November.

A.

2. November 1780

Der König in Potsdam und in Sanssouci.

4. November 1780

Der Prinz von Preußen kommt aus Petersburg nach Potsdam zurück, wo er von dem König sehr freundlich empfangen wird 238-+. Der Minister von Herzberg nach Potsdam zum König in Sanssouci (er blieb hier bis zum 9ten). Hier übergab ihm der König seine Schrift : de la Litterature allemande, des fauts qu'on peut lui reprocher; quelles sont les causes, et par quels moyens on peut les corriger, und trug ihm auf, sie drucken zu lassen und eine Deutsche Uebersetzung davon zu veranstalten. Die Schrift erschien bald nachher bei Decker in Berlin. Ins Deutsche wurde sie von Dohm übersetzt.

Da der Minister glaubte, daß der König in dieser seiner Schrift die Deutsche Sprache zu strenge beurtheile, so über<239>sandte er ihm am 8ten eine andere Übersetzung aus dem Tacitus. (Annales, Lib. 14, Cap. 53).

8. November 1780

Der König antwortete ihm auf der Stelle: "Das ist gutes Deutsch, und einer der besten Aufsätze, den ich bisher gesehen. Aber, verzeihen Sie meiner vielleicht zu strengen Kritik, das Wort : Beispiel gefällt mir nicht, es muß Exempel heißen. Ganz gewiß würden Leute von Ihrer Fähigkeit und Ihren Kenntnissen, wenn sie sich mit der Bildung der Deutschen Sprache beschäftigten, darin glücklich sein. Ich danke Ihnen indeß, das; Sie nur diese Arbeit haben mittheilen wollen."

9. November 1780

Der Minister, um dem König eine bessere Meinung von der Deutschen Sprache beizubringen, überschickte ihm die Erzählung: "Das Schöne" von von Nicolai 239-+." Der König schickte sie mit folgender Antwort zurück : "Das ist erträglicher, als was lch gestern gelesen habe, aber doch sind auf zwei Seiten auch zwei Fehler. Brennende Wangen können wohl bei einem Menschen Statt haben, der vor Zorn außer sich, oder von Wein berauscht ist, aber hier ist es ein falsches Beiwort; für einen Prinzen, der sich freuet, paßt es nicht. Ich bin zu aufrichtig, als daß ich solchen Fehlern Beifall geben könnte." Als der Minister von Herzberg nach Berlin zurück gekehrt war, schickte ihm der König die Abschrift von seiner Arbeit: de la Litterature etc. mit folgendem Schreiben:

10. November 1780

"Hier ist der Nest von meinem Auflage abgeschrieben. Ich habe keine Verbesserungen darin gemacht, und überlasse ihn nun Ihrer Prüfung; auch werden Sie gefälligst die Mühe übernehmen, ihn übersehen zu lassen. Ich wünsche, meine Zeitgenossen mögen nur gerechte Ursache geben, sie zu loben. Niemand wird geneigter sein, es zu thun, als ich. Gäbe es?<240> Viele, die Ihnen ähnlich wären; so läge mir der Stoff dazu ganz nahe, und ich versichere Sie, ich würde Allen Gerechtigkeit widerfahren lassen, und eben die Hochachtung für sie haben, wie für Ihre Person 240-+."

<241>

Ehe der Minister den Druck der Schrift besorgte, schrieb er am 12ten an den König und schlug ihm zwei kleine Aenderungen vor; die eine betraf das Wort: Karfunkel (es kommt

11. November 1780

Der König antwortet darauf Folgendes :

"Den Karfunkel bitte ich zu verschonen. Er muß stehen bleiben. Die Sache ist wahr, und im Jahr 1722 hat Jedermann sie herzlich belacht. Ich habe den schönen Brief in Wusterhausen gesehen und gelesen. Uebrigens können Sie mit meiner Mäßigung zufrieden sein. Ich habe Ihre Deutschen nur mit Rosen gegeißelt, und in<242> mehreren Stellen die Strenge der Kritik gemildert. Also danken Sie mir für meine Schonung und treiben Sie mich nicht aufs Aeußerste. Ich bin mit Achtung etc."

"N.S. Thomasius hat in Halle die Geschichte gelehrt. Ich weiß Personen, die bei ihm gehört haben. Ja, man hat mir sogar einige Abhandlungen von ihm gezeigt, die wirklich musterhaft waren. Sie betrafen das Recht, die Geschichte und die Philosophie; und alle diese Fächer verstand er ganz vorzüglich 242-+."

20. November 1780

Der König an d'Alembert :

"Schlachten haben viele Menschen gewonnen, Viele haben Provinzen erobert, aber Wenige haben ein so vollkommenes Werk, wie die Vorrede zur Encyclopädie 242-++ geschrieben. Es ist etwas sehr Seltenes, alle menschliche Kenntnisse gehörig zu würdigen, hingegen ein viel Gewöhnlicheres, Leute, die sich schon fürchten, in die Flucht zu schlagen; und daher glaube ich, daß, wenn man die Stimmen gegen einander abwägt, die Bemühungen der Philosophen den Vorzug vor den Arbeiten des Kriegers erhalten würden, wenn wir die Dinge von der Seite des Nützlichen betrachten. etc."

