<279>

Die Schule der Welt
Komödie in drei Akten
Verfaßt von Herrn Satyricus,
der inkognito zu bleiben wünscht
(1748)

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Handelnde:

Herr Bardus, Firlefanzens Bater

Firlefanz, ein junger Student, von der Universität heimgekehrt

Herr Argan, Juliens Vater

Frau Arg an

Julie, ihre Tochter, geliebt von Mondor

Mondor, Iuliens Liebhaber

Nerine, Frau Argans Zofe

Martin, Firlefanzens Bedienter

Merlin, Mondors Bedienter

Der Schauplatz ist ein Haus in Berlin, mit mehreren Wohnungen

<281>

Erster Akt

Erste Szene

Martin. Nerine

Martin. Ob ich wohl einen aus dem Haus sprechen kann, um die nötigen Maßnahmen zu treffen, bevor wir Herrn Bardus unsere Reverenz machen? — Ah, Nerine! Kommt wie gerufen. (zu Nerine:) Guten Tag, süßes Kind. Du glaubst nicht, wie ich darauf brannte, dich wiederzusehen.

Nerine. Es sieht gerade danach aus! Zwei Tage bist du nun schon von der Universität zurück, und ich habe dich noch nicht zu sehen gekriegt!

Martin. Wer zum Teufel hat dir das gesagt, daß wir seit zwei Tagen hier sind?

Nerine. Hierzulande weiß man alles, mein armer Junge. Wir Mädchen wollen halt immer mit Neuigkeiten gefüttert sein. Und wer da sucht, der findet sie am Weg. Wenn Susanne und Marie und Chloe, Fanni und Nanni beieinander stecken, da wird dir nicht schlecht über den lieben Nächsten räsonniert! Jede erzählt die Geschichte von ihrem Viertel; dann haben wir die ganze Stadtgeschichte beisammen. Siehst du wohl: auf die Art weiß ich alles, was passiert.

Martin. Na — wenn du denn alles weißt, will ich dir auch alles eingestehen. Aber verrate meinen Herrn nicht! Sein Vater verzieh' es ihm nie und nimmer!

Nerine. Neugierig bin ich, aber boshaft bin ich nicht. Ich mische mich gewiß nicht in die dummen Streiche deines Herrn. Seit zwei Tagen wartet sein Vater auf ihn, um ihn mit meinem Fräulein zu verloben. Daß du's weißt! Es kann mir freilich ganz gleich sein, was der Herr Firlefanz anstellt; aber mit dir ist das was anderes!

Martin. Du darfst den Diener nicht mit dem Herrn verwechseln, mein Schatz! Während mein Herr die Natur und alle Universitätsgelahrtheit studierte, lag mir weiter nichts im Sinn, als dir zu gefallen. Während er sich in den Strudel des galanten Lebens stürzte, bin ich dir in meinen Gedanken treu geblieben, wenn sich's auch praktisch nicht durchführen ließ. Als er sich schließlich hier noch auf zwei Tage bei<282> der dienstfertigen La Roche einlogierte, hab' ich mich nicht aus dem Haus getraut, vor Angst, sein alter Herr könnte mich gewahr werden. Bin auch nur mit Zittern und Zagen hergekommen. Aber da ich im Reisekleid bin und der junge Herr heut ins Vaterhaus zurückkehren will, so riskiere ich ja nichts.

Nerine. Offen gesagt, in deinem langen Gerede ist mir die Madame La Roche sehr unliebsam aufgefallen.

Martin. Liebes Kind, mit der Galanterie hat's eine eigene Bewandtnis. Wir Diener würden einfach als sauertöpfische Kerle gelten, wenn wir nicht galant wären. Und dann, welche Ehre für dich, wenn du dir sagen kannst: Herr Martin hat deinetwegen ein ganzes Schock schöner Mädchen geopfert, und jetzt bersten sie wegen deines Triumphs!

Nerine. Ich bin ein bißchen anderer Ansicht. Ich für mein Teil wünsche mir nichts als Treu und Redlichkeit. Ich verzichte dankend auf deine geopferten Eroberungen. Herr Martin, Herr Martin, du bist mir verdorben worden auf der verdammten Universität. Ich seh's schon, dein Herr bringt weiter nichts heim als alle Lasier von dem jungen Volk, mit dem er sich herumgetrieben hat. Er kommt nicht als Hochweiser Herr wieder, sondern als höchst wüster.

Martin. Woraus willst du das schließen?

Nerine. Aus dem Sprichwort: wie der Herr, so der Knecht. — Aber da kommt jemand. Dein alter Herr und meiner! Schaff nur den Firlefanz herbei, drück dich!

Zweite Szene

Nerine. Bardus. Argan.

Bardus. Ich muß gestehen, ich begreife sein Ausbleiben nicht. Vielleicht hat er sich durch nächtliches Studium so überanstrengt, daß er jetzt krank darniederliegt! Oder ist ihm vielleicht auf der Reise ein Unglück zugestoßen? Oder wollten seine Professoren vielleicht bloß einen Kursus in der Physik beenden oder irgend ein anderes Kolleg, ehe sie ihn reisen ließen? Ich hätte doch zur Post schicken sollen: am Ende sind Nachrichten da!

Argan. Da ist ja Nerine. Sie kann es gleich besorgen. Nerine. Ich schicke sofort hin, gnädiger Herr. (Ab.)

Argan. Ich fühle mich auch schon von Ihrer Unruhe ergriffen. O, ich kann es so gut verstehen, wie es Ihr Innerstes bewegen muß, wenn die Ankunft des heißgeliebten Sohnes nur den mindesten Aufschub erleidet — des Einzigen, auf den Sie all Ihre Hoffnungen setzen!<283> Bardus. Ja, ich habe allen Grund, ihn zu lieben. Er schlägt ganz nach mir. Schon im zartesten Kindesalter war er so vielversprechend. Mit acht Jahren konnte er schon lesen und schreiben. Sanft war er wie ein Lamm. Mit fünfzehn Jahren hatte er bereits das ganze Rabbinersiudium hinter sich.

Argan. Aber warum ein so unfruchtbares Studium?

Bardus. Wie! Unfruchtbar? Unfruchtbares Studium! Sie haben ja keine Ahnung, mein Bester! Durch das Rabbinersiudium erwirbt man sich eine tiefgründige Gelehrsamkeit. Und es macht sich wunderhübsch, wenn man in einem Brief oder einer größeren Arbeit diesen oder jenen Rabbiner zitieren kann.283-1 Aber das ist natürlich noch nicht alles! Ich habe meinen Sohn auch Cujaz und Bartolo283-2 studieren lassen, Metaphysik und Physik und die höhere Mathematik.

Argan. Mr deucht, die Metaphysik ist kein ratsames Fach für einen jungen Mann. Das ist gerade so, als lehrte man ihn die chimärische Geschichte eines Landes, wo nie ein Mensch gewohnt hat oder wohnen wird. Ich will Ihren Geschmack gewiß nicht verurteilen, aber die schöne Literatur —

Bardus. Gehen Sie mir bloß mit Ihrer schönen Literatur! Das ist ja so gewöhnlich, so eine Allerweltssache! Dazu geben sich doch nur kleine Geister her, die den Weiberchen gefallen wollen. Virgil und Homer und am Ende sogar Cicero waren nicht würdig, dem Plato die Schuhriemen zu lösen. Und dieser große Philosoph wiederum verstand nicht einmal Algebra. Wie tief stand er noch unter dem doctissimus Leibniz und seinen Schülern.

Argan. Darin bin ich nicht ganz Ihrer Meinung. Mir scheint die schöne Literatur durchaus das Richtige für junge Leute, die für die feine Welt und hoffentlich auch für die große Welt bestimmt sind. Soll ein junger Mann gut sprechen, so muß er sich auf die Redekunst verstehen. Um seiner Konversation Nahrung zu geben, muß er sein Gedächtnis mit allen Meisterwerken aus alter und neuer Zeit ausstaffieren. Die schöne Literatur gibt der Rede den artigsten Firnis. Die Kunst der feinen Welt ist die Kunst zu gefallen. Daher wird ein begabter junger Mann sicherlich besser vorwärtskommen, wenn er sich mit einem Wort des Horaz schmückt, als wenn er einen Lehrsatz des Archimedes vorbringt.

Bardus. Mein werter Freund — es tut mir leid — mit diesen Studien, die lediglich Talent voraussetzen, haben Sie sich den Verstand verdorben. Wir Andersgearteten verschmähen eine so seichte Beschäftigung. Wir sind die Erforscher der Natur. Wir gehen den Dingen auf den Grund, während ihr nur über ihre Oberfläche hingleitet. Durch Berechnung einerseits, durch unsere metaphysischen Systeme<284> anderseits reißen wir das, was der Weltschöpfer den Menschen verbergen wollte, aus dem Dunkel hervor. Ihr stellt Worte zusammen. Wir forschen nach Wahrheiten. Und das gibt den großen Männern ihr Gepräge. Sie sind leidenschaftliche Liebhaber der Wahrheiten, sind fortwährend drauf aus, neue zu entdecken.

Argan. Mir deucht aber: wenn solche Wahrheiten gefunden sind, können Ihre Mathematiker und Ihre Metaphysiker sich nicht immer über den Tatbestand einigen.

Bardus. Das kommt bloß daher, weil die einen nichts davon verstehen. Argan. Wer verbürgt uns denn das Wissen der andren? Baröus. Die Berechnungen, die Algebra.

Argan. Die Algebra —! Ich hoffe, die brauchte Ihr Sohn nicht auch noch zu lernen!

Bardus. Ich habe wohl nicht recht gehört? Wissen Sie, was ich ihn noch lernen ließ? Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Koptisch und die Grundzüge des Chinesischen. Denn wenn er sich in all diesen Sprachen schriftlich ausdrücken kann, wird seine Korrespondenz um so nützlicher für den Staat.

Argan. Ich bezweifle denn doch stark, daß zu Nutz und Frommen des preußischen Handels oder der preußischen Politik ein koptischer Briefwechsel angebracht sei. Ich meine, selbst die Algebra braucht höchstens einer, der alte Rechnungen zu entziffern hat, oder ein Finanzkontrolleur.

Bardus. Ist's menschenmöglich, so verkehrtes Zeug zu reden? Merken Sie denn garnicht, daß unser Staat und die ganze Welt nur deshalb so schlecht regiert werden, weil alle, die sich mit Politik befassen, die reinen Ignoranten sind? Von Euklid wissen sie nichts, nichts von der Algebra; sie haben weder das Prinzip des Widerspruchs noch den Satz vom zureichenden Grunde studiert —

Argan. Mein lieber Bardus, Ihr großes Wissen verleitet Sie zu Extravaganzen. Wo denken Sie hin! Mit Algebra den Staat regieren! Von denen, die unsre Führer sein wollen, fordern wir Umsicht und Einsicht, Gründlichkeit und vor allem gerechtes Wesen. Der Herrscher und seine Berater sollen das Vaterland aufrichtig lieben, seine Leiden kennen und heilen. Sie sollen Ehrsucht und Schwäche gleichermaßen meiden, sollen ihrem Volk den Frieden erhalten, aber nicht dulden, daß anmaßende Nachbarn die Majestät des Staates in den Staub ziehen. Sie sollen sich von Parteilichkeit freihalten und ohne Ansehen der Person die Tugend belohnen, das Lasier bestrafen. Und Güte muß in ihnen leben, die letzte Zuflucht aller Unglücklichen, die von Natur und Schicksal verfolgt werden. Braucht man Algebra, um so zu regieren oder den Fürsten zu beraten?

