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Aber alles, was damals in jenem Teil Europas geschah, interessiert uns hier weniger als die Begebnisse im Orient und im Norden. Die Vorschläge der Pforte an den Berliner und Wiener Hof wurden dem Petersburger Hofe mitgeteilt. Zugleich ließ der König der Zarin bedeuten, falls sie die Vermittlung Österreichs und Preußens ablehnte, stände zu befürchten, daß sich die Pforte um Beistand an Frankreich wenden würde. Diese bloßeWarnung bestimmte den Petersburger Hof vielleicht, die österreichische Vermittlung nicht abzulehnen, da seine Abneigung gegen den Wiener Hof nicht so groß war wie sein Widerwille gegen den Versailler. Zunächst antworteten die Russen, sie könnten das Angebot der beiden Mächte nicht annehmen, angeblich, weil sie schon die englische Vermittlung abgelehnt hätten. Tatsächlich aber fürchteten sie, durch das Eingreifen anderer Mächte in ihren Friedensplänen gestört zu werden. Indes aus Höflichkeit oder aus Rücksicht auf die Bemühungen beider Höfe, was auf das gleiche hinauslief, suchten sie durch Feldmarschall Rumänzow direkte Verhandlungen mit dem Großwesir anzuknüpfen. Als dieser Versuch jedoch mißlang, willigten sie in die ihnen vorher von Berlin und Wien aus gemachten Vorschläge.

Zufällig reiste damals Prinz Heinrich, des Königs Bruder, nach Stockholm zum Besuch seiner Schwester, der Königin von Schweden. Die Zarin, die den Prinzen in ihrer Jugend in Berlin kennen gelernt hatte, bat, daß ihm ein Besuch in Petersburg gestattet würde, was man schicklicherweise nicht abschlagen konnte. Der Prinz reiste also nach Rußland1. Geistvoll, wie er war, gewann er bald Einfluß auf die Zarin und bewog sie, sich dem König, seinem Bruder, gegenüber zu eröffnen. Dem Brief der Zarin2 war eine lange Denkschrift beigelegt; sie enthielt die Friedensbedingungen, die der beabsichtigten Unterhandlung zugrunde gelegt werden sollten. Nach einer Einleitung, die die größte Mäßigung atmete, forderte die Zarin von den Türken die Abtretung der beiden Kabardien, Asow und sein Gebiet, die Unabhängigkeit des KrimKhans, die Sequestrierung der Moldau und Walachei auf 25 Jahre als Entschädigung für die Kriegskosten, freieSchiffahrt aufdem Schwarzen Meere, eine Insel im Archipel als Stapelplatz für den Handel beider Nationen, allgemeine Amnestie für die Griechen, die Rußlands Partei ergriffen hatten, und vor allem die Freilassung Obreskows aus den Sieben Türmen.

Diese ungeheuerlichen Bedingungen hätten die Österreicher vollends in Harnisch gebracht, ja sie vielleicht zu den gewaltsamsten Entschlüssen verleitet, hätte man sie ihnen mitgeteilt. Dieser Grund hielt den König ab, sie das geringste davon wissen zu lassen. Er zog den Weg gütlicher Verständigung als den sichersten vor, um auf diese Weise niemand vor den Kopf zu stoßen. Er setzte sich mit der Zarin ins Einvernehmen, ohne ihr zu widersprechen3. Damit sie aber selbst die Schwierigkeit einsah, den Sultan zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Tartaren zu bewegen, stellte er ihr


1 Am 12. Oktober 1770 traf Prinz Heinrich in Petersburg ein; am 30. Januar 1771 trat er die Heimreise an.

2 D. d. Petersburg 9. Dezember 1770 (a. St.).

3 Die Antwort des Königs an Katharina II. ist vom 4. Januar 1771 datiert.