<103>Was ihm auf dem Felde der Theologie unklar blieb, suchte Friedrich nun durch um so gründlicheres Studium der Philosophie zu erwerben. Wolff, jener berühmte Gelehrte, der durch Friedrich Wilhelm aus Halle verbannt war, behauptete zu jener Zeit den ersten Platz in der philosophischen Wissenschaft. Seine Schriften wurden von den Gebildeten mit freudigem Dank aufgenommen. Auch Friedrich wurde durch seine Freunde an diese Quelle geführt. Er ließ sich Wolffs Logik, seine Moral, seine Metaphysik ins Französische übersetzen (denn schon hatte er sich gewöhnt, seine Gedanken nur in französischer Form zu bilden), und war rastlos bemüht, sich alle Ergebnisse seiner Forschung anzueignen, auch, wo er Mängel und Ungenügendes wahrzunehmen glaubte, mit eigener Kraft auf dem Wege der Forschung durchzudringen. So bildete sich ihm eine Weltanschauung aus, die fortan, wenn auch in manchen Einzelheiten verändert, die Grundrichtung seines Geistes bestimmte. Er kehrte zu jener Lehre der Vorherbestimmung zurück, die er schon früh auf eine schroffe Weise aufgefaßt hatte; aber er suchte sie von jener trostlosen Härte zu entkleiden und mit der Kraft des Menschen in Einklang zu bringen. Nur aus einer Überzeugung solcher Art konnte die todverachtende Zuversicht entspringen, mit welcher er nachmals die großen Taten seines Lebens ausgeführt hat.
Im allgemeinen aber gelang es Friedrich nicht, auf dem Gebiete der höheren Philosophie heimisch zu werden, und so gab er auch später seine spekulativen Versuche wieder auf. Die Natur hatte ihn nicht zu beschaulicher Ruhe, sondern zur Tat, zur Gestaltung des Lebens berufen. So waren es auch nur diejenigen Elemente der Philosophie, die unmittelbar ins Leben eingreifen, vornehmlich das Bereich der Moral, was ihn mit dieser Wissenschaft in Verbindung erhielt. Auch sind alle seine Schriften, die sich nicht auf den Kreis historischer Gegenstände beziehen, vorzugsweise nur der Betrachtung und Erörterung moralischer Zustände gewidmet. In solcher Beziehung erscheint es fast als eine besondere Ironie des Zufalles, daß, als im Januar 1737 eben eine Reinschrift von der Übersetzung der Wolfschen Metaphysik vollendet war, der eine von den Affen, die Friedrich sich damals hielt, darüber kam und das schöne Manuskript ruhig in den brennenden Kamin steckte.
Das umfassendste, das durchgreifendste Interesse gewährte Friedrich der Mann, der damals sich an die Spitze der geistigen Bildung Frankreichs — somit der geistigen Bildung Europas — emporgeschwungen hatte: Voltaire. Freilich waren es nicht eigentümliche Tiefe des Wissens, nicht innere Glut der Begeisterung, was Voltaire eine so glänzende Stellung verliehen: — es war der unermüdliche Kampf, den er, mit allen Waffen des Ernstes und des Spottes, gegen die verjährten Vorrechte im Bereiche des Glaubens und Wissens führte; es war die helle Fackel des