Bardus. Jawohl, man braucht sie! Denn die algebraischen Gleichungen sind der einzige Weg, auf dem wir ins Land der Wahrheit reisen können. Die Schluß<285>folgerungen sind Stationen, die uns immer näher ans Ziel führen. Die Algebra macht den Geist exakt. Wer diese göttliche Wissenschaft kennt, kann niemals auf Irrwege geraten. Sie täten gut daran, Sie ließen Ihre Tochter gleichfalls Algebra studieren.

Argan. Sie wünschen ja, daß ich Julie dem jungen Firlefanz zur Frau gebe. Ich kann aber nicht einsehen, daß sie die Algebra nötig hätten, um Kinder zu kriegen.

Bardus. Überall ist sie nötig! Ich bin ganz entzückt, wenn ich nur dran denke, was für eine niedliche Gelehrtenrasse sie in die Welt setzen werden.

Argan. Nicht so stürmisch! Ich habe mir ausbedungen, daß Julie der Heirat zustimmen muß. Für den Fall, daß sie dagegen ist, erkläre ich Ihnen, ich werde nicht so barbarisch sein, sie zu der Ehe zu zwingen. Wir müßten dann den Plan fallen lassen.

Bardus. Was! Sie sind doch der Vater! Sie werden Ihre Tochter doch nicht erst nach ihrer Meinung fragen, wenn Sie sie verheiraten wollen! Sind Sie nicht Herr in Ihrem Haus? Das ist mir ja eine spaßige Gefälligkeit gegenüber der Tochter! Mein Sohn, das können Sie mir glauben, wird die heiraten, die es mir beliebt, ihm zur Frau zu geben.

Argan. Die Philosophie, auf die es mir ankommt, erschöpft sich nicht in leeren Spekulationen. Sie geht auf eine gute, gesunde Moral aus. Wenn die Natur uns Rechte über unsere Kinder gab, so hat sie gewiß nicht gewollt, daß wir Mißbrauch damit treiben. Wir sind ihre ersten Freunde, aber nicht ihre Tyrannen. Julie ist wohlerzogen, ihr Charakter fehlerlos. Sie sieht auch im vernünftigen Alter. Sie muß es also wissen, ob sie sich entschließen kann, fortan in der Abhängigkeit von Ihrem Sohn zu leben, oder ob ihr das widerstrebt. Erzwungene Heiraten haben nur zu oft unschuldige Herzen um ihre Reinheit gebracht. Eine unglückliche Ehe könnte meine Tochter zu Verfehlungen treiben. Der Himmel bewahre mich davor, solche Verantwortung auf mich zu laden!285-1

Bardus. Wer redet denn jetzt von Moral? Mein Sohn, Verehrtester, hat nach meinem Ableben sechstausend gute Taler Rente. Wissen Sie, daß hier am Ort kein Mensch soviel hat?

Argan. Muß man denn immer den Reichsten den Hof machen?

Bardus. Lieber Freund, ich glaube, Sie haben eine Schwäche für den Mondor, den Hohlkopf, der bei jeder Gelegenheit seinen Virgil, seinen Boileau zitiert. Und wenn ich auf den Klatsch hören wollte, so lernt Fräulein Julie bei ihm nichts als „Seelenschwung“ und „Gefühle“ und „Innerstes“ und so weiter, das ganze verfluchte Kauderwelsch Ihrer Schöngeister, wovon ich nichts versiehe und auch durchaus nichts verstehen will!<286> Argan. Regen Sie sich nicht auf! Ihre Galle ist recht leicht erregbar für eine philosophische Galle. Ich Hab' es Ihnen ja gesagt und wiederhole es: ich lege Ihrem Sohn nichts in den Weg. Aber ich will meine Tochter auch zu nichts zwingen. Sprechen will ich mit ihr und sie auf Firlefanzens Ankunft vorbereiten. Weiter kann ich vorderhand nichts für Sie tun. Die Sache eilt ja nicht. Die jungen Leutchen sollen sich zuvördersi einmal kennen lernen, ehe sie sich heiraten. Überdies sagten Sie mir ja selbst, die Hochzeit solle erst nach der endgültigen Heimkehr Ihres Sohnes von seinen Reisen stattfinden.

Bardus. Ganz richtig. Aber verloben wollen wir das Pärchen schon jetzt.

Argan. Also, ich spreche gleich mit Julie und auch mit meiner Frau. Wenn Firlefanz ankommt, können Sie ihn den Damen bringen. (Ab.)

Dritte Szene

Bardus (allein)

Ein guter Kerl. Aber das rechte Abbild des ganzen Völkchens, das auf der Oberfläche dieser platten Welt herumkraucht. Uns trägt die Philosophie zum Himmel empor; wir bemerken solche Leute kaum. Aber ihr bißchen Vernunft und die unfruchtbare Moral, mit der sie sich brüsten, macht sie so eitel, daß sie sich allen Ernstes einbilden, sie könnten sich mit uns vergleichen. Na, bei meinem Sohn wird das ja ganz anders werden, dank meiner sorgfältigen Erziehungsmethode! Wartet nur, Newton, Leibniz und du, scharfsinniger Malebranche,286-1 von mir kriegt ihr einen Rivalen, der euch alle in den Schatten stellt! — Doch wer kommt da?

Vierte Szene

Bardus. Martin

Bardus. Ah! Mattin! Endlich! Wo bleibt dein Herr?

Martin. Gnädiger Herr, wir kommen arg erschöpft von der Reise, und Ihr Herr Sohn bittet um Erlaubnis, Ihnen seine Aufwartung machen zu dürfen.

Bardus. Was sind denn das für Umstände? Herein mit ihm! Martin. Sofort, gnädiger Herr! (Ab.)

Bardus. Voller Rücksicht und Artigkeit für seinen Vater! Das nenne ich mir einen wohlerzogenen Sohn.

<287>

Fünfte Szene

Bardus. Firlefanz. Martin

Bardus. Heran zu mir, einzige Hoffnung meines Hauses, Ebenbild deines Vaters! In meine Arme, mein teurer Sohn! (Sie küssen sich.) Nun, wie sieht's mit den Monaden? (Der Sohn blickt verlegen drein.)

Martin (mit zuvorkommender Mime). Gnädiger Herr, sie lassen sich ganz ergebenst

empfehlen.

Bardus (zu Martin). Mit dir spreche ich nicht. (Zu seinem Sohn:) Wie sieht's mit

den Monaden?

Firlefanz. Die Monaden, Herr Vater, werden immer noch so hoch geschätzt wie vormals.

Martin. O ja, gnädiger Herr! Wir schätzen sie außerordentlich!

Bardus. Hast du sie auch gründlich studiert?

Firlefanz. Herr Vater, die Monaden —

Martin. Die Monaden, gnädiger Herr, sind unglaublich teuer geworden.

Bardus. Was schwatzest du da? Die Monaden teuer geworden? Das versiehe, wer will!

Firlefanz. Die Sache ist nämlich die, lieber Vater —

Martin. Die Sache ist nämlich die, gnädiger Herr: man wollte uns zuviel dafür abnehmen.

Bardus. Zum Henker! Was soll denn das heißen? Firlefanz. Er meint, daß der Herr Professor mehr dafür verlangt.

Martin. Jawohl, gnädiger Herr. Das Stück Monaden ist so teuer geworden, daß wir keins kaufen konnten!

Bardus. Genug jetzt mit den Späßen! Doktor Difucius,287-1 mein Freund, hat mir fest versprochen, dich zu unterrichten und in unsere metaphysischen Geheimnisse einzuführen. Was macht übrigens seine Antwort auf das üble Machwerk, worin sein System widerlegt wird?

Martin. Er ist noch mit der Aufzählung seiner ersten vierundzwanzig Foliobände beschäftigt, gnädiger Herr. Er muß noch einen Haufen Korr — Korrouladen287-2 und Theoresen und Ar — Ar — Arge-Enten zusammenbringen.<288> Bardus (zu Mattin). Halt' Er den Mund, Schlingel! Ich spreche mit meinem Sohn.

Firlefanz. Der Herr Doktor arbeitet eifrig an seiner Entgegnung, Herr Vater. Sein Fräulein Tochter sagte mir, er sei immerfort damit beschäftigt, irgend jemand zu widerlegen.

Bardus. Wie kann man zwei Jahre in Halle gewesen sein und nicht die Geschichte aller dortigen Widerlegungen in- und auswendig kennen!

Firlefanz. Ja, Herr Vater, das kommt davon, weil ich andauernd in mein Studium versunken war und rein nichts von der Welt erfuhr, als was in meinen Kollegien vorkam und in Ihren Briefen.

Martin. O, gnädiger Herr! Wir haben allzeit mit einer Ausdauer studiert —

Bardus. Du hast wohl gar bei der Tochter Stunden genommen, statt bei dem Vater, dem großen Mann, dem Stolz Deutschlands und der Menschheit?

Firlefanz. Ich versichere Ihnen, Herr Vater, ich habe Ihre Instruktionen bestens befolgt. Ich habe all' meine Kollegien nachgeschrieben.

Martin. Ei freilich, gnädiger Herr. Wir haben unser ganzes Wissen schriftlich in unsrer Reisetasche. Wenn wir's auspacken, werden Sie Mühe haben, uns standzuhalten. Ja, wir sind scharf beschlagen! Ach, hätten Sie nur Ihren Herrn Sohn sehen können, wie er seine Thesen verteidigte: das Herz im Leibe hätte Ihnen gelacht! O ja, wir haben uns einen Namen gemacht! Fabelhaft! Wer's nicht gesehen hat, glaubt's nicht.

Bardus. Ei, ei, das hör' ich gern. Wohlan, mein Junge, da dir meine zärtlichste Fürsorge gilt, habe ich nicht allein an dein Studium gedacht. Ich habe dir auch eine Frau ausgesucht! Jung, schön und liebenswürdig, auch ein bißchen kokett. Ich will dich jetzt mit ihr verloben, und wenn du von deinen Reisen heimkehrst, wirst du sie heiraten. Heut' nachmittag werde ich dich in der Familie vorstellen. Ich hoffe, daß du meinen Plan unterstützest, zumal sie auch noch den Hauptvorzug hat: viel Geld.

Firlefanz (macht eine tiefe Reverenz). Lieber Vater — Bardus. Du wirst bald eine Philosophin aus ihr machen. Firlefanz. Herr Vater —

Bardus. Dann soll mein Haus allein eine ganze Akademie der Wissenschaften aufwiegen.

