<VI> bei dem Dichter der „Henriade“. Seine Poesien wandern zu Voltaire, um mit dessen Korrekturen und Belehrungen wieder in seine Hände zurückzukehren.

Seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre regte Friedrichs poetischer Genius immer mächtiger die Schwingen. Den Höhepunkt erreichte sein literarisches und dichterisches Schassen in dem Jahrzehnt nach dem Dresdener Friedensschluß. Damals erfolgte auch die Herausgabe der „Œuvres du philosophe de Sanssoucci“. Sie waren zunächst auf drei Bände berechnet; einer umfaßte die „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg“, die beiden anderen dagegen Poesien, darunter das komische Heldenepos „Das Palladion“. Ältere Dichtungen, die er umarbeitete, vereinte er mit neuen.

Schon lagen die beiden Gedichtbände der „Œuvres“ gedruckt vor, als Voltaire auf die dringende Einladung des Königs am 10. Juli 1750 in Potsdam eintraf. Sofort schritt Friedrich zu einer Revision, an der der Dichter der „Henriade“ tätigsten Anteil nahm. Von großem Interesse ist das Urteil, das Voltaire wenige Wochen nach seiner Ankunft in einem Briefe an seinen Pariser Freund Graf d'Argental über den König und seine Arbeiten fällt. Er vergleicht ihn mit Mark Aurel, „davon abgesehen, daß Mark Aurel keine Verse machte, er aber ausgezeichnete macht, sobald er sich die Mühe gibt, sie zu korrigieren.“ Dann fährt er fort: „Er besitzt mehr Einbildungskraft als ich, aber ich habe mehr Routine als er. Ich benutze das Vertrauen, das er zu mir hat, um ihm die Wahrheit zu sagen, kühner, als ich sie Marmontel oder d'Arnaud oder meiner Nichte sagen würde. Er schickt mich nicht in die Steinbrüche für meine Kritik seiner Verse;1 er dankt mir, er korrigiert sie, und besser noch als ich. Er hat einige gemacht, die bewundernswert sind.“

Die Kritik, die Voltaire an Friedrichs Poesien übte, war höchst eingehend. Sie erstreckte sich auf alles, auf die elementaren Regeln der Formenlehre, auf unfranzöfische Vokabeln, wie auf die metrischen Gesetze, auf Silbenzählung, Reime, Versbildung, auf die dichterische Sprache. Neben der Poetik im engeren Sinne wurde die Rhetorik berücksichtigt. Er tadelte Gedankensprünge und fehlende Übergänge, allzu häufige Wiederkehr besonderer Lieblingsausdrücke, die Anwendung von Flickworten. Auch an sachlichen Einwänden fehlte es nicht, während sich durch beide Bände gleichmäßig die Mahnung zog, zu sireichen und zu kürzen. Ein Vergleich der neuen mit der alten Ausgabe zeigt, daß Friedrich tatsächlich eine große Reihe der Voltaireschen Verbesserungsvorschläge, einzelne Worte und Wendungen, aber auch ganze Verse ohne weiteres übernommen hat, daß er sie aber keineswegs immer blind, lings guthieß. In den meisten Fällen hat sich der Franzose indessen damit begnügt, auf die Fehler hinzuweisen und ihre Richtigstellung dem Poeten zu überlassen.

Infolge des Zerwürfnisses, das mit Voltaires Abreise im Frühjahr 1753 endete, blieb der zweite Poesienband liegen; dem königlichen Autor war die Lust an seiner


1 Wie der Tyrann Dionys von Syratus den Dichter Philorenos.