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Etwas aber bringt Frankreich noch einen ungleich größeren Vorteil: ihm sieht fast niemand gegenüber, der ihm durch Geistestiefe, Kühnheit und Geschick gefährlich werden könnte. In dieser Hinsicht erntet es heute geringeren Ruhm, als ein Heinrich IV. und Ludwig XIV. sich erwarben. Was würde Richelieu, was würde Mazarin sagen, wenn sie heute wieder auferständen? Sie wären höchst erstaunt, in Spanien keinen Philipp III. und Philipp IV. mehr zu finden, in England keinen Cromwell und König Wilhelm, in Holland keinen Prinzen von Oranien, in Deutschland keinen Ferdinand und fast keinen echten Deutschen mehr im Heiligen Römischen Reiche, in Rom keinen Innozenz XI., an der Spitze der feindlichen Heere keinen Tilly, Montecuccoli, Marlborough und Eugen. Kurz, Richelieu und Mazarin würden unter allen, denen das menschliche Schicksal in Krieg und Frieden anvertraut ist, eine so allgemeine Entartung finden, daß es sie nicht wundern würde, wie man die Nachfolger jener Großen besiegen und betrügen kann. Ehedem mußten die Franzosen mit dem ganzen gegen sie verbündeten und verschworenen Europa kämpfen; sie dankten ihre Eroberungen einzig und allein ihrer Tapferkeit. Jetzt danken sie ihre schönsten Erfolge ihren Unterhandlungen, und ihr Glücks- und Siegeslauf ist weniger ihrer Kraft als der Schwäche ihrer Feinde zuzuschreiben.

Es gibt kein besseres Mittel, sich ein richtiges und genaues Bild von den Welt-ereignissen zu machen, als den Vergleich, die Auswahl von geschichtlichen Beispielen, denen man die Begebenheiten unserer Zeit gegenüberstellt, um die Verwandtschaften und Ähnlichkeiten herauszufinden. Nichts ist des menschlichen Nachdenkens würdiger, nichts belehrender und geeigneter, unsere Einsicht zu mehren. Der Geist der Menschen bleibt sich in allen Ländern und Zeitaltern gleich. Fast alle haben die gleichen Leidenschaften. Ihre Neigungen unterscheiden sich fast garnicht. Sie sind bisweilen wilder, bisweilen zahmer, je nachdem ein unseliger Dämon des Ehrgeizes und der Ungerechtigkeit ihnen seinen verpesteten, ansteckenden Odem einbläst. Einige Epochen zeichnen sich dadurch aus, daß öle menschlichen Leidenschaften sich wilder gebärden und bisweilen ihren Lohn finden. So die Zeit der Eroberungen des Cyrus in Persien, die Schlachten von Salamis und Platää in Griechenland, die Regierung Philipps und Alexanders des Großen in Mazedonien, die Bürgerkriege Sullas, die Triumvirate, die Regierung des Augustus und der ersten Kaiser in Rom. Mit einem Worte: die Liebe zur Kunst und die Kriegsfurie haben alle Länder durchlaufen und überall, wo sie ihren Wohnsitz aufschlugen, die gleichen Wirkungen gezeitigt. Der Grund ist einfach: der Geist der Menschen und die sie beherrschenden Leidenschaften sind stets die gleichen; sie müssen also notwendig die gleichen Wirkungen hervorrufen.

Aber noch mehr trifft das eben Gesagte für die Politik der Großstaaten zu. Sie war fast stets dieselbe. Ihr Grundprinzip war zu jeder Zeit, alles zu unterjochen, um die eigene Macht unaufhörlich zu erweitern. Ihre Klugheit bestand darin, den Kunstgriffen ihrer Feinde zuvorzukommen und das feinere Spiel zu spielen.