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[Viertes Buch. Alter]

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ACHTUNDDREISSIGSTES KAPITEL Wiederherstellung der heimischen Verhältnisse im Frieden.

Friedrich hatte während des ganzen Krieges — und in den letzten Jahren mit nicht geringerem Eifer als in den ersten — dafür gesorgt, daß jederzeit die Mittel zur Bestreitung der Kriegsbedürfnisse, mindestens auf den Zeitraum eines Jahres, vorrätig seien. Dies war einer der wichtigsten Umstände, der es möglich machte, daß er mit seiner kleinen Macht so lange Zeit hindurch den höchst überlegenen Feinden widerstehen konnte. Auf gleiche Weise hatte er auch am Schlusse des Jahres 1762, um auf alle Fälle nicht ungerüstet dazustehen, die nötigen Summen zusammengebracht; und als nun der Friede eintrat, so konnte er diese Schätze alsbald mit rüstiger Hand auf die Pflege all der Wunden verwenden, welche der Krieg seinem <428>Lande geschlagen. Unablässig fuhr er in diesem edeln Bestreben fort; er hatte die Freude zu sehen, wie sein Volk sich ungleich schneller von seinen vielfachen Leiden erholte, als dies in den meisten Ländern seiner Gegner der Fall war. Ja, damit er der Welt zeige, wie kräftig er sich, trotz all des Übels, welches er erduldet, noch fühle, — damit niemand, auf seine etwaige Erschöpfung bauend, neue Pläne wider ihn zu schmieden geneigt sein möge, begann er unmittelbar nach dem Abschlusse des Friedens einen Prachtbau, den des sogenannten « Neuen Palais » bei Sanssouci, auf den er, im Verlauf von sechs Jahren, viele Millionen verwandte und der noch jetzt, durch die kostbaren Stoffe, aus denen er aufgeführt ward, und durch den außerordentlichen Reichtum an bildnerischem Schmucke, den Beschauer staunen macht. Doch war mit diesem Bau zugleich, wie bei all seinen Unternehmungen solcher Art, die weise Absicht verbunden, der Menge geschäftsloser Hände, die der Krieg hervorgebracht, Verdienst zu geben und große Geldsummen in Umlauf zu bringen; denn Stoff und Arbeit sind fast durchweg nur aus dem Inlande beschafft worden. — Beiläufig mag hier noch bemerkt werden, daß dies Schloß zugleich ein eigentümliches, wenn auch wenig beachtetes Denkmal der Bescheidenheit des großen Königes enthält. Er hatte nämlich dem Maler Vanloo befohlen, an der Decke des kolossalen Marmorsaales, der einen der Haupträume des Schlosses bildet, eine Götterversammlung zu malen; der Maler hatte sich einfallen lassen, dabei ein paar Göttinnen des Ruhmes anzubringen, die den Namenszug des Königes zum Himmel emportragen. Friedrich sah das Gemälde erst nach der Vollendung; es gefiel ihm überhaupt nicht sonderlich, der Prunk mit dem Namenszuge aber entrüstete ihn höchlichst; er befahl, ihn unverzüglich wieder wegzulöschen; und da der Maler nicht füglich das ganze kolossale Bild umändern konnte, so begnügte er sich, eine grüne Decke über den Namenszug zu malen. So tragen die Göttinnen des Ruhmes noch heute das verhüllte Rätsel in ihren Händen.

Aber auch mit unmittelbarer Hilfe griff Friedrich überall ein, um den stockenden Betrieb in Land und Stadt wiederum in Bewegung zu setzen. Da die Felder ungebaut lagen, da es an Saatkorn, an Vieh, an Händen zur Bestellung der Äcker fehlte, so verteilte er in die verschiedenen Provinzen von den vorhandenen Kriegsvorräten 42,000 Scheffel an Getreide und Mehl, sowie 35,000 Armeepferde; nahe an 40,000 Inländer entließ er aus seiner Armee und sandte sie in ihre Heimat zurück. An baren Geldern erhielten die Provinzen, unmittelbar nach dem Friedensschluß, bedeutende Summen zur Tilgung der empfindlichsten Schäden: Schlesien 3 Millionen Taler, Pommern und die Neumark 1,400,000 Taler, Preußen 800,000 Taler, die Kurmark Brandenburg 800,000 Taler, Cleve 100,000 Taler; an andern Orten wurden die Abgaben zur Hälfte erlassen. Aber lange Jahre hindurch, bis an sein <429>Ende, war Friedrich darauf bedacht, die Erinnerungen an die Greuel des Krieges auszulöschen und neuen Segen über sein Land heraufzuführen. Im Jahre 1766 schrieb er über diesen Gegenstand an Voltaire: « Der Fanatismus und die Wut des Ehrgeizes haben blühende Gegenden meines Landes verwüstet. Wenn Sie die Summe der geschehenen Verwüstungen erfahren wollen, so mögen Sie wissen, daß ich, im ganzen, in Schlesien habe 8000 Häuser, in Pommern und der Neumark 6500 Häuser wieder aufbauen lassen: was, nach Newton und d'Alembert, 14,500 Wohnungen ausmacht. Der größte Teil ist durch die Russen abgebrannt worden. Wir haben nicht auf eine so abscheuliche Art Krieg geführt; von unsrer Seite sind nur einige Häuser in den Städten zerstört worden, die wir belagert haben; ihre Zahl beläuft sich gewiß nicht auf 1000. Das böse Beispiel hat uns nicht verführt, und mein Gewissen ist von dieser Seite frei von allem Vorwurf. »

Es ist schon früher bemerkt worden, daß Friedrich sich im Verlaufe des Krieges, um die genügenden Mittel zur Bestreitung der Kosten herbeizuführen, zu eigentümlichen Finanzkünsten genötigt sah. Diese bestanden einesteils in einer immer steigenden Verminderung des Geldwertes, andernteils in der Besoldung der Zivilbeamten durch Kassenscheine, die erst nach dem Kriege im vollen Geldwert ausgezahlt wurden. Beides waren große Übel, und der Ruin vieler Familien war die Folge davon. Dennoch war dies das Mittel gewesen, wodurch Friedrich sein Land von den drückenden Schuldenlasten, die sich in dieser Zeit über andern Ländern furchtbar zusammenhäuften, befreit hielt. Mit größter Sorgfalt und Schonung wurde auch diese Angelegenheit nach dem Schlusse des Friedens allmählich wieder zu ihrer alten Ordnung zurückgeführt; und man hat neuerlich berechnet, daß, so mannigfachen Schaden auch der Einzelne bei diesen notgedrungenen Einrichtungen davon<430>getragen, der Verlust der Untertanen im Ganzen in der Tat nur gering gewesen ist. Bei dem Golde und dem Kurant hatte das Volk nur wenige Prozente, bei der schlechtesten Scheidemünze nicht mehr als 22 Prozent auf sich genommen, um den ganzen Krieg ohne Schulden beendet zu sehen.

Mit nicht geringerer Treue war Friedrich bemüht, den Helden, die mit ihm den siebenjährigen Kampf gekämpft, reiche Anerkennung zu gewähren. Die Generale und Offiziere, nicht minder auch die Gemeinen, die sich durch lange Erfüllung ihrer Dienstpflicht oder durch kühne Tat ausgezeichnet hatten, wurden auf die verschiedenartigste Weise belohnt; Friedrichs außerordentliches Gedächtnis behielt das Verdienst eines jeden einzelnen, soweit ihm nur Kunde davon zugekommen war, unverrückt im Auge. Die Geschichte bewahrt eine Menge von Zügen, wie die Gnade des Königes, je nachdem sich die Gelegenheit darbot, oft ganz unerwartet, dem Verdienten zuteil ward. Ebenso dankbar und väterlich sorgte er für die Witwen und Waisen der gefallenen Helden.

Da Friedrich aber sehr wohl wußte, wie die Sicherheit seines Staates wesentlich darauf beruhe, daß er jederzeit zum Kriege gerüstet dastehe, so unterließ er, trotz des so lange ersehnten Friedens, gleichwohl nichts von alledem, was zur gesamten Einrichtung des Kriegswesens notwendig ist. Vielmehr wurden unmittelbar nach dem Friedensschlusse die Rüstungen mit einem Eifer erneut, als ob noch in demselben Jahre der Krieg aufs neue beginnen solle. Sämtliche Festungen wurden ausgebessert und den vorhandenen noch eine neue, bei Silberberg in Schlesien, hinzugefügt. Die Vorratshäuser wurden aufs reichlichste gefüllt; Geschütz, Pulver, alles Gerät des Krieges wurde in genügender Menge herbeigeschafft oder wiederhergestellt. Die Armee ward wieder vollzählig gemacht, wozu sich, da man so viele Inländer hatte auf das Land entsenden müssen, dienstlose Ausländer in hinlänglicher Anzahl einfanden; und da die gesamte Disziplin gegen das Ende des Krieges bereits bedeutend gelitten hatte, so wurde nun mit größter Anstrengung dahin gearbeitet, daß die alte Tüchtigkeit und Zucht wieder zurückkehrte. Ja, noch mehr als früher wurde jetzt der Stand des Kriegers zum bevorrechteten Stande im Staate erhoben und ihm vor allen ein Gut zugesprochen, das die Leidenschaft des Menschen am heftigsten zu erregen pflegt: — die Ehre. Friedrich wollte jetzt ausschließlich, den militärischen Verhältnissen jener Zeit gemäß, nur Offiziere von adeliger Geburt in seiner Arme sehen; die bürgerlichen Offiziere, die während des Krieges emporgerückt waren, wurden — nicht ohne Härte — entfernt; der Adel sollte durch den ehrenvollen Dienst, die Ehre durch die Auszeichnung der Geburt zur kühnsten Hingebung für das Vaterland entflammt werden. Einst war ein Rangstreit zwischen dem <431>Legationsrate Grafen von Schwerin, einem Neffen des großen Feldmarschalls, und einem Fähndrich entstanden. Schwerin klagte beim Könige und wurde beschieden: die Sache sei gar nicht streitig, es verstehe sich von selbst, daß die Fähndriche den Rang vor allen Legationsräten hätten. Schwerin verließ den Zivildienst und wurde Fähndrich.

Die strenge Zucht, die Friedrich bei seiner Armee fortan eingeführt wissen wollte, erregte übrigens mancherlei Unwillen, und es ging die Festsetzung der neuen Einrichtungen nicht vorüber, ohne daß mehrfach die Strenge des Gesetzes gegen Unruhestifter eingreifen mußte. Mehr aber wirkte Friedrichs persönliches Auftreten, um solche Fälle augenblicklich niederzudrücken. So hatten sich unter der Potsdamer Garde einige unruhige Köpfe vereinigt, um Vergünstigungen, auf die sie keine Ansprüche machen durften, zu ertrotzen. Ohne zu erwägen, welchen strengen Ahndungen sie sich nach den Kriegsartikeln aussetzten, gingen sie nach Sanssouci. Friedrich wurde sie von fern gewahr; er steckte seinen Degen an, setzte seinen Hut auf und trat ihnen auf der Terrasse vor dem Schloß entgegen; ehe noch der Rädelsführer ein Wort sprechen konnte, kommandierte er: « Halt! » Die ganze Rotte stand plötzlich still. « Richtet euch! » — « Links umkehrt! » — « Marsch! » Sie hatten die Kommandos pünktlich befolgt und marschierten die Terrasse hinab, eingeschüchtert von dem Blick und von der Stimme des Königes, und hocherfreut, daß sie ohne Strafe davongekommen waren.

<432>Ein andermal erwies sich Friedrich noch nachsichtiger. Ein Soldat in einer schlesischen Garnison, dem bis dahin der Krieg manche willkommene Beute zugeführt hatte, fand bei seinem geringen Traktament wenig Behagen; er suchte sich, seiner alten Gewohnheit treu, auf andere Weise zu helfen. Bald jedoch ward er überführt, daß er mehreres von den silbernen Opferspenden auf einem Muttergottesaltar entwendet habe. Er leugnete indes den Diebstahl hartnäckig und behauptete, die Mutter Gottes, der er seine Not geklagt, habe ihm geheißen, dies oder jenes Stück vom Altar zu nehmen. Das Kriegsgericht fand die Entschuldigung nicht zulässig und verurteilte ihn zu zwölfmaligem Gassenlaufen. Friedrich erhielt das Urteil zur Bestätigung, fand aber — um dem Aberglauben eine kleine Lehre zu geben — für gut, zuvor bei einigen katholischen Geistlichen anzufragen, ob ein solcher Fall möglich sei. Die guten Geistlichen sahen sich, um den Mirakelglauben nicht ganz zu verleugnen, zu der Erklärung genötigt, daß allerdings ein solcher Fall, wie unwahrscheinlich und unglaublich auch das Vorgeben des Soldaten sei, doch wohl geschehen könne. Friedrich schrieb somit zurück, der vorgebliche Dieb solle aus diesen Gründen von seiner Strafe freigesprochen sein: er verbiete ihm aber aufs nachdrücklichste, in Zukunft je wieder ein Geschenk, sei es von der heiligen Jungfrau, sei es von sonst irgendeinem Heiligen, anzunehmen.

Für die Befreiung von all jenen Übeln, welche der Krieg hinterlassen, für die Ausführung der mannigfachen Pläne zum Wohl seines Landes, die Friedrich im Sinne hatte, für die Erhaltung des zahlreichen Kriegsheeres, endlich auch, um neben dem letzteren die nötigen baren Geldmittel auf den Fall eines neuen Krieges stets vorrätig zu haben, waren größere Einkünfte erforderlich, als diejenigen, aus denen Friedrich seither all seine Unternehmungen bestritten hatte. Er wünschte dringend, seine Einkünfte um zwei Millionen Taler zu erhöhen; da aber im Ministerrate die Ansicht ausgesprochen ward, das Land sei zu erschöpft, um mit erhöhten Abgaben belastet zu werden, so entschloß er sich zu der Einführung neuer Einrichtungen, deren Folgen er sich vielleicht nicht in ihrer ganzen Ausdehnung klargemacht hatte, die aber leider nicht geeignet waren, neue Liebe für ihn und Freude bei seinen Untertanen hervorzurufen. Friedrich hatte sich überzeugt, daß die aus den Zöllen fließende Einnahme vorzüglich geeignet sei, einen höheren Ertrag zu gewähren, und daß durch dieselbe, in andern Ländern, der Krone in der Tat ein Gewinn von ungleich größerer Bedeutung zuteil werde. In Frankreich namentlich hatte man damals die Zollkünste zu einer hohen Vollendung gebracht. Dies Beispiel schien zu guten Erfolg zu versprechen, als daß Friedrich sich nicht hätte entschließen sollen, etwas Ähnliches zu versuchen. Da es aber im eigenen Lande an geübten Leuten für die <433>Einrichtung und Ausführung eines solchen Vorhabens fehlte, so wurden einige Meister dieser Kunst aus Frankreich verschrieben; in ihrem Gefolge kam sodann eine ganze Schar anderer Franzosen, die zu den unteren Stellen des neuen Geschäftes bestimmt werden sollten. Doch konnte sich Friedrich, hochherzigen Sinnes, nicht dazu entschließen, das ganze Zollwesen, wie es in Frankreich Sitte war, den Franzosen zu verpachten und somit seine Untertanen ganz der Willkür der Fremden zu übergeben. Die Anstalt ward, unter dem Titel einer « General-Administration der königlichen Gefälle » (im gemeinen Leben « Regie » genannt), als eine besondere Behörde des Staates eingerichtet. Die einzelnen Gegenstände wurden nicht eben hoch verzollt, aber es wurde der Zoll auf alle möglichen Bedürfnisse des Lebens ausgedehnt und eben hiedurch fort und fort drückend. Ungleich drückender aber war es, daß den Zollbedienten, um dem Schleichhandel zu begegnen, jede beliebige Nachsuchung, nicht bloß an den Toren der Städte, sondern auch bei den Reisenden auf freiem Felde, sowie in den Häusern der Bürger verstattet war. Nichtsdestoweniger hob der Schleichhandel immer verwegener und gewaltiger sein Haupt empor. Unzähliger Verdruß und Ärger, widerwärtige Prozesse, Auf lehnung gegen die obrigkeitlichen Befehle, Verderbnis der Sitten waren die Folgen der neuen Zolleinrichtungen. Und bei alledem brachten sie die Vorteile nicht, welche Friedrich von ihnen erwartet hatte und welche auf minder beschwerlichem Wege vielleicht sicherer und ohne den Widerwillen der Untertanen zu erreichen gewesen wären.

Außer dieser Vermehrung der Zölle suchte Friedrich seine Einkünfte auch dadurch zu erhöhen, daß er den Verkauf oder auch sogar die Produktion gewisser Gegen<434>stände, die zum Teil ein unentbehrliches Bedürfnis waren, sich selbst vorbehielt, oder, was dasselbe ist, das Vorrecht des Handels mit denselben nur gegen starke Abgaben erteilte. Tabak und Kaffee waren die wichtigsten Gegenstände dieses königlichen Alleinhandels. Abgesehen davon, daß hiedurch der freie Verkehr, und somit die freie Entwickelung, wesentlich gehemmt ward, so förderte auch diese Einrichtung den Schleichhandel auf eine nur zu verderbliche Weise.

Noch an den Vorteilen einer andern Kunst — der geheimen Polizei, — die zu jener Zeit in Frankreich ebenfalls schon mit außerordentlichen Erfolgen geübt ward, wünschte Friedrich Anteil zu nehmen. Mancherlei Sittenverderbnis, das als Folge des Krieges zurückgeblieben war, schien eine solche Anstalt wünschenswert zu machen. Friedrich sandte deshalb einen in diesem Fache vorzüglich geübten Geschäftsmann, Philippi, nach Paris und machte ihn hernach zum Polizeipräsidenten von Berlin. Als aber einige Jahre darauf verschiedene Verbrechen verübt wurden, ohne daß man die Urheber entdecken konnte, stellte Friedrich den Polizeipräsidenten zur Rede. Dieser erwiderte, daß er mit großem Fleiße alle vom Könige genehmigten Maßregeln zur Ausführung bringe, daß er indes mehr zu leisten sich ohne ausdrücklichen Befehl nicht für befugt halte. Er entwickelte dem Könige darauf das ganze Wesen der geheimen Polizei, wodurch er ohne Zweifel jedem Verbrechen auf die Spur kommen könne, wodurch aber auch der sittliche Charakter des Volkes durchaus müsse verdorben werden. Er fügte hinzu, daß überdies in Berlin die Wirkung der geheimen Polizei erst allmählich eintreten könne, indem die Brandenburger für solche Einrichtung vorderhand noch viel zu treuherzig und ehrlich seien. Durch diese Vorstellungen ward Friedrich sehr gerührt; er erwiderte ohne langes Bedenken, daß er kein größeres Übel an die Stelle des kleineren setzen und die Ruhe und das Vertrauen seiner guten Untertanen nicht gestört wissen wolle. Dabei hatte es denn auch sein Bewenden.

Daß Friedrich — der Held, der durch siebenjähriges unablässiges Ringen, durch die Aufopferung so mannigfacher Lebensfreuden die Würde seines Staates erhalten — von seinem Volke hochverehrt ward, erscheint nicht eben wunderbar; daß man ihm aber auch, trotz jener empfindlichen Neuerungen, trotzdem, daß er, um dem königlichen Ansehen nichts zu vergeben, auf seinen Anordnungen bestand oder doch nur sehr allmählich davon abging, diese Verehrung erhielt, das bezeugt, wie kein anderer Umstand, die wahre Größe seines Geistes. Man fügte sich allmählich in das Unabänderliche; man sah es ein, daß Friedrich jener Einnahmen nicht bedurfte, um sie in üppigen Festen, an Günstlinge oder Buhlerinnen zu vergeuden oder um heißhungrig über dem Glanze des Goldes zu wachen; man empfand <435>die Wohltaten, in denen er sie wieder auf sein Volk ausströmte; man sah ihn ebenso leutselig, ebenso zutraulich, ebenso teilnehmend wie sonst, und kein Riegel, kein ängstliches Verbot hemmte die freie Rede, auch wenn sie sich mißbilligend, selbst in minder schicklicher Weise, über des Königs Einrichtungen zu äußern wagte. Die Soldaten des Siebenjährigen Krieges erzählten von ihrem getreuen Kameraden, dem Alten Fritz, und wo Friedrich mit dem Volke verkehrte, da fand man in ihm dieselben Züge wieder. Man hielt sein Bild im Herzen rein und wandte allen Groll und Haß gegen die lästigen Neuerungen nur den Fremden zu, bis auch diese allmählich aus ihren Stellen verschwanden und Eingebornen Platz machten.

Es sind uns manche Züge aufbehalten, die das Verhältnis des Königes zu seinem Volke, unter Umständen, wie die ebengenannten, vor Augen stellen. Kaum dürfte einer unter diesen bezeichnender sein als der folgende, der in die Zeit gehört, da, wegen des königlichen Alleinhandels mit dem Kaffee, die sogenannte « Kaffeeregie » soeben eingeführt war und das Volk den französischen « Kaffeeriechern », die überall den eingeschmuggelten Kaffee aufzuspüren wußten, den bittersten Haß widmete. Friedrich kam eines Tages die Jägerstraße von Berlin heraufgeritten und fand in der Nähe des sogenannten Fürstenhauses einen großen Volksauflauf. Er schickte seinen einzigen Begleiter, einen Heiducken, näher, um zu erfahren, was es da gebe. « Sie <436>haben etwas auf Ew. Majestät angeschlagen », war die Antwort des Boten, und Friedrich, der nun näher herangeritten war, sah sich selbst auf dem Bilde, wie er in höchst kläglicher Gestalt auf einem Fußschemel saß und, eine Kaffeemühle zwischen den Beinen, emsig mit der einen Hand mahlte, während er mit der andern jede herausgefallene Bohne auflas. Sobald der König dies gesehen, winkte er mit der Hand und rief: « Hängt es doch niedriger, daß die Leute sich den Hals nicht ausrecken müssen! » Kaum aber hatte er die Worte gesprochen, als ein allgemeiner Jubel ausbrach. Man riß das Bild in tausend Stücken herunter, und ein lautes Lebehoch begleitete den König, als er langsam seines Weges weiterritt.

