Im fünften Jahrhundert verließen die Vandalen ihre Heimat und überfluteten Frankreich, Spanien und sogar Afrika1.
Die Sachsen, die damals aus England zurückkamen, landeten an der Elbmündung und nahmen das Land zwischen Elbe, Spree und Oder in Besitz, das von seinen ursprünglichen Bewohnern verlassen war. Mit ihnen kamen ihre Götter und ihre Religion nach Brandenburg. Der Hauptgegenstand ihrer Verehrung war die „Irminsäule“. Die gelehrten Etymologen Deutschlands haben nicht verfehlt, den Namen Irmin von Hermes abzuleiten, der gleichbedeutend ist mit dem Merkur der Griechen und Ägypter. Wer die deutsche Literatur kennt, weiß, daß es ein allgemeines Bestreben unserer Gelehrten ist, Beziehungen zwischen den Gottheiten Germaniens und denen der Ägypter, Griechen und Römer zu finden.
Es ist leider nur zu wahr, daß Irrtum und Aberglaube offenbar das Erbteil der Menschheit sind. Allen Völkern ist der gleiche Hang zum Götzendienst eigen. Und da sie alle so ziemlich die gleichen Leidenschaften haben, so ergeben sich auch die gleichen Folgen. Die Furcht erzeugte die Leichtgläubigkeit, und die Eigenliebe zog den Himmel alsbald in das Menschenschicksal hinein. Daraus entstanden all die verschiedenen Kulte, die eigentlich nichts anderes waren als hunderterlei wunderliche Formen einer Unterwürfigkeit, die den Zorn des Himmels besänftigen sollte, dessen Wirkungen man fürchtete. Die menschliche Vernunft, durch allerlei furchtbare Naturereignisse verängstigt und verstört, wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, um ihren Ängsten zu entkommen. Und wie der Kranke kein Heilmittel unversucht läßt, in der Hoffnung, eines zu finden, das ihm helfen wird, so verfiel das Menschengeschlecht in seiner Verblendung auf den Glauben an ein göttliches Wesen, an hilfreiche Kräfte hinter den Naturerscheinungen. Alles, vom Erhabensten bis zum Niedrigsten, wurde verehrt. Weihrauch dampfte vor Kräutern, Krokodilen wurden Altäre errichtet; Bildsäulen großer Männer, die zuerst über Völker geherrscht hatten, erhielten Tempel und Opferpriester, und in Zeiten allgemeiner Heimsuchungen verdoppelte sich der Aberglaube.
In diesem Sinne haben die deutschen Gelehrten recht mit der Behauptung, daß der Aberglaube bei allen Völkern der gleiche sei. Aber wenn er auch im allgemeinen eine Folge der Leichtgläubigkeit ist, er zeigt sich doch in unendlich verschiedenartigen, dem Geist der Völker entsprechenden Abstufungen. Es scheint mir schwer glaubhaft, daß die tiefsinnigen griechischen Fabeln von Minerva, Venus und Apollo in unserem Lande zur Zeit des Heidentums bekannt gewesen sind. Aber unsere gelehrten Etymologen lassen sich durch Wahrscheinlichkeiten nicht beirren. Sie glauben ihre Mythologie zu adeln, indem sie ihren Göttern griechischen oder römischen Ursprung verleihen; als ob der Name dieser Völker die Götzenverehrung auf eine höhere Stufe stellen könnte und die Narrheit der Griechen mehr wert wäre als bieder Germanen.
1 Anmerkung des Königs: „Orosius und Gregor von Tours.“ Dieser hat die „Zehn Bücher fränkischer Geschichte“ geschrieben, jener das Werk: „Historiarum adversus paganos libri VII.“