10376. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN BERLIN.

Dresden, 1. October 1758.

Gestern Abend habe ich noch von Sr. Königl. Majestät eine expresse Ordre, vom 29. voriges datiret,278-1 erhalten, nach welcher ich von Höchstderoselben wegen an Ew. Excellenz melden soll, wie Se. Königl. Majestät Tages vorher, als den 28. voriges, dem General Laudon alle Communication mit Bautzen abgeschnitten und darauf sogleich den Generallieutenant von Retzow gegen Lauban und Zittau detachiret haben, um dadurch den in österreichschen Diensten bekannter Maassen stehenden Prinz von Durlach, welcher von dem Feldmarschall Daun mit einem besonderen Corps Oesterreicher nach der Seite von Görlitz detachiret worden, zu behindern, sich nicht gegen Schlesien wenden zu können, und dass Se. Königl Majestät Sich flattireten, wie vermittelst erstgedachten Mouvements Sie binnen Zeit von 8 bis 10 Tagen den Feldmarschall Daun obligiren werden, sich mit seiner Armee nach Böhmen zu retiriren und die Lausnitz wieder zu quittiren.

So weit ist es, was des Königs Majestät mir befohlen haben, Ew. Excellenz zu melden; um aber dasjenige, was mit dem Laudon vorgefallen ist, noch etwas zu expliciren, so nehme mir die Freiheit, Ew. Excellenz hierbei zwei Originalschreiben,278-2 so mir nach meiner Abreise aus der Armee ein guter Freund, der bei der Generaladjutantur stehende königliche Geheimer Secretarius Galster, geschrieben, zu communiciren, aus welchen die Positions sowohl der königlichen als der österreichschen Armeen [zu ersehen], als auch welchergestalt der General Laudon nach seiner in denen Wiener Diariis allemal so sehr gerühmten Vorsicht und Bravour sich mit der grössesten Précipitation zurückzuziehen und einen Posten zu abandonniren vor gut befunden,278-3 der von der Beschaffenheit ist, dass, wie alle der Orten sehr kundige Officiers mir hier gesaget, wann Laudon die Attaque darauf erwartet hätte, es unsererseits wohl an etliche hundert Mann kosten können, ehe man ihn daraus delogiret und zur Retraite obligiret haben würde, zumalen er mit einer beträchtlichen Artillerie versehen gewesen, aus welcher er noch Tages vorher, ehe er delogiret worden, des Abends ein grässliches Feuer nach dem königlichen Lager, obwohl sonder den allergeringsten Effect, gemachet hat.

Ich habe gelegentlich hier nur noch mit wenigem anhängen wollen, wie ich glaube, dass endlich auch der von denen Oesterreichern bisher qualificirte Fabius Maximus278-4 und duplex victor Regis (wie man solchen auf einer schändlichen Taille-douce, oder wie andere sagen Medaille, betiteln wollen) der Welt vor dasjenige, was er der Wahrheit nach<279> wirklich ist, werde bekannt werden. Man muss es in der That der göttlichen Vorsicht zuschreiben, wenn man siehet, was dergleichen Leute des Königs Majestät und Dero Affaires zuweilen vor vieles Böse hätten ohne Risque noch sonsten beschwerliche Umstände hätten zufügen können, wenn sie nicht ganz verblendet gewesen wären; wovon man aber lieber schweigen, als ihnen durch Recensirung ihrer schlechten Einsicht und groben Fehler die Augen darüber öffnen und, wenn es möglich wäre, ihnen Gelegenheit geben muss, sich davon zu corrigiren.