Firlefanz. Herr Vater — die Ehre und die Genugtuung der Freude, die durch die Rücksicht auf die Zufriedenstellung —<289> Bardus. Du heiratest sie also nach der Heimkehr von deinen Reisen. Ich speise heut bei meinem Freund Fabricius und ersuche dich, dorthin nachzukommen. Ich hole nur erst noch eine lateinische Arbeit von mir, die ich ihm vorzulesen versprochen habe. (Ab.) Firlefanz. Ich werde nicht verfehlen, Herr Vater —

Sechste Szene

Firlefanz. Martin

Firlefanz. Der Teufel soll ihn holen! All ihr hunderttausend Millionen Dämonen, saht ihr in den tiefsten Höllenschlünden je einen unerträglicheren Pedanten? Himmelhageldonnerwetterschockschwerenot noch mal! Was konnt' ich ihm antworten, als er nach den verfluchten Monaden fragte!

Martin. Ja ja, mein teurer Herr, wir hätten wohl etwas mehr studieren dürfen. Hab ich's Ihnen nicht manches Mal gesagt, daß wir daheim eine Aufnahme mit Hindernissen fänden, wenn wir nichts täten als alle Nächte durchbummeln, alle Tage versaufen, zum Zeitvertreib Mädchen verführen, unser Geld verspielen und hinterdrein raufen?

Firlefanz. Das wäre noch das wenigste. Aber der Sappermentspedant geht mir auf die Nerven, auf die Folter spannt er mich mit seinen gottverfluchten Monaden!

Martin. Ich Hab Sie doch aus der Affaire gezogen, so gut ich konnte. Firlefanz. Kriegt er mich aber allein zu fassen, bin ich verloren!

Martin. Sagen Sie nur, in was für einem Buch das Zeug behandelt wird. Dann kauf' ich's Ihnen und Sie studieren's schleunigst.

Firlefanz. Wir haben ja keinen Heller mehr. O verdammt, was ist das für ein Dasein!

Martin. Weil Sie Ihren letzten Taler bei der Madame La Roche draufgehen ließen. Die vermaledeite Karoline hat Sie ganz auf den Hund gebracht.

Firlefanz. Tod und Teufel! Wenn du von Madame La Roche sprichst, erwürge ich dich!

Martin. O je! Das werde ich schön bleiben lassen, sintemal Ihr Vater Sie verheiraten will.

Firlefanz. Was werden die anderen dazu sagen: Adelheid, Chloe, Cephisa, Melanis und die Morgans, die ich elegisch besungen habe?

Martin. Verzweifeln werden sie, die armen Geschöpfe. Wo fänden sie wohl einen Kavalier, der Sie zu ersetzen vermöchte?<290> Firlefanz. Kerl, ich glaube, du wagst zu spotten! Ich nehme es mit jedem auf. Mir hat noch kein Weib widerstanden.

Martin. Weib und Weib ist nicht dasselbe, lieter Herr. Die Weiber, denen Sie bisher nähertraten, waren gegen alle anderen auch nicht grausamer als gegen Sie. Wenn Sie aber eine von den Tugendsamen, von den ungeschliffenen Tugendsamen attackieren, dann können Sie was erleben.

Firlefanz. Dummer Kerl! So eine wird mir mein Lebtag nicht in den Weg kommen.

Martin. Nichtsdestoweniger wüßt' ich eine gewisse Nerine, die sich gegen mich zur Wehr setzt, so lang ich sie kenne.

Firlefanz. Ich danke für den Vergleich. Ein Hanswurst wie du — und ein junger Mann meines Schlags!

Martin. Da haben Sie selbstverständlich recht, lieber Herr. Aber wir haben auch unsere Meriten. Und es kommt öfters vor, daß Frauen lieber den Diener wählen als den Herrn —

Firlefanz. Wird's nicht bald Zeit, den alten Herrn zu treffen?

Martin. Ich glaube, Sie sind schon in Ihre Zukünftige verliebt! Diese Eile, diese Bereitwilligkeit! Mir scheint, Ihre Phantasie ist schon entstammt.

Firlefanz. Schafskopf! Wie kannst du mich für verliebt halten, wo ich doch nur die Veränderung liebe und den Ruhm, viele gefesselte Schönen vor meinen Siegeswagen zu spannen!

Martin. Einmal muß man aber doch haltmachen.

Firlefanz. Man nimmt eben die Kleine, bringt ihr Vermögen mit ihren Rivalinnen durch und läßt sie sitzen, wenn man sie gründlich ruiniert hat.

Martin. Das ist aber wahrhaftig kein anständiges Plänchen. Schämen Sie sich denn garnicht, Herr, kalten Bluts auf das Unglück eines Wesens auszugehen, das Ihnen niemals etwas zuleide tat? Als wir seinerzeit von hier abreisten, waren Sie so brav. Was mußten Sie auch auf die Universität geschickt werden! Das böse Beispiel, das fortgesetzte Luderleben in schrankenloser Freiheit —

Firlefanz. Schweig, du Lump! Bei allen Milliarden Teufeln, hat der Mensch je einen impertinenteren Schlingel gesehen! Gottes Donner! Unterstehst du dich, weiter zu räsonnieren, so sollen mich Beelzebub und Astaroth kriegen, wenn ich dich nicht erdrossele! Folge mir! Es ist Zeit, meinen Vater abzuholen.

Martin. O, o! Das geht übel aus. Entweder für ihn, oder für mich.

<291>

Zweiter Akt

Erste Szene

Julie. Nerine

Julie. New, ich sehe keinen Ausweg. Ich will ihm alles opfern, meine Liebe, mein Leben.

Nerine. Aber, Fräulein, Sie sind zu rasch. Sie kennen doch Ihren Vater. Er ist mild und gut, er wird Sie gewiß nicht zwingen. Wenn er Ihnen von Firlefanz spricht, brauchen Sie ihm nur zu sagen, daß er Ihnen nicht gefällt und Ihr Herz sich für Mondor entschieden hat.

Julie. Wenn mein Herz sich schwach zeigt, muß meine Vernunft dagegen ankämpfen. Ein Vater, der so gut und ehrwürdig ist wie meiner, hat das Recht, von seinen Kindern alles zu fordern. Wenn ich seinem Willen folge, bin ich sicher, niemals fehlzugehen. Was er anordnet, werde ich immer blindlings tun.

Nerine. Was für schöne Gefühle, Fräuleinchen! Die berühmtesten Heldinnen könnten's nicht schöner. Aber lassen wir lieber den Heldenstil, ich bitte Sie, sprechen wir gutbürgerlich von der Heirat. Sie soll doch über Ihr Leben entscheiden! Ich bin gamicht dafür, daß Sie Frau Student werden. Ein Ehemann, der erst noch aufReisen gehen will und wer weiß wie lang auf sich warten läßt, verdient, daß man ihn stehen läßt. Außerdem scheint mir der Mondor hundertmal besser zu Ihnen zu passen. Da haben Sie doch eine reife Frucht. Der andere ist ja noch grün!

Julie. An seiner Reise würde es nicht liegen, wenn ich mich entschlösse, nein zu sagen. Aber ich würde meinen Vater sehr kränken.

Nerine. Ach! Der arme Mondor! Er überlebt es nicht! Sie wollen ihm den Dolch ins Herz stoßen. Mein liebes, gutes, gnädiges Fräulein, könnten Sie wirklich den liebenswürdigsten Kavalier von Berlin zur Verzweiflung treiben?

Julie. Was soll ich tun? Was rätst du mir?<292> Nerine. Sie müssen Ihrem Vater in allem Respekt gestehen, daß Sie Mondor lieben und ihn zum Mann haben wollen.

Julie. Wenn Papa böse würde, ich wäre untröstlich.

Nerine. Ihr Vater hat Sie viel zu lieb, um böse zu werden. Und die Sache selbst ist zu vernünftig, Fräulein. — Doch da kommt ja der Mondor selber.

Zweite Szene

Julie. Nerine. Mondor

Mondor. O ihr Götter! Wäre es Wahrheit, gnädiges Fräulein? Ich höre, ich soll Sie auf ewig verlieren!

Julie. Herr Mondor, Nerine hat mir erzählt, daß mein Vater eine Unterredung mit Herrn Bardus hatte, und daß er mich dem Herrn Firlefanz zur Gattin bestimmt.

Mondor. Und Sie sind einverstanden, gnädiges Fräulein?

Julie. Mein Vater hat mit mir noch nicht darüber gesprochen. Aber Sie wissen, Herr Mondor, Mädchenpflicht kennt kein Verdienst als den Gehorsam.

Mondor. Wie? Sie wären also einverstanden mit meinem Unglück, Sie würden sich sogar zur Mitschuldigen machen? Sie wollen mich zugrunde richten, gnädiges Fräulein! Meine Vernunft, mein Glaube an das Gute, alles — alles wäre dagegen machtlos. Ihre Schönheit, die ich anbete, Ihre Tugenden, denen ich Tempel errichte, sind der Ursprung meiner Liebe. Ich weiß, ich bin nicht wert, Sie zu besitzen, und doch wagte ich, meine Wünsche zum höchsten Glück zu erheben. Ich hoffte. Ach! Wie leicht redet man sich doch ein, was man sich wünscht! Ich sah und fühlte, atmete, lebte nur noch durch Sie. In diesem furchtbaren Augenblick verliere ich meine Herrin und den Frieden meiner Seele zugleich. Denn alle Achtung, die ich Ihnen, mein Fräulein, schulde, kann mich nicht hindern, Rache zu nehmen an dem beglückten Sterblichen, der mich verdrängt. Was habe ich zu verlieren, wenn ich Sie verlor? Das Leben kann mir nur noch eine Last sein, mein einziges Glück der Tod. (Er versinkt in tiefe Traurigkeit.)

Julie. Mondor, hinge es von mir ab, so würden unsere Geschicke auf ewig vereinigt. Ihr Geist, Ihre Tugenden und Talente gleichen aus, was das ungerechte Schicksal Ihnen versagte. Mich verlangt nicht nach äußeren Gütern. All meine Wünsche wären erfüllt, wenn ich Ihnen angehören dürfte. Ja, ich wiederhole es Ihnen: hat mein Herz sich eine Schwachheit vorzuwerfen, so ist es einzig die, daß ich Sie liebte. Alle Welt spendet dem Geliebten Beifall; man fühlt eine Neigung, die von der Vernunft bestärkt wird, fühlt sich unwiderstehlich hingezogen: so ist es mir ergangen. Aber verargen Sie es mir nicht, wenn ich Ihnen zugleich mit diesem Ge<293>ständnis meiner Schwäche ein Beispiel gebe, daß ein Mädchen sein leidenschaftliches Empfinden beherrschen kann. Vernehmen Sie es denn, daß ich aus Ergebenheit gegen meines Vaters Willen bereit bin, meine Gefühle zu ersticken, sollte mich die Überwindung auch das Leben kosten. Nur von meinem Vater und meiner Mutter können Sie mich erlangen. Sie sind mir lieber als die ganze Welt, allein die Kindespfiicht läßt mich Ihnen entsagen.

