XXXVI. INSTRUCTION FÜR MEINE ARTILLERIE WIE SIE BEI GELEGENHEIT IHR FEUER EINRICHTEN SOLL.[Titelblatt]
<390><391>INSTRUCTION FÜR MEINE ARTILLERIE, WIE SIE BEI GELEGENHEIT IHR FEUER EINRICHTEN SOLL.
AN DEN GENERAL-MAJOR VON HOLTZENDORFF.
Potsdam, den 10. Mai 1782.
MEIN LIEBER GENERAL-MAJOR VON HOLTZENDORFF,
Ich bin mit Eurem Diensteifer, Meine Artillerie in einen respectablen Stand zu setzen, vollkommen zufrieden, aber Ich habe bei allen Meinen Campagnen bemerkt, dass solche von den Officieren fehlerhaft dirigirt worden und dass sie aus Vorurtheil und Mangel an Beurtheilungskraft oder auch aus Feigheit Fehler begangen, die für Mich öfters die schlimmsten Folgen gehabt haben, so dass Ich schon gezwungen gewesen bin Cavallerie-Commando's hinter ihr halten zu lassen, um sie zu ihrer Schuldigkeit anzuhalten. Ihr werdet also Euren Officieren die in beikommender Instruction angeführten Puncte genau einschärfen und darauf halten, dass solche auch jetzt bei allen Manœuvres befolgt und ausgeübt werden, damit sich sowohl die Officiere als auch die Bursche daran gewöhnen. Ich bin Euer wohlaffectionirter König,
Fdch.
<392>INSTRUCTION.
Die Vorbereitungen und die verschiedenen Bewegungen, die bei einer Bataille vorhergehen, dauern, ohngeachtet man den Feind schon in der Nähe und im Auge hat, öfters drei bis vier Stunden, je nachdem das Terrain beschaffen ist, darauf der Feind seine Position genommen und nachdem die Hindernisse sind, die man zu übersteigen hat, ehe man aufmarschiren kann. Es ist aber jederzeit fehlerhaft und schädlich, wenn die Artillerie ihr Feuer schon anfängt, sobald sie nur den Feind sehen kann und ihn zu erreichen glaubt.
Weder der angreifende Theil, noch der angegriffene haben von dergleichen Feuer was zu befürchten, weil es auf beiden Seiten fast ohne Wirkung ist. Der angegriffene Theil verschiesst sein Pulver ohne Vortheil; der angreifende aber verliert nicht nur sein Pulver, sondern seine Evolutionen geschehen auch viel langsamer und der Feind bekommt dadurch Zeit und Gelegenheit, unserm Angriffe Hindernisse in den Weg zu legen, wo nicht gar ihn zu vereiteln.
Diesen Fehler des zu frühen Feuers habe Ich fast immer an Meiner Artillerie bemerkt. Ich weiss zwar, dass das ungestüme Anhalten der Infanterie-Officiere und der zunächst stehenden Pelotons die Artillerie öfters zu diesem Fehler verleiten mag, und um sich bei der Infanterie zu insinuiren, oder auch wohl um ihre Bravour zu zeigen, feuern Eure Officiere so lange fort, bis sie merken, dass ihre Schüsse bis auf die Hälfte verschossen, und aus Furcht, dass sie sich ganz verschiessen möchten, nimmt ihr Feuer alsdann ab, wenn es just am heftigsten sein sollte.
Es geschieht aber auch wohl, dass selbst der commandirende General oder ein anderer General sich vergisst und zu früh zu feuern befiehlt, um nur seine Truppen zu betäuben, ohne daran zu denken, welche schädliche Folgen es haben kann. Alsdann muss der Officier zwar gehorchen, aber er muss so langsam als nur möglich feuern, und alle Accuratesse beim Richten anwenden, damit nicht alle Schüsse verloren gehen. Bloss dann lässt sich dergleichen frühes Feuern entschuldigen, wenn der General <393>die Absicht hat, die Aufmerksamkeit des Feindes auf die eine Seite zu lenken, um ihm verschiedene Bewegungen zu maskiren.