Die Gemütlichkeit aber und die Gewöhnung des Königes, sich auch in die Lage eines Geringeren teilnehmend zu versetzen, — was ihm fort und fort so viele Herzen gewann, — stellt wohl keine von den zahlreichen Anekdoten seines Lebens anschaulicher dar, als die Geschichte eines thüringischen Kandidaten, der nach Berlin kam, um hier Versorgung zu suchen, aber durch die übertriebene Strenge der Zollbeamten unangenehmen Verlegenheiten ausgesetzt ward. Die Erzählung trägt so ganz das Gepräge der einfachen Wahrheit, sie führt uns den König, seine Weise, sich in dergleichen Fällen zu benehmen, den ganzen Charakter der Zeit so lebendig entgegen, daß wir nicht umhin können, den vollständigen Bericht, mit all seinen kleinen Zügen, wie ihn jener Kandidat selbst handschriftlich hinterlassen hat, im nächsten Kapitel mitzuteilen.

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NEUNUNDDREISSIGSTES KAPITEL Die Erzählung des thüringischen Kandidaten.

Als ich zum erstenmal im Jahr 1766 nach Berlin kam, wurden mir bei Visitierung meiner Sachen auf dem Packhofe 400 Reichstaler Nürnberger ganze Batzen weggenommen. Der König, sagte man mir, hätte schon etliche Jahre die Batzen ganz und gar verschlagen lassen, sie sollten in seinem Lande nichts gelten, und ich wäre so kühn und brächte die Batzen hieher, in die königliche Residenz, — auf den — Packhof! — Konterbande! — Konterbande! — Das war ein schöner Willkommen! Ich entschuldigte mich mit der Unwissenheit: käme aus Thüringen, viele Meilen Weges her, hätte mithin ja unmöglich wissen können, was Seine Majestät in dero Ländern verbieten lassen.

Der Packhofsinspektor: Das ist keine Entschuldigung. Wenn man in eine solche Residenz reisen und daselbst verbleiben will, so muß man sich nach allem genau erkundigen und wissen, was für Geldsorten im Schwange gehen, damit man nicht durch Einbringung verrufner Münze Gefahr laufe.

Ich: Was soll ich denn anfangen? Sie nehmen mir ja sogar unschuldig die Gelder weg! Wie und wovon soll ich denn leben?

<438>Packhofsinspektor: Da muß er zusehen, und ich will Ihm sogleich bedeuten: wenn die Sachen auf dem Packhofe visitiert worden, so müssen solche von der Stelle geschafft werden.

Es wurde ein Schiebkarrner herbeigerufen, meine Effekten fortzufahren; dieser brachte mich in die Jüdenstraße in den weißen Schwan, warf meine Sachen ab und forderte vier Groschen Lohn. Die hatte ich nicht. Der Wirt kam herbei, und als er sah, daß ich ein gemachtes Federbett, einen Koffer voll Wäsche, einen Sack voll Bücher und andere Kleinigkeiten hatte, so bezahlte er den Träger und wies mir eine kleine Stube im Hofe an. Da könnte ich wohnen, Essen und Trinken wolle er mir geben; — und so lebte ich denn in diesem Gasthofe acht Wochen lang ohne einen blutigen Heller, in lauter Furcht und Angst. In dem weißen Schwan spannen Fuhrleute aus und logieren da, und so kam denn öfters ein gewisser Advokat B. dahin und hatte sein Werk mit den Fuhrleuten; mit diesem wurde ich bekannt und klagte ihm meine unglücklichen Fata. Er verobligierte sich, meine Gelder wieder herbeizuschaffen, und ich versprach ihm für seine Bemühung einen Louisdor. Den Augenblick mußte ich mit ihm fortgehen, und so kamen wir in ein großes Haus; da ließ B. durch einen Bedienten sich anmelden, und wir kamen in Continenti vor den Minister. Der Advokat trug die Sache vor und sagte unter andern: « Wahr ist es, daß der König die Batzen ganz und gar verschlagen lassen; sie sollen in seinem Lande nicht gelten; aber das weiß der Fremde nicht. Ohnehin extendiert sich das Edikt nicht so weit, daß man den Leuten ihre Batzen wegnehmen soll » u. s. w. — Hierauf fing der Minister an zu reden: « Monsieur, seid Ihr der Mann, der meines Königs Mandate durchlöchern will? Ich höre, Ihr habt Lust auf die Hausvogtei? Redet weiter, Ihr sollt zu der Ehre gelangen » u. s. w. — Was tut mein Advokat? Er submittierte sich und ging zum Tempel hinaus; ich hinter ihm her, und als ich auf die Straße kam, so war B. über alle Berge; und so hatte er denn meine Sache ausgemacht bis auf die streitigen Punkte.

Endlich wurde mir der Rat gegeben, den König supplicando anzutreten, das Memorial aber müsse ganz kurz, gleichwohl aber die contenta darinnen sein. Ich konzipierte eins, mundierte es und ging damit mit dem Aufschluß des Tors, ohne nur einen Pfennig Geld in der Tasche zu haben (o der Verwegenheit!) in Gottes Namen nach Potsdam, und da war ich auch so glücklich, sogleich den König zum ersten Male zu sehen. Er war auf dem Schloßplatze beim Exerzieren seiner Soldaten. Als dieses vorbei war, ging er in den Garten und die Soldaten auseinander; vier Offiziere aber blieben auf dem Platze und spazierten auf und nieder. Ich wußte vor Angst nicht, was ich machen sollte, und holte die Papiere aus der Tasche. Das war <439>das Memorial, zwei Testimonia und ein gedruckter thüringischer Paß. Das sahen die Offiziere, kamen gerade auf mich zu und fragten, was ich da für Briefe hätte. Ich kommunizierte solche willig und gern. Da sie gelesen hatten, so sagten sie: « Wir wollen Ihm einen guten Rat geben. Der König ist heute extragnädig, und ganz allein in den Garten gegangen. Gehe Er ihm auf dem Fuße nach, Er wird glücklich sein. » Das wollte ich nicht; die Ehrfurcht war zu groß; da griffen sie zu. Einer nahm mich beim rechten, der andere beim linken Arm. Fort, fort in den Garten! Als wir nun dahin kamen, so suchten sie den König auf. Er war bei einem Gewächse mit den Gärtnern, bückte sich und hatte uns den Rücken zugewendet. Hier mußte ich stehen, und die Offiziere fingen an in der Stille zu kommandieren: « Den Hut unter den linken Arm! — Den rechten Fuß vor! — Die Brust heraus! — Den Kopf in die Höhe! — Die Briefe aus der Tasche! — Mit der rechten Hand hochgehalten! — So steht! » — Sie gingen fort und sahen sich immer um, ob ich auch so würde stehen bleiben. Ich merkte wohl, daß sie beliebten ihren Spaß mit mir zu treiben, stand aber wie eine Mauer, voller Furcht.

Die Offiziere waren kaum aus dem Garten hinaus, so richtete sich der König auf und sah die Maschine in ungewöhnlicher Positur dastehen. Er tat einen Blick auf mich; es war, als wenn mich die Sonne durchstrahlte; er schickte einen Gärtner, die Briefe abzuholen, und als er solche in die Hände bekam, ging er in einen andern Gang, wo ich ihn nicht sehen konnte. Kurz darauf kam er wieder zurück zu dem Gewächse, hatte die Papiere in der linken Hand aufgeschlagen, und winkte damit, <440>näher zu kommen. Ich hatte das Herz und ging grade auf ihn zu. O wie allerhuldreichst redete mich der große Monarch an: « Lieber Thüringer! Er hat zu Berlin durch fleißiges Informieren der Kinder das Brot gesucht, und sie haben Ihm beim Visitieren der Sachen auf dem Packhofe Sein mitgebrachtes Thüringer Brot weggenommen. Wahr ist es, die Batzen sollen in meinem Lande nichts gelten; aber sie hätten auf dem Packhofe sagen sollen: « « Ihr seid ein Fremder und wisset das Verbot nicht. Wohlan, wir wollen den Beutel mit den Batzen versiegeln; gebt solche wieder zurück nach Thüringen und lasset Euch andere Sorten schicken » », aber nicht wegnehmen. Gebe Er sich zufrieden: Er soll sein Geld cum Interesse zurückerhalten. Aber, lieber Mann, Berlin ist schon ein heißes Pflaster; sie verschenken da nichts; Er ist ein fremder Mensch; ehe Er bekannt wird und Information bekömmt, so ist das bißchen Geld verzehrt; was dann? » — Ich verstand die Sprache recht gut; die Ehrfurcht war aber zu groß, daß ich hätte sagen können: Ew. Majestät haben die Allerhöchste Gnade und versorgen mich. — Weil ich aber so einfältig war und um nichts bat, so wollte er mir auch nichts anbieten. — Und so ging er denn von mir weg, war aber kaum sechs bis acht Schritte gegangen, so sah er sich nach mir um und gab ein Zeichen, daß ich mit ihm gehen solle. — Und so ging denn das Examen an:

Der König: Wo hat er studiert?

Ich: Ew. Majestät, in Jena.

Der König: Unter welchem Prorektor ist Er inskribiert worden?

Ich: Unter dem Professor Theologiae Dr. Förtsch.

Der König: Was waren denn sonst noch für Professoren in der theologischen Fakultät?

Ich: Buddäus, Danz, Weißenborn, Walch.

Der König: Hat Er denn auch fleißig Biblica gehört?

Ich: Beim Buddäo.

Der König: Das ist der, der mit Wolffen so viel Krieg hatte?

Ich: Ja, Ew. Majestät. Es war —

Der König: Was hat Er denn sonst noch für nützliche Collegia gehört?

Ich: Ethica et Exegetica beim Dr. Förtsch, Hermenevtica et Polemica beim Dr. Walch, Hebraica beim Dr. Danz, Homiletica beim Dr. Weißenborn, Pastorale et Morale beim Dr. Buddäo.

Der König: Ging es denn zu Seiner Zeit noch so toll in Jena her, wie ehedem die Studenten sich ohne Unterlaß miteinander katzbalgten, daher der bekannte Vers kommt:

<441> Wer von Jena kommt ungeschlagen,
Der hat von großem Glück zu sagen.

Ich: Diese Unsinnigkeit ist ganz aus der Mode gekommen, und man kann dort anjetzt sowohl, als auf andern Universitäten, ein stilles und ruhiges Leben führen, wenn man nur das dic cur hic? observieren will. Bei meinem Anzuge schafften die Durchl. Nutritores Academiae (Ernestinischer Linie) die sogenannten Renommisten aus dem Wege und ließen sie zu Eisenach auf die Wartburg in Verwahrung setzen; da haben sie gelernt ruhig sein.

Und so schlug die Glocke eins. « Nun muß ich fort », sagte der König, « sie warten auf die Suppe. » — Und da wir aus dem Garten kamen, waren die vier Offiziere noch gegenwärtig und auf dem Schloßplatze, die gingen mit dem Könige ins Schloß hinein und kam keiner wieder zurück. Ich blieb auf dem Schloßplatze stehen, hatte in 27 Stunden nichts genossen, nicht einen Dreier in bonis zu Brote, und war in einer vehementen Hitze vier Meilen im Sande gewatet. Da war's wohl eine Kunst, das Heulen zu verbeißen.

In dieser Bangigkeit meines Herzens kam ein Kammerhusar aus dem Schlosse und fragte: « Wo ist der Mann, der mit meinem Könige in dem Garten gewesen? » Ich antwortete: « Hier! » Dieser führte mich ins Schloß in ein großes Gemach, wo Pagen, Lakaien und Husaren waren. Der Husar brachte mich an einen kleinen Tisch, der war gedeckt, und stand darauf: eine Suppe, ein Gericht Rindfleisch, eine Portion Karpfen mit einem Gartensalat, eine Portion Wildpret mit einem Gurkensalat. Brot, Messer, Gabel, Löffel, Salz war alles da. Der Husar präsentierte mir einen Stuhl und sagte: « Die Essen, die hier auf dem Tische stehen, hat Ihm der König auftragen lassen und befohlen, Er soll sich satt essen, sich an niemand kehren, und ich soll servieren. Nun also frisch daran! » Ich war sehr betreten und wußte nicht, was zu tun sei, am wenigsten wollte mir's in den Sinn, daß <442>des Königs Kammerhusar auch mich bedienen sollte. — Ich nötigte ihn, sich zu mir zu setzen; als er sich weigerte, tat ich, wie er gesagt hatte, und ging frisch daran, nahm den Löffel und fuhr tapfer ein. Der Husar nahm das Fleisch vom Tische und setzte es auf die Kohlpfanne; ebenso kontinuierte er mit Fisch und Braten und schenkte Wein und Bier ein. Ich aß und trank mich recht satt. Den Konfekt, dito einen Teller voll großer schwarzer Kirschen und einen Teller voll Birnen packte mein Bedienter ins Papier und senkte mir solche in die Tasche, auf dem Rückwege eine Erfrischung zu haben. Und so stand ich denn von meiner königlichen Tafel auf, dankte Gott und dem Könige von Herzen, daß ich so herrlich gespeiset worden. Der Husar räumte auf. Den Augenblick trat ein Sekretarius herein und brachte ein verschlossenes Reskript an den Packhof, nebst meinen Testimoniis und dem Passe zurück, zählte auf den Tisch fünf Schwanzdukaten und einen Friedrichsdor: « Das schicke mir der König, daß ich wieder zurück nach Berlin kommen könnte. » Hatte mich nun der Husar ins Schloß hineingeführt, so brachte mich der Sekretarius wieder bis vor das Schloß hinaus. Und da hielt ein königlicher Proviantwagen mit sechs Pferden bespannt; zu dem brachte er mich hin und sagte: « Ihr Leute, der König hat befohlen, ihr sollt diesen Fremden mit nach Berlin fahren, aber kein Trinkgeld von ihm nehmen. » Ich ließ mich durch den Sekretarium noch einmal untertänigst bedanken für alle königliche Gnade, setzte mich auf und fuhr davon.

<443>Als wir nach Berlin kamen, ging ich sogleich auf den Packhof, gerade in die Expeditionsstube, und überreichte das königliche Reskript. Der Oberste erbrach es; bei Lesung desselben verfärbte er sich, bald bleich, bald rot, schwieg still und gab es dem zweiten. Dieser nahm eine Prise Schnupftabak, räusperte und schneuzte sich, setzte eine Brille auf, las es, schwieg still und gab es weiter. Der letzte endlich regte sich, ich sollte näher kommen und eine Quittung schreiben: « daß ich für meine 400 Reichstaler ganze Batzen soviel an Brandenburger Münzsorten, ohne den mindesten Abzug, erhalten ». Meine Summe wurde mir sogleich richtig zugezählt. Darauf wurde der Schaffner gerufen, mit der Ordre: « Er sollte mit mir auf die Jüdenstraße in den weißen Schwan gehen und bezahlen, was ich schuldig wäre und verzehrt hätte. » Dazu gaben sie ihm 24 Taler, und wenn das nicht zureichte, solle er kommen und mehr holen. Das war es, daß der König sagte: « Er soll seine Gelder cum Interesse wieder bekommen », daß der Packhof meine Schulden bezahlen mußte. Es waren aber nur 10 Taler, 4 Groschen, 6 Pfennig, die ich in acht Wochen verzehrt hatte, und so hatte denn die betrübte Historie ihr erwünschtes Ende. —

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VIERZIGSTES KAPITEL Freundschaftliche Verhältnisse zu Rußland und Österreich. — Die Erwerbung von Westpreußen.

Als Friedrich den Hubertsburger Frieden schloß, stand er ohne einen eigentlichen Bundesgenossen da, durch dessen Beihilfe er seinem Staate ein entschiedeneres Gewicht in den europäischen Angelegenheiten hätte erhalten können. England war von ihm abgefallen, auf eine Weise, daß er nie wieder zu der Regierung dieses Staates Vertrauen fassen konnte; der Bund mit Rußland war seit dem schnellen Sturze Peters III. zerrissen. Nur mit den Tataren und Türken bestand noch seit den letzten Jahren des Siebenjährigen Krieges ein gewisses freundschaftliches Verhältnis. Auch erschien infolge des letzteren, schon im Spätherbste des Jahres 1763, eine zahlreiche türkische Gesandtschaft zu Berlin, die daselbst im vollen orientalischen Pompe, zum großen Ergötzen der Einwohner, am 9. November ihren Einzug hielt und dem Könige kostbare Gewandstoffe, Waffen und prächtige Pferde zum Geschenk überbrachte. Es wird erzählt, der Sultan habe <445>Friedrich durch seinen Gesandten Achmet Effende bitten lassen, ihm drei der Astrologen zu übersenden, durch deren Gelehrsamkeit der König, wie er meinte, all jene wunderwürdigen Erfolge des Siebenjährigen Krieges erreicht habe; Friedrich aber habe geantwortet: die drei Astrologen wären seine Kenntnis von politischen Dingen, seine Armee und sein Schatz. Die Gesandtschaft blieb den Winter über in der preußischen Residenz und ersetzte den Berlinern einigermaßen den Mangel an Schauspielen und sonstigen Lustbarkeiten, an die man so schnell nach dem verheerenden Kriege noch nicht denken konnte. Als die Türken im nächsten Frühjahr wieder abzogen, hatte sich eine ziemliche Anzahl junger Mädchen eingefunden, die die Reise nach Konstantinopel mitzumachen gedachten und schon auf den türkischen Rüstwagen versteckt waren. Die Polizei aber hatte von diesem Vorhaben Kunde erhalten und wußte die zierlichen Flüchtlinge noch zur rechten Zeit zu fassen.

Indes waren Verhältnisse solcher Art zu wenig genügend, als daß Friedrich nicht hätte einen wichtigeren Bundesgenossen zur Sicherung seiner Macht suchen sollen. Eine Verbindung mit Rußland schien die besten Vorteile zu gewähren, und obgleich man österreichischerseits eifrig dagegen arbeitete, so fand sich doch bald Gelegenheit, eine solche Verbindung zustande zu bringen. Die politischen Verhältnisse Polens gaben dazu den Anlaß. König August III. war im Oktober 1763, sein Sohn zwei Monate nach ihm gestorben, und es blieb nur ein unmündiger Enkel übrig, der an eine so schwierige Bewerbung, wie die polnische Krone damals war, nicht denken konnte. Rußland hatte bisher ein entschiedenes Übergewicht über Polen behauptet und das Land fast wie eine abhängige Provinz behandelt; es schien der Kaiserin höchst wünschenswert, auch fortan diesen Einfluß auszuüben. Polnische Patrioten, welche das allerdings selbst verschuldete Elend ihres Vaterlandes fühlten, wandten sich an Friedrich, daß er ihnen seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, der aus dem Siebenjährigen Kriege mit hohem Ruhm zurückgekehrt war, zum Könige gebe, damit ihr Vaterland unter dessen Leitung aufs neue groß und stark werde. Aber Friedrich sah zu wohl ein, welche Folgen ein solcher Schritt für ihn haben könne; er schlug die Bitte ab. Jetzt fand die russische Kaiserin in Friedrich eine gleiche Stimmung rücksichtlich Polens, und schnell, im April 1764, kam das von Friedrich erwünschte Bündnis zustande. Man verbürgte sich gegenseitig den gegenwärtigen Besitz beider Staaten, versprach sich im Kriege eine Unterstützung von 12,000 Mann oder 480,000 Taler Subsidien und machte es in einem geheimen Artikel aus, daß man alle Mittel, selbst Kriegsgewalt anwenden wolle, die Grundverfassung der polnischen Republik, namentlich das unbeschränkt freie Wahlrecht — den wesentlichsten Grund der Anarchie, welche Polen schwach und für <446>die Nachbarländer ungefährlich machte! — zu erhalten. Gleichzeitig hatte man den polnischen Grafen Stanislaus August Poniatowski als Bewerber der polnischen Krone ausersehen; unter dem Schutze russischer Waffen wurde dieser am 7. September desselben Jahres zum Könige gewählt.

Polen aber war von inneren Gärungen erfüllt. Religiöser Fanatismus hatte das Volk furchtbar entzweit; diejenigen, die nicht zur römisch-katholischen Kirche gehörten — sie führten den Namen der Dissidenten — wurden in jeder Weise unterdrückt. Nun verlangte die russische Kaiserin für die letzteren durchaus gleiche Rechte. Dies regte die Zwietracht immer heftiger auf. Um die Sache kurz zu beenden, entschloß sich Katharina zu einem Gewaltstreich: die Häupter der katholischen Partei wurden zu nächtlicher Weile überfallen und schnell nach Sibirien abgeführt. Aber so schrankenlose Gewalt trieb das polnische Volk zur Verzweiflung; in den südlichen Gegenden, nahe an der türkischen Grenze, bildete sich, im Jahre 1768, ein Aufstand, der alle Fremdherrschaft abschütteln und den Thron Stanislaus Augusts umstürzen wollte. Doch schon waren aufs neue russische Truppen in Polen eingerückt; die Verbündeten wurden auseinandergesprengt; sie flüchteten sich auf türkisches Gebiet; die Russen eilten ihnen unbedachtsam nach und legten eine türkische Stadt in Asche.