Mondor. Lebte je eine schönere Seele in so vollkommenem Körper? O Fräulein Julie, Sie beschämen mich, Sie verdoppeln meine Liebe, Sie steigern sie unsagbar. Ich bete Sie an, und ich soll Sie verlieren! Nein, nein! Ich will alle Hebel in Bewegung setzen, ich wage das Äußersie. Ich bitte Ihre Eltern um Ihre Hand —

Nerine. Ich sehe nur ein Hindernis. Mondor. Was ist das? Nerine. Mit Reichtümern sind Sie nicht beladen. Mondor. Wie! Die feilen Gaben des Plutus?

Nerine. Sie spielen bei Frau Argan eine bedeutende Rolle. Das ist der Kapitalpunkt, den wir bedenken müssen.

Mondor. Ich setze all meine Hoffnungen auf die hochherzige Julie. Ohne sie bin ich verloren.

Julie. Soweit es meine Ehre erlaubt, will ich alles für Sie tun. Suchen Sie aber vor allem meine Mutter zu gewinnen.

Nerine. Ich höre was kommen. Gehen Sie! Man darf Sie beide nicht beisammen finden!

Mondor (im Abgehen). Ja, schöne Julie, Ihr Herz ist mein ein und alles, mein Schutzgeist. Nur auf Sie hoffe ich noch.

Dritte Szene

Julie. N e r i n e. Dann Frau Argan (lässig auftretend)

Nerine. Es ist Ihre Mutter. Ich will ihr von unserer Sache sprechen. Julie. Sei ja auf deiner Hut!

Nerine. Ich kenne sie. Lassen Sie mich nur machen. Sie muß ein wenig vorbereitet werden. (zu Frau Argan:) Ist Ihre Migräne noch nicht vorüber, gnädige Frau?

Frau Argan. Ach du lieber Gott! Die Leiden kommen mit Extrapost, aber mit dem Gehen eilt es ihnen nicht. Man mag sich noch so gut pflegen, sie geben sich doch<294> nur Schrittchen für Schrittchen. Die unglückselige Schildwache da an unserer Straßen, ecke, die bringt mich nächstens noch unter die Erde, mit ihrem ewigen „Halt! Wer da?“ — Einen Fauteuil, mein Liebchen, einen Fauteuil! (Nerine bringt einen; Frau Argan nimmt gemächlich Platz.) Ich kann mich kaum mehr aufrecht halten.

Nerine. Ist's wahr, gnädige Frau: es heißt, Sie bekommen heut Besuch?

Frau Argan (zu Julie, in scharfem Ton). Halte dich grade! (Zu Nerine:) Ja, der Sohn von Herrn Bardus ist von der Universität heimgekommen. (Zu Julie, scharf:) Die Schultern mehr zurück! (Zu Nenne:) Und soll zu mir kommen.

Nerine. Es heißt, er soll Ihr Fräulein Tochter heiraten. Und Sie wünschen doch selbstverständlich nicht, daß sie eine Frau Student wird. Das wäre ja zu lächerlich, nicht wahr?

Frau Arg an. Warum denn? Einen Mann soll sie doch haben. Ob's der ist oder ein anderer —

Nerine. Wahrhaftig, gnädige Frau, Sie scherzen. Sie können sich doch keinen Schwiegersohn wünschen, der frisch von der Schulbank kommt. Und obendrein dann immer diesen Herrn Bardus auf dem Buckel zu haben mit seinem Griechisch, seinem Latein und seiner Philosophie, womit er die ganze Stadt anödet.

Frau Argan. O, er ist ja so gelehrt!

Nerine. Als er neulich zu Ihrem Herrn Gemahl kam, traf er mich auf der Treppe und fragte mich, ob ich nicht wüßte, welcher Handwerker die besten Instrumente für die Geometrie mache. Ich sagte ihm, ich hätte keine Ahnung. „O, mein liebes Kind,“ sagte er, „in der Philosophie allein liegt unser Heil. Das Forschen nach der Wahrheit bedeutet unser Glück; du solltest dich auch darauf verlegen.“ Ich machte ihm meinen Knicks. Ich sei seine ergebene Dienerin, sagte ich, und da müsse er sich schon an meinen Herrn wenden. Und dann hat er mich mit seiner Unterhaltung noch verfolgt, in einem ganz vertrackten Kauderwelsch, bis er mich aus dem Gesicht verlor.

Frau Argan. Was hat er denn eigentlich geredet?

Nerine. Ach du meine Güte, ich weiß nicht, gnädige Frau. Er redete was vom leeren Raum, von Horror und von der Natur. Wer weiß, was das für dummes Zeug ist! Soviel aber sieht fest: all die Bücher, die er geschrieben haben will, die sind samt und sonders von seinem dicken Professor verfaßt.

Frau Argan. Was tut denn das? Man kann nicht alles allein machen. Auf alle Fälle hat er Geld, also wird Julchen es gut haben.

Nerine. Schafft das Geld glückliche Ehen?

Frau Argan. Na und ob! Als man mir vorschlug, meinen Mann zu heiraten fragte ich zuerst einmal, was für ein Einkommen er habe. Ich würde ihn ganz gewiß<295> nicht genommen haben, hätte ich mir nicht alles hübsch ausgerechnet und dabei gefunden, daß ich dann bestimmt besser zu leben hätte als Frau von der Tribelwitz — sie ist nicht annähernd so schön eingerichtet wie ich — und Frau Kreuzer, bei der es sehr dürftig hergeht, wie man weiß, oder Frau Turtelmann, die noch nie so hoch gespielt hat wie ich.

Nerine. Aber Ihr Herr Gemahl hat soviel gute Eigenschaften, gnädige Frau —

Frau Argan. Ach Possen! Von den guten Eigenschaften eines Mannes kann man nicht leben! Man muß doch essen und trinken, mein Liebchen, und vor allem seine Bequemlichkeit haben. Wenn man sich abstrapazieren muß, das ist ja kein Leben. Himmel, sind die Menschen dumm, die's besser wissen wollen! Ich habe Gottseidank noch jederzeit alle Frauen unseres Viertels ausgestochen. Manche hat vor Wut darüber die Gelbsucht gekriegt. Und alle platzen vor Neid, daß wir mehr vorstellen!

Nerine. Ich denke grad, wie Sie Fräulein Julie verheiraten könnten, und da kommt mir eine gute Idee. — Der Herr Mondor ist doch ein charmanter, liebenswürdiger junger Mann. Der wird Ihnen sicher besser zusagen als der Firlefanz.

Frau Argan. Aber er hat ja kein Einkommen. Er ist arm wie ein Poet.

Nerine. Leute dieser Art, die soviel Geist haben, machen oft ihr Glück. (Zu Julie:) Vorwärts, Fräulein, vorwärts!

Julie. Ja, liebe Mutter, er verehrt Sie so sehr.

Frau Argan. Was kaufe ich mir für seine Verehrung!

Julie. Mit seinen reizenden Geschichten unterhält er Sie so schön!

Frau Argan. Aber er versieht noch nicht einmal Cavagnole295-1 zu spielen.

Julie. Ihnen zu Liebe wird er alles lemen.

Frau Argan. Laß gut sein, du Grünschnabel, mach mir den Kopf nicht heiß mit deinem lästigen Kram. Ich sehe, dein Vater kommt. Zieh dich jetzt zurück.

Vierte Szene

Argan. Frau Argan (die in ihrem Fauteuil bleibt und den Gatten nur flüchtig grüßt) Frau Argan. Na, was gibt's, mein Herzchen?

Argan. Ich habe mit dir zu reden. Es handelt sich um unsere Tochter: Herr Bardus möchte sie für seinen Sohn haben.<296> Frau Argan. Er ist reich. Weiter braucht es nichts. Auf den Firlefanz hab' ich schon lang Absichten für unsere Tochter. Das Gänschen ist ihn garnicht wert.

Argan. Ich finde ihn ja ganz nett, bin aber auch recht froh, daß ich eine so vernünftige Tochter habe.

Frau Argan. Vernünftig, vernünftig! Schön, vernünftige Tochter! Jawohl, Herr, so sieht sie aus! Bleibt bei den Redouten bis Mitternacht auf, ißt an Operntagen um zehn Uhr Abendbrot!

Argan. Was ist denn Schlimmes dabei? Soll ein junges Mädchen die Passionen einer alten Frau haben?

Frau Argan. Es stimmt allerdings, daß man alt wird. Aber wie du mich genommen hast, war ich jung, mein Schäfchen. Es wird nicht anders gehen, du wirst mich schon so behalten müssen, wie ich bin.

Argan. Ich habe dir dein Alter nicht vorgehalten. Ich habe dir nur ganz einfach gesagt, daß ein Mädchen von achtzehn Jahren nicht den ganzen Tag daheim hocken kann, und daß es Vergnügungen gibt, die man ihm ruhig verstatten darf.

Frau Argan. Vergnügungen sind schreckliche Strapazen. Einmal in meinem Leben war ich in der Komödie, aber zehn Pferde sollen mich nicht mehr hinkriegen! Todkrank war ich von der Geschichte. Drei Wochen konnt' ich nicht vom Bett aufstehen. Gräßliche Strapazen sind das. Das bringt einen ja um. Um drei viertel zehn muß ich eingeschlafen sein, sonst kann ich nicht leben. Mein Fräulein Tochter aber, die ist ganz anders. Die artet nach dir. Na, ich nenne sie ja auch nur noch deine Tochter. Dahingegen mein Sohn, der Leutnant — der arme Junge! Der ist mein Ebenbild. Mein Geist, mein Charakter, mir wie aus den Augen geschnitten!

Argan. Wozu denn diese Erörterungen? Ob die Kinder dem Vater ähneln oder

durchaus der Mutter nachschlagen, das ist ganz gleichgültig, wenn sie bloß ordentliche

Menschen sind.

Frau Argan. Wenn ich an mein armes Christophchen denke! Alle acht Tage muß

er einmal auf Wache ziehen. O, er kommt mir noch um in dieser Garnison. Ich Hab'

ihm wenigstens von meinem guten Kaffee geschickt und Chinatee und einen Rest von

einem hübschen Stoff für einen Schlafrock und ein gutes Daunenbett. Das arme

Kind! Er darf sich garnicht ausziehen, wenn er die Wache hat. Denke doch nur, mein

Schäfchen, so eine ganze Nacht lang in den Kleidern stecken zu müssen!

Argan. Er hat seine Pflicht und Schuldigkeit zu tun. Er soll sich seines Rangs

würdig zeigen. Du aber, liebe Frau, du verwöhnst ihn. Das muß ihn weich und

weibisch machen.

Frau Argan. Jawohl, ich verwöhne ihn auch, den armen Christoph, weil ich nicht

will, daß er mir stirbt. Daß ich dir's nur sage: ich habe auch die Schulden bezahlt,

die er machen mußte.<297> Argan. Das hättest du nicht tun sollen. Ich höre nichts Gutes über ihn. Erführt ein nichtsnutziges Leben. Und du bestärkst ihn noch in seinen Lastern. Frau Argan. Höre mal, Mannchen, ich will dir was sagen: ich habe da so meinen Plan. Ich möchte ihn nach Holland tun. Meine Schwester, die einen Bürgermeister von Rotterdam geheiratet hat, verspricht mir, sie wird Chrisiophchen eine Kompagnie verschaffen.

