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ACHTES KAPITEL Die Versöhnung.

Allgemein war die Freude, als die Begnadigung des Kronprinzen bekannt ward; die große Furcht, die man längere Zeit für sein Schicksal gehegt, hatte ihn dem Volke nur noch werter gemacht, als er es bereits früher war. Die österreichische Partei sorgte indes nach Kräften dafür, dem kaiserlichen Hofe das Verdienst der Begnadigung zuzuschreiben. Auch wußte der kaiserliche Gesandte, Graf Seckendorf, den König ohne sonderliche Mühe dahin zu bewegen, daß er in seiner Antwort auf des Kaisers Verwendungsschreiben es geradezu aussprach, daß der Kronprinz seine Begnadigung nur dem Kaiser zu verdanken habe und daß er nur wünsche, der Kronprinz möge sich für eine so liebevolle Verwendung stets dankbar erweisen. Zugleich wurde Friedrich selbst zu einem Dankschreiben an den Kaiser veranlaßt, worin er dieselben Ansichten aussprechen mußte. Auch war es Seckendorf, auf dessen Rat der König dem Kronprinzen jenen Eid hatte abnehmen und die Beschäftigung desselben in Küstrin für die nächste Zukunft bestimmen lassen. In dem öffentlichen Rundschreiben jedoch, <70>welches der König den verschiedenen Höfen über die Begnadigung des Kronprinzen mitteilte, führte er als den Grund der letzteren nur die eigne königliche Gnade und väterliche Milde an.

Dem Kronprinzen war in Küstrin ein eignes Haus zur Wohnung eingerichtet, eine kleine Dienerschaft und ein, freilich beschränktes, Einkommen zugewiesen worden; mit letzterem mußte möglichst sparsam gewirtschaftet und regelmäßig Rechnung abgelegt werden. An den Sitzungen der neumärkischen Kammer, in welcher er am 21. November zum ersten Male erschien und durch ein Gratulationsgedicht von Seiten der Kammerkanzlei bewillkommt wurde, nahm er als jüngster Kriegs- und Domänenrat teil, ohne daß ihm jedoch bei den Abstimmungen ein Votum zukam. In den einzelnen Teilen seines neuen Berufes, in den Finanz- und Polizeiangelegenheiten, ebenso in der Landwirtschaft und Verwaltung der Domänen, erhielt er besonderen theoretischen Unterricht. Im übrigen blieb seine Lage noch sehr beschränkt; er durfte die Stadt nicht verlassen; Lektüre, namentlich französischer Bücher, und selbst musikalische Beschäftigung blieb ihm untersagt.

Doch war der Präsident von Münchow bemüht, ihm den Aufenthalt in Küstrin möglichst angenehm zu machen; auch fehlte es nicht an anmutigen geselligen Beziehungen, die dem Kronprinzen die ursprüngliche Heiterkeit und Unbefangenheit seines Gemütes bald wiedergaben. So hatte unter anderen die verwitwete Landrätin von Manteuffel (eine geborene v. Münchow) durch geistreichen Verkehr seine Zuneigung erworben. Als sie, noch vor Ende des Jahres, im Begriff war, eine Reise auf ihre Güter zu machen, sandte er ihr, sein eignes Los schon parodierend, eine eigne scherzhafte Kabinettsordre zu, in welcher er aufs feierlichste gegen ihre beabsichtigte Desertion protestierte und einem so strafbaren Unternehmen sein Allerhöchstes Mißfallen bezeugte. Das Verbot gegen die Lektüre hatte man schon in dem engen Gefängnisse zu umgehen gewußt. Noch weniger ernstlich scheint man dem Verbote in Bezug auf die Musik nachgekommen zu sein, indem Friedrich sich von dem Generalmajor von Schwerin den Hautboisten Fredersdorf, einen vorzüglichen Flötenbläser, zur Unterstützung in seinen musikalischen Beschäftigungen erbitten durfte. Er hatte diesen schon früher kennengelernt, als er einst durch Frankfurt reiste und die Studenten ihm eine Abendmusik brachten, wobei Fredersdorf sich durch sein Flötenspiel auszeichnete. Später machte ihn Friedrich zu seinem geheimen Kämmerer, und Fredersdorf ist ihm bis an sein Ende wert geblieben.