<447>Dieser Friedensbruch fachte urplötzlich das alte Feuer der Eifersucht zwischen der Pforte und Rußland zur lodernden Flamme an. Der russische Gesandte in Konstantinopel ward ohne weiteres ins Gefängnis abgeführt; der Divan des Sultans erklärte dem Petersburger Hofe den Krieg. Friedrich, der sich höchst ungern mit in den Krieg verwickelt sah, suchte den Frieden zu erhalten, doch waren seine Unterhandlungen umsonst; er zahlte somit an Rußland die bundesmäßige Geldhilfe. Aber die Pforte hatte sich im höchsten Maße übereilt; sie war noch auf keine Weise gerüstet. Rußland erfocht glänzende Siege und besetzte bedeutende Landstrecken des türkischen Gebietes.

Die schnellen Fortschritte seines Bundesgenossen konnte Friedrich indes nicht ohne Besorgnisse ansehen; es stand wohl zu befürchten, daß er aus einem Verbündeten zum Diener herabgedrückt werden könne. Er sah sich somit nach einer andern Seite um, das verlorne Gleichgewicht wiederherzustellen; und nun begegneten sich die Staaten, die solange einander feindselig gegenübergestanden hatten, in gleichem Interesse. Österreich konnte die russischen Fortschritte ebensowenig gleichgültig ansehen wie Preußen.

Joseph II., geboren im Jahr 1741, war seinem Vater im Jahr 1765 als Kaiser und als Mitregent der österreichischen Erblande gefolgt. Ihn hatten die Taten Friedrichs mit hoher Bewunderung erfüllt; ihm schien kein Los ruhmvoller, als ebenso — oder vielleicht noch gewaltiger — der Freiheit des menschlichen Geistes Bahn zu brechen, als seinen Namen mit ebenso unvergänglicher Schrift in die Tafeln der Geschichte einzugraben. Hätte er Friedrichs kalte Besonnenheit und Charakterstärke besessen, hätte ihn das Geschick nicht zu früh von seiner dornenvollen Bahn abgerufen, er würde das Größte vollbracht haben. Schon im Jahre 1766, als <448>Joseph Böhmen und Sachsen bereiste, um sich mit dem Schauplatze des großen Krieges bekannt zu machen, hatte er Friedrich seinen Wunsch kundgetan, ihn von Angesicht zu sehen und persönlich kennenzulernen; damals hatten jedoch Maria Theresia und ihr Kanzler, Fürst Kaunitz, eine solche Zusammenkunft wenig passend gefunden, und Joseph hatte, sich entschuldigend, gegen Friedrich geäußert, er werde schon Mittel finden, um die Unhöflichkeit wieder gut zu machen, zu der seine Pädagogen ihn zwängen. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen aber war das Begehren des jungen Kaisers seiner Mutter ganz erwünscht. Die Vorbereitungen dazu konnten um so schneller beseitigt werden, als Joseph, der seine Reisen stets unter dem <449>Namen eines Grafen von Falkenstein machte, sich alles Zeremoniell verbeten hatte. Neiße in Oberschlesien war zum Orte der Zusammenkunft ausersehen worden. Am 25. August 1769 traf Joseph daselbst ein; er fuhr geradeswegs nach dem bischöflichen Schlosse, wo Friedrich seine Wohnung genommen hatte. Friedrich eilte ihm mit den Prinzen, die bei ihm waren, entgegen, aber kaum war er einige Stufen der Treppe hinabgestiegen, als der Kaiser ihm schon in den Armen lag. Der König führte seinen erhabenen Freund an der Hand in den Saal. Joseph sagte: « Nun sehe ich meine Wünsche erfüllt, da ich die Ehre habe, den größten König und Feldherrn zu umarmen. » Friedrich entgegnete, er sehe diesen Tag als den schönsten seines Lebens an, denn er werde die Epoche der Vereinigung zweier Häuser ausmachen, die zu lang Feinde gewesen seien und deren gegenseitiges Interesse es erfordere, sich eher beizustehen als einander aufzureiben. Der Kaiser fügte hinzu: für Österreich gebe es kein Schlesien mehr. Er ließ sodann etwas davon fallen, daß er zwar für jetzt noch keinen bedeutenden Einfluß habe, daß aber so wenig er wie seine Mutter es zugeben würde, daß die Russen im Besitz der Moldau und Wallachei, die sie bereits großenteils erobert, blieben. Endlich kam auch eine schriftliche Übereinkunft zwischen ihm und Friedrich zustande, wodurch sie sich bei einem zu erwartenden Kriege zwischen England und Frankreich, sowie bei andern unvorhergesehenen Unruhen, zu völliger Parteilosigkeit verpflichteten. — Die Tage des Besuches gingen unter militärischen Übungen und traulichen Gesprächen hin; beim Ausgehen sah man die beiden Häupter des deutschen Reiches nur Arm in Arm.

Eine zweite, wichtigere Zusammenkunft zwischen Friedrich und dem jungen Kaiser wurde im September des folgenden Jahres zu Neustadt in Mähren veranstaltet. Auf der Reise dahin stattete Friedrich einem Bekannten früherer Zeit, dem Grafen Hoditz, auf seinem mährischen Landgute Roßwalde einen Besuch ab. Hoditz hatte unter den Gartenkünstlern des vorigen Jahrhunderts einen Ruf erworben, der an das Wunderbare grenzte; er hatte es möglich gemacht, alle Phantasien der bildenden Kunst in seiner Besitzung lebendig auszuführen. Die gesamte Schar seiner Untergebenen hatte er zu diesem Endzwecke künstlerisch ausgebildet. Jetzt ließ er es sich eifrigst angelegen sein, vor seinem königlichen Gaste den ganzen Zauber seines elyseischen Aufenthaltes zu entfalten. Da waren die Felder und Wiesen von arkadischen Schäfern und Schäferinnen belebt; im Wald und in den Gewässern bewegten sich, wie im heitersten Spiele, die Götter und Göttinnen der alten Fabelwelt. Die Gebäulichkeiten und ihre Umgebungen versetzten in die verschiedensten Zonen der Erde; selbst die kleine Stadt der Lilliputer, von denen Gulliver erzählt, fehlte nicht; ihre Türme reichten nicht bis an die Stirn der Lustwandelnden empor. <450>Schauspiele, Wasserkünste, Feuerwerke, tausend Überraschungen waren angewandt, um einen jeden Gedanken an die prosaische Wirklichkeit des Lebens fern zu halten.

Friedrich war sehr zufrieden aus den Zaubergärten von Roßwalde geschieden und traf am 3. September in Neustadt ein. Zu Anfange der Stadt stieg er aus seinem Wagen, um den Kaiser zu Fuße zu begrüßen; dieser aber hatte seine Ankunft bereits wahrgenommen und eilte ihm mit seinem Gefolge entgegen. Auf offenem Platze umarmten die Monarchen einander. Diesmal befand sich auch Fürst Kaunitz im Gefolge des Kaisers, und es kam zu näheren diplomatischen Verhandlungen. Kaunitz bemühte sich, den König zu einer unmittelbaren Verbindung zu gewinnen; er stellte ein Bündnis Österreichs und Preußens als die einzige Schutzwehr wider den ausgetretenen Strom dar, der ganz Europa zu überschwemmen drohe. Friedrich indes war nicht geneigt, mit Rußland zu brechen; doch versicherte er, er wolle alles tun, um zu verhindern, daß aus dem gegenwärtigen Türkenkriege ein allgemeiner Brand entstehe; er versprach seine Vermittelung und erwies sich auch in andern Dingen entgegenkommend. Zur Bestätigung dessen, wie eifrig er schon gegenwärtig für die Ruhe Europas unterhandelt hatte, traf gerade in diesen Tagen ein Kurier aus Konstantinopel mit dem Antrage des Sultans an die beiden Höfe von Berlin und Wien ein, die Vermittelung zwischen Rußland und der Pforte, welche letztere <451>neuerdings wiederum bedeutende Verluste erlitten hatte, zu übernehmen. Joseph und Kaunitz waren hierüber sehr erfreut und bezeugten sich dankbar.

Der Besuch in Neustadt bot zugleich mancherlei anmutige Unterhaltung dar. Der geistreiche Prinz von Ligne, der sich in Josephs Gefolge befand, hat uns darüber und über die Weise, wie Friedrich durch lebendiges und witziges Gespräch zu fesseln verstand, anziehende Berichte hinterlassen. « Wissen Sie », sagte Friedrich eines Tages zu dem Prinzen von Ligne, « daß ich in Ihrem Dienste gestanden habe? Meine ersten Waffen habe ich für das Haus Österreich geführt. Mein Gott, wie die Zeit vergeht! » Er legte (fügt der Prinz hinzu) bei den Worten « Mein Gott » die Hände auf eine Weise zusammen, daß es ihm ein mildes Ansehen gab. « Wissen <452>Sie », fuhr Friedrich fort, « daß ich die letzten Strahlen von dem Genie des Prinzen Eugen habe leuchten sehen? » — « Vielleicht entzündete sich das Genie Ew. Majestät an diesen Strahlen. » — « Ach, mein Gott, wer dürfte sich dem Prinzen Eugen gleichstellen! » — « Der », sagte der Prinz, « der mehr gilt: der, zum Beispiel, der dreizehn Schlachten gewonnen hat. »

Über den Feldmarschall Traun äußerte Friedrich: « Dies war mein Meister; er lehrte mich die Fehler kennen, die ich machte. » — « Ew. Majestät », erwiderte der Prinz von Ligne, « waren sehr undankbar, Sie bezahlten ihm die Unterrichtsstunden nicht. Sie hätten sich dafür wenigstens von ihm sollen schlagen lassen, aber ich erinnere mich nicht, daß dies geschehen sei. » — « Ich bin nicht geschlagen worden », entgegnete Friedrich, « weil ich mich nicht geschlagen habe. »

Besondere Auszeichnung erwies Friedrich dem General Loudon, der sich mit in Neustadt befand. Er nannte ihn fortwährend nur « Herr Feldmarschall », obgleich Loudon erst acht Jahre später diese Würde, welche er, der gefährlichste Feind Friedrichs im siebenjährigen Krieg, schon lange verdient hatte, erhielt. Als man sich eines Tages zur Tafel setzen wollte, bemerkte man, daß Loudon sich noch nicht eingefunden habe. « Das ist gegen seine Gewohnheit », sagte Friedrich; « sonst pflegte er vor mir auf dem Platze zu sein. » Er bat darauf, daß Loudon sich neben ihn setzen möge: er liebe es mehr, ihn zur Seite, als sich gegenüber zu sehen.

Friedrich, sowie sein Gefolge, trugen während dieses ganzen Besuchs die österreichischen Farben, weiß, mit Silber gestickt, damit er den Augen der Österreicher nicht die wenig beliebten preußischen Blauröcke vorführe und damit es den Anschein habe, als gehöre er zu ihrer Armee und zum Gefolge des Kaisers. Da Friedrich aber, seiner Gewohnheit nach, viel spanischen Tabak schnupfte, so blieben die Spuren davon auf der weißen Kleidung sehr bemerklich. « Ich bin für Euch, Ihr Herren », bemerkte er zu dem Prinzen von Ligne, « nicht sauber genug, ich bin nicht wert, Ihre Farben zu tragen. »

Über Joseph äußerte sich Friedrich, kurz nachdem er aus Mähren zurückgekehrt war, mit hoher Anerkennung. « Ich bin », so schrieb er an Voltaire, « in Mähren gewesen und habe da den Kaiser gesehen, der sich in Bereitschaft setzt, eine große Rolle in Europa zu spielen. Er ist an einem bigotten Hofe geboren und hat den Aberglauben verworfen; ist in Prunk erzogen und hat einfache Sitten angenommen; wird mit Weihrauch genährt und ist bescheiden; glüht von Ruhmbegierde und opfert seinen Ehrgeiz der kindlichen Pflicht auf, die er in der Tat äußerst gewissenhaft erfüllt; hat nur Pedanten zu Lehrern gehabt und doch Geschmack genug, Voltaires Werke zu lesen und Ihr Verdienst zu schätzen. » —

<453>Indes wollten die Vermittelungen zwischen den feindlichen Mächten vorderhand zu keinen erwünschten Erfolgen führen. Rußland hatte zu wichtige Vorteile über die Türken erkämpft, als daß es sich zu billigen Friedensbedingungen hätte willig zeigen können; die Pforte wollte auf die russischen Forderungen nicht eingehen; Österreich bestand darauf, daß Rußland nicht der Nachbar seiner östlichen Provinzen werden dürfe, und rüstete seine Kriegsmacht, um solcher Erklärung Nachdruck zu verschaffen. Mit vermehrter Heftigkeit drohte der Krieg auszubrechen; es war dringend zu befürchten, daß die Polen so günstige Gelegenheit nicht ungenützt würden vorübergehen lassen, daß sich auch noch andere Mächte in diese Händel mischen würden und daß aufs neue die Fackel des Krieges ganz Europa entzünden dürfe. Friedrich aber wünschte nichts mehr, als den Frieden zu erhalten und sein Land in ungestörter Muße erstarken zu lassen. Da zeigte sich plötzlich ein ganz unvermuteter Ausweg, um alle die widerstrebenden Gemüter zufrieden zu stellen.

<454>Prinz Heinrich, der Bruder Friedrichs, befand sich in Petersburg zum Besuche und hatte sich das besondere Vertrauen der Kaiserin Katharina zu erwerben gewußt, als dort die Nachricht eintraf, Österreich habe einen Teil des polnischen Grenzlandes besetzt, um alte Ansprüche an dasselbe geltend zu machen. Auf diese Kunde sprach Katharina zu Heinrich das berühmte Wort: « Es scheint, daß man sich in Polen nur zu bücken braucht, um nach Belieben zu nehmen: — wenn der Hof von Wien dies Königreich zerstückeln will, so würden die übrigen Nachbarn desselben das Recht haben, ein Gleiches zu tun. » Diese Äußerung faßte Heinrich auf; er entwickelte der Kaiserin, wie sie sich auf diese Weise für eine gewisse, den übrigen Mächten so wünschenswerte Nachgiebigkeit gegen die Pforte vollkommen schadlos halten könne, und Katharina ging bereitwillig darauf ein; die Ausführung konnte bei der inneren Zerrissenheit Polens keine Schwierigkeit haben. Als Friedrich die erste Nachricht von dieser Verhandlung erhielt, zögerte er nicht, seine Zustimmung zu geben.

Preußen und Rußland vereinigten sich bald über die zu ergreifenden Maßregeln überein und forderten Österreich auf, an dieser eigentümlichen Verbindung gegen Polen teilzunehmen. Das österreichische Kabinett, obgleich es den ersten Anstoß dazu gegeben hatte, nahm jetzt den Anschein, als ob es die ganze Angelegenheit mißbillige, — vielleicht der Kaiserin Maria Theresia zu Gefallen, die sich hierin nur äußerst schwer finden konnte. Als es aber seine Zustimmung gegeben hatte, machte es plötzlich so ausgedehnte Forderungen, daß der ganze Teilungsplan fast aufs neue gescheitert wäre. Endlich, nach mancherlei schwierigen Unterhandlungen, kam man dahin überein, daß ein jeder der drei Staaten die seinen Grenzen zunächstgelegenen Landstriche Polens, die zu seiner vollkommenen Abrundung bequem gelegen waren, in Besitz nehmen sollte. Die Ausführung geschah im Herbst des Jahres 1772, ohne daß Polen fähig gewesen wäre, etwas dagegen zu unternehmen. Friedrich ließ Pomerellen und die übrigen, zwischen Pommern und Ostpreußen gelegenen Distrikte (mit Ausnahme von Danzig und Thorn) besetzen und sich huldigen. Jede der drei Mächte stellte Beweise zur Gültigkeit ihrer Forderungen auf. Friedrichs Erklärung betraf vornehmlich Pomerellen, das von dem Herzogtum Pommern durch die Polen im dreizehnten Jahrhunderte abgerissen war, und auf das somit Kurbrandenburg, als Erbe von Pommern, gerechte Ansprüche habe. Friedrichs Erwerbung war die geringste an Flächenraum, Einwohnerzahl und Wert des Bodens; aber sie war für ihn von größter Wichtigkeit, sofern sie diese naturgemäße Verbindung zwischen seinen Staaten herstellte und ihn, durch den Besitz der Weichselmündung, zum Herrn des polnischen Handels machte. Die neue Provinz <455>erhielt den Namen Westpreußen; und da Friedrich jetzt im Besitz des ganzen altpreußischen Landes war, so nannte er sich nicht mehr, wie bisher, König « in » Preußen, sondern König « von » Preußen.

Der polnische Reichstag war zur Anerkennung der Abtretungen, trotz des Widerspruches der polnischen Patrioten, gezwungen worden. Thaddäus Reyten, der eifrigste Gegner der Teilung seines Vaterlandes, ward wahnsinnig, als er all seine Anstrengungen vergeblich sah. Maria Theresia hatte den Plänen ihres Kabinetts nur mit äußerstem Widerwillen beigestimmt. Sie schrieb darüber an Kaunitz den merkwürdigen Brief: « Als alle meine Länder angefochten wurden und gar nit mehr wußte, wo ruhig niederkommen sollte, steiffete ich mich auf mein gutes Recht und den Beistand Gottes. Aber in dieser Sach, wo nit allein das offenbare Recht himmelschreiend wider uns, sondern auch alle Billigkeit und die gesunde Vernunft wider uns ist, muß bekennen, daß zeitlebens nit so beängstigt mich befunden und mich sehen zu lassen schäme. Bedenk der Fürst, was wir aller Welt für ein Exempel geben, wenn wir um ein elendes Stuck von Polen oder von der Moldau und Wallachei unser Ehr und Reputation in die Schanz schlagen. Ich merk wohl, daß ich allein bin und nit mehr en vigueur, darum laß ich die Sachen, jedoch nit ohne meinen größten Gram, ihren Weg gehen. » Auf den Entwurf des Teilungsprojekts aber schrieb die hehre Frau eigenhändig die Worte: « Placet, weil so viele große und gelehrte Männer es wollen; wenn ich aber schon längst tot bin, wird man erfahren, was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und gerecht war, hervorgehen wird. » — Alle Welt war von dumpfem Erstaunen erfüllt, als das Ereignis vor sich ging, das bis dahin ohne Beispiel in der Geschichte war. Doch schritt keine der übrigen Großmächte dagegen ein; die Vorbereitungen zu dem Freiheitskampfe der Nordamerikaner und die Aufhebung des Jesuitenordens hatten die Interessen nach andern Seiten hin abgezogen.

<456>Indem wir dem beginnenden Untergange eines Volkes, das herrlich begabt und einst groß und mächtig war, gerechte Trauer widmen, ist es der Hinblick auf den steten Fortschritt der Geschichte, der für solche Betrachtung reichen Trost gewährt. Die Geschichte lehrt uns, wie fort und fort über den Gräbern ein neues, zumeist ein schöneres Leben emporsprießt. Polen fiel, weil es hinter der Entwickelung der Zeit zurückgeblieben war, weil man im Lande selbst nur Willkür und Knechtschaft kannte, weil kein volkstümlicher Geist die Glieder des ausgedehnten Reiches mehr zusammenhielt. Preußen ward, indem es vom polnischen Reiche einen Landstrich nahm, den dieses sich früher durch Waffengewalt unterworfen hatte, auf eine Weise ausgerundet, die beim Fortschritt seiner politischen Entwickelung notwendig erfolgen mußte; und was von Polen unter preußische Hoheit kam, ward rasch aus seiner alten Barbarei emporgerissen und all denjenigen höheren Gütern des Lebens teilhaftig gemacht, die in den übrigen Provinzen des preußischen Staates im regen Wetteifer der Kräfte gediehen. Zagt unser Herz, dem Schritt beizustimmen, zu dem sich Friedrich veranlaßt sah, so müssen wir ihm in den neuen landesväterlichen Sorgen, denen er sich hingab, um mehr als eine halbe Million Menschen glücklich zu machen, wiederum die lauterste Bewunderung zollen. Er selbst war schon im Sommer 1772 nach Westpreußen geeilt, um die nötigsten Vorkehrungen zu treffen. Wo bisher nur Verwirrung und Rechtlosigkeit geherrscht hatten, ward eine geregelte Rechtspflege, welche Sicherheit des Lebens und Eigentums gab, eingeführt; die Schmach der Leibeigenschaft und das barbarische Standerecht wurden aufgehoben; zahlreiche Schulen wurden gestiftet, um das Volk aus seiner stumpfen Gefühllosigkeit zu menschlichem Adel zu entwickeln; vortreffliche Einrichtungen wurden getroffen, um den ansteckenden Krankheiten zu wehren, die so oft Verheerungen unter Menschen und Vieh angerichtet hatten. Endlich ward nichts verabsäumt, um Tätigkeit und Verkehr zu befördern; Kolonisten wurden in entvölkerten Landstrecken angesetzt; an der Posteinrichtung erhielt die Landschaft ein ganz neues Gut.