Argan. Das werde ich niemals dulden. Wir gehören alle dem Vaterland. Dem danken wir unser Dasein und schulden ihm unsere Dienste. Wer soll es verteidigen, wenn wir ihm unseren Arm versagen? Wir haben nicht das Recht, im Ausland zu dienen, es sei denn, daß das Vaterland uns nicht mehr als seine Kinder anerkennt oder keine Verwendung für uns hat.

Frau Argan. Aber hier ist der Dienst so streng! Es wird alles so furchtbar genau genommen! Im holländischen Dienst dagegen, sagt man, tut jeder, was er will. Argan. Daher kommt's aber auch, daß unsere Offiziere mit Ehren dienen und Ruhm ernten, während die anderen dabei ihren guten Namen verlieren, weil sie keine Disziplin haben. Noch einmal, liebe Frau, dazu gebe ich nimmermehr meine Zustimmung. Ein Windbeutel wie unser Sohn muß sich in den unteren Graden die Hörner ablaufen, damit er nachher, wenn er zu den höheren aufsteigt, ein reifes Wesen hat und solide Kenntnisse. — Um aber auf unsere Julie zurückzukommen: du wünschest also —

Frau Argan. Ich wünsche, daß sie den Firlefanz nimmt. Argan. Hast du schon mit ihr darüber gesprochen? Frau Argan. Das war nicht nötig.

Argan. Freilich ist es nötig. Ich will sie gleich fragen, wie sie über die Sache denkt. (Ab.)

Fünfte Szene

Frau Argan (allein)

Armer Mann! Wenn ich dich nicht regierte! Gott sei Dank bin ich ja Herrin in meinem Haus. Es macht mir genug zu schaffen. Was für Sorgen und Mühen hat man davon! Aber trotz alledem, seine Pflicht muß man tun. Meine Tochter nimmt den Mann, den ich ihr gebe. Und mit meinem Sohn, da muß es auch nach meinem Willen gehen, und wenn —

Sechste Szene

Frau Argan. Nerine

Nerine. Drunten ist 'n Fremder, der Sie zu sprechen wünscht. Er sieht ganz so aus, als wär's der bewußte Student. Gleichzeitig läßt auch Herr Mondor höflichst um einen Augenblick Gehör bitten.<298> Frau Argan. Sie sollen eintreten. Du meine Güte, was gibt's für zudringliche Menschen auf der Welt! Was hat man seine Last mit so einem Haushalt! sine heiratsfähige Tochter verursacht mehr Lärm im Haus als ein Katzenkonzert auf dem Dach. Und die jungen Herrchen laufen einem die Bude ein. O, ich wollte, sie wäre schon unter der Haube!

Siebente Szene

Frau Argan. Firlefanz. Mondor. Nerine

Firlefanz (eintretend, zu Nenne). Komm mal her, du süßes Pausbäckchen, du niedliches Burschenfutter du! Auf Ehre, 's ist schade, daß ich nicht bei dir studiert habe.

Nerine. Zu meiner Herrin müssen Sie sprechen, Herr. Ich glaube, Sie schneiden dem ganzen Haus die Kur.

Firlefanz. Gar kein übler Gedanke, mein Schätzchen. (Nähert sich Frau Argan und sagt in pretiösem Ton:) Ich segne den Tag, den so ersehnten Tag, den schmerzlich erwarteten Tag, den schönsten Tag meines Lebens, 0 seltenes, reizendes Wunderbild, da ich das Glück habe, den schönen Stern in Person zu sehen, dessen Ruhm den Schimmer seiner Lieblichkeit bis zu unserer Universität getragen hat. Ja, gnädiges Fräulein, jawohl, Ihre göttlichen Reize machen solches Aufsehen, daß man nicht weiß, ob man Sie der schönen Helena oder Rosamunden oder der schönen Magelone vergleichen soll. Banise war nicht würdig, Ihnen die Schuhriemen zu lösen. Und hätte Prinz Scandor Sie gesehen, er wäre ihr untreu geworden.298-1

Mondor (bricht in ein fürchterliches Gelächter aus).

Firlefanz (fortfahrend). Das ist offenbar Ihr Hofnarr, gnädiges Fräulein, der da so lacht?

Frau Argan. Sie irren, Herr.

Firlefanz. Ja, meine Prinzessin, hätte der Lacher da mich nicht unterbrochen, mein Kompliment hätte viel länger gedauert. Da haben Sie viel versäumt.

Frau Argan. Aber, Herr —

Firlefanz. Ich galt allgemein als der Galanteste von der ganzen Universität. (Mondor lacht noch immer.) Der lacht ja noch! — Und Sie bekommen den gesuchtesten Kavalier von Halle zum Gemahl.

Frau Argan. Aber, Herr, Sie —<299> Firlefanz. Einen Kavalier, der so viel Glück bei Frauen hatte, wie er nur begehrte.

Frau Argan. Herr —

Firlefanz. Der aber all das Glück Ihnen aufopfert. (Mondor lacht.) Zum Donnerwetter, was ist das für ein verdammter Lacher! Frau Argan. Sie irren, Herr: ich bin nicht Julie.

Firlefanz. Was! Sie sind nicht Julie? Da tun Sie mir leid. — Aber zum Teufel, wer sind Sie dann?

Mondor (in ironischem Ton). Sprechen Sie respektvoller mit Frau Argan, Herr! Und lassen Sie sich sagen, Herr, daß der Jargon der Spielhöllen in anständigen Häusern nicht am Platz ist.

Firlefanz. Fürwahr, gnädige Frau, der Irrtum ist begreiflich! Wenn die Mutter selbst so schön ist — Heutzutage kann man die Mädchen und die Frauen garnicht mehr auseinander halten.

Mondor. Welche Sprache! Hat man je in der guten Gesellschaft in solchem Ton geredet?

Frau Argan. Julie soll herkommen. (Zu Firlefanz:) Ich muß sie Ihnen doch vorstellen, Herr. (Nenne ab.)

Mondor (beiseite). O - das ist zum Tollwerden!

Firlefanz (zu Frau Argan). Wenn das Fräulein Ihnen gleicht, dann gibt es eben zwei Weltwunder.

Frau Argan. Ja, ich habe mich immer gut konserviert. Wie ich noch jung war, bin ich nie ohne Schutzlarve in die Sonne gegangen. Ich habe wohl noch Tage, wo ich meine Tochter ausstechen könnte, wenn mir daran läge. Aber bis man sich Schaft löschen gekräuselt hat, das ist eine Heidenarbeit, und überhaupt, wieviel Mühe macht das, bis man ordentlich hergerichtet ist!

Achte Szene

Frau Argan. Firlefanz. Mondor. Julie

Frau Argan. Tritt näher, meine Tochter! Der Herr hier ist dein Bräutigam. Firlefanz. Ja, göttlicher Sprößling eines engelgleichen Stammes, ja, ich werde die Ehre haben, Sie zu heiraten. Ach, sind Sie schön! Hol mich der Teufel, ich bin schon ganz verliebt, als ob ich Sie zehn Jahre kennte. Ha, ha! — Sie wird rot. Sowas von Schamhaftigkeit! Weiß Gott, das hätt' ich nicht geglaubt, daß es sowas gibt. Julie. Ihre Sprache. Herr, versiehe ich nicht.<300> Firlefanz (will sie unters Kinn fassen. Sie weicht zurück). Sie sind so liebreizend — ich wollte, wir könnten beim Schluß der Heiraterei anfangen.

Mondor (leise). Der Kerl ist ja unglaublich! Ich kann nicht länger schweigen.

(laut:) Hören Sie, Herr Student, solange Sie nur zu Frau Argan gesprochen haben, konnte ich mich noch bezwingen. Wenn Sie aber einen flegelhaften Ton gegen das gnädige Fräulein anschlagen, dann haben Sie's mit mir zu tun. Verstehen Sie mich?

Julie (zu Mondor). Um Gotteswillen, beherrschen Sie sich!

Firlefanz. Wissen Sie, Herr Hofnarr, daß ich der renommierteste Fechter der Universität war und Kerle blessiert habe, die stärker als Sie waren und vermutlich besser mit dem Schläger Bescheid wußten?

Mondor. Wissen Sie, Herr Frechling, daß Sie hinausfliegen, wenn Sie so fortfahren?

Firlefanz. Hinausfiiegen! Ich?! — Na, das könnte heiter werden! — Mein Vater wohnt im selben Haus. — Ha! Himmel und Hölle! Zehntausend Dämonen! Heilige Barbara —

Mondor. Ihre Flüche sollten mich wahrhaftig nicht einschüchtern, wenn —

(Julie läuft in peinlicher Verwirrung zu ihrer Mutter.)

Firlefanz. Gottes Donner! Hätte ich meine schwedischen Handschuhe hier, meine Pandurenpistolen und meinen großen Artemisdegen —

Frau Argan (in leidendem Ton). Mein Gott, was machen Sie da für einen Lärm?

Mondor (zu Firlefanz). Ein für allemal: ich fürchte Sie nicht, weder Ihre Person noch Ihren Degen. Aber ich weiß, welche Verehrung und Rücksicht ich den Damen des Hauses schulde. Lernen auch Sie sich beherrschen, zum wenigsten solange Sie hier sind!

Firlefanz. Ah! du hast Angst! Ha! du verruchter Kerl, du infamer! (Er packt ihn beim Kragen. Mondor wehrt sich. Sie stoßen einander über die Bühne hin und her.) Frau Arg an (immer wehleidig). Holla, holla! Hilfe! Warum kommt denn kein Mensch? (Julie läuft fort, ihren Vater zu benachrichtigen. Die Zofe kommt und will beide Liebhaber trennen.) O— der Lärm! O, O,— Ruhe, Ruhe!! (Sie sieht auf.)

Neunte Szene

Die Vorigen. Argan. Nerine

(Während dieser Szene bedrohen Firlefanz und Mondor einander in siummem Spiel, und Julie beschwört Mondor durch Gebärden, sich zu mäßigen.)

Argan. Aber, meine Herren, was soll das heißen? Wie können sich anständige junge Leute so weit vergessen! Wie? In meinem Hause, in Gegenwart meiner Frau und meiner Tochter!<301> Mondor (aufgebracht). Firlefanz (dreist). Er hat mich überfallen, verehrter Herr — Der Hanswurst, verehrter Herr, hat die Unverschämtheit — mir Lebensart beibringen zu wollen!

Argan. So sprechen Sie doch nicht durcheinander! Julie, sag du mir: was bedeutet das? Wie konnte der Streit entstehen?

Julie. Lieber Vater, Herr Firlefanz ist äußerst ungezogen.

Firlefanz. Wie! Schöne Tigerin, charmanter Skorpion, Sie verklagen mich?

Mondor. Herr Argan, Sie kennen mich seit langem. Ich darf wohl hoffen, daß Sie mich nicht für fähig halten, einen solchen Auftritt zu verschulden.

Firlefanz. So ein feiger Lümmel!

Argan. Also was ist denn nun eigentlich los?

Julie. Ach, lieber Vater, er hat Mondor zum Äußersten getrieben.

Firlefanz. Seien Sie still, Herzchen! Sie wissen ja nicht, was Sie sagen.

Frau Argan. Gott im Himmel, bringt sie doch auseinander! Bringt sie doch auseinander!

