<240> Wort über das Schicksal der Fürsten zu sprechen, und warf sich zum obersten Richter aller ihrer Zwistigkeiten auf. So wurden sie Herren von Griechenland, erbten von Eumenes das pergamenische Reich, und auf die gleiche Weise ward Ägypten zur römischen Provinz.
Wie man sofort sehen wird, ist Frankreich genau so verfahren. Aber was die Römer nie gewagt haben, Ludwig XIV. hat es vollbracht. Er setzte Reunionskammern ein, die unter dem Vorwand alter Hoheitsrechte ganze Provinzen seiner Herrschaft unterwarfen1.
Wir kommen nun zur Erbfolge Karls II., des letzten Königs von Spanien, und zu dem untergeschobenen oder verstümmelten Testament, durch das Frankreich das bourbonische Geschlecht mit Gewalt auf den spanischen Thron brachte2; zu den Intrigen, durch die Frankreich die Partei des Prätendenten3 in England stärken wollte, um ihn zum König von Großbritannien zu machen, oder um neuere Beispiele anzuführen, zur Sendung des Infanten Don Carlos nach Italien4 und zu den französischen Umtrieben in den polnischen Wirren. Ich könnte auch noch das Schiedsrecht erwähnen, das Frankreich sich in dem Jülich-Bergischen Erbfolgestreit zwischen dem König von Preußen und dem Pfalzgrafen von Sulzbach anmaßt5, eine Sache, die allein das Deutsche Reich anginge, hätte der Westfälische Friede nicht dem Allerchristlichsten König Gelegenheit zur Einmischung gegeben. Man lese, was in jenem Frieden darüber ausgemacht ist6. Selbst in die Händel von Genf hat Frankreich sich eingemengt. Durch Bestechung oder auf andere Weise haben die Genfer sich Frankreich in die Arme geworfen7. Auch der Türkenkrieg des Kaisers wird nicht beigelegt werden, bevor Frankreich nicht mitgesprochen hat8, und binnen kurzem wird Korsika von den nämlichen Franzosen sein Schicksal diktiert bekommen9. Kurz, wo Zwistigkeiten sind, werden sie von Frankreich geschlichtet. Will man Krieg führen, Frankreich macht mit. Gilt es, Friedensverträge zu schließen, Frankreich gibt das Gesetz und wirft sich zum obersten Schiedsrichter der Welt auf.
Das sind die Tatsachen, die ich glaubte mit denen der römischen Geschichte in Parallele stellen zu können. Ich gebe sie unparteiisch wieder und ohne andere Richtschnur als die Wahrheitsliebe.
Zu alledem füge ich nur noch eine einzige Bemerkung über die Geistesverwandtschaft zwischen den römischen und französischen Unterhändlern. Sobald Frankreich sein Ziel erreicht hat und keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht, wird man bei seinen
1 Vgl. S. 85.
2 Vgl. S. 102.
3 Vgl. S. 125.
4 Vgl. S. 231.
5 Vgl. S. 226, Anm. I. Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach, der Erbe des Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz, mit dem das Haus Neuburg ausstarb, erhob auch Anspruch auf die Erbfolge in Jülich und Berg.
6 In einer Fußnote führt Kronprinz Friedrich den Wortlaut aus dem Artikel IV des Osnabrücker Friedenslnstruments an, nach dem der Jülichsche Erbffolgestreit „auf dem gewöhnlichen Prozeßweg vor Seiner Kaiserlichen Majestät oder durch gütliche Beilegung oder irgendwie sonst auf legitimem Wege“ geschlichtet werden soll.
7 Es handelt sich um Streitigkeiten über die innere Verfassung von Genf, die 1738 durch Vermittlung Frankreichs beigelegt wurden.
8 Vgl. S. 235.
9 Vgl. S. 151.