<457>Die Verbindung zwischen Preußen und Rußland, die bei den Verhandlungen über die zu besetzenden Landstriche Polens in etwas gestört worden war, was sodann die geschäftige Diplomatie feindlich Gesinnter schnell zu benutzen gesucht hatte, ward bald noch fester geknüpft. Prinz Heinrich befand sich im Frühjahr 1776 zum zweiten Male in Petersburg, als die junge Gemahlin des Großfürsten Paul plötzlich starb. Er wußte sich bei diesem Trauerfall durch zarte Teilnahme das Vertrauen des ganzen kaiserlichen Hofes zu erwerben; und als die Kaiserin eine baldige Wiedervermählung des Großfürsten wünschte, brachte er eine Prinzessin von Württemberg, deren Mutter eine Prinzessin von Brandenburg-Schwedt war, in Vorschlag. Die Wahl fand Beifall; es ward bestimmt, daß der Großfürst in Berlin mit der Prinzessin zusammentreffen und dort die Verlobung feiern solle.

Friedrich machte zum Empfang des hohen Gastes außerordentliche Anstalten. Eine besondere Gesandtschaft ward ihm bis an die russische Grenze entgegengeschickt; unterdessen traf man alle Vorkehrungen, um den königlichen Residenzen ein festliches Gepräge zu geben. Da der Hofstaat Friedrichs äußerst einfach war, so wurde für diesen Zweck auch die Zahl der Pagen und Lakaien ansehnlich vermehrt. Am 21. Juli hielt der Großfürst einen glänzenden Einzug in Berlin; Friedrich ging ihm bis vor seine Wohnung entgegen. Paul Petrowitsch sagte: « Sire, die Beweggründe, welche <458>mich von dem äußersten Norden bis in diese glücklichen Gegenden führen, sind das Verlangen, Sie der Freundschaft zu versichern, welche für immer Rußland und Preußen vereinigen soll, und die Sehnsucht, eine Prinzessin zu sehen, welche auf den Thron der Moskowiter zu steigen bestimmt ist. Indem ich sie aus Ihren Händen empfange, wage ich es, Ihnen zu versprechen, daß diese Fürstin mir und der Nation, über welche sie regieren wird, um so teurer ist. Endlich erlange ich, was ich so lange gewünscht habe: ich kann den größten Helden, die Bewunderung unserer Zeit und das Staunen der Nachwelt, betrachten. » — Friedrich erwiderte: « Ich verdiene so große Lobeserhebungen nicht, mein Prinz; Sie sehen in mir nur einen alten kränklichen Mann mit weißen Haaren; aber glauben Sie, daß ich mich schon glücklich schätze, in diesen Mauern den würdigen Erben eines mächtigen Reiches, den einzigen Sohn meiner besten Freundin, der großen Katharina, zu empfangen. » Dann wandte sich Friedrich an den Grafen Romanzow, der die mächtigen Siege über die Türken erkämpft hatte und der sich im Gefolge des Großfürsten befand; zu diesem sagte er: « Sieger der Ottomanen, seien Sie willkommen! Ich finde viel Ähnlichkeit zwischen Ihnen und meinem General Winterfeldt. » — « Sire », entgegnete der russische Marschall, « es würde mir sehr schmeichelhaft sein, selbst nur unvollkommen einem Generale zu ähneln, der sich so ruhmvoll in Friedrichs Diensten ausgezeichnet hat. » — « O », erwiderte der König, « Sie können vielmehr stolz sein auf die Siege, welche Ihren Namen bis auf die entfernteste Nachwelt bringen werden. » — Die Verlobung des Großfürsten wurde zwei Tage nach seiner Ankunft gefeiert. Jeder Tag seiner Anwesenheit war durch die glänzendsten Feste gefeiert.

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EINUNDVIERZIGSTES KAPITEL Friedrichs Sorgen für Deutschland. — Der bayrische Erbfolgekrieg und der deutsche Fürstenbund.

Rastlos hatte Friedrich unterdes für das Wohl seines Volkes gewirkt; gern hätte er diese schöne Tätigkeit ohne Unterbrechung bis an das Ende seines Lebens fortgeführt. Aber er ließ nicht nach, mit scharfem Blicke die politischen Angelegenheiten zu verfolgen; und als die Gefahr emporstieg, die früher oder später die bedeutsame Stellung, welche er seinem Staate gegeben, beeinträchtigen konnte, war er schnell, wie in den Zeiten der Jugend, gerüstet, dem drohenden Übel vorzubeugen.

Seit Jahrhunderten hatte man das österreichische Kaiserhaus im Verdacht, daß es dahin strebe, mit dem Schatten der Kaiserwürde eine Macht zu verbinden, welche <460>die unabhängigen Fürsten des Reiches zu dienstbaren Vasallen herabzudrücken bestimmt sei. Man hielt sich für überzeugt, daß es keine Gelegenheit zur Ausführung solcher Pläne würde ungenützt vorübergehen lassen. Auch Friedrich teilte diese Ansicht; der leidenschaftlich emporstrebende Sinn des jungen Kaisers war allerdings hinlänglich geeignet, solche Besorgnisse rege zu halten. Darum äußerte er einst zu einem seiner Generale, indem er ihm das Bild des Kaisers zeigte, das in seinem Zimmer auf einem Stuhle stand: « Den stelle ich mir unter die Augen; das ist ein junger Mann, den ich nicht vergessen darf. Der Kaiser Joseph hat Kopf, er könnte viel ausrichten; schade für ihn, daß er immer den zweiten Schritt tut, ehe er den ersten getan hat. » — In diesen wenigen Worten ist der Grund des ganzen tragischen Geschickes, das den Kaiser traf, ausgesprochen.

Schon hatte es nicht an Gelegenheit gefehlt, die Rechte der deutschen Fürsten gegen Österreich zu vertreten, und Friedrich war dabei nicht untätig geblieben. Doch war es bisher bei einfachen Verhandlungen geblieben. Als aber der kaiserliche Hof mit Ansprüchen hervortrat, welche die bestehenden Verhältnisse durchaus zu untergraben drohten, sah sich auch Friedrich zu entschiedeneren Maßregeln genötigt.

Der Kurfürst von Bayern, Maximilian Joseph, war am 30. Dezember 1777 plötzlich gestorben. Mit ihm erlosch der eine pfalzbayrische Regentenstamm; die Nachfolge gebührte, nach unzweifelhaftem Rechte, dem Kurfürsten von der Pfalz, Karl Theodor; dieser hatte keine ehelichen Kinder, und sein nächster Lehnserbe war somit der Herzog Karl von Pfalz-Zweibrücken. Dem österreichischen Hofe aber war schon seit längerer Zeit der Erwerb von Bayern erwünscht gewesen. Jetzt wurden schnell einige wenig begründete Ansprüche hervorgesucht, österreichische Truppen rückten unverzüglich in Niederbayern und in die Oberpfalz ein, und Karl Theodor, eingeschüchtert und für das künftige Fortkommen seiner zahlreichen außerehelichen Kinder besorgt, vollzog einen Vergleich mit dem Kaiser, durch welchen er an den letzteren die bessere Hälfte seiner Erbschaft abtrat. Den Herzog Karl von Zweibrücken, dessen Stimme natürlich nicht übergangen werden durfte, hoffte man zur Bestätigung der Abtretung zu nötigen.

Solch ein eigenmächtiges Verfahren war gegen die Grundgesetze des Reiches; blieb dasselbe unangefochten, so war fortan kein Stand des Reiches mehr vor den Eingriffen des Kaisers sicher. Friedrich beschloß, die Gerechtsame der deutschen Fürsten zu vertreten. Er erklärte dem Kurfürsten, daß er, als Glied des Reichs und als Bürge des zu Hubertsburg bekräftigten westfälischen Friedens, bei solcher Zerstückelung eines Kurstaates wesentlich beeinträchtigt sei. Der Herzog Karl, der, anfangs ohne Unterstützung, schon entschlossen war, sich dem Willen des Kaisers zu <461>fügen, ward durch Friedrich zu einer Protestation veranlaßt und empfing von ihm das Versprechen, das pfälzische Haus bei seinen Rechten auf die bayrische Erbschaft gegen die ungerechten Ansprüche des Hauses Österreich mit aller Macht zu schützen. Neben dem Herzog Karl waren auch Sachsen und Mecklenburg bei dieser Angelegenheit beteiligt, indem auch sie einige untergeordnete, aber ebenfalls rechtskräftige Ansprüche auf das bayrische Erbe hatten. Frankreich und Rußland erwiesen sich den Plänen Friedrichs geneigt, waren indes beide nicht imstande, eine weitere Unterstützung zu gewähren.

Diplomatische Verhandlungen mit dem Kaiser führten zu nichts. Der österreichische Hof war auf keine Weise gewillt, von dem, was er in Besitz genommen, irgend etwas aufzuopfern; vielmehr wurden bereits Truppen in Böhmen zusammengezogen, um den Einsprüchen Preußens mit gewaffneter Hand entgegenzutreten. Da gedachte auch Friedrich, obgleich er das sechsundsechzigste Jahr bereits überschritten hatte und körperlich leidend war, nicht länger zu säumen und, wenn es einmal so sein müsse, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Er versammelte seine Armee, von der ein Korps durch Schlesien, das andere durch Sachsen den Österreichern entgegentreten sollte, und machte sich bereit, noch einmal die Anstrengungen des Krieges zu ertragen. Nachdem er seine Truppen bei Berlin gemustert, sprach er zu den versammelten Generalen: « Meine Herren! Die meisten unter uns haben von ihren frühesten Jahren an zusammen gedient und sind im Dienste des Vaterlandes grau <462>geworden: wir kennen einander also vollkommen wohl. Wir haben die Unruhen und Beschwerlichkeiten des Krieges schon redlich miteinander geteilt, und ich bin überzeugt, daß Sie ebenso ungern Blut vergießen als ich. Aber mein Reich ist jetzt in Gefahr. Mir liegt als König die Pflicht ob, meine Untertanen zu beschützen, und die kräftigsten und schleunigsten Mittel anzuwenden, um das über ihnen schwebende Ungewitter, wo möglich, zu zerstreuen. Diesen wichtigen Vorsatz zu bewerkstelligen, rechne ich auf Ihren Diensteifer und Ihre Neigung zu meiner Person, welche Sie noch allemal gezeigt haben und die auch bisher nie ohne Wirkung war. Übrigens können Sie versichert sein, daß ich die Dienste, die Sie Ihrem Könige und Vaterlande leisten, stets mit warmem Herzen und wahrer Dankbarkeit erkennen werde. Nur darum will ich Sie bitten, daß Sie die Menschlichkeit nicht aus den Augen setzen, wenn auch der Feind in Ihrer Gewalt ist, und daß Sie die unter Ihren Befehlen stehenden Truppen die strengste Mannszucht beobachten lassen. Ich reise jetzt ab; aber ich verlange nicht als König zu reisen; reiche und schöne Equipagen haben keinen Reiz für mich; doch erlaubt mir mein schwächliches Alter nicht, so zu reisen, wie ich in der feurigen Jugend tat. Ich werde mich einer Postkutsche bedienen müssen, und Sie haben die Freiheit, eben dergleichen zu tun; aber am Tage einer Schlacht werden Sie mich zu Pferde sehen, und da hoffe ich, werden meine Generale meinem Beispiele folgen. »

<463>Am 5. April 1778 ging Friedrich nach Breslau ab, indem er den Oberbefehl über die schlesische Armee nehmen wollte; das zweite Armeekorps sollte Prinz Heinrich kommandieren. Friedrich hatte den Plan, in Mähren einzubrechen, und er hätte durch dessen schleunige Ausführung bedeutende Vorteile über die Österreicher, deren Rüstungen noch nicht vollendet waren, erringen können. Aber es entspannen sich neue Unterhandlungen zwischen ihm und Joseph, die indes wiederum kein Resultat gewährten und nur Gelegenheit gaben, daß die österreichische Macht vollständig zusammengezogen werden konnte. Jetzt ließ Friedrich den Plan auf Mähren fahren und rückte durch die Grafschaft Glatz in Böhmen ein. Am 5. Juli betrat er mit dem Vortrabe seines Heeres den böhmischen Boden. Man hatte in Wien nicht daran geglaubt, daß es dem alten Könige mit seinen kriegerischen Unternehmungen Ernst sei; die Kunde seines Anmarsches erregte dort die größte Bestürzung. Maria Theresia hatte wenig Lust, den verderblichen Siebenjährigen Krieg noch einmal erneut zu sehen; sie zitterte für das Leben ihres Sohnes, der nur nach kriegerischem Ruhme dürstete, und sandte somit unverzüglich und insgeheim einen neuen Unterhändler zu Friedrich. Sie ließ dem letzteren ausdrücklich sagen, daß es ihm gewiß ebenso leid tun würde wie ihr, sich einander die Haare auszuraufen, die schon das Alter gebleicht habe. Aber auch diesmal blieben die österreichischen Anforderungen von der Art, daß Friedrich nicht darauf eingehen konnte, und so wurden sie nach einigen Wochen wiederum abgebrochen.

Unterdes war auch Prinz Heinrich, durch ein sächsisches Korps verstärkt, aus Sachsen in Böhmen eingedrungen und hatte dem Feinde einige wichtige Magazine weggenommen. 400,000 Mann, aufs gewaltigste gerüstet, beide Armeen ungewöhnlich reich mit schwerem Geschütz versehen, standen sich nunmehr auf böhmischem Boden gegenüber. Alles drohte einen unerhörten Kampf. Aber — es kam zu keiner einzigen großen Schlacht. Der Name Friedrichs klang zu drohend in die Ohren der Österreicher, als daß sie es gewagt hätten, die Kette der unangreiflichen Verschanzungen, hinter denen sie aufgestellt waren, zu verlassen und sich anders, als in leichten Scharmützeln, mit dem Gegner einzulassen. Und auch Friedrich, gerade in dieser Zeit hinfälliger als sonst und von körperlichen Leiden gedrückt, war nicht willens, den wohlerworbenen Ruhm durch ein kühnes Wagnis auf das Spiel zu setzen. Er begnügte sich, die böhmischen Grenzstriche, in die er eingerückt war, ihrer Lebensmittel zu entblößen, um dadurch eine Scheidewand zwischen Böhmen und Schlesien zu ziehen. Persönlich indes bewies er ganz den früheren Mut und setzte sich, wie ein junger Offizier, den größten Gefahren aus. Ein besonderer Zug, der uns aus dieser Zeit aufbehalten ist, gibt einen Beleg seiner alten Unerschrockenheit. Er hatte <464>eines Tages zur Ader lassen müssen. An demselben Tage fiel eine Kanonade mit dem Feinde vor, die so stark ward, daß er für nötig fand, selbst dahin zu reiten. Bei der Bewegung sprang ihm die Ader auf. Er stieg vom Pferde und ließ sich durch einen Kompagniechirurgus, der sich zufällig an der Stelle befand, die Ader wieder zubinden. In dem Augenblick schlug eine Kanonenkugel hart neben ihm nieder. Der Chirurg erschrak und zitterte. Friedrich aber sagte lächelnd zu den Umstehenden: « Der muß noch nicht viel Kanonenkugeln gesehen haben! »

Bald aber brach unter den preußischen Truppen Mangel an Nahrungsmitteln aus, und verderbliche Krankheiten und häufige Desertion waren die Folge davon. Die Regimenter wurden hiedurch mehr gelichtet, als wenn es zu blutigen Schlachten gekommen wäre. Friedrich sah sich zum Rückzuge aus Böhmen genötigt, den seine beiden Armeen in der Mitte Septembers antraten. Die meisterhafte Umkehr aus dem verderblichen Aufenthalte war der vorzüglichste Ruhm, den Friedrich, in militärischer Beziehung, aus diesem Kriege davontrug. Die österreichische Hauptarmee wagte ihn auch hiebei nicht zu stören; einzelne Korps, die von der schwierigen Lage der Preußen Nutzen zu ziehen suchten, wurden überall erfolgreich zurückgeschlagen. Besonders zeichnete sich bei diesem Rückzuge der preußische Thronfolger, Friedrich Wilhelm, aus, indem derselbe die ihm anvertrauten Truppen ebenso geschickt <465>auf den gefahrvollsten Wegen zu führen, wie den wiederholten Angriffen der Feinde mit standhafter Tapferkeit zu begegnen wußte. Friedrich hörte die Berichte über die Taten seines Neffen mit freudiger Genugtuung an. Als beide hernach zusammentrafen, ging er ihm mit der heitersten Miene entgegen und sagte: « Ich betrachte Sie von heute an nicht mehr als meinen Neffen, — ich sehe Sie als meinen Sohn an. Sie haben alles getan, was ich hätte tun können, alles, was man von dem erfahrensten Generale erwarten konnte. » Dann umarmte er den Prinzen mit vieler Zärtlichkeit. Dies Ereignis erweckte überall um so größere Freude, als man wußte, daß zwischen Frankreich und dem Thronfolger nicht eben ein innigeres Verhältnis obwaltete.

Friedrich hatte sein Hauptquartier noch auf böhmischem Boden, in Schatzlar, genommen, während die Quartiere, die er seine Truppen beziehen ließ, sich nach Schlesien hinein erstreckten. Hier blieb er bis Mitte Oktober und lebte, den widerwärtigen Eindruck des tatenlosen und doch so beschwerlichen Krieges von sich abschüttelnd, der edelsten literarischen Beschäftigung. Voltaire war im Frühlinge dieses Jahres gestorben. Friedrich hatte ihm lange verziehen und stand seit dem Siebenjährigen Kriege wiederum mit ihm im lebhaftesten Briefwechsel. Jetzt schrieb er eine Gedächtnisrede auf den Hingeschiedenen, die den ganzen Enthusiasmus seiner Jugendzeit atmet. Er ließ sie noch im November desselben Jahres in der Akademie von Berlin vorlesen.

<466>Von Schatzlar begab sich Friedrich nach Oberschlesien und trieb die Österreicher zurück, die hier die Grenze beunruhigten. Er besetzte einige Städte des österreichischen Schlesiens und ging dann nach Breslau, wo er den Winter über blieb. Einige Gefechte, die während des Winters an der Grenze vorfielen, blieben ohne entscheidenden Erfolg. Jetzt traten auch Frankreich und Rußland mit größerem Nachdruck gegen den kaiserlichen Hof auf, indem sie Abstellung der Beschwerden der Reichsfürsten forderten. Und da nun auch die Türken, durch die man Rußland zu beschäftigen gesucht, mit dieser Macht Frieden geschlossen, und man somit russische Waffenhilfe zu befürchten hatte, so fand man sich endlich zur Nachgiebigkeit geneigt. Im März 1779 wurde ein Waffenstillstand, und am 13. Mai, zu Teschen, der Friede geschlossen. Der Vergleich zwischen Österreich und dem Kurfürsten Karl Theodor wurde aufgehoben, Bayern — bis auf einen Distrikt zunächst an der österreichischen Grenze — seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben und Sachsen, sowie Mecklenburg, auf besondre Weise befriedigt.

Friedrich, der für den Krieg 29 Millionen Taler aufgeopfert und eine große Anzahl seiner Truppen verloren hatte, verlangte im Frieden keine Entschädigung; ihm genügte es, die Sicherheit der Verfassung des deutschen Reiches errungen zu haben. Und doch trug er einen Vorteil davon, der alle die Vorteile weit überstieg, die er vielleicht erworben hätte, wenn er den Bestrebungen des Kaisers die Hand geboten. Er gewann durch seinen uneigennützigen Kampf das Vertrauen und die Zuneigung seiner deutschen Mitstände in einem höheren Grade, als er sie je gehabt hatte. Auch diejenigen, die bisher die steigende Macht seines Hauses nur mit Eifersucht angeschaut, erblickten jetzt in diesem Hause einen neuen Schutzgeist der Freiheit des deutschen Reiches. Überall nannte man Friedrich « den Großen », ja, um ihn von den andern, denen die Geschichte einen solchen Beinamen erteilt, zu unterscheiden, « den Einzigen ». Das bayrische Volk vornehmlich verehrte ihn als den Begründer seiner Selbständigkeit. In den bayrischen Bauernhäusern sah man fortan <467>sein Bildnis neben dem des heiligen Corbinian, des Schutzheiligen von Bayern; oft brannte unter beiden Bildern Eine Lampe. So fand es einst ein österreichischer Offizier in einem bayrischen Dorfe; er fragte, was das bedeute. Der Wirt gab zur Antwort: « Dieser da ist der Bayern Schutzpatron im Himmel; und dieser hier, Friedrich, der Preußenkönig, ist unser Schutzpatron auf Erden. Beide sind unsre Heiligen; und vor den Heiligen brennen, wir als gute Katholiken, Lichter. »

Und noch ein schöner Zug schließt sich dem bayrischen Erbfolgekrieg an. Als Friedrich im Frühjahr 1779 erfuhr, daß die Einwohner des Strichs von Böhmen, den seine Armee im vorigen Jahre besetzt und verheert hatte, in äußerster Verlegenheit seien, da es ihnen durchaus an Saatkorn mangle, so öffnete er ihnen seine an der Grenze befindlichen Magazine. Sie konnten aus denselben, wie es ihnen am gelegensten war, entweder für sehr mäßigen Preis Getreide kaufen, oder auch geborgt erhalten, um es nach der Ernte durch neue Frucht wieder zu ersetzen. —

Nach solchen Vorgängen erscheinen die letzten Jahre von Friedrichs politischer Tätigkeit, trotz all der neuen, mannigfach verschiedenen Lebens- und Entwickelungsmomente, die er um sich her emporsprießen sah, von eigentümlichem Glanze verklärt. Ehrerbietig horcht man überall den weisen Lehren, den Worten der Mäßigung und Billigkeit, die er in das lebhafte, sich lösende oder neu verwirrende Getriebe des Völkerverkehrs hinaussendet; begierig strebt man, den eigenen Entschlüssen durch das Gewicht seines Namens größern Nachdruck zu geben. So ließ es sich Rußland, obgleich dessen Interesse von dem preußischen schon wiederum abgewendet war und obgleich Friedrich keine Flotte zur Disposition hatte, gleichwohl angelegen sein, ihn zum Beitritt zu der bewaffneten Seeneutralität zu vermögen, nur damit durch seine bloße Erklärung die Verbindung einen um so größeren Einfluß erhalte. Er trat im Jahre 1781 bei. — Bei den Irrungen, die in Holland zwischen dem Statthalter (dem Gemahl seiner Nichte) und den sogenannten Patrioten entstanden waren, suchte er nach beiden Seiten hin begütigend zu wirken, ohne aber anders als durch das Wort <468>sich in die Angelegenheit des fremden Volkes zu mischen. Dem Statthalter schrieb Friedrich, er möge sich vor allem die Achtung und das Vertrauen der Nation zu erwerben suchen. « Mit diesen », setzte er hinzu, « werden Sie, gleich Ihren großen Vorfahren, von denen abzustammen auch ich mir zur Ehre rechne, Ansehen und Einfluß in alle Geschäfte genug haben. » — Die ehrenvollste Anerkennung ward Friedrich von seiten der nordamerikanischen Freistaaten zuteil, die im Jahre 1783 in die Reihe der unabhängigen Staaten eingetreten waren. Sie wünschten möglichst ausgebreitete Handelsverbindungen mit Europa zu unterhalten und mit den verschiedenen Mächten Traktate abzuschließen, durch welche den Grundsätzen der Seeneutralität möglichst weite Ausdehnung gegeben und den unseligen Folgen unvermeidlicher Kriege möglichst enge Schranken gesetzt würden. Friedrich ward von ihnen zu solcher Verbindung aufgefordert: « als derjenige Regent, welcher dazu gemacht sei, hierin allen andern ein Beispiel zu geben ». Friedrich stimmte dem Antrage unver<469>züglich bei, und Franklin, Adams und Jefferson schlossen mit dem preußischen Gesandten im Haag, von Thulemeyer, im Jahre 1785 das Bündnis, dessen auf geläuterte Humanität gegründete Bestimmungen eins der ruhmreichsten Denkmale der Geschichte sind.

