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Über die Politik
(November 1784)

Alles, was sich unter meiner Regierung in den europäischen Angelegenheiten zugetragen hat, habe ich bis zum Frieden von Teschen berichtet. Seitdem ist die Politik zum Chaos geworden.

Die Schuld liegt lediglich an der Unruhe und Oberflächlichkeit, womit der Kaiser seit dem Tode seiner Mutter1 seine persönlichen Geschäfte und die auswärtige Politik betreibt. Leichtfertig hat er dem engen Bündnis zwischen Preußen und Rußland den Erfolg zugeschrieben, den der König in dem Streit um die bayrische Erbfolge über ihn davontrug2. In seiner Überzeugung, der König sei der schlimmste Feind seiner ehrgeizigen Pläne, hat der Kaiser sich vorgenommen, ihm Rußland abspenstig zu machen, um ihm einen so wichtigen Bundesgenossen zu rauben und ihn derart zu isolieren, daß er für die österreichische Monarchie nicht mehr gefährlich werden könne. Zu dem Zweck ist er nach Rußland gereist3. Dort hat er die phantastischen Pläne Katharinas erfahren, die ihren jüngsten Enkel auf den Thron von Konstantinopel setzen wollte4, hat sich bei der Zarin lieb Kind gemacht, indem er ihrer Eigenliebe schmeichelte und versprach, ihr mit allen Kräften gegen die Türken beizustehen, hat Potemkin5, Woronzow6 und andere aus ihrer Umgebung gewonnen. Kurz, unter Hintansetzung der Wiener Etikette hat er es fertig gebracht, ein Bündnis mit der Zarin abzuschließen7. Aber der Kaiser hatte diese Rechnung ohne Frankreich gemacht, das mit der Türkei im Bunde sieht und nicht zulassen kann, daß eine so eng mit ihm verbündete Macht ungestraft vernichtet wird. Der Eroberungszug der Russen nach der Krim und nach Kuban, der ihnen diese beiden Provinzen eingebracht hat8, schmeichelte der Eigenliebe der Kaiserin. Sie wähnte, das enge Bundesverhältnis


1 Maria Theresia war am 29. November 1780 gestorben.

2 Vgl. S. 99 ff.

3 Nach Begrüßung der Zarin in Mohilew, weilte Joseph auf ihre Einladung hin drei Wochen im Juli 1780 am Petersburger Hofe.

4 Vgl. S. 151, Anm. 2.

5 Vgl. S. 43.

6 Graf Alexander Romanowltsch Woronzow, Senator und Präsident des Kommerzkollegs.

7 1733. Vgl. S. 151, Anm. 2.

8 Im Sommer 1783 war die Besitzergreifung erfolgt, die am 8. Januar 1784 von der Pforte durch den zweiten Bertrag von Alnali Kawak anerkannt wurde.