Der Kronprinz hatte sich geschmeichelt, daß seine unbedingte und aufrichtig gemeinte Unterwerfung unter den Willen des Königs ihm auch in der Tat das Herz des Vaters zurückführen werde. Noch aber war der König keineswegs von allem <71>Mißtrauen gegen den Sohn befreit; noch argwöhnte er fort und fort, daß die notgedrungene Unterwerfung desselben nur Verstellung und daß des Sohnes Herz zur Liebe gegen ihn nicht fähig sei. Als nun der Winter verging und der Prinz noch durch kein Zeichen unmittelbarer, persönlicher Teilnahme des Vaters erfreut war, als er jener Unterrichtsgegenstände, die ihm vorgetragen wurden, sich mit einer Gewandtheit des Geistes bemächtigt hatte, die seine Lehrer in Erstaunen setzte, und doch der Kreis seiner Wirksamkeit so beschränkt blieb wie bisher, da drohte ein neuer Unmut in ihm Wurzel zu schlagen. Schon sann er auf neue Mittel, wie er sich — zwar nicht ohne Wissen und Teilnahme des Königs — aus seiner drückenden Lage befreien könne. Er glaubte, daß jene englische Heirat noch immer an dem Mißtrauen des Königs schuld sei; er erklärte also in einer vertraulichen Mitteilung an den General Grumbkow, daß er die Gedanken daran vollständig aufgegeben habe, daß er vielmehr sich bereitwillig der Absicht des Königs fügen werde, wenn dieser, wie man sage, eine Vermählung zwischen ihm und der ältesten Tochter des Kaisers zustande zu bringen gedenke. Er bemühte sich, die leichte Ausführbarkeit eines solchen Planes zu entwickeln, vorausgesetzt, daß er nicht seine Religion zu verändern brauche, und er erklärte sich hiebei auch zu der Bedingung bereit, das Recht auf die preußische Thronfolge seinem Bruder zu überlassen, indem die österreichischen Besitzungen, in Ermangelung männlicher Erben, auf die älteste Tochter des Kaisers übergehen mußten. Grumbkow vermutete indes, daß der Kronprinz diesen Plan nur entworfen habe, um dadurch überhaupt von den Gesinnungen des Königs unterrichtet zu werden; er entwickelte dem Prinzen die ganze Unausführbarkeit, und von der Sache wurde nicht weiter gesprochen.

Doch ließ es sich Grumbkow, im Interesse der österreichischen Partei, angelegen sein, eine wirkliche Versöhnung zwischen Vater und Sohn herbeizuführen. Der erste nähere Beweis der väterlichen Gnade war die Übersendung geistlicher Bücher und eines ermahnenden Briefes, welcher im Mai erfolgte. Aber es währte noch ein paar Monate, ehe der König sich entschließen konnte, den Kronprinzen wiederzusehen. Endlich, am 15. August 1731, kam er bei Gelegenheit einer Reise zum Besuche nach Küstrin. Er trat im Gouvernementshause ab und ließ den Kronprinzen aus seiner Wohnung zu sich berufen. Das Äußere des Sohnes hatte sich in dem verflossenen Jahre so verändert, daß schon der bloße Anblick dem Könige günstige Gesinnungen einflößen mußte; die französische Leichtfertigkeit seines Benehmens war verschwunden und männlicher Ernst an deren Stelle getreten. Sowie der König den Kronprinzen erblickte, fiel ihm dieser zu Füßen. Der König ließ ihn aufstehen und stellte ihm nun in einer nachdrücklichen Rede noch einmal seine Vergehungen vor; er sagte <72>ihm, wie ihn nichts so empfindlich berührt habe, als daß der Kronprinz kein Vertrauen zu ihm gehabt, da doch alles, was er zum Besten seines Hauses und seines Staates getan, nur für ihn geschehen sei; er habe nichts als die Freundschaft des Kronprinzen gewünscht. Der letztere benahm sich bei dieser Rede und bei den Fragen, die der König an ihn über die Geschichte seiner Flucht tat und die er mit Aufrichtigkeit beantwortete, so zur Zufriedenheit des Vaters, daß ihm dieser alles Geschehene liebevoll vergab. Als der König endlich im Begriff war, die Reise fortzusetzen und der Kronprinz ihn an den Wagen begleitete, umarmte er ihn vor allem Volk und versicherte ihn, daß er jetzt nicht mehr an seiner Treue zweifele, vielmehr weiter für sein Bestes sorgen wolle. Friedrich war von lebhafter Freude bewegt, ebenso das ganze Volk, welches sich um das Gouvernementshaus versammelt und in banger Erwartung auf den Ausgang der Unterredung geharrt hatte.

Der nächste Erfolg dieser Versöhnung war der, daß der Kronprinz eine größere Freiheit erhielt, als ihm bisher gestattet war, obschon der König keineswegs die Absicht hatte, sofort alles auf den alten Stand zu setzen. Vielmehr gedachte er, in weiser Rücksicht auf das wahre Wohl des Sohnes, diesen die Lehrzeit in Küstrin möglichst gründlich vollenden zu lassen. Er mußte den Sitzungen der Kammer nach wie vor beiwohnen, doch so, daß er neben den Präsidenten zu sitzen kam, mit diesem zugleich unterschrieb und in allen Angelegenheiten sein Votum mit abgab. Zugleich sollte er die königlichen Domänen in der Umgegend Küstrins, in Gesellschaft eines erfahrenen Rates, bereisen und sich praktisch in den Dingen üben, <73>die er bisher nur theoretisch erlernt. Ebenso ward für seine häusliche Bequemlichkeit gesorgt, er ward mit reicherer Garderobe versehen und erhielt eine Equipage zu seiner Verfügung.