In demselben Jahre endlich stiftete Friedrich den deutschen Fürstenbund, der dasjenige, was er durch den bayrischen Erbfolgekrieg erstrebt, auf die umfassendste Weise vollendete. Joseph, seit dem Jahre 1780, da seine Mutter gestorben war, Alleinherrscher von Österreich, hatte nicht aufgehört, die Furcht der deutschen Reichsstände, daß er nach einer allmählichen Umwandlung der Reichsverfassung strebe, rege zu erhalten. Das Schlimmste glaubte man befürchten zu müssen, als er aufs neue Anstalten machte, den Erwerb Bayerns, den er im Frieden von Teschen aufgegeben, auf eine, zwar minder gewalttätige Weise zu erringen, und als sowohl Rußland wie Frankreich jetzt ihre Zustimmung zu dem neuen Plane gaben. Karl Theodor, der Kurfürst von Pfalzbayern, erhielt den Antrag, die bayrischen Lande gegen die österreichischen Niederlande, mit Ausschluß von Luxemburg und Namur, und gegen eine Summe von drei Millionen für ihn und seine Lehenserben an den Kaiser zu vertauschen. Die Nachricht hievon ward dem Herzog von Zweibrücken, im Januar 1785, durch einen russischen Abgeordneten mit dem Bedeuten überbracht, daß Rußland und Frankreich den Tausch gebilligt hätten und daß derselbe, auch wenn der Herzog sich weigere, gleichwohl vor sich gehen würde. Die Sache erregte sofort das größte Aufsehen; nicht nur war der Tausch für das bayrische Haus allzu unvorteilhaft: man hielt sich auch für überzeugt, daß Österreich nach solchem Schritte nur immer weiter um sich greifen werde; man sprach davon, daß auch dem Herzoge von Württemberg ein ähnlicher Antrag gemacht sei, indem ihm Modena für sein väterliches Erbe sei geboten worden; man sah im Geiste schon alle kleinen Fürsten Süddeutschlands der österreichischen Oberhoheit unterworfen. Der Herzog von Zweibrücken protestierte; er wandte sich wiederum an Friedrich, der alsbald dem russischen Hofe nachdrückliche Vorstellungen über das ungesetzmäßige Verfahren des Kaisers machte, und Katharina sah sich nun zu der Erklärung bewogen, sie habe den ganzen Plan nur gebilligt, sofern von einem freiwilligen Tausche die Rede gewesen sei. Von Frankreich erfolgte dieselbe Erklärung. So sah sich denn auch Joseph genötigt, die Sache fallen zu lassen und gleichfalls die Erklärung abzugeben, daß er an einen erzwungenen Tausch nie gedacht habe.

Aber die Gemüter waren einmal im höchsten Grade erregt, und es schienen fortan entschiedenere Maßregeln nötig, um die kleineren Fürsten des Reiches gegen Österreichs Übermacht zu schützen. Friedrich hatte dies, in weiser Übersicht der <470>Verhältnisse, bereits vorausbedacht. Schon im vorigen Jahre hatte er seinen Ministern den Plan vorgelegt, eine engere Verbindung der deutschen Reichsstände, ähnlich, wie dergleichen schon in früheren Jahrhunderten geschehen war, zustande zu bringen. Der bayrische Tausch beschleunigte jetzt die Ausführung dieser Idee. Sachsen und Hannover wurden zunächst zu einer Verbindung aufgefordert, welche dazu dienen sollte, die Gerechtsame der Stände des deutschen Reiches und überhaupt die Verfassung desselben unverletzt zu erhalten. Schon am 23. Juli kam diese Verbindung zustande; und sehr schnell, zum Teil unaufgefordert, schloß sich nun auch der bei weitem größere Teil der übrigen Regenten Deutschlands an.

So hatte Friedrich, kurz vor dem Ziele seiner irdischen Bahn, seinem Staate und dem gesamten deutschen Vaterlande durch den deutschen Fürstenbund das edelste Vermächtnis, die Bürgschaft innerer Kraft und fortdauernden Friedens, gestiftet, — soweit menschliche Voraussicht für die Schicksale der Völker Bürgschaft leisten kann! Daß mit seinem Leben wiederum eine Periode geschichtlicher Entwicklung abgelaufen war, daß in wenig Jahren die ungeheuerste Erschütterung aller europäischen Staaten erfolgen, daß die Verhältnisse der Fürsten und der Völker eine ganz neue Gestalt annehmen sollten, konnte damals keiner ahnen. Friedrich hatte sein irdisches Tun zum schönsten Schlusse gebracht; er durfte mit Ruhe und Zufriedenheit sein Auge schließen.

Aber ehe wir uns seinen letzten Augenblicken zuwenden, haben wir noch sein Wirken im Innern seines Staates, seit er die Wunden des Siebenjährigen Krieges zu heilen begonnen, und den stillen Verkehr seines Hauses zu betrachten.

<471>

ZWEIUNDVIERZIGSTES KAPITEL Friedrichs innere Regierung seit dem siebenjährigen Kriege.

Die Verwaltung seines Staates führte Friedrich in den letzten Jahrzehnten seines Lebens, seit der glorreichen Beendigung des Siebenjährigen Krieges, in derselben Weise fort, wie er sie in den glücklichen Jahren vor dem verheerenden Kriege begonnen hatte. Die Stunden des Tages waren fortan mit derselben Pünktlichkeit zwischen den Pflichten des höchsten Berufes und zwischen der Muße des Weisen geteilt; das Jahr verfloß nach denselben Abschnitten, indem er teils von seinem stillen Landhause aus den allgemeinen Gang der Dinge lenkte, teils an Ort und <472>Stelle alles Einzelne mit scharfem Blicke prüfte. Bis zur Stunde seines Todes war sein Geist es, der den Organismus seines vielgegliederten Staates belebte, war seine Hand es, die alle Fäden der Regierung zusammenhielt und lenkte.

Indes tritt uns, wenn wir den allgemeinen Charakter dieser fortgesetzten landesväterlichen Tätigkeit des großen Königs betrachten, zunächst eine Anschauungsweise entgegen, die unsrer Zeit bereits fremd geworden ist, die wir uns jedoch klarmachen müssen, um ein unbefangenes Urteil zu bewahren. Friedrich steht an der Schwelle der neuen Zeit. Er gab dem Gedanken des Menschen eine Freiheit, die bis dahin ohne Beispiel gewesen war; er gewährte jedem seiner Untertanen eine unbedingt gleiche Geltung vor dem Stuhle des Rechts. Aber es sind im wesentlichen eben nur diese allgemeineren Verhältnisse, durch welche er dem neuen Geiste Bahn brach; in der Gestaltung des einzelnen fand er es für gut, noch die gemessenen Schranken bestehen zu lassen, die er vorgefunden hatte, ihre Linien sogar noch fester zu ziehen, und der Tätigkeit seiner Untertanen die Richtungen vorzuzeichnen, in denen sie sich bewegen sollte. Hierin mag ihn vornehmlich der Umstand bestärkt haben, daß bereits durch die Bemühungen seines Vaters ein Mechanismus in dem ganzen Körper des Staates ausgebildet war, dessen Vorzüge vielleicht schwer durch eine andere Gestaltung der Dinge zu ersetzen waren, und daß gerade ein solcher Mechanismus günstig schien, um der Überlegenheit seines eignen Geistes freien Spielraum zu gewähren. In solcher Weise konnte er eine großartige Selbstherrschaft üben, wie die Geschichte kein zweites Beispiel kennt. In den späteren Jahren seines Lebens trat, wie es einmal in der Natur des Menschen begründet ist, diese Richtung schärfer hervor als früher; aber wenn auch manche Hindernisse in der freieren Entwickelung der Kräfte seines Volkes dadurch bedingt waren, so hat er diesem Übelstande gleichwohl durch den hohen Sinn, mit dem er fort und fort seine Regierung führte, durch die außerordentlichen Unterstützungen, die er nach allen Seiten hin spendete, um das Begonnene zu fördern, durch den reinen Willen, der nur das Gedeihen des Staates im Auge hatte, aufs glücklichste entgegengearbeitet.

So erklärt es sich zunächst, daß er den Unterschied der Stände entschieden festhielt und daß er über demselben, als die veränderten Verhältnisse in der späteren Zeit seiner Regierung manche Lösung des Althergebrachten wünschenswert erscheinen ließen, nur mit vermehrter Sorge wachte. Adel, Bürger und Bauern sollten, ein jeder in seinem abgeschlossenen Berufe, für das Beste des Staates arbeiten; keiner von ihnen sollte in die Gerechtsame des andern eingreifen. Der Adel sollte seine Stellung als erster Stand behaupten; er sollte ausschließlich dazu dienen, die ehrenvollsten Ämter des Staates und besonders die Offizierstellen der Armee zu <473>besetzen; diesem höheren Beruf zu genügen, sollte er seine Gedanken von der Richtung auf gemeinen Erwerb unentweiht erhalten, sollte seine Kraft allein durch den großen Grundbesitz getragen werden. Da aber der Adel schon gar sehr in Verfall geraten war und vielen ein solides Gewerbe behaglicher gewesen wäre, als der Besitz von Ländereien, mit denen sie nichts anzufangen wußten, so ward alles getan, um sie, selbst wider ihren Willen, in solchem Besitz zu erhalten und sie zu einer einträglichen Bewirtschaftung desselben zu vermögen. Dem Verkauf der Rittergüter an Bürgerliche ward alle mögliche Schwierigkeit in den Weg gelegt, <474>endlich ward er ganz verboten. Auf die Verbesserung der adeligen Güter wurden ansehnliche Summen verwandt, die der König bereitwillig hergab; von der größten Bedeutung aber und von besonders günstigem Einflusse auf die wankenden Umstände des Adels war die Stiftung der landschaftlichen Kreditsysteme, die Friedrich in dieser späteren Zeit ins Leben rief und durch welche für die Gelder, die auf die Güter einer besonderen Provinz erhoben wurden, fortan die ganze Landschaft bürgte, so daß der gesunkene Kredit rasch und lebendig emporgebracht wurde. Noch mancherlei andere Anstalten, unter denen besonders Kadettenhäuser und Ritterakademien anzuführen sind, richtete Friedrich zum Besten des Adels ein.

Bei solcher Gesinnung mußte ihm natürlich die Verbesserung des Ackerbaues sehr am Herzen Hegen, und er hat auch dafür nach Kräften und mit reifer Einsicht gewirkt. Hiebei ließ er sich mit ganz besondrer Teilnahme auf die persönlichen Verhältnisse der letzten seiner Untertanen, des Bauernstandes, ein, indem er der Meinung war, daß die Entfernung dieses Standes vom Throne, wie sie eben in jenen kastenartigen Unterschieden begründet war, nur durch das eigne Auge des Landesvaters ausgeglichen werden könne. Doch wagte er es nicht, obgleich er keine wirkliche Leibeigenschaft in seinen Staaten duldete, die Bauern aus den mannigfach abhängigen Verhältnissen zu ihren adeligen Gutsherren zu lösen, indem er hiedurch die vorhandenen Vorrechte der letztern hätte antasten müssen. So konnte denn auch der Ackerbau nicht zu der erwünschten Blüte emporgeführt werden. Was in dieser Beziehung mangelhaft blieb, suchte Friedrich durch die Einführung zahlreicher Kolonisten aus der Fremde, denen die wüst liegenden Ländereien übergeben wurden und die sich der mannigfachen Unterstützung erfreuten, zu bewirken. Fast nichts gab seinem Geiste eine solche Befriedigung, als wenn er Wüsten in blühende Gegenden umgewandelt hatte und nun auf diesen ein reges Leben entfaltet sah. Unermeßliche Summen hat er hierauf im Laufe seiner Regierung verwandt. In allen Provinzen seines Staates ließ er, wie er es bereits vor dem Siebenjährigen Kriege im Oderbruch begonnen, Moräste und Seen entwässern, durch Dammbauten gegen die Gewalt der Fluten beschützen, Sandschollen befestigen und zu der Erzeugung von Pflanzen geschickt machen. Um alle, auch die geringfügigsten Einzelheiten kümmerte er sich bei diesen neuen Anlagen; manche Gespräche, die er darüber auf seinen Reisen mit den Beamten geführt und die man aufgezeichnet hat, geben hierüber interessante Zeugnisse. Noch heute danken ihm viele reiche Fluren des preußischen Staates ihr Dasein. Ein sehr tüchtiger Mann, von Brenckenhoff, dessen Dienste er in dem kleinen dessauischen Lande kennengelernt hatte, stand ihm in diesen großartigen Bemühungen erfolgreich zur Seite.

<475>Ebenso, wie Adel und Bauern, blieb auch der Bürgerstand in sich abgeschlossen und durch die mittelalterlichen Zunftverhältnisse beengt. Auch ihm ward die bestimmte Richtung und Tätigkeit, mit welcher er in den Organismus des Staates einzugreifen habe, vorgeschrieben. Besonders ließ es sich Friedrich angelegen sein, das Fabrikwesen zu begünstigen, damit auf solche Weise die Bedürfnisse des Volkes im eignen Lande erzeugt, das Erworbene im Lande behalten und zugleich auch die Einwohnerzahl soviel als möglich vermehrt würde. In jeder Weise und mit Aufopferung der größten Summen, sowie durch hohe Besteuerung der fremden Waren, suchte er neue Unternehmungen solcher Art zu unterstützen, und er hatte sich, wenigstens im einzelnen, manches glücklichen Erfolges zu erfreuen. Vorzügliches Gedeihen hatte die große Porzellanfabrik von Berlin, deren Erzeugnisse bald denen der sächsischen Fabriken zur Seite standen. Friedrich hatte für diese Porzellanarbeiten eine besondre Liebhaberei; die Fabrik in Aufnahme zu bringen, ließ er in ihr große Tischservice anfertigen und bediente sich dieser zu Geschenken. Ehe die Fabrik in Aufnahme kam, machte er, um den Juwelieren Beschäftigung zu geben, die meisten Geschenke mit Dosen und Ringen. Wenn er zum Karneval nach Berlin ging, so nahm er eine ziemliche Anzahl seiner kostbaren Dosen in zwei Kasten mit, welche durch den langen Sandweg gewöhnlich von einem der beiden Dromedare getragen wurden, die ihm <476>der General Tschernitschef überbracht hatte, als er im Siebenjährigen Kriege mit seinem Armeekorps zu den Preußen gestoßen war. — Ebenso war Friedrich fort und fort bemüht, auch den Handel, wie alle Zweige des Erwerbes, durch verschiedene Einrichtungen in Aufnahme zu bringen, namentlich durch die vermehrte Anlage bedeutender Wasserstraßen, unter denen besonders der Bromberger Kanal, welcher die Oder mit der Weichsel verbindet, von Bedeutung ist.

Nach allen Richtungen hin suchte der unermüdliche König, obwohl die Last der Jahre allgemach schwerer zu tragen war, Betriebsamkeit und eifrige Regung der Kräfte zu verbreiten, allenthalben suchte er, wo Elend und Verfall drohte, zu steuern und die sinkenden Kräfte emporzuhalten. Von seinem hohen Wohltätigkeitssinne und von der Weisheit, durch welche derselbe begleitet ward, bewahrt die Geschichte eine Reihe von Zeugnissen, die auch das stumpfste Gemüt zur Bewunderung und Verehrung hinreißen. Er sammelte in den fruchtbaren Jahren mit umsichtiger Sorgfalt ein, um in den Jahren des Mangels sein Volk vor dem Hunger zu bewahren. So waren im Jahre 1770 und zunächst vorher die Ernten überall äußerst ergiebig gewesen, an manchen Orten so bedeutend, daß man das Getreide nicht aufzuspeichern vermochte und auf dem Felde verderben ließ. Friedrich aber hatte seine großen Magazine reichlich gefüllt; und als nun auf diese Zeit, in den Jahren 1771 und 1772, furchtbarer Mißwachs folgte, da konnte er seine Kornspeicher öffnen, das Gesammelte zu wohlfeilen Preisen verkaufen und den Dürftigsten umsonst geben. Viele Tausende starben in den Nachbarländern des entsetzlichsten Hungertodes: in Preußen erlag keiner dem Hunger oder dessen Folgen; vielmehr konnte auch noch den großen Scharen der Fremden, die in Preußen Hilfe suchten, Unterstützung gereicht werden. Von dieser Zeit an erkannte man es, daß Friedrich ebenso weise als Regent, wie groß als Feldherr sei.

Als die Stadt Greiffenberg in Schlesien, durch ihren Leinwandhandel ausgezeichnet, im Jahre 1783 abgebrannt war, gab Friedrich ansehnliche Baugelder, so daß die unglückliche Stadt schnell wieder aufgebaut werden konnte. Die Bürger sandten ihm im folgenden Jahre, als er auf seiner schlesischen Reise sich in Hirschberg aufhielt, eine Deputation, ihm ihren Dank auszusprechen. Friedrich saß mit dem Prinzen von Preußen und zwei Adjutanten an der Tafel, als die Deputierten eintraten. Der Sprecher sagte zu ihm: « Ew. Königlichen Majestät statten wir im Namen der abgebrannten Greiffenberger den allersubmissesten Dank ab für das zur Aufbauung unsrer Häuser allergnädigst verliehene Gnadengeschenk. Freilich ist der Dank eines Staubes, wie wir sind, ganz unbedeutend und ein Nichts. Wir werden aber Gott bitten, daß er Ew. Majestät für dieses königliche Geschenk göttlich <477>belohne. » Hier stiegen dem alten Könige Tränen ins Auge, und er sagte die ewig denkwürdigen Worte: « Ihr habt nicht nötig, euch dafür bei mir zu bedanken. Es ist meine Schuldigkeit, meinen verunglückten Untertanen wieder aufzuhelfen: dafür bin ich da! »

Auch fuhr Friedrich fort, durch verschiedene Bauten sowohl müßige Hände zu beschäftigen, als seinen Residenzen ein immer würdevolleres Ansehen zu geben. Zu den Prachtbauten seiner späteren Zeit gehören das Bibliothekgebäude und die kolossalen Gensdarmtürme zu Berlin. Der Bau der letzteren wurde 1780 begonnen und schnell emporgeführt. Der eine dieser Türme, der zu der sogenannten deutschen Kirche gehörige, stürzte bereits im nächsten Jahre, bei nächtlicher Weile, zusammen; aber ebenso rüstig wurde der Bau von neuem begonnen und das mächtige Werk im Jahre 1785 vollendet.