Sobald die Kanonen aber bis auf sechs hundert bis sieben hundert Schritt auf den Feind avancirt sind, alsdann müssen sie ein unaufhörliches Feuer machen und damit so lange continuiren, als sie dem Feinde ganz nahe sind; denn ein Schuss mit einer Passkugel in einer so nahen Distance schlägt nicht nur durch alle Treffen durch, sondern das Geräusch der Kugeln selbst setzt schon die feindlichen Truppen in Furcht und das Gewinsel von ihrer Wirkung verursacht weit mehr Schrecken als ein Kartätschenschuss in einer zu weiten Entfernung.
Selten wird ein Feind ein dergleichen wohl dirigirtes Feuer bis auf hundert oder achtzig Schritt aushalten, und wenn er dennoch Stand halten sollte, dann muss ohne Aufhören mit Kartätschen geschossen werden, und wenige Minuten werden die Sache entscheiden.
Dies aber müsst Ihr Euren Officieren hauptsächlich einschärfen, dass sie nie weiter als auf hundert Schritt mit Kartätschen schiessen, weil sich sonst die Kugeln zu sehr ausbreiten, sehr viele, ehe sie den Feind erreichen, auf der Erde liegen bleiben, viele über ihn weg fliegen, aber nur wenige ihm Schaden thun.
Wenn die feindliche Cavallerie attaquirt und in die Flanken oder sonst wo in die Linie einbrechen will, so muss mit den Kanonen nicht eher als höchstens acht bis neun hundert Schritt mit Kugeln auf sie gefeuert werden; aber alsdann muss es doch auch mit aller nur möglichen Accuratesse und Geschwindigkeit geschehen.
Gemeiniglich schreiet der Officier und Bursche von der Infanterie der Artillerie zu, sobald sie eine Cavallerie gewahr werden, mit Kartätschen zu schiessen, und die Artillerie thut es aus Gefälligkeit; aber Eure Officiere müssen sich dadurch nicht irre machen lassen, sondern sie mit Passkugeln so lange beschiessen, bis sie glauben, dass sie noch so viel Zeit haben mit Kartätschen zu schiessen und ihr die erste Lage damit auf fünfzig bis sechzig Schritt geben zu können.
Ihr müsst aber Eure Kanoniere vorher instruiren, dass sie auf das Commando des Officiers bei dieser Gelegenheit nicht die <394>ganze Batterie auf einmal, sondern nur immer die Hälfte abfeuern, damit ein beständiges Feuer unterhalten werde, doch so, dass jederzeit eine Kanone die andere überspringt; aber einzeln muss nicht geschossen werden, weil einzelne Schüsse sie nicht so leicht in Unordnung bringen und ihren Marsch aufhalten.
Ein Officier, der bei dergleichen Gelegenheiten sich nur nicht aus seiner Fassung bringen lässt, wird nie risquiren sein Geschütz zu verlieren, noch befürchten dürfen, dass die Cavallerie ihren Zweck erreichen wird. Keine Cavallerie wird in Carriere mehr als zwei hundert Schritt in einer Minute geschlossen zurücklegen, und wenn man annimmt, dass sie nur von acht hundert Schritt an beschossen wird, eine Kanone aber in einer Minute nur vier Schüsse thut; so erhält sie von einer Batterie von zehn Kanonen wenigstens hundert vierzig bis hundert fünfzig Schüsse mit Passkugeln, ehe sie mit Kartätschen beschossen wird, weil sie nicht gleich en carrière attaquirt, sondern sich erstlich in Trott, dann in Galopp und zuletzt in Carriere setzt, und wenn Ihr Eure Schüsse gut anbringt, dann wird ihr gewiss die Lust vergehen, Euch bis auf fünfzig Schritt nahe zu kommen, um sich noch mit Kartätschen beschiessen zu lassen.
