9323. AN DEN GENERALFELDMARSCHALL VON LEHWALDT.331-1
Lehwaldt meldet, Lager bei Paterswalde331-2 1. September: „Ew. Königl. Majestät allergnädigst mir öfters geäusserten Intention331-3 gemäss habe ich bisher nach dem Zeugniss der hiesigen sämmtlichen Generalität alles gethan, um zu suchen den Feind zu attaquiren und zu schlagen, wegen dessen avantageuse Positions und ungemein starken Retranchements aber niemals dazu gelangen können. Ich erhielte den 28. die Nachricht, dass sich der Feind mit seiner Armee über den Pregel nach Norkitten gezogen und noch nicht verschanzet hätte. Ich brach daher mit unserer Armee sogleich auf und nahm mein Lager jenseit des Pregels, so dass der linke Flügel Piaten, der rechte aber Ranglacken im Rücken hatte, und Puschdorf vor der Fronte lag. Weil der Feind beständig seine Menge leichter Truppen vor sich hielte, so war es nicht möglich, mit kleinen Detachements ihn zu recognosciren. Ich schickete deshalb den 29. August den Generallieutenant von Schorlemer mit 20 Escadrons Dragoner vorwärts, um die Situation des Feindes eigentlich zu erfahren, währender Zeit die hiesige Armee in ordre de bataille aufmarschirt stand, um den Feind anzugreifen, wann man ihn zur Attaque gemäss träfe. Der Generallieutenant Schorlemer drang durch die feindliche leichte Truppen durch und hatte Gelegenheit, so viel zu observiren, dass der linke Flügel der feindlichen Armee unter Apraxin Uderballen vor sich und die Flanke mit drei Redouten gedecket hatte. Der rechte Flügel aber, so sich nach Norkitten erstreckte, konnte nicht eigentlich, so wenig als dessen Retranchements, wahrgenommen werden. Es wurde daher resolviret, den Tag darauf, als den 30., den Feind zu attaquiren.
Wir waren so glücklich, dass wir ihre Cavallerie vom linken Flügel schlugen, drei Batterieen, jede von 5 bis 6 Canons, überstiegen, den General Lapuchin und seinen Obristen gefangen nahmen und über eine Menge von Leichen, insbesondere<332> von Artilleristen, weiter avancirten und auf die Mitte des Feindes und dessen rechten Flügel dringen mussten. Hier fanden wir aber von beiden Seiten lauter mit schwerer Artillerie garnirte Retranchements, Grabens von ungemeiner Tiefe und in dem Walde bei Daupelken drei Batterieen hinter einander. Alles dieses würde man dennoch zu übersteigen gesuchet haben; allein die Garnisonregimenter aus dem Hintertreffen schiessen aus einer fatalen Bévue auf die Vorderlinie, feuern auf unsere eigene Leute und erregten dadurch nicht allein die Confusion, sondern auch, dass man [, da man] an 20 Mann hoch stand, daher durch das unglaubliche Kartätschenfeuer desto mehr litte. Es war nicht mehr möglich, die Leute von der Retraite abzuhalten, und ich musste mich zurückziehen und das hiesige Lager zwischen der Alle und dem Pregel nehmen. Beide vorher gemeldete Kriegsgefangene machten sich hiebei, da [wir] sie in Ermangelung der Wagens nicht gleich anfangs fortschaffen können, aus unsern Händen los, und zwar Lapuchin mit Zurücklassung seines Ordens vom Alexander-Newski, welchen er dem Unterofficier, so ihn zum Gefangenen gemachet, zur Versicherung seines Verbleibens eingeliefert. Unsern Verlust kann noch nicht bestimmen; höchstens ist derselbe an Todten, Blessirten und Vermisseten etwa über 3000 Mann. Der Feind hingegen muss dreimal so viel verloren haben, da alle Batterieen, die wir erstiegen, und die Oerter, wo wir avanciret, voller Leichen hoch auf einander lagen, der Feind uns auch nicht verfolgete. Unsere Infanterie hat Wunder, die Cavallerie ungemein brav und die Generalität insgesammt alles gethan, was man von ihnen nur erwarten konnte, und der Sieg ist auf die Seite des Feindes bloss ausgefallen wegen seines entsetzlich festen Lagers und unserer Garnisonregimenter unglücklicher Bévue. Der Feind war über 100,000 Mann in dieser Bataille stark, und seine Artillerie bestand aus mehr als 100 Stücken.“ Der Generallieutenant Graf Dohna sei verwundet, Major Goltz332-1 sei gefallen.
