9022. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN BERLIN.
Im Lager bei Prag, I. Juni 1757.
Wenn Ew. Excellenz dieses Mal die Sachen etwas später wie gewöhnlich erhalten, so ist es die Ursache, dass, da den 30. voriges, als ehegestern, durch ein starkes Gewitter und heftigen Regen einige Dämme von Teichen einige Meilen oberhalb Prag108-1 durchgebrochen und die Moldau dadurch ganz schnell sehr stark angewachsen und vieles Holz, so an deren Ufer der Orten gelegen, mit weggeschwemmet worden, unsere Brücke über solche dadurch mit Schaden gelitten und bis heute zu nicht zu passiren gewesen. Die Stadt Prag hat dadurch das Inconvenient mit gelitten, dass in der Altstadt die mehristen Keller und Casemates, worinnen man das Mehl und andere Sachen vor das Feuer geborgen, voller Wasser getreten und jene dadurch verdorben worden, von uns aber seind dagegen verschiedene Pontons, so das schwimmende Holz getroffen, mit nach Prag herein entrainiret worden. Obgleich durch das Bombardement gestern und ehegestern verschiedentlich Feuer in die Stadt gebracht worden, so hat dennoch die Garnison solches allemal wieder gelöschet, wiewohl dennoch ein grosser Theil von der Bäckerei von der Garnison und einige 40 Häuser in der Judenstadt abgebrannt.
In dieser Nacht aber ist das Feuer in der Stadt an drei Orten, auch bei den ansehnlichsten Gebäuden (wie man dann gar von dem Schlosse spricht, so ich aber noch nicht glaube) aufgegangen und hat so stark überhand genommen, dass es bis jetzo zu noch heftig wüthet und noch nicht gelöschet werden können. Ich erhalte auch sogleich die Nachricht, dass die Garnison in Prag in vier Colonnen aus der Stadt auszurücken im Begriff sein soll;108-2 weshalb dann auch des Königs Majestät, um solches zu recognosciren, so eben dahinreiten und Dero Anstalten machen, im Fall die Garnison einen Ausfall und Attaque versuchen wollte. Welches sich dann bald zeigen muss.
Da die Oesterreicher eine so wunderliche als unwahre Relation von der Bataille108-3 zu Regensburg publiciren lassen, so habe ich einen recht braven Officier, der alles selbst mit gesehen und währender Action des Königs Majestät beständig begleitet hat und von Deroselben gebrauchet worden ist, nämlich den Herrn Obristen Lentulus ersuchet, vor mich gedachte gedruckte Relation mit einigen Anmerkungen, wie die Sachen<109> der puren Wahrheit' gemäss sein, zu begleiten; worunter er mir dann auch willfahren hat, und welche ich dann anliegend Ew. Excellenz hierbei zu communiciren mir die Freiheit nehme. Was man von einem Ausfall aus Prag österreichischer Seils mit ganz wunderlicher Ostentation eingeflochten hat, davor sollte man sich billig schämen, weil die Sache entweder gar nicht wahr oder aber solche nichts anders als dasjenige ist, so ich vorhin schon an des Herrn Grafen von Podewils Excellenz geschrieben habe,109-1 und welches gewiss nicht zur Avantage der Garnison ausgefallen, da sie dabei von ihren besten Leuten und Grenadiers über 1000 Mann liegen lassen, der Verlust unsererseits in allem an Todten und Blessirten noch nicht an 300 Mann ist, davon nur wenig Todte, die mehristen aber ganz leicht blessiret seind. Von der von denen Oesterreichem so sehr relevirten Sache zu Brandeis109-2 werde nächstens die wahren Umstände melden, weil die Zeit solches heute nicht leidet. Soeben wird mir gesaget, dass die Prager Garnison sich wieder in die Stadt zurückziehe; das Feuer in der Stadt dauret noch.
Eichel.
Wegen der communicirten Anmerkungen bitte gehorsamst, den Namen des Herrn Obristen von Lentulus, desgleichen auch die Zahl der Truppen zu menagiren.109-3
1. Die Position der österreichischen Armee war, dass ihr linker Flügel an Prag, der rechte aber, Maleschitz im Rücken lassend, an einer Anhöhe, wo sie eine Batterie hatten, appuyiret war.
2. Der König passirte nicht des Abends, sondern bei hellem Tage, zwischen 3 und 4 Uhr des Nachmittages, die Moldau, und zwar nichts weniger als mit seiner ganzen Armee, sondern nur mit 20 Bataillons und 35 Escadrons, welches Corps, ohne von dem Feinde inquietiret zu werden, erst des andern Tages um 6 Uhr Morgens sich mit dem Schwerin'schen Corps d'armée conjungirte, dass also unsere ganze Force sich auf 70,000 Mann beliefe.
3. Der Feind muss nicht allein nach dem Terrain, so er occupiret, sondern nach Aussage derer gefangenen Officiers und Gemeinen, wie auch derer vielen Regimenter, 80,000 Mann gewesen sein.
