<214> Spaßmacher. Die Söhne des Adels widmeten sich dem Studium, und die Jugenderziehung kam unmerklich in die Hände der Franzosen. Ihnen verdanken wir eine Anmut des Verkehrs und gewandtere Umgangsformen, als sie sonst unter Deutschen üblich sind1.
Alle die neuen Ansiedlungen des Großen Kurfürsten erreichten ihre eigentliche Blüte erst unter Friedrich I. Dieser genoß die Früchte der Arbeit seines Vaters. Wir besaßen damals eine Gobelinweberei, die der in Brüssel nichts nachgab. Unsere Borten kamen den französischen gleich. Unsere Neustädter Spiegel übertrafen die venezianischen an Klarheit. Die Armee war mit unserem eigenen Tuch bekleidet.
Der Hofhalt war groß und glanzvoll. Ausländische Subsidien erhöhten den Geldumlauf. In Livreen, Kleidern, Tafelgerät, Pferden und Bauwerken wurde großer Luxus entfaltet. Der König hatte zwei der geschicktesten Architekten Europas2 in seinen Diensten und als Bildhauer Schlüter3, der in seiner Kunst ebenso tüchtig war wie jene in der ihren. Bodt erbaute das schöne Tor in Wesel und entwarf die Pläne zum Berliner Schloß und zum Zeughaus. Er baute das Posthaus an der Ecke der Langen Brücke und den schönen Portikus des Potsdamer Schlosses, der bei Liebhabern viel zuwenig bekannt ist. Eosander führte den neuen Flügel des Charlottenburger Schlosses und den später niedergerissenen Münzturm auf. Schlüter schmückte das Zeughaus mit jenen Trophäen und schönen Masken, die das Entzücken aller Kenner bilden, und schuf die Reiterstatue des Großen Kurfürsten, die als ein Meisterwerk gilt. Der König verschönerte Berlin durch die Parochialkirche in der Klosterstraße4, die Stechbahn (1702) und noch einige andere Gebäude. Er schmückte die Lustschlösser Oranienburg, Potsdam und Charlottenburg durch Erweiterungen und Verschönerungen aller Art aus.
Die schönen Künste, die Kinder des Reichtums, begannen zu blühen. Die Kunstakademie wurde begründet. Ihre ersten Lehrer waren Pesne, Werner, Weidemann und Leygebe5. Aber es ging kein Maler von Bedeutung aus ihrer Schule hervor.
Das bemerkenswerteste und für den Fortschritt des menschlichen Geistes bedeutsamste Ereignis war die Gründung der Königlichen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1700. Die Königin Sophie Charlotte hatte das Hauptverdienst daran.
1 Erste Fassung: „Gewandte Umgangsformen wie die Berliner sie nach dem Zeugnis der Fremden in höherem Grade besitzen als irgend eine andere Stadt in Deutschland.“ Es folgt der in der Ausgabe von 1751 hier eingeschobene Abschnitt über das Münzwesen (vgl. S. 172), der mit den Worten eingeleitet wird: „Der Wandel, der nach dem Dreißigjährigen Krieg in unserem Staate eintrat, war allgemein; das Münzwesen spürte ihn ebenso, wie alles übrige.“
2 Jean de Bodt (vgl. S. 182) und Johann Friedrich Eosander, Freiherr von Goethe (1670 — 1729).
3 Andreas Schlüter (1664 bis 1714) war zugleich Architekt. Er war es, der das Berliner Schloß umbaute, das Gebäude der „Alten Post“ an der Langen Brücke (heute Kurfürstenbrücke) entwarf und den Münzturm aufführte, der dann wieder abgerissen wurde.
4 Erbaut 1694 — 1703.
5 Antoine Pesne (1683 — 1757): Joseph Werner (1637 — 1710), der erste Direktor der Kunstakademie; Friedrich Wilhelm Weidemann (1668 — 1750); Paul Karl Leygebe (1664 bis nach 1730).