Für die Bildung des Volkes durch Schulen hat Friedrich wenig Umfassendes und Durchgreifendes getan, und man hat dies als einen Hauptmangel seiner Regierung herausgestellt. In der Tat ist es so; aber indem Friedrich zugleich alle Beschränkung des Gedankens und allen Gewissenszwang aus seinen Landen fern hielt, ward gleichwohl dem wissenschaftlichen Bestreben eine Bahn eröffnet, welche in kurzer Frist zu den schönsten Resultaten führte und welche, wenn auch erst allmählich <478>und in späterer Zeit, schon von selbst eine gewisse Bildung über die Gesamtmasse des Volkes verbreiten mußte. Dieselben Grundsätze der kirchlichen Duldung, wie in seinen früheren Jahren, übte Friedrich auch in der späteren Zeit seines Lebens aus. Wie frei auch er selber dachte, so störte er doch keinen in seiner religiösen Überzeugung. Selbst unter seinen nächsten Freunden befanden sich mehrere von streng kirchlicher Gesinnung den verschiedenen Konfessionen zugetan; Friedrich ließ sie ruhig gewähren und wußte sie nur, wegen der festen Überzeugung, die sie einmal gewonnen hatten, zu beneiden. Unschuldigen Schwärmern, solange sie nur von ihrer Seite nicht das Gebot der Toleranz überschritten, legte er keine Hindernisse in den Weg. Die zahlreichen Katholiken Westpreußens fanden dieselbe Anerkennung wie die Katholiken in Schlesien. Ja, Friedrich ging mit diesen Maßregeln so weit, daß er selbst den Jesuitenorden, nachdem derselbe durch päpstlichen Befehl aufgehoben war, in Schlesien noch mehrere Jahre fortbestehen ließ, indem er den Wert dieses Ordens für die Bildung der katholischen Geistlichen, die er vorderhand durch kein besseres Mittel zu ersetzen wußte, wohl anerkannte. So wurde auch die Bücherzensur im allgemeinen mit größter Milde gehandhabt. Besonders gegen Satiren auf seine eigne Person erwies sich Friedrich, königlichen Sinnes, äußerst nachsichtig. Als die Wiener es mißdeuteten, daß man einem Berliner Kalender mit Darstellungen aus dem Don Quichotte das Bildnis Kaiser Josephs vorgesetzt hatte, befahl Friedrich, man möge für den nächsten Kalender noch lächerlichere Gegenstände ersinnen und sein eignes Bildnis voranstellen; dies geschah auch, und man wählte dazu den « Rasenden Roland ».

Mit höchstem Eifer aber sorgte Friedrich bis an den Abend seines Lebens für eine umfassende und parteilose Rechtspflege. Darüber schrieb er einst, im Jahre 1780, an d'Alembert: « Ursprünglich sind die Regenten die Richter des Staates; nur die Menge der Geschäfte hat sie gezwungen, dieses Amt Leuten zu übertragen, denen sie das Fach der Gesetzgebung anvertrauen. Aber dennoch müssen sie diesen Teil der Staatsverwaltung nicht zu sehr vernachlässigen, oder wohl gar dulden, daß man ihren Namen und ihr Ansehen dazu mißbraucht, um Ungerechtigkeiten zu begehen. Aus diesem Grunde bin ich genötigt, über diejenigen zu wachen, denen die Handhabung der Gerechtigkeit übertragen ist; denn ein ungerechter Richter ist ärger als ein Straßenräuber. Allen Bürgern ihr Eigentum sichern und sie so glücklich machen, als es die Natur des Menschen gestattet, diese Pflicht hat ein jeder, der das Oberhaupt einer Gesellschaft ist, und ich bestrebe mich, diese Pflicht aufs beste zu erfüllen. Wozu nützte es mir auch sonst, den Plato, Aristoteles, die Gesetze des Lykurg und Solon gelesen zu haben? Ausübung der guten Lehren der Philosophen, das ist <479>wahre Philosophie. » — Friedrich war in diesem Bestreben um so eifriger, als die frühere Justizreform, bei der Schnelligkeit, mit der sie ausgeführt war, noch mancherlei Übelstände zurückgelassen hatte, und als er die Abstufungen der verschiedenen Stände keineswegs bis auf den Spruch des Rechtes ausgedehnt wissen wollte. Im Gegenteil trieb ihn seine landesväterliche Sorgfalt, sich gerade seiner niedrig gestellten Untertanen gegen die höheren, bei denen, möglicherweise, mancherlei Einfluß auf das richterliche Urteil vorausgesetzt werden konnte, vorzugsweise anzunehmen; jedem seiner Untertanen hatte er es somit freigestellt, sich unmittelbar an ihn zu wenden. Dies gab ihm das innigste Zutrauen von seiten des Volkes. Aber auch mancher unbegründete Einspruch gegen die Urteile des Gerichts kam auf diese Weise vor ihn; und da überhaupt im Laufe der Jahre alte und neue Mißbräuche in den Rechtsangelegenheiten sichtbar geworden waren, so dienten jene Klagen der Niederen oft nur dazu, ihn auf gewisse Weise gegen die Richter mit Mißtrauen zu erfüllen. Eine kleine Begebenheit gab den Anlaß, daß dieses Mißtrauen auf eine unerwartet heftige Weise hervorbrach; aber sie bewirkte zugleich eine neue, äußerst wohltätige Reform.

Ein Müller, namens Arnold, besaß in der Neumark eine Mühle, für welche er dem Grafen von Schmettau einen jährlichen Erbpacht zu bezahlen haue. Hiemit blieb er im Rückstand, unter dem Vorwande, daß ihm durch die Anlage eines Teiches, den ein anderer Gutsherr, Landrat von Gersdorff, oberhalb der Mühle graben <480>lassen, das nötige Wasser genommen sei. Graf Schmettau klagte endlich den Säumigen aus, und die Mühle wurde auf gerichtlichem Wege verkauft. Der Müller führte nun vielfache Beschwerde, wurde aber stets, weil seine Klage, den besonderen Verhältnissen gemäß, ganz unstatthaft sei, abgewiesen. Er wandte sich nunmehr zu wiederholten Malen unmittelbar an den König, bis dieser die Sache durch einen Offizier untersuchen ließ, den er für unparteiisch hielt, der aber, die Verhältnisse nicht eben genau untersuchend, die Angelegenheit als zu Gunsten des Müllers darstellte. Es erfolgten noch weitere gerichtliche Untersuchungen, die indes wiederum bei dem bisherigen Urteil stehen blieben. Friedrich, eingenommen durch den Bericht jenes Offiziers und unwillig, daß dem Armen sein Recht so lange vorenthalten bleibe, übergab endlich die Sache dem Kammergericht zu Berlin, mit dem Befehl, den Prozeß schleunig zu beenden. Doch auch das Kammergericht fand nur, daß das Urteil zu bestätigen sei. Nun glaubte Friedrich, daß man nur den Adligen zugunsten Recht gesprochen habe und daß man die vermeinte Unabhängigkeit der richterlichen Würde auch gegen ihn zu behaupten suche; er beschloß, gewaltig durchzugreifen und ein Beispiel der Warnung für gewissenlose Richter aufzustellen. Es war im Dezember 1779. Der Großkanzler von Fürst und drei Räte des Kammergerichts erhielten Befehl, vor ihm zu erscheinen. Sie fanden ihn in seinem Zimmer, am Chiragra leidend. Hier hielt er ihnen mit heftigen Worten ihr Benehmen vor, so wie es ihm erschienen war. <481>Sie müßten wissen, sagte er, daß der geringste Bauer und Bettler ebensowohl ein Mensch sei, wie der König. « Ein Justiz-Kollegium », fügte er hinzu, « das Ungerechtigkeiten ausübt, ist gefährlicher und schlimmer wie eine Diebsbande: vor der kann man sich schützen; aber vor Schelmen, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre übeln Passionen auszuführen, vor denen kann sich kein Mensch hüten; die sind ärger wie die größten Spitzbuben, die in der Welt sind, und meritieren eine doppelte Bestrafung. » Den Großkanzler entließ er mit harten Ausdrücken und mit der Erklärung, daß er seines Dienstes nicht weiter bedürfe und daß seine Stelle schon wieder besetzt sei; die drei Räte wurden in das Stadtgefängnis gebracht. Sodann ward dem Kriminalsenate des Kammergerichts eine Untersuchung über die verschiedenen richterlichen Kollegien, die bisher in dieser Sache geurteilt, übertragen; doch der Senat erkannte auf ihre Unschuld. Friedrich aber bestimmte aus eigner Machtvollkommenheit, daß jene Räte des Kammergerichts und mehrere andere Justizbeamte kassiert, mit einjähriger Festungshaft belegt werden und allen Schaden des Müllers ersetzen sollten.

Der ganze Vorfall, besonders aber das durch königlichen Machtspruch erfolgte Urteil, erregte außerordentliches Aufsehen. In fernen Ländern pries man die unnachsichtige Rechtspflege des Königs, die sorgsam auch über dem Wohle des Geringsten seiner Untertanen wache. In der Nähe hatte das unerwartete Ereignis zwar viele Gemüter aufs tiefste erschüttert; man mußte die unglücklichen Opfer innig bedauern, aber man erkannte zugleich die hehre Absicht und durfte sich der freudigen Zuversicht hingeben, daß aus so edlem Willen kein weiteres Übel hervorgehen könne. Auch war man der Gesinnung des Königs zu gewiß, als daß man in sklavischer Furcht seine Meinung über das Ereignis unterdrückt hätte. Alles eilte, dem abgesetzten Großkanzler sein Beileid zu bezeigen; die Wagenreihen der Besucher waren so aufgefahren, daß sie geradezu aus den Fenstern des königlichen Schlosses gesehen werden mußten. Wenige Tage zuvor war ein neuer österreichischer Gesandter angekommen und hatte eine Wohnung in der Nähe des abgesetzten Großkanzlers bezogen; als er das Gedränge der Besucher wahrnahm, äußerte er: « In andern Ländern eilt man zu den Ministern, die neu angestellt sind; hier, wie ich sehe, zu dem, der ungnädig entlassen worden. » Ebenso wurde auch den nach der Festung abgeführten Räten von allen Seiten Teilnahme bezeigt und mannigfach für die Erleichterung ihres Schicksals gesorgt. Friedrich hinderte das alles auf keine Weise; und so dürften in der Tat nur wenig Züge zu finden sein, die — rücksichtlich der Begeisterung, die das Volk für seinen König hegte — für die Würde dieses Verhältnisses ein ehrenvolleres Zeugnis geben könnten.

<482>An die Stelle des verabschiedeten Großkanzlers hatte Friedrich den bisherigen schlesischen Justizminister von Carmer berufen. Er hatte in diesem schon früher den Mann erkannt, der fähig war, die erwünschte neue Justizreform zustande zu bringen. Jetzt erhielt Carmer den Auftrag, ein dem Geiste der Nation und dem Standpunkte der bürgerlichen Verfassung angemessenes Gesetzbuch und eine neue Prozeßordnung zu besorgen. Carmer machte sich an das Werk; er wählte sich ausgezeichnete Gehilfen zu dieser Arbeit, ernannte eine besondre Gesetzkommission, erweiterte den Anteil an dem großen Geschäft durch ausgesetzte Prämien und brachte endlich, nach jahrelanger rastloser Mühe, in dem « Allgemeinen Landerecht » und der « Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten » ein Gesetzbuch zustande, dessengleichen das neuere Europa noch nicht gekannt hatte. Friedrich erlebte die Vollendung dieses Werkes nicht; aber ihm bleibt die Ehre, von dem Beginn seiner Regierung bis in die letzten Jahre seines Lebens mit höchstem und erfolgreichstem Eifer für eine Angelegenheit gewirkt zu haben, welche die erhabenste Pflicht des Herrschers und die Grundbedingung all des Glückes ist, das der Mensch im gesellschaftlichen Verbande sucht.

<483>

DREIUNDVIERZIGSTES KAPITEL Friedrichs häusliches Leben im Alter.

Von dem heitern Kreise, der sich in früheren Jahren in Sanssouci bewegt und die Muße des großen Königs verschönert hatte, war im Verlaufe des Siebenjährigen Krieges manch einer geschieden. Ein großer Teil von Friedrichs Freunden lag bereits, als er nach den Stürmen des Krieges in sein stilles Asyl zurückzog, im fernen Reiche der Erinnerung. Aber gern gedachte er der glücklichen Zeiten, und gern ließ er ihren Abglanz in die stets einsamer werdende Gegenwart herüberleuchten. Seiner verehrten Schwester, der Markgräfin von Bayreuth, weihte er ein eigentümliches Denkmal. « Mag es Schwachheit oder über<484>triebene Verehrung sein — so schrieb er im Jahre 1773 an Voltaire, — genug, ich habe für diese Schwester das ausgeführt, worauf Cicero für seine Tullia dachte, und ihr zu Ehren einen Tempel der Freundschaft errichten lassen. Im Hintergrunde steht ihre Statue, und an jeder Säule ist ein Medaillon von einem solchen Helden befindlich, der sich durch Freundschaft berühmt gemacht hat. Der Tempel liegt in einem Boskett meines Gartens, und ich gehe oft dahin, um an so manchen Verlust und an das Glück zu denken, das ich einst genoß. » — Noch heute gibt der elegante Marmorbau dieses Freundschaftstempels den schönen landschaftlichen Bildern, die sich in dem Garten von Sanssouci aneinanderreihen, mehrfach einen charakteristischen Reiz.

In gleicher Weise gab Friedrich auch der Erinnerung an die abgeschiedenen Helden, die unter ihm für das Vaterland gekämpft, durch eine Reihe von Denkmälern eine feste Stätte. Das marmorne Standbild Schwerins hatte er schon während des Siebenjährigen Krieges beginnen lassen; im April 1769 wurde dasselbe auf dem Wilhelmsplatze zu Berlin aufgestellt. In späteren Jahren folgten, auf derselben Stelle, die Statuen von Seydlitz, Keith (dem Feldmarschall, der bei Hochkirch gefallen war) und Winterfeldt. Zieten, der wenige Monate vor Friedrich starb, erhielt sein Denkmal erst unter dem folgenden Könige, und noch später ward diesen Fünfen das Standbild des Siegers von Kesselsdorf, des Fürsten Leopold von Dessau, hinzugefügt. So gemahnen die Marmorbilder, die unter den Linden des Wilhelmsplatzes stehen, die Nachkommen fort und fort an jene unvergeßliche Zeit.

Bis zur Zeit des bayrischen Erbfolgekrieges blieben Friedrich indes noch einige nähere Freunde erhalten, mit denen er der Vergangenheit gedenken und sich auch noch so mancher anmutigen Blüte, die der Herbst des Lebens aufs neue emporsprießen machte, erfreuen konnte. Marquis d'Argens zwar, der während des Siebenjährigen Krieges so treu an dem Könige gehalten und mit der Schärfe seiner Feder für ihn gekämpft hatte, fand sich, als das gebrechlichere Alter sich einstellte, in der rauhen Luft des Nordens nicht mehr behaglich und sehnte sich bald nach seiner warmen Heimat, nach der schönen Provence, zurück. Friedrich mußte ihn schon im Jahre 1764 zu einem Besuch dorthin entlassen; da ihm aber der Freund zu lange ausblieb, so sann er auf ein eignes Mittel, seine Rückkehr zu beschleunigen. Er setzte, im Namen des Erzbischofs von Aix, einen förmlichen Hirtenbrief gegen die Freigeister auf, unter denen der Marquis namentlich angeführt ward, und sandte diesen in einigen Exemplaren an Personen von d'Argens Bekanntschaft. D'Argens, nicht gewohnt, mit persönlicher Gefahr zu scherzen, meinte, das könne ihm von Seiten fanatischer Landsleute eine bedenkliche Begegnung bereiten; notgedrungen <485>entschloß sich zur Rückreise. Doch blieb die Sehnsucht nach der Heimat wach, und aufs neue bat er Friedrich, ihn zu entlassen. Da der König sich entschieden weigerte, seine Zustimmung zu geben, so glaubte d'Argens endlich, Friedrich halte ihn nur deshalb fest, weil er so viele vertraute Briefe, die leicht zu Mißbrauch Anlaß geben konnten, von seiner Hand besitze. Er packte sie zusammen und sandte sie an Friedrich zurück, mit innig ausgesprochenem Dank für all die Gnade, die er bei ihm genossen, und mit der erneuten Bitte um seinen Abschied. Jetzt gewährte Friedrich, tief gerührt, die Bitte des Freundes. D'Argens erhielt das Paket Briefe uneröffnet wieder; gleichwohl nahm er sie nicht mit, als er, im Jahre 1769, den gastlichen Boden verließ. Bald nachdem er seine Heimat erreicht hatte, starb er.

Zwei andere, Fouqué und der Lord-Marschall Keith, beide hochbetagt, blieben bis an ihren Tod getreu zur Seite des Königs und erfreuten sich der teilnehmendsten Sorgfalt, mit der Friedrich, selbst schon die Beschwerden des Alters fühlend, ihre letzten Tage zu erheitern suchte. Fouqué hatte, nachdem er aus der österreichischen Gefangenschaft zurückgekehrt war, dem Kriegsdienste entsagt, zu dessen Erfüllung seine Kräfte nicht mehr hinreichten; zum Dompropste in Brandenburg ernannt, nahm er fortan dort seine Wohnung, aber mehrfach besuchte er den König in Sanssouci oder empfing, als er nicht mehr reisen konnte, dessen Besuche in seiner stillen Zurückgezogenheit. Friedrich sandte ihm alles zu, was ihm das Leben noch ange<486>nehm und behaglich machen konnte: hundertjährige Weine, die ausgesuchtesten Früchte seines Gartens und andere Dinge für seinen häuslichen Bedarf. Um seine Spaziergänge in des Freundes Gesellschaft zu genießen, ließ Friedrich ihn, den seine Füße nicht mehr tragen wollten, in einem Sessel die Treppen hinabtragen, in einen eigens dazu verfertigten Wagen setzen und durch die Alleen von Sanssouci fahren, während er zu Fuß nebenher ging. Als sein Gehör schwach ward, sandte er ihm mancherlei Röhren zur Verstärkung des Schalles. Als ihm selbst das Sprechen schwer ward, erfand man eine Maschine, durch Zusammensetzung der Buchstaben die Worte zu ergänzen, die er nicht aussprechen konnte, und auch Friedrich bediente sich dieser Methode, um sich mit ihm zu unterhalten. Im Jahre 1774 starb Fouqué.

Noch näher gestaltete sich das Verhältnis mit dem Lord-Marschall Keith, der während des Siebenjährigen Krieges in wichtigen diplomatischen Sendungen beschäftigt gewesen war. Zwar hatte auch diesen, nach Beendigung des Krieges, das Heimweh nach Schottland zurückgetrieben; aber der Siebenzigjährige hatte sich dort gar vereinsamt gefühlt, und so führte ihn schon im Jahre 1764 ein stärkeres Heimweh nach Sanssouci zurück. Friedrich ließ ihm neben Sanssouci ein Haus bauen und einrichten, über dessen Eingang Keith die Worte setzte: Fridericus II. nobis haec otia fecit. Täglich konnte er, ganz nach seinem Belieben, um Friedrich sein und alle Bequemlichkeiten genießen. Er fühlte sich in dem Landhause des großen Königs, das scherzweise unter den Freunden oft « das Kloster » genannt ward, sehr glücklich. <487>« Unser Pater Abt », pflegte er zu sagen, « ist der umgänglichste Mensch von der Welt. — Indes (fügte er hinzu), wenn ich in Spanien wäre, so würde ich mich in meinem Gewissen verpflichtet achten, ihn bei der heiligen Inquisition als der Zauberei schuldig anzugeben. Denn würde ich wohl, wenn er mich nicht bezaubert hätte, hier verbleiben, wo ich nur das Bild der Sonne sehe, während ich in dem schönen Klima von Valencia leben und sterben könnte? » — In Valencia hatte Keith früher glückliche Tage verlebt und dort, wie er sagte, « viele gute Freunde gefunden, besonders die liebe Sonne ». Er blieb Friedrich in unwandelbarer Treue und Offenheit ergeben und hieß allgemein nur der « Freund des Königs ». Er starb, 88 Jahre alt, während des bayrischen Erbfolgekrieges.

Ebenso erfreute sich auch der alte Zieten mannigfacher Huld und Teilnahme. Zieten wohnte in Berlin, und der König besuchte ihn allemal, wenn er dahin kam. Einst war Zieten an Friedrichs Tafel eingeschlummert; einer der Mitspeisenden <488>wollte ihn wecken, aber Friedrich sagte: « Laßt ihn schlafen, er hat lange genug für uns gewacht. » Im Jahre 1784, als Friedrich zur Karnevalszeit Berlin besuchte, erschien Zieten, schon 85 Jahre alt, im Parolesaale des Schlosses. Sowie ihn Friedrich bemerkte, trat er auf ihn zu, begrüßte ihn und sagte: « Es tut mir leid, daß Er sich die Mühe gegeben hat, die vielen Treppen zu steigen; ich wäre gern zu Ihm gekommen. Wie steht's mit der Gesundheit? » — « Die ist gut, Ew. Majestät, mir schmeckt noch Essen und Trinken, aber ich fühl's, daß die Kräfte abnehmen. » — « Das Erste hör' ich gern; aber das Stehen muß Ihm sauer werden. » Friedrich befahl, einen Stuhl herbeizubringen. Zieten weigerte sich, davon Gebrauch zu machen, versichernd, er sei nicht müde; der König aber bestand darauf, mit den mehrmals wiederholten Worten: « Setz Er sich, alter Vater! Setz Er sich, sonst geh ich fort, denn ich will Ihm durchaus nicht zur Last fallen. » Zieten gehorchte endlich, und Friedrich unterhielt sich stehend noch geraume Zeit mit ihm.

Mit den Entfernten setzte Friedrich, wie in früheren Zeiten, einen lebhaften Briefwechsel fort, unablässig bemüht, seine Gedanken über die wichtigsten Interessen des Menschen auszutauschen. Vorzüglich ist unter diesem Briefwechsel der mit Voltaire und mit d'Alembert ausgezeichnet. Doch auch hier riß der Tod bald neue Lücken. Voltaire starb, wie bereits bemerkt, während des bayrischen Erbfolgekrieges, gleichzeitig mit dem Lord-Marschall Keith. D'Alemberts vertrauliche Worte blieben dem Könige bis zum Jahre 1783.