„Ew. Königl. Majestät muss aber wiederholentlich pflichtschuldigst anzeigen, wie meinen Körper kaum mehr tragen kann und meine Gemüthskräfte so abgenommen, dass ich unter der Last des hiesigen Commandos bei der Armee beinahe unterliege und daher allerunterthänigst bitten muss, Ew. Königl. Majestät wollen die Gnade haben, jemand anhero zu senden, der solches entweder übernehme oder mir assistire. Inzwischen werde meine noch wenige übrige Kräfte so lange zu Ew. Königl. Majestät Dienst mit der allervollenkommensten Treue aufopfern.“
Quartier Rötha, 6. September 1757.
Ich habe Euer Schreiben vom 1. dieses heute allhier wohl erhalten. Ihr werdet leicht erachten, wie sehr Mich das Unglück betrübet hat, so Ihr Mir darin von der vorgefallenen facheusen Affaire mit den Russen gemeldet habt. Indessen sehe Ich so viel daraus, dass es an Euch und an Eurer guten Conduite und Bravour nicht gelegen hat, wenn die Sache nicht einen glücklicheren Ausschlag genommen; dahero Dir Euch auch deshalb nicht niederschlagen lassen, sondern nur fernerhin Muth und Contenance behalten, auch versichert sein sollet, dass dem ohnerachtet Ich Euer gnädiger König und Herr nach als vor sein und bleiben, auch Euch gewiss über Euer gutes Betragen Justice thun werde. Da inzwischen das Unglück einmal geschehen ist, so ist nichts anders zu thun, als dass Ihr Euch nur recolligiret und alles bestmöglich zu redressiren suchet, dabei Stich haltet und dorten noch alles, was zu con<333>serviren ist, zu defendiren und zu conserviren Euch angelegen sein lasset. Ich schicke Euch den Obristlieutenant und Flügel[adjutanten] von Stutterheim hin, um Euch dessen statt des gebliebenen Major Goltz zu bedienen; noch einen General kann ich Euch vor der Hand nicht schicken. Was Ich Euch hauptsächlich recommandire, ist, dass Ihr zuvorderst die Sache nicht sehr zu Herzen nehmen, sondern es als ein Unglück, so im Kriege arriviren kann, ansehen, demnächst aber denen Officiers und Leuten von Meinen dortigen Truppen allen Muth einsprechen sollet, damit sie die Köpfe nicht hängen lassen; da Ihr sie begreifen machen müsset, dass die Affaire eine abgeschlagene Attaque, aber nicht verlorene Bataille wäre, und dass deshalb noch gar nicht alles verloren sei; wie Ihr denen Leuten denn den Muth souteniren müsset, so viel Ihr könnet.
Friderich.333-1
Nach dem Concept.
331-1 Lehwaldt blieb, nach seinem Bericht vom 13. September, bis zum 8. im Lager von Paterswalde.
331-2 ½ Ml. sws. von Wehlau.
331-3 Vergl. S. 165. 168. 191. 223. 235. 253.
332-1 Der königl. Flugeladjutant Major Bernd Henning von der Goltz hatte bei dem Corps Lehwaldt's die Verpflegungsangelegenheiten besorgt. Vergl. Bd. XIII, 136; XIV, 152.
333-1 Am 4. September übermittelte Eichel an Podewils den königlichen Befehl, dass ein von Lehwaldt, d. d. Hauptquartier Wilkendorf 24. August, an Podewils eingesandter und von diesem unter dem 30. August dem Könige vorgelegter Bericht über die von den Russen in Ostpreussen begangenen Grausamkeiten veröffentlicht werden solle. Lehwaldt bezeichnet den Bericht als „Extract eines Schreibens d. d. Wehlau 22. August 1757“ ; Podewils hatte, noch bevor er den königlichen Befehl empfing, den Druck des Bulletins veranlasst. Vergl. u. A. „Berlinische Nachrichten“ vom 1. September, Nr. 105; Danziger „Beyträge“ Bd. III, S. 343—347.