Anmerkung zum Jahre 1742.
Von allen Personen, welche der König seines vertrauten Umgangs würdigte, sind theils umständliche Lebensbeschreibungen<77> vorhanden, wie von Voltaire, Algarotti etc. Theils hat der König selbst in den, auf sie verfertigten, Lobreden, die er in der Akademie vorlesen ließ, eine Skizze von ihrem Leben und Charakter gegeben. Vom Marquis d'Argens ist dies nicht geschehen, was um so mehr bemerkenswerth ist; da der Marquis Mitglied der Akademie und auch eine Zeit lang Direktor der philosophischen Klasse gewesen. Es ist zwar bekannt und ergiebt sich auch aus einigen der letzten Briefe des Königs an d'Argens, daß ein kleiner Zwist unter Beiden stattgefunden, und zwar, wie es scheint, wegen der lange verzögerten Rückkehr des Marquis von seiner, nach Frankreich unternommenen, Reise, weswegen der König ihm auch einen Theil der Pension entzogen haben soll; allein dies kann wohl nicht als Grund angesehen werden, weshalb der König auf ihn keine Lobrede geschrieben, denn einerseits beweisen seine Briefe an die Mutter des Marquis, daß seine Achtung und Liebe für den Verstorbenen immer dieselbe geblieben ist, andrerseits war Friedrich von Voltaire doch in der That oft und schwer beleidigt worden, was ihn aber nicht gehindert hat, auf ihn eine Lobschrift zu schreiben.
Von d'Argens Leben etc. sind außer den, von ihm selbst geschriebenen aber wenig bekannt gewordnen und bald vergessenen, Mémoires de Msr. le Marquis d'Argens, Londres 1735, welche ohnehin nur bis 1731 gehen, beinahe gar keine zusammenhangende Nachrichten vorhanden, obgleich sein Leben so reich an merkwürdigen, oft wechselnden und nicht selten an's Romanhafte gränzenden, Begebenheiten ist. Was Thiebault davon erzählt, ist theils offenbar falsch wie aus d'Argens und des Königs Briefen zu erweisen ist, theils höchst unzuverlässig, so auch das, was das Conversations-Lexikon, welches aus Thiebault geschöpft hat, enthält. Im Jahr 1807 erschien zwar in Paris eine neue Auflage jener oben erwähnten Mémoires de Marquis d'Argens (nach der Londoner Ausgabe von 1735) mit dem viel versprechenden Zusatze auf dem Titel: Nouvelle édition précédée d'une notice historique sur la vie de l'auteur, sur son sejour à la cour de Fredéric II. sur ses rélations avec le Prince et sur les personnes dont il est parlé dans l'ouvrage et suivi de lettres du même auteur sur<78> differens sujets. 426 Seiten. Allein die Notice ist gänzlich aus den, bei uns längst bekannten, Schriften Thiebaults und Nicolai's genommen und enthält also nichts Neues. Die Briefe, deren 13 Stück aus dem Jahre 1740 sind, sind von gar keiner Bedeutung.
Unter solchen Umständen glauben wir, daß es den Lesern nicht unangenehm sein wird, wenn wir hier eine etwas umständlichere Schilderung von dem Leben und Charakter eines Mannes geben, der beinahe die Hälfte seines ganzen Lebens bei Friedrich d. Gr. zugebracht hat und der von allen Gesellschaftern des Königs - Lord Marshall vielleicht ausgenommen - ihm gewiß am meisten und aufrichtigsten ergeben war, und auch seines Vertrauens und seiner Freundschaft in einem hohen Grade genossen hat, wie die, auf 260 Briefe sich belaufende, Korrespondenz mit dem König die überzeugendsten Beweise liefert.