Mit großem Eifer ergab sich der Kronprinz seinem erweiterten Berufe. Bei seinen Reisen nach den Ämtern ließ er es sich angelegen sein, sich über alle Einzelheiten der ökonomischen Verwaltung zu unterrichten; er gab dem Könige über alles Rechenschaft und bemühte sich, Vorschläge zu Verbesserungen und zur Vermehrung des Ertrages, wie sie ihm zweckmäßig schienen, vorzulegen. So trug er z. B. darauf an, daß auf dem einen Amte eine wüste Stelle urbar gemacht und ein Vorwerk darauf angelegt werden möchte, worüber er den detaillierten Anschlag einsandte; daß auf einem anderen Amte die verfallenen Wirtschaftsgebäude in einer zweckmäßigeren Verbindung neu gebaut würden; daß auf einem dritten ein großer Bruch, der zum Wildstande unbenutzbar war, geräumt und für wirtschaftliche Benutzung gewonnen würde u. s. w. Der König ging mit inniger Freude auf solche Vorschläge ein, suchte den Kronprinzen auf alles einzelne, was dabei zu berücksichtigen sei, aufmerksam zu machen und durch diese Teilnahme seinen Eifer rege zu halten. Er hatte die Genugtuung, daß bald auch von seiten der Männer, denen er die Beaufsichtigung Friedrichs anbefohlen, die vorteilhaftesten Berichte über die erfolgreiche Tätigkeit desselben einliefen. Zugleich versäumte der Kronprinz nicht, sich in <74>minder wichtigen Dingen den Wünschen des Königs zu bequemen. Ohne eigne Neigung zur Jagd berichtete er von dem Wildstande, den er in den verschiedenen Gegenden vorgefunden, von den seltenen Tieren, die er bemerkt, von der Anzahl Sauen, die er selbst erlegt habe, u. s. w. Auch ließ er, gewiß nicht ohne Absicht, in seinen Briefen manche Bemerkungen über soldatische Angelegenheiten einfließen, denn immer noch entbehrte er des höchsten Beweises der väterlichen Verzeihung, der militärischen Uniform. Endlich fehlte es auch nicht an erfahrenen Freundesstimmen, die durch klugen Rat dahin einwirkten, daß der Kronprinz sein persönliches Betragen in der Gesellschaft, namentlich in seinem Verhältnisse zum Könige, immer mehr dem Wunsche und der Neigung des letzteren gemäß einrichtete. Unter diesen Ratgebern ist besonders Grumbkow, in dieser Beziehung nur ehrenvoll, zu erwähnen.

In Berlin, in der königlichen Familie selbst, hatten unterdessen die Verhältnisse ebenfalls eine Gestalt gewonnen, welche Beruhigung nach so vielen Kümmernissen erwarten ließ. Die Prinzessin Wilhelmine hatte sich, obgleich die Mutter noch immer, wenigstens in Bezug auf sie, die Verbindung mit England unterhielt, endlich entschlossen, einem der Prinzen, welche ihr vom Vater vorgeschlagen wurden, ihre Hand zu geben. Unter drei Freiwerbern wählte sie, weil ihr die beiden andern bekannt und widerwärtig waren, den einen, den sie nicht kannte, den Erbprinzen von Bayreuth, und sie hatte sich in Wahrheit über das Los, welches sie gezogen, nicht zu beklagen. Am 1. Juni war die Verlobung geschehen; die Vermählung erfolgte am 20. November desselben Jahres. Es ist zu bemerken, daß am Tage der Verlobung und am Tage der Vermählung, beide Male aber zu spät, ein englischer Kurier in Berlin angekommen war, der dem König sehr annehmliche Anträge über eine Verbindung der Prinzessin Wilhelmine mit einem englischen Prinzen gebracht hatte. Daß der Kurier beide Male zu spät kam, ließ indes an der Aufrichtigkeit Englands zweifeln.

