Leser überzeugen, daß das Menschengeschlecht nicht so vernünftig ist, wie man es ihm einreden möchte.

Die geringen Erfolge der Österreicher und Engländer im Feldzuge von 1743 gaben den Franzosen Zeit, sich zu besinnen und einiges zu unternehmen. Zwar hatten sie Bayern verloren; aber sie waren doch sehr eitel darauf, daß sie ihren Feinden den Rheinübergang und das Eindringen ins Elsaß verwehrt hatten.

<147>

Wie das Glück in diesem Feldzuge oft von der einen zur andern Seite überging, so ließ der Vorteil die Herrscher ihre Politik nicht minder oft wechseln. Wir erwähnten bereits den vom König von Sardinien unterzeichneten Wormser Traktat. Der Vertrag wurde zur selben Zeit veröffentlicht, als er noch mit Frankreich und Spanien unterhandelte und man in Versailles täglich die Nachricht vom Abschluß des Bündnisses erwartete. Die Minister Ludwigs XV. vermochten ihren Groll nicht zu verhehlen. Sie fanden im Betragen des Königs von Sardinien einen Beweis von Falschheit und Verachtung und brachen mit ihm. Der französische Gesandte147-1 ward unverzüglich aus Turin abberufen. Ein französisches Korps von 10 000 Mann stieß zum Marchese de Las Minas, der unter Don Philipp an der genuesischen Küste befehligte. Las Minas versuchte, um sich einen Weg durch die piemontesischen Pässe zu bahnen, über Castel Delfino vorzudringen. Aber der König von Sardinien war ihm zuvorgekommen. Er hatte sich hier verschanzt und zwei Forts besetzt, die auf zwei Höhen rechts und links vom Passe liegen. Dieses Defilee verteidigten die Sardinier so tapfer, daß die Franzosen und Spanier, von allen Seiten zurückgeschlagen, sich ins Dauphiné zurückzogen, nachdem sie 6 000 Mann bei dieser fruchtlosen Unternehmung verloren hatten.