Argan. Wir wollen ins Nebenzimmer gehen und die Sache in Ruhe untersuchen. (Frau Argan mit Firlefanz, Argan mit Mondor ab.)

Zehnte Szene

Julie. Nerine

Julie. Ach Gott, was soll das werden! Ich zittere, wenn ich mir ausdenke — Mondor wird sich unglücklich machen!

Nerine. Gehen Sie Ihrem Vater nach, Fräulein, lassen Sie ihn nicht allein. Und stehen Sie dem Mondor bei.

Julie. Du hast recht. Aber was soll ich sagen, was kann ich tun? — Mein Gott, wie soll ich ihm denn beistehen?

Nerine. Fragen Sie nur Ihr Herz! Das wird Ihnen am besten raten.

(Julie folgt ihrem Vater.)

Elfte Szene

Nerine (allein)

Höchste Gefahr! Ich muß dem Fräulein heraushelfen! Ich werd' es schon schaffen — (Sie denkt nach.) Wenn ich — oder so — nein, nein — Halt — die da — die La Roche — Ja, so wird's gemacht.

<302>

Zwölfte Szene

Nerine. Martin

Nerine. Da ist ja Martin. — Der kommt mir grade recht.

Martin. Nun, schönes Kind, sprechen wir denn niemals von unseren Privatangelegenheiten?

Nerine. Ich will schon, aber —

Martin. Da gibts gar kein Aber. Du hast mir's versprochen, daß du mich heiratest. Du willst mich doch noch? Oder hast du's auf einen andern? Bist du mir auch noch treu?

Nerine. Ich dir schon! — Aber eh ich dich nehme, stelle ich eine Bedingung.

Martin. Potztausend! Und die wäre?

Nerine. Willst du mich heiraten, so mußt du deinen Herrn aufgeben.

Martin. Das Opfer ließe sich ertragen. Aber warum das?

Nerine. Weil er ein brutaler Ekel ist. Die Manieren, die der Mensch hat! Die Reden, die er führt! Fluchen tut er wie'n alter Dragoner. Ein Narr ist er, weiß Gott, reif fürs Irrenhaus!

Martin. All die schönen Sachen haben wir an der Universität gelernt.

Nerine. O, ich hab' keinen schlechten Zorn auf die Universität. Ich begreife die Väter nicht, daß sie die jungen Herren hinschicken. Wenn sie da weiter nichts lernen!

Martin. Mein Schatz, du mußt auseinanderhalten, was die Professoren den jungen Leuten beibringen und was sie in schlechter Gesellschaft lernen.

Nerine. Ich muß garnichts auseinanderhalten. So viel weiß ich gewiß: ich will nicht, daß dein Flegel mein Fräulein heiratet; und um das zu vereiteln, brauch' ich deine Unterstützung. Bist du dabei, so bin ich die Deine.

Martin. Abgemacht! — Aber was könnte ich dabei tun?

Nerine. Sag mir: was ist eigentlich bei dieser Madame La Roche passiert?

Martin. Du wirst verstehen, mein Schatz —

Nerine. Sag mir's wenigstens ungefähr.

Martin. Nichts Neues, ich versichere dir's. Es war alles sehr gewöhnlich. Höchstens, daß Firlefanz der Karoline einen Wechsel über fünfzig Dukaten ausgestellt hat, zahlbar dem Überbringer, und daß die Karoline den Schein der Madame La Roche abgeben mußte. (Sie flüstern miteinander.)

<303>

Dreizehnte Szene

Nerine. Martin. Merlin

(Merlin macht Nennen ein Zeichen, daß er ihr etwas zu sagen hat. Martin merkt es.)

Martin. Hoho! Was will denn der? (Beiseite:) Ich müßte mich sehr täuschen, wenn das kein Verehrer ist!

Merlin (zu Nerine). Ist's wahr: mein Herr hat sich duelliert?

Martin. Was hast du der Nenne zu sagen?

Merlin. Warum sollt' ich denn nicht mit ihr sprechen?

Martin. Weil mir's nicht paßt.

Merlin. Ich werde aber doch mit ihr sprechen.

Martin. Das wollen wir sehen.

Nerine. Er hat mir ja bloß ein Wort zu sagen.

Martin. Nun seh' mir einer die verschmitzte Kreatur! Der Teufel soll mich holen — ich glaube, sie hat mir schon vor der Zeit einen Streich gespielt. (Merlin will zu Nerine sprechen.) Wenn du nicht sofort machst, daß du hinauskommst, könntest du Prügel besehen.

Merlin. Ich kann drauf rausgeben!

Nerine. Seid ihr verrückt?

Martin. Zieh ab, Schlingel!

Merlin. Wir wollen doch sehen, wer von uns zwei beiden zuerst draußen ist!

Martin. Der Lümmel hat nicht studiert; das merkt man. Ich will ihn hinausbefördern.

(Er läuft auf den andern zu. Sie stoßen sich gegenseitig hinaus.)

Nerine. Ist denn heut alles toll geworden?

<304>

Dritter Akt

Erste Szene

Argan. Bardus

Argan. Mit Mühe habe ich sie schließlich getrennt und der Vorsicht halber Mondor bei meiner Frau gelassen, damit sie auf ihn achtgibt. Ihr Sohn wollte zu Ihnen gehen. So haben wir dem Schlimmsien vorgebeugt und gewinnen Zeit, die Sache endgültig ins reine zu bringen.

Bardus. Dieser Mondor hat ganz bestimmt unrecht; der Geck, der sich selbst bewundert, wenn er nur den Mund auftut. Er wird meinem Firlefanz lächerlich vorgekommen sein. Denn der beschäftigt sich bloß mit den erhabensten Dingen der Menschheit. Wahrscheinlich ist er ihm mit einem mitleidigen Lächeln begegnet. Das hat den anderen gewurmt, und sein aufgeregtes Wesen hat ihn dann zur Unart verleitet. Bei Ihren Schöngeistern muß man ja stets auf Verstöße gefaßt sein.

Argan. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Mondor scheint mir minder schuldig als Ihr Sohn. Mondor hat gewiß eine lebendige Phantasie, ist aber durchaus gesittet. Wenn der Geist allzu beweglich ist, so begeht man leicht einmal eine Torheit. Gesellt sich aber Vernunft zu dem inneren Feuer, so vermag der Geist frisch aufzufassen, Gedanken leicht zu verweben und funkelnd lebendig zu antworten. Und das ist ja eben der Vorzug, den wir den Schöngeistern zuerkennen: daß sie mehr und besser denken als die Menge.

Bardus. Nach Ihrer Definition sind also die Algebrakundigen die einzigen wahren Schöngeister. Und Ihr Mondor ist ein windiger Bruder, dem die schönen Vergleiche seines Virgil und seines Horaz so zu Kopf steigen, daß er die Frechheit hat, sich mit meinem Sohn zu messen. Hätte ich nicht gerade mit meinem Professor über die Gleichung einer wunderbaren neuen Kurve reden müssen, die ich für mein Buch verwerten will, so hätte ich Firlefanz bei seinem Besuch begleitet. Allerdings hätte ich kaum die Zeit gefunden. Es war ein Freund da, der ihn nach Holland und dann nach Frankreich mitnehmen will.<305> Argan. Sie sind also entschlossen, ihn auf Reisen zu schicken?

Bardus. Gewiß. Er soll mir sämtliche Professoren Deutschlands und Hollands kennen lernen, danach in Frankreich mit der feinen Welt verkehren und schließlich nach England gehen, um gründlich zu werden.

Argan. Wenn ich Ihnen raten darf, lassen Sie Ihren Sohn erst hier im Land ein fertiger Mensch werden und hinterher auf Reisen gehen. Senden die Väter ihre Kinder zu früh ins Ausland, bevor ihr Charakter gefestigt ist, so wählen sie verkehrt und nehmen nur die Lasier und lächerlichen Bräuche der anderen Nationen an. Sie verschleudern ihr Geld, und das ganze Reisen bringt weiter nichts ein als irgend eine ftivole neue Mode und dazu vielleicht eine Frisur wie ein Königspapagei oder ein Rabenschnabel. Das lohnt wahrhaftig nicht die Unkosten.

Bardus. Oho! Mein Sohn ist keiner von der Sorte. Übrigens möchte ich Ihnen nur noch sagen, daß mein Vetter einen Sohn, der erzdumm war, nach Frankreich sandte, um sich dort Geist anzueignen.

Argan. Nun und? Hat er sich ihn angeeignet?

Bardus. Das nicht. Er ist noch nicht zurück. Von meinem Sohn aber verlange ich, daß er dort nur mit Herzögen und Pairs verkehrt und mit Philosophen.

Argan. Seine Abkunft wird ihn den Pairs und Herzögen fernhalten. Bardus. Aber er ist doch so gelehrt!

Argan. Ich wiederhole Ihnen, mein Bester, man ist in Frankreich zwar sehr Höft lich und hat für den Fremden tausend Artigkeiten; aber bilden Sie sich ja nicht ein, man wolle sich dort in den guten Häusern mit dem Zurechtstutzen unserer jungen Leute plagen, die frisch von der Schulbank kommen. Man muß liebenswürdig sein; das ist der Freipaß für die gute Gesellschaft. Ein junger Mensch, der nicht fertig er, zogen in Frankreich ankommt, kann sich drauf gefaßt machen, daß er nirgends auft genommen wird. Dann bleibt ihm der Umgang mit Theatermädchen und Stutzern, und schließlich kehrt er schlechter erzogen heim, als er fortreiste.

Bardus. Und trotz alledem gehört sich's, daß ein junger Mann sich in der Welt umsieht.

Argan. Was soll er denn eigentlich werden?

Bardus. Zum Militär lasse ich ihn keinesfalls. Es wäre jammerschade, wenn er im Krieg umkäme. Er ist doch mein einziger Sohn, die Stütze meines Hauses.

Argan. Sie wünschen aber doch, daß er irgend etwas anfängt?

Bardus. Zur Finanz kann ich ihn auch nicht geben. Es hieße die Würde der Philosophie prostituieren, wenn er sich zu einer so gemeinen Beschäftigung hergäbe.

Argan. Was wollen Sie ihn aber werden lassen?<306> Bardus. Er soll in den Richtersiand eintreten.

Argan. Der Richtersiand ist eben erst von allen Mißbrauchen gesäubert worden.306-1 Bei unserer neuen Prozeßordnung kann die Rechtsverdreherei verhungern.

Bardus. Ach, mein Lieber, sowie ihr die Klauen beschnitten sind, wachsen sie wieder nach. Es war einmal ein Richter, bei dem verlor mein Großvater Aristoteles Bardus einen Prozeß. Dafür soll jetzt mein Sohn Richter werden und meine Familie rächen. Das Geld, das wir damals durch die Justiz verloren, soll er uns wieder heimholen.

Argan. Das können Sie natürlich halten, wie Sie wollen. Aber wozu wollen Sie dann den Sohn auf Reisen schicken?

Bardus. Ich Hab' es nun einmal so beschlossen. Und da mein Freund, der ihn mitnehmen will, schon morgen abreist, müssen wir die Verlobung unserer Kinder noch heute abend zustande bringen.

