7735. AN DEN GEHEIMEN KRIEGSRATH EICHEL IN POTSDAM.
Berlin, 22. Juli 1756.
Ich bedaure von Herzen, dass ich nicht das Glück haben können, Ew. Wohlgeboren vor meiner Abreise aus Potsdam meine Aufwartung, so sehnlich ich auch solches gewünschet, meiner gegen Dieselbe tragenden aufrichtigen Hochachtung und gewidmeten unendlichen Ergebenheit nach, machen zu können. Ich habe mir die Freiheit genommen, in Ew. Wohlgeboren Behausung in Potsdam abzusteigen und mich eine gute halbe Stunde daselbst aufzuhalten, hernach aber, wie ich wohl bekennen muss, meine Indiscretion, so ohnedem anitzo bei Dero mehr als jemals überhäuften Arbeit grösser als sonst gewesen sein dürfte, zu weit zu poussiren gefürchtet, wenn Ew. Wohlgeboren bei Ihrer Rückkunft von dem Schlosse von neuem beschwerlich gefallen wäre; dahero mir nur itzo die Freiheit ausbitte, Deroselben aus hergebrachter Confidenz und altem Vertrauen dasjenige schriftlich zu eröffnen, was mir die Ehre geben wollen, mündlich zu thun.
<105>Es liessen nämlich Se. Königl. Majestät mich kurz nach der gestrigen Mittagstafel, nachdem Sie den englischen Gesandten gesprochen,105-1 herein in Dero Retraite berufen und geruheten mir zu sagen, wie zwar Dero aus denen gedruckten Zeitungen geschöpfte Appréhensions von einer französischen Armée, so in Teutschland an der Maas oder dem Rhein durch den Prinz von Conty commandiret werden sollen, durch die Depeschen des Herrn von Knyphausen nicht confirmiret würden und Sie dahero davon noch zur Zeit nichts glauben könnten, so hätten Höchstdieselbe dennoch solche authentique Nachrichten erhalten,105-2 welche sie vollenkommen au fait von dem gegen Dieselbe geschmiedeten Concert setzten und mehr als jemalen in der Idee, das Praevenire zu spielen, bestärketen. Nämlich, dass105-3 der wienersche Hof mit dem russischen eine Offensiv-Allianz gegen Dieselbe geschlossen und Höchstdieselbe NB. künftiges Frühjahr unitis viribus attaquiren würden; ehe aber könnte weder der wienersche Hof mit seinen Praeparatorien fertig sein, noch der russische die ihm nöthige Recruten zu Completirung der Regimenter anschaffen; der französische hätte sich durch einen secreten Articul bei dem Defensiv-Allianztractat vom 1. Mai anni currentis engagiret, dass derselbe, wenn Schlesien attaquiret würde, davon sich nicht mehren und Sr. Königl. Majestät keine Assistenz leisten, sich auch in einen Krieg, so Oesterreich oder Russland mit der Pforte haben könnte, gar nicht mischen wollte; und dass endlich in Petersburg vor Engelland alles auf einmal aus und solches von dem Bestushew rondement an Wilhams declariret worden wäre.
Ich habe darauf nichts anderes zu antworten gewusst, als dass ich billig supponiren müsste, dass diese Nachrichten authentique wären und nicht in fliegenden Zeitungen, blossen Soupçons und combinirten Conjuncturen bei der itzigen Krise bestünden. Worauf Se. Königl. Majestät eimgermaassen Feuer zu fassen schienen, als wenn ich zu incrédule wäre und nicht, was Höchstdieselbe mir mit gutem Fundament avancirten, Glauben beimessen wollte. Ich nehme mir die Freiheit, nochmalen mit einer respectueusen Franchise Sr. Königl. Majestät alle die Inconvenienzen und terriblen Suiten zu detailliren, welche daraus erwachsen könnten, wenn man diesseits im Aggressorium agiren und Frankreich und Russland gleichsam au pied du mur poussiren wollte, ihre Garantie- und Defensiv-Engagements, wenn beide auch sonst dieses Jahr es zu thun nicht Lust hätten, zu erfüllen, und in was vor einen terriblen Embarras Se. Königl. Majestät zu gleicher Zeit ohne anitzo noch dringende Noth gesetzet werden dürften, dreien so mächtigen Puissanzen zugleich zu resistiren, anstatt das beneficium temporis, so von nun an bis künftige Operationssaison beinahe 10 Monate wäre,<106> Ihro [Majestät] mehr Gelegenheit fourniren dürfte, inzwischen Ihre Partei inner- und ausserhalb des Reichs zu verstärken; [dass] das beneficium temporis zu erwarten und vielleicht einige Ouvertures zu Friedensnegociationen zwischen Frankreich und Engelland von neuem zu tentiren,106-1 auch inzwischen verschiedene Reichsstände in das hiesige und englische Interesse zu Fournirung von Truppen gegen Subsidien zu ziehen und unsere Partei unter denen Evangelischen in- und ausserhalb des Reichs zu vergrössern, auch von allerhand Incidentpunkten und Évènements zur Verbesserung unser itzigen misslichen Situation zu profitiren sei, übrigens aber inzwischen in Preussen, Schlesien und sonsten ein formidables Corps Truppen parat gehalten würde, umb unseren Feinden zu zeigen, dass man bereit wäre, sie wohl zu empfangen und ihnen selbst zu begegnen.
