10473. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN BERLIN.
Dresden, 27. October 1758.
Nachdem ich gestern mit dem Herrn Generallieutenant Graf von Schmettau wegen dessen vorhin gehabten Nachrichten von einem bei Grossenhain angeblich stehenden Corps unter Commando des Laudon334-6<335> gesprochen, hat derselbe mir gesaget, dass nach denen ihm weiter eingegangenen Nachrichten die von des Laudon Anwesenheit zu gedachtem Grossenhain unrichtig befunden worden, welches auch eine unserer Husarenpatrouillen, so selbst an diesem Orte gewesen, confirmiret habe; wohl aber stünde zu Königsbrück ein Corps von ohngefähr 1000 Panduren nebst etwas Husaren, so durch die sächsische Lausnitz, auch in Sachsen selbst jenseit der Elbe, auch dem Verlaut nach im Chur- und Meissenschen Kreise, starke Geldcontributiones ausschriebe, so dass die Sachsen, da sie auch zugleich an uns ihre ordinäre Praestanda zu bezahlen hätten, deshalb in grosser Verlegenheit wären, da sie sich von den Oesterreichern von neuem als feindlich tractiret sähen.
Erwähnter Herr General sagte mir zugleich, wie es seine Richtigkeit habe, dass in der Gegend von Königsbrück ausser obgedachtem Corps Panduren noch ein stärkeres Corps von regulären und irregulären österreichschen Truppen gestanden, desgleichen, dass vor einigen Tagen ein Detachement von 8 Bataillons und 2 Regimenter Dragoner von der Armee des Prinzen von Zweibrück nebst 30 Canons über die österreichsche Schiffbrücke der Gegend Schandau nach Neustadt defiliret sei; wie aber sowohl seine Kundschafter als andere sächsische Leute wissen wollen, so hätten sich beide letztgedachte Corps ganz schleunig auf den Feldmarschall Daun repliiren müssen.
So viel habe ich von mehrgedachtem Herrn Generallieutenant verstanden, der mir auch versprochen hat, noch heute an Ew. Excellenz und an den Herrn Generallieutenant von Rochow deshalb schreiben zu wollen. Es scheinet also wohl nicht, dass vor der Hand etwas wegen Torgau oder gar Berlin zu besorgen sei . . .
Eichel empfiehlt jedoch, in Berlin ein Arrangement zu treffen, um auf alle Fälle sichere und prompte Nachrichten von dem zu haben, was in der Lausitz vorgehe; er schlägt als Correspondenten den Postmeister Witte in Kottbus vor.
Wir haben auch noch keine weitere Nachricht von des Königs Armee weiter gehabt und sehen solcher mit vieler Ungeduld entgegen, seind auch in einiger Verlegenheit wegen eines Convois von Kranken und Blessireten, welche des Königs Majestät vor Evacuation von Bautzen hieher schicken wollen,335-1 die335-2 auch unter Escorte von ein paar Bataillons bis Camenz gekommen ist, wegen des dermalen in dortiger Gegend stark gestandenen Feindes nicht hieher durchkommen können, und von welcher wir bis dato noch nicht wissen, ob sie sich auf Hoyerswerda, Senftenberg oder sonst der Orten gewandt haben335-3 und auf Frankfurt an der Oder gegangen sein. Hier in der Stadt will man bald dieses, bald<336> jenes davon sagen, spricht auch unter der Hand, als ob vor ohngefähr zwei Tagen eine Affaire zwischen des Königs und der Daun'schen Armee, und zwar zum Nachtheil der letzteren vorgefallen sei, deshalb auch die vorerwähnte beide feindliche Corps von Königsbrück und von Neustadt sich so sehr geschwinde nach dem Daun ziehen müssen; es ist aber hier ein so sehr schwätz- und lügenhaftes Volk, dass man sich auf dessen Reden und Nachrichten in nichts Staat machen kann.
Graf Schmettau hat „gestern gegen Abend die hier seit ein paar Tagen gewartete Couriers“ von Dohna, Wedell und Prinz Ferdinand unter einer Husarenescorte an den König abgehen lassen. Eichel hat die für den König ihm zugekommenen Briefe mitgeschickt.