Argan. Ich habe ja nichts dagegen, vorausgesetzt, daß die heutige Affaire —

Zweite Szene

Bardus. Argan. Nerine

Nerine (zu Argan, in dringlichem Ton). Gnädiger Herr, gnädiger Herr! Gnädige Frau läßt Ihnen sagen —

Argan. Was denn?

Bardus. Haben sie sich duelliert?

Nerine. Nein, gnädiger Herr.

Argan. Hat es schon wieder einen Auftritt gegeben?

Nerine. Nein, gnädiger Herr.

Bardus. Ja zum Henker, so sag' uns doch, was los ist!

Nerine (zu Argan). Gnädige Frau läßt Ihnen sagen: anstatt zu seinem Herrn Vater zu gehen, ist Herr Firlefanz fortgelaufen, und kein Mensch weiß, wohin.

Argan. Nun und?

Nerine. Meiner Treu, er ist fort. Und nun fürchten wir, er will sich mit Herrn Mondor schlagen, sobald der das Haus verläßt.

Bardus. Dazu ist er viel zu vernünftig. Weiter war's nichts? Da brauchst du dich nicht zu ängstigen, mein Kind.<307> Argan. Ich bitte um Vergebung. Die Angelegenheit kann weit ernstere Folgen haben, als Sie sich vorstellen. Hier müssen wir alle erdenkliche Vorsicht aufwenden, um dem Unheil vorzubeugen. (Zu Nerine:) Ist Mondor noch bei meiner Frau?

Nerine. Jawohl, gnädiger Herr.

Argan. Rufe sie beide her!

(Nerine ab, um ihre Herrin und Mondor zu holen.)

Dritte Szene

Argan. Bardus

Argan. Wir wissen nur zu gut, wohin Händel dieser Art führen können. Wir haben Beispiele genug vor Augen. Ich bitte Sie, behandeln Sie die Sache nicht als Bagatelle. Helfen Sie mir, die drohende Gefahr abzuwenden!

Bardus. Niemand als dieser verdammte Schöngeist ist schuld an dem ganzen Radau. Werfen Sie den Kerl doch hinaus!

Argan. Es ist ein hochgebildeter junger Mann, von glänzenden Geistesgaben, wie ich sie noch bei keinem fand. Sein Charakter ist von einer Sanftmut —

Bardus. Schöne Sanftmut! Und insultiert mir meinen Sohn!

Vierte Szene

Argan. Bardus. Frau Argan. Mondor. Nerine

Frau Argan (zu ihrem Gatten). Du bringst mich heut noch um, Dickerchen. Der verfluchte Spektakel kostet mich meine Spielpartie heut abend. Nein, nein, wahrhaft tig, es ist die höchste Zeit, daß wir unser hochnäsiges Fräulein unter die Haube kriegen, sonst gibt's keine Ruhe mehr im Haus!

Argan. Ah! Da ist Mondor. Also brauchen wir nichts zu befürchten.

Bardus (wütend). Na, haben wir Sie also da, Herr Krakehler! Wie kommen Sie dazu, meinen Sohn zu insultieren? Wollen Sie uns nicht ein paar Verse zitieren, die zu derartigen Dummheiten einladen? Sie haben ja genug ungereimtes Zeug im Kopf!

Mondor. Ich sehe schon, Herr Bardus, Ihr Haß gegen die schöne Literatur verschlimmert noch den unseligen Streit, den ich mit Ihrem Sohn hatte.

Bardus (brummt zwischen den Zähnen). Lump, Halunke!

Argan. Mäßigen Sie sich doch, Herr Bardus! Wie kommt soviel Galle in eine Philosophenseele?<308> Bardus. Wenn er mich doch beleidigt, wenn er mich in der Person meines Sohnes beschimpft! Sehen Sie doch bloß, wie er sich hat — die süßliche Miene!

Nerine (zu Frau Argan). Hahaha! Unser Herr Philosoph erhitzt sich, gnädige Frau. O, der gewaltige Zorn, hahaha!

Frau Argan. Wirst du wohl den Mund halten?

Bardus. Um ihn zu strafen, wollen wir unsere Kinder in seiner Gegenwart verloben.

Mondor. Himmel! Was muß ich hören! Frau Argan. Ganz vortrefflich, Herr Bardus.

Mondor (wirft sich vor Frau Argan auf die Knie). Das ist zuviel. Ich beschwöre Sie, gnädige Frau, treiben Sie mich nicht zur Verzweiflung! Bedenken Sie, in welcher Lage ich bin! Übereilen Sie nichts! Nur die Achtung vor Ihnen hat mich abgehalten, an meinem Gegner Rache zu nehmen. Ich habe Ihnen alles geopfert.

Frau Argan. Ausgezeichnet! Ich bin Ihnen sehr verbunden. Aber meine Tochter soll heiraten, und Sie, Monsieur, kriegen sie nicht. Verstehen Sie mich?

Mondor (aufstehend). Dann bleibt mir also nur noch der Tod. Bardus. Stirb schleunigst! Das ist das Beste, was du tun kannst. Frau Argan (zu Nenne). Rufe meine Tochter. (Nenne ab.)

Fünfte Szene

Die Vorigen. Julie und Nerine

Frau Argan. Wir müssen ein Ende machen. Mein Mann kommt ja zu keinem Entschluß. (Zu Julie:) Tritt näher! Du weißt, daß ich dir Firlefanz zum Mann bestimmt habe. Und ich will, daß du ihn nimmst.

Julie. Frau Mutter, Sie kennen meine Folgsamkeit, Sie wissen, wie ich mich jedem Ihrer Befehle unterwerfe. Ich kenne meine Pflicht, ich werde sie nie verletzen. Aber wenn meine Bitten Sie rühren können, wenn die mütterliche Zärtlichkeit noch etwas über Ihr Herz vermag, so haben Sie Erbarmen und stehen von einer Heirat ab, die mich zeitlebens unglücklich macht. Ich bekenne es Ihnen offen, niemals brächte ich es über mich, den Gatten zu lieben, den Sie für mich bestimmt haben. Vom ersten Augenblick an hat er mir nur Abneigung eingeflößt, und die Zeit wird daran nichts ändern. Und wenn ich auch mit aller Kraft meiner Tugend dagegen ankämpfe, so könnte ich doch nicht —

Bardus. Immer besser, immer besser! (Zu Argan:) Verehrter Freund, Sie haben Ihre Tochter sehr schlecht erzogen. Hören Sie nur, wie sie räsonniert! Sapperlot,<309> ich glaube, sie hat Ihre gütige Zustimmung nicht abgewartet, um ihre Wahl zu treffen. Eine heimliche Anziehungskraft hat ihr Herz geradlinig angezogen — Sie verstehen — der süße Herr da verdirbt Ihnen das ganze Geschäft.

Julie. Legen Sie meine Gefühle aus, wie Sie wollen, Herr Bardus. Aber nach dem Benehmen Ihres Herrn Sohnes bei der ersten Begegnung ist es nicht zu verwundern, daß ich mich beklage.

Nerine. Das Fräulein hat recht. Sowas von einem Erzflegel wie Ihr Herr Student ist noch nicht dagewesen. Der geht sofort aufs Ganze!

Bardus. Bei mir haben die Kammermädchen nichts dreinzureden, mein Herzchen. (Zu Argan:) Wie ist's möglich, daß Sie sich so ein ungewaschenes Gerede gefallen lassen? Wie können Sie sich dem Gekeife solcher Ignorantinnen aussetzen?

Nerine. Ich Hab' freilich nicht Philosophie studiert wie Sie, Herr Bardus. Aber ich Hab' so viel gesunden Menschenverstand wie andere Leute auch. Und wenn ich Unverschämtheiten sehe, dann mach' ich den Mund auf!

Argan. Sie ist ein gutes Mädchen. Nur ein bißchen lebhaft.

Bardus. Fräulein Julie, an Ihrem Hochzeitstag werden Sie die Güte haben, dies steche Weibsbild hinauszuwerfen.

Nerine. Sie vergessen ja, daß Sie ein Philosoph sind, gnädiger Herr. Sie fuchsen sich so arg: eine Ignorantin wie ich könnt's auch nicht schöner.

Frau Argan. Jetzt aber Schluß! Schluß, sag' ich! Das geht mir alles auf die Nerven und verschlimmert meine Migräne dermaßen —

Julie. Bei allem, was Ihnen teuer ist, liebe Mutter, machen Sie mich nicht unglücklich für mein ganzes Leben, nur weil Ihnen jetzt die Geduld reißt.

Argan. Fürchte nichts, mein Kind. Aber sei auch du vernünftig.

Frau Argan. Wo bleibt er denn nun, der Zukünftige? Er läßt ja stark auf sich warten —

Sechste Szene

Die Vorigen. Merlin (bringt Mondor einen Brief)

Merlin (zu Mondor). Ein Brief, gnädiger Herr, ein eiliger Brief! Bardus. Hoho! Was bedeutet das?

Argan (zu Bardus). Ich fürchte, es ist die Forderung. (Zu Mondor:) Erlauben Sie uns einen Blick in diesen Brief? Wir haben guten Grund dazu. (El greift nach dem Brief.)

Mondor. Lesen Sie nur, bitte! Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen.<310> Argan (den Brief öffnend). Sie werden meine Gründe bald verstehen. (El liest:)

„Ihr Verdienst, Herr Mondor, ist bis zum Hofe gedrungen. Der Fürst kennt Ihr Talent und Ihre Armut. Er bietet Ihnen eine Stellung an seinem Hofe, die alles wieder gutmachen soll, was das Geschick Ihnen bis Hieher zuleide tat. Beeilen Sie sich, ihm zu danken und zu beweisen, daß Erkenntlichkeit nicht die

geringste Ihrer Tugenden ist.

Hermotime.“

Argan (ihm den Brief wiedergebend). Verzeihen Sie meinen Argwohn; er galt nicht Ihnen. Um so mehr freue ich mich, daß ich Ihnen diese gute Botschaft bekannt geben durfte. In wahrer Freundschaft nehme ich Anteil an Ihrem Glück.

Bardus (für sich). Charakterloser Speichellecker! (Zu Argan:) Sie werfen sich ihm wohl gleich zu Füßen, weil er zu Hofe gehen soll. Ich für mein Teil verachte ihn jetzt erst recht.

Iulie (zu Nenne). O Gott, könnte diese glückliche Wendung doch meine Mutter umstimmen!

Argan (zu Bardus). Die Komplimente, die ich ihm mache, sind ehrlich gemeint. Und Sie müssen selbst bezeugen, daß ich seinen Verdiensten zuvor schon gerecht ward. Wenn ich den Manneswert achte, dem hohe Gunst widerfährt, so ist das etwas an, deres, als wenn ich mich vor den letzten Domestiken der Großen erniedrigen würde. Mag er auch künftig bei Hofe sein, so ist er doch mein Freund, nach wie vor. Wiewohl ich nur aus dem guten Bürgerstand bin, fühle ich mich doch in meinem Herzen viel zu stolz, um vor Bedienten zu kriechen. Den Großen kann man keinen ärgeren Schimpf antun, als wenn man glaubt, durch Schmeichelei gegen ihre Umgebung mache man sich bei ihnen beliebt.