4. Der Feind bliebe in seiner Position stehen, bis wir bei Unter-Potschernitz [ankamen]109-4 und uns schwenkten; da merkte die öster<110>reichische Generalität allererst, dass es Ernst war, und dass wir ihren rechten Flügel in der Flanke nehmen wollten, derowegen der Feind nicht allein alle Grenadiers, sondern die Hälfte seines zweiten Treffens, und zwar nicht in der gerühmten besten Ordnung, sondern in vollem Laufen nach seinem rechten Flügel in Gestalt eines Hakens zog. Folglich sobald wir an das Dorf Sterboholi kommen und die Cavallerie den Damm ganz ruhig passiret hatte, NB. so der Feind ganz ruhig geschehen Hesse, marschirte die Infanterie grade auf den Feind zu, und ist wahr, dass einige wenige Bataillons repoussiret wurden.
5. Allein weilen unsere Cavallerie vom linken Flügel, aus 50 Escadrons bestehend, und zwar die Husaren mitgerechnet, die feindliche Cavallerie, 95 Escadrons stark, bei dem ersten Angriff dergestalt culbutirte, dass sie die ganze Bataille durch nicht mehr zum Vorschein kommen, wurde dadurch die österreichische Infanterie entblösset und verhindert, von ihrer ersten Avantage zu profitiren, und ist selbige weder 10, noch weniger 600 Schritt avanciret, sondern bei Anrückung unseres zweiten Treffens nach einem anderthalbstündigen Gefechte gänzlich die Flucht zu ergreifen gezwungen worden. Die 16 eroberte Kanonen und viele Fahnen, so ihren Angaben nach unsererseits verloren sein sollten, können nicht anders als im Traume bestehen, weilen alle unsere Regimenter solche noch wirklich haben.
6. Der grosse Staub110-1 bestehet von Seiten der Infanterie in Dunst, dann wir alle sehr gut gesehen haben, dass, da unserer rechter Flügel den feindlichen linken von seinen auf lauter Anhöhen und mit Batterien besetzten festen Posten delogiret hatte, die ganze feindliche Armee nicht Schritt vor Schritt, wie gesagt wird, sondern in vollem Laufen dergestalt zerstreuet sich retiriret haben, dass 40,000 Mann sammt dem Prinz Karl von Lothringen und verschiedene Generals sich in Prag geworfen, welches alles so confus zugegangen, dass weder die, so in Prag, noch die, so auswärts sich retiriret, wissen, wo ihre Regimenter, Officiers etc. geblieben sein, und zeiget die österreichische Relation Selbsten genugsam, wie gross ihre Niederlage sein müsse, da sie sagen, sie hätten keine andere Nachricht von der Bataille, als nach dem Rapport verschiedener Officiers, Deserteurs und Gefangenen.
Richtig und wahr aber ist es, dass die Chefs in Prag sitzen, und dass die schwere Bagage, Zelter, Feldkessels, Regimenterkassen und ein guter Theil ihrer Artillerie sich in unseren Händen befindet, und hat der Rest derer nach Beneschau geflüchteten 12,000 Mann sich nicht zu beschweren gehabt zu dörfen, viele Equipage zu decken, noch weniger ihre Pontons, weilen wir auf unserem linken Flügel die zweite Schiffbrücke über die Moldau damit geschlagen haben.
<111>108-1 Die Rosenberger Teiche.
108-2 Vergl. Nr. 9023.
108-3 Relation, d. d. Wien 14. Mai. Gedruckt u. A. in den „Berlinischen Nachrichten“ vom 7. Juni, Nr. 68.
109-1 In dem S. 79 Anm. 3 erwähnten Schreiben vom 25. Mai. Ueber den Ausfall der Garnison vergl. S. 74—76. 87.
109-2 Der österreichische General Beck sollte während der Schlacht von Prag ein preussisches Bataillon bei Brandeis überfallen haben.
109-3 Die demgemäss im Ministerium ausgearbeitete Preussische Antwort erschien in den „Berlinischen Nachrichten“ vom 7. Juni, Nr. 68. Am gleichen Tage wurden Exemplare der berliner Zeitung an die auswärtigen Gesandten geschickt, an Hellen mit der Weisung, die Widerlegung in den holländischen Zeitungen, an Hecht mit der Weisung, sie in den hamburger und altonaer Zeitungen einsetzen zu lassen. Die wiener Relation und die Entgegnung u. a. auch gedruckt in: Beyträge zur neuern Staats- und Krieges-Geschichte. (Danzig). Bd. II, 628 ff. u. 640 ff.
109-4 Ergänzt nach den genannten Drucken.
110-1 Die österreichische Relation hatte die Behauptung aufgestellt, der österreichische rechte Flügel sei in Folge des grossen Staubes in Verwirrung gerathen.