Die Leichtigkeit, womit der Wiener Hof den König von Sardinien zum Eintritt in sein Bündnis bewogen hatte, brachte ihn zu der Überzeugung, daß sich in Rußland Ähnliches erreichen lassen müsse, um das, was er die gute Sache nannte, durch Rußlands Beitritt zu stärken. Frankreich erfuhr davon und sandte den Marquis La Chétardie nach Petersburg zurück, um den Absichten seiner Feinde entgegenzuarbeiten. Der Gesandte, der Elisabeth durch seine Geschicklichkeit auf den Thron gesetzt hatte, hoffte, bei seiner Sendung Beweise von Dankbarkeit vom russischen Hofe zu empfangen. Er erlebte nichts als Proben des Undanks. Das Reich befand sich in voller Gärung. Denn die Großen waren durch die Entthronung so vieler Herrscher, von deren Geschick ihr eignes Los abhing, aufgebracht. Es fehlte nur ein Anführer, und die Empörung kam zum Ausbruch. Die Mächte, die sich um Rußlands Beistand aufs höchste, doch vergeblich bemühten, benutzten die Gärung zum Anzetteln einer Verschwörung gegen die Kaiserin, die zum Glück für diese aber entdeckt ward. Um die gefährliche Intrige recht zu verstehen, muß man sich erinnern, daß der Wiener Hof mit Verdruß der Katastrophe zugesehen hatte, durch die Prinz Anton Ulrich von Braunschweig und seine Gemahlin gestürzt worden waren147-2. Frankreichs Mitwirkung genügte, um diese Umwälzung verhaßt zu machen, um so mehr, als zu vermuten war, daß die Kaiserin Elisabeth den ihr von Frankreich erwiesenen Dienst nicht vergessen und mehr Zuneigung zu Frankreich als zu Österreich hegen würde, zumal bei der nahen Verwandtschaft der Königin von Ungarn mit dem gestürzten Herrscherhause. Auf Grund dieser Annahme hielt das Wiener Ministerium jedes Mittel für erlaubt, das<148> den Sturz der russischen Kaiserin herbeiführte. Der Marchese Botta d'Adorno, Gesandter der Königin von Ungarn in Petersburg, erhielt geheime Instruktionen zur Anzettelung eines Komplotts. Er war an diesem Hofe gleichsam der Sauerteig, der die Gemüter Derer, mit denen er umging, in Gärung versetzte. Er wiegelte die Frauen auf, er verband sich mit Personen von jedem Stand und Charakter. Er fügte zur Verleumdung den Verrat; denn er versprach den Schutz des Königs von Preußen allen, die für dessen Schwager und seinen Neffen, den jungen entthronten Zaren, arbeiten würden. Der Marchese Botta bediente sich bei dem Komplott des Namens des Königs in der Absicht, ihn mit Rußland zu entzweien, falls der Anschlag entdeckt würde. Das geschah auch wirklich. Aber mit Hilfe der Knute erfuhr die Kaiserin Elisabeth, daß Botta dessen Anstifter war. Durch einen unbesonnenen, betrunkenen Russen, der in einem Petersburger Kaffeehause aufrührerische Reden hielt, kam die Verschwörung heraus148-1. Er wurde von der Polizei festgenommen, desgleichen einige seiner Mitschuldigen. Sie bekannten alles aus Furcht vor der Folter. Weitere vierzig Personen wurden in Moskau verhaftet. Ihre Aussagen deckten sich mit denen der ersten. Der Gräfin Jagushinski ward die Zunge ausgerissen, die Frau eines andern Bestushew, eines Bruders des Ministers, ward nach Sibirien verbannt148-2, und eine große Anzahl von Menschen verdankten die Vernichtung ihres ganzen Daseins der Verführung des Marchese Botta. Der war so schlau gewesen, sich vor dem Ausbruch der Verschwörung auf seinem Posten ablösen zu lassen, um seine Person und das von ihm bekleidete Amt für den Fall des Mißlingens vor Kränkung zu schützen. Als das Komplott entdeckt wurde, war er Gesandter am Berliner Hofe. Sobald der König die Ereignisse in Rußland erfuhr, ließ er ihm den Hof verbieten und verlangte in Gemeinschaft mit der russischen Kaiserin Genugtuung von der Königin von Ungarn, denn Botta hatte sowohl den König wie die Kaiserin beleidigt. Auf den Wiener Hof fiel ein großer Teil des Odiums von Bottas Benehmen zurück. Wenn auch die Franzosen das Beispiel zu solchen Anschlägen gaben, so durften die Österreicher es doch nicht nachahmen. Was würde aus der öffentlichen Sicherheit, was aus der Sicherheit der Könige, wenn man Empörungen, Vergiftungen und Meuchelmorden Tür und Tor öffnete? Welcher Rechtslehrer kann solche Unternehmungen gutheißen? Hat die Staatskunst keine ehrlichen Mittel mehr zu ihrer Verfügung, und muß man alle Gefühle der Rechtschaffenheit und der Ehre zugunsten eigennütziger und oft trüglicher Absichten ausrotten? Es ist traurig, daß im 18. Jahrhundert, das menschlicher und aufgeklärter ist als die vorangehenden, Frankreich und Österreich sich derartiges vorzuwerfen haben.

Die Königin von Ungarn bekannte sich weder zum Vorgehen ihres Ministers noch desavouierte sie ihn. Dies falsche Betragen des Wiener Hofes konnte dem König<149> von Preußen Gelegenheit geben, sich mit dem Petersburger Hofe enger zu verbinden. Er schrieb deshalb an Mardefeld, seinen Gesandten bei der Kaiserin, und der geschickte Diplomat unternahm den Versuch, das zwischen beiden Mächten bestehende Bündnis zu erweitern. Nach langem Verhandeln erreichte er nichts als eine ziemlich unbestimmte Garantie für den preußischen Staat, die in so dehnbaren Ausdrücken gefaßt war, daß es nicht verlohnte, sie zu besitzen. So inhaltlos der Vertrag149-1 war, so konnte er die Höfe, die Preußen übelgesinnt waren, doch einschüchtern: um zu prahlen, taugt ein Simili soviel wie ein Diamant. Es war Graf Bestushew, der der Kaiserin abriet, ein engeres Bündnis mit dem König von Preußen einzugehen. La Chétardie, der mit Bestushew unzufrieden war, arbeitete an seinem Sturze; Mardefeld erhielt Vollmacht, ihn dabei zu unterstützen. Aber Mardefelds Erfahrung vermochte nichts gegen Bestushews Stern. Wir behalten es uns vor, in der Folge ausführlicher von allen Ränken der Gesandten am russischen Hofe zu erzählen.