Allein alles dieses wurde gänzlich verworfen, vor einen Effect von gar zu grosser Timidité gehalten, und ich zuletzt ziemlich sèchement mit denen Worten congediiret „Adieu, Monsieur de la timide politique!“
Ich habe inzwischen die Consolation, dass ich zu zweien wiederholten Malen alles gesaget, was ein treuer und redlicher Diener zu thun schuldig, und zuletzt noch zuzufügen mir die Freiheit genommen, „qu'il n'était pas douteux que les premiers progrès et succès ne seraient peut-être brillants, mais que la complication des ennemis, dans un temps où le Roi était isolé et dépouillé de tout secours étranger, ce qui ne lui était jamais arrivé encore, du moins par rapport aux diversions que dans les deux précédentes guerres on avait occasionnées en sa faveur, lui ferait peut-être rappeler un jour ce que je prenais la liberté respectueuse de lui représenter pour la dernière fois.“ Und dabei soll es auch meines wenigen Ortes bleiben, weil ich sehe, dass alle Vorstellungen wenigstens bis dato ganz fruchtlos und vergeblich sein und mehr irritiren als adouciren.
M. Mitchell hat heute seinen Courier von Petersburg von dem Chevalier Williams wieder zurückbekommen; er stattet davon einen ausführlichen Bericht an Se. Königl. Majestät ab, welchen in der Einlage an Höchstderoselben übersende und mich darauf beziehe,106-2 da er nicht Zeit genung gehabt, mich von dem Detail, so er gemeldet, zu informiren. Sunt mala mixta bonis: So viel ist inzwischen gewiss, dass die Contre-ordres expediret106-3 und der Courier selbst verschiedene Regimenter rencontrirt, die zurück und in ihre vorigen Standquartiere marschiren.
Ich ersuche Ew. Wohlgeboren gehorsamst, dieses volante calamo abgefassete confidente und confuse Schreiben dem Vulcano aufzuopfern und gänzlich zu cassiren.106-4 Ich gedenke übrigens nicht unrecht zu thun, den mecklenburgischen Gesandten Herrn von Forstner106-5 mit seiner Ab<107>schiedsaudienz bis zu Sr. Königl. Majestät Ankunft allhier107-1 zu verweisen, weil ich versichert bin, dass derselbe solche nicht wird erwarten wollen; sollte er aber doch nach Potsdam sich zu begeben insistiren, so erwarte von Ew. Wohlgeboren gehorsamst einige kleine Nachricht, welcher von den Herren Generaladjutanten bei der Krankheit und Abwesenheit des Herrn Generalmajor von Buddenbrock die fremden Gesandten Sr. Königl. Majestät vorstellet und präsentiret.
Heinrich Graf von Podewils.
P. S.
Diesen Augenblick erhalte Ew. Wohlgeboren werthgeschätztes vom heutigen Dato107-2 und beziehe mich wegen desjenigen, so mir die Freiheit nehmen wollen, gestern vor meiner Abreise Deroselben zu eröffnen, auf alles obige. Sonst habe den Herrn Mitchell allhier gleich itzo wegen desjenigen, so der Herr von Plotho wegen der Offerte des hessen-darmstädtschen Ministri zu Regensburg, ein Auxiliärcorps von 6000 Mann an Engelland gegen Subsidien zu überlassen,107-3 zu informiren Gelegenheit genommen, der auch durch seinen morgen früh von hier retournirenden Courier seinen Hof unverzüglich davon zu benachrichtigen versprochen.
Die mir gütigst communicirte Copeien von den an des Herrn von Schlabrendorff Excellenz und den Oberst von Wechmar107-4 von denen Husaren wegen Violation des österreichischen Territorii ergangenen Ordres werde morgen zu remittiren die Ehre haben, weil gerne eine Abschrift davon zu Completirung unser Acten behalten wollte.
Ich recommandire mich übrigens zu Ew. Wohlgeboren beharrlichem Wohlwollen und Andenken gehorsamst, und verdoppele meine Wünsche vor Deroselben beständige Prosperität und Conservation Dero theuresten Gesundheit und Wohlergehens.
Nach der Ausfertigung.
105-1 Vergl. Nr. 7732. _
105-2 Vergl. S. 80. 81. 90. 110. 111, die Berichte Hellen's vom 13. und 16. Juli (praes. 21. Juli) Nr. 7730. 7747. 7748. 7749.
105-3 Das Folgende auf Grund des von Hellen übersandten Berichtes Swart's, d. d. Petersburg 19. Juni. Vergl. Nr. 7749.
106-1 Vergl. Bd. XII, 508.
106-2 Vergl. Nr. 7746.
106-3 Vergl. S. 15. 41.
106-4 Vergl. dagegen S. 121.
106-5 Vergl. Nr. 7734.
107-1 Der König kam am 26. Juli nach Berlin.
107-2 Nr. 7736.
107-3 Vergl. S. 99.
107-4 Vergl. Nr. 7733.