Ich habe gar kein Bedenken gefunden, denjenigen Bericht an des Königs Majestät, so Ew. Excellenz mir mit Dero gestern Mittag hier erhaltenen gnädigen Schreiben zu adressiren beliebet haben, mit abgehen zu lassen, indem ich selbst der Meinung bin, dass solcher die Berichte des Generaldirectorii favorisiren könne.336-1 Indess ich mein Urtel über die Réussite der letzteren um so mehr suspendiren muss, als mit dem Wedell'schen Corps wohl nächstens einige Veränderung vorgehen336-2 und anderweitig davon disponiret werden dörfte, auch vorhin schon des Königs Majestät an den Etatsminister Herrn von Schlabrendorff eine Summa von ohngefähr 300,000 Thaler und etwas drüber von denen englischen Subsidiengeldern, welche zu allererst nach Berlin eingehen werden, zu höchst pressanten Ausgaben assigniret haben, welche demselben auch wohl nicht werden vorenthalten werden können. Es wäre also wohl sehr zu wünschen, dass Herr Schickler und Schütze sich stark pressireten, nur in Engelland, sobald es menschmöglich ist, aufzuräumen und die Fonds nach Berlin zu ziehen, damit sonsten es nicht daran fehle, es moutarde après le dîner werde und irreparable Präjudicia daher entstehen, worüber mich umständlicher zu expliciren, vor dieses Mal die Zeit und der Raum nicht leidet. Mein Wunsch ist nur, dass des Herrn von Boden Excellenz nicht über alles so sehr acariâtre wären und den Minister von Schlabrendorff in gewissen Stücken etwas stark chicanireten, worüber des Königs Majestät schon Tonnen Goldes verloren haben. Doch ist dieses meine Sache nicht, noch mich davon zu mehren, zumalen da ich, von des Königs Majestät jetzo abwesend, nicht wissen kann, wie Dieselbe von Ihren dortigen Fonds disponiren.
Die Unsicherheit der Wege zwischen Dresden und Torgau ist dadurch gehoben worden, dass „jetzo beständig Husarenpatrouillen zwischen Meissen und Torgau gehen, um zu verhindern, dass sich nicht feindliche Mausepartien über die Elbe setzen zu lassen wagen können.“
<337>In einem diese Nacht von des Königs Majestät erhaltenen Schreiben an mich,337-1 ist unter andern mit enthalten, dass der Generalmajor von Finck, von des Prinzen Heinrich Hoheit hiesigem Corps d'armée, mit dem Generalmajor von Wedell correspondiren müsse, und also Ew. Excellenz dem Generalmajor von Wedell citissime einen Chiffre zu schicken, das Duplicat davon aber an mich zu übermachen hätten, damit ich solchen Chiffre dem Generalmajor von Finck unter der Bedeutung zustellen könnte, dass solcher Chiffre nur lediglich zu seiner Correspondance mit dem Generalmajor von Wedell sei.
Da in Berlin solche Chiffern wohl nicht fertig seien, er selbst aber „dergleichen Militärchiffres allemal vorräthig halten lasse“ , so übersendet Eichel einen Chiffre an Finckenstein, um ihn an Wedell zu übermitteln.
In erwähntem Schreiben des Königs Majestät an mich ist unter andern enthalten, dass, da der Reichstag in Polen getrennet wäre,337-2 also auch Benoît kein Geld brauchete, ihm aber geschrieben werden müsste, dass, da die Russen sich nunmehro nach Polen retirireten, er, Benoît, denen Freunden, jedoch nur als vor sich, sagen müsste, wie er vermuthete, dass der Generallieutenant Graf Dohna die Russen durch Polen verfolgen würde.
Ich untergebe Ew. Excellenz, ob Dieselbe geruhen wollen, etwas deshalb zu Gewinnung der Zeit dorten an gedachten Benoît expediren zu lassen, denn mir solches heute hier zu thun ohnmöglich fallet, auch meinen Courier zu sehr aufhalten würde.
Die Retraite derer Russen nacher Polen, so mir der vor ohngefähr zwei Tagen von dem Generallieutenant Graf Dohna angekommene Feldjäger nochmalen conffrmiret und beigefüget hat, wie die Russen ihren Marsch auf Tuchel gegen Preussen genommen, wiewohl man letzteres noch nicht zuverlässig wisse, hat mir zwar nicht anders als viele Freude verursachen können, ich gestehe aber, dass ich in der Richtigkeit der Aussage des Burgemeister von Pyritz337-3 und in dem, was man aus Preussen von einem Embarquement der russischen Artillerie wissen wollen, noch einigen Zweifel setze und es mir vielmehr Gedanken machet, was der bekannte S.337-4 noch unter dem 3. dieses aus Petersburg in der Beilage schreibet, und was Benoît in seinem letzt hier angekommenen Bericht vom 18. dieses von denen 20 bis 25,000 mit 4 Pferden bespanneten Wagens, so die Russen von denen Polen fordern wollen, meldet. Nur letzterwähnter Feldjäger hat mir zwar confirmiren wollen, dass in pommerund neumärkischen Städten in Garnison gestandene russische Officiers vor ihrem Abzüge gar frei gesaget hätten, wie die Bewegungen derer<338> Türken gegen die russische Lande338-1 sie bloss und allein zu dieser Retraite nöthigten. Gott gebe, dass es wahr und dass unter dieser Retraite, so einen Mangel der weiteren Subsistance zur Ursach haben kann, nicht noch ein vielleicht gar noch gefährlicheres Dessein verborgen sei, und wolle Gott insonderheit verhüten, dass das, was Ekeblad an Hamilton unter dem 26. September von einer Wintercampagne schreibet,338-2 nicht wahr werden möge! Was in beikommender Frankfurter Zeitung338-3 unter dem angestrichenen Articul vom Mainstrom enthalten, ist wohl ein völlig auslachenswürdiger Einfall eines verworrenen wienerschen Kopfes, der auch die Zeit nicht einmal zu combiniren gewusst hat.