Auch in Berlin intrigierten die fremden Höfe. Die Engländer gaben ihr Projekt nicht auf, den König allmählich in ihren Krieg gegen Frankreich zu verwickeln. Die Franzosen wünschten, daß er ihnen zu Hilfe käme und sie durch eine Diversion unterstützte. Unterdessen kam Voltaire nach Berlin. Da er einige Gönner in Versailles hatte, hielt er das für hinreichend, sich das Ansehen eines Unterhändlers zu geben. Seine glänzende Einbildungskraft erhob sich ungehemmt in das weite Gebiet der Politik. Er hatte kein Beglaubigungsschreiben; seine Gesandtschaft wurde eine Spielerei, ein bloßer Scherz149-2.

Während Preußen sich selbst des Friedens erfreute, blieben ihm zwei wichtige Gegenstände stets vor Augen: die Aufrechterhaltung des Kaisers und ein allgemeiner Friede. Was den Kaiser betraf, so hatte Frankreich ihn im Stiche gelassen, und es blieb kein anderes Mittel zu seiner Erhaltung als, wie wir schon gesagt haben149-3, ein deutscher Fürstenbund, der dem Reichsoberhaupte mit Heeresmacht zu Hilfe kam. Diesen Gedanken hatte man den deutschen Fürsten schon beizubringen versucht, doch umsonst. Der König wollte einen neuen Versuch wagen, sie zu dem zu bewegen, was ihr Vorteil und ihre Ehre ihnen geboten. Er unternahm es selbst, mit mehreren Fürsten mündlich zu verhandeln. Unter dem Vorwande, seine Schwestern, die Markgräfinnen von Ansbach und Bayreuth, zu besuchen, reiste er ins Reich, ja sogar bis Öttingen149-4, angeblich zur Besichtigung der Trümmer des bayrischen Heeres, eigentlich aber in der Absicht, mit Feldmarschall von Seckendorff über Mittel und Wege zur Unterstützung des Kaisers zu reden. Aber alle Versuche, alle Gründe, alle Vorstellungen waren umsonst. Die schwärmerischen Anhänger des Hauses Österreich hätten sich aufgeopfert, aber die Anhänger des Kaisers waren durch die vielen Un<150>glücksfälle, die er erlitten hatte, so kleinmütig geworden, daß sie mit dem Moment, wo sie sich zu seiner Unterstützung entschlossen, ihre eignen Staaten verloren glaubten.

Die verwitwete Herzogin von Württemberg weilte damals in Bayreuth. Sie wünschte, daß ihr der König ihre Söhne, die sie seiner Erziehung anvertraut hatte, zurückgäbe. Der König hielt es für richtiger, daß die Prinzen ihre Reise unter glücklicheren Aussichten anträten. Deshalb bewirkte er beim Kaiser, daß der Herzog vor der gesetzlichen Frist für volljährig erklärt wurde, um ihn an die Interessen Frankreichs und Bayerns zu ketten150-1.

Trotz seiner Beschäftigung mit der Politik vernachlässigte der König die innere Regierung seines Landes keineswegs. Die Festungsbauten in Schlesien machten sichtliche Fortschritte. Der große Plauensche Kanal ward gegraben, um eine kürzere Verbindung zwischen Elbe und Oder zu schaffen. Der Hafen von Stettin wurde vertieft und der Swinekanal schiffbar gemacht. Seidenmanufakturen entstanden, und das Insekt, das diesen kostbaren Stoff erzeugt, ward ein neuer Quell des Reichtums für die Landbewohner. Dem Gewerbfleiß wurden alle Tore geöffnet. Die Akademie der Wissenschaften wurde erneuert150-2. Euler, Lieberkühn, Pott und Marggraf wurden ihre Zierden. Maupertuis, so berühmt durch seine Kenntnisse wie durch seine Reise nach Lappland, wurde Präsident der Gesellschaft. Darüber ging das Jahr 1743 zu Ende.