Meinen gestrigen Nachrichten nach sollen des Königs Majestät sonsten gestern [Bautzen] haben occupiren lassen, bei welcher Gelegenheit von denen dort gestandenen und sich auch, der österreichschen Vorsicht nach, in der Geschwindigkeit retirirten Oesterreichern ein paar Officiers und 40 Mann gefangen gemachet und hieher geschicket worden. Unser jetziger Commandant allhier, der Herr Generallieutenant Graf Schmettau, hat dergleichen Gäste, die ihm dergestalt nach und nach zugeschicket worden, nunmehro über 1000 Mann zusammen, so dass er verlegen zu werden anfanget, wie er solche weiter unterbringen soll, und da hoffentlich Se. Königl. Majestät Dero But mit der österreichschen Armee unter Daun bald erreichen werden, dieser auch schon alles, was von österreichschen Truppen bei denen von denen Franzosen genannten Tonneliers279-1 oder Armée des Cercles gestanden hat, zurück und an sich gezogen haben soll, letztere aber sehr nach denen Winterquartieren verlanget und bereits anfanget, ihre schwere Bagage nach Böhmen defiliren zu lassen, so werden endlich die Herrn Sachsen und der Hof zu Warschau einsehen müssen, was sie von ihren prätendireten Errettern279-2 gehabt haben, die, so weit sie reichen können, sich exorbitante Lieferungen an Fourage, Getreide und dergleichen von ihnen thun lassen, Geld erpresset und ihnen noch zwei bis drei Tage vor denen Ablieferungsterminen durch schwere Executiones die Executionsgebühren abgezwungen, viele Unterthanen sehr übel tractiret, verschiedene rein ausgeplündert, denen mehristen aber Pferde und Vieh weggetrieben haben, unter dem sinnlichen279-3 Vorwand, dass der Feind solches nicht bekommen und die Sachsen dadurch gegen solchen protegiret werden sollten.

Ew. Excellenz werden sonsten aus einem an mich gekommenen Postbericht zu ersehen belieben, was vor ein Désastre mit einem über Berlin gegangenen höchsteigenhändigen Antwortschreiben Sr. Königl. Majestät an die regierende Herzogin von Sachsen-Gotha vorgefallen ist.279-4 Der Postmeister Marcus muss sich sehr übel genommen oder von dem Herrn Hofpostmeister Jordan schlecht instruiret worden sein, dass er ganz ohnbesonnen einen Courier zu Pferde mit solchem Schreiben abgeschicket hat, welchem nichts anders, als was ihm widerfahren, be<280>gegnen können, da statt dessen, wenn man vernünftiger Weise jemanden unter einem fremden Namen auf der fahrenden Post geschicket oder, wie es noch besser gewesen, einen zuverlässigen witzigen Boten zu Fuss damit abgesandt hätte, dieser nichts zu risquiren gehabt haben und der Brief glücklich an seine Direction gekommen sein würde. Der gothaische Hof wird bei denen Umständen, worin er sich siehet, über dieses unglückliche Accident in grosser Verlegenheit sein und sich allerhand Ressentiments zu besorgen haben, obwohl in dem Briefe quaestionis eigentlich nichts enthalten gewesen, so von Conséquence sein können. Ich unterstehe mich indess, Ew. Excellenz ganz gehorsamst zu ersuchen, dem Hofpostmeister Herrn Jordan seine bei diesem Schreiben bezeigte schlechte Ueberlegung und wenige Vorsichtigkeit zu verweisen, auf dass dergleichen übele Suiten daher nicht mehr arriviren.

Eichel bestätigt den Eingang von Briefschaften und räth, dass Finckenstein die von Rexin kommenden Briefe in Berlin öffne, die Originale zurückbehalte und den Inhalt neu chiffrirt an den König melde.

Eichel.

Nach der Ausfertigung.



278-1 Liegt nicht vor.

278-2 Die Schreiben Galster's liegen nicht vor; doch sind seine Mittheilungen zu erkennen in den Nachrichten vom 1. October, die in den „Berlinischen Nachrichten“ vom 5. October in Nr. 119 abgedruckt sind.

278-3 Vergl. Nr. 10368.

278-4 Vergl. S. 257. Anm. 3 und S. 275.

279-1 Vergl. Bd. XVI, 8. Anm. 1.

279-2 Vergl. S. 263. Anm. 3; Bd. XVI, 24.

279-3 Hier gleich: sinnig, klug.

279-4 Vergl. Nr. 10299 und S. 254.