Der Todesfall des so braven als sehr würdigen Herrn Generalmajor von Kahlden338-4 hat mich ohnendlich betrübet und um so mehr surpreniret, als noch ehegestern mir von dem Herrn Geheimen Rath Cothenius die Versicherung gegeben worden, dass wenn gedachter Herr General noch 3 Tage nach seiner, des Herrn Cothenius, Durchreise zu Berlin gelebet, alsdenn noch die beste Hoffnung sei, dass er völlig werde genesen können. Die von der betrübten Frau Wittibe an des Königs Majestät und an des Prinz Heinrich Hoheit erlassene Briefe seind gestern von mir mit abgesandt und bestens recommandiret worden.
Ew. Excellenz um Vergebung wegen dieses meines enorm langen Schreibens annoch bitten zu wollen, würde solches noch mehr verlängern; daher nur noch mit wenigen meines beständigen Respectes versichern und mich zu gnädigem Wohlwollen ganz gehorsamst empfehlen will.
Eichel.338-5
Nach der Ausfertigung.
334-6 Vergl. Nr. 10469.
335-1 Am 22. war aus Doberschütz an Schmettau eine königliche Ordre ergangen, mit der Mittheilung, dass der Transport mit Verwundeten in der Nacht vom 22. zum 23. nach Dresden abgehen werde; Schmettau sollte von der Dresdener Garnison dem Transport ein Detachement entgegensenden.
335-2 So.
335-3 So.
336-1 Der Bericht Finckenstein's, d. d. Berlin 24. October, handelte über die von den englischen Subsidien eingekommenen oder in nächster Zeit zu erwartenden Gelder, Das Generaldirectorium hatte dem Könige seine Verlegenheit geklagt über die Bezahlung der an Dohna und Wedell zu gewährenden Lieferungen.
336-2 Vergl. S. 328.
337-1 Liegt nicht vor.
337-2 Vergl. Nr. 10472.
337-3 Vergl. S. 329.
337-4 Intercipirtes holländisches Schreiben des holländischen Gesandten Swart (vergl. Bd. XIII, 602; XIV, 544; XV, 483; XVI, 425) an die Generalstaaten, d. d. Petersburg 3. October. Es enthielt die Meldung, dass täglich eine Menge Artillerie von Petersburg an Fermor transportirt werde; Fermor sollte den Befehl erhalten haben, über die Oder zu gehen, ohne seinen Succurs abzuwarten.
338-1 Vergl. S. 290. 295.
338-2 Ein von den Preussen aufgefangenes Schreiben, d. d Stockholm 26. September. Es war darin an Hamilton mitgetheilt, dass, laut der Berichte des schwedischen Gesandten Posse, Fermor zurückgehen werde, nur um seine Truppen sich erholen zu lassen; er werde dann eine Wintercampagne aufnehmen und Küstrin zu erobern suchen; in Russland würden grosse Rekrutenaushebungen veranstaltet.
338-3 Nr. 163 des „Journal in Frankfurt am Main“ von Freitag 13. October, enthält unter der Ueberschrift „Mainstrom 12. October“ eine Mittheilung aus Petersburg, durch die der Bruch der Türken mit den Russen dementirt wird; Fermor habe den König geschlagen; wenn dieser in Sachsen gegen Daun keinen Erfolg habe, so sei es mit ihm zu Ende.
338-4 Kahlden war am 22. October in Berlin den bei Zorndorf erhaltenen Wunden erlegen.
338-5 Eichel übersendet weiter ein von dem Grafen Schmettau an Finckenstein gerichtetes Schreiben.