6124. AN DEN GENERALFELDMARSCHALL VON LEHWALDT IN KÖNIGSBERG.
Potsdam, 3. December 1753.
Mein lieber Generalfeldmarschall von Lehwaldt. Es ist Mir Euer Schreiben vom 27. voriges richtig und wohl eingeliefert worden.
Da Ich aus solchem ersehen habe, wie Euren dort habenden Nachrichten nach in Liv- und Kurland noch alles derer dortigen Truppen halber ganz ruhig und stille ist, so finde Ich nöthig, Euch von den<170> wahren Ursachen und von den eigentlichen Umständen der neuerlichen Bewegung derer russischen Truppen hierdurch zu Eurer alleinigen Direction, jedoch als das grösseste Geheimniss, so Ihr Mir gegen Jedermann auf das ohnverbrlichlichste observiren müsset, au Fait zu setzen und über alles deutlich zu instruiren.
Der Anfang dieser Sache ist gewesen, dass, als man in dem Frühjahre dieses Jahres dem König von Engelland malitieuser und falscher Weise eine grosse Furcht wegen des von Mir im Monat September bei Spandow geordneten Campements beigebracht und demselben imponiret hatte, wie Meine geheime Absicht unter solchem Campement diese wäre, dass Ich mit denen dahin zu versammelnden Truppen auf einmal die hannöverschen Lande überfallen und dadurch eine von Mir formirete Prätension auf die lauenburgische Lande,170-1 welche Mir doch niemalen in die Gedanken gekommen ist, gelten machen wollte, so hat erwähnter König, ohnerachtet allem, was Ich thun können, ihn von dieser vergeblichen Furcht zu desabusiren, dennoch durch seinen in Russland habenden Minister bei dem Hofe zu Moskau ingeheim auf einen neuen Subsidientractat antragen [lassen], nach welchem Russland gegen englische Subsidien jedesmal ein Corps von etliche fünfzig Tausend Mann in Livland nebst einer Anzahl Galeeren zu des Königs von Engelland Disposition parat halten sollen, um auf den Fall, dass Ich die hannöversche Lande attaquiren würde, Mir sogleich und auf den ersten Wink eine nachdrückliche Diversion in Preussen damit zu machen.
Diese Negociation ist durch gedachten englischen Minister, welchem der österreichische und andere Ministres darunter getreulichst assistiret, dahin gebracht worden, dass endlich im letzteren Monate Julii die russischen Ministres dem englischen Minister Guy Dickens ein Projet zu einer zu treffenden Convention170-2 zugestellet haben, nach welcher Russland auf gewisse Jahre, und so lange der König von Engelland es nöthig finden würde, eine Anzahl von 60,000 Mann Truppen in Livland und da herum zu des letzteren Disposition bereit zu halten sich offeriret, dergestalt, dass auf den Fall Ich die hannöversche Lande attaquiren würde, solches [Corps] sogleich marschiren könne; dahergegen die russischen Ministres ein jährliches Subside, und zwar in Friedenszeiten, und so lange das Corps in Livland stehen werde, von einer Million holländischer Thaler, in Kriegeszeiten aber, und wenn es zur Ruptur käme, von drei Millionen Thaler verlanget haben.
Als darauf der englische Minister dieses Projet der Convention an seinen Hof geschicket, hat das englische Ministerium diese Subsides enorm und bedenklich gefunden, sich darauf einzulassen, und, als der österreichische Minister zu London sehr desfalls en faveur von Russland remuiret, endlich dahin geantwortet,170-3 wie es zwar wohl einiges, aber nicht höheres Subside als von ohngefähr 70,000 Pfd. Sterling in Friedens<171>zeiten, und wie Wartegelder, geben, auch wenn es zu einer Ruptur kommen sollte, alsdenn noch solche auf ein proportionirtes vermehren wollte, vorjetzo aber darunter noch nichts thun könne, sondern erst die Convocation eines neuen Parlements in Engelland abwarten müsste, um von solchem alsdenn die Einwilligung zu solchen Subsides zuwege zu bringen; inzwischen man sich den Winter hindurch über eine Convention hiernach verstehen könne; inzwischen es dem König von Engelland lieb sein werde, wenn Russland, dieses Anstandes ohnerachtet, seine Truppen nach und nach und ohnvermerket nach Livland defiliren lassen werde, damit um die Zeit, wenn im Frühjahr die Convention geschlossen werden würde, selbige in Livland versammelt wären.
Wie nun Russland diese Antwort aufnehmen, und ob es sich mit dem geringen Subside contentiren würde, stehet noch zu erwarten. Inzwischen ist zu glauben, dass man den kommenden Winter über diese Sache negotiiren, selbige aber nicht eher als etwa im Junio künftigen Jahres zu Stande bringen werde, wenn der König von Engelland nach Hannover gekommen sein wird.
Was vor Truppen nach Livland und Esthland destiniret worden, solches könnet Ihr aus dem beikommenden Extraits einer Dislocationsliste derer Winterquartiere vor dieses Jahr erfahren, welche Mir von guter Hand communiciret worden.171-1 Die Stärke eines Regiments Ca- vallerie wird gemeiniglich auf 1000 Köpfe und ein Regiment Infanterie zwar zu 3 Bataillon, jedes à 600 Mann, gerechnet, so aber selten mehr als 400 ausmachen.
Sonst werde Ich Euch die Zelter und Feldéquipages vor zwei derer dortigen Garnisonregimenter zusenden lassen, welche Ihr, wenn sie dort ankommen werden, hinlegen und wohl verwahren lassen sollet, ohne jemanden, auch selbst denen Officiers derer Regimenter, vor welche solche destiniret seind, das geringste davon zu sagen.
Bei den Nachrichten, so man haben will, als ob in Eurer dortigen Nachbarschaft sich die Truppen mehr und mehr verstärken sollten, ist es nothwendig, dass Ihr die Précaution nehmet, damit Fremden nicht erlaubet sei, in die Forteresses von Memel und Pillau ganz frei aus und ein zu gehen und alles nach Gefallen zu besehen. In der Stadt Memel kann solches Aus- und Eingehen nicht wohl verhindert werden; was die Forteresses aber von Memel, Pillau und Friderichsburg angehet, da müsset Ihr verbieten, dass niemanden als der Garnison erlaubet werde, darin ein- und auszugehen noch etwas davon zu besehen. Welches Ihr dann zu besorgen, und übrigens allen Eclat dabei, so viel möglich, zu menagiren habet.
Friderich.
Nach dem Concept.
<172>170-1 Vergl. S. 130.
170-2 Vergl. S. 93.
170-3 Vergl. S. 126. 145. 147.
171-1 Vergl. S. 161.