Neben dem Genuß, den die Freunde aus der alten Zeit gewährten, tauchten nach dem Siebenjährigen Kriege indes auch noch einige eigentümliche Freuden geselligen Verkehrs für den alternden König auf. So ward der Silvesterabend an sogenannter « Konfidenztafel » mit einigen Damen, die Friedrich aus jener alten Zeit wert waren, unter dem Vorsitz seiner Schwester, der unvermählten Prinzessin Amalie, gefeiert. Da nach althergebrachter Sitte den Frauen am letzten Tage des Jahres die Herrschaft gebührt, so fand eine jede von ihnen unter ihrer Serviette Krone und Szepter von Zucker, die Süßigkeit ihres Regimentes anzudeuten. Wirt und Gäste boten an diesem Abende allen Witz und alle Laune auf, um das Fest mit Fröhlichkeit zu schmücken. Aber auch hier trat nur zu bald der Tod störend hinein. — Noch heiterer entfaltete sich auf kurze Zeit das Leben um Friedrich, als der Prinz von Preußen, Friedrich Wilhelm, sich im Jahre 1765 mit der anmutigen Prinzessin Elisabeth von Braunschweig vermählte. Fast täglich wurden jetzt einige Offiziere, oft schon des Nachmittags, zum Könige eingeladen, auch wenn er auf Sanssouci war; zur Unterhaltung dienten theatralische Vorstellungen, jede Woche war einigemal Tanz nebst kleinen gesellschaftlichen Spielen. Der König selbst nahm an diesen <489>Vergnügungen stets lebhaften Anteil. Aber die Ehe war unglücklich; sie mußte nach einigen Jahren schon aufgelöst und die Prinzessin vom Hofe entfernt werden. Neue Einsamkeit, durch bittern Unmut verdüstert, trat schnell an die Stelle des fröhlichen Verkehrs. — Die Prinzessin Elisabeth ist im höchsten Alter erst kürzlich (am 18. Februar 1840) zu Stettin gestorben, die Letzte, die von den Tagen des alten Glanzes von Sanssouci noch aus eigner Teilnahme Kunde zu geben vermochte.

Die Zeit des bayrischen Erbfolgekrieges, von der ab der Tod mit rascher Hand die letzten Umgebungen Friedrichs lichtete, bezeichnet auch die Periode, bis zu welcher die musikalischen Genüsse, die so wesentlich zur Erfrischung seines Geistes beitrugen, andauerten. Bis gegen diese Jahre war des Abends regelmäßig, nach alter Sitte, im Zimmer des Königs Konzert. Als ein besonders merkwürdiges Konzert hat man jenes aufgezeichnet, welches im September 1770, als Friedrich in Pots<490>dam den Besuch der verwitweten Kurfürstin Antonie von Sachsen empfing, angeordnet wurde: die Kurfürstin spielte den Flügel und sang; Friedrich, von Quanz begleitet, blies die erste Flöte, der Erbprinz von Braunschweig spielte die erste Violine und der Prinz von Preußen das Violoncell. Aber Quanz starb im Jahre 1773, mangelnde Vorderzähne verhinderten Friedrich am Flöteblasen, und so fand er, da er die eigne Tätigkeit aufgeben mußte, bald auch im Anhören der Konzerte keine Freude mehr.

Allmählich wird es immer einsamer um den König her. Auch von den Gliedern seiner Familie verläßt einer nach dem andern, mancher in blühender Jugend, seinen Platz. Aufs tiefste hatte ihn besonders der Tod eines geliebten hoffnungsvollen Neffen erschüttert, des Prinzen Heinrich (jüngern Bruders des Prinzen von Preußen), der im Jahre 1767, zwanzig Jahre alt, starb. Er schrieb auf ihn eine Gedächtnisrede, die all seine Zärtlichkeit für diesen Prinzen und alle Trauer über seinen Verlust atmet, und ließ dieselbe in der Akademie vorlesen. Überhaupt hatte er mit seiner Familie allmählich immer weniger vertrauten Verkehr. Seine Gemahlin lebte in ihrer stillen Zurückgezogenheit, ihre Tage nur durch Wohltun, wissenschaftliche Beschäftigung und kindliche Frömmigkeit bezeichnend, ohne Sanssouci je gesehen zu haben. Zuweilen pflegte er des Winters bei ihr im Schlosse von Berlin zu speisen, ohne jedoch mit ihr zu sprechen. Das seltene Fest des goldenen Ehejubiläums, das im Jahre 1783 erschien, wurde nicht öffentlich gefeiert. Doch sorgte er nach wie vor, sie in den gebührenden Ehren zu erhalten. Sie starb elf Jahre nach ihm.

Auch zu dem Thronfolger, dem Prinzen von Preußen, gestaltete sich kein näheres Verhältnis. Manche Gründe hatten eine gegenseitige Kälte veranlaßt. Indes äußerte <491>Friedrich eine lebhafte Freude, als dem Prinzen, nachdem dieser zur zweiten Ehe geschritten, der erste Sohn (der nachmalige König Friedrich Wilhelm III.) am 3. August 1770 geboren und hiedurch der weiteren Thronfolge eine Bürgschaft gegeben ward. « Ich wünsche (so schrieb er über dies Ereignis prophetischen Sinnes an Voltaire), daß dies Kind die Eigenschaften habe, die es haben muß, und daß es, fern davon, die Geißel des menschlichen Geschlechtes zu sein, vielmehr dessen Wohltäter werde. » Und an einen andern Freund schrieb er: « Ein Ereignis, das für mich und für mein ganzes königliches Haus so wichtig ist, hat mich mit der lebhaftesten Freude erfüllt; und was mir diese Freude noch inniger macht, ist, daß sie das ganze Vaterland mit mir teilt. Könnte es einst auch mit mir die Freude teilen, diesen jungen Prinzen auf den ruhmvollen Bahnen seiner Vorfahren schreiten zu sehen! » — In solcher Weise knüpft sich die schicksalsvolle Zukunft unmittelbar an die Tage Friedrichs; und wie er selbst einst, am Tage seiner Taufe, von seinem Großvater in das Leben eingeführt ward, so trägt er jetzt das nachfolgende Geschlecht den Worten der Weihe für das Leben entgegen. Ein Bericht über die Taufe des Prinzen Wilhelm, jüngsten Sohnes des Thronfolgers (des nachmaligen Siegers von Laon), gibt uns das Bild einer solchen Szene, die freilich, im Gegensatz gegen die prunkvollen Zeremonien König Friedrichs I., den Charakter einer wesentlich verschiedenen Zeit offenbart. Es war der 10. Juli 1783, an welchem Prinz Wilhelm zu Potsdam getauft werden sollte. Das Korps der höhern Offiziere von der Garde hatte sich vor dem Palais des Prinzen versammelt und erwartete hier den König. Als dieser, in Begleitung des Prinzen Friedrich von Braunschweig, angekommen war, ward er durch den Thronfolger hinaufgeleitet, während die übrige Versammlung nachfolgte. Vor dem Zimmer der Prinzessin befanden sich die Kinder des Prinzen, den König zu empfangen. Hier stand auch ein Tisch mit einem silbernen Taufbecken, zur Seite aber ein rotes Paradebett, auf welchem der Täufling lag. Dabei standen der Hofprediger, die Amme und ein paar Kammermädchen. Nachdem der König sich hier etwa eine Minute aufgehalten hatte, ging er in das folgende Zimmer, in welchem die Prinzessin von Preußen auf dem Bette saß. Nach kurzer Beglückwünschung kehrte Friedrich wieder in das Taufzimmer zurück; eine der Hofdamen hatte unterdes den Prinzen von dem Paradebette aufgenommen und legte ihn nun dem Könige, sobald er an den Tauftisch trat, in die Arme. Der Geistliche verrichtete die Handlung mit wenigen Worten, unter denen der Wunsch, daß der Prinz zur Zierde des königlichen Hauses aufwachsen möge, die vornehmsten waren. Hierauf ging der König wieder zu der Prinzessin, um sich zu empfehlen. Als er wegging, standen die kleinen Prinzen noch im Taufzimmer; sie küßten ihm die Hand; der zweite, zehnjährige Prinz, — Ludwig, gestorben 1796, <492>— sah seinen großen Oheim beweglich an. « Was fehlt Ihm? » fragte ihn der König. « Sein Rock steht Ihm wohl nicht mehr an? Nun, so ziehe Er nur einen Soldatenrock, wie Sein Bruder, an! » Der kleine Prinz war über diese Erlaubnis außerordentlich erfreut, bedankte sich und Friedrich ging, von dem Prinzen von Preußen begleitet, hinunter und stieg wieder zu Pferde. Das alles geschah in sieben Minuten.

Besondere Anregung in das Leben von Sanssouci bringen fortan fast nur noch die, freilich nicht seltenen Besuche ausgezeichneter Reisenden, die den Mann des Jahrhunderts zu sehen und ihm ihre Huldigung auszusprechen kommen. Viele ausgezeichnete Namen sind unter diesen Besuchern aufbewahrt. Wir nennen nur zwei von ihnen: La Fayette und Mirabeau. Der letztere wurde dem Könige am 25. Januar 1786 vorgestellt. So knüpft sich auch hier alte und neue Zeit zusammen.

Friedrichs Dienerschaft bestand nur aus wenigen Personen, indem bei seiner einfachen Lebensweise seine Bedürfnisse leicht befriedigt waren. Über seinen Verkehr mit diesen Leuten wird eine Menge von Anekdoten erzählt; sie stellen den König meist als einen sehr strengen, oft aber auch als einen ungemein nachsichtigen Herrn <493>dar. Unter diesen Anekdoten ist eine, die seinen eigentümlichen Charakter auf sehr liebenswürdige Weise hervortreten läßt. An einem Tage, so erzählt man, klingelte der König in seinem Zimmer. Da niemand kam, öffnete er das Vorzimmer und fand seinen Leibpagen auf einem Stuhle eingeschlafen. Er ging auf ihn zu und wollte ihn aufwecken; doch bemerkte er in dem Augenblick in der Rocktasche des Pagen ein beschriebenes Papier. Dies erregte seine Aufmerksamkeit und Neugier; er zog es hervor und las es. Es war ein Brief von der Mutter des Pagen und enthielt ungefähr folgendes: Sie danke ihrem Sohne für die Unterstützung, die er ihr übersandt und sich von seinem Gehalte erspart habe. Gott werde ihn dafür belohnen; und diesem solle er so getreu, wie seinem Könige stets ergeben sein, dann werde er Segen haben und sein irdisches Glück werde ihm gewiß nicht fehlen. Der König ging leise in sein Zimmer zurück, holte eine Rolle Dukaten und steckte sie mit dem Briefe dem Pagen wieder in die Tasche. Bald darauf klingelte er so stark, daß der Page erwachte. « Du hast wohl geschlafen? » fragte der König. Der Page stammelte eine halbe Entschuldigung und eine halbe Bejahung her, fuhr in der Verwirrung mit einer Hand in die Tasche und ergriff mit Erstaunen die Rolle Dukaten. Er zog sie hervor, ward blaß und sah den König mit Tränen in den Augen an, ohne ein Wort reden zu können. « Was ist dir? » fragte der König. « Ach, Ew. Majestät », erwiderte der Page, indem er vor ihm auf die Knie fiel, « man will mich unglücklich machen; ich weiß von diesem Gelde nichts! » — « Ei », sagte der König, « wem es Gott gibt, dem gibt er's im Schlafe. Schick's nur deiner Mutter, grüße sie und versichere ihr, daß ich für dich und sie sorgen werde. »

Endlich gehören zu der täglichen Umgebung Friedrichs auch noch die zierlichen Windspiele, deren berührige Lebendigkeit die Stille um ihn unterbrach und an denen er bis zu seinen letzten Augenblicken besondere Freude hatte. Drei oder vier Hunde waren beständig um ihn; der eine war der Liebling, diesem dienten die andern zur Gesellschaft. Er lag stets an der Seite seines Herrn auf einem besondern Stuhle, im Winter mit Kissen bedeckt, und schlief des Nachts in dem Bette des Königs. Alle möglichen Unarten waren diesen Hunden verstattet; sie durften sich die kostbarsten Kanapees nach Gefallen aussuchen. Zu ihrem Zeitvertreibe fanden sie in den Zimmern lederne Bälle zum Spielen. Wenn der König die Bildergalerie von Sanssouci, wo er sich gern aufhielt, oder die Gärten besuchte, waren sie seine beständigen Begleiter. Auch zum Karneval folgten sie ihm nach Berlin, in einer sechsspännigen Kutsche, unter der Aufsicht eines besondern Lakaien. Man versichert, der letztere habe sich in der Kutsche auf den Rücksitz gesetzt, da die Windspiele den Vordersitz einnahmen, habe auch die Hunde stets mit Sie angeredet, z. B. « Biche, sein Sie <494>doch artig! Alcmene, bellen Sie nicht so! » — Einst ließ sich Friedrich aus Bayles Wörterbuch einen Artikel über die Tierseelen vorlesen; er hatte eben seinen damaligen Lieblingshund Arsinoe auf dem Schoße und sagte dabei zu dem: « Hörst du, mein Liebling? Von dir ist die Rede! Sie sagen, du hättest keinen Geist; aber du hast doch Geist, mein kleiner Liebling! » — Neben der Flora von Sanssouci, unter der Friedrich sein Grab sich hatte bereiten lassen (auch noch in seinem letzten Willen bestimmte er diese Stelle zu seiner Ruhestätte), sind seine Lieblingshunde nacheinander begraben worden; Steinplatten mit ihren Namen bedecken ihre Gräber.

Auch für seine Leibpferde hatte Friedrich eine eigentümliche Zuneigung. Er sorgte für ihre beste Pflege und gab ihnen oft, ihrem besondern Charakter gemäß, die Namen historischer Zeitgenossen. So gehörten der Brühl, Choiseul, Kaunitz, Pitt u. a. zu seinen vorzüglichsten Pferden. Eins hieß Lord Bute; dies mußte aber die Schuld seines Namensvetters abbüßen und mit den Mauleseln Orangenbäume ziehen, als England im Jahre 1762, bundbrüchig gegen Preußen, mit Frankreich Frieden schloß. Besonderer Zuneigung erfreute sich der Rotschimmel Cäsar; als er alt ward, durfte er frei in dem Lustgarten des Potsdamer Schlosses umhergehen, auch äußerte das Tier stets große Freude, wenn Friedrich von Sanssouci zur Parade nach <495>Potsdam kam. Oft mußte die Wachtparade eine andere Wendung machen, wenn Cäsar im Wege stand. Die höchste Gunst aber ward dem Fliegenschimmel Condé, der sich durch ebenso große Schönheit wie durch Tüchtigkeit und munteres Wesen auszeichnete, zuteil. Friedrich hatte für ihn zwei kostbare Reitzeuge von blauem Sammet mit reicher Silberstickerei machen lassen und brauchte ihn fast nur zu Spazierritten. Fast täglich ließ er sich ihn vorführen und fütterte ihn mit Zucker, Melonen und Feigen. Auch kannte der Condé ebenfalls seinen Wohltäter so gut, daß er, wenn man ihn frei gehen ließ, gerade auf ihn zulief, um sich die gewohnten Delikatessen zu holen; er verfolgte dabei den König oft bis an die Zimmer, selbst bis in den Saal des Schlosses von Sanssouci.

Immer stiller ist es in Sanssouci geworden. Das heitere Gespräch, das einst von Geist und Laune übersprudelte, ist allgemach verhallt; Flöte und Saitenspiel erklingen schon geraume Zeit nicht mehr in den Räumen, die ihnen gewidmet waren. Aber eins schwindet nicht; eins ist es, was diesen unbesieglichen Geist trotz aller Entbehrungen, trotz all der Last, mit welcher Alter und Krankheit den Körper drücken, immer aufs neue frisch und jugendlich macht: es ist die unausgesetzte Beschäftigung mit der Wissenschaft. Fort und fort saugt er, wie in den Zeiten des jugendlichen Wissensdranges, neue, lebenskräftige Nahrung aus den Schriftwerken des griechischen und römischen Altertums und aus denen, welche die Heroen der französischen Literatur hinterlassen haben. Seine Begeisterung bleibt immer neu, mit immer wiederkehrender Liebe erfreut und erwärmt er sich an den Schönheiten, durch die ihm einst das Auge des Geistes geöffnet ward. Auch die eigne geistige Tätigkeit rastet nicht; eine große Anzahl von den Erzeugnissen seiner Feder gehört dieser spätem Periode seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges an. Schon unmittelbar nach dem Kriege hatte er die Geschichte desselben gearbeitet; dann hatten die Geschichten der Teilung von Polen und des bayrischen Erbfolgekrieges ebenfalls Anlaß zu historischer Darstellung gegeben, so daß wir, neben der Geschichte von Friedrichs Vorgängern, zugleich fast die ganze lange Reihe der politischen Ereignisse, an denen er selbst seit dem Beginn des Ersten Schlesischen Krieges teilgehabt, von seiner eignen Hand und nach seiner eignen Anschauung aufgezeichnet besitzen, — eine Reihe historischer Werke, wie in ähnlicher Beziehung keine zweite vorhanden ist. Auch waltet in allem, was Friedrich über die Geschichte seines eignen Lebens schrieb, die strengste Unparteilichkeit ob; nichts davon ist bei seinen Lebzeiten gedruckt worden, nichts wissentlich der Zuneigung oder Abneigung wegen in falschem Lichte dargestellt; diese Arbeiten waren nur für die Nachwelt bestimmt. Neben diesen Werken ist eine große Anzahl verschiedener Abhandlungen, meist moralischen und staatswissenschaft<496>lichen Inhalts, zu nennen. Mehrere derselben, wie z. B. die « Abhandlung über die Regierungsformen und die Pflichten der Regenten », vom Jahre 1779, schließen sich, in merkwürdiger Übereinstimmung der Gesinnungen, dem berühmten Werke seiner Jugend, dem Antimacchiavell, an. Auch in Gedichten spricht er wiederholt den Drang seines Innern aus, und wie er in seiner frühen Zeit nach der Erforschung ewiger Wahrheit gerungen, so strömt er in dichterischer Form auch noch kurz vor seinem Tode — in seinem « Unde? Ubi? Quo? » — alle bangen Zweifel und alle tröstende Sehnsucht nach dem klaren Lichte des Jenseits aus.

In einer Beziehung aber tritt auch bei dieser wissenschaftlichen Beschäftigung ein eigentümlich tragisches Verhältnis hervor, und es hält schwer, sich der tiefsten Wehmut zu erwehren, wenn man auf dasselbe zurückblickt. Friedrich hatte ein langes Leben mit treuer Gewissenhaftigkeit dem Dienste des Vaterlandes gewidmet; er hatte unermüdlich für dasselbe gewacht und gekämpft; er hatte die Freude, am Abende seines Lebens nicht bloß seinen eignen Staat geehrt, blühend und reich zu sehen: <497>auch das gesamte deutsche Land hatte an seiner Größe sich auferbaut, aus seinem Heldenstreben hohe Kräftigung in sich gesogen, an der Weisheit seines Regimentes sich erwärmt und entzündet. Das war der schönste Lohn seiner Mühen; aber um diesen Lohn vollständig zu genießen, um sich zu überzeugen, daß er alles erreicht habe, was er erstrebt, verlangte er auch noch den Anblick derjenigen Blüten, die das einzige Kennzeichen der höhern Entwickelung sind, den Anblick einer frischen, schöpferischen Tätigkeit im Bereiche der Wissenschaft und Poesie. Ihm stand das Leben des Geistes zu hoch, als daß er sich nicht innig gesehnt hätte, sein Volk auch darin unter den Ersten hervorleuchten zu sehen. Und auch dieses Glückes, dieser edelsten Befriedigung seiner Wünsche hätte er teilhaftig werden können. Seit er dem deutschen Volke seine alte Würde zurückgegeben, war schnell eine Schar der regsamsten, gediegensten Geister erwacht, die in Schrift und Rede den Preis der deutschen Wissenschaft verkündeten, und Lieder klangen durch das deutsche Land, wie sie seit den schönen Zeiten der Minnesänger nicht gehört waren. Den Namen eines Klopstock, eines Lessing hatten sich bereits die eines Winckelmann, Herder, Wieland, Goethe und vieler anderer angereiht, die keinem der gefeiertsten Namen der Fremde nachstehen. Aber Friedrich kannte sie nicht, und, was trauriger ist, er hatte nicht den Sinn, ihre Sprache zu verstehen. Er, der für einen Gedanken von Voltaires Henriade die ganze Iliade Homers herzugeben geneigt war, vermochte nicht über die Schranken hinauszublicken, welche die höfische Etikette der französischen Poesie um sich und um ihn gezogen. Er ahnte so wenig, in welchem Boden die Kraft und die Schönheit unserer Sprache und Poesie wurzelte, daß er, als der Professor Myller in Berlin ihm die große Sammlung der schönen Gedichte des deutschen Mittelalters widmete, die er mit sorgenvoller Mühe zustande gebracht, nichts weiter zu antworten wußte, als: die Gedichte seien keinen Schuß Pulver wert. So mußte er, weil er dem deutschen Sinne sich abgewandt, darben mitten im Überflusse; so vereinsamte er mitten unter den Zeugnissen eines reichen heitern Lebens, die vorzugsweise durch die großen Taten seines Lebens hervorgerufen waren; so ging der tröstende, der erhebende Zuspruch der deutschen Muse an seinem Ohre unvernommen vorüber. Und dennoch, obgleich er sein Volk noch in all der Roheit befangen glaubte, die in den Zeiten seiner Jugend vorherrschend war, dennoch hielt er die freudige Zuversicht aufrecht, daß der Geist des deutschen Volkes sich dereinst in glänzender Herrlichkeit offenbaren müsse und daß die Äußerung seiner Kraft sich über alle Lande ausbreiten werde. Er schrieb, im Jahre 1780, eine ausführliche Abhandlung « über die deutsche Literatur, über die Fehler, die man ihr vorwerfen kann, über deren Ursachen und über die Mittel, durch welche sie zu verbessern sind ». Die <498>Abhandlung ist insofern mangelhaft und wertlos, als Friedrich sich nur auf die schlechtesten Erscheinungen, welche die deutsche Literatur in seiner Jugend hervorgebracht hatte, bezieht. Aber der Sinn, in welchem die Abhandlung geschrieben ist, versöhnt mit all diesen Mängeln und gibt das lauterste, das rührendste Zeugnis der Liebe und Treue, mit der er bis an das Ende seiner Tage am Vaterlande festhielt. Denn mit den folgenden prophetischen Worten, die freilich noch Bedeutenderes verkünden, als die deutsche Literatur damals erreicht hatte, beschließt er diese Schrift: « Wir werden unsere klassischen Schriftsteller haben; jeder wird sie lesen, um sich an ihnen zu erfreuen; unsere Nachbarn werden die deutsche Sprache lernen, an den Höfen wird man sie mit Vergnügen sprechen; und es kann geschehen, daß unsere Sprache, ausgebildet und vollendet, sich zugunsten unserer guten Schriftsteller von einem Ende Europas bis zum andern ausbreitet. Diese schönen Tage unserer Literatur sind noch nicht gekommen, aber sie nahen heran. Ich sage es euch, sie werden erscheinen: ich werde sie nicht sehen, mein Alter gestattet mir dazu keine Hoffnung. Ich bin wie Moses; ich sehe von fern das gelobte Land, aber ich werde es nicht betreten. »

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VIERUNDVIERZIGSTES KAPITEL Friedrichs Ende.