Vorzüglich recommandire Ich Euren Officieren, bei dergleichen Vorfällen Présence d'esprit zu behalten; dann werden sie nicht leichtlich risquiren ihr Geschütz im Stich zu lassen, noch, aus allzu grosser Besorgniss solches zu verlieren, nöthig haben sich allzu früh zurück zu ziehen und die Infanterie ohne Unterstützung zu lassen und solche gleichfalls zum Rückzug zu zwingen.
Noch zweier Hauptfehler muss Ich erwähnen, die fast durchgehends alle Artillerien begehen :
- 1. dass sie ihr Feuer hauptsächlich auf die entgegengesetzte Artillerie richten und diese zum Stillschweigen bringen wollen, und
- 2. dass sie ihr Geschütz auf die grössten Anhöhen zu placiren suchen, die nur auf dem Champ de bataille anzutreffen sind, um desto weiter schiessen zu wollen.
Aber beides sind schädliche Vorurtheile, wovon Ihr just das Gegentheil thun müsst.
<395>In Ansehung des ersteren Fehlers, so müsst Ihr Eure ganze Aufmerksamkeit und Euer ganzes Feuer bloss dahin richten, die Linien der feindlichen Infanterie zu trennen, sie in Unordnung zu bringen, ihren Marsch aufzuhalten und zu verhindern, dass ihre Bewegungen mit Ordnung geschehen. Sobald Ihr diesen Zweck erreicht habt, so wird die Infanterie auch bald geschlagen sein, und das feindliche Geschütz wird von selbst schweigen und Euch in die Hände fallen.
Was das zweite Vorurtheil betrifft, das Geschütz auf Anhöhen zu placiren, um weiter schiessen zu können, so sieht ein jeder leicht ein, dass es nicht auf die Weite des Schusses bloss, sondern auf seine Wirkung ankommt. Wenn ein dergleichen Schuss auch wirklich in die feindliche Linie schlägt, so wird doch sein Effect wegen seiner schiefen Richtung nicht sonderlich gross sein, und die andern Treffen haben nichts von ihm zu befürchten. Schlägt er aber vor ihr auf, so wird bei lockerem Erdreiche die Kugel in der Erde stecken bleiben, bei festem aber mit einem Bogen über alle Linien weggehen.
Findet Ihr aber wegen des Terrains doch für nöthig Euer Geschütz auf Anhöhen zu placiren, so müssen solche doch nie über zwanzig Fuss über den Horizont erhöhet sein, oder Ihr könnt es auch in einer dergleichen Höhe auf die Dossirung höherer Berge stellen.
Wenn es die Umstände erlauben, so müsst Ihr nie über die Infanterie weg schiessen, sondern immer Euer Geschütz mit vorbringen; denn wenn auch der vorwärts marschirenden Infanterie dadurch kein Schade geschiehet, so werden sich doch die Bursche vor dem Geräusche der über sie weg fliegenden Kugeln fürchten, sich auf jeden Schuss bücken und dadurch das Avanciren beschwerlicher machen.
Endlich lasst dies Eure Hauptregel sein, alle Bogenschüsse so viel nur immer möglich ist zu vermeiden, und wenn es das Terrain erlaubt und nicht Gräben, Défilés oder kleine Hügel solches verhindern, so thut nichts als Rollschüsse, denn ein solcher Schuss fehlt selten, sondern thut fast immer seine Wirkung und schlägt in einer nahen Distance durch alle Treffen.
Obgleich nur immer von den Kanonen die Rede gewesen, so <396>kann doch meist alles auch bei den Haubitzen angewendet werden, ausser dass mit den Haubitzen etwas weiter mit Kartätschen, wegen des grössern Kalibers der Kugeln, kann geschossen werden, und dass damit öfters von höheren Bergen nach Retranchements und Verschanzungen mit Bogenschüssen geschossen wird.
In der Plaine aber und hauptsächlich in keiner zu grossen Entfernung müsst Ihr Euch gleichfalls der Rollschüsse bedienen.