Jean Baptist de Boyer, Marquis d'Argens ist geboren 1704 zu Aix in der Provence, wo sein Vater Präsident war. In seinem 14. Jahre nahm er Militairdienste im Cavallerieregiment Toulouse, welches in Strasburg stand. Die, ihm eigene, Trägheit erschwerte ihm den Dienst sehr, weshalb er bald seinen Abschied nahm. Nach 2 Jahren verliebte er sich in eine Schauspielerin, Sylvie du Tremblai, und wollte sie schlechterdings heirathen. Die verweigerte Einwilligung des Vaters und die Drohung, ihn zu enterben, bewirkten nur, daß er mit seiner Geliebten nach Spanien entfloh. Hier wurde er erkannt und verhaftet. Vergebens versuchte er sich mittels gestoßenen Glases zu tödten, er wurde nach Frankreich zurückgebracht und ging nun mit dem franz. Gesandten von Andresse nach Konstantinopel. Zuvor aber nach Algier, wo der Gesandte ebenfalls Geschäfte hatte, dann nach Tunis, Tripolis, Lampadouse, Argentiere. In Konstantinopel blieb er 5 Monate; sowohl hier als an allen vorgedachten Orten hatte er häufig verliebte Abentheuer, die er oft mit größter Verwegenheit und mit Lebensgefahr bestand. Zu Argentiere hatte er sich nach dasigem Landesgebrauch verheirathet. Nach seiner Rückkunft in Frankreich, ward er Advokat zu Aix, in Welchem Amte er sich auszeichnete. Bald nachher erwachte in ihm ein unwiderstehlicher Hang, sich den Künsten und Wissenschaften<79> zu widmen. Er beschäftigte sich nun eifrig mit Musik, Malen etc. und eben so mit dem Studium der Philosophie. Alle diese Beschäftigungen hinderten indeß nicht, daß er, auch während dieser Zeit, vielfältig verliebte Abentheuer hatte, besonders mit Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen, unter denen auch eine Catalane war. Mit einer andern ging er nach Marseille, wo er sich mit ihr niederließ, kurz nachher aber ganz ernstlich an eine Heirath mit einem sehr reichen, aber wie er selbst sagt, vorne und hinten ausgewachsenen und nicht drei und einen halben Fuß großen Frauenzimmer dachte. Zu gleicher Zeit stand er noch mit 2 oder 3 andern Frauenzimmern in ähnlicher Verbindung, und da er allen Hoffnung gemacht hatte, sie zu heirathen, sie aber natürlich nicht erfüllen konnte, auch seine Finanzen sich in großer Zerrüttung befanden, so entschloß er sich, sie alle sitzen zu lassen und Marseille zu verlassen. Nachdem er endlich Gelegenheit gefunden, auf's Neue Geld aufzunehmen, führte er seinen Entschluß aus und reiste nach Paris. Hier setzte er seine Studien wie seine Galanterieen fort, versuchte auch das Spiel und war so glücklich, gleich anfangs in anderthalb Stunden 6000 Livres im Roulette zu gewinnen. Dieses Geld verwandte er zu einer Reise nach Rom, welche er gleich 3 Tage nachher antrat. In Rom lebte er anfangs ganz den Künsten; aber schon nach 8 Wochen war er durch neue Liebeshändel gezwungen, Rom zu verlassen, um den Nachstellungen der rachsüchtigen Italienerinnen zu entgehen. Er kehrte nach Marseille zurück. Einige Zeit nachher (1733) nahm er wieder Kriegsdienste, bei Kehl wurde er verwundet, und ein Sturz mit dem Pferde nach der Belagerung von Philipsburg machte ihn zum Kriegsdienst untüchtig. Er erhielt seinen Abschied und ging wieder nach Paris. Nach allem bisher Erzählten wird man sich leicht denken können, daß, auch während seines Militairdienstes, die Liebeshändel kein Ende nahmen. In Paris beschäfftigte er sich mit Schriftstellerei. Wegen seines Buches, Philosophie du bon sens, ward er von der Geistlichkeit verfolgt, und dies veranlaßte ihn, Frankreich zu verlassen. Er lebte nun in verschiedenen Ländern, besonders in Holland, wo er sein Lettres juives und viele andere Schriften herausgab. Um das Jahr 1740 ging er nach Stuttgard, wo er von der Mutter<80> des, damals regierenden, Herzogs (Karl Eugen, der in Berlin erzogen worden) sehr gütig aufgenommen und protegirt wurde. Sie gab ihm ein Empfehlungsschreiben an Friedrich d. Gr., den er aber in Berlin, wohin er sich wahrscheinlich schon im Oktober 1741 begab, nicht fand (s. Jordans Brief an den König No. 43). Im folgenden Jahre ernannte ihn der König zum Kammerherrn, übertrug ihm auch eine zeitlang die Direktion der Schauspiele und gab ihm eine, nach und nach bis auf 1000 Thlr. erhöhete, Pension. 