B.

29. November 1780

Stirbt die Kaiserin Maria Theresia, 63 Jahr alt.


238-+ Ueber den Zweck und den Erfolg der Reise s. Dohm's Denkwürdigkeiten Theil 1, S. 424 etc. und Theil 2, S. XVI. Der König sagte zu Jemand: "Ich habe ihn (den Prinzen von Preußen) nun im Kriege und Frieden geprüft; er hat mir in Rußland die größten Dienste mit aller möglichen Geschicklichkeit geleistet." (Briefe zwischen Heinse, Gleim und Müller, herausgegeben von Körte, Theil 2, 59).

239-+ Vermischte Gedichte von Ludwig Heinrich Nicolai. Berlin, 1730. 5. Theil, S. 1-80.

240-+ Diese Schrift des Königs machte viel Aufsehen. Von den (wenigen ihm bekannten) Deutschen Schriftstellern hatten seinen Beifall - mehr oder weniger - unter den Dichtern: Gellert, Canitz, Geßner und Götz, dessen Gedicht: die Mädcheninsel, ihm vorzüglich gefallen hatte; so lobt er auch das Lustspiel: "der Postzug" von von Ayrenhoff, dagegen spricht er sich tadelnd über Göthe's "Götz von Berlichingen" aus. Beiläufig erwähnt er auch Shakspeare, und nennt seine Stücke abscheulich, entschuldigt jedoch seine "sonderbaren Ausschweifungen" (ce melange bizarre de bassesse, et de grandeur, de bouffonnerie et de tragique) mit der Zeit, in der dieser Dichter lebte. Von den Geschichtschreibern lobt er Mascow und Thomasius, von den Rednern Quandt. An den Lehrern der Geometrie findet er nichts zu tadeln. In Absicht der Theologen "will er ein ehrerbietiges Stillschweigen beobachten." Die Philosophen betreffend, so spricht der König hier eigentlich nur überhaupt von den Systemen, und sagt in Bezug auf Spinoza: "Nichts aber wird unserm Lehrer leichter sein, als dieses System von der Seite zu zerstören, da es die Existenz Gottes läugnet; er darf nur zeigen, wie jede Sache in der Welt zu einem gewissen Zweck bestimmt und auf das Vollkommenste so eingerichtet ist, diesen Zweck zu erfüllen. Alles, sogar das Wachsthum des geringsten Grashalmes, beweiset die Gottheit. Der Mensch besitzt einen Grad von Verstand, den er sich selbst nicht gegeben hat, hieraus folgt unwidersprechlich, daß das Wesen, von dem er Alles hat, noch einen viel tiefern und unermeßlichern Verstand besitzen müsse."
      Am Schluß sagt der König: "Wenn wir Medicis haben, werden auch unsere Genies hervorkeimen, und die Auguste werden schon Virgile schaffen. Wir werden dann auch unsere klassischen Schriftsteller bekommen. Jeder wird sie lesen wollen; unsere Nachbarn werden Deutsch lernen, und die Höfe es mit Vergnügen hören. Und vielleicht bringen unsere guten Schriftsteller es dahin, daß unsere zur Vollkommenheit gebrachte und verfeinerte Sprache noch einst von einem Ende Europas bis zum andern geredet wird. Noch sind diese schönen Tage unserer Literatur nicht gekommen, aber sie nähern sich und er- scheinen gewiß. Ich kündige sie Ihnen an, obgleich mein Alter mir die Hoffnung nimmt, sie noch selbst zu sehen. Ich bin wie Moses, ich sehe das gelobte Land von fern, werde aber nicht selbst hineinkommen." Eine solche Schrift konnte nicht ohne Beurtheilungen bleiben, es erschienen deren bald mehrere, z. B. von dem Abt Jerusalem, von Gomperz, Assprung, Tralles, Meister, Rauquil-Lieutaud und einigen Anonymen.
Zu den Urtheilen des Königs über die Deutsche Litteratur gehört auch noch sein Schreiben an den Professor Myller. (S. unter d. 22. Febr. 1784).
von Ziegler's Asiatische Banise (Leipzig, 1688) scheint dem König theilweise gefallen zu haben. Wenigstens schreibt Grimm unter dem 23. Juni 1781 an den König: "Ich für mein Theil, Sire, werde mich immer sehr lebhaft erinnern, mit welchem Feuer Ew. Majestät mir einmal den ganzen Anfang der Asiatischen Banise vordeclamirten."
Dieser Anfang lautet: "Blitz, Donner und Hagel, als die rächenden Werkzeuge des gerechten Himmels, zerschmettere die Pracht deiner goldbedeckten Thürme, und die Rache der Götter verzehre alle Besitzer der Stadt, welche den Untergang des Königlichen Hauses befördert, oder nicht solchen nach äußerstem Vermögen, auch nicht mit Daransetzung ihres Blutes verhindert haben. Wollten die Götter, es könnten meine Augen zu donnerschwarzen Wolken und diese meine Thränen zu grausamen Sündfluthen werden. etc. etc."

242-+ Herzberg in seiner Antwort sagt nun, daß der König wegen Thomasius doch Recht habe.

242-++ Von d'Alembert.