Mondor. Ich verdiene die Ehre nicht, die der Fürst mir erweist. Aber vielleicht finden Sie nun, daß ich in meiner neuen Lebenslage wagen dürfte —

Frau Argan. Er kommt also wirklich an den Hof?

Bardus. Der Hof hat den Verstand verloren! Auf das wahre Verdienst versieht er sich nicht. Meinen Sohn hätte ich auch bei Hofe unterbringen können, aber ich werde mich schön hüten.

Siebente Szene

Die Vorigen. Martin (ganz außer Atem ankommend)

Martin. Ach, gnädiger Herr! Ach, was für ein schweres Malheur! Alles ist aus, alles ist aus!

Bardus. Es kommt immer besser! Na — was hast du uns denn zu sagen? Mußt du so schreien?<311> Martin. Gnädiger Herr, Ihr Sohn — Der Kummer bringt mich um, wenn ich bloß dran denke —

Bardus. An was denn?

Martin. Gnädiger Herr, Ihr Sohn — ach, so ein guter Herr, so ein lieber Herr —

ach!

Bardus. Wird's endlich?!

Martin. Vergönnen Sie meinem Schmerz einen Augenblick Zeit — Uff! Ich kann nicht mehr. (Er weint.)

Bardus. Mach ein Ende, oder zum Teufel —

Martin. Die Polizei war so unhöflich, ihn zu arretieren, gnädiger Herr.

Bardus. Was soll das heißen?

Martin. Daß er im Gefängnis sitzt, gnädiger Herr.

Argan. Wer? Firlefanz ist im Gefängnis?

Martin. Ach! Leider ja, gnädiger Herr.

Bardus. Aber so sprich doch! Was hat er getan? Wann, wie, warum wurde er arretiert?

Martin. Sie wünschen eine Beschreibung davon? So wappnen Sie sich mit Geduld und hören Sie zu! (Er hustet, spuckt und schnaubt.) Die Sonne hatte kaum ihren Lauf vollendet und sich an Phöbus' Busen gebettet, da sprach Firlefanz zu mir: Wohlan, Genosse meines Ruhmes und meiner Studien, Zeit ist's, durch einen glänzenden Streich Rache zu nehmen für das unmenschliche Benehmen der Madame La Röche —

Frau Argan. Madame La Roche — wer ist das? Kenne ich nicht.

Martin. Nur Geduld, gnädige Frau, Sie werden gleich Bescheid wissen. (Mit Emphase:) Ohne großes Gefolge brechen wir von hier auf, als einziges Gewaffen eine Schleuder mit uns führend. Endlich langen wir in der Sackgasse der Hexe an. Firlefanz erhebt seine Stimme und richtet in seiner edlen Art die Frage an sie: Madame, wollen Sie mir jetzt den Wechsel, zahlbar dem Überbringer, zurückgeben?

Bardus. Was für einen Wechsel, zahlbar dem Überbringer?

Martin. Einen auf fünfzig Dukaten', den mein Herr ihr ausgestellt hatte.

Bardus. Wann?

Martin. Während der beiden Tage, als wir bei ihr logierten.

Argan. Was! Dieser Mustersohn?

Bardus (zu Mattin). Er war schon zwei Tage hier! — Weiter!<312> Martin. Also er spricht zu ihr: Madame, wollen Sie sie herausrücken, diese verhängnisvolle Urkunde? Sie weigert sich, und der Krieg wird erklärt. Die Mädchen räumen, flüchtigen Nymphen gleich, sofort die Gefilde, die Mars zu verwüsten droht. Marie, die Zimperliche, und Liese, die Hagere, und Manon, die Fidele, und Karoline, sie alle suchen anderwärts ein Obdach. Mit Kieselsteinen, die auf der Straße gehäuft lagen, bewaffnen wir unsere hochherzigen Arme, kraftvoll schleudern wir sie gegen die Fenster, und eine Viertelstunde später ist keines mehr vorhanden. Dann zerschmettem wir die Spiegel, zerbrechen die Stühle, zuletzt das Porzellan — und es war so ein schöner Meißner Affe dabei! Ach, war das schade, gnädiger Herr! Er war so schön wie einer aus Japan.

Bardus. Kerl! Kommst du nun zum Schluß?

Martin. Ich komme. — Schließlich alarmiert unser Schlachtlärm das ganze Viertel. Ein dienstfertiger Herr von Stande will die Friedensverhandlungen einleiten. Aber wir kennen nichts mehr als Krieg. Wir wollen nichts von Unterhändlern wissen. Wir befördern ihn die Stiegen hinunter.

Bardus. Ist er gefallen?

Martin. Der Länge nach kopfüber! (Mit Emphase:) Der Lärm verzwiefacht sich; Hilfstruppen rücken an.

Bardus. Was für Hilfstruppen denn?

Martin. Die Lakaien des Unterhändlers, gnädiger Herr. (Mit Emphase:) Alles erhitzt sich, man wird handgemein, der eine auf Hieb, der andere auf Stoß. In dieser höchsten Gefahr bewährt sich der hochsinnige Firlefanz hervorragend. Wie ein Rasender stürzt er sich auf seine Gegner. Und ich, ich folgte dem roten Helmbusch, der über seinem Haupte wallte; er führte mich die Bahn des Ruhms.312-1 Überall lichtet sich's. Die Feinde wanken, weichen! Aber, o Schmerz! O Schmach! O schaudervolle Schicksalstücke! — Schon glauben wir den wohlverdienten Sieg in Händen zu halten, da kommt die plumpe Polizei mit ihrem ganzen stechen Aufzug daher. Mein Herr wird umstellt und gepackt, gefesselt. In diesem bösen Augenblick, da wir aus Siegern zu Besiegten werden, denk' ich an den Rückzug. Hundert kräftige Stockschläge regnet's auf meinen Rücken. Alsbald trete ich den Rückzug an — durchs Fenster, um den Weg abzukürzen — und flüchte durch den Garten. Auf einem Umweg folg' ich dem traurigen Zug und sehe Ihren Sohn ins Gefängnis führen.

Bardus. O Himmel! Ist es denn denkbar!

Frau Argan. Mich intrigiert nur diese Madame La Roche —<313> Bardus. Der Philosophie eine solche Schmach anzutun!

Argan. Ja, Herr Bardus, Ihr Sohn hat ein bißchen zuviel Dummheiten an einem Tag gemacht.

Bardus. Ich setze Staat und Justiz in Bewegung: mein Sohn muß steige, lassen werden!

Argan. Ganz, wie es Ihnen beliebt. Aber auf meine Julie muß er verzichten. (Bardus ab.)

Letzte Szene

Dieselben .

Frau Argan. Es ist doch schrecklich, alle Welt nennt sich heutzutage Madame, und diese Kreatur —

Julie. O Gott — ich atme auf. (Sie nähert sich dem Vater und wirft sich vor ihm auf

die Knie.) Lassen Sie mich Ihnen danken, lieber Vater, daß Sie mir zum zweitenmal das Leben schenken, indem Sie mich von einem Menschen befreien, der mein ganzes Leben mit Bitternis erfüllt hätte.

Mondor (wirft sich ebenfalls auf die Knie). Machen Sie Ihre Güte vollkommen und vereinen Sie zwei Herzen, die längst durch gleiches Empfinden verbunden sind. Mein neues Geschick ist mir nur darum lieb, weil ich nun minder unwürdig bin, Julie zu besitzen.

Julie. Wir erwarten alles von Ihrer Großmut, lieber Vater.

Mondor. Ich gehöre Ihnen ja schon durch meine Achtung und Verehrung für Sie.

Argan. Steht auf, meine Kinder! (Er umarmt sie.) Ja, Mondor, Ihnen gebe ich meine Tochter. Über Ihr Verdienst war ich mir nie im unklaren. Ich hätte mich schon früher für Sie entschieden, aber die Vereinbarung meiner Frau mit Herrn Bardus hat mich gehemmt.

Frau Argan. Ja, ja, Dickerchen, die Vereinbarungen, die „meine Frau“ trifft, sind wohlgetrossen.

Mondor. Geben auch Sie uns Ihre Einwilligung, auf daß unsere Freude vollkommen sei.

Frau Argan. Wenn Ihr Gehalt gut ist und der Fürst Ihnen viel Schönes schenkt.

Argan. Mach' dich doch endlich von deiner blinden Anbetung des Reichtums frei! Wenn die liebe von der Achtung gekrönt wird, dann gibt es eine glückliche Ehe.<314> Und laß dir gesagt sein, daß Vernunft und Tugend sich oftmals das Glück erzwungen haben.

Frau Argan. Nun gut, gut, Männchen, ich gebe meine Zustimmung auch. Es ist allemal ein Glück, wenn man eine Tochter los wird.

Mondor. Julie! Sie sind mein ganzes Glück. Könnte ich doch auch Sie glücklich machen!

Julie. Ich habe Ihr Herz, Mondor. Was bliebe mir noch zu wünschen? Nerine. Ach, guter Martin! Was soll nun wohl aus dir werden? Martin. Meiner Treu, ich gebe meinen Herrn auf! Nerine. Ja, aber man muß auch was zum Leben haben.

Martin. O, darum sorge dich nicht! Ich werde Merkur bei irgend einem Minister. Auf die Art kann's einer zu den höchsten Stellungen in der Finanz bringen. Und wenn mein Amt mich mästet, wirst du meine Frau.

Argan. Kommt! Feiern wir den Ausgang dieses glücklichen Tages!


283-1 Vielleicht ein Stich auf Marquis d'Argens, den Verfasser der „Lettres juives“ (vgl. Bd. VIII, S. 132ff.).

283-2 Jacques Cujas (Cujacius), französischer Rechtslehrer (1522—1590); Bartolo (1314 bis 1357), italienischer Rechtslehrer.

285-1 Vgl.Bd.VIII,S.266.

286-1 Vgl. Bd. VIII, S. 40 f.

287-1 Als König Friedrich das Lustspiel verfaßte, hatte er sich unter Maupertuis' Einfluß bereits innerlich von der Leibniz-Wolffschen Philosophie abgewandt. Mit dem verspotteten Doktor Difucius ist danach Christian Wolff selber gemeint. Vgl. für Wolff Bd. I, S. 215; II, S. 46 und VIII, S. 260.

287-2 Entstellt aus dem französischen Wort corollaire, das soviel wie Folgesatz bedeutet.

295-1 Ein Glücksspiel mit Kugeln oder Karten, die aus einem Beutel gezogen werden, eine Art Zahlenlotterie.

298-1 Banise und Scandor sind die Hauptfiguren des Romans „Die asiatische Banise“ von Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphansen (Leipzig 1688).

306-1 Anspielung auf die Coccejische Justizreform (vgl. Bd. III, S.7f.; VII, S. 118: VIII, S. 36).

312-1 Scherzhafte Anspielung auf die Worte König Heinrichs l V. von Frankreich am Tage der Schlacht bei Jorn (1590): „Folgt meinem weißen Helmbusch! Ibr werdet ihn stets auf der Bahn der Ehre und des Ruhmes sehen!“