1744 ward er Direktor der philologischen Klasse der Akademie der Wissenschaften. D'Argens hatte mancherlei und große Schwachheiten an sich; er glaubte an Ahnungen und Vorzeichen, fürchtete sich vor allen Krankheiten und ließ sich leicht einreden, er sei krank etc. Er hatte in seinen frühern Jahren viele Thorheiten begangen und wird noch mehrerer beschuldigt. Ein Schriftsteller sagt von ihm, der Marquis war ein wahrer Cyniker an Leib und Seele; man hatte ihn dem König als Verfasser des äußerst skandalösen und schmutzigen Buches, Thérése Philosophe 80-+ genannt, weshalb der König die vornehmsten und anstößigsten Scenen daraus so soll haben malen lassen, daß die Hauptpersonen dem Marquis und seiner nachmaligen Frau sehr ähnlich gewesen, und mit dieser Sammlung habe er heimlich die, für den Marquis bestimmten, Zimmer auszieren lassen. Ein Andrer 80-++ sagt: Le M. d'Argens est du nombre de ces écrivains qui ont deshonoré le siecle, où ils ont vécu par le libertinage d'esprit le plus scandaleux etc. Alles dies mag vielleicht von seinem frühem Leben gesagt werden können; aber während seines 28jährigen Aufenthalts bei Friedrich d. Gr. hat er sich immer und unwandelbar von einer sehr edeln und hochachtungswürdigen Seite gezeigt und selbst jener Tadler seines Benehmens sagt: Il es juste néanmoins de reconnaître les excellentes qualités de l'homme social<81> dans le Marquis d'Argens. Il étoit bon, officieux, bienfaisant. Il n'employa jamais le crédit, qu'il eut pendant son séjour à Berlin, auprès du grand Roi, qui l'avoit attaché à son service et admis dans sa familiarité, que pour protéger ceux qui recouroient à ses bon offices, et principalement les français, ses compatriotes, et sous ce rapport, sa mémoire est encore en vénération dans la Capitale du Brandebourg. Fredéric n'eut jamais, à proprement parler, ni courtisans ni favoris; mais si dans le nombre de ceux, qui eurent un libre accès à sa cour, il s'en trouva quelques-uns, que ce prince chérit veritablement, M. d'Argens fut toujours celui qu'il distingua le plus. Il n'etoit pas sans estime pour ses talens, ses opinions philosophiques lui étoient encore plus agreables, par la conformité, qu'elles avoient avec les siennes. Il aimoit sa vivacité, son enjouement sa franchise vraiment provençale, et il aboit tant de confiance dans son honnêteté qu'il ne craignit jamais, dans aucune occasions et sur les affaires même les plus delicates de lui devoiler toutes ses pensées. Les lettres qu'il lui écrivoit en fournissent la preuve.
Es scheint die Bestimmung des Marquis gewesen zu sein, eine Lebensgefährtin vom Theater zu erhalten. Er verheirathete sich mit der Tänzerin, Demoiselle Cochois. Der König gab nicht nur seine Einwilligung dazu, da die Dem. Cochois wirklich eine Person von Geist und Talent war und in jedem Betracht alle Achtung verdiente, sondern er räumte auch den Neuvermälten eine Wohnung in Sanssouci und später im neuen Palais ein. Die Ehe war eine der glücklichsten, da sie jedoch ohne Kinder blieb und der Marquis ein großer Kinderfreund war, so hatte er nacheinander zwei Pflegetöchter bei sich, auf deren gute Erziehung und künftige vortheilhafte Versorgung er sehr bedacht war. In Religionssachen war er tolerant, doch keineswegs ein Spötter derselben, wie man ihn wohl zuweilen beschuldigt hat, wiewohl er oft über die Pfaffereien der katholischen Geistlichen und Mönche mit sehr lebhaftem Witz lachte. Seine Gemalin ging sonntäglich in die Messe. Seinen alten<82> treuen Bedienten Jean und seine Köchin, die lutherisch waren, schickte er Sonntags Nachmittag in die lutherische Kirche, und seine erste Pflegetochter, die reformirt war, mußte nicht allein alle Sonntage eine reformirte Predigt hören, sondern er machte sogar für sie, da er sie besonders liebte, einen kurzen Auszug aus dem Heidelberger