Der König hatte seiner Tochter, zum Danke für ihr Eingehen in seine Wünsche, versprochen, daß die gänzliche Befreiung des Kronprinzen unmittelbar nach ihrer Hochzeit stattfinden solle. Der vierte Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten wurde von dem Könige durch einen großen Ball in den Prunkzimmern des Schlosses gefeiert, und es wurde eben ein Menuett getanzt, als der Kronprinz eintrat. Nicht bloß sein Benehmen, auch seine körperliche Erscheinung hatte sich in der langen Zeit seiner Abwesenheit geändert; er war größer und stärker geworden; in dem schlichten hechtgrauen Kleide, welches er auch jetzt noch trug, mischte er sich unbemerkt unter die Hofbedienten, die in der Nähe der Tür standen. Niemand außer dem Könige wußte um seine <75>Anwesenheit, und es währte geraume Zeit, ehe er erkannt wurde. Endlich ward die Königin, die beim Spiele saß, durch die Oberhofmeisterin von seiner Anwesenheit benachrichtigt; sie legte die Karten weg, ging ihm entgegen und schloß ihn in ihre Arme. Die Prinzessin Wilhelmine war außer sich vor Freude, als sie durch Grumbkow, mit dem sie gerade im Tanze begriffen war, die Ankunft des Bruders vernahm; aber auch sie suchte lange mit den Augen, ehe sie ihn erkannte. Nachdem sie ihn mit der innigsten Zärtlichkeit bewillkommnet, warf sie sich dem Vater zu Füßen und <76>drückte diesem die Gefühle ihrer Dankbarkeit so lebhaft aus, daß er den Tränen nicht zu widerstehen vermochte. Auffallend gegen solche Zärtlichkeit war das kühle Betragen des Bruders, so daß er selbst einer vorübergehenden Mißbilligung von seiten des Königs nicht entging. Der Grund dieses Betragens lag einesteils wohl darin, daß Friedrich, eben aus Rücksicht auf den Vater, den Entschluß gefaßt haben mochte, die Vertraulichkeit mit der Schwester, die früher zu so vielen Anschuldigungen Anlaß gegeben hatte, öffentlich nicht mehr in gleichem Maße fortzusetzen; sodann aber war er in der Tat inzwischen ein anderer geworden, und seine Gedanken waren nicht mehr, wie in den früheren Zusammenkünften mit der Schwester, allein auf Spiele und Scherze gerichtet. Die Prinzessin empfand diese Entfremdung mit Kümmernis, doch kehrte die alte Innigkeit zwischen Beiden bald zurück.

Einige Tage darauf erbaten die sämtlichen höheren Offiziere, die in Berlin anwesend waren, unter Anführung des Fürsten von Dessau, die Wiederaufnahme des Kronprinzen in den Militärdienst. Am 30. November erhielt er die Uniform eines Infanterie-Regimentes, zu dessen künftigem Befehlshaber er ernannt wurde. Für den Winter indes mußte er die Uniform noch einmal mit seinem bürgerlichen Kleide vertauschen und in den Kreis seiner bisherigen Tätigkeit nach Küstrin zurückkehren. Mit erneutem Eifer und zur stets wachsenden Zufriedenheit des Vaters ging er hier auf die ihm übertragenen Beschäftigungen ein. Die Inspektionsreisen wurden ausgedehnter, und vornehmlich waren es jetzt die in jener Gegend vorhandenen Glashütten und deren Betrieb, was ihm Gelegenheit zur Bereicherung seiner Kenntnisse darbot. Er benutzte dies sorgfältig und wußte den Ertrag, den die Glashütten brachten, ungleich vorteilhafter, wie bisher, zu gestalten. Er entwarf auch einen Plan, wie diese Verbesserungen in der Verwaltung des Glashütten auf den sämtlichen Domänen des Landes durchzuführen seien, und der König, dem jede Vermehrung des Einkommens sehr genehm war, befahl, daß nach dem Plane des Kronprinzen in allen Provinzen verfahren werden solle. Aber auch jetzt wurden die militärischen Angelegenheiten nicht versäumt; als besondere Gnade bat sich Friedrich vom König das Exerzier-Reglement aus und suchte sich durch eifriges Studium desselben auch für den kriegerischen Dienst geschickt zu machen. Nachdem ein Fieber, welches den Kronprinzen gegen das Ende des Januar 1732 befiel, dem Könige noch besondere Gelegenheit gegeben hatte, durch sorgfältige Anordnungen für die Gesundheit des Sohnes seine zurückgekehrte väterliche Liebe zu bezeugen, wurde dieser endlich im Februar nach Berlin zurückgerufen, zum Obersten und Befehlshaber des von der Goltzischen Regimentes ernannt und ihm die Stadt Ruppin zu <77>seinem Standquartiere angewiesen. Als Friedrich in Küstrin von dem Präsidenten von Münchow Abschied nahm und dieser ihn bei der letzten vertraulichen Unterredung fragte, was wohl dereinst, nach seiner Thronbesteigung, diejenigen von ihm zu erwarten haben würden, die sich in der Zeit des Zwiespaltes mit dem Könige feindselig gegen ihn benommen hatten, erwiderte er: « Ich werde feurige Kohlen auf ihr Haupt sammeln! »