Ganz Europa stand im Kriege, alle Welt intrigierte; in den Kabinetten der Fürsten herrschte mehr Tätigkeit als bei den Heeren. Die Kriegsursache hatte sich geändert: anfangs ging es nur um die Erhaltung des Hauses Österreich, dann um seine Eroberungspläne. England begann in der Wagschale der Mächte ein Übergewicht zu erlangen, das Frankreich lauter Unglück verhieß. Die Festigkeit der Kaiserin-Königin artete in Starrsinn aus, die scheinbare Großmut des Königs von England in schnöden Eigennutz für sein Kurfürstentum. Rußland blieb noch friedlich.

Der König von Preußen war stets darauf bedacht, das Gleichgewicht unter den kriegführenden Mächten zu erhalten, und hoffte sehr, es zu erreichen, sei es durch freundschaftliche Vorstellungen oder durch nachdrücklichere Erklärungen, ja selbst durch kleine Demonstrationen. Doch was sind die Pläne der Menschen! Die Zukunft ist ihnen verborgen. Sie wissen nicht, was morgen geschehen wird. Wie könnten sie da Ereignisse vorhersehen, die die Verkettung unberechenbarer Ursachen in einem halben Jahre herbeiführen kann? Die Zeitumstände reißen sie mit sich fort und zwin<151>gen sie oft, gegen ihren eigenen Willen zu handeln. Bei diesem Auf und Nieder des Glücks vermag die Klugheit nichts, als sich darein zu schicken, konsequent zu handeln und ihr System nie aus den Augen zu verlieren. Aber alles voraussehen kann sie nicht.


132-1 Am 29. Januar 1743.

132-2 Vgl. S. 24.

133-1 Vgl. S. 24.

134-1 Marc Peter de Voyer de Paulmy, Graf d'Argenson.

134-2 Amelot wurde Staatssekretär der auswärtigen Angelegenheiten.

134-3 In der Fassung von 1746 spricht der König geradezu von einer Entartung der monarchischen Regierung Frankreichs zu einer Republik.

135-1 Bei Guinegate schlugen die Engländer 1513 die Franzosen.

135-2 Bei Camposanto am 8. Februar 1743.

136-1 Der König von England war Kurfürst von Hannover.

137-1 Graf Alexej war Großkanzler, Graf Michael Oberhofmarschall.

137-2 Friede von Ǻbo, geschlossen am 17. August 1743.

137-3 Christian VI. (1730—1746); ihm folgte sein Sohn Friedrich V. (1746—1766).

138-1 Herzog Adolf Friedrich, vgl. S. 129.

139-1 Konvention von Niederschönfeld, 27. Juni 1743.

142-1 Wilhelm August, Herzog von Cumberland, Sohn Georgs II.

143-1 Karl Wilhelm Graf Finck von Finckenstein, der Sohn des Grafen Albrecht Konrad, des Erziehers König Friedrichs, bisher preußischer Gesandter in Kopenhagen, seit 1749 Kabinettsminister.

145-1 Unterintendant von Straßburg.

145-2 Am 22. Aprll 1743 war Graf Johann Friedrich Karl Ostein dem Grafen Philipp Karl von Eltz (vgl. S. 38) als Kurfürst und Erzbischof gefolgt.

145-3 Vom 1. Februar 1742.

147-1 Marquis de Senecterre.

147-2 Vgl. S. 96. 97.

148-1 Anfang August 1743.

148-2 Gräfin Anna Bestushew, Gemahlin des Oberhofmarschalls Grafen Michael und Mutter der Gräfin Jagushinski.

149-1 Vom 27. März 1743.

149-2 Voltaire kam am 30. August 1743 als Sendling Amelots mit diplomatischen Aufträgen in Berlin an; den großen Fragebogen, den jener ihm vorlegte, füllte König Friedrich mit scherzhaften Antworten in Versen und in Prosa aus.

149-3 Vgl. S. 130.

149-4 Vielmehr Wemding bei Ansbach. September 1743.

150-1 Seit dem 16. Dezember 1741 hatten die Söhne des 1737 gestorbenen Herzogs Karl Alexander und der Herzogin-Regentin Maria Auguste zur Vollendung ihrer Erziehung in Berlin geweilt; sie kehrten Anfang Februar 1744 nach Stuttgart zurück. Die Volljährigkeitserklärung für Herzog Karl Eugen (geboren am 11. Februar 1728) erfolgte durch kaiserliches Dekret vom 7. Januar 1744.

150-2 24. Januar 1744. Die Ernennung Maupertuis' zum Präsidenten der Akademie erfolgte am 1. Februar 1746.