Katechismus und unterwies sie in der Religion nach reformirten Grundsätzen. Er selbst hörte freilich weder Messe noch Predigt. Er liebte die Deutschen und deren Schriftsteller, ließ sich aus verschiedenen deutschen Werken Auszüge machen und sprach in seinen letzten Schriften mit großer Achtung von ihnen. Eben so auch gegen den König. Er war es auch, der mit Quintus Icilius den König zuerst darauf aufmerksam machte, daß seit 1740 eine vortheilhafte Revolution in der deutschen Literatur vorgegangen sei. Als im Jahre 1766 eine Menge Franzosen als Accisebedienten in's Land gerufen wurden und noch eine größere Menge, worunter zum Theil freilich viel Abentheurer und schlechte Leute waren, herzuliefen, in der Meinung, ihr Glück im Preußischen zu machen, ärgerte sich der gute alte Mann so, daß er gar nicht mehr ein Franzose heißen wollte. Er könne nun wohl, meinte er, für einen Deutschen gelten, da er länger als zwanzig Jahre in Deutschland wohne. Sein geliebtes Vaterland, die Provence und deren beau soleil, die, wenn man sie nur nannte, seine ganze Physiognomie erheiterte, konnte er jedoch nicht vergessen. Er machte, während seines Aufenthalts beim König, mehrere Reisen dahin. Als er die letzte Reise dahin im Jahre 1769 unternahm, war der König so gerührt, daß er ihn nicht wollte persönlich Abschied nehmen lassen sondern es schriftlich that. D'Argens lebte nun in Frankreich etwas über ein Jahr meist zu Eguilles, eine kleine Meile von Aix. Den Winter zu Ende 1770 wollte er bei seiner zweiten Schwester, der Baronin de la Charde auf einem Landgute, nahe bei Toulon, zubringen. Allein es stieß ihm bald ein Fieber zu und er wurde deshalb nach Toulon gebracht. Hier starb er, wie man glaubt aus Ungeschicklichkeit des Arztes, am 12. Januar 1771 82-+. Der König ließ ihm ein Monument errichten, welches die Inschrift:
<83> Veritatis amicus
Erroris inimicus
erhalten, sollte, aber die Religiosen (die Minimen), in deren Kirche zu Aix es aufgestellt wurde, setzten zwei andere an seine Stelle. Bei der Zerstörung der Mönchsklöster, während der französischen Revolution, erlitt auch das Monument selbst eine Veränderung. Eine Abbildung desselben, wie es ursprünglich war, findet man in Sulzers Tagebuch seiner Reise etc. Leipzig 1780. Eine andere, wie es nachher gestaltet gewesen, sowie die Erzählung von den höchst sonderbaren Schicksalen dieses Monuments werden umständlich mitgetheilt in der Berliner Zeitschrift: der Freimüthige, vom Jahr 1808, No. 23. Sie sind genommen aus Aubin Louis Millin's Voyage dans les Departements du midi de la france. 2. Tomes, Paris 1807.
In einem, vor uns liegenden, Heft von Nicolais Anekdoten finden sich folgende Randbemerkungen und Berichtigungen von der Hand des Herausgebers.
Heft 1, S. 14. "D'Argens verheirathete sich am 21. Jan. 1749 mit Dem. Barbe Cochois."
S. 16 bei den Worten: "er war unbeerbt, liebte", welche unterstrichen sind, steht: Barbe Girault ist seine einzige Tochter. Ebendaselbst bei den Worten: "die zweite Pflegetochter adoptirte" ist "adoptirte" ausgestrichen und dafür beigeschrieben: "er erklärte sie unter d. 18. Dezbr. 1769 für seine einzige eheleibliche Tochter" und: "sein Testament ist zu Aix den 22. März 1771 publicirt."
S. 68, wo der Brief d'Argens an den König, in welchem er für Mendelsohn ein Schutzprivilegium erbittet, mitgetheilt wird und wo es heißt: Il y a dans tout ceci trop de philosophie ist beigeschrieben: "Eigentlich hatte d'Argens beigeschrieben: trop peu de religion, ich getraute mich aber nicht dies drucken zu lassen!"
80-+ D'Argens Schriften findet man verzeichnet in Trinius Freidenker-Lexikon, dieses skandalöse Buch ist aber nicht darunter.
80-++ Borellin. Caractère des personnages les plus marquans dans les différentes Cours de L'Europe etc. Paris 1808. T. III. p. 160.
82-+ In Preuß etc. Thl. IV. S. 189 ist der 26. Dezbr. 1771 als sein Toddestag angegeben. Friedrichs Brief vom 6. Februar 1771 an die Marquise und deren Antwort vom 19. März bezeigen das Gegentheil.