Friedrich hatte bereits das siebente Jahrzehnt seines Lebens überschritten. Neue Geschlechter waren um ihn her aufgewachsen; sie kannten die Leiden und die Freuden seiner frühern Zeit nicht; aber innig war ihr Leben durchwebt von dem Ruhme seines Namens, und kindliche Verehrung brachten sie dem dar, der mit Vatertreue unablässig für das Wohl seines Volkes sorgte. Wahrlich, wenn Friedrich unter seinen Untertanen erschien, es war, als ob der Vater zu seinen Kindern komme. Darum ruhte er sicher in der Liebe seines Volkes, und sein Haus bedurfte, während andere Monarchen sich durch <500>bewaffnete Mietlinge und Kanonen vor den Ihrigen zu schützen suchten, keiner Wache. Wohl lautet es rührend, wenn ein Zeitgenoß erzählt: « Ich bestieg diesen Hügel (Sanssouci) zum erstenmal im Winter in der Abenddämmerung. Als ich dieses Welterschütterers kleines Haus vor mir erblickte, schon nahe war an seinem Zimmer, sah ich zwar Licht, aber keine Wache vor des Helden Tür, keinen Menschen, der mich gefragt hätte, wer ich sei und was ich wolle. Ich sah nichts und ging frei und froh umher vor diesem kleinen, stillen Hause. » Ein anderer berichtet, wie er eines Abends, in Gesellschaft eines königlichen Pagen, nach Sanssouci gekommen sei und dort im zweiten Zimmer, durch die halbgeöffnete Tür, Friedrich gesehen habe, auf einem Ruhebette schlummernd, nur leicht bedeckt und bloß von einem schlafenden Kammerdiener bewacht.

Wenn Friedrich in die Stadt geritten kam, war es stets ein festliches Ereignis für das Volk. Die Bürger traten aus den Türen und grüßten ihn ehrerbietig; er erwiderte jeden Gruß, indem er den Hut abzog. Viele folgten ihm zu den Seiten, den alten König recht lange und deutlich anzusehen. Stets lief eine Menge von <501>Kindern und Buben vor und neben ihm; sie riefen dem Landesvater ihr Lebehoch zu, warfen ihre Mützen jubelnd empor, wischten ihm auch wohl den Staub von den Stiefeln und trieben sonst allerlei Possen. Friedrich ließ sie nie in ihrer Freude stören; nur wenn sie gar zu weit gingen und das Pferd neckten, daß es scheu ward, stieß er wohl einige rasche Drohungen aus und ritt dann wieder ruhig weiter. Auch wird erzählt, wie er einst, als die Buben es zu arg machten, seinen Krückstock erhoben und ihnen drohend geboten habe, in die Schule zu gehen, wie die Buben aber jubelnd ausgerufen hätten: « Ach, der will ein König sein, und weiß nicht, daß Mittwoch Nachmittags keine Schule ist! »

Ebenso drängten sich die höhern Stände, denen der Zutritt zur Oper verstattet war, ihn zu sehen, wenn er in das Theater trat. « Mir schlägt immer das Herz », so sagt ein Augenzeuge, « wenn Pauken und Trompeten seinen Eintritt verkündigen, die Leute sich fast erdrücken, ihn zu sehen, und die alten Soldaten unten nur Augen für ihn haben. »

Und wie in der nächsten Umgebung seines Volkes, so zollte man ihm überall, selbst in fern entlegenen Ländern, Ehrfurcht und Bewunderung. Es war im Jahre 1780, als ein aus Amsterdam gebürtiger Schiffskapitän Klock, der in Emden das Bürgerrecht erworben, sein Schiff auf der marokkanischen Küste durch einen Sturm verlor. Er, samt der Mannschaft, wurde in die schrecklichste Gefangenschaft nach Magadore geführt. Als aber der Kaiser Muley Ismael erfahren, daß ihre Flagge und sie selbst dem großen Könige angehörten, ließ er die Unglücklichen nach Marokko kommen, befragte sie nach Friedrich und sagte: « Von eurem Monarchen sind so viele Wunderdinge zu meinen Ohren gekommen, daß es mich mit Liebe und Bewunderung zu ihm erfüllt hat. Die Welt hat keinen größern Mann aufzuweisen als ihn; als Freund und Bruder hab ich ihn in mein Herz geschlossen. Ich will darum auch nicht, daß ihr, die ihr ihm angehört, in meinen Staaten als Gefangene angesehen werdet; vielmehr habe ich beschlossen, euch frank und frei in euer Vaterland heimzuschicken, auch meinen Kreuzern anbefohlen, wo sie preußische Schiffe in See antreffen, ihren Flaggen Achtung zu erweisen und sie selbst nach Möglichkeit zu beschützen. » Klock mit seinem Gefolge ward darauf neu gekleidet, sehr anständig bewirtet und unentgeltlich nach Lissabon eingeschifft.

Mit einem schwächlichen Körper war Friedrich in die Welt getreten; mehrfach hatte man in jüngeren Jahren für sein Leben gefürchtet. Dann war die Zeit der Arbeit und Mühe gekommen, deren Last ihm schon in den männlichen Jahren das Gepräge eines höhern Alters gegeben hatte. Gleichwohl war durch die mannigfachen Anstrengungen im Felde sein Körper abgehärtet worden und mit bewunderungs<502>würdiger Kraft, die freilich nur durch einen so starken Geist erzeugt werden konnte, ertrug er die folgenden Mühen und so manche Krankheitsleiden, die fast regelmäßig wiederkehrten. Sein Körper war von der Zeit gebeugt worden, sein Geist war es nicht. So schildert ihn noch wenig Monate vor seinem Tode ein Zeitgenoß: « Mit lebendiger Neugierde », sagt er, « betrachtete ich diesen Mann, der, groß von Genie, klein von Statur, gekrümmt und gleichsam unter der Last seiner Lorbeern und seiner langen Mühen gebeugt war. Sein blauer Rock, abgenutzt wie sein Körper, seine bis über die Knie hinaufreichenden langen Stiefeln, seine mit Schnupftabak bedeckte Weste bildeten ein wunderliches und doch imponierendes Ganzes. An dem Feuer seiner Blicke erkannte man, daß er nicht gealtert hatte. Ungeachtet er sich wie ein Invalide hielt, fühlte man doch, daß er sich noch wie ein junger Soldat schlagen könne; trotz seines kleinen Wuchses erblickte ihn der Geist doch größer als alle andern Menschen. »

Aber die wiederkehrenden Krankheitsanfälle wurden mit den steigenden Jahren immer beschwerlicher und drohten die Kraft des Körpers immer mehr zu untergraben. « Was meine Gesundheit betrifft (schrieb Friedrich schon im Jahre 1780 an einen Freund), so werden Sie natürlicherweise selbst vermuten, daß ich, bei 68 Jahren, die Schwachheiten des Alters empfinde. Bald belustigt sich das Podagra, bald das <503>Hüftweh und bald ein eintägiges Fieber auf Kosten meines Daseins, und sie bereiten mich vor, das abgenutzte Futteral meiner Seele zu verlassen. » — Unausgesetzt aber erfüllte er alle, auch die beschwerlichsten Pflichten seines königlichen Amtes, ebenso, wie er dieselben seit dem Antritt seiner Regierung übernommen. Nicht bloß die täglichen Geschäfte seines Kabinetts und die tägliche Soldatenschau, auch die Reisen in die Provinzen und die Abhaltung der militärischen Revuen litten keine Unterbrechung. Noch im August 1785 hatte er, bei der schlesischen Revue, sechs Stunden lang in einem kalten und heftigen Regen zu Pferde gesessen und alles Ungemach der Witterung ruhig ertragen. Nur eine schnell vorübergehende Unpäßlichkeit war die Folge davon gewesen.

Mit dem Herbste desselben Jahres trat ein ernstlicher und anhaltender Krankheitszustand ein; bald äußerten sich die bedrohlichen Vorboten der Wassersucht. Aber, wie beängstigend und quälend auch diese Leiden waren, doch litt die ganze Regententätigkeit des großen Königs keine Unterbrechung. Alle Kabinettsgeschäfte wurden abgemacht, wie in den Tagen rüstiger Gesundheit. Wie Friedrich in dem letzten Jahre den deutschen Fürstenbund zustande gebracht, den denkwürdigen Vertrag mit Nordamerika abgeschlossen hatte, so sorgte er unermüdet auch für das Innere seines Reiches. Er wollte auch hier sein Werk getreu abschließen. Alle entworfenen und beschlossenen Unternehmungen zur Landeswohlfahrt wurden ausgeführt und vollendet. Drei Millionen Taler waren für diese Zwecke bestimmt. Und da im vorigen Frühjahr die Niederungen in den Ostseeprovinzen durch große Überschwemmungen gelitten hatten, so wurden unverzüglich die nötigen Anstalten zur Wiederherstellung der <504>Dämme getroffen, auch eine halbe Million Taler unter die Notleidenden verteilt. Ebenso ergriff Friedrich die nötigen Maßregeln, um den Folgen eines in demselben Jahre erfolgten Mißwachses vorzubeugen.

Am 26. Januar 1786 war der alte Zieten gestorben. Als Friedrich seinen Tod erfuhr, war er den ganzen Morgen sehr ernst, aber gefaßt. Einige Generale kamen zu ihm; absichtlich vermieden sie es, von Zietens Tod zu sprechen. Friedrich aber fing selbst davon an. « Unser alter Zieten », sagte er, « hat auch bei seinem Tode noch sich als General gezeigt. Im Kriege kommandierte er immer die Avantgarde, auch mit dem Tode hat er den Anfang gemacht. Ich führte die Hauptarmee, ich werd ihm folgen. »

<505>Der April brachte die ersten warmen Tage, und Friedrich hoffte, obgleich die Krankheit immer mehr vorgeschritten war, von der Verjüngung der Natur auch eine neue Belebung seiner Kräfte. Die Strahlen der Sonne, die milde Frühlingsluft taten ihm wohl, und gern genoß er diese Erquickung, indem er sich auf die sogenannte grüne Treppe vor dem Potsdamer Schloß, wo er den Winter zugebracht, einen Stuhl hinausbringen ließ und sich dort ruhte. Einst bemerkte er, daß die beiden Grenadiere, die an jener Treppe Schildwache standen, das Gewehr scharf beim Fuß behielten, während er sich der Ruhe überließ. Er winkte einen von ihnen zu sich heran und sagte mit gütigem Tone: « Geht ihr nur immer auf und nieder. Ihr könnt nicht so lange stehen, als ich hier sitzen kann! »

Noch im April zog er auf sein geliebtes Landhaus hinaus. Mehrmals versuchte er hier auf seinem getreuen Condé einen kurzen Spazierritt, aber die Kräfte ließen immer mehr nach. Die Ärzte wußten keine Hilfe mehr. Auch die Ankunft des berühmten hannoverschen Leibarztes Zimmermann, der zwar angenehme Unterhaltung und Zerstreuung zu bringen imstande war, blieb im übrigen ohne Erfolg. Im Anfange des Sommers hatte sich die Wassersucht vollständig ausgebildet. Friedrich litt unendlich, liegen konnte er gar nicht mehr, Tag und Nacht mußte er auf dem Stuhle sitzend zubringen. Und dennoch zeigte er auch jetzt nur Heiterkeit und Zufriedenheit, dennoch ließ er kein Zeichen von Schmerz blicken, kam keine Klage über seine Lippen. Trat ihn über Nacht bisweilen die Engbrüstigkeit zu heftig an, so rief er ganz leise, um die im Nebenzimmer schlafende Bedienung nicht zu wecken, einen der beiden Lakaien, die bei ihm wachten, zu sich und bat ihn in den freundlichsten Ausdrücken, ihm eine Weile den Kopf zu halten. Eines Morgens fragte er einen Laufer, der die Wache hatte, welche Zeit es sei; als dieser sagte, daß es eben zwei Uhr geschlagen habe, antwortete er: « Es ist noch zu früh, wollen sie (die Kammerdiener) noch schlafen lassen. » Dem Herzoge von Kurland, der ihn in dieser schweren Zeit besuchte, sagte er scherzend: wenn er einen guten Nachtwächter brauche, so bitte er sich dieses Amt aus, er könne des Nachts vortrefflich wachen. Und bei alledem gingen auch jetzt noch die Regierungsgeschäfte unausgesetzt ihren Gang fort. Die Kabinettsräte, die sonst gewöhnlich um 6 oder 7 Uhr erschienen, wurden jetzt bereits um 4 oder 5 Uhr morgens vor ihn berufen. « Mein Zustand (so kündigte er ihnen diese, freilich unbequeme Neuerung an) nötigt mich, Ihnen diese Mühe zu machen, die für Sie nicht lange dauern wird. Mein Leben ist auf der Neige; die Zeit, die ich noch habe, muß ich benutzen. Sie gehört nicht mir, sondern dem Staate. »

<506>In warmen Nachmittagsstunden ließ er sich auch in seinen letzten Tagen gern an die Sonne hinaustragen. Einst hörte man ihn, als er seinen Blick auf die Sonne gewandt hatte, die Worte sagen: « Bald werde ich dir näher kommen! »

Gegen die Mitte des August bemerkte man eine Wendung der Krankheit, welche die nahe Auflösung zu verkünden schien. Am 15. August schlummerte er wider seine Gewohnheit bis 11 Uhr, besorgte darauf aber, wenn auch mit schwacher Stimme, seine Kabinettsgeschäfte mit derselben Geistesgegenwart und mit derselben Frische, wie in den Tagen rüstiger Kraft. Auch diktierte er an diesem Tage noch so richtig durchdachte Depeschen, daß sie dem erfahrensten Minister würden Ehre gemacht haben. Zugleich erteilte er dem Kommandanten von Potsdam, Generalleutnant von Rohdich, die Disposition zu einem Manöver der Potsdamer Garnison für den folgenden Tag, mit vollkommen richtiger und zweckmäßiger Anordnung in Bezug auf das Terrain.

Am folgenden Morgen verschlimmerte sich der Zustand auf bedenkliche Weise, die Sprache stockte, das Bewußtsein schien aufzuhören. Die Kabinettsräte wurden nicht zum Vortrage gerufen. Rohdich trat vor den leidenden Herrn; man bemerkte deutlich, wie dieser bemüht war, sich zu sammeln, um einen Teil seines Lieblingsgeschäftes zu verrichten. Er arbeitete daran, aus dem Winkel des Stuhles sein Haupt emporzuheben, das matte Auge mehr zu öffnen, die Sprachorgane in Bewegung zu setzen. Alle Anstrengung war vergebens. Er gab durch einen <508>klagenden Blick beim Drehen des Kopfes zu verstehen, daß es ihm nicht mehr möglich sei. Rohdich drückte sein Taschentuch vor die Augen und verließ schweigend das Zimmer.

Auch dieser Tag verging, ohne daß die beginnende Auflösung des Körpers das starke Leben überwältigen konnte. Die Nacht war gekommen, es schlug elf Uhr. Vernehmlich fragte der König, was die Glocke sei. Als man es ihm gesagt, erwiderte er: « Um vier Uhr will ich aufstehen. » Ein trockener Husten beklemmte ihn und raubte ihm die Luft. Der eine von den anwesenden Dienern, der Kammerlakai Strützki, faßte ihn, indem er niederkniete, unter den Arm und hielt ihn aufrecht, um ihm Erleichterung zu gewähren. Allmählich veränderten sich die Gesichtszüge, das Auge ward matter und gebrochener; dann wurde der Körper ruhig, nach und nach schwand der Odem. Einige Stunden nach Mitternacht starb Friedrich in des Lakaien Armen. Außer diesem waren nur der Arzt und zwei Kammerdiener die Zeugen seines Todes. Es war der 17. August 1786.

Am Morgen erschien der neue König, Friedrich Wilhelm II., dem Dahingeschiedenen das Opfer des Schmerzes darzubringen. Mit der Uniform des ersten Garde-Bataillons angetan lag Friedrich auf einer schwarzbehängten Feldbettstelle, als die Offiziere der Garnison, die um 11 Uhr zur Parole nach Sanssouci beschieden waren, die Erlaubnis erhielten, das Trauerzimmer zu betreten. Sie vergossen tausend schmerzliche Tränen, als sie die schwache, entseelte Hülle dieses mächtigen Geistes vor sich sahen. Ihre Stimmung teilten die Söhne des neuen Königs, der Kronprinz Friedrich Wilhelm und der Prinz Ludwig, als auch sie an die Bahre traten.

Abends 8 Uhr wurde der Leichnam von zwölf Unteroffizieren des ersten Garde-Bataillons in den Sarg gelegt und auf einem achtspännigen Leichenwagen nach dem Schlosse in der Stadt gebracht. Vorauf ritt der Adjutant des ersten Garde-Bataillons, zu beiden Seiten des Wagens gingen die zwölf Unteroffiziere, drei Wagen folgten. Der stille Zug ging zum Brandenburger Tore von Potsdam hinein, wo sich viele Offiziere anschlossen, die sich hier versammelt hatten und dem großen Toten gesenkten Blickes das Geleit gaben. Alle Straßen von Potsdam waren mit Menschenhaufen überfüllt; aber Stille der Mitternacht lag auf dem Volke; nur hier und da hörte man ein schwerverhaltenes Schluchzen und den Seufzer: « Ach der gute König! » Am Eingange des Schlosses wurde der Sarg von vier Obersten empfangen und in dem Audienzzimmer die Nacht hindurch bewacht. Am andern Tage war hier, unter dem daselbst befindlichen Baldachin, der Leichnam in Parade ausgestellt, einfach, ganz wie im Leben bei festlicher Gelegenheit angetan, das <509>dünne eisgraue Haar etwas gepudert und in kunstlose Locken gelegt. Ruhig sinnender Ernst sprach aus den erbleichten Zügen des Gesichtes. Krückstock, Degen und Schärpe lagen auf einem Taburett neben ihm. So war er den ganzen Tag zu sehen. Tausende waren, auf die Trauerkunde, aus Berlin, aus den kleinen Städten, vom Lande herbeigeströmt, den einzigen Landesvater einmal noch im Sarge zu betrachten.

Die Gruft auf den Terrassen von Sanssouci, die Friedrich selbst zu seiner Ruhestätte bestimmt, schien eines so großen Königs nicht würdig zu sein. Der neue Herrscher wählte dafür den Platz neben der Gruft Friedrich Wilhelms I., unter der Kanzel in der Garnisonkirche zu Potsdam. Dahin setzte sich der Zug am Abende des 18. August in Bewegung, begleitet von den Generalen und Offizieren, von dem Magistrate der Stadt und von des verstorbenen Königes Hofstaat. Zwei Prediger gingen der Leiche entgegen und begleiteten sie bis zum Eingange des Gewölbes, indem die Orgel das Lied « Dein sind wir, Gott, in Ewigkeit » mit gedämpften Tönen spielte. Der üblichen Gedächtnispredigt wurde in der ganzen Monarchie die Stelle aus dem ersten Buche der Chronik zugrunde gelegt: « Ich habe dir einen Namen gemacht, wie die Großen auf Erden Namen haben. » Das feierliche Leichenbegängnis fand am 8. September in der Garnisonkirche zu Potsdam statt. Es wurde dieses Ehrenfest geradeso eingerichtet, wie es bei dem Tode Friedrich Wilhelms I. war gehalten worden.

<510>Was die Welt bei der Nachricht von dem Tode des Königs, den sie, vor allen übrigen, den Großen, den Einzigen nannte, empfunden habe? wer möchte dies heute nachsprechen können! Besser wissen wir es nicht zu sagen, als mit den schlichten Worten jenes schwäbischen Bauern: « Wer wird nun die Welt regieren? »